Das Klima und wir Menschen

Das Klima und wir Menschen Wie Pflanzen und Tiere sich darauf einstellen GISELA DECKERT Im Verlauf von Jahrtausenden und Jahrmillionen gab es schon of...
Author: Adam Böhmer
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Das Klima und wir Menschen Wie Pflanzen und Tiere sich darauf einstellen GISELA DECKERT Im Verlauf von Jahrtausenden und Jahrmillionen gab es schon oft Klimaänderungen, deren Ursachen noch großenteils unbekannt sind. Die globale Erwärmung in den letzten Jahrzehnten wird aber eindeutig durch den Menschen beschleunigt oder verursacht. Dies dürfte sicherlich mit sehr ungünstigen und kostspieligen Folgen verbunden sein.

KLIMAÄNDERUNGEN – SCHON LANGE VOR UNSERER ZEIT Das Aussterben der großen Saurier am Ende der Kreidezeit vor 65 Millionen Jahren wird durch erhebliche Abkühlung erklärt. Innerhalb von 10 Millionen Jahren waren die letzten Saurier von unserer Erde verschwunden. Die Vögel aber, die schon damals aus diesen Reptilien hervorgegangen waren, überlebten die damaligen Klimaänderungen. Die Vögel konnten sich im Tertiär, bei zwar kühlerem als in der Kreidezeit, aber noch tropischem und subtropischem Klima, zusammen mit weiteren, bereits existierenden Säugetiere, Insekten, Blütenpflanzen und anderen Artengruppen enorm entfalten und weiter entwickeln. Vor etwa 40 Millionen Jahren war die Arktis noch eisfrei und in der Antarktis gab es eine Vegetation etwa wie heute in den Alpen. Bald darauf aber lässt sich die Vereisung der Antarktis nachweisen. Das war Zeit genug für die erstaunlichen Anpassungen der Pinguine an das extrem raue Klima. Nach neuesten Forschungen bildeten sich zur gleichen Zeit Eismassen auch in der Arktis. Sie war jedoch mindestens einmal fast oder ganz eisfrei und zwar zum Beispiel vor 6000 – 7000 Jahren.

Vor einer Million Jahren begannen die Eiszeiten in der Nordhemisphäre mit drei wärmeren Zwischenzeiten, die 60000 bis 200000 Jahre währten. Bis in die norddeutsche Tiefebene lag das Land unter einem Eispanzer. Erst vor ungefähr 10000 Jahren wurde es deutlich wärmer. Die Gletscher zogen sich zurück und zunächst breitete sich in unserer Gegend eine Tundravegetation aus. Mit weiterer Erwärmung entstanden dichte Wälder. Tiere der Eiszeit, wie Mammut,Wollnashorn und Riesenhirsch konnten sich nicht anpassen und sie starben aus. Andere Tundraarten wie Rentier und Moschusochse überleben bis heute im hohen Norden. Nach neuen Forschungen war Deutschland nacheiszeitlich wohl nicht gänzlich mit dichten Urwäldern bedeckt. Vielmehr ist anzunehmen, dass große Pflanzen fressende Säugetiere wie Auerochse, Wisent, Hirsch, Wildpferd, Elch und unter den Nagetieren auch Biber für Lichtungen sorgten. Sie schufen somit Lebensräume für viele Licht liebende Pflanzen, Insekten und Vögel.

WIR MENSCHEN PRÄGEN DIE LANDSCHAFT Die wärmste Periode nach der letzten Eiszeit, die während der Epoche der mittleren Steinzeit etwa 5500 – 3500 Jahre v. Chr. vorherrschte, nennt sich Atlantikum. Es zeichnet sich durch milde Winter, reichlich Niederschläge und eine Durchschnittstemperatur von mindestens 2,5 Grad über der heutigen aus. Die Sahara war teilweise feucht und bewaldet. Etwa in dieser Zeit begannen die Menschen bei uns mit Ackerbau und Viehzucht. Zunächst wurden rund

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um die Siedlungen nur kleine Flächen gerodet, bald aber die Vegetation immer stärker genutzt. Durch die milden Winter konnte das Vieh auch im Winter im Wald weiden. Es entstanden in weiten Bereichen um die Ortschaften lichte parkartige Hudewälder mit vielerlei Kräutern und entsprechend großer Insektenvielfalt. Durch die Weidewirtschaft bildeten sich schon damals große Heideflächen. Ursprünglich war die Besenheide auf kleine, lichte, nährstoffarme Standorte beschränkt. Pflanzen und Tiere der offenen Landschaft, die zuvor selten gewesen sein dürften, konnten sich stark vermehren und verbreiten. Ab etwa 3500 v. Chr. wird es dann wieder 1 – 2 Grad kälter als heute. Es folgen noch einmal wärmere und kältere Perioden. Bis ins frühe Mittelalter waren die Dörfer Inseln im Urwald, obwohl man schon große Waldbestände um die Ortschaften abgeholzt hatte. Der Auerochse wurde als Nahrungskonkurrent der Hausrinder ausgerottet und der Wisent weitgehend verdrängt. Die Großtrappe, ein Vogel der offenen Landschaft, die schon aus der Zeit vor dem Ackerbau in einer kleinen ursprünglichen waldlosen Steppenlandschaft in Deutschland nachgewiesen werden konnte, fand beste Bedingungen und vermehrte sich stark. Viele weitere Arten wanderten aus den östlichen Steppengebieten ein. Andere Pflanzen und Insekten kamen aus feuchten, unbewaldeten Uferbereichen dazu. Sie alle bilden bis heute in den von Menschen geschaffenen Feldern und Wiesen ein neues funktionierendes Ökosystem.

GÜNSTIGES KLIMA FÜHRT ZUM WIRTSCHAFTSWUNDER Von etwa 900 bis 1350 n. Chr., mit Temperaturen mindestens 1–1,5 Grad höher als heute, folgte wieder eine war-

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me Periode, die mittelalterliche Warmzeit. Unterbrochen wurde sie von kurzen, etwas kühleren Abschnitten. Diese klimatischen Bedingungen begünstigten die Landwirtschaft erheblich. Inzwischen hatten weitere Rodungen des Waldes stattgefunden. Es gab aber viele Moore und nasse Flussniederungen, die für reichlich Feuchtigkeit und Niederschläge sorgten. Im Spätmittelalter, vom 13. bis ins 15. Jahrhundert, war der Ernährungszustand der Bevölkerung durch die florierende Landwirtschaft außerordentlich gut, so dass für diese Zeit von einem damaligen Wirtschaftswunder gesprochen werden kann. Die erhebliche Zunahme der Durchschnittsgröße der Menschen war sicher eine Folge davon. Um 1300 hatte Deutschland 10 Millionen Einwohner. Verglichen mit 82 Millionen heute hier lebender Menschen, war die Siedlungsdichte gering. Dadurch gab es, trotz erheblicher Rodungen, Raum für eine große Artenvielfalt und noch im 15. Jahrhundert unberührte Wälder, wie zum Beispiel den undurchdringlichen, sumpfigen Spreewald. Das warme Klima ermöglichte sogar an günstigen Stellen in Brandenburg den Weinanbau. Am Südhang des GroßMachnower Weinbergs bei Mittenwalde – einem Naturschutzgebiet seit 1936 – haben mit dem Blutroten Storchschnabel und der Schwalbenwurz sogar einige typische wärmeliebende Saum- und Weinbergspflanzen bis heute überlebt.

DIE KLEINE EISZEIT Als kleine Eiszeit wird jene Kälteperiode bezeichnet, die vom 15. bis Mitte des 19. Jahrhunderts andauerte und von sehr kalten langen Wintern geprägt war. Im Durchschnitt war es 1,5 – 2,5 Grad kälter als heute. Die landwirtschaftlichen Flächen waren inzwischen übernutzt und ausgebeutet, der Wald großenteils verschwun-

den oder durch Viehweide degradiert. Um den Feldern etwas Humus zurückzugeben, wurden Nadelstreu und Laub aus den umliegenden restlichen Wäldern als Dünger verwendet. Heidekraut wurde in sehr mühevoller Arbeit auf den Heideflächen geplaggt (geerntet, ausgestochen) und als Einstreu für das Vieh verwendet. Die Übernutzung und Verwüstung der Wälder hielten bis mindestens 1750 an. Dann versuchte man schon etwas aufzuforsten, wobei jedoch auf den verarmten Böden zunächst nur Kiefern und Fichten wuchsen, während zuvor in dieser Gegend um Berlin Kiefern-Birken- und Eichenmischwälder vorherrschten. Um 1800 begann eine geregelte Forstwirtschaft. Die dafür bestimmten Flächen waren ein Dauerwald, der nicht wieder in Ackerland verwandelt werden durfte. Es wuchs aber kein Wald im ursprünglichen Sinne, sondern es entstanden Forste in Form von Monokulturen. Durch Moorentwässerungen, Begradigungen und Vertiefen der Flüsse sank das Grundwasser. Zudem senkte man in zahlreichen Seen das Wasser ab, um Weideland zu gewinnen. Dadurch wurden die Landschaften Brandenburgs erheblich trockener. Durch großflächige Entwässerungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verschärfte sich die Situation noch weiter. Die Artenvielfalt nahm erheblich ab. Die Landwirtschaft bekam zunehmend Probleme bei Trockenzeiten und Unwettern. Von den früher sehr zahlreichen Mooren, die das Wasser wie ein Schwamm zurückgehalten haben, sind kaum noch welche erhalten. Von Erzählungen unserer Großeltern und alten Fotos wissen wir, dass Rinder und Pferde in großer Zahl die Ufer vieler Seen völlig kahl geweidet hatten, wie zum Beispiel am Motzener See, am Pätzer Vordersee und Dolgensee. Nach Nutzungsaufgabe hat sich hier heute vielfach wieder die natürli-

che Vegetation dieser Standorte, der Erlenbruchwald, durchgesetzt. Derartige Ausbeutung durch den Menschen wurde und wird oft noch heute ungehindert durchgeführt. Ökologische und ökonomische Auswirkungen sind schon lange bekannt und werden erst jetzt und viel zu gering zu vermeiden versucht.

K A LT U N D WA R M – IMMER WIEDER IM WECHSEL Immer wieder wechseln wärmere und kühlere Phasen, dazwischen gibt es wärmere und kältere Winter oder Sommer. Ab 1900 wurde es bis etwa 1950 im Durchschnitt etwas wärmer. In dieser Zeit nahmen Wiedehopfe zu. Sie brüteten sogar in Gärten. Auch war die

Im Vergleich: Der Pätzer Vordersee in den Jahren 1950 und 2008 Fotos:W. Kirsche, Archiv Naturpark

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ebenso wärmeliebende Blauracke nicht selten. Jetzt ist sie schon seit Jahren in Brandenburg ausgestorben. Allerdings stimmte damals noch der Lebensraum für diese Art, denn es gab viele nährstoffarme Standorte. Diese verschwanden vielerorts durch Überdüngung und mit ihnen große Insekten, die Nahrung dieser Vögel. Ab der Mitte des 20. Jahrhunderts schloss sich zunächst eine etwas kühlere Zeit an. Jetzt aber erfolgt eine deutliche und schnelle Erwärmung, die durch Ausstoß klimaschädlicher Gase erklärt wird. Etliche Arten reagieren bereits und verschieben zunehmend ihre Verbreitungsgrenze nach Norden. So gibt es jetzt in Mitteleuropa Kolonien von Bienenfressern, die aus Südeuropa eingewandert sind. Ein Teil mancher Vogelpopulationen spart sich den risikoreichen Zug nach Süden und überwintert bei uns. Hunderte von Kranichen, zunehmend mehr, bleiben im Winter hier. Kohlmeisen und andere Standvögel brüten früher und etliche Zugvögel kommen zeitiger aus den Winterquartieren, wie Hausrotschwanz und Zilpzalp. In Städten liegt die Durchschnittstemperatur etwa 1– 2 Grad, ja zeitweise 5 – 7 Grad über der des Umlandes. Hier wird sozusagen die kommende Klimaerwärmung schon vorweggenommen. Viele Arten sind eher Wärme als Kälte liebend. Vögel können in stadtwarmen Bereichen harte Winter besser überstehen, früher mit der Brut beginnen und vielleicht noch eine zweite Brut anschließen. Dies kann aber nicht der einzige Grund sein, dass Tiere zunehmend in Städte einwandern. Das Vorhandensein von ausreichender Nahrung ist die wichtigste Voraussetzung für eine Besiedelung. Parkanlagen, Rasenflächen und Baumbepflanzungen machen die Städte nicht nur wohnlicher für Menschen, sondern ziehen auch viele Tiere an. Mittelalterliche Städte waren so dicht

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bebaut, dass es weder Bäume noch Grasflächen gab. Außer Ratten und Mäusen konnten Tiere dort kein Auskommen finden.

AUS DER SCHEUEN AMSEL WIRD EIN S TA D T B E W O H N E R Vor etwa 150 Jahren wurde die Amsel, ehemals ein scheuer Waldbewohner, der Pionier der Stadtbesiedelung. Sie fand in den neuen Parkanlagen kurz gemähte Rasenflächen, wo ihr Regenwürmer als Hauptnahrung zur Verfügung standen. Gute Brutplätze gab es in angrenzenden Sträuchern. Inzwischen ist die Siedlungsdichte der Amsel in der Stadt weit höher als in ihrem ursprünglichen Lebensraum. Besonders in den letzten Jahrzehnten wanderten nach und nach weitere Arten in die Städte ein. Haussperlinge brüten ja schon immer nur in der Nähe der Menschen. Aber wer hätte gedacht, dass Füchse in der Stadt einen ausgezeichneten Lebensraum finden würden. Neben Mäusen, Ratten und Kaninchen stehen ihnen Regenwürmer und Schnecken als Nahrung zur Verfügung. Vor allem aber sind es die vielen Abfälle, die die Überfluss- und Wegwerfgesellschaft produziert und vielfach offen liegen lässt und den Tieren das Stadtleben erleichtern. Die schlauen Füchse finden an vielen Stellen ruhige Plätzchen zum Schlafen. Das kann ein dichter Gebüschstreifen an einer belebten Straße sein. Die Tiere wissen ganz genau, dass sie hier niemand stört; das laute Drumherum interessiert sie nicht. Auch für die Aufzucht der Jungen finden sie leicht einen geschützten Ort. Inzwischen ist die Fuchsdichte höher als auf dem Land. Man schätzt in Berlin 1800 Individuen. Heutzutage sind so gut wie alle Städte mit Füchsen bevölkert. Die Entwicklung begann zuerst in England, etwa in der Mitte des vorigen Jahrhunderts.

AnpassungsfähigeTiere bleiben nach Bebauung in den Siedlungen und gewöhnen sich an die Nähe des Menschen. Manche wandern weiter bis in die Innenstädte. Das Nahrungsangebot kann in der Stadt inzwischen besser sein als außerhalb von Ortschaften. Auf dem Lande ist die ursprünglich reiche Vielfalt oft einer monotonen Produktionsfläche gewichen. Hier sind kaum noch Kräuter, Insekten und Sträucher zu finden. Vornehmlich in Großstädten gibt es reiche Strukturen, Brachen, Sträucher, Lagerhallen und verlassene Schuppen, unbenutzte Gleisanlagen und Bahndämme, wo die verschiedensten Blütenpflanzen gedeihen dürfen, gefolgt von Insekten und Vögeln. Eine früher häufige Art, der Hänfling, inzwischen registriert auf der Roten Liste der gefährdeten Arten, lebt noch vielköpfig in einigen Stadtteilen. Vögel und Säugetiere haben gelernt, dass sie in Ortschaften nicht verfolgt werden, weil die Jagd, bis auf ganz geringe Ausnahmen, nicht erlaubt ist. Es scheint sich bei Nebelkrähen und Elstern die Tradition zu entwickeln, nur noch in menschlichen Siedlungen zu brüten. Davon profitieren unter den Säugetieren nicht nur Füchse und Steinmarder, sondern neuerdings auch die in der freien Landschaft so scheuen Rehe, die in größeren Gärten und Friedhöfen ganzjährig bleiben. Sie ziehen hier ihre Jungen auf und lassen sich von Arbeiten auf dem Gelände nicht stören.

ZU HAUSE IN DER S T A D T: K Ö N N E N WILDSCHWEINE AMPELN LESEN? Während Wildschweine Anfang bis Mitte des vorigen Jahrhunderts durch starke Verfolgung selten waren, wuchs ihr Bestand nach 1950 kontinuierlich an.

Im Raum Berlin leben ungefähr 6 000 dieser Schwarzkittel. Auch sie sind nicht mehr so scheu wie früher und das ist für uns nicht ganz ohne Probleme. Junge führende Bachen können angreifen, wenn sie ihren Nachwuchs in Gefahr wähnen. Solch ein Wildschwein ist ungleich gefährlicher als die scheuen und ängstlichen, aber so gefürchteten Wölfe. Es ist ratsam, sich bei Begegnung mit Wildschweinen vorsichtig zurückzuziehen. Man sollte sie nicht anfüttern, damit sie nicht noch zutraulicher werden. Wildschweine sind sehr lernfähig. Sie warten scheinbar an Ampeln auf grünes Licht, richten sich aber offenbar nach dem Anhalten der Autos, um dann über die Straße zu wechseln. Ihr Sehvermögen ist recht mäßig, so dass sie vermutlich das Licht der Ampeln nicht beachten. Die aus Amerika stammenden Waschbären, vor Jahren aus Pelzfarmen und Zooanlagen entkommen oder auch absichtlich angesiedelt, breiten sich immer weiter aus. Ein Waschbär wohnt in der Tiefgarage im Hotel »Park Inn« am Alexanderplatz und ernährt sich von Fastfood. Man hat schon 20 Waschbären in Berlin gezählt. Sicherlich werden es bald mehr werden. Kaninchen haben sich schon lange in Berlin angesiedelt, aber nun folgt auch der Feldhase, der nach der Roten Liste als stark gefährdet gilt. Es mehren sich seit etwa 10 Jahren die Meldungen über beobachtete Feldhasen in Berlin, sogar bis zur Innenstadt. Die auf dem Lande so außerordentlich scheuen Tiere haben hier eine erstaunlich niedrige Fluchtdistanz. Sie lassen Passanten auf 20, ja sogar auf 5 Meter heran und auf Spielplätzen nehmen sie Sandbäder. Hasen brauchen eine Vielzahl von Kräutern und Gräsern für eine gesunde Ernährung. Diese Pflanzen stehen ihnen in der ausgeräumten Feldlandschaft kaum noch zur Verfügung. Sie sind aber in den Grünanlagen der Wohngebiete

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auf zum Teil kleinen Brachen und in naturnahen Parks ausreichend vorhanden. Natürliche Feinde haben die Feldhasen genauso wie draußen, sogar eher mehr, wenn man bedenkt, dass es in Berlin etwa 50 000 verwilderte Katzen geben soll. Auch bei Füchsen, Mardern und Habichten gehören Hasen zum Beutespektrum. Bei guten Ernährungsbedingungen können sie sich gegen ihre vielen Feinde gut behaupten. Tiere lernen zuweilen recht schnell, dass der Mensch sie nicht verfolgt. Eine Biberfamilie lebt schon jahrelang in München an der Isar am Deutschen Museum mitten in der Stadt. In letzter Zeit erkunden einzelne Biber Berlin bis fast zum Bundeskanzleramt auf mögliche Bewohnbarkeit. Zu den ersten Wiederbesiedelungsnachweisen im Dahmeland gehörte der Fund von »Biberschnitt« am Industriehafen von Königs Wusterhausen, 2008 gefunden von Karl-Heinz Wollenberg und Dietmar Noack. Greifvögel, seit den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts geschützt, sind nach jahrhundertlanger Verfolgung immer noch außerhalb von Ortschaften sehr scheu. Inzwischen haben auch sie die Stadt als Brutplatz und Nahrungsraum entdeckt und benehmen sich viel vertrauter. Ein Habichtspaar im Tiergarten, mitten in Berlin, lässt sich durch die vielen Spaziergänger nicht weit von seinem Horst in keiner Weise stören. Das wäre im Wald ganz unmöglich. Mindestens 30 Paare Habichte brüten im Raum Berlin und ernähren sich hauptsächlich von den reichlich vorkommenden Haustauben. In der Stadt brüten außerdem Turmfalken, Wanderfalken, Sperber, Waldkauz und manchmal sogar der Uhu. Seit etwa 30 bis 40 Jahren sind die meisten Vogelarten geschützt, darunter alle Singvögel und auch die Spechte. Werden sie nicht verfolgt, verlieren viele Arten ihre große Scheu vor dem Menschen.

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Der Schwarzspecht, vor nicht langer Zeit für große einsame Waldungen charakteristisch, brütet jetzt auch in Gärten mit altem Bäumen und hat in seinem Bestand zugenommen. Der Baummarder, ebenfalls geschützt, ist ihm gefolgt und verbringt den Tag in alten Krähennestern wenige Meter von bewohnten Häusern entfernt. In Berlin werden viele Parkanlagen absichtlich naturnah belassen, damit Nachtigallen zahlreich brüten können. Hinterhöfe mit ungenutzten Räumlichkeiten und vor allem Würstchenbuden und Picknickplätze in Parks, wo Speisereste liegen bleiben, bieten genug Auskommen für Spatzen, Krähen, Füchse, Tauben und Mäuse. Außerdem besteht ein Gefälle der Vielfalt von außen nach innen, also von Dörfern und ländlichen Siedlungen über Vorstädte, Villenviertel und dichtere Bebauung bis in die Innenstädte. In manchen sehr gepflegten Kleinstädten, wo keine Brache, kein Strauchdickicht mehr geduldet, wo jeder Ameise gleich mit Giftpulver zu Leibe gerückt wird, gibt es kaum Insekten und im Gefolge sehr wenige Vögel. Die Naturschutzkräfte der Stadt sind gefragt, die Vielfalt zu erhalten, damit nicht jede Brachfläche, in Rasen verwandelt oder bebaut wird. Eine von vielen Tieren und Pflanzen belebte Stadt kann eine hohe Lebensqualität haben und vermindert die Entfremdung von der Natur. Sie kann sogar ein Refugium für bedrohte Arten sein.

N AT U R M I T T E N I N D E R S TA D T Wildnis kostet keine Pflege, benötigt keine Verbotsschilder, denn sie darf betreten werden. Teile des ehemaligen Rangierbahnhofs Tempelhof in BerlinSchöneberg lagen 50 Jahre brach. Es gelang 1999 einer Bürgerinitiative zusammen mit den Naturschutzverbänden eine 18 Hektar große, stillgelegte

Bahnanlage als »Natur-Park Schöneberger Südgelände« durchzusetzen. Die sich hier von selbst gebildeten wertvollen Trockenrasen, Hochstaudenflure, urwüchsige Waldbereiche und die Zeugnisse der Industrie mit Gleisen und Lokomotiven sollen dauerhaft vor Eingriffen bewahrt werden. Zwei Drittel der Fläche sind Landschaftsschutzgebiet, wo es auch Liegewiesen und Bänke gibt. Sechs Hektar sind Naturschutzgebiet, wo die Wege nicht verlassen werden dürfen, um die am Boden brütenden Vögel nicht zu stören. In diesem kleinen Naturpark wurden 45 Vogelarten beobachtet, davon 30 Brutvögel, zahlreiche Wildbienenarten und vieles andere mehr. Es ist sehr zu begrüßen, dass weltweit viele Arten Zuflucht in Städten gefunden haben, doch sind das nicht alle Lebewesen, sondern nur ein kleiner Teil der Tier- und Pflanzenwelt. Biodiversität umfasst nicht nur Vielfalt an Arten und Individuen, sondern auch eine Vielfalt an Ökosystemen, von denen viele stark gefährdet sind und die es in Ortschaften nicht gibt. Für ausgedehnte Moore, Bruch- und Laubwälder, Dünen- und Heidegebiete sowie große nährstoffreiche, aber klare Seen können Siedlungen keinen Ersatz bieten.

AUCH WEITERHIN DRINGEND NOTWENDIG: D I E I N TA K T E N AT U R AUF DEM LANDE Wir dürfen nicht vergessen, dass wir in Städten wohnen und arbeiten, die Nahrung aber vom Land bekommen. Hier muss schonend und nachhaltig gewirtschaftet und genutzt werden. Dies auch gerade dann, wenn eine Klimaänderung stattfindet, ganz gleich, ob natürlich oder vom Menschen veranlasst. Selten gewordene Arten können sich nicht anpassen, weil die wenigen Exemplare nicht mehr über genügend Vielfalt

der Gene verfügen, wo eine Auslese ansetzen könnte. Dies trifft auch für Bodenlebewesen zu, von denen die Fruchtbarkeit der Böden abhängt. Es kann nicht genug darauf gedrungen werden, dass Landschaftsteile Schutzstatus genießen müssen, die längere Zeit, aus welchem Grund auch immer, wenig oder nicht genutzt worden sind und dadurch eine hohe Vielfalt bewahrt haben. Das sind bei uns vor allem die ehemaligen oder noch betriebenen Truppenübungsplätze, wo kein Interesse bestand oder besteht, die Landschaft zu uniformieren. Schießübungen und Panzerfahrten stören empfindliche Arten offenbar nicht. Auf den ehemaligen Rieselfeldern bei Ragow und Deutsch Wusterhausen wurden in den letzten 20 Jahren Sträucher, alte Obstbäume Hochstauden und Trockenrasen belassen, nicht gedüngt oder begiftet und vorher auch nur wenig bewirtschaftet. Hier leben noch die längst vermissten Arten der Roten Listen in einer Häufigkeit wie vor 100 Jahren. Dass sie in den normalen, stark genutzten Agrargebieten selten oder ausgerottet sind, liegt hauptsächlich an der Einförmigkeit dieser Gebiete. Die Verarmung der Landschaft ist für die Nahrungsproduktion nicht nur unnötig, im Gegenteil, sie schadet einer nachhaltigen Bewirtschaftung. Bei Klimaänderungen in der Vergangenheit gab es eine reich strukturierte Landschaft und keine derartige Übernutzung großer Regionen wie heute, so dass viele Arten solche Ereignisse überleben konnten.

Literaturempfehlungen KÖHLER, D. (2008): Beobachtungen zur Urbanisierung des Feldhasen (Lepus europaeus) in Berlin – ein weiteres Beispiel für seine Anpassungsfähigkeit. Säugetierkdl. Inf. 37, S. 233 – 255 REICHHOLF, J. (2007): Stadtnatur. München REMMERT, H. (1978): Ökologie, ein Lehrbuch. Berlin Heidelberg New York

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