Das Kleingartenwesen hat Zukunft Prof. Dr. Klaus Neumann Präsidiumsmitglied der Deutschen Gartenbau-Gesellschaft 1822 e.V. und Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des BDG

BUNDES KLEINGÄRTNER KONGRESS 2014

3. Bundeskleingärtnerkongress des BDG, Kassel , 2014 • Vortrag „Das Kleingartenwesen hat Zukunft“‚ Prof. Dr. K. Neumann 23.05.2014

Das Kleingartenwesen hat Zukunft

- Prof. Dr. K. Neumann Vortrag beim 3. Bundeskongress des BDG, Kassel, 24. Mai 2014 [Die vorliegenden Ausführungen sind die Textfassung. Es gilt das gesprochene Wort.] Anrede



Suchet der Stadt Bestes Ich danke für die Möglichkeit, bei diesem Kongress einige Gedanken zum Kleingartenwesen der Zukunft beitragen können. Es ist ein Thema, bei dem es 1. um „Orte für Natur, Vielfalt und Gesundheit“ geht – so jedenfalls die Titelankündigung Ihres Kongresses – und bei dem es 2. um die Zukunft geht. „Orte für Natur, Vielfalt und Gesundheit“ – vielleicht ist das eine moderne Umschreibung für den althergebrachten Begriff „Kleingarten“. Und „Zukunft“ steht doch für Vision, die Hoffnung und Erwartungshaltung ins Morgen, ebenso aber für die Angst, Unsicherheit, gar Sorge, was kommen mag. Eine ebenso alte prophetische wie hochaktuelle neue Herausforderung. Der Prophet Jeremia war es, der die Forderung „Suchet der Stadt Bestes, denn wenn‘s ihr wohlgeht, so geht‘s auch euch wohl“ vor gut 2600 Jahren an die Stadtältesten, an die Priester und Propheten und an das ganze Volk der exilierten Israeliten sandte. Es war aus Jerusalem vertrieben und musste sich eine neue Heimat suchen. In dieser prekären Lage schreibt er das auch heute noch so aktuelle Postulat: „Bauet Häuser, darin ihr wohnen möget, pflanzet Gärten, daraus ihr Früchte essen möget. Nehmet Weiber und zeuget Söhne und Töchter. Mehret euch daselbst, dass euer nicht wenig sei. Seid um das Wohl der Stadt besorgt. Suchet der Stadt Bestes, denn wenn‘s ihr wohl geht, so geht‘s auch euch wohl“. (Jeremia 29,1.4-7) Es ist ein großes hoffungsvolles Credo einer himmlischen Polis und einer ganz und gar neuen Stadt. Sie ist ein Synonym für die Sehnsucht und das Bedürfnis nach Schutz und Geborgenheit, nach Teilhabe am sozialen Leben, nach Heimat, in der alle Obdach und Asyl haben und in der Raum für alle da ist. Es ist die Sehnsucht nach der »Stadt der Zukunft«. Kann es etwas Aktuelleres, Unstrittigeres geben, als diesen uralten biblischen Imperativ? Sich um das Wohl der Stadt zu kümmern, damit es ihr (und damit den Bürgern) gut geht? Angesichts vielfacher Wohnungsknappheit Häuser zu bauen? Im Bewusstsein von Biodiversität und Klimawandel, von oftmals bedenklicher Nahrungsmittelproduktion und ungesunder Ernährung Gärten zu bauen? Zu pflanzen und die gesunden Früchte zu essen? Und angesichts des demografischen Wandels und einer exorbitant ansteigenden Alterspyramide ob der zu geringen Kinderzahl sich auch diesem Slogan zu widmen: „Mehret euch daselbst, dass euer nicht wenig sei“? Also: Eine Stadt zu entwickeln, als Fluchtpunkt für Sehnsucht und Geborgenheit mit Teilhabe am sozialen Leben – schlicht eine Stadt als Heimat? An dieser Stelle soll der biblische Exkurs zunächst enden. Die alte prophetische Mahnung soll Anlass sein, einige Gedanken über die Zukunft zu äußern. Die Zukunft von Stadt und Kommune, von Freiraum und Freizeit, von urbanen Grün‐ und Freiräumen, insbesondere von Kleingärten. Sie sind ein Phänomen und ein Stück Zeitgeist. Das ist so beachtlich, dass auch das Fernsehen seit 2012 zunehmend Programmschwerpunkte zum Thema Kleingärten/Stadtgärten setzt. 1

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Zwischen „postmodernem Gemüsebeet“ und „Favelas der unteren Mittelschicht“ Am Abend des 4. Juli 2012 prägen - neben dem Sorgerecht für ledige Väter und einer Sensation in der Physik - erstmals in der Geschichte des deutschen Fernsehens um 21:45 Uhr die Kleingärtner die ZDF-Hauptnachrichtensendung, das HEUTE–Journal. Es sind die Moderatoren Marietta Slomka und Heinz Wolf, die „über ein Phänomen, Stück Zeitgeist" berichten. Es geht um die Tatsache, dass immer mehr ländliche Regionen verweisen, immer mehr Menschen in die Stadt oder das städtische Umfeld ziehen - und dennoch gleichzeitig die Lust auf das Land, die Sehnsucht nach Land und Naturlust wächst. Und so sucht man in der Stadt nach Land- und Naturersatzrefugien, nach jeglicher Form von Garten, Gartenarbeit und Gärtnern, um seiner Sehnsucht nach Entspannung und Naturnähe gerecht zu werden: „Schrebergärten“, so Marietta Slomka und Heinz Wolf, „Schrebergärten sind schon längst nicht mehr spießig und von gestern. Urbanes Gärtnern, Schrebergärten und –gärtnern sind „hip“, das postmoderne Gemüsebeet, wo sich die Städter entspannen wollen und können. Entspannen bei der Gartenarbeit ist mittlerweile ein bedeutender Wirtschaftsfaktor – 18 Mrd. € geben die Deutschen jährlich für den Garten und die Arbeit im Garten aus: Fast 30 % mehr als noch vor 5 Jahren.“  Natürlich: Was dem Einen (ZDF) ob der aktuellen gesellschaftlichen Bedeutung im Juli 2012 einen 3-Minuten-Headline-Bericht in der Top-Nachrichtensendung HEUTE wert ist,  das ist wenige Monate später (Juni 2013) dem Anderen (z.B. der Sendekette SWR; WDR; Bayern) eine 60-Minuten-Sendung im Wissenschaftsjournal „Planet Wissen“ wert. Hier mit dem Titel: „Urbanes Gärtnern – Die Stadtbauern kommen“.  Neben RTL und SAT1 beschäftigt sich der Nachrichtensender N24 mit dem städtischen Gärtnern unter der medial wirksamen Schlagzeile „Guerilla Gardening, urbane Landwirtschaft, urbaner Gartenbau".  Der Deutschlandfunk berichtete im September letzten Jahres 90 Min. live aus der weltweit Furore machenden „Essbaren Stadt Andernach“.  Der Wiener Standard beschreibt „Die Sehnsucht nach schmutzigen Fingernägeln“.  Der ORF in Wien und ein Schweizer Verlag sind mit „Green care“ in Vorbereitung für ein neues Medienformat für den Bereich „Garten-Gesundheit-Therapie“ im Zeichen des gesellschaftlichen Wandels.  Und selbst in Deutschlands Metropole Berlin scheint ein neuer Trend im Entstehen. Berichtet doch der „Tagesspiegel“ vor gut 4 Wochen, am 14. April, über die neue Zielsetzung von Senat und Bezirken. „Birnen für alle. Mehr Bezirke wollen Essbares in Parks und Plätzen anpflanzen“, so das neue Credo. Werte Gartenfreunde, da ist etwas in Bewegung geraten. Da nimmt man allmählich in den bedeutenden Medien von Funk, Fernsehen und Zeitungen wahr: Das „Gärtnern“ ist auf einem neuen Weg, entwickelt sich zu neuen Werten. Medial tituliert wird dann von Guerilla Gardening gesprochen, manchmal gar von „urbaner Landwirtschaft“. Das ist zwar Unfug, aber eben en vogue. Liebe „Hipper“ in ihren postmodernen Gemüsebeeten - so könnte man die Gartenfreunde nach diesen Berichten zwischen HEUTE-Journal, N24 und SWR nun ansprechen. – Das ist die eine Seite. Die andere Seite: Immer wieder können wir lesen „Kleingärten sind Bauland, Angriff auf Gartenzwerge (A.d.V.: gemeint sind die Kleingärten), wegen Autobahnbau müssen Kleingärten planiert werden“. Kürzlich (am 6. Oktober 2012) war es Ulf Poschardt, der in der Tageszeitung „DIE WELT“ unter der Titelüberschrift: “Schrebergärten sind die Favelas der Mittelschicht“ postulierte: (Zitat) 2

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“…Warum nicht Schrebergärten abreißen, die wertvolles Bauland blockieren“ fragt Herr Poschardt und erläutert, dass „…. es hektarweise Flächen (Kleingärten) gibt, in denen gestutzte Hecken und abgenutzte, halb verwitterte Plastikgartenstühle den Blick auf eine Zukunft des Wohnungsbaus verstellen. Die Schrebergärten“, so der Autor, „beglücken nur die Besitzer ihrer Parzellen. Es ist ein privatistischer von Zäunen, Hecken und Enge geprägter Entwurf einer lebenswerten Stadt, der oft genug die Unansehnlichkeit und Formlosigkeit jenes Kleinbürgertums extrapoliert. Er und seine Familie (A.d.V.: gemeint sind die Kleingärtner) verstehen sich als ironische Schrebergärtner, die den Unterhemd tragenden Facharbeiter von nebenan heimlich verachten und mit ihm nur die Hoffnung auf einen rot-grünen Regierungswechsel gemeinsam haben. Wer von oben auf dem Anflug nach Berlin gelungene von verweigerter Städteplanung zu unterscheiden lernt, sieht das Ausmaß der Zerstörung, den die Schrebergärten der Sinnstruktur des Stadtganzen zugefügt haben. Wie Favelas der unteren Mittelschicht nagen sie an dem Strukturteppich der Stadt und verblüffen selbst von oben mit einer Scheußlichkeit, die nicht einmal bei der Obstblüte im Frühling oder strahlendem Sonnenschein im Juli relativiert wird“. (Zitat Ende) All diese publizistischen Meldungen, die im „HEUTE“ Journal (Juli 2012), im SWR (Juli 2013) oder in N24 (Juli 2013) und die in DER WELT vom Oktober 2012, sind ein Spiegelbild im Verhältnis von Stadt & Stadtgesellschaft, von Kleingärten & Gartenfreunden, vom urbanem Gärtnern und ihrer Akzeptanz und Wertschätzung in der Stadt und in den Medien. Das Spannungsfeld zwischen „Favelas der unteren Mittelschicht“ und dem neuen „HIP, das postmoderne Gemüsebeet“ wird mehr als deutlich. Ein Wandel der öffentlichen und kommunalpolitischen Akzeptanz des Kleingartenwesen ist damit angesprochen – lobend und anerkennenswert oder aber provozierend, fast beleidigend. Und so lässt sich die Thematik dieses Bundeskongresses über die „Zukunft im Kleingartenwesen“ eben nicht nur mit einer wohlgefeilten „Schönwetter-Rede“ begleiten. Die Frage nach der Zukunft ist ausgesprochen berechtigt und höchstaktuell. Sie zeigt die Differenz zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Die politisch/planerische (manchmal doch sehr geringe) Wertschätzung einerseits und die gesellschaftlich/ökologische Suche nach Garten/Grün andererseits. Diese offensichtlich vorhandenen Widersprüche der Gegenwart machen die Frage nach der Zukunft nicht leicht. Zumal – bei allen Gedanken über die Zukunft – die historische, die gesellschaftlich-politische Entwicklung des Kleingartenwesens von ganz zentraler Bedeutung ist. Es kann nur bedeuten: Vergangenheit kennen, Gegenwart verstehen, die Zukunft gestalten Vergangenheit kennen, Gegenwart verstehen, die Zukunft gestalten Diese Aufforderung von August Bebel, sich beim Blick in die Zukunft der eigen Vergangenheit bewusst zu werden, ist auch beim Kleingarten notwendig, um die Gegenwart zu verstehen und dann die Zukunft zu gestalten. Denn die Genese des Kleingartenwesens spiegelt Epochen und Zeitgeist, Mut aber auch Verzweiflung der Kleingärtner wieder. Um deutlich zu machen, dass der Kleingarten und das Kleingartenwesen immer unabdingbarer Bestandteil von gesellschaftlichen und technischökonomischen Entwicklung geprägt wurde, ist eine historische Analyse mit Fortschreibung in die Zukunft hilfreich. Es war Nikolai Kondratjew (1892-1938), zunächst hochgeehrter, dann vehement verfolgter und bekämpfter russischer Wirtschaftsökonom, der in den 20er Jahren die Theorie der Langen Wellen begründete. Er leitete aus Beobachtungen und Analysen von Zeitreihen wirtschaftliche Indikatoren ab. Seine Betrachtungsweise gilt heute noch vor allem bei Wirtschafts- und Stadtökonomen als wichtiger Indikator zum Verständnis von grundlegenden Veränderungsprozessen in der Stadt. Ausgangspunkt für die Langen Wellen sind Paradigmenwechsel und die damit verbundenen innovationsinduzierten Investitionen. Er postulierte, dass die grundlegenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen (und damit natürlich auch die städtebaulichen Entwicklungen) immer durch produktivfördernde Basisinnovation initiiert 3

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werden. Die Kernthese lautet: die wirtschaftlichen Entwicklungen verlaufen in den Industriestaaten immer in grundlegenden Konjunkturzyklen bzw. Langen Wellen (Kondratjew-Zyklen, Kondratjew´sche Wellen). Mit diesem Verständnis von Stadtentwicklung und Stadtökonomie lassen sich 5 entscheidende Phasen identifizierten. 1. Dampfmaschine (1780-1840): Textilindustrie, Webstuhl: Weberaufstand, rasanter Bedeutungsgewinn Kohle und Stahl, industrielle Revolution, soziale Unruhen, bürgerliche Revolution. 2. Eisenbahn, Dampfschifffahrt (1840-1890): Etablierung von Eisenbahn und Dampfschiffen führen zur Überwindung von Handelsschranken. Mit der Option zum Massentransport setzen gesellschaftliche Wanderungsbewegungen und ein konsequentes Städtewachstum ein. 3. Auto, Elektrizität, Chemie, Telegrafie, Telefon (1890-1940): Massenproduktion, Großindustrie, neue Kommunikationstechnologien. 4. Luftfahrt, Öl-Boom, Pharmazie, Elektronik (1959-1980): Internationalisierung und Globalisierung führen zu neuen weltweiten Arbeits-, Liefer- und Vertriebsformen. 5. Telekommunikation, Mikroelektronik, Biotechnologie, Nuklearenergie (1980-?): Basis für eine neue Technik- und Energieepoche. Integriert man die Genese von Kleingarten und Kleingartenwesen als Bestandteil von Stadt und Gesellschaft in diese jeweils 50-60 Jahre dauernden Wellenbewegungen, wird ein Verständnis für den tief greifenden Paradigmenwechsel im Umgang mit dem ganz besonderen städtischen Grün „Kleingarten“ vermittelt. Diese Betrachtungsweise ist bedeutsam, weil sie zu einem grundlegend anderen Blick mit anderen Wertigkeiten und anderen Lösungsansätzen im Umgang mit Grün- und Freiflächen führt. Und weil dann Marietta Slomka und Heinz Wolf mit Ihren „im Dreck wühlenden Städtern“ begreifbar werden. Nicht aktueller, kurzfristiger Zeitgeist ist angesagt, sondern ein grundlegendes neues Paradigma von Natur und Grün und Garten steht an.

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 1. Zyklus (bis 1840): Repräsentationsgärten und Armengärten Garten und Park im französischen und englischen Gartenstil prägen Stadt und Land als Ausdruck königlicher, fürstlicher und politischer Regenten. Garten und Park gehören und sind für die Reichen! Parks im öffentlichen Stadtraum waren kein Thema. Der Garten hat den einen klassischen Repräsentationsaspekt. Und für die Armen? Es sind die „Armengärten“, die für sozialen Frieden sorgen sollen. Wie in Bienenstöcken wohnte die massiv angeworbene Landbevölkerung in den Mietskasernen der Stadt. Zimmer waren nicht viel mehr als Zellen einer Wabe, in die vielfach kein Strahl Sonne fiel. Es herrschten hygienische Bedingungen, die jeder Beschreibung spotteten; ein Freizeit- und Familienleben war kaum existent. Die Menschen vermissten alles, was sie zurückgelassen hatten. Heimatssehnsucht, der krasse Platzmangel und Hunger im alltäglichen Leben beschworen zwangsläufig Spannungen herauf. Das sprunghafte Anwachsen der Bevölkerung, erzeugte einen immer stärker werdender Druck auf die hoffnungslos überfüllten Städte. Auf Initiative von wohlmeinenden Landesherren, Fabrikbesitzern, Stadtverwaltungen und Wohlfahrtsorganisationen wurden Wege zur Besänftigung der zunehmend rebellischer werdenden Bevölkerung gesucht. Die Lösung: Ein Garten. Ein Garten für Arme – der Armengarten! Hauptziel war es, dem Hunger und der Verarmung entgegenzuwirken. 1826 existierten solche Gärten bereits in 19 Städten. Die meisten Gartenanlagen wurden nicht direkt von den Nutzern, also von Gartenliebhabern, gegründet. Fabrikbesitzer, hohe Verwaltungsbeamte und deren Gattinnen entdeckten ihr Herz für die sozial Benachteiligten; zumindest sollte man damals so denken.  2. Zyklus (bis 1890): stadtstrukturelles Element und Familienbeete Es ist der Einzug der Gärten und Parkanlagen als raumstrukturelles und gliederndes Element der Stadt und Siedlungsentwicklung durch Baumreihen, Alleen, Grünzüge, städtische Gartenplätze. Die begrüne Stadt ist im Entstehen. Allerdings wurden die Allen oft auch aus militärischen Gründen angelegt, damit die Soldaten eine bessere Orientierung und einen besseren Schutz erhielten. Grün wird zum strukturellen Raum- und Gliederungsaspekt. Und im Kleingartenwesen? Es war der Schuldirektor Ernst Innozenz Hauschild, ein Mitstreiter des Leipziger Arztes Moritz Schreber, auf dessen Initiative der erste Schreberverein zurückgeht. Eigentlich ein Schulverein, der in Zusammenarbeit mit den Eltern seiner Schüler entstanden ist, wollte man ihn aber weder Schul- noch Erziehungsverein taufen. So benannte man ihn zu Ehren des verstorbenen Schreber. 1865 feierte man die Einweihung des ersten „Schreberplatzes“ am Johannapark in Leipzig. Es war eine Spielwiese, auf der Kinder von Fabrikarbeitern unter Betreuung eines Pädagogen spielen und turnen konnten. Mit „Garten“ hatte der Schreberplatz zunächst nichts zu tun. Der Lehrer Heinrich Karl Gesell war es, der an diesem Platz Gärten anlegte. Zunächst als weitere Beschäftigungsmöglichkeit für die Kinder gedacht, entwickelten sich die Gärten rasch zu Refugien der Eltern bzw. der ganzen Familie. Aus den „Kinderbeeten“ am Rand des Schreberplatzes wurden „Familienbeete“, die man später parzellierte und umzäunte. Ab jetzt nannte man sie „Schrebergärten“.  3. Zyklus (bis 1940): gesellschafts- und sozialpolitischer Ort für Ruhe und Sicherheit Das rasante Städtewachstum ist geprägt von erheblichem sozialem Ungleichgewicht mit aufkommenden großen sozialen Unruhen in der neu entstehenden Stadtgesellschaft. Neu geschaffene Volksparks, Spielanlagen und auch Kleingärten sollen die Lebensbedingungen verbessern und den sozialen Frieden gewährleisten. In erster Linie trieb die Angst vor dem roten Gespenst des Sozialismus die Besitzenden. Dies fernzuhalten sollte die Aufgabe eines Gärtchens sein. Ein weitläufiges, helles Kontrastprogramm zu gewohnter Enge im Quartier und gearbeiteter dunkler Stunden in den Fabriken. Mit der Aussicht auf einen Feierabend neben dem Apfelspalier ließ sich der Fabrikstaub unbekümmerter einatmen. Statt befreundete Schluckspechte in der Kneipe sollte der Vater Frau und Kinder im Garten treffen. Nicht in flüssigen Korn galt es den Lohn zu investieren, sondern in 5

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Setzkartoffeln. Nicht in politischer Diskussion sollte die Fantasie verführt, sondern mittels Fitnessprogramm der Boden durchwühlt werden. Denn auch das galt: Nur ein gesunder und brav denkender Arbeiter war ein produktiver Arbeiter. Es ist also nur eine logische Konsequenz, dass sich aus diesem „Schreberplatz“ mit einigen Familenbeeten schnell eine große Volksbewegung entwickelte. 1869, als die Initiative bereits rund 100 Parzellen umfasste, gab sie sich eine Vereinssatzung. Geräteschuppen, Lauben und Zäune wurden errichtet. 1891 waren bereits 14 weitere Schrebervereine in Leipzig gegründet worden. Die Schrebergartenbewegung ist Bestandteil einer wichtigen gesellschafts- und sozialpolitischen Komponente geworden. Das gilt auch insbesondere auch für das finsterste Kapitel der deutschen Geschichte. Es gab dem Kleingarten und dem Kleingärtner eine neue sozial-friedvolle Prägung. Juden, Kommunisten und Sozialdemokraten hatten auf deutscher Gartenkrume ebenso wenig verloren wie ein buntes Fahnenmeer. Aber: Sosehr sich die Nationalsozialisten auch bemühten den Kleingarten zu einem Satelliten der Partei zu machen, ganz gelang es ihnen nicht. Im Gewirr der laienhaft zurecht gestalteten Kleingärten entstanden rechtsfreie Räume, zum Teil regelrechte Dickichte aus Bretterverschlägen, Systeme aus Höhlen und Erdgruben. Allesamt ausgezeichnete Menschenverstecke. Erich Honecker arbeitete ab 1933 in einer Essener Kolonie am Widerstand und überlebte Dank (Klein-) Garten. Auch der Fernseh-Entertainer Hans Rosenthal (Dalli-Dalli) überlebte als Junge nur, weil mutige Laubenpieper ihn versteckten – wie allein in Berlin etwa 1400 andere Juden. Der Kleingarten war zwar immer noch ein Ort ohne politische Diskussion, aber durchsetzt von politischem Handeln. Und für Manchen eine rettende Überlebensoase.  4. Zyklus (bis 1980): quantitative Versorgung Es ist die Aufgabe im zerstörten Nachkriegsdeutschland mit urbanen Frei- und Grünräumen im Stadtraum und im Wohn- und Arbeitsumfeld ein zerstörtes Land wieder aufzubauen. Das prosperierende Wirtschaftswachstum wird mit weitgehend architektonisch anspruchsvoller gestaltete Naturkultur zu ergänzt. Unendlich viele quantitative Richtwerte und Soll-Vorgaben prägen diese Epoche. Im Vordergrund steht der Versorgungsaspekt mit urbaner, wohnungs- und siedlungsnaher Natur. Kleingärten sind Teil der Stadtentwicklung einer prosperierenden Wachstumsgesellschaft. Es geht um Masse, es geht um Menge, um Erträge, man kann auch sagen: es geht um Quantität. In der Nachkriegs-Wiederaufbauphase der deutschen Städte und der deutschen Gesellschaft und in der anschließenden boomenden deutschen Wirtschaftsphase mussten und sollten auch neue Kleingartenanlagen boomen. Sie haben einen klassischen Versorgungsaspekt, weitgehend frei und unbelastet von sozialen, ökonomischen oder politischen Zwangsjacken. Kennzeichnend: Der Bestand, der Bedarf Kleingärten wurde fast immer im Zusammenhang mit Geschosswohnungen gesehen, „da vornehmlich davon ausgegangen wurde, dass dort die meisten potentiellen Kleingartenpächter leben“, so die Ausführungen der Gartenamtsleiterkonferenz beim Deutschen Städtetag (Kleingärten im Städtebau, Fachbericht 2005). Einige Beispiele dieser „geschoss-orientierten Richtwert-Planung“ machen das Denken in Quantitäten deutlich: 1963: Eine frühe Analyse durch in Hannover durchgeführte Untersuchungen ergibt einen Bedarf von 1 : 7 (1 Kleingarten auf 7 gartenlose Geschosswohnungen). 1971: Die Arbeitsgruppe Kleingartenwesen der Ständigen Konferenz der Gartenamtsleiter (GALK) führt einen repräsentativen Städtevergleich durch. Ein praktikabler und politisch vertretbarer Richtwert von 1 : 7 bis 1 : 10 wird daraus abgeleitet. 1974: Im Grünordnungsplan zum Flächennutzungsplan in Hannover wird ein Richtwert von 1 : 8 festgelegt.  5. Zyklus: urbane Pestizidbeule und Naturgarten Als Konsequenzen eines wachsenden Flächenverbrauchs und eines wachsenden Umweltbewusstseins, stehen die ökologischen Belange wie Artenschutz für Tiere und Pflanzen, Klima- und Luft6

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schneisen, nachhaltige Wasserbewirtschaftung und städtische Biotop- und Brachflächen im Vordergrund. Die Ökologiedebatte, initiiert durch den Club of Rome und die weltweit aufrüttelnden Thesen zu den „Grenzen des Wachstums“, stellen auch den Einsatz von so ziemlich allen im Kleingarten eingesetzten chemischen und biochemischen Mitteln der Gartenpflege in Frage. Die Ölkrise 1973, Rachel Carson mit Ihrem Buch „Der stumme Frühling“ und Urs Schwarz mit seinem Buch „Der Naturgarten“ stellen so manche Gartenfreunde in die Ecke der Naturzerstörer. Der lange als „gute Natur“ geheiligte Garten wird zum Sündenbabel durch Fungizide, Herbizide und Pestizide. Für manchen Öko-Ideologen des aufkommende Natur-und Umweltbewusstseins sind Kleingärten „urbane Pest(izid)beulen“, so ein Flugblatt 1976. Der Naturgarten wird geboren, der (Natur-) Schutzaspekt, prägt Garten und Gartenfreunde und rüttelt an manch tradierter Gartenglückseligkeit. Er zerrüttelt auch manch gut gewachsenes Nachbarschaftsverhältnis ob der nun ökologisch geförderten Brennnessel- und Gierschkultur in Nachbars Parzelle. Soweit das Nachdenken, das Zurückdenken. Die Genese des urbanen Gartens und Gärtnerns lässt erinnern an den Kleingarten als Ort  gegen Armut und Hunger mit der Notwendigkeit zum Anbau von Lebensmitteln,  zur sozialen Befriedung und Instrument zur Bewältigung im beginnenden Städtewachstum,  der Sicherheit in Krieg und Terrorzeiten,  ohne politische Diskussion, aber durchsetzt von politischem Handeln,  individueller Glückseligkeit im zerbombten Deutschland,  für zwar altes und doch neues Naturverständnisses. Die Vergangenheit der urbanen Grün- und Freiflächen war geprägt von beständigem Wachstum, einer kontinuierlichen Zunahme von gut gestalteten Parkanlagen, Stadtplätzen, Spielflächen und natürlich von Kleingärten. Es gab fast immer genug Finanz- und Personalmittel, um alles auch gut zu pflegen und um langfristig zu planen. Kurzfristiger Aktionismus war nie von Nöten. Diese Phase ist für viele deutsche Städte Vergangenheit. Wie nun weiter? Von der Zwiebel zur Glocke - Von der Quantität zur Qualität Einige markante Punkte gilt es zu benennen.  Ein wirkliches Defizit (quantitatives Defizit / Quadratmeter-Fläche) an Grün, also die vorrangige Aufgabe der quantitativen Bedarfsabdeckung (Versorgungsaspekt) – das hat nun wirklich kaum noch eine Stadt.  Im Gegenteil: Ein Paradigmenwechsel besteht in der Umkehr, d.h. in der Zunahme der Grün- und Freiflächen (z.B. durch naturschutzrechtliche Kompensationsmaßnahmen, Stadtumbau, Brachfallen ehemaliger Industrie- und Gewerbegebiete, Bahnflächen, etc.) und der Abnahme der für dieses Grün erforderlichen finanziellen wie organisatorischen Ressourcen. Die aktuelle Situation im kommunalen Grün ist weniger durch Quantitätsmangel als durch Qualitätsdefizit gekennzeichnet. Eindrucksvoll lässt sich dieses an vielen Statistiken der kommunalen Grünflächenämter und Medienberichten dokumentieren.  Ein weiterer tiefgreifenden Paradigmenwechsel prägt den Umgang mit dem Grün und dem Garten in der Stadt. „Von der Zwiebel zur Glocke“ lässt er sich bezeichnen. Neben den seit Jahrzehnten feststehenden „klassischen“ kommunalen Kompetenzen der Fachämter für das Grün der Stadt, prägen immer häufiger bürgerschaftlich-privat geprägte Initiativen den urbanen grünen Freiraum. Da wollen „die Städter einerseits im Dreck wühlen“, um sich wohl zu fühlen, ohne kommunales Grünflächenamt, ohne Bindung an einen Kleingartenverein. Sie engagieren sich in Stiftungen, Bür-

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gerinitiativen oder Privatinitiativen für neue Formen von städtischen Grünflächen, Garten- und Parkanlagen. Was also liegt vor uns, vor dem Garten und den Gartenfreunden? Was ist morgen? Was sind die Perspektiven? Was sind die grundlegenden Gefahren und Herausforderungen, was die grundlegenden Chancen für Garten und Kleingarten, für das Kleingartenwesen in der Stadt der Zukunft? Drei Fragen zur Klärung, was in diesem Zusammenhang unter „Zukunft“ verstanden werden sollte, mögen einen Denkansatz geben 1. Was bedeutet Zukunft bei den Olympischen Spielen? (Projektierung bis 2022) 2. Was bedeutet Zukunft bei den Fußball-Weltmeisterschaften? (Projektierung bis 2020) 3. Was bedeutet Zukunft beim Grün in der Stadt der Zukunft? (Konzepte bis 2030/2050) Wenn unter Zukunft und "Stadt der Zukunft" in diesem Sinne ein Zeithorizont bis 2030 oder gar bis 2050 verstanden wird, dann gilt es einige für das Kleingartenwesen höchst interessante Entwicklungen zu analysieren und neue prägende Indikatoren gilt es zu begreifen: Zehn Stichworte geben Anlass, daraus die Zukunft des Kleingartenwesens aufzuzeigen: 1. weniger (demografische Entwicklung) 2. bunter (Migrationsanteil) 3. weißer (älter) 4. weiser (klüger) 5. leerer (ländliche Regionen) und gleichzeitig voller (Urbanisierung) 6. globaler (Transport, Klima, Reisen) 7. bescheidener (zwar mehr Steuereinnahmen, aber investive und konsumtive Mittel für das Grün der Stadt werden immer geringer) 8. technischer, virtueller, naturferner (technisch bedingte soziale Vereinsamung) 9. sinnlicher, bewusster, gesünder (Buddeln im Dreck, Birnen in der Stadt) 10. individueller, häuslicher (Suche nach Heimat) Diese singulären Aspekte lassen in der Gesamtperspektive eine historische Dimension erkennen.  Vor wenigen Jahren (2008) wurde erstmals in der Geschichte der Menschheit eine historische Grenze überschritten. Zum ersten Mal lebten mehr Menschen in Städten als auf dem Land. Einem aktuellen Bericht der UNO zufolge werden 2050 weltweit bereits 67 % der in Städten leben. Schon heute leben in Europa über 70 % der Einwohner in Städten und urbanen Ballungszentren. In 20 Jahren sollen es knapp 80 % sein.  Ebenfalls noch nie in der Geschichte der Menschheit gab es das. Dass den Älteren die Zukunft gehört, dass Alter das Leben bestimmen wird. Am 20.Januar 2014 titulierte der Berliner Tagespiegel salopp: „Dem hippen Berlin wachsen graue Haare - ab 2030 prägen einsame Greise das Stadtbild“.  Die Urbansierung, der enorme Drang in städtische Ballungsgebiete und das weniger an Menschen führt zu einer ebenso dramatischen Entleerung vieler ländlicher Regionen. Und das, so hat es das Dt. Institut für Urbanistik Anfang Mai 2014 kundgetan, diese „Entvölkerung ländlicher Regionen“ gab es zuletzt vor über 400 Jahren. Vom Versorgungs- zum Erlebnisaspekt Diese Veränderungen werden von den Sozialökonomen als eine neue (eine 6.) Phase der Stadt- und Gesellschafsentwicklung beschrieben. Gleiches kann für die „Stadt- und Grünentwicklung“ postuliert werden. Und ich will ganz nachdrücklich betonen: Auch in der Kleingartenentwicklung ist eine neue Phase im Kommen:

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Sie wird sich vorwiegend im Umgang mit dem öffentlichen freien Raum widerspiegeln. Beim öffentlichen Raum, beim Freiraum, beim öffentlichen Grün, im Kleingartenwesen geht es nicht mehr vorrangig um (Grund-)Versorgung.Es ist der Wechsel „Von der Quantität der Versorgung zur(Erlebnis-) Qualität von Zeit und Raum“. Erlebnis und Sicherheit, Sich-Wohl-Fühlen, die reale Naturwelt als Gegenstück zur virtuellen Datenwelt, Natur als Bestandteil eines neuen Lebensgefühls erfassen: Genau das ist der vor uns liegende 6. Zyklus, oder die 6. Welle: „Der sechste Kondratjew-Zyklus wird sich vom derzeitigen technologischen Informationsmarkt deutlich unterscheiden. Künftig geht es nicht mehr vorrangig um die Informationsströme zwischen Mensch und Technik, sondern um die Informationsströme zwischen Menschen und innerhalb von Menschengruppen“. In diesem Sinne analysiert H. Opaschowski in einer Studie der BAT-Stiftung für Zukunftsfragen „Zukunftsvorsorge für Deutschland: ‚Packen wir´s an!‘ So wollen wir 2030 leben – so werden wir 2030 leben“: „Die Zukunft wird wieder mehr der Sinnorientierung gehören […]: Von der Flucht in die Sinne zur Suche nach dem Sinn. Die Sinnorientierung wird zur wichtigsten Ressource der Zukunft und zu einer großen Herausforderung der Wirtschaft.“

Lange Zeit wurde im Rahmen der Stadtentwicklung und beim Umgang mit Kleingärten ein fundamentales gesellschafts- und stadtpolitisches Grundprinzip beiseitegeschoben: „Der Reichtum eines Menschen liegt nicht in der Summe oder Verteilung seiner materiellen Güter - sondern in seiner Würde.“ Das gleiche Grundprinzip gilt auch für die Stadtplanung und für die Kleingartenentwicklung: „Der Reichtum der Stadt und der Stadtgesellschaft liegt doch nicht in der Summe oder Verteilung des materiellen Versorgungsgrades der „grünen“ Güter (= m² Kleingarten), sondern in seiner Würde, in der Akzeptanz, in der Qualität, in der Integration in die Stadtgesellschaft.“

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Für die Vergangenheit kann gelten:  Je ärmer und notleidender die Menschen  Je größer die Gefahr sozialer Unruhen  Je schlechter, je schwieriger die Wohnsituation

– je mehr Kleingärten, – je mehr Kleingarten, – je mehr Kleingarten.

Für die Zukunft sollte darüber hinaus gelten:  Je klüger, je bewusster die Menschen, desto größer der Wunsch „zum Buddeln im Dreck“ des Kleingartens  Je reicher die Vielfalt der Stadt, je bunter, multikultureller, desto größer der Bedarf „Heimat“ zu schaffen, desto wichtiger der Kleingarten  Je nachhaltiger die globalen Auswirkungen von Klimawandel, Arten- und Biodiversitätsverlust uns treffen, desto unverzichtbarer wird der der Kleingarten. Die Umsetzung dieser Philosophie wird einen Bedeutungswechsel des Kleingartenwesens initiieren Die ehemaligen „Armengärten“ werden sich zum „grünen Reichtum der Stadt der Zukunft“ entwickeln. Auch beim Kleingarten geht es nicht mehr nur Masse, sondern um Klasse. Die Qualität für den (anderen) Menschen von morgen zählt mehr als Quadratmeter-Fläche. Zukunftsperspektiven für das Kleingartenwesen Was aber heißt „Zukunft beim Kleingarten“? Klasse statt Masse? Qualität statt Quantität? Wesentliche Gefahren und Herausforderungen, Chancen und Optionen lassen sich als unumstößliche Fakten ableiten, wenn man den Kleingarten und das Kleingartenwesen mit allen Vor- und Nachteilen als unabdingbaren Bestandteil von Stadt und Stadtgesellschaft betrachtet; und nicht als Exklave für besonders Arme oder Reiche, als Rückzugsgebiet für Naturapostel oder Naturzerstörer, als Beruhigungspille für sozial aufmüpfige Bürger oder vorrangige Investitionsoptionen für renditeorientierte Bauflächen. Also: Kleingärten und Kleingärtner sind als ein gleichberechtigter, gleichwertiger wichtiger Partner bei der Stadtplanung und Stadtentwicklung der Stadt der Zukunft zu integrieren. Die Gefahren  Demografische Entwicklung, weniger Menschen, in vielen Regionen weniger QuadratmeterBedarf, degressives Wachstum auch im Vereins- und Verbandswesen. Dieses „shrinking fit“, der regional entstehende Leerstand, wird auch im Verbandwesen neue Organisations- und Strukturformen unabdingbar machen. Er kann zum Problem werden- aber auch neue Chancen offerieren.  Klimatische Veränderungen, die Hochwassersituation: nach den (Hochwasser-)Erfahrungen von 2013 gibt es nun das verstärkte Bewusstsein für die Wiederbelebung früherer Retentionsflächen bzw. für die Anlage vieler neuer Flächen. Diese, oft kleingärtnerisch genutzten Flächen, sollen und müssen nun wieder Wasserstauraum werden. Dadurch fallen sie für Kleingartennutzung aus. In Meißen entfallen z.B. 6 Anlagen, in Dresden ebenfalls.  Durch Wegfall zahlreicher industrieller und gewerblicher Produktionen (Folge von Globalisierung z.B. in der Textil-, Papier-, Kunststoffindustrie), die viel Wasser gezogen haben, entfällt nun der Wasserverbrauch. Folge: Grundwasseranstieg mit starker Vernässung, teilweise Überflutung von Gartenanlagen, die so nicht mehr nutzbar sind. Beispiel: in Leipzig sind davon ca. 1.200 Parzellen betroffen, die nicht mehr genutzt werden können.  In Metropolen mit großem Wohnraumbedarf gelten Kleingartenflächen oftmals als vorrangige Baulandreserve und werden daher planungsrechtlich nur als „temporäre Zwischennutzung“ deklariert. 10

3. Bundeskleingärtnerkongress des BDG, Kassel , 2014 • Vortrag „Das Kleingartenwesen hat Zukunft“‚ Prof. Dr. K. Neumann 23.05.2014

Die Chancen  Es gilt beim urbanen Freiraum „Kleingarten“ der Zukunft fünf neue Herausforderungen, grundlegend neue Entwicklungstendenzen mit den daraus resultierenden Konsequenzen zu bewältigen:  Das digitale, informationstechnische Zeitalter  Die Veränderungen der Arbeits- und Stadtgesellschaft  Die Stadt der Zukunft mit der Suche nach „Heimat“  Bioökologische und gesundheits-ökologische Funktionen  Neue stadtkulturelle Wertigkeiten  1. Das digitale, informationstechnologische Zeitalter Gemeint die Ausbreitung von multimedialen Kommunikationsdiensten in Wirtschaft und privaten Haushalten mit Telearbeit (Home Office), Teleshopping (Online-Shopping), Telekonferenzen (Scype). Das immer häufigere Leben, Arbeiten und soziale Kommunizieren in virtuelle Internetwelten. Der Münchner Stadtdirektor Stephan Reiß-Schmidt postuliert im Zusammenhang mit der „Perspektive München 2030“: „... die bevorstehenden Veränderungen werden zu einer Virtualisierung der Stadt und zu einer weiteren Mediatisierung der Öffentlichkeit führen.“ Dieses wird einerseits eine dramatische Natur-Entfremdung mit sich bringen — andererseits eine immer größere Suche/Sucht/Sehnsucht nach Natur und eigenem Kräuteranbau. Das im HEUTE-Journal 2012 mit hohem Respekt präsentierte „Buddeln im Dreck“, die ARD/SWR Dokumentation „Planet Wissen“ über „Essbare Stadt“ Andernach, die Eroberung der Stadt durch die Bürger – mit urbanem Gärtnern, mit eigenem Obst und Gemüse, mit Kräuter- und Kartoffelanbau – sind ein Signum für ein neues Lebensgefühl. Der Technisierung und Virtualisierung der Arbeitswelt mit einer Entfremdung von der Natur ist der Garten als Ort der realen Natur entgegenzusetzen. - Im Dezember 2012 kommt die Zeitschrift „Psychologie Heute“ in dem Beitrag „Wie viel Natur brauchen wir?“ aus gesundheits- und humanpsychologischen Gründen zu nur einer Antwort: Ohne Natur geht es nicht – je mehr, je besser. „Medikamente, Meditation, Merlot - vieles kann Sinn und Trost bieten. Wirklich nachhaltig heilt nur die Natur.“ - Ebenso eindeutig verweisen nahezu alle Umfragen und demoskopische Erhebungen zur „Stadt + Gesellschaft der Zukunft“ auf die Bedeutung der urbanen Natur. Sie positionieren in der Bedeutung für Stadt und Gesellschaft das Grün, den Garten, die Natur weit vor Oper, Kultur, Diskotheken und Videotheken oder der autofreien Innenstadt. - In einer Studie der Deutschen Stiftung Telekom zum Stellenwert der frühkindlichen Bildung für die Gesellschaft steht an 1. Stelle der Bildungserfordernisse „Die Natur kennen lernen, regionale Pflanzen und Tiere“ – mit weitem Vorsprung vor „Umgang mit PC, Internet“ oder vor „mathematischer Bildung“ und vor „Fremdsprachen lernen“. - Die im März 2013 erschienene Untersuchung des „Global Green Space Report“ – eine wissenschaftliche Untersuchung mit 4.500 Befragten in 9 Ländern kommt zu dem beachtenswerten Ergebnis: „Grünflächen sind wichtiger als Sex, Geld und Religion“ (Husqvarna, 2013): Laut den Umfrageergebnissen sind Aufenthalte im Grünen wichtiger für das Wohlbefinden als Beruf, Sexualleben, Geld oder Religion.

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 2. Veränderungen der Arbeits- und Stadtgesellschaft Die bevorstehenden tiefgreifenden Veränderungen der Arbeitsgesellschaft, durch die das singuläre klassische Vollzeit-Erwerbsarbeitsverhältnis für immer mehr Menschen eher zur Ausnahme ihres Berufslebens wird, bringen neue städtische Gesellschaftsstrukturen mit neuen Freizeit- und Engagement-Kompetenzen. Der bereits erwähnte Wandel „Von der Zwiebel zu Glocke“ wird deutlich. Der Münchner Stadtdirektor Stephan Reiß-Schmidt sieht „Neue Formen der sinnstiftenden Beschäftigung, der selbständigen Dienstleistungsarbeit und neue Systeme der Mindestversorgung und der Honorierung gesellschaftlich nützlicher ehrenamtlicher Betätigung und von Bürgerengagement“ und reflektiert, „dass sich die Stadt- und Kommunalpolitik der Zukunft intensiv mit diesen anderen Anforderungen an den öffentlichen Raum auseinandersetzen müssen.“ Schon heute sind vielfältige Ansätze erkennbar, dass sich bis dato nicht gekannte Kräfte zu einer Inwertsetzung urbaner Grünanlagen mobilisieren. Bürger, Kinder, Jugendliche, Vereine, Sozialstationen, Firmen übernehmen Verantwortung und Engagement nicht mehr nur in Kunst und Kultur – sondern zunehmend im urbanen Grün, bei Stadtplatz und Stadtpark, bei Friedhof und Spielplatz. Guerilla Gardening oder die „Essbare Stadt Andernach“, auch die „Mundraub Gärten“ zeigen den Wunsch der Bürger nach mehr und neuem Gärtnern. Der Kleingarten, das Kleingartenwesen kann zum wichtigen Sozial- und Kompetenzpartner werden: für Kindergärten und Schulen, Krankenhäuser, Seniorenheime, Sportvereine und Kultureinrichtungen der vor uns liegenden Stadtgesellschaft. Auch bei diesem Gedanken heißt die die Prämisse nicht Quantität und Quadratmeter. Es geht um Qualität von Kleingartenflächen und vielleicht neue Nutzungsoptionen, Partizipationskonzepte und Integrationsmodelle.

 3. Stadt der Zukunft: Die Suche nach „Heimat“

Globalisierung, Urbanisierung und Technisierung gelten als dominierende Elemente der zukünftigen Arbeits- und Gesellschaftsentwicklung. Sie werden auch das Freizeitleben und das Freizeitverhalten in wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und kultureller Hinsicht prägen. Im urbanen Grün und beim urbanen Gärtnern sind die Auswirkungen erkennbar. Der Stadtsoziologe und Zukunftsforscher Peter Wippermann formuliert: „Die zukünftigen Stadtbewohner … sie waren als Kinder bereits in der republikanischen Republik, als Jugendliche mit Freunden in New York, sie kennen die weite Ferne aus dem weltweiten Gewebe und den globalen sozialen Netzwerken. Aber die Idee, dass wir die Exotik der Nähe plötzlich als „aufregend empfinden“, das wir irgendwo ankommen wollen, dass wir „Heimat“ haben wollen, ist etwas, was mit Globalisierung und mit der virtuellen Welt des Internet zu tun hat“ (Wippermann, 2013). „Heimat“, so der langjährige ARD-Moderator Ulrich Wickert, „Heimat hat mit Gefühl zu tun. Nation hingegen mit Vernunft und Staatsräson. Heimat bezeichnet keinen Ort, so wie auch Gefühle keine Schranken, keine Orte kennen. Heimat bedeutet vielmehr etwas Diffuses, das Umfeld, in das ein Mensch hineingeboren wird oder das er sich zur ‚Wahl‘-Heimat erkürt. Einen familiären, kulturellen, sozialen, politischen Ort, wo er Erfahrungen und Erinnerungen sammelt, wo er seine Einstellungen und Werte findet, die seine Identität, seinen Charakter und seine Mentalität prägen“ (Wickert, 2008). Heutzutage kennen die meisten Kinder mehr Automarken und Computerspiele als Pflanzennamen. Sie können die Online-Strukturen von Laptop und Avatar besser erklären als die Natur-Strukturen von Klimawandel und Artenverlust. Natur als Restgröße wird in Form der Landschaft zur bunten Fototapete im Fitnessraum, zum verniedlichten Mitleidsobjekt, das man vor Zerstörung beschützen möchte oder zum Softwareupdate auf dem i-Pad. Aber das Bedürfnis nach authentischer Naturerfahrung wird in einer künstlichen Umwelt immer unverzichtbarer. Gesunde Ernährung wird wieder zum Wertmaßstab, der „Erfahrungsraum Garten“ 12

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wird zum oftmals zum rettenden Eiland des urbanen Wohlfühlens. Er bringt das, was immer mehr Menschen in dieser automatisierten, technisierten und vollständig globalisierten Welt über alle Nationalitäten und Konfessionen hinweg immer häufiger suchen: Heimat, soziale Nähe, ökologisches und kulturelles Wohlempfinden. Das alles ist und kann der (Klein-)Garten, können Kleingärtner und Kleingartenvereine geben. „Heimat“ oder, so die renommierten Wochen-Zeitschrift „DIE ZEIT“ im „Wissens-Ratgeber“: Von wegen spießig. Schrebergärten sind die neuen Zufluchtsorte für junge Städter. Sie wollen dort ökologisch Gemüse anbauen, sich frei entfalten - oder suchen einfach nur Ruhe.“  4. Bioökologische und gesundheitsökologische Funktionen Für den Zeitraum 2021 bis 2050 geht die Wissenschaft von bis zu 26 zusätzlichen heißen Sommertagen aus. Wir müssen uns also auf bis zu 72 Tage mit Höchsttemperaturen über 30 Grad einstellen. In dicht bebauten Gebieten werden voraussichtlich noch viel öfter die 30 Grad überschritten. Auch die Zahl der der Tropennächte, in denen die Temperatur nicht unter 20 Grad absinkt, wird zunehmen. Bisher diente das Wissen um das Stadtklima vor allem zur Schadensbegrenzung, z.B. bei der Projektierung neuer Baugebiete. In Zukunft muss jedoch aktiv für ein erträgliches Stadtklima geplant werden mit mehr Grün und mehr Schatten in der bebauten Stadt. Das erfordert auch eine zielorientierte Stärkung der Kleingärten als außerordentlich wichtigem Klimafaktor. Denn das, was für das (Klein-) Klima der Stadt günstig ist, das finden wir bei den Gartenfreunden: Unbefestigte Flächen zur Bodendurchlässigkeit, Pflanzen zur Luftfeuchteproduktion, Luftreinigung und Assimilation (von CO 2 ), Wasser zum Klimaaustausch und zur Kühlung, Laubdächer als schattenspendende Oasen. So, wie es im Naturschutz vom großen Naturpark über das NSG bis hin zum kleinen Trittsteinbiotop eine gute rechtlich abgesicherte Flächensicherung für die Natur gibt, so muss es auch für den Kleingarten vom ausgedehnten Kleingartenpark bis zur kleinen (Trittstein-) Parzelle) ein umfassendes und rechtlich zuverlässiges Sicherheitsprocedere geben. Denn auch die Bedeutung von Kleingartenanlagen für Biodiversität und Artenschutzbelange wird zunehmend erkannt. Viele Tier- und Pflanzenarten sind vom Aussterben bedroht, die Intensivierung und zunehmende Monotonisierung der Landwirtschaft verdrängt zusätzlich immer mehr Pflanzenarten. Bestanden Wiesen z.B. um 1900 noch aus bis zu 30% Wildkräutern, ist der Anteil heute auf 2 % gesunken. Durch die heutigen doch sehr „industriell“ geprägten Formen der landwirtschaftlichen Nutzflächen ist nach einer Mitteilung der Universität Göttingen (Stadt + Grün 2/2014) ein Verlust an Pflanzenarten auf Ackerland um 71 % und im Bereich von Fließgewässer um 19 % festzustellen. Viele dieser vom Verlust bedrohter Arten finden ein Überlebensrefugium in den kleingärtnerischen Nutzungen. Kleingärten – es sind alte Orte für neue Naturnähe. Eine Arche Noah für bedrohte Tier- und Pflanzenarten, ein immer bedeutsamer werdender urbaner klimatischer Regenerationsraum. Und, angesichts vielfacher Lebensmittelskandale von BSE über EHEC, eine „Apotheke im Grünen“ mit Lebenselixier für gesunde Ernährung und Bewegung in der Natur, ein grünes Fitness-Studio gegen Krankheit, Stumpfsinn und Langweile.  5. neue Stadtkulturelle Wertigkeiten Unsere Generation und die unserer Kinder haben den Kleingärten und den Kleingärtnern viele glückliche Stunden zu verdanken. Nicht zuletzt haben sie in den Jahren politischer Repression und geistiger Unfreiheit zum Überleben und zur Wiedergeburt einer neuen demokratischen Gesellschaft beigetragen. Sie sind damit ein Stück europäischer und deutscher Geschichte, ein Stück europäischer Kultur. Es ist zahlenmäßig unbedeutend, ob mehr Menschen pro Jahr im Konzert, der Oper oder im Museum Entspannung finden. Wichtig aber ist, dass alle drei – die Musikkultur, die Gemälde- und Skulpturenkultur und auch die Kleingartenkultur – zur Lebensqualität einen unabdingbaren 13

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Beitrag leisten: „Weicher Standortfaktor“ heißt es heute in der Stadtentwicklung. Eine grüne Kultur, die für viele Städte den gleichen Stellenwert besitzt wie ein Konzertsaal, ein Opernhaus oder ein Museum. Kultur ist eben nicht nur Mode und Malerei, Szene-Design und Partymeile, sondern auch Garten- und v.a. Kleingartenkultur. Die Zukunft gehört einer Stadtentwicklung nach innen, in der vorhandene Frei- und Grünflächen unabdingbarer Bestandteil von Lebens-, Wohn- und Arbeitsqualität werden. Die Stadtentwicklung nach außen auf der grünen Wiese ist Vergangenheit. Die Zukunft der Stadt wird geprägt vom Obligo: Von der Techno- zur Phytomasse. „Ich halte die massive Integration von Natur in die Stadt gegenwärtig für die oberste Priorität der Stadtplanung des 21. Jahrhunderts. Allerdings geht es nicht darum möglichst viele Bäume und Grünflächen zur Heilung der menschlichen Sünden in einen Stadtraum einzuschleusen, worauf die urbane Grünplanung oft reduziert und missverstanden wird“, so hat es kürzlich Prof. Christophe Girot an der Architekturfakultät in Zürich formuliert. Also nicht das quantitative Mehr an Quadratmetern oder Kubikmetern Biomasse jedweder Form. Es geht um eine grundlegende „grüne“ Haltung in jeder Stadtplanung durch den ausgewogenen Einsatz verschiedener, bewährter Gestaltungs- und Nutzungselemente. Will sagen: Warum sollte in diesem neuen Geist nicht eine offene, jedermann sozial zugängliche und multifunktionale Kleingartenanlage für die Stadt wichtiger und wertvoller sein als ein konventionell mehr oder weniger gepflegter städtischer Park. Einen Park würde man nicht abreißen und als Baubedarfsfläche deklarieren. Und Kleingärten? Da stimmt doch was nicht mit unserem Denken, mit unserer Auffassung von der Stadt der Zukunft! Die ideale Stadt der Zukunft wird die europäische, von Natur und Kultur durchsetzte Stadt sein, in der Arbeiten und Wohnen, Freizeit und Kultur wieder eine räumliche und funktionale Einheit bilden, in der Arm und Reich, Jung und Alt, problemlos mit- und nebeneinander leben können, ohne voneinander ab- oder ausgegrenzt zu werden. Kleingarten und Kleingartenwesen sind unabdingbare Bestandteile der städtischen Bau- und Naturkultur. Als „weicher Standortfaktor“ gilt es, dieser grünen Stadtnatur die gleiche Wertschätzung, die planerische und finanzielle Sicherheit zukommen zu lassen wie den anderen „weichen Standortfaktoren“: Theater, Oper, Museum. Aber: Die Kultur, auch die Kleingarten-Kultur, muss sich öffnen. Noch mehr Kleingärtner, Kleingärten und Kleingärtnervereine der Stadt und der Gesellschaft müssen offen werden für Menschen mit anderen Nutzungsvorstellungen und von anderer Herkunft. Offen werden als Teil des öffentlichen, jederzeit freien Zugang als öffentliche Grün- und Parkfläche. Offen werden für Menschen mit anderen Wertvorstellungen über Gartenschönheit, mit anderen Wertvorstellungen zum Leben im Garten aufgrund ihrer eignen, anderen Herkunft und Sozialisation. In diesen stadtkulturellen Öffnungsprozess von Kleingärten und Kleingärtnern gehören deshalb auch anderen „Kulturschaffende“ der Stadt. Angefangen vom Kulturamt mit zukünftigen kulturellen Veranstaltungen wie Ausstellungen, Theater und Konzertangeboten im Gartenbereich über den Migrationsbeauftragten und das Sozialamt mit der Entwicklung (und Co-Finanzierung) von Integrationsgärten. Vielleicht auch Gebetsgärten oder Orten der sozialen Befriedung für traumatisierte Menschen anderer Herkunft? Natürlich mit dabei: Sportvereine, Sportamt und Jugendvereine mit sportund gesundheitsorientierten Angeboten in der grünen, sichern und gut gepflegten Oase wunderbarer Kleingärten. Selbstverständlich auch Partner der klassisch kulturellen Orte des Lernens sind die Schulen, die Kleingärten als neue/alte Lern- und Lehrorte für das erweitere grüne Klassenzimmer beleben. In diesem Sinne gilt es „Vorzudenken“ über manch neues Argument, manch neue Nutzung, manch neue Synergieeffekte. Einige Beispiel 14

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Neue Argumente: Für Wohnungsbau kämpfen (und damit auch für Kleingärten); Neue Nutzung: neue Parzellengrößen (z.B. für ältere Menschen) Neue „eventlocation“ für Kunst und Kultur; Neue partizipative Modelle: (mehr „Single“-Teams) für eine Parzelle; Neue Integration: Urban Gardening, Guerilla Gardening, Essbarer Bezirk als Teil des Kleingartenwesens;  Anpassung an neue Techniken: W-LAN und Informationstechnologie im Garten, Größe der Laube;  Neue Synergieeffekte: vom Mehrgenerationengarten zu Sport-Kunst-Kultur und Kita;  Neue Nutzungen (letzte Ruhestätte).     

Vom alten „Armengarten“ zum neuen „stadtkulturellen Reichtum“ Die Gesellschaft, die Stadt von Morgen, diese globale Mischung von Mensch + Natur, von Kultur + Technik, von Techno-Freak – bis Naturapostel, von Kernkraft-Fan bis zum Biomasse-Produzenten, vom 1-€-Jobber & Hartz-IV-Empfänger bis zum DINK (Double Incomme No Kids) – diese neue Stadtgesellschaft befindet sich in einem sehr bedeutsamen Wandelprozess. Der (Klein-)Garten, das Gartenwesen sind dabei sich zu verändern. Vom Armengarten zum stadtkulturellen Reichtum, zu einem ökologisch-kulturellen-sozialen Juwel der Stadt und Gesellschaft von morgen. Individuelle Gärten und das Gärtnern werden zunehmend zum Rettungsanker bei sozialer Vereinsamung, notwendigen gesellschaftlichen Integrationsbemühungen, dem bedrohlichen Verlust an Biodiversität und Nachhaltigkeit, an >Fast-Food-bedingter< kaputtgemachter gesunder Ernährung oder an >Dioxin-bedingtem Betrug< an Mensch und Tier. „Gesundheit wächst im Garten“ so die Zukunft. Die ehemaligen städtischen „Armengärten“ können die neuen kulturellen grünen Kultstätten, „die reichen Orte“ der Zukunft werden. „Kultstätten“, „urbane Orte“ im Sinne von  Gärten als friedvolle Orte individueller und gemeinschaftlicher Zufriedenheit,  Gärten als Orte für alle Generationen und Nationen,  Orte der finanziellen Entlastung für die Kommunen,  unverzichtbare Orte für ein erträgliches Stadtklima,  zentrale Orte zum Erlernen und zum Verständnis von Umweltbewusstsein,  Orte des interkulturellen Miteinander,  Orte als Arche Noah und Überlebensraum für bedrohte Tier- u. Pflanzenarten,  Basisorte kreativer und gesunder Ernährung,  Orte für neue und kluge Architektur und Energieinnovationen,  neue Zufluchtsorte für junge Städter,  Orte als neues Bildungsmedium im Umgang mit Natur-Kultur,  Orte sozialen Kitts,  Orte einer neuen Stadtkultur von „urban landart“-Kunst und „ free-lounge-garden-music“ bis zu neuen Treff- und Veranstaltung „Location“ der neuen Stadtgesellschaft. Die Zukunft gehört denen, die diese Orte zurückholen und neu entwickeln. Und da stehen Sie, die Gartenfreunde, Kleingärtner, Laubenpieper an vorderster Stelle. Wie waren doch die Schlussworte von Malou Weirich (Luxemburgische Generalsekretärin des europäischen Verbandes) beim europäischen Konvent im September 2013 in Berlin: „… Letztlich sind es nämlich die Bürger, also wir Kleingärtner, welche die Städte von morgen gestalten.“ ■ Ich danke Ihnen.

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