Bremen

1 Textfassung Prof. Dr. Dr. Gerhard Roth Vortrag zum 25-jährigen Bestehen des Kommunalverbundes Niedersachsen/Bremen „Von den Vorteilen und der Notwe...
Author: Hilko Hauer
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Textfassung Prof. Dr. Dr. Gerhard Roth Vortrag zum 25-jährigen Bestehen des Kommunalverbundes Niedersachsen/Bremen „Von den Vorteilen und der Notwendigkeit der Kooperation“

Sehr geehrter Herr Weber, sehr geehrter Herr Dr. Sieling, sehr geehrter Herr Dr. Bovenschulte, sehr geehrter Herr Dr. Mielke, meine Damen und Herren. Es ist für mich eine Ehre, zum 25-jährigen Bestehen des Kommunalverbundes Niedersachsen/Bremen den Festvortrag halten zu dürfen. Diesen Vortrag möchte ich all denen widmen, die vor 25 Jahren an die Kooperation geglaubt haben, und von denen auch einige hier sind, sowie auch denen, die aktuell und hoffentlich auch künftig an der Kooperation mitwirken. Anlass für die Gründung des Kommunalverbundes vor 25 Jahren war – so heißt es in Ihrer Broschüre - der Wunsch, „eine damals empfundene ‚kommunale Sprachlosigkeit‘ im administrativ zersplitterten Verflechtungsraum des Oberzentrums Bremen überwinden zu wollen. Die Bewältigung gemeinsamer regionaler Fragestellungen und die Etablierung einer wertschätzenden, gleichberechtigten Kommunikation auf Augenhöhe waren für die Gründungsakteure handlungsleitend“. Soweit das Zitat. Wie in Ihrem Flyer zu lesen, sind die Leistungen seit der Gründung des Kommunalverbundes sehr beeindruckend, und man kann Ihnen dazu nur herzlich gratulieren. Es gibt aber auch – so wurde mir mitgeteilt – neben den zahlreichen Fortschritten auch bei manchen Beteiligten den Eindruck, dass der Fortschritt zu langsam ist. Hinzu kommt scheinbar paradoxerweise, dass er wiederum anderen Beteiligten zu schnell geht. Ein solcher scheinbarer Widerspruch ist ganz normal. Besonders ins Gewicht fällt, dass der Kommunalverbund im Vergleich zu anderen „Ballungsraumverbänden“ bzw. regionalen Kooperationen, die Körperschaften öffentlichen Rechts sind, keine Behörde ist, die einfach „anweisen“ kann, sondern eine freiwillige Form der Zusammenar-

Textfassung des Vortrags zum 25-jährigen Jubiläums Kommunalverbund Niedersachsen/Bremen e.V. am 2. November 2016. Es gilt das gesprochene Wort.

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beit, die auf Mitwirkung, Überzeugung und größtmöglichen Konsens setzt. Das fordert – so heißt es von Seiten des Kommunalverbundes - Aushandlungsprozesse, die Zeit benötigen, und gleichzeitig die Einschätzung, dass solcherart erzielte Ergebnisse auch tragfähig sind.

Dies kann man als Quelle von Schwierigkeiten ansehen, aber auch als großen Vorteil, denn eine „von oben“ verordnete Kooperation hat ganz andere Schwierigkeiten als die der freiwilligen Zusammenarbeit. Das klingt erst einmal paradox: Freiwillige Kooperation erscheint schwierig, und verordnete Kooperation erscheint erst recht schwierig! Ist denn dann Kooperation überhaupt möglich? Kooperation –so könnte man kurz sagen – ist eines von den Zielen, die alle gut finden, mit denen aber die meisten ihre Probleme haben, wenn man sie in die Realität umzusetzen versucht. Ich könnte hier das Umweltbewusstsein und die Energiewende nennen: alle Leute, die man fragt, sind dafür, aber viel weniger Leute beziehen die damit verbundenen Forderungen auf sich selbst, und noch viel weniger Leute tun etwas Konkretes.

Es stimmt auch hier: Alle finden Kooperation prima und sind der gerechtfertigten Auffassung, dass K. viel besser ist, als sich aus dem Wege zu gehen oder gar übereinander herzufallen. Kooperation ist, abstrakt gesehen, immer vorteilhaft. Leider aber ist K. nicht immer leicht, ihre Vorteile sind nicht immer sofort sichtbar, und man muss unter Umständen über den eigenen Schatten springen.

Aus biologischer Sicht (ich bin Biologe!) ist Kooperation ein Bestandteil unserer menschlichen Natur. Kooperation ist im Tierreich weit verbreitet. Oft ist sie genetisch verankert, so bei den staatenbildenden Insekten, bei Fischen, Vögeln und Huftieren, Hunden und Wölfen, aber es gibt auch starrsinnige Einzelgänger wie die Katzenartigen. Bei unseren engeren Verwandten, den Affen, gibt es zwar bestimmte Formen der Zusammenarbeit, aber die meisten Affen und auch die Menschenaffen gehen Kooperationsbeziehungen nur dann ein, wenn der Nutzen offensichtlich ist und schnell ein-

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tritt. Vertrauensvolle Investitionen in die Zukunft sind nicht ihre Sache: bietet sich ein Vorteil, so wird er konsequent ausgenutzt. Mit einer Ausnahme, nämlich der Sorge um die eigene Familie bzw. die eigenen Nachkommen und gelegentlich auch um Individuen, mit denen man aufgewachsen ist. Diese Ausnahme ist auch weitgehend genetisch verordnet, und kaum ein Affe würde jemandem, der nicht ein enger Verwandter oder Freund ist, irgendwie helfen. Ein darüber hinaus gehender Altruismus kommt gelegentlich vor, aber auch dann ist es die eigene Gruppe, für die man sein Leben als Wächter riskiert.

Bei Menschen scheint dies ganz anders zu sein. Entwicklungspsychologen haben schon vor einiger Zeit festgestellt, dass bereits kleine Kinder unaufgefordert Erwachsenen, die sie nicht einmal kennen, beim Türen öffnen, Gegenstände suchen oder heruntergefallene Dinge aufheben helfen, obwohl sie scheinbar gar keinen Vorteil davon haben. Wenn man sie dafür belohnt, dann tendieren sie sogar dazu, ein solches „altruistisches“ Verhalten einzustellen („ich will nicht dafür bezahlt werden!“). Zudem lässt dieser Altruismus mit zunehmendem Alter nach. Abgesehen von der weitgehend genetisch bedingten Fürsorge für die Kinder und sonstige Verwandten helfen erwachsene Menschen meist nur noch den engeren Freunden, den Kumpels, Vereinskameraden usw. oder weiteren Verwandten (Onkel, Tante, Neffe, Nichte, Cousin, Cousine) in mehr oder weniger „selbstloser“ Weise. Auch das hat seine genetische Grundlage, denn hierdurch werden – so sagen die Fachleute – die eigenen Gene gefördert, aber sehr viel davon hängt auch von den Vorbildern ab. Wir sind also als kleine Kinder oft altruistisch, als Jugendliche oder Erwachsene jedoch „familien-„ oder „gruppen-egoistisch“.

Ein solches Verhalten ist die Grundlage der Ämter-, Geld- und Machtverteilung in den meisten Ländern der Erde: Sobald du an die Macht kommst, denk an deine Freunde, insbesondere die, die dir zur Macht verholfen haben, und an deine Verwandten! In diesen Ländern findet man es komisch, wenn man sich für Leute einsetzt oder ihnen Gutes tut, ohne mit ihnen verwandt oder durch Freundschaft verbunden zu sein. Wir rümpfen hierüber oft die

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Nase (meist zu Recht!), sprechen von Nepotismus, Korruption usw. Wir vergessen dabei erstens, dass Ähnliches auch in unserem Land in Form von Beziehungen, insbesondere parteipolitischer Art, geschieht – so zumindest sagt man. Zweitens stellt ein solches Verhalten sicher, dass man von dem mit Wohltaten bedachten Menschen ohne große Scham Gegenleistungen verlangen kann. Und drittens ist es die Lösung des Vertrauens-Problems, das ein Grundproblem der Kooperation ist. Ich helfe dem, dem ich aufgrund verwandtschaftlicher oder freundschaftlicher Bande vertrauen kann. Warum soll ich jemandem helfen, den ich nicht kenne, der mir mit großer Wahrscheinlichkeit nicht helfen wird, und von dem ich auch sonst nichts zu erwarten habe? Dass es dennoch scheinbar echten Altruismus in dieser Form (etwa Geld für Kinder in Afrika spenden) gibt, ist dann sehr rätselhaft, findet aber in der neueren Forschung eine überraschende Antwort. Davon später.

Wann ist denn Kooperation unter Nicht-Verwandten und Nicht-Freunden leicht? Sie ist leicht (1)wenn die Vorteile der K. auf beiden Seiten offensichtlich und kurzfristig realisierbar sind, (2) wenn Gegenleistungen selbstverständlich zu erwarten sind, (3) wenn der Leidensdruck auf beiden Seiten sehr hoch ist, (4) wenn gegenseitiges Vertrauen tief verwurzelt ist und (5) Kooperation sich bereits bewährt hat. Die meisten Leute stehen dann – wie gerade in Italien – wie eine Familie zusammen: es hat jeden getroffen oder könnte jeden treffen. Not schweißt zusammen, heißt es. Gleichzeitig beobachten wir aber oft, dass eine nicht zu kleine Gruppe unter dem Deckmantel der Solidarität die Situation für sich auszubeuten versucht, plündert, betrügt, ausnutzt usw. (Haiti!). Das bedeutet, dass Kooperation unter NichtVerwandten und Nicht-Freunden immer eine wackelige Sache ist, und wenn größere Hilfsgelder eintreffen, die dann verteilt werden, so ist es mit der Solidarität meist vorbei. Das erschrickt uns, wenn wir davon hören. Aber warum ist das so?

Kooperation mit Nicht-Verwandten und Nicht-Freunden kann eine ganz rationale Sache sein: Wir müssen jetzt zusammenstehen, weil es die Lage

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gebietet! Angesichts der kommunalpolitischen Situation, insbesondere hinsichtlich der Finanzen und der Notwendigkeit, sich in Wirtschaftsdingen zusammenzutun, ist im Großraum Bremen Kooperation ein sehr lohnendes Ziel – der „Speckgürtel“ um Bremen ist auch nicht mehr das, was er einmal war! Als Hirnforscher muss ich Ihnen jedoch sagen, dass rein rationale Argumente niemals von sich aus handlungswirksam sind, sondern immer nur in Verbindung mit Emotionen. Wir werden von Emotionen in Form von Motiven bewegt (daher auch der Begriff „Emotion“ von lateinisch „movere – bewegen“), und nicht von kalten Gedanken. Hinzu kommt, dass ein Gebilde wie der Kommunalverbund recht heterogen sind, und zwar weniger für die einfachen Menschen, die gern einmal von Delmenhorst nach Bremen fahren oder umgekehrt, oder Verwandte und Freunde in Ganderkesee haben und sich dabei um kommunale Verwaltungsgrenzen und Zuständigkeiten nicht zu scheren brauchen. Aber der Verwaltungsangestellte oder –beamte muss sich mit vielen Kommunen in zwei Bundesländern, zudem in Niedersachsen mit dem Zuständigkeitsbereich von gleich drei Ämtern für regionale Landesentwicklung, in fünf Landkreisen und zwei kreisfreien Städten, und 24 kreisangehörigen Kommunen herumschlagen. Das ist schon rein geistig schwer zu erfassen. Ein Menschenkenner und guter Politiker weiß dies natürlich – vielleicht intuitiv – und ist deshalb bestrebt, seine rationalen Argumente für eine Kooperation im Kommunalverbund emotional zu „unterfüttern“. Das beste Motiv ist der schon genannte Leidensdruck, der allerdings den Nachteil hat, dass er ganz schnell unwirksam wird, wenn auch nur kleine und vorübergehende Besserungen der Lage eintreten. Ein anderes probates Mittel ist der Appell an den „Gemeinsinn“ („wir müssen jetzt ALLE die Ärmel aufkrempeln!“), besonders in Kombination mit einem Appell an Identitätsgefühle („wir in Bremen und im Bremer Umland sind eine richtige Gemeinschaft, die zusammenhalten muss“). Das ist angesichts der geschilderten Vielfalt schon schwieriger. Und wenn das noch nicht hilft, dann greift man zum Feindbild, das einigen soll („die da in Südniedersachsen kriegen doch das Geld hinterhergeworfen“).

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Der Appell an die Identität ist jedoch eine zweischneidige Sache, weil Identitätsgefühle oft überraschend lange historisch zurückreichen. Dass Bremer und Hamburger sich oft nicht mögen, hat nicht nur mit der wirtschaftlichen oder sportlichen Konkurrenz, sondern auch mit der Tatsache zu tun, dass Hamburg lutherisch, Bremen reformiert war bzw. ist (was kaum jemand mehr bedenkt). Auch etwa zwischen Bremen und Delmenhorst ist die Frage der kommunal-historischen Identität nicht leicht zu beantworten, denn Delmenhorst ist nun einmal am Oldenburgischen orientiert, und nachdem das Großherzogtum Oldenburg 1854 dem Deutschen Zollverein beitrat, Bremen aber nicht (und erst 1888), zogen viele Bremer Kaufleute und Industrielle nach Delmenhorst, was für Bremen ein herber Verlust war (z.B. in Form der Nordwolle). Viele Delmenhorster, so scheint es auch mir, orientieren sich eher nach Oldenburg hin als nach Bremen, und viele von ihnen wissen gar nicht, warum. Das Kollektivgedächtnis ist meist unbewusst oder intuitiv, aber es ist sehr wirksam. „Kleinstaaterei“ ist ein ganz natürliches und nie zu missachtendes Gefühl.

Klar wird uns das Ganze erst, wenn wir erkennen, dass in unserem Gehirn nicht nur unter dem Rationalen das bewusste Emotionale liegt, das immer angesprochen sein will, sondern dass unter dem bewussten Emotionalen auch das intuitive Emotionale und schließlich das ganz unbewusste Emotionale liegen. Erst einmal denkt man an die Region bzw. den Kommunalverbund und tut dies so lange, wie es keine größeren Schwierigkeiten gibt und die Vorteile der regionalen Kooperation auf der Hand liegen. Trifft das aber nicht zu, so fällt man auf die niedere Stufe der Kooperation herunter, nämlich innerhalb scheinbar übersichtlicher historisch gewachsener Einheiten, der Stadt oder Gemeinde, und man grenzt sich bewusst oder intuitiv ab. Klappt es auch damit nicht so recht, dann geht es noch eine Stufe tiefer: der Stadtteil, der Verein, die Verwandtschaft und schließlich die eigene Familie (wenn nicht gar nur ich selbst!). Kooperationen auf höherer Stufe haben komplexe, solche auf niederer Stufe einfache Voraussetzungen. Je schwieriger Kooperationen werden, desto mehr drohen sie auf immer tiefere Stufen

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zu fallen, also immer mehr von „kleinstaatlichem Denken“ bedroht zu werden.

Der Grund hierfür ist, dass Kooperation immer Belohnung braucht, die sichtbar sein muss. Belohnungen für Kooperationen auf unterer Stufe sind meist handgreiflich, und je höher man steigt, desto weniger sichtbar werden sie und desto länger muss man auf sie warten. Das bedeutet: wenn man auch für hochstufige Kooperationen Belohnungen in Aussicht stellt, so dürfen diese nicht zu rational bzw. zu abstrakt, nicht zu komplex, nicht zu langfristig sein. Man muss ihnen mit Verstand und Herz vertrauen können – dazu gleich noch etwas.

Bevor ich zur Frage komme, wie man denn Kooperation auf höherer Stufe überhaupt herstellen oder dann befördern kann, will ich noch einmal auflisten, warum Kooperation unter Nicht-Freunden und Nicht-Verwandten schwierig ist: 1. Bei vielen Beteiligten ist der Leidensdruck nicht hoch genug. 2. Nicht alle wurden gefragt oder nicht überzeugt und fühlen sich übergangen. 3. Einige Beteiligte sehen nicht den Nutzen der Kooperation und setzen sich nicht genügend ein 4. Kooperation ist selten gleich zu Beginn ein win-win-Geschäft; oft müssen Kompromisse eingegangen, Verzicht muss geleistet werden. 5. Kooperation geht fast immer mit Machtverlust einher. 6. Die Begeisterung ist anfangs hoch, aber dann stellt sich heraus, dass die Schwierigkeiten größer sind als gedacht. 7. Es müssen zu viele alte Gewohnheiten geändert werden. 8. Der Nutzen wird gesehen, aber schnell kommen Motive hoch, die gegen die Kooperation stehen. Diese müssen nicht explizit wahrgenommen werden bzw. bewusst sein. Oft sind sie intuitiv oder unbewusst.

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An diese Liste knüpft die Frage an, was man tun kann. Wie wir gehört haben, bilden Leidensdruck, Bedrohungsszenario, Appell an die Zusammengehörigkeit und Aussicht auf baldigen Gewinn eine wacklige Grundlage für Kooperation, weil sie sich schnell ändern können und emotional nicht tief genug gehen. Viel besser sind Vertrauen, gegenseitiger langfristiger Nutzen, Fairness und Feinfühligkeit im Umgang, Gerechtigkeit, gewachsenes Zusammengehörigkeitsgefühl, praktische Vorbilder, Stolz auf Erreichtes (Hoffnung auf Auszeichnung)

Vertrauen ist dabei besonders wichtig und besonders kritisch. Wie wir alle wissen oder wissen müssten, erreicht man gegenseitiges Vertrauen nicht durch verbale oder schriftliche Bekundungen. Es genügt bekanntlich nicht zu sagen: schaut her, wie vertrauenswürdig ich bin! Vertrauenswürdig wird man durch zwei Dinge. Zum einen durch nichtverbale Kommunikation wie Blick, Gestik, Mimik, Körperhaltung und Stimmfärbung, und dies bestimmt, wie man auf den Anderen wirkt – ziemlich unabhängig davon, was man sagt. In unserer nichtverbalen Kommunikation sind wir viel ehrlicher als in unserer sprachlichen Kommunikation, weil dieselben Zentren, die unsere tiefen Gefühle steuern, auch diese nichtverbale Kommunikation steuern.

Wenn also beispielsweise ein Vertreter aus Delmenhorst zum ersten Mal mit einer Kollegin aus Ganderkesee zusammentrifft – das kann auch umgekehrt oder irgendwo anders sein, dann testen sie sich beide – ob sie wollen oder nicht – mithilfe ihrer nichtverbalen Kommunikation ab, während sie die üblichen Begrüßungsformalia äußern. Es entstehen dann positive und negative Voreinstellungen, die schnell verallgemeinert, aber nur langsam und mühsam durch spätere Erfahrungen korrigiert werden können („alle aus Ganderkesee sind arrogant“ usw.). Es ist deshalb ganz schlecht, wenn man solche Kontakte zu formal gestaltet – oft aus Angst, falsch zu wirken. Das „Menscheln“ ist eine wichtige Beigabe, denn sie schafft, wenn es gut läuft, eine gute Ausgangsbasis für weitere Kontakte („der scheint es ehrlich mit uns zu meinen!“). Dies stellt eine schnelle, aber zuweilen voreilige Vertrau-

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ensprüfung dar, die auch ihre Risiken hat („das ist ein prima Kerl, auch wenn er in der Kommunalpolitik ein Versager ist!“).

Die zweite und viel längerfristige Art, Vertrauen zu gewinnen, ist Verlässlichkeit – konsequent zum eigenen Wort, zu den getroffenen Vereinbarungen stehen. Wenn man Verbindlichkeiten eingegangen ist, so sind sie einzuhalten, gleichgültig wie verlockend die Aussicht erscheint, ein wenig großzügig damit umzugehen. Die meisten Menschen verbinden Glaubwürdigkeit zutiefst mit Verlässlichkeit. Hier gilt ein psychologisch wichtiges Gesetz, dass bei Vertrauen und Ehrlichkeit nicht rational-statistisch gemittelt wird (von 10 Mal war er sechsmal ehrlich bzw. verlässlich – also vertraue ich ihm!), sondern dass bereits ein einziges Mal an fehlender Ehrlichkeit und Verlässlichkeit das Vertrauen tief erschüttern kann. Dies rührt daher, dass sich Enttäuschungen tiefer eingraben als positive Bestätigungen.

Hier kommen wir zu einem besonders wichtigen Punkt: Entscheidungen und Vereinbarungen haben nicht nur dann eine Chance auf längerfristige Einhaltung, wenn jeder der beteiligten Partner zu seinem Recht kommt – das ist eigentlich trivial, und darauf kann man ja gut achten – sondern wenn in jedem der beteiligten Partner die bewussten, intuitiven und unbewussten Motive und Einstellungen übereinstimmen.

Dreierlei kann passieren: (1) ich stimme als Verhandlungspartner der Vereinbarung mit vollem Verstand und vollem Herzen zu – dann sind bewusste und intuitiv-unbewusste Motive im Einklang, (2) die Sache sieht ganz vernünftig aus, aber ich habe „irgendwie Bauchschmerzen“. Letztere kommen daher, dass aus meiner unbewussten oder intuitiven Erfahrung eine warnende Stimme ertönt, auf die ich hören sollte, selbst wenn sie im Augenblick nicht detailliert vernehmbar ist; (3) die Sache ist rational gesehen ziemlich riskant und benötigt viel Glück, um Hindernisse zu überwinden, aber ich habe ein optimistisches Gefühl dabei und sage mir „wer wagt, der gewinnt!“. In Fall (1) ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ich auch nach Jahren mit der Entscheidung leben kann, auch wenn nicht alles optimal läuft

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(„das konnten wir damals eben nicht wissen!“). In Fall (2) und (3) sollte man, sofern möglich, die Entscheidung aufschieben und dies auch dem Gegenüber mitteilen („ich bin mit der Sache innerlich noch nicht fertig“ oder „ich muss das Ganze noch einmal durchdenken“). Man sollte also nicht nur auf den Verstand oder nur auf den „Bauch“ hören, sondern beide im Einklang zu bringen versuchen.

Das Überspielen entweder der rationalen oder der intuitiv-emotionalen warnenden Stimme führt dazu, dass ein Entscheider mit einer Entscheidung nicht langfristig zufrieden sein wird. Das Gegenüber sollte im Dienste der Langfristigkeit den Wunsch nach Aufschub, auch wenn er lästig ist, also respektieren. Im Privatleben genügt bei Entscheidungskonflikten oft schon eine „Nacht darüber schlafen“, bei beruflichen und behördlichen Entscheidungskonflikten ist mehr Zeit angesagt. Der Grund dafür ist, dass entweder sich solche „warnenden Stimmen“ durch geduldiges Weiterverhandeln besänftigen lassen (wie in Brüssel) oder Ankündiger von tiefen Konflikten sind, die unbedacht oder aus Zeitdruck ignoriert werden und sich dann bitter rächen. Ein solches Vorgehen nennt man in der Entscheidungstheorie die „aufgeschobene intuitive Entscheidung“. Sie ist in komplexen Situationen die beste Entscheidungsform. Stress und Druck werden dabei abgebaut – und Stress und Druck sind die schlechtesten Bedingungen für langfristige gute Entscheidungen. Eine „warnende innere Stimme“ oder ein „mulmiges Gefühl“ kann bei anstehenden Verhandlungen der Ausdruck wichtiger Bedenken sein, die sich zurzeit nicht ausdrücklich äußern, aber in unserem Erfahrungsgedächtnis virulent sind. Wir müssen auf diese Stimme hören, wie schon gesagt. Die Quelle kann aber auch etwas ganz Anderes sein, nämlich die Persönlichkeit der beteiligten Entscheider.

Dass Menschen in ihrer Persönlichkeit unterschiedlich sind, ist eine Binsenweisheit. Aber gibt es dabei Typen von Persönlichkeiten? Um diese Frage haben sich Philosophie und Psychologie intensiv gekümmert, und so gibt

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es die in der Psychologie gängige Auffassung der fünf Persönlichkeitstypen (der „big five“). Wir glauben mit zahlreichen Kollegen aufgrund neurobiologischer und psychologischer Untersuchungen, dass es sechs Typen gibt, nämlich den kritischen, den konservativen, den offen-kreativen, den ehrgeizigen, den ängstlichen und den geselligen Typ. Diese Typen unterscheiden sich deutlich in ihrer Art und Weise, Belastungen zu meistern, Neues anzupacken, behutsam-vorsichtig zu sein, stets an das Vorankommen und Belohnungen und Vorteile zu denken, immer zuerst die Risiken sehen und schnell Bindungen einzugehen. Jeder Typ hat seine Vor- und Nachteile, und jeder reagiert anders auf das, was wir von ihm wollen oder ihm vorschlagen.

Ich will nicht darüber spekulieren, welche dieser Typen auf kommunaler Ebene am ehesten anzutreffen sind. Es ist aber in jedem Fall gut, solche Typen zu kennen und zu lernen, wie man am besten mit ihnen umgeht. Dem Kritischen und Konservativen darf man nicht ständig neue und aufregende Projekte anbieten – das wäre etwas für den offen-kreativen, ehrgeizigen Typ, sondern man muss – ohne zu lügen – die bewährten und nachgewiesenen Vorteile der Kooperation schildern. Der Ehrgeizige will die großen Ziele und große Belohnungsaussichten hören, und man sollte – ohne sich und das Projekt zu verleugnen – die guten Zukunftsdimensionen preisen usw. Dem Ehrgeizigen muss deutlich gemacht werden, dass er mit „unserem“ Projekt Karriere machen kann! Umgekehrt ist es falsch, einem konservativkorrekten Menschen ständig kühne Projekte auf den Tisch zu knallen. All dies dient ja erst einmal dazu, Vertrauen zu schaffen. Mein Gegenüber fühlt sich verstanden und respektiert, und bestimmte andere Aspekte des Projekts werden dann viel wohlwollender aufgenommen –. Überdies trägt jeder Typ Mensch in einer Diskussion wichtige Argumente vor, die gehört werden wollen.

Jeder lebt erst einmal in seiner eigenen Welt, und es gibt mehr Menschen als man denkt, die einen Horror vor Änderungen haben, weil Änderungen für sie Risiko und Unsicherheit bedeuten (risk avoiders). Sie tun lieber nichts als dass sie etwas Falsches täten, und man muss sie dahin bringen, dass sie

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zumindest nicht alles verhindern. Andere lieben das Risiko und den „Kick“ (sensation seekers), sie sind kreativ, offen, aber auch wenig sorgfältig oder sogar unzuverlässig in Planung und Umsetzung, aber man braucht sie für den frischen Wind. Man kommt den Menschen also entgegen, man respektiert sie ganz ehrlich, und sobald man ihr Vertrauen hat, lenkt man sie zur Mitte, d.h. zu einer mittleren Position zwischen Bewahren und Neuerung, Sicherheit und Risiko. Fingerspitzengefühl – das ist fast trivial – ist bei einer derart komplexen Situation ebenso notwendig wie Geduld mit Menschen. Man ärgert sich über diejenigen, denen alles zu langsam geht ebenso wie über diejenigen, denen alles zu schnell geht. Diese Menschen tun das aber nicht aus Lust an der Kritik oder gar Bösartigkeit, sondern weil sie sich in der gegebenen Situation entsprechend ihrer Persönlichkeit verhalten. Nicht unbedingt haben beide Recht – manchmal muss es eben schnell gehen und manchmal braucht man eine Auszeit. Aber die Beteiligten müssen angemessen wahrgenommen werden und nicht als „ewig Gestrige“ oder als „Spinner“ sogleich abgetan werden.

Wir sehen also, dass so etwas wie der Kommunalverbund aus neurobiologischer und psychologischer Sicht nicht immer ein Honigschlecken ist und auch nicht sein kann. Veränderungen sind nun einmal schwierig und benötigen das Aufgeben von Gewohnheiten des Fühlens, Denkens und Handelns, und sie sind umso schwieriger, je tiefer sich diese Gewohnheiten in unser Gehirn eingegraben haben. Dies erfordert sachlichen wie psychologischen Realismus, der aber immer mit dem Mut zu Neuerungen und buchstäblichen Grenzüberschreitungen verbunden sein muss. Grenzüberschreitungen und Neuerungen finden viele Menschen unangenehm, und deshalb akzeptieren sie diese nur, wenn sie sie sowohl mit ihrem Verstand als auch ihrem Gefühl akzeptieren können. Das tun sie, wenn die Belohnung für sie deutlich sichtbar ist.

Belohnungen müssen aber keineswegs immer nur materieller Natur sein. Oft sind sie sozialer Natur (ich freue mich, dass wir Dinge schaffen, die andere noch nicht geschafft haben und wir dafür in der Zeitung stehen) und schließ-

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lich auch intrinsischer Natur (ich finde es großartig, wenn wir über die engen kommunalen Grenzen hinaus denken und handeln und etwas für die Leute in der Region tun.

Zuletzt möchte ich noch auf die Frage eingehen, warum Menschen gelegentlich auch ganz selbstlos handeln, d.h. ohne offensichtliche materielle oder soziale Belohnung. Ein Beispiel hierfür ist Mutter Teresa, inzwischen die heilige Teresa von Kalkutta. Reichtümer hat sie bei ihrem Tun nicht angehäuft, und hohes Ansehen hat sie wohl nie explizit gesucht. Vielleicht hat sie gehofft, für ihr Tun einmal im Jenseits belohnt zu werden. Aber sicherlich hat sie es getan, weil sie der tiefen Auffassung war, man müsse den Armen und Kranken helfen. Spricht das nicht gegen meine These, dass wir Dinge immer nur wegen einer Belohnung tun? Untersuchungen mithilfe sogenannter bildgebender Methoden, mit denen man in das Gehirn von außen hineinschauen kann, zeigen, dass ein Mensch, der altruistisch-selbstlos handelt, in seinem Gehirn eine Belohnung in Form des Ausstoßes hirneigener Drogen, sogenannter endogener Opioide erlebt, die in ihm ein Gefühl der Freude, des Glücks und der großen Zufriedenheit erzeugen. Solche Menschen sagen denn auch: es macht mich glücklich, anderen zu helfen. Sie tun das einerseits tatsächlich selbstlos, wenn man an materielle und soziale Belohnung denkt, aber sie tun das, was sie tun, auch, um an das Wohlgefühl zu gelangen, also den Kick der endogenen Opioide.

Obwohl ich sicherlich nicht jeden Funktionsträger des Kommunalverbundes mit Mutter Teresa vergleichen kann und will, so wünsche ich doch, dass Sie alle zumindest manchmal bei Ihrer verantwortungsvollen Arbeit Ihre Portion hirneigener Opioide erhalten und berichten können, dass Ihre Arbeit Ihnen Spaß macht. Dem Kommunalverbund wünsche ich weitere 25 erfolgreiche Jahre – natürlich mit dem nötigen Realismus!

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