Blutkrone Simone Wertenbroch Historischer Krimi

Alle Rechte, insbesondere auf digitale Vervielfältigung, vorbehalten. Keine Übernahme des Buchblocks in digitale Verzeichnisse, keine analoge Kopie ohne Zustimmung des Verlages. Das Buchcover darf zur Darstellung des Buches unter Hinweis auf den Verlag jederzeit frei verwendet werden. Eine anderweitige Vervielfältigung des Coverbildes ist nur mit Zustimmung der Coverillustratorin möglich.

www.net-verlag.de Erste Auflage 2013 © net-Verlag, 39517 Cobbel © Coverbild: Indihex Covergestaltung: Maria Weise Lektorat: Miriam Steinröhder Printed in Hungary ISBN: 978-3-944284-07-1

Für Raimund – den Bezwinger aller Hindernisse

Inhaltsverzeichnis

Vorwort: Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel

7 1: Königliche Langeweile 2: Heimliche Leidenschaft 3: Geschenke… 4: Burg Gutenstein 5: Schockstarre 6: Der Schein 7: Schachmatt 8: Indizienprozess 9: Die Bankrotterklärung 10: Bilanziertes Elend

Nachwort Über die Autorin Buchempfehlungen

9 17 25 28 33 38 52 63 72 77

83 88 89

Vorwort:

Ludwig der Bayer und Friedrich der Schöne von Österreich lebten im 14. Jahrhundert nach Christus. Ihre Beinamen verraten sowohl Wohnort als auch Wirkungskreis. Familienverhältnisse, Kinder und Tragödien hingegen entspringen der »blühenden Fantasie« der Autorin. Folglich halten Sie, liebe Leser/innen, keinen Tatsachenbericht in Ihren Händen, sondern einen Roman. Im Nachwort bieten sich dem geschichtlich Interessierten ein paar Fakten zum Leben und Wirken der beiden Könige. Mein Roman ist vom Realen inspiriert - einer Zeit, in der (noch) ein Zauber den Dingen innewohnte ...

Kapitel 1: Königliche Langeweile

»Verfluchte Krone!« Ludwig feuerte das Edelmetall in die Ecke. Hermelin und Zepter flogen hinterher. Er bestand darauf, sich selber anzuziehen. Wenige Male im Jahr gönnte er sich eine Pause von seinen Pflichten: Gesetzen und Steuern. Die Querelen mit Friedrich laugten ihn aus, die diplomatischen Bemühungen – ein Minenfeld. Wenn der weiter auf sein Recht pocht, dann … Der Tag ist viel zu schön, um an Krieg zu denken, urteilte Ludwig und betrachtete seine Aufmachung im polierten Metall seines Silberspiegels. Das beige Hemd steckte er locker in die braune Hose, die auf Kniekehlenhöhe gebunden, von erdfarbenen, wadenhohen Socken abgelöst wurde. Diese wiederum mündeten in schmalen, braunen Schuhen. Ludwig band sich einen Riemen um die Taille und setzte eine Kapuze mit Schulterstück auf – selbstverständlich alles in Braun. Etwas fehlt, sinnierte er und verteilte dermaßen vergnügt Ruß auf Gesicht und Kleidung, als handelte es sich um das Elixier des ewigen Lebens. Zufrieden mit dem Ergebnis legte er den Spiegel zurück auf die Kommode, von der er ihn genommen hatte. Liebend gerne tauschte der König Purpur und Krone gegen die verschlissene Kleidung seines Dieners. Ludwig verspürte den unbändigen Drang zu singen und zu tanzen. Im Eilschritt preschte er schnurstracks ins Dorf, gefolgt von seinem Hofnarren, der ihm stets wie ein treuer Schatten auf dem Fuße folgte.

Trotz des Machtgefälles verband die beiden Männer eine langjährige Freundschaft. Zusammen meisterten sie Ludwigs Krönung ebenso würdevoll wie den Tod ihrer geliebten Frauen. Über die Zeiten hinweg hatten die beiden Männer gelernt, dem anderen eine Stütze zu sein: bedingungslos. »Hoheit müssen aufpassen, wo Hoheit hintreten!«, warnte der Narr und schüttelte seine rot-gelb gestreifte Kappe mit den tausend Glöckchen. »Wie häufig muss ich dir noch sagen, dass ich bei diesen Ausflügen nur Ludwig bin. Nichts mit Eure Hoheit. Schlicht: du und Ludwig! Ich will unerkannt flanieren. Verstanden?« Der König gähnte. »Ja, Eure Hoheit!«, spöttelte Sibido, schlug beide Hände vor den Mund, neigte den Kopf zur Seite und ließ die Augen rollen, was bei seinem Silberblick zum Schreien komisch aussah. Ludwig seufzte und stapfte weiter; der Narr hinter ihm her. Das ist das erste Mal seit Jahren, dass mir die königlichen Lippen ein Lachen verweigern. Bin ich alt? Verstehe ich mein Handwerk nimmer? Oder liegt s an diesem depperten Friedrich?, sinnierte der um seinen Lohn Betrogene vor sich hin und übersah eine faustdicke Baumwurzel. Sibido kullerte wie ein Äffchen den kleinen Hang hinunter, mitten in den Marktstand einer Bäuerin. Kartoffeln, Tomaten und Eier besudelten ihn von oben bis unten. Alle lachten – bis auf einen. Der verschwand eiligst im Getümmel und ging seiner Lieblingsbeschäftigung nach. Er zückte seinen Block und skizzierte das Geschehen auf dem Markt-

platz, während er die Beine über die Brunnenmauer baumeln ließ, auf der er saß. Für dergleichen Tollpatsch-Notfälle hatte der Herrscher dem Narren genügend Geld gegeben, um den Schaden zu begleichen, den der ständig und überall anrichtete. Im ganzen Königreich kannte man Sibido als den größten Pechvogel aller Zeiten. Selbst das Butterbrot fiel ihm jedes Mal auf die beschmierte Seite. Hätte der König darauf gewettet, dass das passierte, hätte das Gold kaum in seine Schatzkammer gepasst. Sibido gesellte sich zu Ludwig und schaute ihm über die Schulter. Der König zeichnete Landschaften wie ein junger Gott, aber das sollte ein Geheimnis bleiben. Bei seinem Leben musste Sibido dem Herrscher schwören, nie einer Menschenseele von dieser Leidenschaft zu berichten. Der Narr mochte manchmal verhuscht und wahnsinnig wirken, aber bei ihm ruhte ein Geheimnis sicherer als in der Alten Veste. Fahrendes Volk passierte den Marktplatz und belustigte die Menschen gegen ein paar Heller mit Musik und Worten. In kurzer Zeit bildete sich ein Meer aus Köpfen, das sich um einen Mann scharte. Aus tausend Mündern johlte es. Wahrscheinlich parodiert der Menschen, mutmaßte Ludwig. Bin gespannt, was der kann. Achtlos legte er seinen Skizzenblock zur Seite, um ebenfalls dem Witz dieses Vagabunden zu lauschen. Sibido riss die Zeichnungen hastig an sich. Verbarg sie unter seiner rot-gelb gestreiften Robe. Dann geschah, was der Narr nie für möglich gehalten hätte. Ludwig hielt sich den Bauch vor Lachen. Er japste nach Luft, sodass schnarchende Grunzlaute seinem

royalen Mund entfuhren. Ein Gebaren, für das man ihn als jungen Prinzen mit Missbilligung gestraft hätte. So ausgelassen und unbeschwert hatte Sibido seinen Freund zuletzt 1314, am Tag der Krönung, gesehen. Immerhin währte die Freude, bis Ludwig erfuhr, dass er vom Falschen am richtigen Ort geweiht worden war. Während Sibido in Erinnerungen schwelgte, kugelte sich sein bester Freund immer noch vor Lachen. Ludwig brüllte dem Vagabunden zu: »Mach den König von Bayern nach, wenn du dich traust!« Plötzlich Totenstille. Die Menschen traten beiseite und betrachteten das rußgeschwärzte Gesicht des Jecken, der es wagte, eine Karikatur des mächtigsten Mannes im Land zu verlangen. Einige tuschelten, andere machten mit Gesten deutlich, dass es sich beim Fragenden um einen Narren handeln müsse. »Willst wohl im Kerker enden?«, schimpfte eine Bäuerin. »Kein König duldet Lästerei und üble Nachrede!«, lärmte ein anderer. »Ich habe keine Angst vor dem König. Und jetzt möchte ich sehen, was du kannst!«, richtete Ludwig seinWort an den Vagabunden. Der betrachtete Ludwig eindringlich. Dann huschte kaum merklich ein leichtes Lächeln über die Lippen des Gauklers. Er nahm den Groschen entgegen, den ihm der Rußgeschwärzte hinhielt. »Der Schöne Friedrich ist mir ein Dorn im Auge, aber ich spiele meinen wichtigsten Trumpf nicht aus, weil ich menschenscheu bin. Niemand weiß, wie ich

aussehe. Da ist es kaum verwunderlich, wenn das Volk dem Schönen statt mir, dem Unsichtbaren, folgt. Und wenn ich mich doch einmal unter die Normalen mische, gebe ich mich bestimmt nicht zu erkennen, weil keiner sehen soll, dass ich lieber Künstler als König bin. Ich könnte die Welt regieren, beschränke mich aber lieber auf die Alte Veste und meinen Skizzenblock. Meine Geschäfte lasse ich von einem Narren führen.« Ludwig lachte schallend, aber das Volk zerstreute sich in alle Richtungen. Man hörte hier und da: »Seine bestenWitze hat er bereits verschossen.« »Nie im Leben ist der König ein Künstler«, zeterte eine Bäuerin. »Und von einem Narren lässt der erst recht nicht seine Regierungsgeschäfte lenken. Unrealistisch!«, tadelte ein Zimmermann. »Das wäre so, als würde ich einen Trinker aufs Dach steigen lassen!« »Das würde ich nie tun, wenn ich er wäre!«, grölte ein anderer. Ludwig trat an den Vagabunden heran und raunte: »Du gefällst mir. Hast du einen Augenblick Zeit?« Der Gaukler lächelte und nickte. Sie marschierten in Richtung Alte Veste, der Narr folgte den beiden in einigem Abstand. »Hättest du Lust, für mich zu arbeiten?«, platzte Ludwig unvermittelt heraus. »Welche Tätigkeit soll ich für Eure Hoheit erledigen?«, erkundigte sich der Vagabund. »Woran hast du mich erkannt?«, staunte der König und blieb stehen. Der Narr holte auf und gesellte sich zu ihnen.

»Ihr habt einen stolzen, aufrechten Gang, und Eure Schritte messen mehr als eine Armspanne. Ich habe Euch beobachtet, als Ihr auf dem Brunnen saßet. Ihr hieltet den Stift würdevoller als jeder Künstler, so, als ob Ihr lesen und schreiben könntet – und Diener sind Analphabeten. Außerdem verriet Euch der Blick Eures Hofnarren, der Euch anhimmelt wie einen Gott. Wollt Ihr mehr hören, Eure Hoheit?«, kokettierte der Vagabund mit seiner Menschenkenntnis und studierte die Mimik des Königs. Drei Sekunden verstrichen, bevor Ludwig die Sprache wiedergefunden hatte. Seiner Vornehmheit verdankte er es, dass sein Unterkiefer schnell wieder den Weg zurück nach oben fand, wo er hingehörte. »Du bist ein wahrer Meister deines Faches. Deine Menschenkenntnis ist exzellent. In der Tat habe ich eine Schwäche für Narren als Berater. Sie wagen es, Dinge zu sagen, die andere selbst unter Androhung von Folter oder im Traum nicht von sich gäben. Komm an meinen Hof! Ich will dich königlich für deine Dienste entlohnen!« Der Vagabund zögerte. Seine Stirn kräuselte sich, als erwog er, ob dies eine Falle oder eine gute Idee war. »Lasst ihn! Vielleicht hat er andere Pläne. Das freie Leben will er bestimmt nicht gegen Burgmauern eintauschen. Er braucht den Wind im Haar, die Stille der Natur und ständig wechselnde Eindrücke. Stimmt s?« »Schweig!«, fuhr der König Sibido unerwartet barsch an und wandte sich wieder dem Vagabunden zu. »Überleg s dir! Komm nach Sonnenuntergang zur Alten Veste, wenn du Interesse hast!«

Der Vagabund nickte, lächelte den König wissend an und mischte sich wieder unters Volk, als hätte dieses Gespräch niemals stattgefunden. »Wollt Ihr tatsächlich diesen Landstreicher aufs Schloss bitten? Wer weiß, was der im Schilde führt?! Ich habe ein schlechtes Gefühl dabei«, merkte Sibido zögerlich an. »Du hast nur Angst vor der Konkurrenz. Weil er witzig ist und du dich nur noch darum bemühst …« »Wie Ihr meint, Hoheit. Ich habe Euch gewarnt. Der Mensch bringt Unglück. Er ist viel zu gebildet für einen Vagabunden. Findet Ihr nicht?« Sibido schwieg beleidigt. »Du findest an jedem etwas, den ich interessant finde! Wenn ich einen Wahrsager bräuchte, hätte ich keinen Narren eingestellt!«, lachte der König eine Spur zu selbstsicher und klopfte Sibido mit seiner Pranke auf den Rücken. Geschwind schlichen sie im Schutz der Dämmerung durch das Gittertor in die Alte Veste. Niemand hatte ihre Abwesenheit registriert, bis auf eine. Sie löschte das Herdfeuer in der Küche und rannte wie der Wind. Der Duft von frisch gebackenem Gebäck zog verführerisch durch den Hof. Sibido verabschiedete sich vom König und schlug den Weg zu den Baracken ein. In Gedanken versunken rekapitulierte er den Tag mit seinem königlichen Freund. Was, wenn der Vagabund das Angebot annimmt? Dann bin ich überflüssig. Hastig schob er die düsteren Gedanken beiseite, während er sein Schlafgemach erreichte. Ludwig näherte sich, angezogen vom himmlischen Geruch der Plätzchen, der hölzernen Küchen-

tür mit den schmiedeeisernen Beschlägen. Sein Schrei zerriss die Dunkelheit. Ludwig betrachtete panisch die Tür, in der ein brennender Pfeil steckte. Zehn Zentimeter neben seinem Kopf wippte er auf und ab, als wäre nichts. Der Schütze muss ein Profi sein. Wenn er gewollt hätte, wäre ich tot, blitzte es in Ludwigs Kopf auf. Dann brach er in hysterisches, unheilvolles Gelächter aus. Mit zittrigen Händen löschte er die Flammen und löste das Seidenband, das an der Befiederung des Pfeils festgebunden war. Seine Augen wurden immer größer, als er die Botschaft im Schein der Laterne las.