Bildung und Anerkennung

1 Micha Brumlik Bildung und Anerkennung “Nur wolle man ja nicht ..glauben, daß der Mensch erst jenes lange und mühsame Raisonnement anzustellen habe,...
Author: Fanny Koch
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1 Micha Brumlik

Bildung und Anerkennung “Nur wolle man ja nicht ..glauben, daß der Mensch erst jenes lange und mühsame Raisonnement anzustellen habe, welches wir geführt haben, um sich begreiflich zu machen, daß ein gewisser Körper ausser ihm einem Wesen seines Gleichen angehöre. Jene Anerkennung geschieht entweder gar nicht, oder sie wird in einem Augenblicke vollbracht, ohne dass man sich der Gründe bewußt wird. Nur dem Philosophen kommt es zu, Rechenschaft über dieselben abzulegen.“1 Anders als man vielleicht glauben möchte, stammt diese Bemerkung nicht von dem als Anerkennungstheoretiker par excellence bekannten Hegel,

sondern

wirkenden

von

Denker

zurückkomme,



will

philosophischen,

einem

anderen,

doch

ich

mich

dazu

freilich

später

zunächst

bildungstheoretischen

in

mehr.

der

derselben Bevor

ich

grundlegenden

Fragestellung

Epoche darauf

bildungs-

zuwenden,

die

ich unter dem Titel „Allgemeinbildung“ verhandele(1), um dann einige Annahmen

der

hegelschen

Bildungsphilosophie

im

engeren

Sinne

zu

skizzieren (2).In einem weiteren Schritt will ich dann skizzieren, was

der

hegelschen

Philosophie

für

eine

aktuelle

Theorie

der

Allgemeinbildung zu entnehmen ist, (3), um abschließend eine zwar ebenfalls idealistische, aber evtl. doch einschlägigere Theorie der Anerkennung vorzustellen. 1.Was heißt heute „Allgemeinbildung?“ Was „Allgemeinbildung“ heute heißen kann, ist heute nicht nur ob der im

engeren

Sinne

bildungspolitischen

Lage

schwer

zu

beantworten,

sondern auch einer Theorieentwicklung wegen, die den Begriff bereits Mitte er 1960er Jahre für obsolet hielt. Zwar ging es Theodor W. Adorno in seiner berühmten Studie zu einer „Theorie der Halbbildung“ nicht um das Problem der „Allgemeinbildung“, sondern lediglich um die Frage, ob unter den gegebenen gesellschaftlichen Umständen einer verwalteten exponentiell

Welt,

eines

wachsenden,

Wissenszuwachses

und

monopolistischen nur

noch

eines

zur

Kapitalismus,

eines

fragmentiert

wahrnehmbaren

Industrie

verkommenden

Kulturbetriebs der altbürgerliche Begriff der „Bildung“ überhaupt 1

J.G. Fichte, Grundlage des Naturrechts nach Principien der Wissenschaftslehre, in: I.Fichte (Hg.) Fichtes Werke III, Zur Rechts- und Sittenlehre I, Berlin 1971

2 noch

einen

Halt

verabschiedete zugleich

in

mit

einen

der

dem

Realität

haben

altbürgerlichen,

normativ

gehaltvollen

könne. noch

Begriff

Adorno

autonomen von

selbst Subjekt

„Bildung“

und

setzte an dessen Stelle, wo er selbst wähnte, normativ bleiben zu sollen,

eien

sozialpsychologisch-politischen

„Mündigkeit“

als

selbstreflexiv

der

den

Fähigkeit,

Zumutungen

Begriff

weitgehend

eines

von

autonom

totalitär

und

werdenden

gesellschaftlichen Zusammenhang widerstehen zu können. Mit dem auch immer inhaltlich bestimmten Begriff einer „Allgemeinbildung“, also einer

„allgemeinen

Bildung“

die

doch

wesentliche

Wissensbestände

sowie Verständnisformen einer bestehenden Gesellschaft umfasst, hat dies nichts mehr zu tun. Die

Systeme

höherer

Bildung

wie

weiterführende

Schulen

oder

Universitäten haben sich derzeit einem Wettbewerbsdruck ökonomischer Art

ausgesetzt

wie

nie

zuvor.

Mit

der

politisch-rechtlichen

Einebnung von Staatsgrenzen wurde das Angebot höherer Bildung von einem

staatlichen

Auftrag

der

Daseinsvorsorge

und

der

Humankapitalproduktion zu einem Markt nachfragbarer Dienstleistungen zum individuellen Erwerb wissenschaftlicher Kompetenzen zum Zweck ökononomischer Wertschöpfung im globalen Raum. Dem entspricht die in der

Bundesrepublik

Bundesländern

und

Hochschulwesens

von

seit

zehn

allen

Parteien

von

einem

Jahren

vollzogene,

betriebenen

Sammelsurium

in

allen

Umwandlung

des

körperschaftlicher

Institutionen mit mehr oder minder großer Autonomie in managerial geführte Anstalten mit Haushaltshoheit und selbst erstellten, mit Regierungen

und

Parlamenten

abzustimmenden

Leistungspaletten.

Institutionen höherer Bildung gehören insgesamt in gleichem Maß, in ihrer

Feinstruktur

Wissenschafts-

und

Wissenschaftssystem wahr/unwahr

beides

Unwahrheiten

dem

zum und

in

alleine

von

an

Schnitt:

Während

dem

sich

das

Bildungssystem

Versagen.

hochrangige

produzieren,

Ausmaß

Leitunterscheidung

das

oder

Auch

an.

der

folgt

Leistung

Fehler

unterschiedlichem

Bildungssystem

orientiert,

Leitunterscheidung kommt

jedoch

derweil

Keineswegs Wissenschaft auch

von der jedoch kann

misslungene

Studienbiographien generalisierbare Einsichten hervorbringen können.

3 Die entstehende Wissensgesellschaft und ihre politischen Exekutoren mahnen

derzeit

verstärkte

Investitionen

in

jene

Bereiche

der

Wissenschaft an, die aller Wahrscheinlichkeit nach zu profitablen Industrien und Technologien führen werden. Demgegenüber scheint die Frage

nach

allgemeiner

Bildung

verblassen. Bei alledem wird die Universitäten

als

besonders

im

Medium

der

Wissenschaft

zu

Organisationsform angelsächsischer

effizient

und

wirtschaftsfreundlich

angesehen und dabei immer stärker, wenn auch halbiert, nachgeahmt. Übersehen wird dabei zum Beispiel, dass im angelsächsischen System mit

der

dem

Collegestufe

professionsbezogenen

ein

allgemeinbildendes

Hauptstudium Element

sehr

vorgeordneten viel

stärker

institutionalisiert ist, als es in Deutschland mit dem zunehmends an Prestige und Gehalt einbüßenden Abitur noch vorliegt. Es ist kein Zufall, dass gerade in den USA einer „Neohumboldtianisierung“ der Colleges das Wort geredet wird. Das

heißt

für

das

deutsche

Bildungswesen:

Mit

einer

sinnvollen,

durchgängigen Übernahme von angelsächsisch inspirierten B.A. und M.A Studiengängen müsste die Schulzeit verkürzt und an den Universitäten ein mindestens vier Semester währender allgemeinbildendes Studium in Richtung

auf

das

B.A.

eingerichtet

werden,

während

die

Fachhochschulen unter Ausbau der Wissenschaftlichkeit ihrer Fächer fortgeschrittenen,

professionsbezogenen

Studiengängen

zugeschlagen

werden. Derzeit, zehn Jahre nach Beginn der sog. „Bolognareformen“ scheint sogar das politische Establishment allmählich einzusehen, daß die Einführung modularisierter, dreijähriger B.A. Studiengänge noch

nicht

einmal

dem

erklärten

Ziel,

einer

akademisch

getönten

„Beschäftigungsfähigkeit“ (employability) genutzt hatte – weswegen derzeit, im Herbst 2009 allerorts von einer „Reform der Reform“ gesprochen wird. Infrage steht dabei auch, ob und in welchem Maß im Zuge dieser Reform der Reform

allgemeinbildende Elemente zumindest

in den Grundstudien Eingang finden werden. Vor

diesem

Hintergrund

erscheint

es

sinnvoll,

einen

Blick

auf

Überlegungen zu werfen, die vor etwa zweihundert Jahren diesem Thema

4 galten. Was hieß überhaupt „Bildung“ und welche Aufgaben wurden ihr zugeschrieben? Der Begriff der „Bildung“, der in den deutschen Ländern noch im frühen

achtzehnten

biblische Quellen.

2

Jahrhundert

als

„Neuling“

galt,

verweist

auf

Jener Begriff, der im achtzehnten Jahrhundert in

den deutschen Ländern noch neu schien, hatte damals freilich eine schon

verdrängte,

hinter

sich.

drei

bis

vierhundert

Tatsächlich

wurde

Jahre

dieser

alte

Vergangenheit

Begriff

erstmals

im

dreizehnten Jahrhundert, in der deutschsprachigen Mystik, beginnend mit Eckhardt, systematisch verwendet. Bei Eckhardt und den Mystikern ging es um die Frage, in welchem Sinn Gott, Christus Eingang in die Seele

des

Menschen

findet,

ein

Vorgang,

durch

den

der

Mensch

überhaupt erst zum wahren Ebenbild Gottes wird bzw. ob er überhaupt nicht nur dort zu finden sei. Im Buch Genesis wird ja berichtet, daß der Mensch nach seinem Bilde geschaffen wird (Gen.1,26) Die Ein – Bildung Gottes in die menschliche Seele vollendet also in jedem einzelnen Menschen den Schöpfungsakt aufs Neue. Der Mensch als imago Gottes wird zu dem, was er ist, nur durch genau diese imagination. Diese, der Theologie entsprossenen Begriffe „Geist“ und „Bildung“ haben in der Philosophie des deutschen Idealismus eine systematische Begründung erhalten und stellen heute eine Tradition dar, die zwar noch erinnert, aber nicht mehr wirklich ernst genommen wird – zumal nicht in einer Erziehungswissenschaft, die zunehmends missvergnügt zur

Kenntnis

„Bildung“

um

nehmen einen

muß,

daß

Begriff

es

sich

handelt,

zumindest

bei

der

solcher

als

Begriff nur

der im

deutschsprachigen Raum bekannt ist, für den es in anderen Sprachen keine angemessene Übersetzung gibt und der – wie das heute heißt – international weder sichtbar noch anschlußfähig ist. Daher ist es unerlässlich,

sich

einiger

Grundannahmen

der

Bildungstheorie

deutschen Idealismus zu versichern. 2.Hegel 2

Vrgl. den Eintrag „Bildung“ in , J. Ritter (Hg.) Historisches Wörterbuch der Philosophie, Band 1, Darmstadt 1971, S. 921 - 937

des

5 Eine

der

menschlichen,

individuellen

wie

kollektiven

Entwicklung

gemäße Theorie der Anerkennung wird sich zu Recht vor allem auf die von Hegel in der „Phänonomenologie des Geistes“3 entfaltete Theorie des Kampfes um Anerkennung sowie die von ihr geprägte Theorie der Bildung beziehen.4 Dabei kann sie sich auf Arbeiten stützen, die den „Kampf

um

Grammatik

Anerkennung“ sozialer

als

Sammelbegriff

Konflikte“

für

auf

eine

der

„moralische

Basis

neuerer

sozialwissenschaftlicher Überlegungen rekonstruieren.5 Die

Frage

der

Bildung

stellt

sich

bei

einem

der

maßgeblichen

Vertreter eines idealistischen Bildungsbegriffs, bei Hegel, dann – analog zum Bildungsbegriff der deutschen Mystik – als die Frage danach, wie sich der an und für sich seiende Geist der Sittlichkeit in den einzelnen Menschen, das einzelne Subjekt ein – bildet. Unter Sittlichkeit, unter dem Hegel

der

Selbstbewusstsein des Geistes, versteht der

„Phänomenologie

des

Geistes“,

das

geteilte

normative

Wissen der Individuen über die Formen ihres Zusammenlebens. Hegel bezeichnet

die

Form

dieses

Subjekts

in

der

Phänomenologie

als

„Individualität“ und widmet ihr in dem Kapitel mit dem rätselhaften Titel „Das geistige Tierreich und der Betrug oder die Sache selbst“ komplexe Analysen. Von besonderem Interesse ist dabei, wie Hegel das Verhältnis von Anlage und Umwelt sieht: Hegel spricht im Falle der einzelnen

Individuen

von

besonderen

Fähigkeiten,

von

„Talent,

Charakter usf.“6 Grundsätzlich unterliegt die von Hegel analysierte „Individualität“ einer zweckgerichteten Struktur und zwar so, daß sie das, was sie sein soll und kann, erst durch ihr Handeln erfahren kann,

während

ihr

Handeln

umgekehrt

einem

vorausgesetzten

Zweck

unterliegt. Im Ergebnis des Handelns, in dem, was Hegel – womöglich mit einer Metapher aus dem Bereich der Kunst – als „Werk“ bezeichnet wird

die

Individualität

Wirklichkeit

und

damit

zum

Fokus

des

Interesses anderer Personen; darin, daß die Individualitäten sich angeblich auf die Sache, auf das Werk beziehen und nicht auf ihr je 3

G.W.F. Hegel, Die Phänomenologie des Geistes, Ffm 1970 L. Siep, Der Weg der Phänomenologie des Geistes,. Ein einführender Kommentar zu Hegels „ Differenzschrift und „Phänomenologie des Geistes“, Ffm. 2000, S. 101 – 106; 189 - 206 5 A.Honneth, Kampf um Anerkennung. Zur moralischen Grammatik sozialer Konflikte, Ffm. 1992 6 Hegel, Phänomenologie, S. 296 4

6 eigenes Interesse, sich zu entäußern und zu objektivieren, wird ein Verhältnis

sichtbar,

in

dem

die

Individuen

ihre

Individualität

verleugnen, ein Verhältnis, das damit als „Betrug“ gekennzeichnet werden muß. Indes: die „Phänomenologie des Geistes“ enthält noch keine

Auskünfte,

wie

genau

die

einzelne

Individualität

zu

jener

wird, die sie schließlich ist, nämlich, wie ihre Talente und Anlagen sich

mit

jenem

allgemeinen

Interesse

zusammenschließen,

daß

dann

später zum werkgerichteten Handeln führt. Dieser Frage widmete sich Hegel erst, als er 1808 Gymnasialprofessor des

Nürnberger

Ägidiengymnasiums

wurde.

In

den

dort

zu

unterschiedlichen Anlässen gehaltenen, so genannten Gymnasialreden, sieht

sich

unterstellen

der

Philosoph,

musste,

daß

der

u.a.

noch

in

ihm

in

der

und

in

„Phänomenologie“

seinem

Wissen

der

absolute Geist zu sich selbst gekommen sei, und der mithin aus einer Beobachterperspektive

heraus

urteilte,

nunmehr

in

eine

Teilnehmerposition versetzt; in die Position eines Individuums, das mit seiner Tätigkeit daran mitzuwirken hatte, daß andere, jüngere zu ihrer

Individualität

finden

und

damit

das,

was

in

der

„Phänomenologie“ als „Geist“, genauer als „sittliche Wirklichkeit“ bezeichnet wurde, zu erhalten. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass „Bildung“

für

Hegel

intergenerationalen

auch

immer

Vermittlung

mehr

von

als

nur

Wissen

und

ein

Prozeß

Erfahrungen

der ist,

nämlich jener durch Kampf und Entfremdung gekennzeichnete Prozeß, in dem der Weltgeist zu sich selbst kommt. Gleichwohl:

Ohne

an

dieser

Stelle

historischen

Erziehungswissenschaft

auf zu

die

stark

bisher

in

der

vernachlässigte

Schultheorie Hegels einzugehen, die nicht nur ein differenziertes Verhältnis von Elternhaus und Schule sowie deren unterschiedlichen Funktionen bietet, sondern auch auf instruktive Weise das Verhältnis von Disziplin und Eigeninitiative so ansetzt, daß „sie wesentlich mehr Unterstützung als Niederdrückung des erwachenden Selbstgefühls, eine Bildung zur Selbständigkeit sein müsse“

7

, sei im folgenden der

Kern von Hegels Theorie der Bildung von Individuen als Individuen vorgestellt. In der Abschlußrede zum Schuljahr 1811 thematisiert er

7 den

schulischen

Bildungsprozeß

als

einen

dialektischen

Prozeß

zwischen der wirklichen Welt und der Jugend: „Die wirkliche Welt ist ein festes, in sich zusammenhängendes Ganzes von Gesetzen und das Allgemeine bezweckenden Einrichtungen; die Einzelnen gelten nur, insoweit sie diesem Allgemeinen sich gemäß machen und betragen, und es kümmert sich nicht um ihre besonderen Zwecke, Meinungen und Sinnesarten.“8 Damit

ist



zumindest

im

Grundsatz



das

Prinzip

einer

idealistischen Theorie der Allgemeinbildung benannt, wobei deutlich wird,

das

alles

darauf

ankommt,

wie

das

hier

beschworene

„Allgemeine“ bestimmt. Ohne auf Details einzugehen, darf aber gesagt werden, ist,

daß

Hegels

nämlich

ermöglicht, rechtlichen

eine daß

„Allgemeines“

die

sittlich-politische

Individuen,

Bedingungen

die

in

wirklich

gewordene

Ordnung,

ihren

Freiheit

Namen

die

es

Vernunft effektiv

verdienen,

zusammenleben

unter können.

Soziologisch ist damit – wenn man so will – die Intention der etwa von

Parsons

ausgeführten

Sozialisationstheorie normative

Ordnung

strukturfunktionalistischen

vorweggenommen:

erzeugt

sich

in

eine

jeweils

gewissen

bestehende

Schwankungsbreiten

(abweichendes Verhalten ist in einem gewissen Ausmaß unvermeidlich) genau

jene

Individuen,

die

ihre

Anforderungen

erfüllen.

Hegels

Betrachtung im Jahre 1811 ist indes durchaus dynamisch, wenn er unmittelbar anschließt: „In dieses System der Allgemeinheit sind aber zugleich die Neigungen der Persönlichkeit, die Leidenschaften der Einzelheit und das Treiben der materiellen Interessen verflochten; die Welt ist das Schauspiel des Kampfs beider Seiten miteinander. In der Schule“ – so stellt Hegel hoffend fest – „schweigen die Privatinteressen und Leidenschaften der Eigensucht; sie ist ein Kreis von Beschäftigungen, vornehmlich um Vorstellungen und Gedanken...“ 9, womit sie auf ein bestimmtes Ergebnis zielt, nämlich: “Was durch die Schule zustande kommt, die Bildung des Einzelnen, ist die Fähigkeit derselben, dem öffentlichen Leben anzugehören“10 die außer der Schule fallende Anwendung von Wissenschaft und Geschicklichkeit ist ihr wesentlicher Zweck. Vor allem aber sind beide in der Schule als lediglich vermittelnder Funktion nur 7

G.W.F. Hegel, Nürnberger und Heidelberger Schriften, Werkausgabe Bd. 4, Ffm.1970,, S. 350 A.a.O. S. 352 9 A.a.O. S. 351 10 A.a.O. 8

8 insofern von Bedeutung als sie, wie Hegel ausdrücklich unterstreicht, „als sie von diesen Kindern erworben werden, die Wissenschaft wird darin nicht fortgebildet, sondern nur das Vorhandene….“11 Schule, das ist für Hegel der prozessierende Ort der Konfrontation des Fertigen mit dem Unfertigen: „Wenn aber der Inhalt der Sache, der in der Schule gelernt wird, etwas längst Fertiges ist, so sind dagegen die Individuen, die erst dazu gebildet werden, noch nicht etwas fertiges, es kann diese Vorarbeit, die Bildung, nicht einmal vollendet, nur eine gewisse Stufe erreicht werden.“ 12

Bildung,

zumal

die

Bildung

der

Individuen

stellt

damit

nichts

anderes dar als jenen durchaus auch konflikthaften Prozeß, in dem die einzelnen Individuen auf das Niveau dessen gebracht haben, was sich

als

der

„Geist“

jeweiligen

„Volkes“,

normativen

Ordnung

eines in

als

-

wie

das

kognitiven wirklich

bei

Hegel

noch

Wissensbeständen

manifestiert.

Ob

heißt

und

und

wie

-

einer die

Individuen selbst an deren Veränderung wesentlich beteiligt sind, darüber ist jedenfalls aus den Gymnasialschriften nichts zu erfahren – auch die von Hegel geforderte Erziehung zur Selbständigkeit, die darauf zielt, daß die Jugend „frühe gewöhnt werde, das eigene Gefühl von Schicklichkeit und den eigenen Verstand zu Rate zu ziehen“13 stellt einen Fall von Bildung als Anpassung dar – und zwar einfach deshalb, weil das von Hegel präferierte Staatswesen, nämlich die auf bürgerlichem

Eigentum

beruhende

konstitutionelle

Monarchie

eigenständig urteilender und handelnder Bürger bedarf. Zum Problem und der Frage, ob und wie ggf. der Bildungsprozeß der Individuen seinerseits den jeweils wirklichen Geist formt oder auch verändert, scheint sich – sieht man vom Hegel der Jugendschriften ab – in seinem reifen Werk keine Spur zu finden. 3. Hegelsche Allgemeinbildung Hegels

politische

Theorie

mit

ihrer

Präferenz

einer

konstitutionellen Monarchie und einer beinahe ständisch aufgebauten Gesellschaft, 11

A.a.O. A.a.O. 13 A.a.O. S. 351 12

entspricht

den

tatsächlichen

gesellschaftlichen

9 Entwicklungen

in

keiner

Weise



in

Frage

steht,

ob

seine

Grundintention, daß „allgemeine Bildung“ all das enthalten müsse, was

erstens

zweitens

die

dazu

Individuen

in

die

Lage

zu

Individuen

versetzt,

bildet

als

und

sie

damit

an

einer

Individuen

politischen Ordnung der Freiheit nicht nur zu partizipieren, sondern sie durch ihr Handeln gleichsam kontinuierlich aufrecht zu erhalten, rekonstruierbar ist. Das ist dann der Fall, wenn man einsieht, daß „Allgemeinbildung“ sich nicht an der Fülle dessen orientieren kann, was derzeit von den Natur- über die Bio- und Neurowissenschaften bis hin zu reflexiven Kultur- und Gesellschaftswissenschaften, von den Künsten ganz zu schweigen, erforscht wurde und gewusst werden kann. „Allgemeinbildung“ erschöpft sich aber auch nicht in dem, was eine managerial

orientierte

Pädagogik,

die

sich

gerne

Erwachsenenbildung sowie an Programmen beruflicher bzw.

am

Konzept

des

„lebenslangen

Lernens“

an

der

Weiterbildung

orientiert,

darunter

verstanden wissen will: eher formale Kompetenzen, gelegentlich auch „Schlüsselqualifikationen“ „Teamfähigkeit“

oder

genannt,

wie

„Kompetenzen

„Lernen

des

digitaler

Lernens“,

Kommunikation“,

„Rhetorik“ o.ä. Nein,

eine

zeitgemäße

Allgemeinbildung

wird

sich

auf

bestimmte

thematische Felder beschränken und zwar auf genau jene, die die Bereiche von Gesellschaft, Geschichte und Politik ausmachen, die es den Individuen also ermöglichen, ein Leben in Freiheit zu führen: Dazu müssen sie 1.

wissen,

welche

welcher

Optionen

Ungerechtigkeiten Gefährdungen

sie

Art

und sie

die

Gesellschaft

Restriktionen, enthält,

ausgesetzt

ist

wie –

ist,

welche sie

in

der

sie

Ungleichheiten

funktioniert,

national

leben;

und

global.

und

welchen Soweit

naturwissenschaftliche Erkenntnisse, etwa ökologischer, genetischer oder informationstechnischer Art für diese Fragen – aber auch nur für diese Fragen - relevant sind, gehören auch sie zur allgemeinen Bildung 2. Als situierte Individuen in einer situierten Nation, Kultur oder auch

konfessionellen

Gemeinschaft

können

sie

sich

in

ihrer

Gewordenheit bzw. die Eigenart anderer jedoch auch nur verstehen,

10 wenn

sie

sondern

die

Geschichte

auch

Gemeinwesen

der

nicht

für

wenigstens

nur

ihre

ihres

eigenen

Gesellschaft

ansatzweise

kennen

Gemeinwesens,

bedeutsamen und

anderen

verstanden

haben.

Historische Kenntnisse vermitteln zudem eine gewisse Einsicht in die Geschichtlichkeit

auch

von

für

absolut

gehaltenen

Wertsetzungen,

eine Einsicht, die keineswegs zum Relativismus führt, jedoch vor naivem, unreflektiertem Bejahen der je eigenen Lebensform schützen kann. 3. Wirkliche Freiheit aber besteht – zumindest nach Hegel – in einer rechtlich institutionalisierten Demokratie, in der die Individuen ihren Interessen in möglichst moralisch aufgeklärter Weise nachgehen können. Daher gehört zu einer allgemeinen Bildung nicht nur die je altersgerecht präsentierte Kenntnis dessen, was Recht und was eine Demokratie durch

ist,

sondern

moralische

auch

das

Argumentation,

Einüben wie

sie

moralischer etwa

Sichtweisen

Lawrence

Kohlberg

vorgeschlagen hat, ohne dabei zu verkennen, daß eine nur sprachlich geübte moralische Argumentation ohne die Möglichkeit, im Blick auf zu

verantwortende

Folgen

zu

urteilen,

lediglich

sophistische

Wortverdreherei, nicht aber moralische Einsichten fördert. Am Ende eines

solchen

Individuen

allgemein

Strukturen

bildenden und

Prozesses

Kompetenzen

sollten

bei

mindestens

den einer

konventionellen Moral, die das in westlichen Demokratien bestehende Rechts- und Normensystem stützt, verankert sein, wenn nicht sogar Elemente einer postkonventionellen Moral, die jenseits von gesatzten und positiviertem Recht autonome Prinzipien der Moral wie etwa Kants kategorischen Imperativ einsichtig erworben hat. Die

empirische

Jugendforschung

belehrt

uns

darüber,

dass

derzeit

nicht nur die Jugend der unteren Schichten, sondern zunehmends mehr auch

die

Jugend

der

Mittelschichten

westlicher

Gesellschaften,

bedrängt sowohl von sozialen Abstiegsängsten als auch des anfangs genannten, an den Universitäten durchgesetzten Leistungsdrucks, jene Kenntnisse

und

Kompetenzen,

die

es

zu

einem

Leben

in

institutionalisierter Freiheit bedarf, preisgeben. Derzeit zeichnet sich

eine

neue

Unmündigkeit,

eine

willenlose

Bereitschaft,

Systemanforderungen zu willfahren, ab; eine Unmündigkeit, die mit

11 dem Begriff des „Autoritarismus“ und des „autoritären Charakters“ falsch charakterisiert wäre. Vielmehr passt auf diese, neuerdings zu beobachtenden Phänomene ein soziologisches Konstrukt, das erstmals in den 1950er Jahren zur Analyse der us.amerikanischen Gesellschaft entwickelt wurde. David Riesmans in seinem Buch „Die einsame Masse“ entwickelte Mensch

Begrifflichkeit

trifft

politisch

die

von

Situation

verstandenes

„außen-„

genauer.

Konzept

von

bzw.

Ein

„innengeleitetem“

im

hegelschen

Allgemeinbildung

könnte

Sinn dazu

beitragen, Individuen dabei zu helfen, Systemimperativen angstfrei und

im

Wissen

um

eine

vernünftig

gestaltete

gesellschaftliche

Wirklichkeit zu widerstehen. Wo, so werden Sie sich nun fragen, bleibt aber bei alledem der Begriff der Anerkennung?

Auf jeden

Fall: Für Hegel galt unbedingt: „Der Mensch ist, was er sein soll, nur durch Bildung.“ Im Paragraphen 387 der „Enzyklopädie“ hebt Hegel noch einmal hervor, dass jenes, das den Begriff „Geist“ zu Recht verdient,

sich

seinem

Begriffe

nach

als

„bildend

und

erziehend“

betrachtet.14 4. Hegel oder Fichte ? Eine bildungstheoretisch informierte Theorie der Anerkennung wird sich

daher

zu

Recht

vor

allem

„Phänonomenologie des Geistes“ Anerkennung

sowie

die

von

15

auf

die

von

Hegel

in

der

entfaltete Theorie des Kampfes um

ihr

geprägte

Theorie

der

Bildung

beziehen.16 Dabei kann sie sich auf Arbeiten stützen, die den „Kampf um

Anerkennung“

als

Sammelbegriff

für

eine

„moralische

Grammatik

sozialer Konflikte“ auf der Basis neuerer sozialwissenschaftlicher Überlegungen erstmals

rekonstruieren.17

gedruckten

Freilich

„Phänomenologie“

war

der

Hegel

der

1806

weder

der

erste

noch

der

einzige seiner Generation, der sich mit der Thematik der Anerkennung auseinandergesetzt hat. Damit komme ich auf das anfangs vorgetragene Zitat zurück, das noch einmal wiederholt sei: 14

G.W. F. Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften III, Ffm. 1970, S. 39 G.W.F. Hegel, Die Phänomenologie des Geistes, Ffm 1970 16 L. Siep, Der Weg der Phänomenologie des Geistes,. Ein einführender Kommentar zu Hegels „ Differenzschrift und „Phänomenologie des Geistes“, Ffm. 2000, S. 101 – 106; 189 - 206 17 A.Honneth, Kampf um Anerkennung. Zur moralischen Grammatik sozialer Konflikte, Ffm. 1992. A. Honneth hat diesen und ähnlichen Fragen erst kürzlich eine gründliche Ausarbeitung gewidmet, die hier nicht im Detail zu erörtern ist. Vrgl. A. Honneth, Das Recht der Freiheit, Berlin 2011 15

12 Indes: “Nur wolle man ja nicht ..glauben, daß der Mensch erst jenes lange und mühsame Raisonnement anzustellen habe, welches wir geführt haben, um sich begreiflich zu machen, daß ein gewisser Körper ausser ihm einem Wesen seines Gleichen angehöre. Jene Anerkennung geschieht entweder gar nicht, oder sie wird in einem Augenblicke vollbracht, ohne dass man sich der Gründe bewußt wird. Nur dem Philosophen kommt es zu, Rechenschaft über dieselben abzulegen.“18 Vor Hegel also hat sich bereits Johann Gottlieb Fichte in seiner „Grundlage des Naturrechts nach Principien der Sittenlehre“19 im Jahr 1796 dieser Frage zugewendet. Fichtes Überlegungen sind für eine pädagogische

Theorie

der

Anerkennung

in

mehrfacher

Hinsicht

von

Interesse: 1.hat

Fichte



unmittelbar

auf

verzichtet,

seine

zugleich

klarer

als

Hegel

Intersubjektivität Theorie

der



seine hin

Anerkennung

religionstheoretisch

und

Anerkennungstheorie

angelegt -

wie

und

Hegel

darauf

es

tat

-

gesellschaftsgeschichtlich

einzubetten; 2.hat Fichte ein deutliches Bewußtsein davon, daß „Anerkennung“ eine vorreflexive Gegebenheit des sozialen Lebens von Menschen ist, die die Philosophie nur nachzuzeichnen, aber nicht zu begründen hat; 3.sind bei Fichte die vorsprachlich leiblichen Aspekte dessen, was „Anerkennung“

bedeuten kann, deutlicher herausgearbeitet als bei

Hegel. Damit legt Fichte einen Ansatz vor, der vertragstheoretischen und dezisionistischen Mißverständnissen der Anerkennungstheorie für den Bereich des sozialen Lebens

- im Unterschied zur Rechtssphäre -

von Anfang an den Weg verstellt.20 4.Fichtes

intersubjektivistische

Theorie

der

Freiheit

und

der

Selbstbestimmung ist von Anfang an im weitesten Sinne „pädagogisch“. Menschliche 18

Wesen,

die

gar

nicht

anders

können,

als

J.G. Fichte, Grundlage des Naturrechts nach Principien der Wissenschaftslehre, in: I.Fichte (Hg.) Fichtes Werke III, Zur Rechts- und Sittenlehre I, Berlin 1971 19 in: Grundlage des Naturrechts nach Principien der Wissenschaftslehre, in: I.Fichte (Hg.) Fichtes Werke III, Zur Rechts- und Sittenlehre I, Berlin 1971; vgl H. Girndt (Hg.) Selbstbehauptung und Anerkennung, St. Augustin 1990;. L. Siep, Praktische Philosophie im Deutschen Idealismus, Ffm. 1992, Teil I, S.19 – 115;J. Stolzenberg, Fichtes Begriff des praktischen Selbstbewußtseins, in: W.Hogrebe (Hg.) Fichtes Wissenschaftslehre 1794.Philosophische Resonanzen, Ffm. 1995, S.71-95 20 K.-H. Ilting, Anerkennung. Zur Rechtfertigung praktischer Sätze, in: M.Riedel (Hg.) Rehabilitierung der praktischen Philosophie II, Freiburg 1974, S. 353 - 370

sich

13 wechselseitig die Fähigkeit zum freien Handeln zuzuschreiben, kommen auch nicht umhin, sich zur freien Selbsttätigkeit aufzufordern: „Die Aufforderung zur freien Selbstthätigkeit ist das, was man Erziehung nennt. Alle Individuen müssen zu Menschen erzogen werden, außerdem würden sie nicht Menschen.“21 Indem

Fichte

Subjektivität sondern

den



deutlicher

mit

guten

Angehörigen

noch

Gründen der

als

vor

nicht

Gattung

ihm

Kant

abstrakten

Mensch



autonome

Vernunftwesen,

zuschreibt

und

damit

einen normativen Begriff des Menschen postuliert, legt er zugleich eine pädagogische Anthropologie vor, die auf einem vorsprachlichen und leibbezogenen, nicht nur dezisionistischen Anerkennungsbegriff beruht.

Dieser

leibbezogene

Anerkennungsbegriff

erheischt

einen

theoretisch entfalteten Begriff vom „Menschen“, der in den letzten Jahrzehnten unterschiedlicher Gründe in den Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften entweder in die Kritik geriet oder unzeitgemäß erschien.Schließlich

erweist

sich

Fichte

als

Theoretiker

einer

Pädagogik der Anerkennung und Freiheit Aufklärung ist - so hatte es Immanuel Kant im Jahre 1783, sechs Jahre vor der französischen Revolution definiert - der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Mündigkeit sei indessen die Fähigkeit, sich seines Verstandes ohne Leitung anderer zu bedienen. Die im Jahre 1803 postum herausgegebene Vorlesung über Pädagogik hält zudem scheinbar widersprüchlich fest - daß der Mensch nur durch Erziehung Mensch werden kann. "Er ist nichts, als was die Erziehung aus ihm macht. Es ist zu bemerken, daß der Mensch nur durch Menschen erzogen wird, durch Menschen, die ebenfalls erzogen sind." 22 (I.KANT, Über Pädagogik, A 8) Beide Aussagen zusammengenommen scheinen zunächst widersprüchlich, werden aber miteinander vereinbar, wenn man festsetzt, daß überhaupt nur Menschen mündig oder unmündig sein können, daß aber nicht jedes Exemplar der Gattung Mensch im vollen Sinn bereits Mensch ist. Das Problem 21

der

Hörigkeit

oder

Aufklärung

stellt

sich

als

J.G. Fichte, Grundlage des Naturrechts nach Principien der Wissenschaftslehre, in: I.Fichte (Hg.) Fichtes Werke III, Zur Rechts- und Sittenlehre I, Berlin 1971, S. 39 22 I. Kant, Über Pädagogik, A.8

solches

14 überhaupt erst dann, wenn der Mensch zum Menschen erzogen worden ist -

womit

eine

festgelegt

Nachordnung

wäre.

Ohne

der

Aufklärung

Erziehung

hinter

keine

die

Erziehung

Menschwerdung,

ohne

Menschwerdung nicht die Fähigkeit und Möglichkeit zum Erringen oder Verfehlen andere

der

als

höchsten

höchste

menschlichen

Zwecke

aus

Fähigkeit,

Vernunft

und

nämlich

Freiheit

sich

und

heraus

zu

bestimmen. Diese bei Kant nur in der Fluchtlinie seines Denkens liegenden Konsequenzen sind von seinem Verehrer und Schüler Johann Gottlieb Fichte systematisch zu Ende gedacht worden, weswegen Fichte ebenso

als

Philosoph

der

Freiheit

wie

als

der

Philosoph

der

Erziehung gelten kann. Dabei erscheint es leichter, festzuhalten, was

Erziehung

heißen

kann

populärwissenschaftlich die

Fichte

auch

als

denn

was

gehaltenen

"Freiheit"

"Anweisung

"Religionslehre"

bedeutet.

zum

seligen

bezeichnet

hat

In

der

Leben", -

eine

Vorlesung, in der Fichte den Versuch unternimmt, das Verhältnis von individuellem Bewußtsein und dem allgemeinen göttlichen Grund dieses Bewußtseins zu demonstrieren, findet sich folgender Satz: "So lange das Ich noch durch seine ursprüngliche Selbsttätigkeit an seiner Selbsterschaffung zur vollendeten Form der Realität zu arbeiten hat, bleibet in ihm freilich der Trieb zur Selbsttätigkeit und der unbefriedigte Trieb als der heilsam forttreibende Stachel und das innige Selbstbewußtsein der Freiheit, welches bei dieser Lage der Sachen absolut wahr ist und ohne Täuschung; wie er sich aber vollendet, fällt dieses Bewußtsein, das nun allerdings trügen würde hinweg. Und ihm fließt von nun an die Realität ruhig ab in der einzig übrig gebliebenen und unaustilgbaren Form der Unendlichkeit."23 Ohne hier näher auf den systematischen Zusammenhang ,in dem dieser Satz

steht,

zentralen

einzugehen, Begriffe

Selbsttätigkeit,

von

enthält

er

Fichtes

doch

gleichsam

Denken:

Selbsterschaffung,

Ich,

in

nuce

die

ursprüngliche Trieb,

Realität,Selbstbewußtsein, Freiheit, Unendlichkeit. Freilich scheint Fichte in dieser Passage auch anzudeuten, daß eine Bornierung auf diese Größen; daß ein Bewußtsein also, sas sich selbst absolutes Ich, das ursprünglich selbsttätig ist und sich als solches selbst erschafft und gleichsam von Natur aus da-zu getrieben wird, sich als 23

Fichtes Werke V, S.514

15 frei, absolut und eben selbst erschaffen anzusehen, in der Täuschung lebt. So sehr also Fichte der Philosoph der Selbsterschaffung des Bewußtseins, der absoluten Freiheit und Autonomie des Bewußtseins ist,

so

wenig

war

er

mindestens

in

seinem

späteren

Denken

der

Auffassung, daß das Bewußtsein diesen Glaube an sich selbst und diese Fähigkeit, sich selbst zu erschaffen, sich selbst verdankt. Erst die Einsicht, daß es in und durch diese Tätigkeiten hindurch an einem allgemeinen göttliche Grund teil hat, wird ihm Beruhigung ein

seliges

Leben

in

der

Wahrheit

-

bescheren.

Derlei

Begriffe

wirken heute - im Zeitalter der Sozialwissenschaften - eigentümlich unzeitgemäß.

Wir

haben

Bewußtseinszustände

das

gelernt,

Ergebnis

von

daß

Bewußtsein

und

Lern-,Sozialisations-

und

Bildungsprozessen ist, daß Denken letzten Endes nichts anderes als ein verinnerlichtes, interaktives und kommunikatives Handeln ist, internalisierte Sprache und daß "Freiheit" sehr viel mit Spielräumen des

Handelns,

materiell-en

Lebensbedingungen

und

daher

auch

mit

bürgerlicher Ideologie zu tun hat. Indessen: das, was bei Fichte exotisch und emphatisch klingt, wird in veränderter Sprache, unter anderen

theoretischen

Ambitionen

auch

heute

Vorzeichen in

den

und

mit

anderen

systemtheoretisch

praktischen inspirierten

Sozialwissenschaften vor allem bei Niklas Luhmann unter dem Begriff der

Autopoiese

des

Bewußtseins

ebenfalls

verhandelt.

Doch

dieser

sozialwissenschaftlichen Transformation gilt die ganze Tagung und ihr will ich Einzelnen nicht vorgreifen.