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Bildung, Freisetzung und Wirkung

Inhaltsverzeichnis 9.1

Wirksame Hormonmengen der hypothalamisch-hypophysär-gonadalen Achse . . . . . . 274

Wenn wir die Regulation eines Hormons verstehen wollen, müssen wir 3 verschiedene Schritte verstehen: • seine Bildung oder Synthese • seine Ausschüttung oder Sekretion • seine Wirkung auf einen oder mehrere Rezeptoren. Die Bildung von Hormonen haben wir bei der Vorstellung der verschiedenen Hormone schon ausführlich dargestellt: Die verschiedenen Enzyme, mit denen Protein-/Peptidhormone aus einem Vorläuferprotein zurechtgeschnitten und verändert werden, die beiden Klassen der Cytochrom P450-abhängigen Monooxygenasen und der HydroxysteroidDehydrogenasen, mit denen die Steroide aus Cholesterin und den verschiedenen Zwischenstufen gebildet werden, schließlich die Hormone, die aus veränderten Aminosäuren abgeleitet werden, Melatonin und Vorstufen, Thyroxin und Trijodothyronin und schließlich die Katecholamine. Nur die Freisetzung der Steroide findet zumeist durch Diffusion durch die Zellmembran statt. Die Steroide werden also nicht verzögert freigesetzt, sondern direkt. Alle übrigen Hormone werden in den hormonbildenden Zellen zuerst einmal gelagert und erst auf Anforderung freigesetzt. Darin sind die Nervenzellen und die neurosekretorischen Zellen gleich. Neurotransmitter und Neuropeptide, genauso wie Adrenalin und Glykoproteinhormone, werden in Granula gespeichert. Die Speichergranula liegen normalerweise in der Nähe der Zelloberfläche. Fordert ein Botenstoff die Freisetzung eines Hormons, indem er an den Botenstoffrezeptor bindet, wird B. Kleine, W. Rossmanith, Hormone und Hormonsystem – Lehrbuch der Endokrinologie, DOI 10.1007/978-3-642-37092-2_9, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

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Bildung, Freisetzung und Wirkung

in der Folge dieser Rezeptor-Ligand-Wechselwirkung häufig intrazellulär Kalzium erhöht. Das induziert eine Verschmelzung von Granula- und Zellmembran. Seit kurzem weiß man, dass für dieses Verschmelzen sogenannte „SNAREs“ notwendig sind, mit deren Hilfe zwei Oberflächen, die sich eigentlich abstoßen, in Kontakt gebracht werden können1 . Wenn die Membranen von Zelloberfläche und Vesikel verschmolzen sind, wird die Innenseite des Vesikels zur Außenseite der Zelle, und der Weg der gespeicherten Hormone in die Umgebung ist frei. Die Entdeckung dieser Vorgänge führte in 2013 zum Nobelpreis. Die Freisetzung von Hormonen aus Speichergranula ist also ein aktiver Prozess. Er wird von außen durch Neurotransmitter aus Nervenkontakten, aber auch durch andere endokrine oder parakrine Botenstoffe stimuliert. Viele Hormone werden in Schüben, sozusagen pulsförmig, freigesetzt. Dazu müssen mehrere Zellen gleichzeitig zur Freisetzung gebracht werden. Die Regulation der Pulse des Gonadotropin-releasing Hormons ist abhängig vom Alter: Nach der Geburt wird die GnRH-Ausschüttung, die im Fötus noch relativ hoch war, auf fast nicht messbare Werte verringert; damit wird auch nur wenig LH bzw. FSH freigesetzt. Mit der Pubertät steigt die GnRH-Ausschüttung stark an. Da die Freisetzung aber noch nicht in regelmäßigen Pulsen erfolgt, sind erstaunlicherweise starke Schwankungen auch im Verhalten zu beobachten. In dem Moment, in dem Regelmäßigkeit auf dem Niveau von Erwachsenen eintritt, lassen die Befindlichkeitsschwankungen nach. Im Alter nimmt die Pulsrate wieder ab. Nicht nur für die weibliche Fruchtbarkeit ist die schubweise GnRH-Freisetzung unverzichtbar, auch für die männliche. Wenn durch künstliche Gabe von GnRH oder stabiler Ersatzstoffe ein konstant hoher GnRH-Spiegel hergestellt wird, hört die LH- und die FSHFreisetzung aus der Hypophyse auf und es tritt Unfruchtbarkeit ein; eine Möglichkeit der vorübergehenden Empfängnisverhütung. Bei Männern wird durch konstant hohe GnRHSpiegel die Testosteronkonzentration hochgehalten, was u. a. zur Auslösung eines Prostatakarzinoms führen kann. Die Wirkung von Hormonen erfolgt über Rezeptoren, die wir im vorigen Kapitel vorgestellt haben. Da Hormone über die Blutbahn verteilt werden, wird die Spezifität eines Hormons für ein bestimmtes Organ ausschließlich durch die Bildung des Rezeptors in spezialisierten, hormonempfindlichen Zellen hergestellt. Zellen reagieren auf Hormone nur dann, wenn sie die Rezeptoren für die jeweiligen Hormone besitzen.

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Wirksame Hormonmengen der hypothalamisch-hypophysär-gonadalen Achse

Wenn wir die Hormonmengen und Konzentrationen messen, die in Hypothalamus, Hypophyse und Zielorganen freigesetzt werden, beobachten wir eine Verstärkerkaskade: Hypothalamische Releasing-Hormone werden in picomolaren Konzentrationen freigesetzt (1 ng/l GnRH entspricht etwa 0,6 pM). In der Hypophyse werden schon μg/l freigesetzt. 1

Jena (2004).

9.1 Wirksame Hormonmengen der hypothalamisch-hypophysär-gonadalen Achse

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Im Gegensatz zu dem Dekapeptid GnRH ist LH 40fach größer, der Verstärkereffekt bei 1 μg/l freigesetztem LH ist daher „nur“ 25fach. Die Mengen an DHEA, die in der Nebennierenrinde gebildet und freigesetzt werden, bewegen sich im Milligramm-Bereich. Da DHEA nur ein relativ kleines Molekül ist, werden pro GnRH-Molekül etwa 200.000 DHEAMoleküle freigesetzt. Nehmen wir an, dass es etwa 5000 GnRH-Neuronen gibt. Von denen werden bei 6 l Blut 6 ng GnRH freigesetzt oder 3,6 pmol. 3,6 pmol sind 21 × 10 Moleküle insgesamt und pro GnRH-Neuron 4 × 10 GnRH-Moleküle. Da die Halbwertszeit von GnRH im Blut nur wenige Minuten beträgt, ist der größte Teil des pulsatil freigesetzten GnRH vor dem nächsten Puls abgebaut. Damit wieder 1 ng/l Blut erreicht werden, müssen also praktisch alle 4 × 10 Moleküle in einem GnRH-Neuron zwischen 2 Pulsen neugebildet werden. Bei einer Pulsrate von 1 Puls/2 h sind das dann 41.700 Moleküle pro Sekunde pro Zelle, die neugebildet und auf Vorrat gespeichert werden müssen. Wenn nur 0,1 ng/l GnRH freigesetzt werden, sinkt diese Zahl auf 4100 Moleküle. Die exakte Zahl ist daher mit Vorsicht zu betrachten, aber die Größenordnung ist hier von Interesse. Denn alle Moleküle müssen nach der Translation die verschiedenen Reifungsschritte durchlaufen, bevor sie gespeichert werden können. Würde man die exakte Enzymkinetik der verschiedenen Enzyme kennen, könnte man nachvollziehen, wieviele Enzymmoleküle ein GnRH-Neuron benötigt, um genügend GnRH zu bilden. Die Abb. 9.1 macht weitere Aspekte der quantitativen Endokrinologie sichtbar: Die meisten Steroidhormone liegen nicht frei vor, sondern werden entweder als Sulfatderivate reversibel inaktiviert oder von Bindeproteinen komplexiert. Da die Steroide nur intrazellulär modifiziert werden können, müssen sie sich an der hormonkonvertierenden Zelle von ihrem Bindeprotein lösen, um in die Zelle zu diffundieren. Erst dann können sie modifiziert werden. Warum sich ein Hormon vom Bindeprotein löst, ist für Androgene/Östrogene nicht bekannt. Es könnte sich allein um eine Gleichgewichtsreaktion handeln, bei der Dissoziation immer dann stattfindet, wenn in der Umgebung des Komplexes die Menge an freien Hormonen durch Konversion reduziert wird. Vom Vitamin D und seinem Bindeprotein (DBP2 ) weiß man, dass Enzyme das Bindeprotein spalten und Vitamin D freisetzen können. Ein solcher Mechanismus ist jedoch für das Steroidhormonbindeprotein nicht bekannt. Die Abb. 9.1 zeigt auch, dass der Gehalt an freien Steroiden wesentlich kleiner ist als der an komplexierten oder sulfatisierten Hormonen: Für die Östrogene und SHBG ist das Verhältnis 1 zu 49 (frei zu gebunden), für Androstendion 1 zu 24 und für DHEA und DHEA-Sulfat etwa 1 zu 1000. Außerdem werden die Hormone in stark unterschiedlicher Menge bzw. Konzentration gebildet. Das Verhältnis der Serumkonzentrationen von Progesteron zu DHEA zu Androstendion zu Östron zu Östradiol ist 0,02 : 2 : 0,001 : 0,1 : 0,0001. Die Moleküle haben alle eine fast gleiche Molmasse. Damit ist DHEA das mit Abstand am meisten freigesetzte Hormon. Das CYP17 der Nebenniererinde ist damit das vorherrschende Enzym, während die 3β-HSD, die aus Pregnenolon Progesteron bildet, deutlich weniger 2

Vitamin D bindendes Protein

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Hypothalamus

Abb. 9.1 Steroidhormonspeicher und relative Steroidmengen der HPG-Achse. Steroidhormone sind nur schwer wasserlöslich. Mit Hilfe des Steroid bindenden Proteins (SHBG) können Androgene und Östrogene transportiert werden. DHEA wird dagegen als Sulfatderivat löslich. Die Zahlen in den unterbrochenen Kreisen geben die Serumkonzentration der betreffenden freien und gebundenen Hormone in Nanogramm/Milliliter [ng/ml] an

aktiv ist. Nicht nur die Umwandlung von Androstendion in Östron durch Aromatasen vor allem in Hoden und Ovar, aber auch in Fettgewebe, Haut, Gehirn und Nebennierenrinde, sondern auch die Komplexierung mit SHBG reduzieren die Androstendionkonzentration zu einem Hundertstel der Östronkonzentration. Östron selbst ist nicht aktiv, sondern muss von der 17β-HSD in Östradiol umgewandelt werden, das von allen Sexualsteroiden mit Abstand die niedrigste Serumkonzentration aufweist, jedoch die meisten Aktivitäten zeigt. Die Abbildung zeigt auch an, dass nur Östradiol die Bildung von SHBG stimuliert, im Gegensatz zu Östron oder Androgenen; in Abwesenheit von Östradiol wegen defekter 17βHSD kommt es daher zu einem hyperandrogenen Syndrom, weil zu viele freie Androgene im Blut vorhanden sind. Die Östradiolbildung ist nicht auf die Granulosazellen oder die Sertoli-/Leydig-Zellen beschränkt, die Aromatase CYP19 kommt auch in anderen Geweben vor. In dem Maße, in dem der Östron-SHBG-Komplex durch das Blut transportiert wird, kann eine Zelle, die 17β-HSD besitzt, selbst Östradiol bilden. Die 17β-HSD Typ 1, die vor allem Östron zu Östradiol reduziert, wurde in der menschlichen Adenohypophyse und in deren Tumoren gefunden, während die bei der Maus nur in der Pars intermedia 17β-HSD Typ 1 identifiziert wurde (Peltoketo et al. (1999b); Green et al. (1999)). Allerdings wurde nicht nur die

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Aktivität gefunden, die Östron zu Östradiol reduziert. Genauso gibt es eine (in anderen Tumoren) oxidative Aktivität, mit der Östradiol wieder zu Östron inaktiviert werden kann. Möglicherweise ist es die Cofaktorverfügbarkeit, die entscheidet, ob aus Östron in der Hypophyse Östradiol gebildet wird, ob solches Östradiol von der Oxidase schnell inaktiviert wird und ob eine hemmende Wirkung auf die FSH- und LH-Biosynthese ausgeübt wird. Die einfache Vorstellung, dass in den Follikeln Östradiol gebildet wird, das in der Hypophyse FSH- und LH-Freisetzung regelt, ist zu einfach. Es ist nicht bekannt, welche Einflüsse die tatsächliche Östradiolerhöhung in der follikulären Phase des weiblichen Zyklus auf die Genexpression in der Hypophyse hat, vor allem in den gonadotrophen Zellen. Eine Hemmung der Freisetzung durch Verringerung der intrazellulären Kalziumkonzentration, mit der die Verschmelzung von FSH-Vesikel mit der Zellmembran verhindert würde, ist nicht wahrscheinlich: Die bekannten Östrogenrezeptoren ERα und ERβ sind Translationsfaktoren, die auf Genexpression wirken, nicht aber auf Signalkaskaden. Die Abb. 9.1 macht außerdem deutlich, dass Östradiol die GnRH-Freisetzung blockiert. Wie schon ausgeführt, sind Neuronen der Eminentia mediana Östrogenrezeptor positiv, und man vermutet, dass diese Neuronen die Östrogen-vermittelte Unterdrückung der GnRH-Freisetzung vermitteln.

http://www.springer.com/978-3-642-37091-5