Biblische Gemeindemodelle

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Author: Stephanie Kraus
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Wie es geht / Konzeptentwicklung als geistlicher Weg / Biblische Gemeindemodelle

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Biblische Gemeindemodelle Im Rahmen der Konzeptentwicklung kann es hilfreich sein, biblische Gemeindemodelle zu betrachten und die eigene Gemeindesituation darin zu spiegeln. Außerdem können die Gemeindemodelle eine Deutungshilfe sein, wenn es darum geht, die Ergebnisse der Analysephase zu bewerten. Diese Arbeitshilfe wurde von Prof. Dr. Knut Backhaus erarbeitet, der an der Katholisch Theologischen Fakultät der Universität München tätig ist.

DAS GEMEINDEMODELL „LEIB CHRISTI“ (PAULUS) „Wenn du ‚Leib Christi’ verstehen willst, dann höre, was der Apostel den Gläubigen sagt: ‚Ihr seid der Leib Christi’. Wenn also ihr der Leib Christi seid, dann ist euer eigenes Geheimnis auf dem Tisch des Herrn niedergelegt. Ihr empfangt euer eigenes Geheimnis. Auf das, was ihr seid, antwortet ihr ‚Amen’. Du hörst: ‚Leib Christi’, und die antwortest: ‚Amen’. Sei ein Glied am Leibe Christi, damit dein ‚Amen’ wahr sei!“ Augustinus, sermo 272 (Auszug)

1 Kor 12,4-31 4

Die Charismen (göttliche Anlagen, Gnadengaben) sind verschieden – doch es ist derselbe Geist. Und die Dienste sind verschieden – aber es ist derselbe Herr. 6 Und die Energien (Wirkkräfte) sind verschieden – Gott aber ist derselbe, der alles in allem bewirkt. 7 Einem jedem aber wird die Offenbarung des Geistes gegeben, und zwar nach dem Nutzen für das Ganze. 8 Dem einen wird vom Geist Rede voller praktischer Klugheit gegeben, dem anderen Rede voller Erkenntnis in demselben Geist; 9 dem einen Glauben in dem demselben Geist, dem anderen Heilungsgaben in demselben Geist; 10 einem anderen vollmächtige Wirkkräfte, dem anderen prophetischer Sinn; dem einen die Unterscheidung der Geister, dem anderen Arten der Zungenrede, wieder einem anderen die Deutung der Zungenrede; 11 Dies alles aber bewirkt ein und derselbe Geist, der jedem seine eigene Gabe zuteilt, so wie er will. 5

12

Denn wie der Leib eine Einheit ist und dabei viele Glieder hat, alle Glieder des Leibes – mögen sie auch viele sein – doch nur ein Leib sind, so auch Christus. 13 In dem einen Geist auch wurden wir ja alle in den einen Leib hineingetauft: Juden oder Griechen, Sklaven oder Freie. So wurden wir alle mit dem einen Gott durchtränkt. 14

Auch der Leib besteht ja nicht nur aus einem Glied, sondern aus vielen. 15 Wenn der Fuß sagt: ‚Ich bin keine Hand, also gehöre ich nicht zum Leib!’, gehört er nicht trotzdem zum Leib? 16 Und wenn das Ohr sagt: ‚ Ich bin nicht Auge, also gehöre ich nicht zum Leib!’, gehört es nicht trotzdem zum Leib? 17 Wäre der ganze Leib Auge, wo bliebe dann das Gehör? Wäre alles Gehör, wo bliebe dann der Riechsinn? 18 Nun hat Gott aber die Glieder – jedes einzeln! – mit Bedacht so im Leib zusammengesetzt. 19 Wenn aber das Ganze ein Glied wäre, wo bliebe der Leib? 20 So gesehen: viele Glieder, aber nur ein Leib! 21

So kann das Auge nicht zur Hand sagen: ‚Ich brauche dich nicht!’ oder auch das Haupt zu den Füßen: ‚Ich brauche euch nicht!’ 22 Vielmehr gilt: Gerade die Glieder des Leibes, die schwächer Konzeptentwicklung der Pastoralverbünde – Baustein der Perspektive 2014

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scheinen, sind existenznotwendig! 23 Und den Gliedern, die uns verächtlich scheinen am Leib, denen erweisen wir desto mehr Ehre; den Gliedern, die uns unanständig vorkommen, begegnen wir mit desto mehr Anstand; 24 die anständigen Glieder haben das ja nicht nötig. Nein: Gott hat den Leib so zusammengefügt, dass er den schwachen Teilen desto mehr Hochachtung gab, 25 damit keine Spaltung im Leib sei, sondern die Glieder einhellig für einander sorgen. 26 Leidet ein Glied, so leiden alle Glieder mit. Wenn ein Glied geehrt wird, so herrscht Mitfreude bei den anderen Gliedern. 27

Ihr aber seid der Leib Christi, und jeder ist Glied zu je seinem Teil.

28

So hat Gott in der Gemeinde (έκκλησία) eingesetzt: zuerst Apostel, zweitens Propheten, drittens Lehrer, dann solche mit Kräften, dann solche mit den Charismen der Heilung oder der Hilfe oder der Leitung oder verschiedener Zungenrede. 29 Sind etwa alle Apostel? Oder alle Propheten? Oder alle Lehrer? Besitzen etwa alle Wirkkraft? 30 Oder besitzen alle die Charismen der Heilung? Sprechen etwa alle in Zungen? Können alle das deuten? 31a Strebt aber nach den größeren Charismen! Übersetzung: K.B.

Anregungen zu „Nacharbeit“ und Gespräch Zum Text - Wie verbindet Paulus Individualität des Christen und Sozialgestalt der Gemeinde? - Wie stiftet das Leib-Christi-Modell Einheit, wie Verschiedenheit? - Welche Differenzierungen sieht Paulus im Organismus der Gemeinde, und wodurch erhält das Einzelglied seinen Wert? Zu Ihrer Gemeinde - Erfahrung - Wird Christus in Ihrer Gemeinde leibhaftig gelebt? - Wo werden Charismen ausgelebt, welche Charismen liegen brach, wo kommt es zu Blockaden in Sinne von vv. 14.17? - Wie werden Charismen in Ihrer Gemeinde gefördert? Gibt es einen „Charismenschwamm“, der die individuellen Anlagen „aufsaugt“? - Lässt sich zwischen der oft geforderten Unverkürztheit und Unverfälschtheit des Glaubens und dem Recht des Einzelnen (auch des einzelnen Hauptamtlichen) auf Teilhaftigkeit im Glauben (auf seine individuelle Einsichtigkeit, seine inneren Schwerpunkte, seine Begrenztheiten) vermitteln? Zum Weiterdenken „Es geht nicht darum, den Mangel an Pfarrern und Mitarbeitern der Pfarrer zu überwinden; das Problem muss an der Wurzel angegangen werden, und dies ist das überkommene ‚pastorale Grundschisma’ (Kleriker/Laien bzw. Pastoralexperten/Gemeindemitglieder), ist somit Mangel an Gemeinden, ‚die ihr Leben im gemeinsamen Dienst aller und in übertragbarer Eigenverantwortung jedes einzelnen’ gestalten. Es geht somit also heute nicht um die Überwindung des Priestermangels allein, sondern weit umgreifender um die Überwindung des ‚Gemeindemangels’. Und weil es natürlich nie eine ‚gemeindefreie Kirche’ gegeben hat und an der Überwindung der kleruszentrierten Sozialgestalt der Kirchengemeinden schon eine geraume Zeit bei uns gearbeitet wird, geht es um nicht mehr und nicht weniger als um ‚Gemeinde(weiter)entwicklung’.“ P.Zulehner/J.Fischer/M.Huber,“Sie werden meinVolk sein“.Grundkurs gemeindlichen Glaubens, Düsseldorf 1985,43

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DAS GEMEINDEMODELL „KONTRASTGESELLSCHAFT“ (APG) Apg 2,42-47 42

Sie blieben beharrlich bei der Lehre der Sendboten (Apostel) und in der Gemeinschaft (κοινονία; communio), im Brotbrechen und in den Gebeten. 3 Da legte sich Furcht auf jedes Leben: Es geschahen viele Wunderdinge und Zeichen durch die Sendboten. 44 Alle, die glaubend geworden, waren beieinander und hatten alles gemeinsam. 45 Und die Güter und den Besitz pflegten sie zu verkaufen und an alle zu verteilen, wie einer es gerade brauchte. 46 Und Tag für Tag verharrten sie einmütig im Heiligtum. Das Brot brachen sie Haus um Haus, nahmen die Zehr und Lauterkeit des Herzens, 47 Gott lobpreisend und in Gnade beim ganzen Volk. Der Herr aber brachte, die gerettet werden sollten dazu – Tag um Tag. Übersetzung Fridolin Stier

Anregungen um Gespräch Zum Text - Welche Säulen der Gemeinde schildert Lukas? - Wie beschreibt es das Gemeindeprinzip werbender Lebensführung? Zu Ihrer Gemeindeerfahrung - Wo konkret werden in Ihrer Gemeinde Utopien einer „Praxis des Himmels“ gelebt? Gewinnt Ihre Gemeinde durch diese werbende Lebensführung an Ausstrahlungskraft? - Wo erfährt sich Ihre Gemeinde als communio? - Lukas schildert eine Idealgemeinde: Haben Sie auch noch „Gemeindeträume“? Welche, und wann gehen Sie die ersten Schritte auf diese Träume zu? Zum Weiterdenken „Ich möchte schon lange einmal eine Befragung ehemaliger Pfarrgemeinderäte und Ehrenamtlicher durchführen, die zu ermitteln versucht, wie sie im Rückblick ihr Engagement von damals beurteilen. Ich rechne mit manchen positiven Rückmeldungen, aber auch mit zwei negativen Antworten, die uns zu denken geben müssen. Mit der Enttäuschung darüber, nur gebraucht, aber als Person nicht wahrgenommen worden zu sein, nicht in dem, was man war und tat, sondern nur in dem, was noch hätte geschehen sollen. Dieser instrumentelle Missbrauch von ‚Mitarbeitern’ – ein Wort, das wir viel zu unbesehen aus der modernen Arbeitswelt in unsere Gemeinden übernommen haben – ist gegen die Substanz der Gemeinde: Sie ist keine Arbeitsgemeinschaft, sondern eine Lebensgemeinschaft! Hier zählen nicht Output oder Umsatz – hier zählen Gesichter! Ich rechne zweitens mit einem gerüttelten Maß von Enttäuschung darüber, dass fast jede Initiative, jede einigermaßen originelle Idee bereits im Vorfeld als Betriebsstörung entlarvt und durch langatmige Debatten oder passiven Widerstand in die Knie gezwungen wurde. Wie viele Pfarrgemeinderäte haben nach einer Wahlperiode das Handtuch geworfen? Und wen wundert es, dass inzwischen die Gremien, die einmal als Orte der Animation … begonnen hatten, zu Einrichtungen verkommen sind, in denen vor allem aufgepasst wird, dass nichts passiert? Gemeinden können nicht zu einem Ort der Hoffnung werden, solange nur ‚Mitsorge’ und ‚Mitdenken’ erlaubt sind (eine weitere verräterische Wortbildung aus kirchlichen Führungsjargon), statt miteinander denken und miteinander entscheiden, miteinander verantworten und sogar miteinander Fehler machen.“ R.Zerfass, in: E.Klinger/R.Zerfass (Hg.) , Die Basisgemeinden – ein Schritt auf dem Weg zur Kirche des Konzils, Würzburg 1984, 198

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DAS GEMEINDEMODELL „VOLK GOTTES UNTERWEGS“ (HEBR) Hebr 3,4-10; 13,12-14 (3) 4 Jeglich Haus wird erbaut von irgendwem; des Ganzen Erbauer aber ist Gott. 5 Und Mose ist treu in all seinem Haus als Besorger – zur Bezeugung dessen, was künftig gesprochen wird. 6 Der Messias aber ist als Sohn über seinem Hause. Und sein Haus sind wir, wenn wir den Mut und den zu erhoffenden Ruhm fest zu fassen bekommen. 7

Darum, so sagt der Heilige Geist: Heute, wenn ihr seine Stimme hört, 8 verhärtet nicht eure Herzen wie bei der Verbitterung, am Tag der Versuchung in der Wüste, 9 da eure Väter mich versuchten zur Probe. Sie, die meine Werke sahen – 10 vierzig Jahre. Darum ward zum Ekel mir dieses Geschlecht. Und ich sprach: Immerdar irren sie mit dem Herzen, sie die meine Wege nicht erkannt. … (13) 12 Darum hat auch Jesus, um durch sein eigen Blut das Volk zu heiligen, außerhalb des Tors gelitten. 13 Lasst uns also hinausziehen zu ihm – hinaus aus dem Lager – und sein Verfluchtsein tragen. 14 Denn hier haben wir keine bleibende Stadt, vielmehr die zukünftige suchen wir. Übersetzung Fridolin Stier

Anregungen zum Gespräch Zum Text - Welche Parallelen zieht der Verfasser zwischen dem alten und dem neuen Exodus-Volk? - Mit welchen Mitteln versucht er, seine Gemeine zu „mobilisieren“? Zu Ihrer Gemeindeerfahrung - Welche Motive des Exodus-Ergebnisses können Sie in Ihrer Gemeinde orten: Aufbruchstimmung, Wüstenwanderung, Manna- und Oasen-Erfahrungen, Sehnsucht nach den Fleischtöpfen Ägyptens, „Murren wider den Herrn und Mose“, „mit einer Verheißung unterwegs“, Frage nach dem Wohin? - Hat sich Ihre Gemeinde in der „irdischen Stadt“ sesshaft gemacht? Wie lässt sich dem Glauben Ihrer Gemeinde „Beine machen“? - Fühlen Sie sich selbst in Aufbruchstimmung – unterwegs – am Ziel – einfach nur müde? - Können Sie das Ziel Ihres Weges mit der Gemeinde auf den Nenner bringen? Zum Weiterdenken „Aufbrechen heißt, damit aufhören, sich um sich selbst zu drehen, als ob man der Mittelpunkt der Welt und des Lebens wäre. Aufbrechen heißt, sich nicht in den Kreis der Probleme der Welt einschließen zu lassen, zu der wir gehören. Mag sie so wichtig sein wie immer, die Menschheit ist größer, und eben dieser müssen wir dienen. Aufbrechen heißt nicht, Kilometer fressen, Meere überqueren oder Überschallgeschwindigkeiten erreichen. Es heißt vor allem, sich den anderen öffnen, sie entdecken, sich mit ihnen begegnen. Sich den Ideen öffnen, auch denen, die den unsrigen entgegengesetzt sind, heißt, den Atem eines jungen Marschierers zu haben. Glücklich, wer folgenden Gedanken versteht und liebt: „Wenn du nicht mit mir einverstanden bist, bereicherst du mich.“ Jemanden an der Seite haben, der immer nur ‚Amen’ zu sagen weiß, stets, von vornherein und auf jeden Fall, heißt nicht einen Gefährten haben, sondern einen Schatten. Es ist möglich, allein zu gehen. Aber der gute Wanderer weiß, dass die große Reise die Reise des Lebens ist, und da braucht er compañeros. Compañero – das heißt etymologisch: der das Brot mit mir ist. Glücklich, wer ewig auf Wanderschaft ist und in jedem Nächsten einen erwünschten compañero sieht.“

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Seite 5 von 8 Dom Helder Camara, Die Wüste ist fruchtbar. Wegweisung für die abrahamitischen Minderheiten, Graz 1972 (Auszug)

DAS GEMEINDEMODELL „FREUNDESKREIS“ (1 JOH) 1 Joh 3,11-18 11

Das ist ja die Kunde, die ihr von Anfang an gehört habt: Wir sollen einander lieben. 12 Nicht wie Kain, der aus dem Bösen war und seinen Bruder totschlug. Und warum schlug er ihn tot? Weil seine Werke böse waren, die seines Bruders aber gerecht? 13

Seid nicht erstaunt, Brüder, wenn die Welt auch hasst. 14 Wir wissen, dass wir aus dem Tod in das Leben hinübergeschritten sind; denn wir lieben die Brüder. Wer nicht liebt, verbleibt im Tod. 15 Jeder, der seinen Bruder hasst, ist ein Menschenmörder. Und ihr wisst, dass ein Menschenmörder unendliches, in ihm bleibendes Leben nicht hat. 16 Daran haben wir die Liebe erkannt, dass jener sein Leben für uns eingesetzt hat. Auch wir schulden, für die Brüder das Leben einzusetzen. 17 Wer aber den Lebensbedarf in der Welt hat und schaut, dass sein Bruder etwas braucht, und sein Innerstes vor ihm verschließt – wie sollte Gottes Liebe in ihm bleiben? 18 Ihr Kinder, nicht mir Wort und Zunge lasst uns lieben, sondern in Werk und Wahrheit. Übersetzung Fridolin Stier

Anregungen zum Gespräch Zum Text - Wie bestimmt der Verfasser das Verhältnis zwischen „Gemeinde“ und „Welt“? - Wie bestimmt der Verfasser das Verhältnis zwischen dem äußeren Leben der Gemeinde und dem inneren Leben des einzelnen Christen? Zu Ihrer Gemeindeerfahrung - Gibt es in Ihrer Gemeinde „Kuschelgruppen“ und Nischen, die dem Einzelnen innere Heimat geben? - Welche persönlichen Beziehungen herrschen zwischen denen, die sich (haupt- wie ehrenamtlich) in der Gemeinde engagieren? - Ist die Gemeinde für Sie selbst innere Heimat? - Füllen die neuen geistlichen Gemeinschaften eine Lücke aus, die von der Gemeinde nicht ausgefüllt werden kann? Zum Weiterdenken „Ich möchte schon lange einmal eine Befragung ehemaliger Pfarrgemeinderäte und Ehrenamtlicher durchführen, die zu ermitteln versucht, wie sie im Rückblick ihr Engagement von damals beurteilen. Ich rechne mit manchen positiven Rückmeldungen, aber auch mit zwei negativen Antworten, die uns zu denken geben müssen. Mit der Enttäuschung darüber, nur gebraucht, aber als Person nicht wahrgenommen worden zu sein, nicht in dem, was man war und tat, sondern nur in dem, was noch hätte geschehen sollen. Dieser instrumentelle Missbrauch von ‚Mitarbeitern’ – ein Wort, das wir viel zu unbesehen aus der modernen Arbeitswelt in unsere Gemeinden übernommen haben – ist gegen die Substanz der Gemeinde: Sie ist keine Arbeitsgemeinschaft! Hier zählen nicht Output oder Umsatz – hier zählen Gesichter! Ich rechne zweitens mit einem gerüttelten Maß von Enttäuschung darüber, dass fast jede Initiative, jede einigermaßen originelle Idee bereits im Vorfeld als Betriebsstörung entlarvt und durch langatmige Debatten oder passiven Widerstand in die Knie gezwungen wurde. Wie viele Pfarrgemeinderäte haben nach einer Wahlperiode das Handtuch geworfen? Und wen wundert es, dass inzwischen die Gremien, die einmal als Orte der Animation … begonnen hatten, zu Einrichtungen verkommen sind, in denen vor allem aufgepasst wird, dass nichts passiert? Gemeinden können nicht zu einem Ort der Hoffnung werden, solange nur ‚Mitsorge’ und ‚Mitdenken’ erlaubt sind (eine weitere verräterische Wortbildung aus kirchlichen Führungsjargon), statt miteinander denken und miteinander entscheiden, miteinander verantworten und sogar miteinander Fehler machen.“

Konzeptentwicklung der Pastoralverbünde – Baustein der Perspektive 2014

Seite 6 von 8 R.Zerfass, in: E.Klinger/R.Zerfass (Hg.) , Die Basisgemeinden – ein Schritt auf dem Weg zur Kirche des Konzils, Würzburg 1984, 198

DAS GEMEINDEMODELL „LEBENS- UND LERNGEMEINSCHAFT JESU (MT) Mt 23, 1-12 1

Dann redete Jesus zu den Scharen und zu seinen Jüngern.

2

Er sagte: Auf den Lehrstuhl des Mose haben sich die Schriftgelehrten und die Pharisäer gesetzt. 3 Alles nun, was sie euch sagen, das tut und bewahrt; ihre Werke aber macht nicht nach. Denn sie reden ja nur, aber sie tun es nicht. 4 Sie bündeln schwere und unerträgliche Lasten und legen sie auf die Schultern der Menschen. Selber aber nur mit ihrem Finger zu rücken – das mögen sie nicht. 5 Alle ihre Werke tun sie zur Schau für die Menschen. Denn breit machen sie ihre Gebetsriemen und groß die Quasten. 6 Lieb ist ihnen die erste Liege bei den Gastmählern, die ersten Sitze in den Synagogen, 7 die Begrüßung auf den Marktplätzen und sich von den Menschen „Rabbi“ heißen zu lassen. 8

Ihr aber – lasst euch nicht „Rabbi“ heißen. Denn einer ist euer Lehrer, ihr aber seid alle Brüder. 9 Und: „Vater“ – heißt euch nicht so, ihr auf Erden. Denn nur einer ist euer Vater – der himmlische. 10 Auch Lehrmeister lasst euch nicht heißen. Denn euer Lehrmeister ist nur einer – der Messias. 11 Der Größte unter euch sei euer Diener. 12 Wer sich selbst erhöht, wird niedrig gemacht, und wer sich selbst niedrig macht, wird erhöht.“ Übersetzung: Fridolin Stier

Anregungen zum Gespräch Zum Text - Welchen Ausdruck findet das Leitmodell „Lebens- und Lerngemeinschaft Jesu“ in der Textvorlage? Zu Ihrer Gemeindeerfahrung - Welche Orte gibt es in Ihrer Gemeinde, an denen die personale Gegenwart Jesu glaubhaft erfahren wird: in der Liturgie, der Verkündigung, der Diakonie? - Welche konkrete Bedeutung hat diese Gegenwart für die ethische Praxis Ihrer Gemeinde? Welcher Aspekt der Lehre Jesu wird in Ihrer Gemeinde betont? - Welche „Vergegnungen“ im Sinne der vv. 2-7 belasten den Jüngerkreis heute?

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DAS GEMEINDEMODELL „HEIMAT DER AUSSENSEITER“ (1 PETR) 1 Petr 2, 1-12 1

Legt also ab alles Üble und alle Arglist und Blenderei und Neid und alle Schlechtmacherei. 2 Wie neugeborene Kinder sehnt euch nach der dem Wort gemäßen, unverfälschten Milch, damit ihr durch sie wachst auf Rettung hin – 3 wenn ihr gekostet habt, wie gütig der Herr ist. 4 Zu ihm kommt heran, dem lebendigen Stein. Er ward zwar von Menschen verworfen, aber bei Gott auserwählt und kostbar. 5 Auch ihr selbst, wie lebendige Steine – aufbauen lasst euch zu einem geistigen Haus, zu einer heiligen Priesterschaft, um geistige, Gott willkommene Opfer durch Jesus den Messias darzubringen. 6 Denn es heißt in der Schrift: Da! Ich setze in Zion einen Stein, einen auserwählten, kostbaren Eckstein. Wer auf ihn vertraut, wird nicht zuschanden. 7 Euch, den Glaubenden, gilt also diese Ehre. Den Nicht-Glaubenden aber gilt: Der Stein, den die Bauherrn verworfen haben, der ist zum Hauptstein geworden, 8 und zu einem Stein des Anstoßes und einem Fels des Ärgernisses. Die sich an ihm stoßen, gehorchen nicht dem Wort; dazu sind sie auch bestimmt. 9

Ihr aber seid ein auserwähltes Stammvolk, eine königliche Priesterschaft, eine heilige Volksgemeinschaft, ein zum Eigentum bestimmtes Volk: Auf dass ihr die Gut-Taten dessen kündet, der euch aus Finsternis in sein staunenswertes Licht gerufen. 10 Die ihr einstmals NichtVolk, jetzt aber Gottes-Volk seid; die ihr Nicht-Erbarmte, jetzt aber Erbarmte seid.

11

Meine Lieben, ich ermutige euch als Gastbürger und Gastbürger, euch von fleischverhafteten Begierden wegzuhalten, die ja gegen das Leben kämpfen. 12 Führt einen guten Lebenswandel unter den Völkern, damit sie, die euch als Übeltäter schlecht machen, eure guten Werke beachten und Gott preisen am Tag, da nach uns gesehen wird. Übersetzung: Fridolin Stier

Anregungen zum Gespräch Zum Text - Wie parallelisiert der Text das Geschick Jesu und die Diasporaerfahrung der Gemeinde? - Birgt das Gemeindemodell des Außenseitertums auch Risiken? - Welche Rolle kommt dem Motiv der „werbenden Lebensführung“ im Text zu? Zu Ihrer Gemeindeerfahrung - Wo konkret lebt Ihre Gemeinde Alternativen zum Zeitgeist? Empfindet sie das Anders-Sein als Reichtum? - Welchen Raum haben Außenseiter in Ihrer Gemeinde? - Haben Sie als Hauptamtlicher Mut zur Originalität – auch gegen die Erwartungshaltung Ihrer Gemeinde? Zum Weiterdenken „Mein Haupteinwand gegen Drewermann sei also klar formuliert: Die Kirche ist, wie die Sonne, für alle da. Für Gerechte und Ungerechte, Sympathen und Unsympathen, Dumme und Gescheite; für Sentimentale ebenso wie für Unterkühlte, für Neurotiker, Psychopathen, Sonderlinge, für Heuchler und solche wie Natanael, ‚an denen kein Falsch ist’ (Joh 1, 47); für Feiglinge und Helden, Großherzige und Kleinliche. Für zwanghafte Legalisten, hysterisch Verwahrloste, Infantile, Süchtige und Perverse. Auch für kopf- und herzlose Bürokraten, für Fanatiker und auch für eine

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Minderheit von gesunden, ausgeglichenen, reifen, seelisch und geistig begabten, liebesfähigen Naturen. Die lange Liste ist nötig, um klar zu machen, was man eigentlich von einer Kirche, die aus allen Menschensorten ohne Ansehen der Person, von den Gassen und Zäunen wie wahllos zusammengerufen ist und deren Führungspersonal aus diesem bunten Vorrat stammt, erwarten kann – wenn nicht ständig Wunder der Verzauberung stattfinden, die uns niemand versprochen hat. Heilige, Erleuchtete und Leuchtende sind uns versprochen. Wer sie sucht, kann sie finden. Wer sie nicht sucht, wird sie nicht einmal entdecken, wenn sie jahrelang neben ihm gehen, weil er sie vielleicht nicht wahrhaben will oder kann.“ A. Görres , in: DERS./W.KASPER(Hg.), Tiefenpsychologische Deutung des Glaubens? Anfragen an Eugen Drewermann, Freiburg i. B. 1988 (QD113), 134

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