Beitrag: Abrechnung mit Schlecker Folgen einer Millionenpleite

Manuskript Beitrag: Abrechnung mit Schlecker – Folgen einer Millionenpleite Sendung vom 7. März 2017 von Christian Esser und Birte Meier Anmoderatio...
Author: Steffen Beck
2 downloads 2 Views 61KB Size
Manuskript

Beitrag: Abrechnung mit Schlecker – Folgen einer Millionenpleite Sendung vom 7. März 2017 von Christian Esser und Birte Meier

Anmoderation: Die Anklage hat es in sich. Es geht um Schlecker, um eine der größten Nachkriegspleiten der deutschen Wirtschaft, um vorsätzlichen Bankrott und um Millionen. Millionen die angeblich noch schnell zusammengerafft und beiseitegeschafft wurden. Zur Erinnerung: Früher war Schlecker überall, die Schlecker-Filiale gehörte zum Straßenbild und die Begegnung mit der „SchleckerFrau“ zum Alltag. Firmengründer Anton Schlecker stieg mit der Billig-Drogeriekette zum Milliardär auf. Seinen Absturz haben Tausende Verkäuferinnen teuer bezahlt – mit Arbeitslosigkeit. Christian Esser und Birte Meier berichten.

Text: Drei Frauen – elf gemeinsame Jahre bei Schlecker im bayrischen Kastl. Den Laden gibt es nicht mehr. O-Ton Susan Kreisz, ehemalige Schlecker-Verkäuferin: Der Schlecker war auf der ganzen Front, über die ganze Seite. Super Kolleginnen, super Team. Zum Schluss hinaus wurden die Stunden gekürzt, Ware kam nicht mehr. Im Januar 2012 meldet Schlecker Insolvenz an. O-Ton Frontal21: Was haben Sie da gedacht? O-Ton Susan Kreisz, ehemalige Schlecker-Verkäuferin: Im ersten Moment – gar nichts. Im zweiten Moment – wie geht’s weiter? Gibt´s überhaupt ´ne Rettung? Ja, und dann ging´s bergab. Einst arbeiteten sie für Europas größten Drogerie-Discounter mit über 10.000 Filialen. Viele Jahre war Schlecker berüchtigt.

Frontal 21 berichtete immer wieder über miese Arbeitsbedingungen, schlechte Löhne, Behinderung von Betriebsräten und Bespitzelung von Mitarbeitern. Filialen wurden oft überfallen – zu wenig Personal. Trotzdem bot Schlecker feste Arbeitsplätze. Immerhin. Susan Kreisz und ihre Kolleginnen machten das Beste draus. Seit der Pleite haben sie – wie viele Schlecker-Frauen – keinen regulären Job mehr gefunden. Insgesamt verloren damals rund 23.000 ihre Arbeit. O-Ton Susan Kreisz, ehemalige Schlecker-Verkäuferin: Ich bin in ein Burnout. Wo wir den letzten Schleckermarkt zugesperrt haben, bin ich zusammengebrochen, hatte ein Burnout. Es hat zwei Jahre gebraucht, um dort wieder rauszukommen. Also, es war wirklich eine ganz schwere Zeit. O-Ton Gisela Prieschl, ehemalige Schlecker-Verkäuferin: Ja, uns wurde alles Mögliche versprochen und ich hab Bewerbungen geschrieben, stapelweise. Die Möglichkeit eines Vorstellungsgesprächs hatte ich genau dreimal. Aber, mit knapp 60, da schaut es am Arbeitsmarkt in Deutschland für Frauen sehr schlecht aus. O-Ton Renata Zietara, ehemalige Schlecker-Verkäuferin: Jetzt bin ich 62 und mit so einer alten Frau will keiner reden oder einstellen. Das ist einfach traurig. Ihn machen sie mitverantwortlich für ihr persönliches Schicksal: Anton Schlecker. Gestern begann vor dem Landgericht Stuttgart der Prozess gegen ihn und seine Familie: Frau Christa und seine Kinder Lars und Meike. Anton Schlecker soll vorsätzlichen Bankrott begangen haben. O-Ton Jan Holzner, Sprecher Staatsanwaltschaft Stuttgart: Das Unternehmen Anton Schlecker befand sich seit dem 1.1.2010 in einer Liquiditätskrise, das wusste der Hauptangeklagte auch. Ungeachtet dessen soll er in 36 Fällen Vermögenswerte, Teile seines Privatvermögens und auch Teile des Firmenvermögens beiseitegeschafft und so dem Zugriff der Gläubiger entzogen haben. Mit der umfangreichen Klage hat sich für Frontal 21 der Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel intensiv beschäftigt. Seine Meinung: O-Ton Prof. Rudolf Hickel, Wirtschaftswissenschaftler, Uni Bremen: Die Klage hat mich umgehauen, vor allem die Menge der Anklagepunkte gegen Schlecker und seine beiden Kinder und seine Frau. Was da sozusagen an Wirtschaftskriminalität sich andeutet, was jetzt geprüft werden muss im Gericht, hat

es in diesem Ausmaß, glaube ich, in Deutschland noch nicht gegeben. Ich interpretiere das so: Die Insolvenz ist bewusst verschleiert worden, um ganz viel Vermögen rauszupacken, um es sozusagen aus der Insolvenzmasse rauszunehmen und das Privatvermögen zu erhöhen. Schon im Juli 2009 – also zweieinhalb Jahre vor der Insolvenz soll Anton Schlecker seine Leitungsebene und die Kinder zu einer Krisenbesprechung gerufen und - nach Informationen von Frontal 21 und der „WirtschaftsWoche“ - radikale Maßnahmen und Einschnitte gefordert haben. Es sei „fünf vor zwölf“, so Schlecker gegenüber seinen Vertrauten. Doch tatsächlich passierte viel zu wenig, meinen Handelsexperten. O-Ton Prof. Jörg Funder, Wirtschaftswissenschaftler, Hochschule Worms: Warum hat man an Altbewährtem festgehalten? Warum hat man nicht Filialen nachhaltig geschlossen, als noch Finanzmittel dafür zur Verfügung waren? Warum war weiterhin das Wachsen die einzige Prämisse? Das sind Thematiken, die sich tatsächlich wahrscheinlich auch Herr Anton Schlecker heute stellt, ob er nicht hätte viel früher das einsehen müssen. Stattdessen war ja die Maxime: Wir machen weiter wie bisher. Und das war tatsächlich dann eben auch das Ende der Geschichte. Im März 2011 soll reichlich Geld in die Taschen der Familie geflossen sein – vom Privatkonto des Unternehmers Anton Schlecker erhalten laut Anklage die vier Enkel je 200.000 Euro – geschenkt. O-Ton Prof. Rudolf Hickel, Wirtschaftswissenschaftler, Uni Bremen: Was die Enkel bekommen, ist der Konkursmasse entzogen worden. Und die Schlecker-Frauen, die eventuell aus der Korrektur der Entnahmen, die da vorgenommen worden sind durch Schlecker, etwas vielleicht aus der Insolvenzmasse bekommen, denen ist es entzogen worden. Da stehen begüterte, bevorteilte Enkel gegenüber den SchleckerFrauen, die sozusagen ihren Arbeitsplatz verloren haben und am Ende nichts dafür aus der Insolvenzmasse bekommen. Ende 2011 hat das Unternehmen massive Liquiditätsprobleme. Während die Verkäuferinnen um ihre Jobs bangen, machen die Schlecker-Kinder laut Klageschrift mit ihren Familien und Personal Urlaub – auf der Karibik-Insel Antigua, in einem LuxusHotel. Bezahlt von Papa Anton - über 58.000 Euro. Kurz vor der Insolvenz lässt Anton Schlecker dann noch sieben Millionen Euro an die Logistikfirma LDG seiner Kinder Lars und Meike zahlen. Davon ziehen sie noch am selben Tag jeweils 2,5 Millionen Euro ab - per Blitzüberweisung auf ihre Privatkonten.

Wenige Tage später ist Schlecker offiziell pleite. Vater Anton schickt seine Tochter vor die Presse: Alles sei weg. O-Ton Meike Schlecker am 30.01.2012: Es ist kein signifikantes Vermögen mehr da, das dem Unternehmen hätte helfen können. In der Schlecker-Zentrale übernimmt der Insolvenzverwalter. Aber die Logistikfirma LDG läuft weiter. Die Schlecker-Kinder sollen dafür gesorgt haben, dass ihre Mutter von einem LDGKonto rund 52.000 Euro als Beratungshonorar bekam. Die Staatsanwaltschaft geht jedoch davon aus, dass Christa Schlecker dafür nie eine Leistung erbracht habe. Viele fragwürdige Geldflüsse - und ein schwerer Verdacht: O-Ton Prof. Rudolf Hickel, Wirtschaftswissenschaftler, Uni Bremen: Hinter diesen Einzelmaßnahmen, wenn man sie summiert, steckt ein klares System, nach dem Motto: Wenn wir schon Pleite gehen, dann holen wir aber schnell noch das raus, was wir rausholen können. Das ist die Strategie und das muss in der Tat sozusagen gerichtlich überprüft werden. Insgesamt soll die Familie rund 19 Millionen Euro beiseitegeschafft haben, so die Anklage. Einen Teil davon musste sie schon an den Insolvenzverwalter zahlen. Gestern Morgen im Stuttgarter Landgericht: Anton Schleckers Verteidiger. O-Ton Norbert Scharf, Strafverteidiger für Anton Schlecker: Herr Schlecker weist die Vorwürfe zurück. Wir werden uns damit auseinandersetzen. Es ist ein komplexes Verfahren. Ein, denke ich mal, Verfahren, das man durchaus auch juristisch in vielerlei Hinsicht sehr genau aufarbeiten muss. Dem ehemaligen Drogeriekönig drohen bis zu zehn Jahre Haft. Auch seine Familie wies die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft pauschal zurück. Nach wie vor lebt das Ehepaar Schlecker im baden-württembergischen Ehingen, in ihrer Villa. Das sorgt bei vielen ehemaligen Mitarbeiterinnen für Bitterkeit. Dass die Familie jetzt vor Gericht steht, empfinden sie als Genugtuung. O-Ton Susan Kreisz, ehemalige Schlecker-Verkäuferin: Ich hoffe, er wird zur Rechenschaft gezogen. Ich hoffe, dass er die gerechte Strafe bekommt, obwohl es keine gerechte Strafe gibt, weil die Mitarbeiter, die auf der Straße gelandet sind, keine Abfindung bekommen haben, keinen Job mehr bekommen haben. Denen geht es jetzt genauso dreckig wie uns. Und das, wenn man in einer Millionen-Villa wohnt, kann es einem ja gar nicht so schlecht gehen, oder?

Susan Kreisz und ihre Kolleginnen werden weitersuchen nach einem festen Job - ihr ehemaliger Chef Anton Schlecker muss am kommenden Montag wieder vor Gericht. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.