Bedeutung von Pneumokokken beider ambulant erworbenen Pneumonie (CAP)

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Author: Daniela Michel
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Bedeutung von Pneumokokken bei der ambulant erworbenen Pneumonie (CAP) R. R. Reinert Institut für Medizinische Mikrobiologie, Nationales Referenzzentrum für Streptokokken, Aachen Schlüsselwörter

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Zusammenfassung

Summary

Streptococcus pneumoniae, Pneumokokken, Resistenz, CAP, Epidemiologie Pneumokokken sind nach wie vor die bei ambulant erworbenen Pneumonien am häufigsten gefundenen Infektionserreger. Nach Schätzung des Robert Koch Instituts sterben pro Jahr mehr als 12 000 Menschen in Deutschland an einer Pneumokokken-Pneumonie. Die Polysaccharidkapsel der Pneumokokken ist wichtigster Pathogenitätsfaktor von Pneumokokken; es sind 90 verschiedene Kapselpolysaccharid-Typen bekannt. Bei der Diagnostik der Pneumokokken-Pneumonie eignet sich die mikrobiologische Kultur von Sputum; neuere molekularbiologische Nachweisverfahren sind bislang noch nicht kommerziell erhältlich. Bei Erwachsenen kann der Nachweis von Pneumokokokkenantigen aus dem Urin hilfreich sein. In Deutschland sind bislang nur vereinzelt Penicillin-resistente Stämme aufgetreten, sodass β-Laktam-Antibiotika Therapeutikum der Wahl bei Behandlung von durch Pneumokokken hervorgerufenen Pneumonien sind. Die Makrolidresistenz von Pneumokokken hat hingegen in Deutschland stark zugenommen. Die ständige Impfkommission am Robert Koch Institut (STIKO) empfiehlt die Impfung von kleinen Kindern mit dem 7-valenten Pneumokokken-Konjugat-Impfstoff beim Vorliegen von gewissen Risikofaktoren. Ferner wird die Impfung von Erwachsenen ab dem 60. Lebensjahr, sowie die Impfung von Patienten mit bestimmten Risikofaktoren wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes mellitus und bei Immunschwächen mit 23-valenten Impfstoff empfohlen

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ehr als ein Jahrhundert ist vergangen, seitdem Sternberg in den Vereinigten Staaten und Pasteur in Frankreich erstmals Pneumokokken isolierten. Wahrscheinlich hat kein anderes grampositives Bakterium mehr zum Verständnis von bakteriellen Infektionen beitragen, als der „Pneumococcus“. Die Bedeutung von Streptococcus pneumoniae als dem wichtigsten Erreger der Lungenentzündung wurde von Friedländer im Jahre 1882 erstmals erkannt. Damals wurde dieMed Welt 10/2004

Streptococcus pneumoniae, community acquired pneumonia, epidemiology, resistance Streptococcus pneumonia remains the leading cause of community-acquired pneumonia (CAP). According to estimations of the RKI in Germany more than 12 000 patients annually die on pneumococcal pneumonia. The most important pathogenicity marker of pneumococci is the polysaccharide capsule. More than 90 different pneumococcal serotypes are known. The classical diagnosis for pneumonia is the sputum culture. New molecular methods for detection of pneumococcal genes in various specimens are promising but currently commercially not available. The antibiotic profile of Streptococcus pneumoniae remains favourable in Germany and the level of betalactam resistance is relatively low. Nevertheless there is an increasing rate of macrolide resistance. The “Ständige Impfkommission at the Robert Koch Institute (STIKO)” recommends the vaccination of young children with certain underlying risk factors with the 7-valent pneumococcal conjugate vaccine. Furthermore the STIKO recommends vaccination of elderly adults aged more than 60 years and other patients with certain risk factors of pneumococcal infection with the 23-valent pneumococcal vaccine. Importance of Streptococcus in community acquired pneumonia (CAP) Med Welt 2004; 55: 322-6

ser Erreger noch als „Diplococcus pneumoniae“ bezeichnet. Sternberg ordnete im Jahre 1897 den Diplococcus pneumoniae den Streptokokken zu. Mit den Pneumokokken ist die Entwicklung der modernen Molekularbiologie eng verbunden. So konnte Griffith 1928 zeigen, dass Erbinformation von toten, bekapselten Stämmen auf lebende, unbekapselte Stämme übertragen werden kann und letztere zur Kapselbildung befähigt. Somit wurde erstmals eine Weitergabe von Erbinformation

zwischen Bakterien dokumentiert. Die Entdeckung führte dann letztlich zum Auffinden der DNA als Träger der Erbinformation durch Avery, MacLeod und McCarty im Jahr 1944 (1). Pneumokokken besitzen eine enge taxonomische Verwandtschaft zu vergrünenden Streptokokken (z. B. Streptococcus mitis oder Streptococcus oralis) und wachsen auf Schafsblutagar ebenfalls mit Ausbildung einer α-Hämolyse (Vergrünung). Einige Stämme haben aufgrund ihrer starken Kapselbildung ein schleimiges Aussehen. Ihren Empfindlichkeit gegenüber Optochin sowie ihre Gallelöslichkeit sind die klassischen Verfahren zur mikrobiologischen Erregeridentifizierung.

Epidemiologie Pneumokokken sind Bewohner des Nasopharynx. Diese Infektionserreger finden sich bei etwa 10% der Erwachsenen und bei bis zu 60% der Kinder ohne zur Erkrankung zu führen (asymptomatische Keimträger) (2). Die Übertragung erfolgt in der Regel durch Tröpfcheninfektion. PneumokokkenInfektionen zeigen eine jahreszeitliche Häufung mit vermehrtem Auftreten auf der nördlichen Halbkugel besonders zwischen Dezember und April. Von PneumokokkenInfektionen sind besonders kleine Kinder bis zum 5. Lebensjahr und ältere Erwachsene ab dem 60. Lebensjahr betroffen. Über zuverlässige epidemiologische Daten zu Pneumokokken-Infektionen verfügen wir in Deutschland bislang nur bei Kindern. So beträgt die Inzidenz von invasiven Pneumokokken-Erkrankungen (Sepsis, Meningitis) bei Kindern bis zum 5. Lebensjahr etwa 20–40 Fälle auf 100 000. Invasive Pneumokokken-Infektionen – insbesondere die Meningitis – verlaufen bei Kindern in ca.

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5–10% der Fälle letal. Tragisch ist das häufige Auftreten von schweren Folgeschäden (z. B. Hörverlust) in ca. 15% der Fälle (3, 4). Zuverlässige Daten zur Epidemiologie der Pneumokokken-Infektion bei Erwachsenen fehlen bislang. Es ist jedoch mit ähnlich hohen Inzidenzen der PneumokokkenPneumonien wie in den Vereinigten Staaten – zirka 300 Fälle auf 100 000 Personen bei älteren Erwachsenen – zu rechnen. Einige Patientengruppen mit bestimmten Risikofaktoren (abwehrgeschwächte Patienten, Patienten mit HIV-Infektion) besitzen gegenüber Gesunden ein bis zu 100 mal höheres Risiko an einer Pneumokokken-Sepsis zu erkranken (5). Häufungen von Infektionen beobachtet man gelegentlich in Kindergärten und bei Erwachsenen, die in räumlich beengten Lebensgemeinschaften leben, so z. B. bei Gefängnisinsassen und Bewohner von Altenheimen. Darüber hinaus findet sich bei einigen Volksgruppen wie Eskimos oder den Navajo-Indianer eine deutlich erhöhte Inzidenz von Pneumokokken-Infektionen (6).

Erkrankungen Hinsichtlich Inzidenz und Morbidität bedeutsamstes Krankheitsbild bleibt die durch Pneumokokken verursachte, außerhalb des Krankenhauses erworbene Pneumonie (7–13). Nach Schätzungen des RobertKoch-Instituts sterben in Deutschland pro Jahr 12 000 Menschen an dieser Infektionskrankheit. Die Pneumokokken-Pneumonie beeindruckt durch die rasche Progredienz des Krankheitsbilds. Man findet meist hohes Fieber begleitet von einer deutlichen Leukozytose. Häufig findet man Pneumonien bei Patienten mit bestimmten Grunderkrankungen, wie zum Beispiel KarzinomErkrankungen, Diabetes mellitus, der Alkoholkrankheit oder HIV-Infektionen, sowie anderen immunsuppressiven Erkrankungen. Im Verlauf der Pneumokokken-Pneumonie kommt es in 20–40% der Fälle zu einer begleitenden Bakteriämie. Häufigste Komplikation der Pneumokokken-Pneumonie ist das Pleuraempyem, das in der Regel einer Drainage bedarf. An diese Komplika-

Abb. 1 Erreger bei ambulant erworbener Pneumonie (nach Fang et al. [42])

tion ist bei einem verzögerten Ansprechen der Therapie immer zu denken. S. pneumoniae ist weiterhin der wichtigsten Erreger der bakteriellen Meningitis sowohl im Kindes- als auch im Erwachsenenalter. Bei der Pneumokokken-Meningitis geht häufig eine Pneumokokken-Infektion der Atemwege mit einer begleitenden Bakteriämie voraus. Pneumokokken sind für etwa 30% aller Fälle von akuter bakterieller Otitis media verantwortlich. Man findet diese Infektion häufig nach vorangegangener Virusinfektion. Bei Kindern ist die Otitis media eine der häufigsten Infektionserkrankungen überhaupt. Neben Haemophilus influenzae sind Pneumokokken auch die am häufigsten vorkommenden Erreger der akuten Sinusitis. Das „Overwhelming Post Splenectomy Infection (OPSI) Syndrome“ ist eine besonders schwer verlaufende generalisierte Infektion bei splenektomierten Patienten. Dieses Krankheitsbild beeindruckt durch seinen schleichenden Beginn gefolgt von einem dann dramatischen Verlauf und hoher Letalität (>50%). Pneumokokken finden sich bei etwa der Hälfte der Fälle von OPSI als Infektionserreger (14, 15).

Pathogenese Wichtigster Pathogenitätsfaktor von Pneumokokken ist die Polysaccharidkapsel. Es sind 90 verschiedene Kapseltypen von Pneumokokken bekannt. Eine Unterschei-

dung gelingt mit Hilfe der sogenannten Neufeldschen Quellungsreaktion, die eine Einteilung der Pneumokokken in Serogruppen und -typen ermöglicht. Mit Hilfe der Polysaccharidkapsel gelingt es den Pneumokokken der Phagozytose durch polymorphkernige Granulozyten zu entkommen. Zwischen den verschiedenen Pneumokokken-Serotypen bestehen deutliche Unterschiede hinsichtlich der Virulenz. Antikörper gegen das Kapselpolysaccharid sind in der Lage vor Pneumokokken-Infektionen des gleichen Serotyps zu schützen. Es besteht wahrscheinlich auch Kreuzprotektion zwischen verschiedenen PneumokokkenSerotypen einer Serogruppe (zum Beispiel zwischen den Serotypen 19A und 19F). In tierexperimentellen Studien wurde eine große Zahl weiterer, für die Virulenz von Pneumokokken verantwortlicher, Proteine identifiziert. Die wichtigsten sind das Pneumolysin, die Neuraminidase, die Hyaluronidase, das Pneumokokken Surface Adhesin A (PsaA), die IgA1-Protease und das auch als CbpA oder SpsA bekannte PspC. Aufgrund der Verfügbarkeit des kompletten Pneumokokken-Genoms ist in den nächsten Jahren mit deutlichen Fortschritten auf diesem Forschungsgebiet zu rechnen (16, 17).

Diagnostik Das typische Bild der Lobärpneumonie findet sich in weniger als 50% der Fälle von Pneumokokken-Pneumonien (18). Labor-

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Med Welt 10/2004

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Abb. 2 Penicillinresistenz bei Pneumokokken in Europa; in die Abbildung gehen Daten der PneumoworldStudie (43) (www.pneumoworld.com) und der PROTEKT-Studie ein (44, 45) (www.protekt.com) (42).

parameter, wie Leukozytose und CRP-Erhöhung, können keine spezifischen Hinweise auf eine Pneumokokken-Pneumonie geben, sodass auf die mikrobiologische Diagnostik nicht verzichtet werden sollte (11). Bei der mikrobiologischen Untersuchung von Sputum ist auf die korrekte Materialgewinnung und kurze Transportzeiten – Pneumokokken bilden einAutolysin – zu achten. Im Sputum von Patienten mit Pneumokokken-Pneumonie findet man häufig eine deutliche Erhöhung der polymorphkernigen Granulozyten. Häufig sind die Infektionserreger bereits im Grampräparat als Diplokokken zu erkennen. Bei Pneumoniepatienten sollte immer eine Blutkultur gewonnen werden. Hier findet sich der Infektionserreger in 20– 40% der Fälle (11). Häufig kann die Diagnose der Pneumokokken-Pneumonie aufgrund einer vorangegangenen Antibiotikatherapie nicht gestellt werden, da schon geringe Antibiotikagaben den kulturellen Erregernachweises unmöglich machen. Insbesondere bei antibiotisch vorbehandelten Patienten kann der seit kurzem verfügbare Pneumokokken-Antigennachweis aus dem Urin hilfreich sein (19, 20). Die Untersuchung von Pneumokokken-Antikörpern im Rahmen der Diagnostik der Pneumonie ist nicht indiziert. Neuere molekularbiologische Methoden, wie zum Beispiel die Pneumolysin-PCR aus dem Sputum, konnten im Rahmen von Studien erfolgreich eingesetzt werden, jedoch Med Welt 10/2004

sind diese Verfahren bislang nicht kommerziell erhältlich (21–24).

Antibiotikaresistenz und Therapie Aufgrund der in Deutschland zunehmenden Antibiotika-Resistenz von Pneumokokken ist bei allen Isolaten von schweren Infektionen eine Empfindlichkeitsprüfung durchzuführen. Bei Pneumokokken-Sepsis oder Meningitis sollte eine Bestimmung der minimalen Hemmkonzentration für Penicillin G und ein Cephalosporin der dritten Generation erfolgen (25). Bei der Therapie von Pneumokokken-Infektionen muss die lokale Resistenzsituation beachtet werden. Auch in Deutschland hat sich in den vergangenen Jahren bei Penicillin G die Resistenzlage verschlechtert. Verschiedene Studien zeigen einen Anteil von Stämmen mit verminderter PenicillinEmpfindlichkeit (MHK ≥0,1 mg/l) von 5–10%. Der Anteil von Isolaten mit einer hochgradigen Penicillin-Resistenz (MHK ≥2 mg/l) bleibt in Deutschland jedoch mit

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