ANLAGE 2 ZUR MEDIENINFORMATION VOM 25. MÄRZ 2010

Dresden, den 25. März 2011

Auswahl interessanter Entscheidungen des Sozialgerichts Dresden

- Fachgebiet Gesetzliche Krankenversicherung (KR)

a) Kein Klagerecht gegen Zusatzbeiträge Gesetzlich Versicherte haben kein Anfechtungsrecht gegen die Erhebung von Zusatzbeiträgen durch die Krankenkasse. Die Antragstellerin ist gesetzlich krankenversichert und wurde von ihrer Krankenkassen aufgefordert ab März 2010 einen kassenindividuellen Zusatzbeitrag von 8,00 Euro monatlich zu entrichten. Das Sozialgericht Dresden lehnte den hiergegen gestellten Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ab. Gesetzlich Versicherte sind nicht befugt, durch Erhebung von Widerspruch und Klage gegen einen Beitragsbescheid die eigenverantwortliche Haushalts- und Wirtschaftsführung der Krankenkassen und damit die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften zur Erhebung eines Zusatzbeitrages gerichtlich prüfen zu lassen. Selbst wenn die zu einem Zusatzbeitrag führende Unterdeckung vermeidbar gewesen wäre, muss der Versicherte die satzungsmäßige Entscheidung der Krankenkasse, dass ein Zusatzbeitrag erhoben wird, hinnehmen. Er kann lediglich von seinem Sonderkündigungsrecht Gebrauch machen und die Kasse wechseln. Beschluss vom 04.10.2010, Az.: S 18 KR 480/10 (rechtskräftig)

b) Auch Goldgeschenke anlässlich von Weihnachtsfeiern sind sozialversicherungspflichtig Goldgeschenke von nicht unerheblichem Wert unterliegen der Sozialversicherungspflicht. Die Klägerin überreichte ihren Beschäftigten im Rahmen von Weihnachtsfeiern Goldbarren in individuell unterschiedlicher Höhe. Die Klägerin führte daraus jedoch keine Sozialversicherungsbeiträge ab, da sie der Meinung war, es handele sich um Geschenke aus Anlass der Weihnachtsfeier und nicht um einen Entgeltbestandteil. Nach einer Betriebsprüfung setzte die Beklagte gegen die Klägerin eine auf dem Wert der Goldgeschenke beruhende Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen fest.

Die hiergegen gerichtete Klage wies das Sozialgericht Dresden ab. Angesichts des Wertes der Goldbarren und der Kriterien für die Bemessung der den Beschäftigten im konkreten Fall zugewendeten Werte (wie zum Beispiel dem Umfang der regelmäßigen Arbeitszeit, der Dauer der Betriebszugehörigkeit oder der Stellung im Betrieb) stand der Charakter der Zuwendung als Jahresgratifikation im Vordergrund. Urteil vom 25.03.2010, Az.: S 18 KR 162/07 (nicht rechtskräftig)

- Fachgebiet Unfallversicherung (U)

a) Zur Anerkennung von Zeckenbissen als Arbeitsunfälle Es bedarf für die Anerkennung als Arbeitsunfall des positiven Nachweises, dass Zeckenbisse in einem inneren Zusammenhang mit einer versicherten Tätigkeit stehen. Der Kläger musste sich im Juni 2001, Juni 2006 und April 2009 wegen Zeckenbissen behandeln lassen. Eine Borreliose-Infektion wurde nicht festgestellt. Er beantragte bei der Beklagten die Anerkennung der Zeckenstiche als Arbeitsunfälle, da er sich diese bei Freileitungsarbeiten und Arbeiten an einer Bahnstrecke im Rahmen verschiedener Beschäftigungsverhältnisse zugezogen haben müsse, denn er sei der Einzige in seiner Familie, der immer wieder von Zecken gestochen worden sei. Die Unfallkasse lehnte dies ab. Die hiergegen vor dem Sozialgericht Dresden gerichtete Klage blieb ohne Erfolg. Der Kläger hat nicht den für die Anerkennung als Arbeitsunfall erforderlichen positiven Nachweis erbracht, dass die Zeckenstiche in einem inneren Zusammenhang mit der Tätigkeit bei seinen Beschäftigungsverhältnissen stehen. Nur die Möglichkeit eines Zusammenhangs reicht nicht aus. Unabhängig davon fehlt es aber auch am Nachweis eines Gesundheitserstschadens im Sinne einer manifesten Borreliose-Erkrankung. Gerichtsbescheid vom 15.07.2010, Az.: S 5 U 11/10 (rechtskräftig)

b) Alkoholbedingter Sturz nach Richtfest kein Arbeitsunfall Ein Unfall auf dem Nachhauseweg von einem Richtfest ist kein Wegeunfall, wenn die Richtfeier bereits beendet war und der Heimweg erst mehr als zwei Stunden danach angetreten wird. Der 50 Jahre alte Kläger war als Baumaschinist beschäftigt. Nach Beendigung eines Bauabschnitts am Flughafen Dresden, an dem auch der Kläger mitgearbeitet hatte, wurde ein Richtfest gefeiert, welches um 15.00 Uhr begann. Die Feier wurde um 17.00 Uhr offiziell beendet, als der Auftraggeber sowie die Geschäftsleitung gingen. Der bei der Feier eingeladene Kläger wurde gegen 19.10 Uhr neben seinem Fahrrad auf dem Baustellengelände aufgefunden und musste wegen erheblicher Verletzungen notärztlich und anschließend stationär versorgt werden. Bei dem Kläger wurde ein Blutalkoholgehalt von 2,3 Promille

festgestellt. Die Beklagte lehnte die Anerkennung als Arbeitsunfall ab. Der Unfall stelle keinen versicherten Wegeunfall dar. Die gegen die Ablehnung vor dem Sozialgericht Dresden gerichtete Klage blieb ohne Erfolg. Es besteht zwar bei einem Richtfest einschließlich des gemeinsamen Essens und Trinkens aufgrund eines alten Handwerksbrauchs für die unmittelbar am Rohbau des Hauses wesentlich beteiligten Handwerker Versicherungsschutz. Allerdings endet dieser, wenn die Richtfeier nicht mehr von der Autorität des Unternehmers oder seines Stellvertreters getragen wird. Nachfeiern, die im Anschluss an das Richtfest im kleineren Kreise begangen werden, stehen nicht unter Unfallversicherungsschutz, weil sie vorwiegend eigenwirtschaftlichen Zwecken dienen. Der Versicherungsschutz, lebte auch zum Antritt des Heimwegs durch den Kläger nicht wieder auf, weil bereits eine mehr als zweistündige Unterbrechung erfolgt war. Gerichtsbescheid vom 18.10.2010, Az.: S 5 U 211/10 (rechtskräftig)

- Fachgebiet Grundsicherung für Arbeitssuchende – „Hartz IV“ (AS)

a) „Hartz IV“-Empfänger muss sich steuerfreie Spesenzahlungen grundsätzlich als Einkommen anrechnen lassen Auch Spesenzahlungen bei berufsbedingter Ortsabwesenheit in Form der sog. „Auslöse“ stellen grundsätzlich auf das Arbeitslosengeld II anrechenbares Einkommen dar. Das hat das Sozialgericht Dresden in einem jetzt veröffentlichten Urteil vom 1. September 2010 entschieden. Der Kläger ist als Kraftfahrer in einer Spedition beschäftigt. Er erhielt von seinem Arbeitgeber im maßgeblichen Bewilligungszeitraum wegen berufsbedingter Ortsabwesenheit Spesenzahlungen in Form der sog. „Auslöse“. Diese Zahlungen rechnete der beklagte Landkreis in voller Höhe als Einkommen auf das Arbeitslosengeld II an. Hiervon brachte der Beklagte pauschal lediglich 6 € bei über 12-stündiger Abwesenheit als Verpflegungsmehraufwand in Abzug. Hiergegen wendet sich der Kläger vor dem Sozialgericht Dresden, da es sich bei der „Auslöse“ um eine nicht anrechenbare zweckbestimmte Einnahme handele. Ferner begehrt er die Berücksichtigung weiterer Mehraufwendungen. Das Sozialgerichts Dresden wies die Klage auf höhere Leistungen nach dem SGB II nunmehr überwiegend ab. Die sog. „Auslöse“ stellt grundsätzlich keine zweckbestimmte Einnahme dar. Eine Zweckbestimmung ergab sich weder aus einer privatrechtlichen Vereinbarung zwischen dem Kläger und seinem Arbeitgeber noch folgt sie aus einer öffentlich rechtlichen Norm, insbesondere nicht aus dem Einkommensteuergesetz. Denn aus der steuerlichen Privilegierung derartiger Zahlungen lässt sich keine Pflicht zur zweckbestimmten Verwendung ableiten. Verpflegungsmehraufwendungen lassen sich lediglich im Rahmen der gesetzlichen Pauschalen absetzen. Weitere durch die Auswärtstätigkeit bedingte Mehraufwendungen, u.a. solche für Parkgebühren, Toiletten- und Duschbenutzung, können nur geltend gemacht werden, wenn sie konkret nachgewiesen sind. Urteil vom 01.09.2010, Az.: S 36 AS 5042/08 (nicht rechtskräftig)

b) Die Möglichkeit der privaten Nutzung eines Dienstwagens stellt kein anrechenbares Einkommen dar Bei der Feststellung des Einkommens aus abhängiger Beschäftigung ist der in den Lohnund Gehaltsabrechnungen dem Bruttoentgelt hinzugerechnete Betrag für die Möglichkeit der privaten Nutzung des Dienstwagens nicht zu berücksichtigen. Der Kläger ist als Vertriebsbeauftragter beschäftigt. Hierfür wurde ihm von seinem Arbeitgeber ein Dienstwagen zur Verfügung gestellt, den der Kläger auch privat nutzen durfte. Die Beklagte rechnete bei der Berechnung des anzurechnenden Einkommens u.a. einen Betrag für die Möglichkeit der privaten Nutzung des Dienstwagens an und lehnte die Bewilligung von Arbeitslosengeld II ab. Die hiergegen vor dem Sozialgericht Dresden gerichtete Klage hatte Erfolg. Bei der Nutzbarkeit eines Dienstwagens auch für private Zwecke handelt es sich nicht um eine Einnahme in Form von Geld, sondern um einen geldwerten Vorteil. Die Nutzbarkeit des Dienstwagens stellt damit einen zweckgebundenen Sachbezug dar, da der Dienstwagen nach dem Dienstwagenvertrag dienstlich zu nutzen ist. Die Möglichkeit der privaten Nutzung des Dienstwagens beeinflusst die Lage des Klägers nicht so günstig, als dass daneben Leistungen nach dem SGB II nicht mehr gerechtfertigt wären. Urteil vom 22.09.2010, Az.: S 29 AS 3431/10 (rechtskräftig)

c) Zur Anrechenbarkeit einer Betriebskostengutschrift auf die Unterkunftskosten Eine Betriebskostengutschrift mindert auch dann in voller Höhe die Unterkunftskosten des Folgemonats nach Zufluss, wenn die Gutschrift nicht auf Vorauszahlungen beruht oder dem Hilfeempfänger wegen Überschreitung der Angemessenheitsgrenze zuvor nicht die vollen tatsächlichen Aufwendungen für seine Unterkunft gewährt worden sind. Der Kläger bezieht Arbeitslosengeld II, wobei die Kosten der Unterkunft wegen Unangemessenheit gekürzt wurden. Die Beklagte rechnete eine Betriebskostengutschrift für das Jahr 2007 auf den laufenden Bezug von Arbeitslosengeld II an. Hiergegen wendete sich der Kläger vor dem Sozialgericht Dresden. Da er bislang nur eine gekürzte Leistung für Unterkunftskosten bekommen habe, stehe ihm die Erstattung zu.

Die Klage hatte in dieser Frage keinen Erfolg. Das Gericht ist der Auffassung, dass der zurückerstattete Betrag in voller Höhe von den angemessenen Aufwendungen der Unterkunft abzuziehen ist, die der Grundsicherungsträger ohne die Betriebskostenrückerstattung zu leisten gehabt hätte. Eine einschränkende Anwendung des SGB II dahingehend, dass die Betriebskostenrückerstattung nur insoweit die Kosten der Unterkunft des Folgemonats mindert, als sie auf Vorauszahlungen beruht, die der Grundsicherungsträger erbracht hat, ist nicht geboten. Urteil vom 29.06.2010, Az.: S 40 AS 391/09 (nicht rechtskräftig)

- Fachgebiet Rentenversicherung (R)

a) Zum Vorliegen einer den Anspruch auf Witwenrente ausschließenden Versorgungsehe Eine „Notheirat“ im Krankenhaus schließt die Widerlegung der gesetzlichen Vermutung des Vorliegens einer Versorgungsehe beim alsbaldigen Versterben des Ehepartners aus. Die an Knochenkrebs erkrankte Versicherte schloss mit dem Kläger während eines stationären Krankenhausaufenthaltes am 03.01.2003 die Ehe. Am 30.01.2003 verstarb die Versicherte. Die Deutsche Rentenversicherung Bund lehnte die Gewährung einer Witwenrente ab, da die Ehe nicht länger als ein Jahr andauerte und in diesem Fall das Gesetz das Vorliegen einer den Anspruch auf Witwenrente ausschließenden sogenannten Versorgungsehe vermute. Die hiergegen gerichtete Klage blieb erfolglos. Nach Auffassung des Sozialgerichts Dresden konnte der Kläger die gesetzliche Vermutung des Vorliegens einer Versorgungsehe nicht widerlegen. Dies folgt bereits aus dem Umstand, dass die Heirat im Krankenhaus erfolgte. Indem die Verlobten diesen für eine Trauung ungewöhnlichen Ort wählen, rechnen sie zugleich mit der Möglichkeit des Ablebens in näherer Zukunft, so dass deshalb die Heirat nicht auf die Zeit nach Entlassung aus dem Krankenhaus verschoben werden kann und sollte.

Urteil vom 26.07.2010, Az.: S 37 R 285/09 (nicht rechtskräftig)

b) Kein Anspruch auf Bewilligung eines ergonomischen Bürostuhls gegen den Rentenversicherungsträger Genügt gesundheitlich ein ergonomischer Bürostuhl, so ist ein orthopädischer Bürostuhl als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht erforderlich, weil der Arbeitgeber zwecks Einhaltung der Arbeitsschutz- und Unfallverhütungsvorschriften ohnehin verpflichtet ist, mindestens einen solchen Bürostuhl auch gesunden Arbeitnehmern zur Verfügung zu stellen. Die Klägerin übt als Sachbearbeiterin und Rechercheurin an einem Bildschirmarbeitsplatz eine ausschließlich sitzende Tätigkeit aus. Sie ist mit einem Grad der Behinderung von 70 als schwerbehinderter Mensch anerkannt. Wegen ihrer erheblichen Rückenleiden und der damit einhergehenden Schmerzen beantragte die Klägerin bei der Deutschen Rentenversicherung Bund einen orthopädischen Bürostuhl. Der vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellte Stuhl lindere nicht die Probleme und entspreche nicht ihren Anforderungen. Die Deutsche Rentenversicherung Bund lehnte den Antrag ab. Das Sozialgericht Dresden wies die Klage auf Übernahme der Kosten für einen orthopädischen Bürostuhl ab. Ein Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben umfasst nur die konkret erforderlichen Leistungen, um die Erwerbsfähigkeit behinderter oder von Behinderung bedrohter Menschen zu erhalten, zu verbessern oder herzustellen und ihre

Teilhabe am Arbeitsleben möglichst auf Dauer zu sichern. Der Klägerin genügt aus gesundheitlichen Gründen für sitzende Tätigkeiten ein ergonomischer Bürostuhl, wie er vom Arbeitgeber auch gesunden Arbeitnehmern zur Verfügung zu stellen ist. Falls der Klägerin ein solcher ergonomischer Bürostuhl bislang nicht zur Verfügung steht, liegt die Ursache der Gefährdung oder Minderung ihrer Erwerbsfähigkeit allein in einer mangelnden Arbeitsplatzausstattung durch den Arbeitgeber. Urteil vom 29.03.2010, Az.: S 24 R 157/08 (rechtskräftig)

c) Zum Begriff der Erwerbsminderung „auf nicht absehbare Zeit“ Anspruch auf Erwerbsminderungsrente besteht nur dann, wenn die Erwerbsminderung „auf nicht absehbare Zeit“ vorliegt. Der Begriff „auf nicht absehbare Zeit“ erfasst einen Zeitraum von sechs Kalendermonaten. Eine gute Behandelbarkeit der zur Erwerbsminderung führenden Erkrankung innerhalb dieses Zeitraumes schließt eine Erwerbsminderung dann nicht aus, wenn die Erwerbsminderung bereits länger als sechs Monate andauert. Die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See lehnte einen Rentenanspruch des seit 07.11.2008 voll erwerbsgeminderten Kläger ab, da es sich bei der zur vollen Erwerbsminderung führenden depressive Episode lediglich um eine vorübergehende Erkrankung handele, die innerhalb von sechs Monaten gut behandelbar sei. Das Sozialgericht gab der auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente gerichteten Klage statt. Bei der Beurteilung, ob eine Erwerbsminderung auf „nicht absehbare Zeit“ vorliegt, darf nicht allein auf eine prognostische, zukunftsgerichtete Beurteilung der voraussichtlichen Dauer der Erwerbsminderung zum jeweiligen Entscheidungszeitpunkt abgestellt werden. Die Prognose muss daher nachträglich und rückschauend darauf überprüft werden, ob der Versicherte nicht doch „auf nicht absehbare Zeit“, d. h. mehr sechs Monate im rentenberechtigenden Ausmaß erwerbsgemindert war bzw. ist. Ist dies der Fall, ist eine Behebbarkeit der Erwerbsminderung in voraussichtlich unter sechs Kalendermonaten nur bei der Befristung der Rente relevant. Wirkt der Versicherte trotz guter Behandelbarkeit nicht mit und zögert so die Behebung der Erwerbsminderung hinaus (was hier aber nicht zutraf), kann der Rentenversicherungsträger in einem besonderen Verfahren unter Einhaltung bestimmter Voraussetzungen die Rente wegen mangelnder Mitwirkung des Versicherten versagen. Urteil vom 12.04.2010, Az.: S 24 R 289/09 (rechtskräftig)