ANLAGE 2 ZUR MEDIENINFORMATION VOM 15. APRIL 2016

Dresden, den 15. April 2016

Auswahl interessanter Entscheidungen des Sozialgerichts Dresden - Fachgebiet Sozialhilfe

Zu den angemessenen Kosten der Unterkunft in Pflegewohngemeinschaften Ein zu den angemessenen Kosten der Unterkunft erstelltes Konzept kann nur dann angewandt werden, wenn es schlüssig ist und die genutzte Wohnform abbildet. Ist dies nicht der Fall und können die angemessenen Kosten der Unterkunft nicht anders ermittelt werden, ist der Rückgriff auf die Wohngeldtabelle zulässig. Die 29-jährige Klägerin leidet an einer schwersten kombinierten geistigen und körperlichen Komplexbehinderung und bedarf einer 24-stündigen Pflege und Betreuung. Sie bewohnt ein 23,5 m² großes Zimmer in einer 5 Zimmer umfassenden Pflegewohngemeinschaft. Die Miete beträgt insgesamt 597,85 EUR. Die Klägerin benötigt ein von allen Seiten zugängliches Pflegebett, sie ist zudem auf die Nutzung eines Sitzschalenrollstuhls angewiesen, der größer ist als ein gewöhnlicher Rollstuhl und einen Wenderadius von ca. 350 cm hat. Unter Verweis auf die entsprechende Verwaltungsvorschrift bewilligte der beklagte Landkreis Meißen lediglich Sozialhilfe unter Berücksichtigung von aus seiner Sicht angemessenen Mietkosten von 396,60 €. Vor dem Sozialgericht begehrt die Klägerin die Berücksichtigung der tatsächlichen Wohnkosten. Die Klage hatte teilweise Erfolg. Der Beklagte ist nicht berechtigt eine Kürzung der Mietkosten auf die Verwaltungsvorschrift des Landkreises Meißen zu den Angemessenheitsgrenzen von Unterkunfts- und Heizkosten zu stützen. Denn Pflegewohngemeinschaften sind in der Verwaltungsvorschrift in keiner Weise abgebildet. Eine Datenerhebung zu dieser besonderen Wohnform liegt nicht vor. Dies führt aber nicht zur Berücksichtigung der tatsächlichen Wohnkosten. Mangels anderweitiger belastbarer Daten ist zur Bestimmung der als angemessen zu berücksichtigenden Wohnkosten auf die Wohngeldtabelle zuzüglich eines Zuschlages von 10 % zurückzugreifen, wobei aufgrund des individuellen behinderungsbedingten Wohnbedarfes der Klägerin auf die Kosten für einen 1,5-PersonenHaushalt abzustellen ist. Urteil vom 08.09.2015, Az.: S 54 SO 276/12 (rechtskräftig)

- Fachgebiet Unfallversicherung (U)

Sturz aus Doppelstockbett während einer Klassenfahrt ist ein Arbeitsunfall Bei einem Sturz aus einem nicht gesondert gegen Herausfallen gesicherten Doppelstockbett während einer Klassenfahrt realisiert sich ein besonderes Risiko. Dies berechtigt zur Anerkennung eines Arbeitsunfalles (Schulunfall). Der damals 11-jährige Kläger nahm in der Vierten Klasse der Grundschule an einer 5tägigen Klassenfahrt teil. In der Unterkunft schlief er in der oberen Etage eines Doppelstockbettes. Eines Nachts wurde er von Schülern gegen 2.30 Uhr weinend am Boden liegend gefunden. Im Universitätsklinikum Dresden wurde eine Schädelbasisfraktur mit epiduraler Blutung festgestellt. Die Unfallkasse lehnte die Anerkennung als Arbeitsunfall ab. Der Unfall habe sich während der Nachtruhe ereignet. Eine Übernachtung während einer Klassenfahrt in einem Doppelstockbett sei nicht unüblich. Eine besondere unübliche Gefahrenquelle habe vorgelegen. Die hiergegen gerichtete Klage hatte Erfolg. Das Sozialgericht verurteilte die Unfallkasse zur Anerkennung des Unfalles als Arbeitsunfall. Die für die Feststellung eines Arbeitsunfalles erforderliche erhöhte Gefährdung bestand hier in der Notwendigkeit der Benutzung eines handelsüblichen Stockbettes, das gegen die Gefahr des Herabfallens während des Schlafens nicht besonders gesichert war. Der Kläger war damit während der Schulveranstaltung zwangsläufig und ohne sein Zutun einem erhöhten Risiko ausgesetzt. Dieses Risiko hat sich tatsächlich auch realisiert. Gerichtsbescheid vom 20. Oktober 2015, Az.: S 5 U 213/14 (nicht rechtskräftig)

- Fachgebiet Grundsicherung für Arbeitssuchende – „Hartz IV“ (AS)

a) Zu den Grenzen des Sanktionsrechts Die Weigerung, sich auf einen Vermittlungsvorschlag zu bewerben, kann dann nicht mit einer Sanktion geahndet werden, wenn eine Bewerbung auf die ausgeschriebene Stelle aufgrund der gesundheitlichen Einschränkungen des Leistungsberechtigten in keinem Fall zum Erfolg hätte führen können. Der 48-jährige arbeitslose Kläger bezieht Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Das Jobcenter unterbreitete ihm einen Vermittlungsvorschlag für ein Stellenangebot als Instandhaltungsmechaniker/Metallbauer in Normalschicht. Da der Kläger diesem Vorschlag, wie bereits früheren Vermittlungsangeboten, nicht nachkam, minderte das Jobcenter die Leistungen um 100 %. Hiergegen wandte sich der Kläger vor dem Sozialgericht Dresden. Er sei aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage, die angebotene Stelle anzutreten. Eine stufenweise Eingliederung sei nicht möglich. Das Gericht hat der Klage nach Einholung eines medizinischen Gutachtens stattgegeben. Aufgrund der beim Kläger vorliegenden ausgeprägten psychosomatischen Störungen, war

der Kläger nicht ohne weiteres in der Lage, die angebotene Stelle auszuüben. Ihm konnte daher eine Bewerbung nicht zugemutet werden. Der Arbeitgeber teilte mit, dass aufgrund der gesundheitlichen Einschränkungen des Klägers eine Einstellung nicht hätte erfolgen können. In Anbetracht der dessen hätte eine Bewerbung auf die ausgeschriebene Stelle in keinem Fall zum Erfolg führen können. Damit liegt eine zur Sanktion berechtigende Pflichtverletzung nicht vor. Urteil vom 10.08.2015, Az.: S 20 AS 1507/14 (rechtskräftig)

b) Kein Anspruch auf „Hartz IV“ wegen einmaliger Heizkosten Führt die Lieferung mit Brennstoff lediglich zur Bedürftigkeit im Bezugsmonat, besteht ein Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende („Hartz IV“) nur dann, wenn auch bei einer Aufteilung dieser Kosten auf die Heizperiode eine Hilfebedürftigkeit in den einzelnen Monaten entsteht. Die Kläger – eine arbeitslose alleinerziehende Mutter mit ihrem Sohn – bewohnen ein Einfamilienhaus in Bautzen. Insgesamt verfügen sie monatlich über ca. 1.000,00 €, die sich aus Arbeitslosengeld I, Kindergeld, Unterhaltsleistungen und Wohngeld zusammensetzen. Einen Anspruch auf laufende „Hartz IV“ Leistungen haben die Kläger nicht, da das Einkommen den Bedarf um etwa 150,00 € übersteigt. Sie beantragten beim beklagten Landkreis Bautzen die Übernahme der Kosten für eine Heizöllieferung in Höhe von ca. 460 €, da sie im Monat des Bezuges bedürftig seien. Dies lehnte der Beklagte ab. Ihnen sei zumutbar, aus ihrem Einkommen Rücklagen für die Brennstofflieferungen zu bilden und den einmaligen Bedarf daraus zu decken. Die hiergegen vor dem Sozialgericht Dresden erhobene Klage blieb erfolglos. Bei Personen, die aufgrund übersteigenden Einkommens nicht im Leistungsbezug stehen und die allein wegen einmaliger Heizkosten hilfebedürftig werden, ist die Hilfebedürftigkeit nicht allein zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Heizkosten zu ermitteln. Die Heizkosten sind vielmehr auf die vorgesehene Heizperiode aufzuteilen. Erst soweit dann eine Hilfebedürftigkeit in den einzelnen Monaten entsteht, besteht ein Anspruch auf Übernahme der Heizkosten. Auch nach dieser Berechnung überstieg das laufende Einkommen der Kläger den monatlichen Bedarf.

Urteil vom 16.02.2015, Az.: S 48 AS 6069/12 (nicht rechtskräftig)

c) Die Geburt eines Kindes durch eine Minderjährige lässt den Anspruch ihrer Mutter auf Mehrbedarf für Alleinerziehung unberührt Der Mehrbedarf für Alleinerziehung ist der Mutter einer minderjährigen Tochter auch dann zu gewähren, wenn die Tochter bereits selbst Mutter ist. Die 44-jährige alleinstehende Klägerin lebt mit ihren im streitigen Zeitraum 18- und 16jährigen Töchtern und ihrem Enkel – Sohn der minderjährigen Tochter – in einem gemeinsamen Haushalt. Sowohl die Klägerin selbst in Bedarfsgemeinschaft mit der volljährigen Tochter als auch die minderjährige Tochter in Bedarfsgemeinschaft mit ihrem Sohn erhiel-

ten fortlaufend vom beklagten Jobcenter Dresden Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II (sog. Hartz IV). Im streitigen Zeitraum lehnte das Jobcenter die Gewährung eines Mehrbedarfes für Alleinerziehung für die Klägerin ab. Ein Mehrbedarf wegen Alleinerziehung werde durch ein Kind, das selbst ein Kind hat, nicht mehr verursacht. Das Sozialgericht Dresden ist dieser Argumentation nicht gefolgt. Der Umstand, dass die minderjährige Tochter der Klägerin bereits selbst Mutter eines Kindes ist, lässt den Anspruch auf Mehrbedarf wegen Alleinerziehung nicht entfallen. Das Gesetz stellt allein auf die Minderjährigkeit ab, ohne dass der konkrete Betreuungsaufwand geprüft werden müsste. Einschränkungen wie etwa "ledig, ohne eigene Kinder" finden sich nicht. Besonders die zivilrechtlichen Vorschriften über die elterliche Sorge und die Vorschriften der Jugendhilfe stützen dies. Hiernach wird gerade nicht danach unterschieden, ob die minderjährigen Kinder schon selbst Eltern sind oder nicht. Die minderjährige Tochter der Klägerin wird daher auch nach der Geburt ihres Sohnes durch die dem Haushalt vorstehende Klägerin betreut und erzogen. Urteil vom 21.08.2015, Az.: S 40 AS 1713/13 (nicht rechtskräftig)

d) Entscheidung neuer Musterverfahren zu den angemessenen Kosten der Unterkunft in Dresden Hartz IV Empfänger in Ein- und Zwei-Personen-Haushalten in Dresden können höhere maximale Wohnkosten geltend machen. Die Kläger beziehen Leistungen nach dem SGB II. Das Jobcenter hatte unter Berufung auf die von der Landeshauptstadt Dresden am 24. November 2011 und 30. Mai 2013 beschlossen Angemessenheitsgrenzen die monatlichen Kosten der Unterkunft (sog. BruttoKaltmiete ohne Heizkosten) für einen Ein-Personen-Haushalt im Jahr 2012 auf 276 € und in den Jahren 2013 und 2014 auf 304,79 € gekürzt. Für einen Zwei-Personenhaushalt wurden 2012 maximal 347 € und in den Jahren 2013 und 2014 maximal 377,61 € berücksichtigt. Hiergegen wenden sich die Kläger. Sie sind der Auffassung, dass das von der Landeshauptstadt Dresden beauftragte Institut Wohnen und Umwelt GmbH Darmstadt (IWUInstitut) die Angemessenheitsgrenzen unter Anwendung fraglicher wissenschaftlicher Methoden fehlerhaft ermittelt habe. Tatsächlich könnte zumutbarer, dem einfachen Standard entsprechender Wohnraum in Dresden zu diesen Preisen nicht angemietet werden. Die 40. Kammer des Sozialgerichts Dresden ist der Argumentation der Kläger teilweise gefolgt und hat das Jobcenter zu weiteren Zahlungen für die Kosten der Unterkunft verurteilt. Grundsätzlich ist die durch das IWU-Institut angewandte wissenschaftliche Methode zur Ermittlung der angemessenen Wohnkosten nicht zu beanstanden. Allerdings sind an einzelnen Berechnungsschritten und Berechnungsparametern zur Berücksichtigung von Leerstand und Verfügbarkeit von Wohnraum methodische Änderungen vorzunehmen. Dies führt zu geringfügig höheren Angemessenheitsgrenzen in den Jahren 2013 bis 2014 für Ein- und Zwei-Personen-Haushalte. Für 2012 bleibt das Gericht mit seiner Entscheidung allerdings unter den vom Sächsischen Landessozialgericht festgestellten Grenzen (Urteil vom 19. Dezember 2013, Az. L 7 AS 637/12).

Urteile vom 04.09.2015, Az.: S 40 AS 2451/13, S 40 AS 4473/13, S 40 AS 1270/13, S 40 AS 670/14 (nicht rechtskräftig)

- Fachgebiet (BK) Zum Begriff der Klassenfahrt Trainings- und Wettkampffahrten von Schülern an sportbetonten Schulen im Freistaat Sachsen stellen keine Klassenfahrten im Sinne des "Bildungs- und Teilhabepaketes" dar. Die Klägerin bezieht Wohngeld. Von der Familienkasse wurde Ihr ein Familienzuschlag bewilligt. Der Sohn der Klägerin besucht ein sportbetontes Gymnasium in Dresden und betreibt Rennrodeln im Leistungssportbereich. Die Klägerin beantragte bei der Landeshauptstadt Dresden die Übernahme der Kosten für mehrtägige Wettkampfreisen und Trainingslehrgänge. Dies lehnte die Landeshauptstadt ab. Die hiergegen gerichtete Klage blieb ohne Erfolg. Nach Auskunft der Schule handelte es sich um keine von der Schule organisierten und getragenen Veranstaltungen. Sie überstiegen den Rahmen von Schulfahrten, die maximal 8 Tage pro Schuljahr umfassen. Bei den Wettkämpfen und Trainingslehrgängen hat es sich auch nicht um Reisen einer Schulmannschaft gehandelt. Vielmehr waren die Reisen vom Rennrodel-, Bob- und Skeletonverband oder vom Sportverein des Sohnes der Klägerin organisiert und durchgeführt worden. Eine Beaufsichtigung und Betreuung durch die Lehrer der Schule hat nicht stattgefunden. Unerheblich ist insoweit, dass der Sohn der Klägerin eine sportbetonte Schule besucht. Allein der Vorteil dieser Schulart, dass im besonderen Maße auf die Belange des Leistungssports Rücksicht genommen wird, lässt außerhalb der Schule organisierte Trainings- oder Wettkampfreisen noch nicht als schulische Veranstaltungen erscheinen.

Urteil vom 12.06.2015, Az. S 14 BK 32/13 (rechtskräftig)

- Fachgebiet Krankenversicherung (KR) Krankenkasse muss Aufenthalt im Krankenhaus bei einer Radiojodtherapie bezahlen

Die Kosten des stationären Aufenthalts im Krankenhaus bei einer Radiojodtherapie unterfallen dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen. Dies hat das Sozialgericht Dresden mit Urteil vom 27.02.2015 entschieden. Die 77 Jahre alte Versicherte litt an einer Schilddrüsenerkrankung, die im Universitätsklinikum Dresden mit der Radiojodtherapie behandelt wurde. Hierbei nahm sie mit einer Kapsel radioaktives Jod ein. Nach 24 Stunden sind etwa 50 % des Jods in der Schilddrüse gespeichert und bestrahlen die bösartige Erkrankung "von innen". Der Rest wird über die

Nieren ausgeschieden. Die Strahlenschutzverordnung sieht bei dieser Behandlung einen 48 stündigen Krankenhausaufenthalt auf einer nuklearmedizinischen Station vor. Damit können die radioaktiven Ausscheidungen aufgefangen werden und gelangen nicht in das öffentliche Abwasser. Die Kaufmännische Krankenkasse lehnte eine Übernahme der Kosten des Klinikaufenthaltes in Höhe von insgesamt rund 2.800 € ab. Sie ist der Auffassung, die Behandlung sei mit der Gabe der Kapsel erschöpft. Die Aufnahme in das Krankenhaus erfolge nur aus Gründen der Gefahrenabwehr für die Allgemeinheit. Dafür müssten allein die Bundesländer aufkommen. Das Sozialgericht Dresden ist dieser Argumentation nicht gefolgt. Es verurteilte die Krankenkasse zur Zahlung der vollen Behandlungskosten. Die Krankenhausunterbringung ist gesetzlich untrennbar mit der Therapie mit radioaktivem Jod verknüpft. Sie kann nicht in erster Linie als Gefahrenabwehrmaßnahme qualifiziert werden. Urteil vom 27.02.2015, Az.: S 47 KR 439/12 (rechtskräftig). Das Bundessozialgericht hat die Entscheidung mit Urteil vom 17. November 2015 (Az.: B 1 KR 18/15 R) bestätigt.