An Bedeutung gewinnt die Frage der Generationengerechtigkeit:

»Produkte entwickeln, die nützlich sind, nicht weniger schädlich« Interview: Michael Braungart entwickelte das Cradle-to-cradle-Konzept – Seite 11 P....
Author: Eva Anna Wolf
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»Produkte entwickeln, die nützlich sind, nicht weniger schädlich« Interview: Michael Braungart entwickelte das Cradle-to-cradle-Konzept – Seite 11

P.b.b. Verlagspostamt 1050 Wien Zulassungs-Nr. GZ 02Z030778M

vcömagazin

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Mobilität mit Zukunft

2011-01 VCÖ Bräuhausgasse 7–9 1050 Wien T +43-(0)1-893 26 97 F +43-(0)1-893 24 31 E [email protected] www.vcoe.at

Der ökologische Fußabdruck im Lebenszyklus Die Betrachtung der Lebenszyklen von Fahrzeugen und Infra­strukturen öffnet den Blick für die gesamten Auswirkungen. Das ermöglicht den Verkehr nachhaltiger zu gestalten.

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in durchschnittlicher Diesel-Pkw erzeugt etwa 77 Prozent seiner CO2-Emissionen im Betrieb, der Rest fällt bereits in der Kraftstoffvorkette und bei der Produktion des Autos an. Lebenszyklus-Betrachtungen im Verkehr schärfen den Blick für solche Details. Für Energie und Wasser, die verbraucht werden. Für den Boden, der durch den Bau von Verkehrsinfrastrukturen versiegelt wird. Für den Feinstaub, der sich in unseren Lungen ablagert. Für den Lärm, der die Lebensqualität beeinträchtigt. Auch die individuell verschiedenen Mobilitätsbedürfnisse von Menschen werden differenzierter wahrgenommen. Umweltschutz ist nicht, ein Produkt weniger schädlich zu machen, sondern es vielmehr nützlich zu machen, es in Kreisläufen zu denken, wie das Michael Braungart im Cradle-tocradle-Konzept (von der Wiege bis zur Wiege) anschaulich macht. Auch der Blick auf die Kosten schärft sich im Zuge der Lebenszyklus-Betrachtungen

Pflegenotstand Straße Straßen-Neubauprojekte beherrschen die öffentliche Diskus­ sion. Die wesentliche Heraus­forderung liegt jedoch im Betrieb und der Erhaltung der Straßennetze in Österreich. Seite 5

von Fahrzeugen und Infrastrukturen. Beim Neubau von Infrastrukturen werden die Folgekosten für Betrieb und Erhaltung gerne ausgeblendet. Die Verlockung ist groß, bei knappen Kassen den Betrieb und die Erhaltung von Infrastrukturen zu gering zu dotieren, da die Folgen erst viel später sichtbar werden. Wird bei der Erhaltung von Regionalbahnen über Jahrzehnte gespart, fällt die Einstellung umso leichter. Nur durch regelmäßige Erhaltung und Modernisierung bleiben Verkehrssysteme für den Markt attraktiv. An Bedeutung gewinnt die Frage der Generationengerechtigkeit: Wie werden die Rechte und Ansprüche zukünftiger Generationen gewahrt, denen wir neben Infrastrukturen und dafür gemachte Schulden auch die Folgewirkungen unserer Emissionen hinterlassen – etwa deren Recht auf eine gesunde Umwelt oder das Recht, individuell und kollektiv ­autonome Entscheidungen treffen zu können.

Wasserstraße statt Fluss Beispiel Donau: Innova­ tio­nen kennzeichnen den Transportsektor. Das geht auch mit ökologischen Veränderungen einher, die meist ausgeblendet bleiben. Seite 8

E-Vignette

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ie alte Papier-Vignette für die Autobahnen und Schnellstraßen in Österreich ist unflexibel, ungerecht und animiert zum Vielfahren. Wohlhabende legen deutlich mehr Kilometer auf Autobahnen zurück als einkommensschwache Haushalte. Vom Fixpreis der Pkw-Vignette profitieren jene, die viel Auto fahren. Sie sollte durch eine zeitgemäße elektronische Vignette ersetzt werden, meint der VCÖ. Die Kontrolle wird einfacher, es ist kein jährlicher Wechsel nötig und die Tarifgestaltung kann flexibler, nach ökologischen Kriterien, fahrleistungsabhängig und damit gerechter werden. >

VCÖ-Factsheet „Moderne Vignette statt PapierVignette“ auf www.vcoe.at (Printmedien/ Factsheets)

Gesetze statt Moral Mehr Gefühl für kurzfristige Vorteile als langfristige Nachteile. Mit Armin Grunwald sprach das VCÖ-Magazin über die Grenzen individueller Nachhaltigkeit. Seite 9

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vcö-magazin2011-01 vcö-magazin 2011-01

kommentar

Eine Frage der Kultur Von Martin Blum VCÖ-Verkehrspolitik

Seit Dezember 2010 verkehrt kein direkter Zug mehr zwischen den Landeshauptstädten Linz und Graz – ehemalige Kulturhauptstädte Europas. Was viele Jahrzehnte möglich war, ist im Jahr 2011 scheinbar nicht mehr machbar und finanzierbar. Die Fahrzeit von Linz nach Graz hat sich dadurch um eine halbe Stunde auf drei Stunden und 25 Minuten verlängert. Das Beispiel der Verbindung Linz–Graz ist für viele Fotos: Marianne Weiss

ein Symbol für falsche Prioritäten bei der Bahn. infrastruktur investiert, während auf vielen Strecken immer weniger Züge fahren und in einigen Regionen Schienen stillgelegt und durch Busse ersetzt werden, etwa die Thayatalbahn oder die Donauuferbahn. Andere Verbindungen sind akut von der Einstellung bedroht.

»Im Finanzierungsdschungel verfahren« Tatsächlich scheint sich der Öffentliche Verkehr im Finanzierungsdschungel zu verfahren. Das Diktat der Ökonomie wird auf einzelne Bahnverbindungen übergewälzt, während anderswo im Verkehrsbereich Milliardenbeträge investiert

vcö-hintergrundgespräch

Milliarden Euro werden in hochrangige Verkehrs­

werden. Beim Öffentlichen Verkehr, speziell der Bahn, geht es auch um eine Frage der Kultur: Um die Freiheit, ohne eigenes Auto zu leben und komfortabel mobil zu sein. Dafür sind moderne Regionalbahnen und ein gesichertes, gutes Grundangebot an Öffentlichem Verkehr nötig. Auch um die Mobilität aller sicherzustellen, von Kindern bis zu alten Menschen. Die Liberalisierung im Bahn-Personenverkehr setzt zusätzliche Zentrifugalkräfte im Öffentlichen Verkehr in Gang. Sie erfordert von der Öffentlichen Hand stärkere Kontrolle und Rahmenbedingungen, die sich klar an den Bedürfnissen der Kundinnen und Kunden orientieren: eine betreiberunabhängige Fahrplanauskunft, einheitliches Ticketing und ein abgestimmter Fernverkehrstakt und als Basis ein klar festgelegtes Grund­angebot im Fern- und Nahverkehr. Ihre Meinung an: [email protected] Impressum: VCÖ-Magazin – für Mobilität mit Zukunft Redaktion und Anzeigenleitung: A-1050 Wien, Bräuhausgasse 7–9 T +43-(0)1-893 26 97 F +43-(0)1-893 24 31 E [email protected] www.vcoe.at Medieninhaber, Herausgeber: VCÖ, 2340 Mödling ZVR 674059554 Konto: PSK 7.526.525

DVR-Nr. 0539856 UID-Nr. ATU 36822809 Zulassungs-Nr. GZ 02Z030778 M Persönlich gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung der Autorin beziehungsweise des Autors wieder. Layout: A BISS Z PRODUCTIONS, 1090 Wien, Nussdorferstraße 16 Herstellung: Druckerei Berger, 3580 Horn, Wiener Straße 80

Erstellt unter Mitarbeit von: Klaus Schierhackl

Gerhard Amtmann Leopold Cecil

Diana Klein

Monika Schuh

Heini Staudinger

Sandor Fülöp Ulla Rasmussen

Christian Höller

Ursula JungmeierScholz

Armin Grunwald

Gerfried Jungmeier Lukas Meyer

Ines Weller

Stefan Eder

Josef Eltentawi

Christian Gratzer

Michael Duncan Gertrud Haidvogl

Markus Pendl

Marina FischerKowalski

Martin Blum Sebastian Kummer

Georg Rebernig

Michael Braungart

Friedrich Hinterberger

Markus Hoffmann Verena Winiwarter Eva Burger

Julia Haslinger

Roland Blab

Elektronische Vignette: Es diskutierten (v.li.n.re.) Josef Eltantawi (Kapsch TraffiCom), Klaus Schierhackl (Asfinag), Christian Gratzer (VCÖ – Moderation), Monika Schuh (Industriellenvereinigung). Sebastian Kummer (WU Wien), Martin Blum (VCÖ)

Moderne Vignette statt Papier-Vignette Die Autobahn-Vignette kostet jene, die weniger auf Österreichs Autobahnen und Schnellstraßen unterwegs sind, überproportional mehr als Vielfahrende. Eine kilometerabhängige Maut wäre gerechter, meint der VCÖ und lud Von Christian Höller Fachleute zu einem Hintergrundgespräch. 

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or 15 Jahren wurde die Auto­ bahnvignette in Österreich eingeführt. Damals als Übergangslösung gedacht, gibt es das ZeitVignetten-System immer noch. Als Beitrag zur Erreichung der Klimaund Energieziele Österreichs braucht es eine kilometerabhängige Gebühr. Eine elektronische Vignette würde diese Differenzierung ermöglichen. Die kontroversielle Diskussion zeigt, dass die Politik gefordert ist. Sebastian Kummer, Vorstand des Instituts für Transportwirtschaft und Logistik an der Wirtschaftsuniversität Wien, sieht die derzeitige Zeit-Vignette kritisch: „Eine leistungsabhängige Maut ist gerechter und macht den Verkehr effizienter.“ Es muss keine gänzliche Umstellung auf eine elektronische Vignette sein, er kann sich das auch mit Wahlmöglichkeit zwischen Zeit-Vignette und fahrleistungsabhängiger elektronischer Vignette vorstellen. Oder eine Umstellung der Jahresvignette (mit einer Kosten-Deckelung) und die Beibehaltung der 10-Tage-Vignette. Die Zukunft in Europa liegt bei der elektronischen Vignette, ist Josef Eltantawi von Kapsch überzeugt. Viele Staaten arbeiten bereits an einer Einführung. „Die bestehende Infra­ struktur für die Lkw-Maut kann auch für die E-Vignette mitverwendet werden.“ Eine E-Vignette würde sich auch rechnen, sie sei im Gebrauch effizienter, die elektronische Kontrolle

Josef Eltantawi (Kapsch TraffiCom): „Ich plädiert für ein schrittweises Vorgehen.“

Klaus Schierhackl (Asfinag): „Bin mit bestehendem System zufrieden.“

würde die Betriebskosten senken und die Einnahmen erhöhen. Zudem würde ein Referenzmodell in Österreich unser Land als Technologiestandort stärken. Er plädiert für ein schrittweises Vorgehen, um Erfahrungen zu

sammeln, statt endlos Vor- und Nachteile zu diskutieren. Für Monika Schuh von der Industriellenvereinigung gehören die Diskussionen über eine elektronische ­Vignette und ein sinnvolles

Vorteile einer elektronischen Vignette • Sie ermöglicht eine Differenzierung der Preise nach ökologischen Kriterien. • Sie ist fairer, da jene, die wenig fahren, auch weniger zahlen. Davon profitieren ­Wenigverdienende überproportional, da sie auch weniger fahren. • Sie liefert wichtige Daten für die Verkehrsleitung und hilft so, Staus zu vermeiden. • Sie muss frühestens nach fünf Jahren ausgetauscht werden, nicht jährlich. • Sie ist übertragbar, wovon jene 370.000 Personen profitieren, die ein Wechsel­ kennzeichen haben.

Offenlegung gemäß § 25 Mediengesetz: Medieninhaber: gemeinnütziger Verein VCÖ, 2340 Mödling. Geschäftsführer: Dr. Willi Nowak. Grundlegende Richtung gemäß Paragraf 25, Absatz 4 Mediengesetz: Das VCÖ-Magazin ist ein Medium zur Verbreitung der Ziele des VCÖ und dient insbesondere der Förderung ökologisch verträglicher, sozial gerechter und effizienter Mobilität durch Beiträge aus den Bereichen Verkehrspolitik, Verkehrswissenschaft, Verkehrspsychologie und Verkehrssicherheit.



vcö-magazin 2011-01

Pkw-Road Pricing zusammen. „Die aktuelle Vignettenlösung hat keinen verkehrspolitischen Lenkungseffekt und ist ungerecht, weil sie nicht an die gefahrenen Kilometer anknüpft.“ Jeder soll verursachergerecht belastet werden. Aufgrund der Klima- und Energieziele Österreichs führe kein Weg an einer kilometerbezogenen Pkw-Maut vorbei. Schuh warnt, derzeit ungelöste Fragen dürfen keinen Stillstand bringen. Es sind politische Entscheidungen nötig – dann klären sich auch die offenen Fragen. „Ich bin mit dem bestehenden System zufrieden“, betont Klaus Schierhackl, Vorstanddirektor der Asfinag. 22 Millionen Vignetten werden jähr-

lich verkauft, 4 Millionen Jahres­ vignetten und 18 Millionen Kurzzeitvignetten. Das System kostet (inklusive Vertrieb) etwa 21 Millionen Euro pro Jahr. Die jährlichen Einnahmen betragen 350 Millionen Euro. Solange es bei einer zeitabhängigen Bemautung bleibt, sei die herkömmliche Klebevignette einfacher, günstiger und besser zu kontrollieren. Er sieht für die Asfinag keinen Grund zu einer Änderung. Nur wenn die Politik sich für eine fahrleistungsabhängige PkwMaut entscheidet, würde das die Situation ändern. Eine an der Fahrleistung anknüpfende E-Vignette ist sozial gerechter, rechnet Martin Blum vom VCÖ vor:

„Wer 10.000 Kilometer pro Jahr mit dem Pkw auf der Autobahn fährt, zahlt 0,7 Cent pro Kilometer, wer hingegen nur 1.500 Kilometer zurücklegt, zahlt mit 5 Cent pro Kilometer siebenmal so viel.“ Das wohlhabendste Viertel der Gesellschaft fährt viereinhalbmal so viel Auto wie das ärmste Viertel – der derzeitige Fixpreis begünstigt also die Wohlhabenden. Die heutige Lösung bietet keinen Anreiz zum Umsteigen, obwohl oft parallel zu Autobahnen guter Öffentlicher Verkehr vorhanden ist – dieses Potenzial muss ausgeschöpft werden. Um Härten zu vermeiden, schlägt Blum eine fahrleistungsabhängige Vignette mit einer Deckelung bei 180 Euro vor.

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verkehr in EUropa

Treibstoff frisst Land Von Ulla Rasmussen, VCÖ-Verkehrspolitik

Die EU-Kommission hat kurz vor Weihnachten 2010 einen Bericht über Lebenszyklen in der Agro-Kraftstoff-Produktion ­veröffentlicht. Darin wird ausgeführt, dass die politikinduziert steigende Nachfrage nach Agro-Kraftstoff auch indirekte Landnutzungseffekte auslöst, die womöglich das angestrebte Klimaschutzziel gefährden. Die mutlose Schlussfolgerung: Abwarten. Studien erstellen. Beobachten. Ob das reichen wird? Die nationale Umsetzung des Ziels für erneuerbare Energie ist europaweit voll in Gang. Da sich niemand an eine wesentliche Reduktion des Gesamtverbrauchs wagt, muss in Agro-Kraftstoff investiert werden. Aber ist erst einmal wertvolles Land in

»BloSS abwarten, wird aktives Gestalten unmöglich machen« Anbau­flächen für Energiepflanzen umgewandelt, lässt sich das nicht wieder in den Ursprungszustand zurückversetzen. Die EU ist gefordert, noch etwas Konkretes zu unternehmen. Ein verwandtes Thema sind die Lebenszyklen bei der Ölproduktion. Auch bei Öl muss CO2 eingespart werden. Und zwar sechs Prozent über die ganze Produktionskette bis zum Jahr Monika Schuh (Industriellenvereinigung): „Jeder soll verursachergerecht belastet werden.“

Martin Blum (VCÖ): „Der Fixpreis begünstigt Wohlhabende.“

2020. Aber wenn in den Berechnungen kein Unterschied ge-

Sebastian Kummer (WU Wien): „Eine leistungsabhängige Maut ist gerechter.“

macht wird zwischen herkömmlichem Öl und der wesentlich CO2-intensiveren Förderung aus nicht-konventionellem Öl wie Ölsand, wird einmal mehr die gute Absicht von der politischen Wirklichkeit überrollt. Aus Klima- und Naturschutzsicht ist es dringend notwendig sicherzustellen, dass die Verlockung, nicht-konventionelles Öl zu produzieren, unterbunden wird.

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Mobilität mit Zukunft möglich machen, heißt Verkehr und Transport umfassend zu betrachten. Ein Beispiel:

Und dass auf weniger Verbrauch gesetzt wird statt auf noch

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VCÖ-Spendenkonto BAWAG P.S.K. 7.540.514

MOBILITÄT MIT ZUKUNFT

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Autofirmen werben mit niedrigem SpritVerbrauch beim Fahren …

schädlicheren Treibstoff. Öl wird knapper – auch weil es immer mehr Menschen außerhalb Europas gibt, für die es reserviert bleibt. Es braucht daher in den Staaten Europas mehr als nur Agro-KraftstoffBeimischungen, die das Problem Klimawandel verschärfen. Der Ernst der Lage scheint entweder noch nicht erkannt oder es fehlen Mut und Vision, für ein anderes Verkehrssystem einzutreten. Sicher, es löst Ängste aus, wenn ein altbekanntes System so geändert werden muss, wie es die Klima- und

Fotos: fotolia

Energie-Herausforderungen verlangen. Aber es ist auch eine

… aber es geht um viel, viel mehr!

Chance, die nahe Zukunft zu gestalten. Bloß abzuwarten, wird die Bedrohlichkeiten nicht mindern, aber aktives Gestalten unmöglich machen. Ihre Meinung an: [email protected]

literatur

Walk-space Award ‘10 – Gute Lösungen für FußgängerInnen in Städten und Gemeinden – Top 46 Projekte Österreich Auch bei der Förderung von Rohöl wird Umwelt zerstört, bei der Produktion und Entsorgung von Autos werden Ressourcen und Energie verbraucht. Immer mehr Straßen versiegeln den Boden. Unfälle zerstören Leben und Werte. Die „Gesamtbilanz Auto“ wird gerne verdrängt, die freie Autofahrt für alle fordert einen hohen Preis. Die Gesamtbilanz bei Gehen, Radfahren, Bahn und Bus ist dagegen deutlich besser. Unterstützen Sie bitte das VCÖ-Projekt „Lebenszyklen im Verkehr“ mit Ihrer großzügigen Spende! Damit nachhaltige Mobilität eine Chance erhält. VCÖ - unabhängig - kompetent - lösungsorientiert - Idealzielen verpflichtet Telefon +43-(0)1-893 26 97, [email protected], www.vcoe.at

Hrsg. walk-space.at, Wien 2011, 56 Seiten, 18 Euro (exkl. Zusendung).

Aus der Fülle der 99 Einreichungen zum Walk-space-Award 2010 wurden die 46 interessantesten Projekte, die das Gehen in Österreich attraktiver und sicherer gemacht haben, ausgewählt und werden in der Broschüre vorgestellt. Ein Nachschlagewerk, das über aktuelle Planung fürs Gehen in Österreich informiert und zur Nachahmung inspiriert. Bestellung: [email protected]; eine Zusammenfassung der Siegerprojekte auf www.walk-space.at

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vcö-magazin 2011-01

Von Äpfeln und Birnen in der Mobilität Welches Verkehrsmittel und welcher Treibstoff sind ökologisch gesehen besser? Um nicht Äpfel mit Birnen zu vergleichen, braucht es Lebenszyklus-Analysen. Diese beziehen Bereitstellung und Erzeugung des Treibstoffs, Nutzung anfallender Nebenprodukte sowie Produktion und Entsorgung der Fahrzeuge mit ein. Von Ursula Jungmeier-Scholz

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allen zugänglich, und das in durchaus leistbarer Form: In Straßenbahnen, U-Bahnen, O-Bussen und Zügen. Pro Personenkilometer produziert Straßenbahnfahren 23 Gramm Kohlendioxid, beim Zug sind es 22 Gramm. Ein Personenkilometer im Auto hin-

»Bereits heute CO2-optimierte Elektro-mobilität: StraSSenbahn, U-Bahn, O-Bus und Zug« Foto: bilderbox

ollhybrid, Elektro-Auto oder Brennstoffzellenfahrzeug – welches Auto schneidet in einer ökologischen Bewertung am besten ab? Um bei der Gegenüberstellung aller Treibhausgasemissionen nicht Äpfel mit Birnen zu vergleichen, müssen von der Wiege bis zur Bahre alle Einflussfaktoren betrachtet werden. „Bei der Herstellung verursachen Fahrzeuge mit teilelektrischem Antrieb, also Hybride, mehr treibhausgaswirksame Emissionen als ein Dieselauto, reine E-Autos und Brennstoffzellenfahrzeuge sogar um rund die Hälfte mehr“, erklärt Gerfried Jungmeier vom Forschungsbereich Energie bei Joanneum Research. „Werden die Gesamtemissionen über den Lebenszyklus verteilt betrachtet, schneiden allerdings Autos, die mit bestimmten erneuerbaren Treibstoffen angetrieben werden, trotzdem wesentlich besser ab!“ Eine komplette Lebenszyklus-Analyse betrachtet aber nicht nur die Produktion des Fahrzeugs, sondern auch jene des Treibstoffes. Die Ökobilanz eines Elektro-Fahrzeugs hängt wesentlich davon ab, aus welcher Energiequelle der benötigte Strom erzeugt wird.

Energiequelle: Strom, der zur Gänze aus erneuerbaren Energiequellen kommt, verursacht halb so viel CO2 wie der in Österreich übliche Strommix.

»Eine Lebenszyklus-analyse inkludiert auch die Produktion von Fahrzeug und Treibstoff«

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Traditionelle E-Mobility weit vorn Wird ein Mittelklassewagen mit Dieselmotor und einer mit rein elektrischem Antrieb verglichen, spart das E-Auto rund die Hälfte an Treibhausgasen ein, wenn es mit dem derzeitigen Strommix Österreichs betrieben wird. Stammt die elektrische Energie aus einem Erdgaskraftwerk, wie gerade in Klagenfurt und Mellach bei Graz zwei gebaut werden, sind die Emissio­ nen um die Hälfte höher. Strom, der ausschließlich aus erneuerbaren Energiequellen gewonnen wurde, kann hingegen die Treibhausgasemissionen im Vergleich zum aktuellen Strommix halbieren. Lebenszyklus-Analysen zeigen also,

»die Ökobilanz eines E-Fahrzeugs hängt wesentlich von der Stromquelle ab«

dass eine zunehmende Elektrifizierung der Pkw-Flotte in Österreich nur dann einen Beitrag zum Klimaschutz leisten kann, wenn der zusätzliche Strombedarf aus neu errichteten Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energie gedeckt wird. Elektro-Mobilität, die in Lebenszyklus-Analysen unumstritten gut abschneidet, ist allerdings bereits heute

Auto-Emissionen im Lebenszyklus – am Beispiel von zwei V W-Modellen V W analysierte in einer Umweltbilanz den gesamten Lebenszyklus seiner Fahrzeuge, (Komponenten, Werkstoffe, Kraftstoffe, von der Herstellung über die Nutzungsphase bis zur Verwertung). V  W Golf In CO2-Äquivalenten ergeben sich bei einer angenommenen Fahrleistung von 150.000 Kilometern für die Dieselfahrzeuge rund 26,2 Tonnen (1,6 TDI), 24,3 Tonnen ­(BlueMotion Technology) sowie 23,1 Tonnen (BlueMotion); bei Benzinermodelle 30,6 Tonnen (1,2 TSI), 31,2 Tonnen (BiFuel) sowie 28,3 Tonnen (BlueMotion Technology) CO2-Äquivalente. Alleine die Herstellung eines Golf 1,2 TSI verursacht rund 5,7 Tonnen CO2-Äquivalente. V  W Polo Während der angenommenen Fahrleistung von 150.000 Kilometern stoßen die Dieselmodelle 14,9 Tonnen (1,2 TDI), 14,4 Tonnen (BlueMotion Technology) beziehungsweise 13,1 Tonnen (BlueMotion) Kohlendioxid aus. In Kombination mit dem 7-Gang-DSG emittiert der benzinbetriebene 1,4 MPI während der Nutzungsphase 20,3 Tonnen und der 1,2 TSI 18,6 Tonnen CO2. Die gesamte Herstellung eines Polo 1,4 MPI mit 7-GangDSG verursacht etwa fünf Tonnen an Treibhausgasen. Quelle: Volkswagen AG Konzernforschung, Dezember 2010

gegen verursacht beim Benziner rund zehnmal so viel CO2. Besser als die EMobility traditioneller Art rangieren nur das Radfahren und das Gehen.

Sisyphos und der Lebenszyklus Gut schneidet auch der Autobus ab. Er emittiert im Schnitt 36 Gramm CO2 pro Personenkilometer. Im Schnitt. Eine Lebenszyklus-Analyse, die für die Busflotte der Holding Graz Linien durchgeführt wurde, zeigt die gravierenden Unterschiede, die sich beim Bus durch den Einsatz verschiedener Treibstoffe ergeben können: „Moderne Busse emittieren, wenn sie mit Biogas angetrieben werden, das aus organischen Abfällen wie Biomüll erzeugt wurde, nur ein Viertel so viel CO2-Äquivalent wie bei Diesel­ antrieb“, sagt Gerhard Amtmann, Leiter des BusKompetenzCenters der Holding Graz Linien. Ein gewisses Maß an Ungenauigkeit enthalten Lebenszyklus-Analysen immer: So differenzieren beispielsweise die ÖBB in ihren Lebenszyklus-Analysen nicht nach Triebfahrzeugmodellen. „Es sind derart viele verschiedene Systeme im Einsatz, dass so detaillierte Berechnungen eine Sisyphosarbeit wären“, betont Leopold Cecil vom Umwelt- und Nachhaltigkeitsmanage­ ment der ÖBB Holding. Ursula JungmeierScholz ist freie Journalistin. Sie lebt und arbeitet in Graz.



vcö-magazin 2011-01

Pflegenotstand: Österreichs Straßen kommen ins Alter

kurzmeldungen

Bildung macht mobil

Noch immer beherrschen Neubauprojekte von der lokalen Umfahrung bis zum Regionenring die ­öffentliche Diskussion. Die wesentliche Herausforderung der Zukunft liegt jedoch im Betrieb und in Von Markus Hoffmann und Ronald Blab der ­Erhaltung der großzügig ausgebauten Straßennetze in Österreich.

Straßenausgaben: rund 3,86 Milliarden Euro pro Jahr Die Asfinag gibt gemäß den Geschäftsberichten der Jahre 2007 bis 2009 durchschnittlich etwa 1,2 Milliarden Euro pro Jahr für Straßen aus, was etwa 1,6 Prozent des Bundesbudgets entspricht. Umgelegt auf das Netz der Auto­bahnen und Schnellstraßen (etwa 2.100 Kilometer/10.400 Fahrstreifenkilometer), ergibt das jährlich etwa 118.000 Euro pro Fahrstreifenkilometer, aufgeteilt auf 59 Prozent für Neubau und Erweiterung, 24 Prozent für Erhaltung, 14 Prozent Betrieb und 3 Prozent Sonstiges. Der hohe Neubauanteil zeigt sich in der Netzentwicklung von 1.999 Kilometern im Jahr 2002 auf 2.175 Kilometer im Jahr 2010. Die neun Bundesländer Österreichs gaben im Durchschnitt der Jahre 2000 bis 2008 zusammen etwa 1,49 Milliarden Euro pro Jahr für Straßen aus, was etwa 3,6 Prozent der Landesbudgets entspricht. Umgelegt auf das Netz der Landesstraßen B+L (etwa 36.000 Kilometer/knapp 70.000 Fahrstreifenkilometer), sind das etwa 20.600 Euro pro Fahrstreifenkilometer und Jahr. Die Ausgaben für Landesstraßen B können in der betrachteten Periode mit je einem Drittel für Betrieb, Erhaltung und Neubau abgeschätzt werden. Der Erhaltungsanteil verschob

Foto: Stadt Wien - MA28: Betonfeldsanierung Gürtel 2008

S

traßenanlagen werden in der Praxis aufgrund knapper Budgets oder falsch verstandener Sparsamkeit oft auf geringe Anfangsinvestitionen optimiert. Dies kann zur Auswahl ungünstiger Ausführungsvarianten und zu hohen Folgeinvestitionen für Betrieb und Erhaltung führen. Und das, obwohl die geltenden Gesetze und Planungsvorschriften von Straßenanlagen den Willen des Gesetzgebers zur umfassenden Bewertung auf Basis eines Lebenszyklus-Ansatzes zeigen. Die daraus abgeleiteten Beurteilungskriterien der Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs unter Bedachtnahme auf Wirtschaftlichkeit und Umweltauswirkungen in Planung, Bau, Betrieb und Erhaltung zeigen dies deutlich. Die administrative Trennung der Aufgabenbereiche in unterschiedliche Verwaltungsabteilungen mit jeweils eigenen Budgets mag zu Optimierungen in den Abteilungen, aber nicht der Lebenszyklus-Kosten der gesamten Straßenanlagen führen. Hoher Budgetdruck macht die Politik dafür anfällig, Betrieb und Erhaltung von Infrastrukturen unterzudotieren, da die Folgen erst in späteren Legislaturperioden sichtbar werden.

sich von weniger als 30 Prozent im Jahr 2000 auf mehr als 40 Prozent im Jahr 2009. Aufgrund der zunehmenden Alterung der Straßenanlagen ist mit weiter steigenden Ausgaben für die Erhaltung zu rechnen. In den 2.357 Gemeinden Österreichs lagen die Straßenausgaben im selben Zeitraum bei insgesamt 1,17 Milliarden Euro pro Jahr, was durchschnittlich etwa 10,6 Prozent der Gemeindebudgets oder etwa 7.900 Euro pro Fahrstreifenkilometer entspricht. Systematische Auswertungen fehlen, grob geschätzt verteilen sich die Kosten zu etwa 50 Prozent auf Betrieb, 40 Prozent auf Erhaltung und 10 Prozent auf Neubau. Da die Gemeindeeinnahmen in Österreich zu 64 Prozent aus Ertragsanteilen – durchschnittlich 743 Euro pro Kopf der Bevölkerung – resultieren, ist mit massiven finan­ ziellen Engpässen bei Gemeinden mit Bevölkerungsrückgang zu rechnen.

Herausforderung: Straßen­ bestand funktionsfähig halten Das Netz der Autobahnen und Schnellstraßen in Österreich wurde zu wesentlichen Teilen in den Jahren 1975 bis 1990 erbaut. Das Durchschnittsalter der Brücken ist etwa 25 bis 30 Jahre, das der Fahrbahnbeläge etwa 15 bis 20 Jahre. Die Landesstraßen wurden zwischen den Jahren 1960 und 1990 (Steiermark: durchschnittliches Brückenalter etwa 35 bis 40 Jahre) und die Gemeindestraßen vielfach auf unzureichendem Unterbau von 1950 bis 1980 (Durchschnittsalter etwa 40 bis 50 Jahre) gebaut. Ausgehend von einem Lebenszyklus-Ansatz mit periodischen Instandsetzungsintervallen alle 15 bis 25 Jahre und genereller Instandsetzung/Erneuerung alle 40 bis 50 Jahre in typischen Gesamtzyklen für Straßen­anlagen von 70 bis 90 Jahren, kann der tatsächliche Bedarf ermittelt werden. Wird ein Straßennetz erstmals neu gebaut oder substanziell erweitert, fallen hohe Anfangsinvestitionen an. Die Betriebs-

und Instandsetzungskosten sind danach vergleichsweise gering und steigen mit zunehmender Alterung gegen Ende der Instandsetzungsintervalle des Lebenszyklus an. Die notwendigen Reinvestitionen folgen dem Netzausbau wellenförmig. Aufgrund der Überalterung bestehender Landes- und Gemeindestraßen sowie zu geringer Mittel für präventive Instandhaltung steht die nächste Welle der Reinvestition unmittelbar an. Bei Autobahnen und

Reparaturaufwand: Aufgrund der zunehmenden Alterung der Straßenanlagen ist mit steigenden Kosten für die Erhaltung zu rechnen.

Bildung beeinflusst das Mobilitätsverhalten sehr stark, beleget der VCÖ anhand von Daten der Statistik Austria. Je nach Höhe des Schulabschlusses lassen sich klare Unterschiede in der Häufigkeit der Nutzung verschiedener Verkehrsmittel ablesen. So benützen Absolventinnen und Absolventen der AHS am häufigsten den Öffentlichen Verkehr: 51 Prozent von ihnen benutzen ihn täglich oder mehrmals die Woche. Auf Platz zwei liegen mit 39 Prozent jene mit akademischem Abschluss. Hingegen nutzt nur ein Fünftel der Gruppe mit Lehrabschluss den Öffentlichen Verkehr. Bei der Nutzung des Autos liegen Berufsschul-Absolventinnen und -Absolventen klar vorne. 70 Prozent dieser Gruppe benutzen es täglich oder mehrmals pro Woche, um ihre Wege zurückzulegen. Aber auch sechs von zehn Akademikerinnen und Akademikern fahren täglich oder mehrmals pro Woche mit dem Auto. Schlusslicht bei der Autonutzung bildet die Gruppe mit Pflichtschulabschluss: Nur ein Drittel fährt oft mit dem Auto. Die Differenz ist beim Radfahren am geringsten. Unter den Akademikerinnen und Akademiker benutzen 28 Prozent das Rad täglich oder mehrmals die Woche. Am wenigsten radeln Menschen mit Berufsschulabschluss (24 Prozent).

CH: Flieger verbannt

»Hohe Folgekosten durch falsch verstandene Sparsamkeit« Schnellstraßen steht die Welle der Decken­instandsetzung unmittelbar an und ist bei Brücken-, Tunnel- und sonstigen Anlagen spätestens in 10 bis 20 Jahren zu erwarten. Die Straßen- und Verkehrsplanung der Zukunft im gut ausgebauten Straßennetz von Österreich ist in erster Linie gefordert, die Verfügbarkeit des Bestandes durch Betrieb und Erhaltung sicherzustellen. Bei neuen Straßenbauvorhaben sind jene bevorzugt zu realisieren, die für die Funktionsfähigkeit des Bestandes wesentlich, in ihren Lebenszyklus-Kosten optimiert sind und ein gutes Nutzen-KostenVerhältnis aufweisen.

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Das Bundesamt für Zivilluftfahrt der Schweiz hat vier Erholungsgebiete zu Landschaftsruhezonen erklärt. Pilotinnen und Piloten sollen in Zukunft vermeiden, über diese Gebiete zu fliegen. Nur in Notfällen, wie Wetterumschwünge, dürfen motorisierte Flugzeuge die Zone auf direktem Weg und in möglichst großer Flughöhe durchfliegen. Die Zonen werden derzeit in die Luftfahrtkarte der Schweiz eingearbeitet.

Radisson Blu Hotel & Conference Centre, Salzburg

Markus Hoffmann ist Arbeitsgruppenleiter Planung, Betrieb und EMS am Institut für Verkehrswissenschaften der TU Wien

„Mit dem Rad zur Arbeit!“

Ronald Blab ist Forschungsbereichsleiter für Straßenwesen am Institut für Verkehrswissenschaften der TU Wien

Anmeldung und Informationen unter

www.radgipfelsalzburg.at

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vcö-magazin 2011-01

Lebenszyklus-Betrachtun Georg Rebernig Geschäftsführer Umweltbundesamt Österreich

„Lebenszyklus-Betrachtungen ermöglichen es, die Umweltauswirkungen von Produkten und Dienstleistungen zu beurteilen. Dafür braucht es fundierte Daten. Das Umweltbundesamt erstellt seit vielen Jahren den Österreichischen Datensatz für das Ökobilanzierungsmodell GEMIS, das wir in unseren Arbeiten verwenden. Speziell im Verkehr sind Lebenszyklus-Betrachtungen in unseren Arbeiten für die Berechnung der Treibhausgas­ emissionen von biogenen Kraftstoffen und Antriebstechnologien wie Elektro-Fahrzeuge wichtig. Auf diesen Grundlagen kann entschieden werden, welche alternativen Technologiepfade eingeschlagen werden. Besonders sorgfältig müssen die Systemgrenzen festgelegt werden, da die Ergebnisse wesentlich davon abhängen, welche Prozesse in die Berechnung einbezogen werden. CO2- und andere Treibhausgasemissionen sind für klimapolitische Maßnahmen der entscheidende Faktor. Bei unseren Bilanzierungen im Verkehrsbereich beziehen wir aufgrund ihrer großen Bedeutung (Stichwort Stickoxide und Feinstaub) auch Luftschadstoffemissionen mit ein. Methodisch ist die Lebenszyklus-Betrachtung von Treibhausgasemissionen am weitesten entwickelt, dafür gibt es einschlägige Standards, die über eine Kennzeichnung von Produkten und Dienstleistungen auch zu mehr Transparenz etwa beim Einkaufen führen. Aktuell leitet das Umweltbundesamt die Arbeiten zu einer internationalen Norm, dem Carbon Footprint. Für andere Umweltauswirkungen wie Wasser- oder Flächenverbrauch stehen die Überlegungen noch ganz am Anfang.“

Diana Klein Strabag Konzernkommunikation

„In den letzten Jahren ist das Thema CSR, Corporate Social Responsibility, und damit das Nachhaltigkeitsthema immer stärker in den öffentlichen Fokus gerückt. Anfangs oft eine Imagefrage, ist es heute für Unternehmen wie Strabag betriebswirtschaftliche Notwendigkeit, sich im Bereich Nachhaltigkeit Ziele zu setzen und aktiv zu werden. Der Grund ist, dass große Auftraggeber in ganz Europa – vor allem öffentliche Auftraggeber im Eisenbahnbau und Verkehrswegebau – in Projekt-Ausschreibungen Bedingungen vorgeben, die das nachhaltige Wirtschaften der sich um den Auftrag bewerbenden Firmen betreffen. So werden etwa der CO2-Ausstoß abgefragt, die Verwendung von alternativen oder erneuerbaren Energien und Informationen zur Bio-Diversität, also dem Schutz der im Projektbereich lebenden Tiere. Auch die Emissionen bei den Baustellen und inwiefern diese Anrainerinnen und Anrainer betreffen, sind ein Thema. Erfüllt ein Bauunternehmen die geforderten Bedingungen, dann bringt ihm das einen Wettbewerbsvorteil, weil es in die Beurteilung des Angebots einfließt. Manche Auftraggeber werten dann den gebotenen Preis um bis zu zehn Prozent billiger – das heißt, das Gebot wird so eingestuft, als wäre es um zehn Prozent billiger. Und zehn Prozent sind natürlich eine Menge, eingedenk der Tatsache, wie klein die Margen im Baugeschäft sind.“

Sandor Fülöp Ombudsmann für künftige Generationen im ungarischen Parlament

„Unser Büro hat drei Hauptaufgaben: Beschwerden von Menschen und Bürgerinitiativen, das Vertreten der Interessen künftiger Generationen im Parlament sowie Forschung und Networking, um die gesellschaftliche Aufmerksamkeit auf die wichtigsten ökologischen Herausforderungen und mögliche Lösungen zu lenken. So haben wir etwa die Fachleute aller ökologischen Einrichtungen im Donauraum versammelt und den Entscheidungstragenden und der Öffentlichkeit die Kurzsichtigkeit jener klar gemacht, die sich die Donau nur als eine technisch ausgebaute Wasserstraße oder Quelle elektrischer Energie vorstellen können. Auf das Erbe unserer Nachkommen legen wir bei unseren Aktivitäten besonderes Augenmerk. Ein Fall des kulturellen Erbes war etwa das geplante Kraftwerk nahe der Tokaj-Weingegend, ein Fall des landwirtschaftlich-genetischen Erbes waren die Immobilienspekulationen um die Kirschgärten in Érd. Im Parlament lobbyieren wir, um das Jahresbudget nachhaltiger zu gestalten. In einem Forschungsprojekt sammeln wir gerade Informationen über Gemeinden, die nachhaltige Lebensformen ausprobieren, um so bessere Unterstützung bieten zu können. Einige Staaten Europas erwägen bereits die Gründung eines ähnlichen institutionellen Schutzes der Interessen künftiger Generationen. Die Idee gewinnt auch auf EU- und UNO-Ebene an Aufmerksamkeit. Wir sind stolz darauf, dass dabei der ungarische Ombudsmann oft als erfolgreiches Beispiel genannt wird.“

Foto: Norbert Novak

Foto: Umweltbundesamt/R. Newman

Ökologische Rucksäcke und Fußabdrücke machen es anschaulich. Der starke Personenverkehr und die immer größeren Distanzen der Gütertransporte verschlechtern die Luftqualität und beschleunigen den Klimawandel. LebenszyklusBerechnungen machen Auswirkungen berechenbar und öffnen die Augen für komplexere Zusammenhänge. Auch die Notwendigkeit der Wahrung der Interessen künftiger Generationen rückt zunehmend in den Blickpunkt.

Heini Staudinger Gründer von GEA und Inhaber der Waldviertler Schuhfabrik in Schrems

„Jeder bezieht seine Vitalität und Lebensfreude von dort, wo er daheim ist. Ich bin zu meiner Schuhfabrik gekommen wie durch eine Kindesweglegung, da waren zuerst Emotionen, ich wollte nur, dass das „Baby“ lebt. Von der Schuherzeugung habe ich damals nichts verstanden. Und wenn das Baby zu Kräften kommt, ist die Freude groß. Heute ist die Schuhfabrik einer der wichtigsten Betriebe in Schrems. Den Erfolg verdanke ich wesentlich der Region, den tüchtigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. 15.000 der rund 80.000 Paar Schuhe, die wir im Jahr erzeugen, verkaufen wir ab Fabrik in Schrems selbst. Rund 50 Prozent der Schuhe in Wien und Niederösterreich. Das ist ein Wechselspiel mit der Region. Wir werden wohl auch wie die Überlebenden einer aussterbenden Art geliebt. Ich möchte keine Wegwerfprodukte erzeugen. Unsere Waldviertlerschuhe halten lange, fünf Jahre sind da keine Seltenheit. Geld und Umsatz allein sind auch in der Wirtschaft nicht alles. Ich halte es mit dem ehemaligen deutschen Minister Norbert Blüm, der sagte: ,Wer alles für Geld macht, macht eines Tages für Geld alles.‘“



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ngen im Verkehr

Ne t zwer k V er k ehr

Marina Fischer-Kowalski Leiterin des Instituts für Soziale Ökologie in Wien, Professorin an der Alpen-Adria-Universität

„Die Hauptursache für den Anstieg des Gütertransportes in Europa, gemessen an den gefahrenen Tonnenkilometern, sind nicht zunehmende Gütermengen, sondern die zunehmenden Transportdistanzen. Dies hängt mit der immer feineren Ausdifferenzierung der Prozesse und der Arbeitsteilung zusammen, durch die die Produzenten über große Distanzen verbunden werden müssen. Die niedrigen Kosten des Transports, vor allem die niedrigen variab­len Kosten, begünstigen eine solche Verlängerung der Transportwege. Gleichzeitig haben wir eine sinkende Materialintensität. Pro Euro des Brutto-Inland-Produktes (BIP) wird heute weniger Material transportiert. Das hängt mit einer Wirtschaftsentwicklung in Richtung mehr Dienstleistungen in den Industriestaaten und einem Outsourcing von materieller Produktion in andere Staaten zusammen. Das heißt aber nicht, dass wir weniger materielle Güter konsumieren, sondern bloß, dass wir woanders produzieren lassen. Besonders die erste materialintensive Produktionsphase, wo viele Abfälle anfallen und viel Energie verbraucht wird, etwa im Bergbau oder in der Landwirtschaft, fällt überwiegend nicht mehr bei uns, sondern in oft fernen Ländern an.“

Lukas Meyer Universitätsprofessor für Praktische Philosophie an der Universität Graz, Leiter des Instituts für Philosophie

„Der Generationengerechtigkeit geht es nicht darum, die ganze Menschheit in Lebenszyklus-Kostenberechnungen einzubeziehen, sondern um die Frage, welche Rechte und Ansprüche noch nicht lebende Menschen in der Zukunft haben, die wir durch unser Handeln nicht verletzen dürfen, sondern schützen sollen – etwa das Recht auf eine gesunde Umwelt oder das Recht, individuell und kollektiv autonome Entscheidungen treffen zu können. Oft haben die Handlungen gegenwärtig Lebender negative Auswirkungen erst in 30 oder mehr Jahren. Das gilt etwa für die Klimawandel verursachenden Emissionen oder für den radioaktiven Müll aus der Nutzung von Atomenergie. Es gibt drei Modelle, wie Rechte zukünftiger Menschen berücksichtigt werden können: Diese als Grundrechte in der Verfassung festzuschreiben und die Verfassungsgerichtsbarkeit sorgt für die Einhaltung. In Deutschland wurde das – Fraktionen übergreifend – von Abgeordneten des Bundestags vorgeschlagen. Oder ein Ombudsmann hat Mitsprache- oder Vetorechte zugunsten künftig Lebender. Oder Eltern bekommen für ihre Kinder zusätzliche Stimmrechte, sodass deren Interessen bei Wahlentscheidungen mitberücksichtigt werden. So könnten auf nationaler Ebene die Interessen und Rechte zukünftig Lebender repräsentiert werden, jedenfalls in demokratischen Staaten. In der internationalen Politik und bei globalen Problemen wie dem Klimawandel ist das schwieriger.“

Friedrich Hinterberger Leiter des SERI, Sustainable Europe Research Institute, in Wien

„Um die globalen Umweltprobleme in den Griff zu bekommen, müssen alle beteiligten Akteure mitwirken. Unternehmen müssen verstehen, dass sie mit weniger Ressourcenverbrauch wettbewerbsfähiger werden: Sie können Kosten sparen und neue Käuferschichten erschließen, die zunehmend nach ressourcenschonenden Produkten fragen. Es braucht entsprechende politische Rahmenbedingungen, damit sich ressourcenschonende Produkte für Konsumentinnen und Konsumenten beziehungsweise Unternehmen noch mehr lohnen. Die Nachfrage an den Handel nach nachhaltigen Produkten wächst. Dieser gibt den „Druck“ an seine Lieferanten weiter und diese wieder an die produzierenden Unternehmen. Irgendwann kommt dann eines dieser Unternehmen zu uns – oder zu anderen Instituten – und lässt sich die „ökologischen Rucksäcke“ ihrer Produkte lebenszyklusweit berechnen. Wir wurden beispielsweise vor einigen Jahren von der AMA gebeten, die CO2-Emissionen beim Transport unterschiedlicher landwirtschaftlicher Produkte zu berechnen – vom heimischen Ei bis zu Trauben aus Chile. Das ist natürlich nur ein Teil der Geschichte, war aber ein Auslöser, dass Handelsunternehmen wie Rewe und Spar zu uns kamen. In der Zwischenzeit gibt es Produkte im Supermarkt, die nach unseren Kriterien lebenszyklusweit bewertet wurden. In einem anderen Projekt berechnen wir den Fußabdruck eines Rechenzentrums von Siemens und berücksichtigen dabei auch die Fahrten zur Arbeit sowie im Außendienst.“

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Abbildung: Schifffahrtsmuseum Spitz

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Foto: bilderbox

Donau: Vom Fluss zur Wasserstraße

T

ransportsysteme haben zwar keine klassischen Sättigungs- und Degenerationsphasen wie Produkte oder Dienstleistungen, unterliegen aber ebenso Wachstums- und Reifeprozessen und durchlaufen einen „Lebenszyklus“. Nur durch regelmäßige Innovationen gelingt es, für den Markt als Verkehrssystem attraktiv zu bleiben.

Donautransport im Wandel: Schubverband ­heute – Direktverkauf vom Boot am ­Donaukanal in Wien anno dazumal.

»Donauschifffahrt:

Fahrrad statt Rucksack, Eisenbahn statt Kutsche, Raddampfer statt Einbaum: Innovationen kennzeichnen den Transportsektor. Das geht auch mit ökologischen Veränderungen einher, die meist ausgeblendet bleiben. Von Gertrud Haidvogl und Verena Winiwarter ka 1,3 Metern. Die Dimensionen der frühen Dampfschiffe waren ähnlich. Am Ende des 19. Jahrhunderts waren die größeren Schiffe bereits mit rund 670 Tonnen beladen und hatten einen Tiefgang von knapp 2 Metern. In den 1940er-Jahren transportierte ein Donaukahn 1.000 Tonnen, die erforderliche Fahrtiefe war auf 2,3 Meter angewachsen. Heute sind die größten Schleppverbände bis zu 200 Meter lang und befördern bis zu 7.000 Tonnen. Sie benötigen eine Wassertiefe von mindestens 2,7 Metern.

nent vergrößert und vor allem vertieft wurde, um den immer größeren nötigen Tiefgang zu gewährleisten. Große Güterschiffe benötigen Hafenanlagen mit entsprechenden Ent- und Beladeeinrichtungen. Diese lohnen sich nur an wenigen Stand­ orten. Mitte des 19. Jahrhunderts gab es an der Donau in Österreich 48 Häfen und Ländestellen. Nur jene in Linz, Wien, Enns und Krems wurden zu modernen Häfen ausgebaut. Die kleinen Länden waren dafür ungeeignet und wurden mit Ausnahme

mehr für die Laichablage, „Kinderstuben“ für die wenigen erfolgreich geschlüpften Jungfische sind ebenfalls selten geworden. Fallen diese Phasen des Lebenszyklus aus, ist der Bestand der Arten gefährdet. Das lange Ringen um einen Kompromiss, wie die noch verbliebenen ökologischen Funktionen im Natio­ nalpark Donauauen vor dem Hintergrund des weiteren Ausbaus für die Schifffahrt erhalten werden können, zeigt, dass immer wieder entschieden werden muss, ob die Donau in Zukunft als Wasserstraße oder Fluss bestehen soll.

Von 175 Tonnen auf

Im Verlauf der letzten zwei Jahrhunderte haben sich die bevorzugten Transportsysteme grundlegend geändert. Die Schifffahrt – das wichtigste, weil energieeffizienteste und damit billigste Transportsystem der vorindustriellen Gesellschaft – konnte nur durch Spezialisierung gegen die Eisenbahn bestehen. Denn unabhängig vom Antriebsmittel blieb die Maximalgeschwindigkeit limitiert. Als Kompensation für das geringe Tempo wurden in der Schifffahrt die Transportkapazitäten erhöht und die Zeiten für Ver- und Entladung so weit wie möglich verkürzt. Dies hatte nicht nur gesellschaftliche und wirtschaftliche Folgen, sondern auch ökologische.

Immer schwerer, immer tiefer Die größten hölzernen Ruderschiffe, die die Donau im 19. Jahrhundert befuhren, hatten eine Ladekapazität bis zu 175 Tonnen. Sie waren weniger als 50 Meter lang, ihr Tiefgang lag bei zir-

Wachsende Ladung: Der immer größere Tiefgang der Schiffe erforderte laufend eine Vertiefung der Fahr­ wasserrinne.

Illustration: © Thomas Reinagl

7.000 Tonnen«

1 Meter

Die größer werdenden Schiffe verlangten den Umbau von Flüssen unter Wasser wie an den Ufern. Neben der Errichtung der Kraftwerke war der Ausbau der Donau zur internatio­nalen Wasserstraße im 20. Jahrhundert ein

»Die Schifffahrt konnte nur durch Spezialisierung gegen die Eisenbahn bestehen« zentrales Ziel der Wirtschaftspolitik Österreichs. Bereits im 19. Jahrhundert wurde mittels in die Strömung ragenden Steinriegeln, den „Buhnen“, eine Niederwasserrinne für die Schifffahrt geschaffen, die seitdem perma-

spezieller Anlagen, beispielsweise zum Umschlag von Öl, spätestens in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aufgelassen.

Lebensräume werden Verkehrsräume Die Technisierung des Donaulaufs für Schifffahrt und Kraftwerke vernichtete Lebensräume für Tiere und Pflanzen. Der sich noch immer in der Wachstumsphase befindliche verkehrstechnische Lebenszyklus der Schifffahrt stört den biologischen Lebenszyklus am und im Fluss. Die steilen, verbauten Ufer und die in der Fahrrinne tiefe und schlammige Sohle haben wenig Ähnlichkeit mit den natürlichen Verhältnissen. Viele Fisch­arten finden daher in der Wasserstraße keine Plätze

> Umwelt Donau: Eine andere Geschichte. Katalog zur Ausstellung des Nieder­ österreichischen Landesarchivs in ­Ardagger Markt im Jahr 2010. Hrsg. Verena Winiwarter und Martin Schmid. Eine Publikation des Niederösterreichischen Landesarchivs (St. Pölten 2010). 231 S., ill., zu beziehen beim Landesarchiv, E-Mail: post.k2archiv@ noel.gv.at, Tel: 02742/9005-12059, Fax: 02742/9005-12052, 3109 St. Pölten, Landhausplatz 1, Haus Kulturbezirk 4

Gertrud Haidvogl ist Umwelthistorikerin an der Universität für Bodenkultur, Wien.

Verena Winiwarter ist Professorin für Umweltgeschichte an der AlpenAdria-Universität, Klagenfurt.

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interview



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„Mehr Gefühl für kurzfristige Vorteile als langfristige Nachteile“ Mit Armin Grunwald sprach das VCÖ-Magazin über die Grenzen individueller Nachhaltigkeitsbemühungen, Trittbrettfahrer der Moral und die kollektive Selbstüberlistung in demokratischen Systemen.

VCÖ: Hat diese Rolle heute nicht teilweise auch das Web 2.0 übernommen? Armin Grunwald: Da bin ich ambiva-

Von Christian Höller

VCÖ-Magazin: Sie kritisieren eine zunehmende Privatisierung der Nachhaltigkeit. Was meinen Sie damit? Armin Grunwald: Bei der Nachhaltig-

keit wird in der öffentlichen Diskussion sehr viel auf das Umwelthandeln der Einzelnen geschoben. Wir sollen weniger mit dem Auto fahren, ökologische Nahrungsmittel einkaufen, weniger Fernreisen unternehmen etc.

VCÖ: Was macht Sie zuversichtlich, dass ein Umlenken zu mehr Nachhaltigkeit gelingen wird? Armin Grunwald: Menschen haben lei-

VCÖ: Was ist schlecht daran? Armin Grunwald: Der einzelne Mensch

»Über NGOs Druck auf das politische System ausüben« VCÖ: Sie sagen, dass individuelles nachhaltiges Handeln sogar kontraproduktiv sein kann. Armin Grunwald: Muss nicht, kann aber

so sein. Wir haben oft keinen unmittelbaren Zugang zur Umwelt mehr. Denn zwischen unser individuelles Handeln und die realen Umweltfolgen haben sich komplexe technisch-ökonomische Systeme geschoben. Durch Zertifikate und Verschmutzungsrechte auf nationaler Ebene kann etwa das Stromsparen vieler Leute dazu führen, dass energieintensive Industrien mehr Strom verbrauchen dürfen und sich die Gesamtbilanz Deutschlands oder Österreichs gar nicht verbessert. VCÖ: Was wäre denn die richtige Vorgehensweise? Armin Grunwald: Wir haben im de-

mokratischen System Fähigkeiten entwickelt, uns selbst zu überlisten. Beispielsweise bei Steuererhöhungen: Keiner hat sie gern, aber sie werden akzeptiert. Ich denke, so etwas bräuchten wir für die Nachhaltigkeit auch. Wir müssen demokratisch legitimiert das Handeln durch steuerliche Rahmenbedingungen, durch das Ordnungsrecht, durch finanzielle

(*1960) studierte Physik, Mathematik und Philosophie. Er ist Inhaber des Lehrstuhls für Technikphilosophie und Technikethik an der Universität Karlsruhe und leitet seit dem Jahr 2002 das Büro für Technikfolgenabschätzung im Deutschen Bundestag.

der mehr Gefühl für kurzfristige Vorteile als für die langfristigen Nachteile – auch die Politik denkt vor allem in Legislaturperioden. Aber ich bin überzeugt, weil wir auch mit wissenschaftlichen Augen sehen, dass der Leidensdruck steigt: Es gibt genug Probleme – beeinträchtigte Lebensqualität, Emissionen, Klimawandel etc. –, die zunehmend die Lösungsbereitschaft schärfen.

ist eine Möglichkeit, über NGOs mit an der gesellschaftlichen Stimmung zu drehen und Druck auf das politische System auszuüben.

> Artikel von „Wider die Privatisierung der Nachhaltigkeit“ von Armin Grunwald in GAIA, Link: http://www.oekom.de/zeitschriften/ gaia/archiv/archiv/heft/459.html

Armin Grunwald

Foto: privat

kann die Nachhaltigkeit seiner Konsumentscheidungen nicht wirklich einschätzen. Ob das jetzt Emissionen sind, Naturverbrauch oder auch soziale und kulturelle Wirkungen: Das sollte vom einzelnen Menschen auch gar nicht erwartet werden. Und ich glaube nicht, dass die Menschen in großer Zahl von selbst auf einen nachhaltigen Lebensstil umsteigen werden. Selbst in Europa sind es nur fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung, die sich zu diesem Thema ernsthaft Gedanken machen.

lent. Es gibt Beispiele für das hohe Mobilisierungspotenzial des Web 2.0, die hatten aber meist mit Aktionen zu tun. Nachhaltigkeit hat in der Regel eine andere Problemstruktur, da fehlt meist die spontane Erregung, und es braucht einen langen Atem.

Anreize etc. allmählich in Richtung mehr Nachhaltigkeit ausrichten. VCÖ: Sie befürworten Gesetze und Anreize statt Appelle an eine freiwillige Verhaltensänderung? Armin Grunwald: Ich finde es offener

und ehrlicher, Verhalten über demokratisch verabschiedete Rahmenbedingungen zu beeinflussen, anstatt moralischen Druck aufzubauen. Die Öko-Steuer in Deutschland ist ein gutes Beispiel dafür. Wichtig ist, dass liberale Systeme gute Gründe brauchen, um Freiheiten einzuschränken, Gründe, die wissenschaftlich gut untermauert werden und nicht einer Ideologie hinterherlaufen. Leute, die aufgrund des moralischen Drucks weniger Auto fahren, machen beispielsweise in der Gesamtemissionsbilanz

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Nachhaltigkeit seines Konsums nicht einschätzen« Platz für Trittbrettfahrerinnen und Trittbrettfahrer, also für Leute, die sich überhaupt nicht um Nachhaltigkeit kümmern. VCÖ: Welche Rolle haben NGOs – beispielsweise der VCÖ – bei der Umsetzung von mehr Nachhaltigkeit? Armin Grunwald: Individuen können

sich nur dann Gehör verschaffen, wenn sie sich organisieren. NGOs sind ein Medium, in dem neue Ideen schneller mobilisiert und umgesetzt werden können als das heute in traditionellen Parteien oft der Fall ist. Es

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Der Lebenszyklus von Produkten

Foto: Bilderbox

Ökologische Nachhaltigkeit wird meist an den CO2-Emissionen gemessen. Der Verkehr verursacht jedoch mehr Umweltschäden als jene, die direkt auf der Straße entstehen. Es ist daher notwendig, alle Umweltverbräuche lebenszyklusweit zu betrachten. Von Eva Burger und Julia Haslinger 

B

ei einer Lebenszyklus-Analyse (LCA) wird ein Produkt entlang seiner gesamten Wertschöpfungskette untersucht. Im Verkehr bedeutet dies, es werden die Umweltauswirkungen während der Fahrtzeit (Nutzungsphase) genauso betrachtet wie auch Herstellung, Instandhaltung und Entsorgung des Transportmittels. Und auch die genützte Infrastruktur – Straßen, Brücken und Tunnels – wird anteilsmäßig miteinbezogen. „Laufende Kosten“ werden ebenso berücksichtigt wie „Investitionskosten“.

Nur CO2 ist als Nachhaltig­ keitsindikator zu wenig Umweltbezogene Nachhaltigkeits­ indi­­katoren messen Umweltverbrauch und Treibhausgasemissionen über den gesamten Lebenszyklus. Im Verkehrsbereich ist es üblich, über CO2-Emissionen zu sprechen, mit dem CO2Fußabdruck als geeignete Kennzahl. Natürliche Ressourcen sind auf der

Vom Einkaufswagerl in den ökologischen Rucksack: Der Transportweg wird bei jedem Produkt mitgekauft.

Die Nachhaltigkeit eines Produktes wird auch stark von verursachten Leerfahrten sowie den Transportverpackungen beeinflusst. Denn Leerfahrten und Fahrten, mit denen Transportverpackungen retourniert werden, müssen dem Produkt zuge-

schneidet trotz der Umweltverbräuche in der Reinigung meist besser ab. Auch wenn die direkten Emissionen der Fahrzeugnutzung den Großteil der Treibhausgasemissionen verursachen, machen lebenszyklusweite Betrachtungen des Transports deutlich, warum eine Analyse der Umweltauswirkungen nicht auf die tatsächliche Fahrzeug-Nutzungsdauer beschränkt werden kann.

Lebenszyklus: Das umfassendere SERI-Indikatoren-Set berücksichtigt Umweltkennzahlen für Treibhausgasemissio­ nen, Wassereinsatz, Landverbrauch und Materialeinsatz.

»Nicht nur CO2-Emissio­nen, sondern

rechnet werden, das sie verursacht. Als Transportverpackungen werden oft Einweg-Paletten oder EinwegKunststoff-Behälter verwendet, die in der Herstellung viel Material und Energie verbrauchen. Mehrmals wiederverwendete Transportverpackung

Pkw – ineffizient im Gütertransport Einen nicht zu vernachlässigenden Einfluss auf die Gesamtbilanz eines Produktes hat auch die sogenannte „Last Mile“, die Strecke, die ein Produkt vom Geschäft nach Hause trans-

portiert wird. So verursacht der Transport eines Ein-Kilo-Produktes über eine Strecke von einem Kilometer mit

»Gute Indikatoren zeigen Zielkonflikte auf« dem Pkw im Vergleich zum Transport eines Ein-Kilo-Produktes in einem voll beladenen Lkw viel höhere Treibhausgasemissionen und Umweltverbräuche. Kleine Einkäufe mit dem Fahrrad oder zu Fuß zu erledigen, ist für Gesundheit und Umwelt weit besser, als für die Kurzstrecke den ineffizienten Pkw zu starten. Eva Burger und Julia Haslinger sind Forscherinnen am SERI Sustain­ able Europe Research Institute und beschäftigen sich u.a. mit Nachhaltigkeitsindikatoren auf Produkt- und Unternehmens­ ebene.

auch Wassereinsatz, Landverbrauch und Materialeinsatz messen« Erde begrenzt vorhanden, der stetig steigende Konsum führt dazu, dass sie bis zur völligen Erschöpfung genutzt werden. Das umfassendere SERI-Indikatoren-Set berücksichtigt Umweltkennzahlen für Treibhausgasemissionen, Wassereinsatz, Landverbrauch und Materialeinsatz. Es zeigt daher auch auf, dass ein Wechsel auf AgroKraftstoffe zwar die CO2-Emissionen reduziert, jedoch deutlich mehr Land verbraucht sowie auch den Einsatz biotischen Materials deutlich erhöht. Schwarz-Weiß-Denken wird verhindert, Zielkonflikte werden aufgezeigt. Bei einer Nachhaltigkeitsanalyse von Produkten werden die Umweltverbräuche der verschiedenen Prozessschritte einer funktionellen Einheit zugerechnet (etwa pro Kilo Äpfel). Hier spielt die Beladungsmenge des Transportmittels eine entscheidende Rolle. So verursacht der Transport eines Produktes per Lkw aus Spanien nach Österreich deutlich mehr Treibhausgasemissionen als der Transport eines Produktes per Schiff aus Israel.

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interview



Autos, die Pflanzen düngen und die Luft reinigen Mit Michael Braungart sprach das VCÖ-Magazin über die Luftreinigung durch menschliche Lungen, Autos als Nützlinge und warum das Denken in Produkt-Lebenszyklen irreführend ist.

VCÖ-Magazin: Sie beschäftigen sich schon lange mit dem Thema Umweltschutz – aber Ihr Zugang ist anders als der herkömmliche? Michael Braungart: Traditionell wird

spielsweise müssten die heute hochgiftigen Bremsbeläge und Autoreifen so erzeugt werden, dass sie in die Biosphäre zurückgehen können. Der Rest des Autos wird nicht verbraucht, sondern genutzt und geht daher in den technischen Kreislauf zurück. VCÖ-Magazin: Was müsste sich bei Autoreifen und Bremsbelägen ändern? Michael Braungart: Bremsbeläge sind

heute zwar asbestfrei, aber statt dessen ist Sulfit drin, das noch viel krebs­ erregender ist. Bei Autoreifen werden heute etwa 600 Chemikalien verwendet, von denen 500 nie in die Umwelt kommen dürften. Überdies ist der Reifenabrieb heute so fein, dass die Partikel so lange in der Luft bleiben, bis sie entweder eingeatmet oder weggeweht werden. So erkranken Menschen an Lungenkrebs, die nie geraucht haben.

»Produkte entwickeln, die nützlich sind, nicht weniger schädlich« VCÖ-Magazin: Was setzt das Cradle-toCradle-Konzept dem entgegen? Michael Braungart: Im Cradle-to-

Cradle-Konzept geht es darum, alles –

Von Christian Höller

»Der Feinstaub aus Reifenabrieb ist hoch giftig« Unterbodenschutz, der aktiv Feinstaub resorbiert, der dann bei der Autowäsche abgewaschen wird. VCÖ-Magazin: Das Auto als Wohltat für die Umwelt? Braucht es da noch andere Verkehrsmittel? Michael Braungart: Natürlich! Das be-

Foto: Enith Stenhuys

VCÖ-Magazin: Was bedeutet das umgelegt auf den Verkehrsbereich? Michael Braungart: Beim Auto bei-

Das Rad hat Wintersaison

wunderbare Leistungen vollbringen, wir nennen das ein „Neutral-Vehicle“. Abgase etwa könnten, wie Exkremente bei Tieren, genutzt werden, indem die emittierten Stickoxide gespeichert, bei der nächsten Tankstelle abgegeben und zur Produktion von Stickstoffdünger in der Landwirtschaft genutzt werden. Wir arbeiten auch an einem

VCÖ-Magazin: Das von Ihnen entwickelte „Cradle to Cradle“-Konzept – „Wiege zu Wiege“ – geht andere Wege? Michael Braungart: Es geht darum,

Dinge so zu entwickeln, dass sie nützlich sind, nicht weniger schädlich. Wir unterscheiden zwei Kreisläufe, den biologischen und den technischen. Dinge, die verschleißen oder kaputtgehen, müssen so gemacht sein, dass sie in die biologischen Systeme zurückgehen können. Dinge, die nur genutzt werden, kehren in den technischen Kreislauf zurück.

kurzmeldungen

VCÖ-Magazin: Die Umweltprobleme durch die Autos bleiben aber trotzdem. Michael Braungart: Autos könnten

unter Umweltschutz verstanden, weniger kaputt zu machen: weniger Auto fahren, weniger Wasser verwenden, die Müllmenge reduzieren. Das meinen wir mit „Schutz“. Aber bloß möglichst wenig schädlich zu sein – dafür sind wir zu viele.

Michael Braungart (*1958) ist Verfahrenstechniker und Chemiker. Mit William McDonough entwickelte er das Cradle-to-Cradle (= Von der Wiege bis zur Wiege)-Konzept. Er ist Professor an der ErasmusUniversität Rotterdam, Geschäftsführer der EPEA Internationale Umweltforschung GmbH in Hamburg und wissenschaftlicher Leiter des Hamburger Umweltinstituts. www.braungart.com

»nutzungszeiten für Mobilität statt Autos verkaufen« Chemikalien, Produkte, Materialströme, Bauwerke, Infrastrukturen, bis hin zu Städten – so zu produzieren, dass es entweder der Biosphäre oder der Technosphäre nutzt. Die Denkweise in Produkt-Lebenszyklen ist irreführend. Produkte leben ja nicht. Wir müssen definierte Nutzungszeiten statt Autos verkaufen: 100.000 Kilometer Autofahren oder fünf Jahre Nutzungsdauer. Dann werden andere Treibstoffe entwickelt, weil das Interesse an Treibstoffeinsparungen wächst. Und andere Schmieröle verwendet, die den Motor praktisch verschleißfrei arbeiten lassen. Wenn ich für die Autonutzung bezahle, lohnt es sich auch, mit Bahn, Bus oder Fahrrad zu fahren. Wir haben das in verschiedenen Siedlungen ausprobiert – so kommen Sie mit einem Drittel der Autos aus.

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deutet ja nur, dass das Auto den Stellenwert bekommt, den es tatsächlich hat, als Dienstleistung, für die sich jemand entscheiden kann, wenn es ihm nicht möglich ist, den Öffentlichen Verkehr zu nutzen. Anders ist das bei den vielen Milliarden Menschen gar nicht denkbar! VCÖ-Magazin: Warum sind proaktive Zugänge, wie Sie sie skizzieren und auch schon praktisch umsetzen, in der öffentlichen Diskussion kaum präsent? Michael Braungart: Weil wir zu wenig

Naturwissenschafter haben. Darum ist es wichtig, junge Leute zu ermutigen, Naturwissenschaften, Ingenieurwesen, Physik, Biologie oder Chemik zu studieren und sich einzumischen! > Langfassung des Interviews unter www.vcoe.at

Mit einer gemeinsamen Aktion werben die Stadt Bregenz und die Initiative Vorarlberg Mobil offensiv fürs Radfahren im Winter. Rund 45 Prozent der Radfahrenden fahren bereits heute in Bregenz im Winter täglich oder mehrmals die Woche mit dem Rad. Für eine bessere Schneeräumung der Radwege hat die Stadt Bregenz ein neues Schneeräumfahrzeug für Rad- und Fußwege angeschafft. In Wien wurde eine Website eingerichtet, auf der zu sehen ist, welche Radwege geräumt sind: www.wien.gv.at/vehrkehr/radfahren/ winterraeumung.html

Fahrgäste als Heizkörper Die von Passivhäusern bekannte Technik der Nutzung menschlicher Abwärme wird auch in Stockholm genutzt. „Heizkörper“ des gerade eröffneten Bürogebäudes sind die rund 250.000 Zugreisenden, die sich täglich im nahen Hauptbahnhof aufhalten. Die durch die Körperwärme aufgewärmte Luft wird mittels Ventilatoren zu einem Wassertank geleitet. Das erwärmte Wasser fließt daraufhin in das Heizsystem des Bürogebäudes. Jährlich kann damit ein Fünftel der Heizkosten des Gebäudes eingespart werden.

Spritverbrauch – Traum und Wirklichkeit Der Spritverbrauch beim Autofahren im Alltag ist im Schnitt ein Drittel höher als der Spritverbrauch, den Herstellerfirmen für ihre Autos angeben, zeigt eine VCÖ-Analyse von 216 Fahrtests der Zeitschrift „Auto Motor und Sport“. So verbrauchte ein VW-Golf GTD 7,4 Liter pro 100 Kilometer statt angegebener 5,3 Liter. Auf 100.000 Kilometer bedeutet dies einen zusätzlichen Spritverbrauch von 2.100 Liter. Die Umwelt wird mit zusätzlich rund 4.900 Kilogramm CO2 belastet. Grund dafür ist, dass der „Neue Europäische Fahrzyklus“ (NEFZ), nach dem der Verbauch erhoben wird, die Fahrzeuge nicht unter realen Bedingungen testet. So bleiben etwa Klimaanlage und Heizung ausgeschaltet und es wird bei für den Motor idealen 20 bis 30 Grad getestet.

Reale Kosten berechnen

das Faltrad www.brompton.at

Eine Beurteilungsmethode zur Berechnung der realen Kosten von Fahrzeugen über deren gesamte Lebenszeit haben Wissenschafter des „Smart SPP“-Programms entwickelt. Das ermöglicht, die Kosten abzuschätzen. Gleichzeitig kann damit auch der Beitrag zur kommunalen Klimawandel-Strategie berechnet werden. Mehr als 100 kommunale Stellen in Deutschland und Großbritannien nutzen bereits die Methode. www.smart-spp.eu/guidance

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Ines Weller direkt gefragt

termine Kongress ________________________

5. ÖPNV-Innovationskongress Mobilitätskonzepte für Bus und Bahn www.innovationskongress-bw.de Freiburg (D), 22. bis 24. Februar 2011 Tagung __________________________

ÖVG-Kombiverkehrstagung Effizienz und Effektivität im Kombiverkehr, www.oevg.at Wien, 24. Februar 2011 Initiative _________________________

Foto: privat

Autofasten 2011 – Heilsam in Bewegung kommen

Durchschnittsmenschen gibt es nicht VCÖ-Magazin: Sie beschäftigen sich viel mit der Einbindung von GenderPerspektiven in die Entwicklung von Maßnahmen zur Reduzierung von Treibhausgasemissionen. Sie bezeichnen die Gender-Thematik als Eye-Opener für viele Bereiche. Was bedeutet das angewandt auf den Verkehrsbereich?

Ines Weller ist an der Universität Bremen stellvertretende Sprecherin des artec | Forschungszentrum Nachhaltigkeit sowie stellvertretende Sprecherin des Zentrum Gender Studies. Ihre Forschungsschwerpunkte sind nachhaltige Konsumund Produktionsmuster, Nachhaltigkeit & Gender. Das Gespräch führte Christian Höller. > Langfassung des Interviews unter www.vcoe.at

Ines Weller: Wird etwa eine Ökobilanz oder eine Lebenszyklus-Analyse eines Autos erstellt, ist das Ergebnis meist, dass die Nutzungsphase einen großen Anteil am gesamten Ressourcenverbrauch und den CO2-Emissionen hat. Da wird in der Regel von einem durchschnittlichen Nutzungsverhalten ausgegangen. Aber gerade im Verkehr gibt es da große Unterschiede. Bei der Mobilität müssen unterschiedliche Nutzungsmuster berücksichtigt werden. Wenn jemand mit seinem Auto im Jahr 10.000 Kilometer fährt, machen der Ressourcenverbrauch und auch die Emissionen der Nutzungsphase einen entsprechend großen Anteil in der Lebenszyklus-Berechnung des Autos aus. Bei einer Jahresleistung von 3.000 Kilometern steigt der Anteil der Autoproduktion am CO2-Ausstoß im Verhältnis zur Nutzungsphase deutlich. Es muss angesehen werden, von welchen Annahmen über das Nutzungsverhalten diese Bilanzen ausgehen. Da kann beispielsweise der Gender-Blickwinkel als „EyeOpener“ dienen für eine stärkere Ausdifferenzierung der Gesellschaft im Verhältnis zu Verkehr und Mobilität. Das liefert zielgenauere Lösungen. Wird nach dem Geschlecht differenziert, geraten dann auch weitere Ausdifferenzierungen in den Blick. Damit wird deutlich, dass sich die Verkehrspolitik nicht mehr nur an einem Durchschnittsmenschen orientieren kann, weil dieser eine Konstruktion ist. Es müssen vielmehr die unterschiedlichen Anforderungen an Mobilität berücksichtigt werden und in die Planung einfließen, Unterschiede etwa aufgrund des Alters, in Abhängigkeit von der Berufstätigkeit, ob jemand mit oder ohne Kinder lebt, ob in einem Gemeinschaftshaushalt oder alleine, über welches Einkommen er oder sie verfügt, all dies hat unmittelbar Konsequenzen für die jeweiligen Ansprüche an Verkehrsangebote und Mobilität. Eine solche Sichtweise bewahrt vor einer Perspektivenverengung, die nur ein einziges Verkehrsmittel in den Vordergrund stellt.

Zahlen & Fakten zum Thema Lebenszyklen im Verkehr Ökobilanzen sind nicht absolut Die Art der Stromerzeugung ist bei Elektro-Fahrzeugen ein wesentlicher Faktor. So emittiert der Zug „Metro Oslo“ in seinem gesamten Lebenszyklus und bei einer Betriebsdauer von 30 Jahren 827 Tonnen CO2. Würde derselbe Zug beispielsweise in Tschechien fahren, wären es 47.900 Tonnen CO2-Emission. Grund für diesen großen Unterschied ist, dass die „Metro Oslo“ ihren Strom zu 99 Prozent aus Wasserkraft bezieht. In Tschechien hingegen kommt der Strom größtenteils aus emissionsreichen Kohlekraftwerken.1 Pkws emittieren mehr CO2 als offizielle Tests angeben Die von Autoherstellern angegebenen CO2-Emissionen sind deutlich niedriger als die realen Emissionen. Im Durchschnitt emittiert ein Pkw mit einem Test­ ergebnis von 100 Gramm pro Kilometer real um 42 Gramm CO2 mehr pro Kilometer. Grund dafür ist, dass die Tests nicht bei realen Bedingungen durchgeführt werden, sondern bei idealen Temperaturen (20 bis 30 Grad) und mit ausgeschalteter Heizung und Klimaanlage.2 Kalte Motoren und Kurzstreckenfahrten treiben Verbrauch in die Höhe Bei niedrigen Temperaturen kann der Treibstoffverbrauch eines Pkw in der Startphase auf bis zu 30 Liter pro 100 Kilometer ansteigen. In Österreich sind zwei Drittel aller Autofahrten kürzer als zehn Kilometer. Ein Pkw, der auf Langstrecken durchschnittlich sieben Liter auf 100 Kilometer verbraucht, kommt bei kurzen Strecken auf einen Verbrauch von 25 Litern.3 Vergleich: Energieeffizienz von U-Bahn und Pkw am Beispiel Wien In Wien werden 35 Prozent der Wege mit der U-Bahn zurückgelegt. Dafür werden im Jahr 500 Millionen Kilowattstunden benötigt. Mit dem Pkw werden 32 Prozent aller Wege zurückgelegt. Die dafür jährlich nötige Menge an Kilowattstunden beträgt 4.800 Millionen und ist damit mehr als neun Mal so hoch wie der Verbrauch der U-Bahn.4 Verkehrsfläche in Österreich Mit 2.013 Quadratkilometern belegen die Verkehrsflächen 2,4 Prozent der Gesamtfläche Österreichs. Gemessen am Dauersiedlungsraum, der 32.440 Quadratkilometer beträgt, sind dies 6,4 Prozent. In Wien sind sogar 17,8 Pro1

zent des gesamten Dauersiedlungsraums durch Verkehrsflächen belegt. Den geringsten Verkehrsflächenanteil am Dauersiedlungsraum hat Oberösterreich mit 5,3 Prozent.5 Anteil des Verkehrs an den Treibhausgas-Emissionen in Österreich Der Verkehr emittiert jährlich 22,6 Megatonnen CO2-Äquivalent. Das sind 26 Prozent der gesamten österreichischen Treibhausgas-Emission von 86,6 Megatonnen. Mehr stößt nur die Industrie mit einem Anteil von 30 Prozent aus. Mit 7,8 Megatonnen CO2-Äquivalent emittiert die Landwirtschaft fast ein Zehntel der Treibhausgase in Österreich.6 Vergleich: Lebenszyklus eines Mittelklasse-Pkw und Bahn-Fernverkehr Im gesamten Lebenszyklus emittiert ein durchschnittlicher Mittelklasse-Pkw mit Dieselmotor pro Personenkilometer 145,7 Gramm CO2. Davon kommen rund 77 Prozent aus direkter Emission im Betrieb, 11 Prozent aus der Kraftstoffvorkette, 11 Prozent aus der Produktion und 1 Prozent aus der Entsorgung. Ein Fernverkehrzug in Österreich emittiert 54,9 Gramm CO2 pro Personenkilometer. Diese Emissionen resultieren zu 5,5 Prozent aus der Kraftstoffvorkette, zu 93 Prozent aus der direkten Emission während des Betriebs, zu 1,5 Prozent aus der Produktion und zu weniger als 0,01 Prozent aus der Entsorgung.7 Energieverbrauch Global betrachtet verbraucht ein Mensch jährlich durchschnittlich so viel Energie wie 17 Megawattstunden Rohöleinheiten entspricht. Österreich liegt hier mit 38 Megawattstunden Rohöleinheiten pro Kopf im Spitzenfeld.8 Anteile des Verkehrs am Energieverbrauch in Österreich Österreich hat einen jährlichen Verbrauch von 314 Megawattstunden. Der Anteil des Verkehrs beträgt 31 Prozent. Nur die Industrie hat mit 33 Prozent noch einen höheren Anteil. 24 Prozent des Gesamtverbrauchs entfallen auf die Haushalte.8 CO2-Emission in der Stromproduktion In Österreich werden bei der Produktion einer Kilowattstunde 223 Gramm an CO2 emittiert. Der hohe Wasserkraftanteil reduziert den CO2-Ausstoß. Der EUDurchschnitt liegt bei rund 445 Gramm pro Kilowattstunde.9

Siemens 2007, 2 TNO 2010, 3 Hausberger/VCÖ 2011, 4 TU Wien 2010, 5 Umweltbundesamt 2010/Statistik Austria 2008/VCÖ, 6 Umweltbundesamt 2010, 7 Umweltbundesamt 2007/VCÖ, 8 Eurostat 2010, 9 E-Control 2009

Eine Initiative der Umweltbeauftragten der katholischen und evangelischen Kirche Österreichs. www.autofasten.at Österreichweit, 9. März bis 23. April 2011 Kongress ________________________

18. BUVKO – „Grenzen des Verkehrs, Verkehr ohne Grenzen“ Bundesweiter Umwelt- und VerkehrsKongress, www.buvko.de Trier (D), 18. bis 20. März 2011 Messe __________________________

Energiesparmesse Wels www.energiesparmesse.at Wels, 4. bis 6. April 2011 Internationaler Fachkongress ________

METROMOBILE – Mensch und Mobilität im urbanen Raum www.veloberlin.com/kongress.html Berlin (D), 25. März 2011 Internationale Konferenzen ___________

Mobil.TUM 2011 Making Sustainable Mobilities Interdisciplinary Perspectives www.mobil-tum2011.de München (D), 7. und 8. April 2011

Green Mobility for Active Ageing Ältere Menschen aktiv, gesund und sozial integriert halten. www.aeneas-project.eu Brüssel (B), 8. April 2011

REAL CORP 2011 „Stabilität durch Veränderung – ­Lebenszyklen von Städten und Regionen“. Konferenz zu Stadtplanung, Regionalentwicklung und Informa­ tionsgesellschaft, www.corp.at Essen (D) 18. bis 20. Mai 2011

kurzmeldung

Clean Vehicle Portal Das Clean Vehicle Portal wurde von der Europäischen Kommission online gestellt, um es Kommunen und Privat­ personen, die sich um ihre Umwelt kümmern, zu erleichtern, das energie­ effizienteste Fahrzeug zu wählen. Das Portal bietet Zugang zur größten Fahrzeugdatenbank in Europa. Nicht nur technische Daten finden sich darin, sondern auch genaue Zahlen zu Energieverbrauch, CO2-Emission und Emissionen von anderen Schadstoffen des jeweiligen Fahrzeugs. Außerdem ist ein Überblick über EU-weite Beschaffungsvorschriften und Förderpläne für saubere Fahrzeuge für alle frei zugänglich. www.cleanvehicle.eu

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