Aller Welt im Komotauer und Kaadner Land zum Trost

Helena Dáňová – Renáta Gubíková (Hrsg.) Bildhauerei und Malerei Aller Welt zum Trost im Komotauer und Kaadner Land 1350–1590 Katalog zur Dauersch...
Author: Arwed Kappel
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Helena Dáňová – Renáta Gubíková (Hrsg.)

Bildhauerei und Malerei

Aller Welt zum Trost im Komotauer und Kaadner Land

1350–1590

Katalog zur Dauerschau Regionalmuseum in Komotau

Rezension: Prof. PhDr. Ivo Hlobil, CSc. PhDr. Kaliopi Chamonikola, Ph.D.

Die Publikation entstand anlässlich der Eröffnung der neuen Dauerschau im Regionalmuseum in Komotau „Aller Welt zum Trost. Bildhauerei und Malerei im Komotauer und Kaadner Land 1350–1590“ im Oktober 2013.

Fotos der Dauerschau des Regionalmuseums in Komotau und der ausgestellten Werke: © David Stecker, 2014 Sonstige Fotos: © Überlasser und Autoren der Fotos Texte: © Helena Dáňová, Renáta Gubíková, Jiří Šlajsna, 2014

Umschlagfoto: Meister I. W., Seelauer Altar, 1526, Mariä Heimsuchung, Detail, Regionalmuseum in Komotau Frontispizfoto: Trauernde Jungfrau Maria vom Heiligen Tor in Kaaden, um 1460, Detail, Regionalmuseum in Komotau

Zeichen- und Computer-Rekonstruktionen: © Jaroslav Pachner, Milan Sýkora, 2014 Deutsche Übersetzung: © Jürgen Ostmeyer Herausgegeben von Regionalmuseum in Komotau, Beitragsorganisation, 2014 © Oblastní muzeum v Chomutově / Regionalmuseum in Komotau, 2014 ISBN 978-80-87898-08-6

Die Publikation erscheint dank finanzieller Unterstützung des Projekts „Marketing-Maßnahmen der Partnerstädte Annaberg-Buchholz und Chomutov“ im Programm Ziel 3 zur Förderung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zwischen der Tschechischen Republik und dem Freistaat Sachsen 2007–2013 und dank der finanziellen Unterstützung durch das Ministerium für Kultur der Tschechischen Republik.

Inhalt



9 Vorwort

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Zum Geleit

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Von Opitz bis auf die Gegenwart. Anfänge und Entwicklung der Sammlung mittelalterlicher Kunst im Komotauer Museum Renáta Gubíková

35

Komotau, Görkau und Kaaden von ihren Anfängen bis zum Ende des Mittelalters Jiří Šlajsna

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Bildhauerei und Malerei der Gotik und Renaissance im Komotauer und Kaadner Land in der kunsthistorischen Literatur Helena Dáňová – Renáta Gubíková

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Bildhauerei und Malerei im Komotauer und Kaadner Land im Mittelalter Helena Dáňová – Renáta Gubíková

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Komotauer und Kaadner Land im Zeitalter von Renaissance und Reformation Renáta Gubíková

129 Katalog



317 Literatur- und Quellenverzeichnis 332 Verzeichnis der Ortsnamen deutsch-tschechisch 333 Abkürzungsverzeichnis 334 Abbildungsverzeichnis 341 Überlasser und Autoren der Fotos 342 Résumé 347 Danksagung

Der bildenden Kunst aus Mittelalter und Renaissance kommt in den Expositionen des Museums Chomutov seit dessen frühen Anfängen eine bedeutende und unersetzliche Stellung zu. Schließlich konnte es sich bereits binnen einigen wenigen Jahren nach seiner Eröffnung der bis dato größten Leistungen rühmen wie etwa der Ausstellung von Barock- und Rokokoplastik aus dem Land um Komotau, Kaaden und Saaz im Jahr 1927 oder der Ausstellung gotischer Malerei und Bildhauerei aus Nordwestböhmen im Jahr 1928. Aber diese sind nicht einfach vom Himmel gefallen, ihnen ist die im wahrsten Sinne des Wortes Pionierarbeit des jungen, aber außerordentlich eruierten Deutschprager Kunsthistorikers Josef Opitz an einem Grundkatalog der Kunstwerke, deren Einstufung, Definition der Entwicklungstendenzen und Periodisierung vorausgegangen. Die Ausstellung, die er auf seine Forschungen gestützt im Jahr 1928 veranstaltet hat, legte zugleich das Fundament zu den Sammlungen des Museums in Komotau. Infolgedessen wurde eine ganze Reihe wertvoller Plastiken und Gemälde vor den Verwüstungen bewahrt, die dieser Landstrich mit seinem überwiegend deutschen Kulturerbe im Krieg und in der Nachkriegszeit mit ihrem blindwütigen Industrialisierungsschub durchgemacht hat. Es ist nur zu bedauern, dass es Dr. Opitz, dessen partielle Schlussfolgerungen bis heute respektiert werden, nicht mehr vergönnt war, mit einer fundamentalen Zusammenschau an die analytische Phase seines kunsthistorischen Wirkens anzuknüpfen. Mit dem Jahr 2008 beginnend, sind wir hier an eine fachlich fundierte, neue und zusammenfassende Präsentation der Plastik und Malerei aus dem Land um Komotau und Kaaden zwischen den Jahren 1350–1590 gegangen. Durch einen finanziellen Zuschuss von der Stadt Komotau und vor allem durch die Vergabe von Mitteln aus dem europäischen Dotationsprogramm Ziel 3 zur Förderung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im Rahmen des Projekts „Marketing-Maßnahmen der Partnerstädte Annaberg-Buchholz und Chomutov“ konnten wir im Oktober 2013 in neu hergerichteten Räumen die neue Dauerschau „Aller Welt zum Trost“ eröffnen, deren delikate architektonische Gestaltung Pavel und Stanislav Kolíbal sowie Petr Tej mit Bravour gemeistert haben. Gleichzeitig mit der Eröffnung der Dauerschau wurde anlässlich des 50. Todestags von Josef Opitz eine internationale wissenschaftliche Konferenz nebst einer Ausstellung abgehalten, an der auch das bayerische Freilichtmuseum Finsterau mitgewirkt hat, das Opitz’ Nachlass verwaltet. Aufgrund des erhaltenen Materials ist es so gelungen, einen bislang unbekannten Abschnitt seines Lebens offen zu legen und in Gänze das tragische Geschick eines Mannes nachzuvollziehen, den wir als einen der lautersten Vertreter der untrennbar miteinander verbundenen Kultur beider Nationen ansehen dürfen. Die langjährige Anstrengungen erfordernde Aufarbeitung des unendlich reichen Kulturerbes unserer Region, dessen Kernstück hier in der neuen Exposition vorgestellt wird, findet ihre Krönung in der vorliegenden Publikation, deren Umsetzung dank der finanziellen Unterstützung aus dem oben genannten grenzüberschreitenden Projekt sowie von Seiten des Ministeriums für Kultur der Tschechischen Republik ermöglicht wurde. An dieser Stelle möchten wir unseren innigen Dank auch allen genannten Subjekten ausdrücken, ohne deren finanzielle Hilfe keins dieser Projekte verwirklicht worden wäre. Wir vertrauen darauf, dass unsere Exposition sowie dieses Buch würdig ein neues Kapitel in der Wahrnehmung der reichen kulturellen Vergangenheit des Landstrichs um Komotau und Kaaden eröffnen und wünschen uns, dass sie nicht nur in der Fachwelt, sondern vor allem bei der breiten Öffentlichkeit Aufnahme finden. Stanislav Děd, Direktor, Regionalmuseum in Komotau

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40 Wandmalerei an der Presbyterium-Südwand in der Kirche der Jungfrau Maria und der Vierzehn hl. Nothelfer im ehemaligen Franziskanerkloster zu Kaaden, 20er und frühe 30er Jahre des 16. Jahrhunderts, Detail

Bildhauerei und Malerei im Komotauer und Kaadner Land im Mittelalter Helena Dáňová – Renáta Gubíková

Der Landstrich um Komotau und Kaaden sticht unter den übrigen Regionen Böhmens (sowie Mährens) durch einen ungewöhnlichen Reichtum an erhaltenen mittelalterlichen Bildhauer- und Malerwerken hervor, die vorwiegend dem Spätmittelalter entstammen. Die historische Region um Komotau und Kaaden musste in der Vergangenheit eine ganze Reihe widriger Situationen durchstehen, angefangen von kriegerischen Konflikten über Naturkatastrophen und weit greifende Umbauten historischer Objekte bis hin zu den Verwüstungen durch die Industrie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in der nicht nur ganze Ortschaften einschließlich ihrer Kirchen dem gigantischen Braunkohletagebau weichen mussten, sondern auch zahllose undokumentierte Sammlungen oder Verlagerungen von Kunstobjekten vorgenommen und die Denkmalpflege systematisch vernachlässigt wurde.1 Ungeachtet dieser widrigen Verhältnisse verwundern Menge und Qualität der erhaltenen Kunstobjekte immer noch und wecken das Interesse zahlreicher Forscher. Diese kurze Übersicht sucht mittelalterliche Plastiken und Malereien zu dokumentieren, die auf dem Gebiet der betrachteten Region entstanden sind oder sich noch dort befinden. Die Baukunst wird hier eher nur am Rande erwähnt, meist nur in Zusammenhang mit den einzelnen Kunstobjekten, denn ihre komplette Eingliederung in den Text würde den Rahmen dieses Buchs sprengen. Von den erhaltenen romanischen Denkmälern ragt das üppig gezierte Säulenportal der untergegangenen Peter- und Paulskirche aus Neudorf an der Biela hervor (Abb. 41), das heute in den Kellerräumen des Komotauer Rathauses ausgestellt ist.2 Die bemerkenswerte kleine Statue der Thronenden Madonna aus Wistritz bei Kaaden (Abb. 42) ist zwar eine Kopie aus dem 19. Jahrhundert, doch ihre relativ zutreffende Zitierung von Motiven einiger böhmischer Schnitzereien aus der Zeit um die Mitte des 13. Jahrhunderts (z.B. der Madonna aus Turas oder der Madonna aus der Sammlung Čarek) bezeugen die Existenz eines nicht erhaltenen Originals vom Typ Sedes Sapientiae.3 Ob das ursprünglich romanische Schnitzwerk in enger Verbindung mit der Kirche zu Mariä Geburt in Wistritz gebracht werden kann, bleibt bislang offen.4 Das Dorf fiel unter die Verwaltung der Zisterzienserabtei im bayerischen Waldsassen und ist nach der Gründung des Kloster in Grünhain im Jahr 1233 in dessen Besitz übergegangen.5 Man kann eventuell hinter der Verbindung mit den Zisterziensern eine Auftraggeberrolle vermuten.

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1 Zur Problematik der Denkmalvernichtung in der Zeit von 1945 bis 1989 s. beispielsweise Binterová 2000c; Kat. Zničené kostely 2011; Čechura 2012; Macek 2014; ferner www.zanikleobce.cz oder www.znicenekostely.cz. Speziell zur Region um Komotau und Kaaden insbesondere Binterová 1995–1997; 1999; 2005; 2006; Prontekerová 2005. 2 Oblastní muzeum v Chomutově (Langzeit-Deponat). 3 Mudra 2006, S. 110. Madona von Turas: Hochaltar der Kirche Mariä Verkündigung in Turas bei Brünn; Madonna aus der Sammlung Čarek: Národní galerie v Praze, Inv. Nr. P 5278. Zu beiden s. Mudra 2006, S. 87–96, Kat. Nr. 9 u. 10, Abb. 177–182, 188–189. Zur Entstehung und Verbreitung thronender Madonnen des ursprünglich französischen Typs Sedes Sapientiae s. auch Mudra 2004 und 2008c. 4 Die Kopie der Statue konnte von jedem beliebigen Ort in die Wistritzer Kirche gelangt sein, und das ohne jegliche Bindung des romanischen Originals an Wistritz. 5 Hlaváček 2009, S. 17.

26.

Hl. Sebastian 1510–1520 Lindenholz, Höhe 212 cm, Breite 59 cm, Tiefe 51 cm, Vollplastik, rückseitig ausgearbeitet, ursprüngliche Polychromie, an der rechten Hand fehlen die letzen Glieder von Zeigeund Mittelfinger, an der linken fehlt das letzte Glied des kleinen Fingers, von den ursprünglichen elf Pfeilen sind nur noch zwei erhalten. Regionalmuseum in Komotau, Inv. Nr. Pl 96. Stammt aus der Kirche der Jungfrau Maria und der Vierzehn hl. Nothelfer beim ehemaligen Kloster der Franziskaner-Observanten in Kaaden, aus der sie 1982 in die Sammlung des Komotauer Museums überführt wurde. Restauriert 1983 von Jiří Tesař, 2000 von Jan Živný, 2007 von Milena Nečásková (Restaurierungsberichte beim Regionalmuseum in Komotau hinterlegt). Literatur – Opitz 1922a, S. 180; Opitz 1924a, S. 42; Opitz 1924b, S. 14; Opitz 1924c, S. 42; Opitz 1925, S. 36-37; Opitz 1928a, S. 18, Kat. Nr. 36; Opitz 1928b, S. 6; Opitz 1929, S. 527; Opitz 1930, S. 33; Hentschel 1951b, S. 32; Homolka 1978, S. 214; UPČ 1978, S. 17; Šamšulová 1987a, S. 69; Šamšulová 1987b, S. 7 u. 10; Kesner 1989, unpag., Kat. Nr. 19; Saur 1999, S. 294; Šamšulová 1999a, S. 29, Kat. Nr. 8; Šamšulová 1999b, S. 84, Kat. Nr. 8; Ottová 2006, S. 13; JCh [Jan Chlíbec], Kat. Nr. 47, in: Kat. Básník a král 2007, S. 72.

Wie Josef Opitz feststellen konnte, stand die Statue auf einer Steinkonsole im Nordteil des Triumphbogens gegenüber der Kanzel in der einstigen Franziskaner-Klosterkirche der Jungfrau Maria und der Vierzehn hl. Nothelfer zu Kaaden und wurde 1893 wegen Restaurierungsarbeiten in die St. Katharinenkapelle verbracht (Opitz 1922a; 1924a; 1925; 1928a). Älteres Fotomaterial aus der Zeit vor 1982 zeigt die Statue hingegen beim Triumphbogen (Abb. 149). Die ursprüngliche Provenienz der Sebastianstatue aus dem Kaadner Kloster wird auch von ihrer Ikonographie bestätigt – der hl. Sebastian wurde als Schutzheiliger vor der Pest verehrt und gilt als einer der Vierzehn hl. Nothelfer.1 Die Annahme von Josef Opitz, die Statue sei von der Kaadner Schützenbruderschaft gestiftet worden (Opitz 1924c), findet im Archivmaterial keine Bestätigung.2 Dem außergewöhnlichen Schnitzwerk, das zu den wertvollsten Denkmälern aus dem Kaadner Kloster zählt, wurde von der Fachliteratur von Anfang an ein besonderes Interesse entgegengebracht. Von Josef Opitz wurde es mehrere Male ausgewertet, wobei er die Arbeit in die Zeit um das Jahr 1500 datierte und es der fränkisch orientierten Werkstatt zuschrieb, welche die Reliefs der Vierzehn hl. Nothelfer für das ältere, 1480 geweihte Kaadner Retabel gefertigt hatte (Opitz 1928a). Schon zuvor hatte er freilich eine Verbindung mit der sächsischen Kunst von der Wende des 15. und 16. Jahrhunderts angedeutet (Opitz 1925). Walter Hentschel hat die Statue in das Werk des sächsischen Bildschnitzers Leonhard Herrgott eingeordnet (Hentschel 1951b), eine Attribution, die später Eva Šamšulová übernommen hat (Šamšulová 1999a; 1999b). Die Zuschreibung an Ulrich Creutz in Kunstdenkmäler Böhmens (UPČ 1978), die auch noch in Saurs Künstlerlexikon von 1999 angeführt wurde (Saur 1999), steht mehr oder weniger alleine da. Michaela Ottová hat sich im Gegenteil der oberfränkischen Stilgenesis zugewandt und die mögliche Lehre des Schnitzers direkt in der Werkstatt Tilman Riemenschneiders (um 1460–1531) im oberfränkischen Würzburg in Vorschlag gebracht

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149 Statue des hl. Sebastian im Triumphbogen der Kirche der Jungfrau Maria und der Vierzehn hl. Nothelfer beim einstigen Franziskanerkloster in Kaaden

1 Die Pest fürchteten im ersten Drittel des 16. Jh. vor allem die Hassensteiner Lobkowicz, insbesondere Bohuslaus (wohl 1461–1510) und sein älterer Bruder Johann (1450–1517), die wichtigsten Stifter des Klosters. Die Verehrung der Vierzehn hl. Nothelfer war eher für die Vitzthum kennzeichnend, die das Kloster gleichfalls nach Kräften unterstützt haben. Mehr darüber vor allem Hlaváček 2005; 2013a; 2014. 2 Für das Bestehen einer Schützenbruderschaft oder -zunft in Kaaden gibt es für jene Zeit keine Beweise. Die erste indirekte Quelle bezüglich der Existenz einer Schützenbruderschaft in Kaaden liefert die Willenbergs Vedute der Stadt aus dem Jahr 1602 (Abb. s. Šimůnek 2011, Kartenblatt Nr. 33, Abb. 52), die einen auf dem sog. Spitalsplatz aufgerichteten Baum für das „Vogelschießen“ zeigt. Für diese Information danke ich Mgr. Lukáš Gavenda aus dem Stadtmuseum in Kaaden.

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