Alfred Ebenbauer WALHALL ... ist eine Burg mit blinkenden Zinnen, die auf einem Felsgipfel […] steht:1 Es ist die GötterBurg, ein hehrer, herrlicher Bau, den sich Wotan erträumt hat (Wie im Traum ich ihn trug ...) und den er - gleichsam als Architekt - entworfen hatte (wie mein Wille ihn wies...).2 Zu endlosem Ruhm3 ließ der Gott sein neues Domizil bauen. Die Finanzierung des Baus war freilich nicht gesichert war. Daher ist die Gattin des Bauherrn, Fricka, besorgt: Sie hätte dem Unternehmen nicht zugestimmt: Wusst' ich um eu'ren Vertrag, dem Truge hätt' ich gewehrt … (2. Szene, S.24)

Die Frauen wurden von den männlichen Göttern wohlweislich fern gehalten, als es um die Planung des Burgenbauunternehmens ging. Der Bau selbst war ein Wunsch Frickas; Wotan muss die Gattin daran erinnern, dass sie selbst um den Bau gebeten hat. Fricka bestreitet das auch nicht: Um des Gatten Treue besorgt wollte sie ihn durch eine neuen herrliche Wohnung an sich fesseln. Die Göttin dachte beim Neubau offensichtlich an eine Art gemütliches Eigenheim, Wotan hingegen wollte mit Walhall Herrschaft und Macht […] mehren. Fricka wirft ihm das vor: Um der Macht und Herrschaft müssigen Tand verspieltst du in lästerndem Spott Liebe und Weibes Werth? (2.Szene, S.25)

Um Stärke und Macht geht es nach Wotan auch im Namen der Burg. Als Fricka ihren Gatten fragt, was der Name Walhall bedeute, antwortet er: Was, mächtig der Furcht, mein Muth mir erfand, wenn siegend es lebt leg’ den Sinn dir dar! (4.Szene, S.78f.)

„Der Bau der Burg bezeugt, wie es Wotan drängt, die Welt aus eigenem Willensentschluß zu entwerfen, Frickas eheliche Ansprüche listig zu täuschen, um sie dann, beim Einzug, prahlerisch mundtot machen zu können. Doch erweist sich dabei, daß die eigene Wunschvorstellung von dem ‚prahlenden’ Bau sich in nebulösen Träumen von ‚ewiger Macht’ und ‚endlosem Ruhm’ erschöpfte.“4 Mit dem Bauprojekt Walhall beginnt das Verhängnis der Götter. Nachdem Wotan den Bau mit dem geraubten Ring Alberichs bezahlt hat, ahnt er, zu Beginn des ‚Rheingold’ noch sorg- und bedenkenlos, dass das ganze Unternehmen problematisch sei:

1 Textzitate nach Richard Wagner, Der Ring des Nibelungen. Voillständiger Text mit Notentafeln der Leitmotive. Hg. von Julius Burghold (= Serie Musik Piper - Schott, Band 8229), Mainz, München 1991; hier: Zweites Szene, Bühnenanweisung, S. 23. 2 Rheingold, 2. Szene, S. 24. 3 Rheingold, 2. Szene, S. 23. 4 Lynn Snook, Richard Wagners mythische Modelle, in: Bayreuther Dramaturgie. Der Ring des Nibelungen, hg. von Herbert Barth, Stuttgart, Zürich 1980, S. 327-350, hier S. 30.

Mit bösem Zoll Zahlt’ ich den Bau. (4. Szene, S. 77)5

Als Donner die Wolken mit seinem Hammer vertrieben hat, erblicken die Götter eine Regenbogenbrücke über das Thal hinüber bis zur Burg, die jetzt, von der Abendsonne beschienen, in hellstem Glanze erstrahlt: Abendlich strahlt der Sonne Auge; in prächtiger Gluth prangt glänzend die Burg. In des Morgens Scheine muthig erschimmernd, lag sie herrenlos hehr verlockend vor mir. (4. Szene, S. 78)

Hier will WotanWohnung nehmen: Folge mir, Frau: in Walhall wohne mit mir! (4. Szene, S.78)

Loki kommentiert das so: Ihrem Ende eilen sie zu, die so stark im Bestehen sich wähnen. (4. Szene, S.79)

Das Verhängnis wird seinen Lauf nehmen. Zugleich aber erfasst Wotan „ein Einfall, der ihm, dem trügerischen Gott, als Rettung erscheint: es ist der Gedanke an das Schwert und ein menschliches Heldentum, das für seine Herrschaft in Walhall streiten soll, um Alberichs Fluch über die Macht materiellen Besitzes zu überwinden“.6 Walhall, die Götterburg, markiert Anfang und Ende von Wagners Nibelungen-Tetralogie. Im Götterhimmel liegt die „Wurzel allen Übels“7. Das ergibt sich aus der Vorgeschichte von Wotans erfolgreicher Werbung um Fricka, die Friedrich Kittler8 so interpretiert: „Wagner […] schreibt Klartext wie immer. Ein nomadischer Sturmgott, der durch Einheirat in Frickas sesshafte Göttersippe mit der Weltherrschaft auch die Weltgesetze hat übernehmen müssen, kehrt zu seinen strategischen Anfängen zurück.“ „Unternehmen Walhall“. Wotan „will Fricka als Besitz; er tauscht sie, wie es im Prosa-Entwurf zum Rheingold heißt, bei deren ‚trotzigen Sippen’ gegen eines seiner Augen ein; er bricht den Speer aus der Weltesche, um in ihn jene Verträge zu ritzen, nach denen er Fricka an sich binden kann und nach denen auch künftig der Weltlauf gesteuert werden soll.“ Um sich als „gewissenhafter 5 Vgl. dazu Wotan in der 4. Szene, S. 78: Von Morgen bis Abend in Müh' und Angst nicht wonnig ward sie gewonnen! 6 Lynn Snook [wie Anm.4], S. 30. 7 Martin Geck, Wagners „Ring“ - Summe einer Lebensphilosophie, in: Bayreuther Dramaturgie [wie Anm. 4], S. 309-326, hier S. 319. 8 Friedrich Kittler, Unternehmen Walhall, in: DAS MAGAZIN 4/1999 (Wissenschaftszentrum NordrheinWestfalen, Kulturwissenschaftliches Institut) zitiert nach Internet: http://www.wz.nrw.de/magazin/artikel.asp?nr=231&ausgabe=1999/4&titel=Unternehmen^Walhall&magname=Wag ner^im^Dritten^Reich

Vertragspartner“ zu erweisen, muss Wotan für Fricka die Burg bauen.9 Walhall ist schon vor seinem Bau aus zwei Blickwinkeln gesehen: „Fricka bedarf ihrer, um Wotan von ‘Wandel und Wechsel’ abzuhalten“, für Wotan ist sie „kein primäres Bedürfnis, sondern Statussymbol“.10

* Für den Bau selbst hat Wotan mit den Riesen Fasolt und Fafner, den Angehörigen der „Unterschicht“, einen Vertrag abgeschlossen. Als Lohn für die Bauarbeiten sollen sie die Göttin Freyja bekommen, Symbol jener - geschlechtlichen - Lust, die bisher den Göttern vorbehalten war. Wotan verspricht den Riesen als Lohn für ihre Arbeit die bis dahin den privilegierten Göttern vorbehaltene geschlechtliche Lust, nämlich Freia. Der Riese Fasolt drückt es aus: Wir Plumpen plagen uns schwitzend mit schwieliger Hand, ein Weib zu gewinnen, das wonnig und mild bei uns Armen wohne. - (2. Szene, S.30)

Mit dem Entschluss, Freyja nötigenfalls herzugeben, würden die Götter freilich die ewige Jugend verlieren, und die Riesen hätten sich emanzipiert. 11 Um dem zu entgehen, muss Wotan mit Hilfe Loges eine Möglichkeit finden, die Riesen anders zufrieden zu stellen. Er bietet ihnen als Ersatz für Freya den Ring, den Alberich aus dem Rheingold geschmiedet hat und der seinem Besitzer die Weltherrschaft garantiert. Die Riesen stimmen zu und akzeptieren Gold und Ring, „weil sie bereits zu unterdrückt sind, als daß sie in fleischlicher Lust etwas anderes als Ausübung von Gewalt sehen konnten. Der Besitz des Hortes muß ihnen deshalb als ein direkterer Gewinn erscheinen: er sichert ihnen den Erfolg über ihre Rivalen, die Nibelungen, und bietet die Möglichkeit, Freia später doch noch - so muß man Wagner wohl verstehen – ‚durch Goldes Zauber’ zu zwingen. Sie erkennen nicht, daß sie im Anstreben eines vermeintlichen Teilzieles einem Besitz- und Machtfetischismus verfallen, der sie von ihren eige-nen, freilich von ihnen selbst kaum artikulierbaren Wünschen nach unvermitteltem Glück nur entfernt. Folgerichtig gehen sie unter: Fasolt, ermordet vom eigenen Bruder, Fafner - überhaupt unfähig, mit dem Ring etwas zu beginnen - von Siegfried erschlagen.“12 Walhall und sein Bau stehen also von Anfang an im Brennpunkt des Geschehens, das im Ring' so unerbittlich seinen Lauf nimmt: ‚Rheingold’ ist „keineswegs Vorspiel im Sinne der klassischen Ästhetik. Das Unheil und das Drama haben längst begonnen. Die Welt ist rissig und ihrer natürlichen Mitte verlustig. Der Schatten Walhalls lagert über der Bühne, und wir sind mitten drin im Knäuel von Handlungen.13 Am Schluss des Rheingolds hat Wotan verstanden, dass er nun einen Feind hat, den er bisher unterschätzte, einen der keine Mühe scheuen wird, sein „Eigentum“ zurück zu gewinnen. 9 Snook [wie Anm. 4], S.30. 10 Geck [wie Anm. 7], S.319. - "Mit seinem einen Auge verliert Wotan seine Freiheit und Furchtlosigkeit, er ist nicht mehr ein Teil der Natur, die er ja selbst geschändet hat, sondern ein in sich selbst gefangener Herrscher, dessen oberstes Prinzip es ist, den einmal errungenen Besitzstand zu verteidigen." 11 Geck [wie Anm. 7], S.319f. 12 Ib. 13 Ib.

„Nachdem Wotan einen ganzen Tag der Unordnung durch das Hirngespinst seiner Burg, das ihm Riesen in Steinen auftürmen mußte, von einer Verlegenheit in die andere kam und sich Loge gegenüber unfreiwillig das schlimmste Armutszeugnis seiner Göttlichkeit ausstellen musste [...], erkennt er nun, daß seine Welt in Tag und Nacht, Idee und Materie, Wollen und Können, Kampf und Liebe, zerstritten ist.“14 Patrice Chereau hat sich in einem Gespräch anlässlich der Ring'-Inszenierung von 1976 in Bayreuth im Gespräch mit Carlo Schmid so geäußert:15 “CARLO SCHMID […] Wir sind Ihnen zu viel Dank verpflichtet, Herr Chereau. In den letzten Minuten des ‚Rheingold’ schon machen Sie zum Beispiel deutlich, wie Sie die Götter nach Walhall hochsteigen lassen: Einst schritten sie mit glücklicher Miene dahin, als triumphierten sie im voraus über alle Widrigkeiten, und ihre Haltung drückte aus: Jetzt kann das Fest beginnen! In Ihrer Version der Szene riecht es nach faulendem Laub, alles wird grau, die Rücken krümmen sich, die Wangen werden fahl, die Götter wissen jetzt schon, daß in ihrem Glück der Wurm sitzt; sie wissen, daß das Ende schon begonnen hat; sie wissen, daß der Zauber vom ersten Augenblick an taub wurde wie Salz, das nicht mehr salzig würzt. Alles ist von Anfang an nur Niedergang, weil alles mit der Ursünde begann - weil Wotan mit falschen Würfeln spielte. PATRICE CHEREAU Dieser Gedanke ist im Text bereits gegeben. Dieser Grundgedanke ist fixiert, sowohl in den Worten als auch in der Musik. Vielleicht nicht beim ganzen Schluß, aber kurz vorher gibt es eine Art schwere, hoffnungslose Bitterkeit, die sich unmittelbar nach dem Mord an Fasolt einstellt. Und Loge - wenn die Götter nach Walhall steigen, sagt nichts anderes. Es herrscht feuchte, zähflüssige, enttäuschte Atmosphäre, die Wotan zu verscheuchen, zu bannen versucht, indem er trotzdem, trotz allem nach Walhall hinübergrüßt und Walhall tauft: mit einer Idee im Hintergrund: das Schwertmotiv: der freie Held, der alles später an seiner Stelle ausrichten wird. Es erscheint alles wie eine trotzige Flucht nach vorn. Nichts geht mehr, aber egal, kehren wir trotzdem nach Walhall ein, später wird sich eine Lösung finden. CARLO SCHMID Und die Musik wurde dabei fast zu einer Parodie ihrer selbst, zu einer Paraphrase der Ideologie einer verspielten Wahrheit. Die Wahrheit selbst wird sich präsentieren als ein makabrer Marsch, als ein Totenmarsch. PATRICE CHEREAU Ja sicher, das habe ich versucht zu machen: eine danse macabre', den Totentanz der mittelalterlichen Maler.“

Mit Walhalls Brand enden die ‘Götterdämmerung’ und Wagners ‘Ring des Nibelungen’: Aus den Trümmern der zusammengestürzten Halle sehen die Männer und Frauen, in höchster Ergriffenheit, dem wachsenden Feuerscheine am Himmel zu. Als dieser endlich in lichtester Helligkeit leuchtet, erblickt man darin den Saal Walhall's, in welchem die Götter und Helden, ganz nach der Schilderung WALTRAUTE'S im ersten Aufzuge, versammelt sitzen. Helle Flammen scheinen in dem Saale der Götter aufzuschlagen. Als die Götter von den Flammen gänzlich verhüllt sind, fällt der Vorgang.16 - Götterdämmerung, Ragnarök, Weltuntergang! 14 Snook, [wie Anm. 4], S. 30. 15 Mythologie und Ideologie. Gedankenaustausch über die Neuinszenierung „Der Ring des Nibelungen“ 1976 zwischen Carlo Schmid, Pierre Boulez und Patrice Cherau, in: Bayreuther Dramaturgie [wie Anm.4], S. 381f. 16 Richard Wagner, Götterdämmerung, Dritter Aufzug, letzte Bühnenanwesiung, S. 347. Vgl. Waltrautes Erzählung (Götterdämmerung, Erster Aufzug, S.S.291f.): Wotan schickte die Walküren nicht mehr in die Schlacht, auch Walhall's muthige Helden mied Walvater … Wotan schweifte rastlos durch die Welt bis er einst mit dem zersplitterten Speer heimkam. Mit stummem Wink Walhall's Edle wies er zum Forste die Welt-Esche zu fällen; des Stammes Scheite hiess er sie schichten

Dazwischen ist von Walhall bei Wagner relativ wenig die Rede. Erstaunlicherweise ist der Ehestreit zwischen Wotan und Fricke im zweiten Aufzug der ‚Walküre’ - obwohl es sich um einen „häuslichen“ Streit handelt - nicht in das neue Eigenheim verlegt, sondern in ein Wildes Felsengebirg.17 - Warum eigentlich? In der Todverkündung Brünnhilds (an Siegmund) im zweiten Aufzug des ‚Walküre' fordert die Walküre den Helden Siegmund auf, ihr nach Walhall zu folgen. Dort werde er Gefall’ner Helden hehre Schar und auch seinen Vater Wälsung treffen.18 Brünhild berichtet zudem: Wunschmädchen walten dort her: Wotan's Tochter reicht dir traulich den Trank. (Walküre, 2. Aufzug, S. 128)

„Um für den Endkampf gegen Feuer und Wasser, Wüste und Eishölle - diese Mythen unserer Zukunft - zu rüsten, hatten die Walküren Auftrag, ihrem Kriegsherrn Wotan alle Gefallenen als Totenheer zu rekrutieren.“19 Im Wissensstreit zwischen dem Wanderer (Wotan) und Mime im ersten Aufzug von ‚Siegfried’ sagt Wotan: Auf wolkigen Höh'n wohnen die Götter: Walhall heißt ihr Saal. (Siegfried, 2. Aufzug, S.186)

Aber das weiß man ohnehin schon aus dem ‚Rheingold’. * Walhall ist eine Burg mit blinkenden Zinnen. Viel mehr wird uns über den Bau, seine Gestalt, seine Architektur, seine Ästhetik nicht mitgeteilt. Man wird da spontan an eine mächtige Burg aus dem Mittelalter denken, an Hohensalzburg etwa. Oder eher an das künstliche Mittelalter zu ragendem Hauf rings um der Seligen Saal. Der Götter Rath liess er berufen; den Hochsitz nahm heilig er ein: ihm zu Seiten hiess er die Bangen sich setzen, in Ring und Reih’ die Hall’ erfüllen die Helden. In der Nornenszene der ‚Götterdämmerung’, Vorspiel, S. 267 berichtet die dritte Norn: Es ragt die Burg, von Riesen gebaut: mit der Götter und Helden heiliger Sippe sitzt dort Wotan im Saal 17 Wagner, Die Walküre, Zweiter Aufzug, Vorspiel, S. 104. 18 Wagner , Die Walküre, Zweiter Aufzug, S. 128. 19 Kittler [wie Anm. 11].

des 19.Jahrhunderts? An Neuschwanstein? 1976 wollte Patrice Chereau sein Walhall nach dem Vorbild eines der bayrischen Königsschlösser konzipieren,20 doch dann sah er das anders, er wollte einen Stil, „den man aus Versatzstücken aller möglichen Stile zusammenbaute [...], ein wenig Romantik, ein wenig Gotik, ein wenig Renaissance“. Es sei - so Chereau – „sehr schwierig, Walhall auf der Bühne darzustellen. Und ich bin nicht sicher, ob es irgendeinem Bühnenbildner oder einem Regisseur schon jemals geglückt ist. Man soll Walhall zeigen - und dieses Zeigen ist andererseits schon wieder unmöglich. Ich glaube nicht, daß Walhall unbedingt als ‚Stil’-Gebäude erkennbar sein muß. Ich weiß, daß es dieses Jahr zum Beispiel anders sein wird. Ein Walhall ist nötig, bei dem man nicht genau wissen soll, welche konkrete Form es hat, und das gleichzeitig einen Begriff vom Niederschlag der Macht, von der Macht-Ideologie haben soll.“ Der Bau Walhalls ist eklektisch, unklar, „stillos“: „Pompös, luxuriös und fast kitschig steht Walhall da, Mausoleum, Lustschloß und Schutzburg in einem.“21 Da stellt sich die Frage, ob nicht auch antik-griechische Elemente einfließen. Wagner hat die Handlung seiner großen Tetralogie zwar in die Welt der altgermanischen, genauer der skandinavischen Götter und Helden verlegt. Aber in dieser nordischen Welt sind deutlich auch mediterrane Züge enthalten. „Oder ist Wotan etwas anderes als ein Zeus, der nur etwas eigenwillig gekleidet, behelmt und bewaffnet ist? Der Olymp, auf dem er regiert, heißt Walhall. Dort trinkt er Honigwasser anstelle von Nektar. Er spielt sich als der Verteidiger der erhabenen Gesetze auf, welche die Welt im Gleichgewicht halten, zögert aber nicht, sie zu seinem persönlichen Vergnügen zu brechen. Auch er ist ein bedauernswürdiger Ehemann. Die Erde wimmelt von seinen natürlichen Kindern. Zeus hatte neun Töchter, die neun Musen, aus seiner Liaison mit Mnemosyne; Wotan ahmt ihn nach, zeugt die neun Walküren, die sein Ehrengeleit bilden und ihm in der Schlacht beistehen. Seine Gattin Fricka trägt alle Züge der Juno. Genau wie sie ist sie zänkisch und nörgelhaft und erträgt nur schwer die Seitensprünge ihres Gemahls. Sie erinnert ihn ununterbrochen und mit großer Bitterkeit an die Schwüre, die er vergißt und an die Verpflichtungen, von denen er sich löst.”22 Wotan - Zeus: Wer weiß, ob Wagner nicht auch an die bayerische Wallhalla dachte, das Ludwig I. bei Regensburg erbauen ließ. Nach der Niederwerfung Preußens durch Napoleon fasste Kronprinz Ludwig von Bayern den Plan, die "rühmlich ausgezeichneten Teutschen" in einem deutschen Ehrentempel zu versammeln. Zur Eröffnung der Walhalla findet der König die sinnstiftenden Worte für sein Bauwerk. Als König (1825-1848) ließ er den Bau nach dem 20 Mythologie und Ideologie [wie Anm. 15], S. 282. „CARLO SCHMID Ich fand es auch gut, daß Ihr Walhall einem der bayerischen Königsschlösser glich, PATRICE CHEREAU Walhall, ja - das Walhall 1976 [...] PATRICE CHEREAU: Walhall vom letzten Jahr konnte man mit einem Blick übersehen, weil es sehr weit weg auf einem Berg stand. Man sollte aber niemals so weit weg sein, daß man den Gesamtaspekt des Baues ausmachen kann. Einerseits muß es maßlos groß, überdimensional sein; das Auge sollte niemals die Gesamtheit des Gebäudes umfassen können. Die Sache muß komplizierter sein, hybrider, wahrscheinlich auch häßlicher und zugleich verrückter, hochmütiger, prätentioser, weil die Götter schließlich die Zeichen der Herrschaft, des Auftretens' oder des Triumphs’ angehäuft haben, noch im Vorfeld der eigentlichen Architektur. Dies sind aber auch die typischen Schwierigkeiten des ‚Ring’ generell: es gibt Augenblicke, wo man sehr genau sein muß, und Augenblicke, wo man zu genau ist. Zu genau sein bedeutet, daß man möglicherweise die Widersprüche unterdrückt, und dann zu eindeutig wird, und dann sind diese Widersprüche im gegebenen Moment keine Bereicherung mehr.“ 21 Das Trauerspiel der Macht. Miszellen zur ‚Ring’-Interpretation. Nach Gesprächen mot Wolfgang Wagner von Dietrich Mack aufgezeichnet, in Bayreuther Dramaturgie [wie Anm. 4], S.241. 22 Emile Vuillermoz, Der Gehalt der Ringdichtung, in: Bayreuther Dramaturgie [wie Anm. 4], S. 135-146, hier: S.137.

Vorbild des athenischen Parthenon in der Nachbarschaft der "Freien Reichsstadt" Regensburg von Leo von Klenze errichten. Die Grundsteinlegung fand am 18.10.1830 statt, die Eröffnung am 18.10.1842. Walhall als griechischer Göttertempel? * Die stofflichen Grundlagen zu Wagners Ring' stammen aus der altisländischen Literatur, allen voran aus der Älteren Edda, der sogenannten Lieder-Edda, einer Liedersammlung (Götterlieder und Heldenlieder, die im 13 Jahrhundert (Codex regius) aufgezeichnet wurde.23 „PATRICE CHERAU Und außerdem ist die Verwendung der Edda, der Rückgriff auf die Edda und die Rückkehr zum ‚Ring des Nibelungen’ absolut nicht ‚naiv’ gewesen zu Wagners Zeit. Es gab Bestrebungen, den "Frühkapitalismus, von dem Sie gesprochen haben, zu begrüpnden auf ideologischen Grundlagen, deren Ur [390] sprünge weit zurückreichten; man wollte einer ganzen Epoche kulturelle Fundamente geben. PIERRE BOULEZ Ja. Es ging um eine einigermaßen künstliche Veredelung. PATRICE CHEREAU Andererseits aber kann man die Edda sehr genau kennen und mit Hilfe von Wagner die Edda inszenieren. Übrigens gibt es Stellen, wo ich das gemacht habe, es gibt Dinge in der Inszenierung, die direkt aus meiner Edda-Lektüre stammen - aber damit wird man niemals dem Ganzen Rechnung tragen. Wenn man zum Beispiel eine Oper sucht, die ganz und gar mythologisch ist, die eine mythologische Interpretation oder einen Rückgriff auf mythologische Literatur wie die Edda am meisten braucht, dann hat man jedenfalls an ‚Rheingold’ zu denken, das ausschließlich in der Götterwelt spielt. ‚Rheingold’ ist aber gleichzeitig das Werk, das wohl am meisten von der Edda entfernt ist und das wohl im Gegenteil mehr in der Ideologie des 19. Jahrhunderts wurzelt, meiner Meinung nach. Ich würde sagen, hier ist der Widerspruch zwischen Mythologie und Ideologie vielleicht am größten. Später dann vielleicht, in ‚Walküre’ und ‚Siegfried’, sind dann die Götter mehr ‚Götter’, Wotan bekommt einen Edda-näheren Charakter. In ‚Rheingold’ sind sie auch Götter, aber viel mehr noch die Bourgeois-Familie, der Stamm und der Clan des 19. Jahrhunderts. CARLO SCHMID Die moderne Gesellschaft ist der Welt des ‚Rheingold’ durchaus vergleichbar. PATRICE CHEREAU Ja. Absolut. Mit der Vorstellung ‚Familie’ noch dazu, die im 19. Jahrhundert sehr ausgeprägt war. Was singt Freia, wenn sie um Hilfe ruft? ‚Schütze mich, Schwäher’ - sie ruft nach ihrem Schwager. Ich würde in aller Scharfe sagen, die Verwandtschaftsbeziehungen sind nicht mehr nur mythologische Verwandtschaftsbeziehungen. Es sind Menschen, die gleichzeitig keiner und jeder Generation angehören, die miteinander zur gleichen Zeit leben, aber dann auch wieder zur Familie des 19. Jahrhunderts werden. Ronconi hat sie ein bißchen als Buddenbrooks inszeniert, was auch wieder nicht ganz richtig ist - und meine Schwierigkeit besteht nun darin, festzuhalten, daß es weder nur Edda noch ausschließlich Buddenbrook sein soll, sondern daß es eine Mischung aus beiden und natürlich noch aus einigen anderen Dingen ist. Auch die Bedeutung des Schlusses im ‚Rheingold’ liegt in dieser Mischung. Bei’Rheingold’ handelt es sich um die Oper, die sich am weitesten von einer dem Mythos zugewandten Auffassung und Stofflichkeit entfernt und die am meisten in den zeitgenossischen Ideen verhaftet ist.“24

Die Götter des Nordens wohnen im Himmel in Asgard, in Himinbjorg, in Breidablick oder in Hlidskjalf. Der prominenteste Götterwohnsitz der nordischen Mythologie aber ist Walhall.25 Das eddische Götterlied ‚Grímnismál’ gibt eine Beschreibung der Götterburg: 23 Zitiert nach : Die Edda. Götter- und Heldenlieder der Germanen, übersetzt von Arthur Häny, 6. Auflage, München 2003. 24 Mythologie und Ideologie [wie Anm. 19], S. 389f. 25 Vgl. Jacob Grimm, Deutsche Mythologie, 3 Bände (= Ullstein Tschenbuch 35107-9), Frankfurt, Berlin 1981, Bd. II, S.682: „Keiner unter den einzelnen räumen ist berühmter als die odinische Valhöll (ahd. Walahalla?), deren name sichtbaren bezug hat auf des gottes eigne benennung Valföđr und auf die valkyrien […].“

Gladsheim heißt das fünfte, wo das goldglänzende Walhall weithin gebreitet liegt; Odin wählt sich dort Tag für Tag Waffengefallene Männer. (Str. 8) Gar leicht ist für den, der zu Odin kommt, der Palast zu erkennen: Speerschäfte bilden die Sparren und Schilde das Dach und Harnische über die Bänke gebreitet! (Str.9) Gar leicht ist für den, der zu Odin kommt, der Palast zu erkennen: ein Wolf hängt westlich vom Tor, ein Adler neigt sich darüber. (Str.10)

Walhall hat man sich gewaltig und groß vorzustellen - zumindest nach Auffassung der ‚Grímnismál’: Sechshundert26 Tore Und vierzig dazu Gibt's, denk ich, in Walhalla; Tausend Einherier Strömen aus einem Tor, wenn's gilt, mit dem Wolfe zu kämpfen. (Str. 24)

In der Snorra-Edda (Gylfis Betörung, Gylfaginning)27 wird die Strophe mit folgender Einleitung zitiert: Gangleri sagte: "[...] Walhall muß ein gewaltiges Haus sein, und oft wird dort ein mächtiges Gedränge vor den Türen herrschen." - Hoch erwiderte: " Warum fragst du nicht, wie viele und wie große Türen die Halle hat? Wenn du das hörst, wirst du sagen, es wäre wunderbar., wenn nicht jeder ohne Hindernis aus- und eingehen könnte. Es kann aber wahrheitsgemäß hinzugefügt werden, daß die Verteilung der Sitze im Innern nicht beengter ist als das Eintreten. Und später heißt es: Die Menschenmenge in Walhall ist ja ungeheuer! In den ‚Vafthrudnismal’ erfahren wir dann vom Treiben der Einherjar, Einherjar (nord. ‚die allein Kämpfenden’), der Helden, die auf dem Schlachtfeld gefallen sind und von den Walküren zu Odin nach Walhall gebracht werden. Die Einherjar sind Odins Armee der toten Krieger. 26 Im Text ist von 800 die Rede, doch nach Häny, S. 553 „wird von den alten Nordländern“ das Hundert „meist als hundertzwanzig gerechnet, und neuhundertsechzig sind an die tausend“. - Zu den Zahlen Vgl. Jan de Vries, Altgermanische Religionsgeschichtge, 2 Bde. (= Grundriß der Germanische n Philologie 12, 1 und 2 ), Berlin 1952, hier Bd. II, § 582, S. 378f. Anm. 3. 27 Die Snorra-Edda (auch Prosa-Edda oder Jüngere Edda), des Isländers Snorri Sturluson, verfasst um 1220, ist Handbuch für Skalden. Sie dient mythographischen und dichtungstheoretischen Zwecken und ist eine wichtige Quelle altnordischer Dichtung und Mythologie. Die jüngere Edda mit dem sogenannten ersten grammatischen Traktat, übersetzt von Gustav Neckel und Felix Niedner (= Thule 20), Düsseldorf, Köln 1966; hier c. 40, S.86 und c. 41, S. 87.

Odin: “Sag mir als elftes, wo Helden im Hof sich niederhauen Tag für Tag, was die Helden Walhallas beim Heervater tun, bis die Götter vergehen.” (Str. 40) Waftrhrudnir: "Alle Helden Walhallas in Odins Hof hauen sich nieder, Tag für Tag: fällen und fallen und reiten vom Kampf und sitzen dann friedlich beisammen." (Str.41)

Die Snorra-Edda (c. 41, S. 87) berichtet über den Zeitvertreib der Einherier: Täglich nach dem Anziehen legen sie gleichauch Heergewänder an, gehen in den Hof hinaus, kämpfen und erschlagen einander. Das ist ihr Spiel. Verspeist wird der Eber Saehrimnnir, der sich täglich erneuert (Grimnismál Str.18), getrunken wird der Met, den die Walküren kredenzen. In der Snorra Edda (c. 39, S. 85f.) heißt es dazu: Und gewiß würde mancher Krieger, der nach Walhall kommt, das Wassertrinken - wenn dort keine bessere Bewirtung zu erwarten wäre - teuer zu erkaufen glauben durch seine tödlichen Wunden und Schmerzen. Eine Ziege namens H e i d r u n steht auf dem Dach von Walhall und beißt junge Sprossen von den Zweigen des hochberühmten Baumes L ä r a d , und aus ihren Eutern rinnt Met, jeden Tag ein Schöpfeimer voll; das ist so viel , daß alle Einherier davon völlig trunken werden. In der skandinavischen Überlieferung hat der riesische Erbauer der Burg (ein Hrimthurse) keinen Namen, aber der Lohn ist der gleiche: Freya. Natürlich wollen die Götter Freya nicht hergeben. Sie müssen einen Ausweg aus dem Vertrag finden. Bei Wagner gelingt es Wotan, die Riesen zu einer Ersatzleistung zu überreden. Das Rheingold und den Ring statt der Göttin. Die Snorra-Edda (c. 42, S. 88f.) erzählt eine andere Geschichte: Loki verwandelt sich in eine Stute und lenkt das Pferd des Riesen, Svadilfari, ab. (Das "Produkt" dieser seltsamen Verbindung ist Sleipnir, Odins achtbeiniges Ross.) Ohne Pferd aber kann der Riese den Bau nicht zeitgerecht beenden, er wird vertragsbrüchig und fällt um seinen Lohn um. Wagner hat diese seltsame Geschichte nicht übernommen. Es war früh in der ersten Zeit der Göttersiedlung, als die Götter Midgard aufgestellt und Walhall gebaut hatten; da kam zu ihnen ein Handwerker und erbot sich, ihnen in drei Halbjahren eine so große Burg zu bauen, daß sie sicher wären vor Bergriesen und Reifthursen, auch wenn diese nach Midgard hinkämen. Als Gegenleistung bedang er sich aus, daß er die Freyja bekommen solle, und auch Sonne und Mond wollte er haben. Da traten die Asen zur Beratung zusammen und faßten ihren Entschluß, und es wurde mit dem Baumeister abgemacht, daß er bekommen solle, was er wünschte, falls er die Burg in einem Winter fertigstellte; wäre am ersten Sommertag irgend etwas unfertig an der Burg, so sollte er seines Anspruchs verlustig gehen; es sollte ihm auch niemand bei der Arbeit helfen. Als sie ihm diese Bedingungen eröffneten, verlangte er das Zugeständnis, daß er der Hilfe seines Rosses S w a d i l f a r i sich bedienen dürfe. Und auf Lokis Rat wurde ihm dieses gewährt. Am ersten Wintertag begann er mit der Arbeit an der Burg. In den Nächten schleppte er mit dem Rosse Steine herbei. Die Asen wunderten sich sehr, wie große Steine das Roß schleppte, und dass es doppelt so viel leistete wie der Baumeister. Sie hatten aber ihre Abmachung durch Zeugen und Eidschwüre stark gesichert, denn die Riesen fühlten sich bei den Asen ohne Vertrag niemals unbedroht, falls nämlich Thor heimkehrte, der damals auf Ostfahrt unterwegs war, um Trolle zu erschlagen. Je weiter der Winter fortschritt, um so eifriger wurde die Arbeit an der Burg, und diese wurde nach und nach so hoch und stark,

daß ihre Erstürmung unmöglich schien. Als aber noch drei Tage an Sommersanfang fehlten, da war die Arbeit bis ganz nahe an das Burgtor gelangt. Da nahmen die Götter auf ihren Ratsstühlen Platz und beratschlagten, und jeder fragte den andern, wer das vorgeschlagen hätte, Freyja nach Riesenheim zu verheiraten und Luuft und Himmel derart zu verunstalten, daß Sonne und Mond weggenommen und den Riesen gegeben würden. Man kam überein, daß dieser Vorschlag von dem Urheber des meisten Bösen, von Loki, Laufeys Sohn, stammen werde, und erklärte ihn eines schlimmen Todes für wert, falls er nicht einen Ausweg fände, so daß der Baumeister seinen Anspruch verlöre, und sie drangen auf Loki ein. Und als er nun Angst bekam, da schwor er Eide, er werde es so einrichten, daß der Baumeister seinen Anspruch verlöre, wie dieser es auch anfangen möchte. Und als am selben Abend der Baumeister mit dem Hengst Svadilfari ausfuhr, um Steine zu holen, da galoppierte aus dem Walde eine Stute an den Hengst heran und wieherte dazu. Als der Hengst merkte, was für ein Roß das war, wurde er wild, zerriß die Seile und galoppierte auf die Stute los, die aber floh zum Walde, der Baumeister hinterher und wollte den Hengst greifen, aber die Pferde rannten die ganze Nacht, und so ruhte die Arbeit die Nacht über, und es wurde daher auch am folgenden Tage nicht so viel geschafft wie sonst. Als der Baumeister sah, daß die Arbeit nicht fertig würde, da geriet er in den Riesenzorn. Und wie also die Asden klar erkannten, daß sie es mit einem Bergriesen zu tun hattten, da wurde der Eide nicht mehr geachtet, sie riefen nach Thor, alsbald kam dieser, und schon fuhr der Hammer Mjölnis in die Höhe. Da zahlte er den Arbeitslohn aus, aber nicht Sonne und Mond, vielmehr verwehrte er jenem sogar das Wohnen in Riesenheim und schlug gleich das erste Mal so zu, daß der Schädel in ganz kleine Stücke zerbarst und er in die Tiefe fuhr bis unterhalb von Nebelheim. Es war aber Loki gewesen, der auf Swadilfari zugelaufen kam, und er gebar nach einiger Zeit ein Fohlen, das war grau und hatte acht Beine, und es ist das beste Ross bei Göttern und Menschen.

* In den skaldischen ‚Eiriksmál’ (um 954) zu Ehren des erschlagenen Königs Erik Blutaxt lässt Odin Walhall zum Empfang des gefallenen Königs herrichten und beauftragt die Einherjer und die Walküren alles vorzubereiten (Str.1) Man hört Lärm und vermutet, der tote Gott Balder würde heimkehren. Doch es ist der gefallene König. Odin schickt ihm die Helden Sigmund und Sinfjötli zum Empfang entgegen. Erik und seine Helden werden ehrenvoll begrüßt. (An dieser Stelle bricht das Gedicht ab.) In den ‚Hákonarmál’ des Skalden Eyvindrs skáldaspillir über den Tod Hakons des Guten werden der Tod (+ 961) und der ruhmvolle Empfang des (christlichen) Königs in Walhall geschildert. Odin schickt zwei Walküren (Göndul und Skögul), um Helden auszusuchen, die bei Odin in Walhall wohnen sollen. (Str. 1) Der gefallene Hakon wird nach Walhall geleitet. In den beiden berühmten Skaldengedichten des 10.Jahrhunderts ist – wie in den eddischen Liedern – Walhall eine Art wikingischer Kriegerhimmel,28 „keine Stätte des Todes, sondern voll von kräftigem Leben – Schmausen, Zechen un d Kriegergedränge“.29 Aber es gibt offensichtlich eine ältere Vorstellung. Ursprünglich war Walhall eine unterirdische Halle, in der die Gefallenen versammelt waren. Valr bedeutet jedenfalls das ‚Schlachtfeld’ (‚die Walstatt’) mit seinen Leichen. Mit dem Totengott Odin wurde die Leichenhalle (eigentlich das Schlachtfeld) in den Himmel versetzt.30 Im 2.Helgilied der Edda wird Helgi von Dag mit dem Speer durchbohrt: Ein Grabhügel wird für Helgi errichtet. Aber als er nach Walhalla kommt, da bietet ihm Odin an, gemeinsam mit ihm über alles zu herrschen. Helgi: „Hunding, du mußt jetzt 28 De Vries [wie Anm. 26], S.378. 29 Gustav, Neckel, Walhall. Studien über germanischen Jenseitsglauben, Dortmund 1913, S.19. 30 Vgl. Jan de Vries [wie Anm. 26], § 582, S. 378f.

Jeglichem Mann ein Fußbad bereiten und Feuer zünden, Hunde anketten, Pferde besorgen Den Schweinen die Brühe Vorschütten vor Nacht!” (Str. 39)

Des Nachts reitet Helgi mit seinen toten Helden in den Grabhügel: Der Hügel ist offen, Helgi gekommen; Die Wunden bluten […] (Str. 42)

Die Gattin Sigrun besucht den Toten im Grab und ruht in seinen Armen. Am Morgen reitet Helgi über die Himmelsbrücke zu den Einherjern zurück. In der darauf folgenden Nacht wird Sigrun vergeblich darauf warten, das der tote Helgi aus Odins Sälen in sein Grab komme. * Was die Odins-/Wotans-Vorstellung un d die Konzepotion Walhalls in der nordischen Mythologie betrifft, so hat Wilhelm Grönbech31 vortrefflich (zusammenfassend) ausgeführt: “In der Odin-Religion sind die Ideale der Krieger in Weltgesetz umgestaltet. Krieg ist der Sinn des Lebens, die Jahre werden nach Ruhmesernten gezählt, der Tod wird als der Einzug in das Heldenparadies gefeiert, dort wird die Kampflust jeden Tag erneuert und das Bier fließt jede Nacht. Walhall ist ein göttliches Ebenbild des Königshofes: der Gott thront im Hochsitz, die Krieger lassen den Becher kreisen im Angedenken vergangener Taten und viel mehr noch in Erwartung zukünftiger; sie sind vom roten Licht des Feuers überflutet, es spiegelt sich in Schilden und Schwertern die das Heil ihres Häuptlings verkörpern. Odin trägt die Züge eines edlen Königs. Wanderer wird er genannt. Auf den Schlachtfeldern in allen Teilen der Welt tritt er auf und zeigt seine Macht mit einer Bewegung seiner Hand; seine einzige Freude ist das Schwerterklirren und der Aufmarschi von Männern, die die Gabe eines ehrenvollen Todes zu geben und zu nehmen wissen. Er hetzt die Könige aufeinander im Kampf, immer eifrig, seine Bänke in Walhall mit Einheriern zu füllen. ,In Walland war ich und wanderte zu Schlachten, schuf Fürsten Fehde, doch Frieden nie", sagt er von sich selber im Harbardslied. […] Der Gott, der im Hochsitz saß, trug die Züge eines Konigs, sagten wir vorhin. Aber die Linien in seinem Antlitz sind tief eingegraben und offenbaren und verhüllen in geheimnisvoller Weise einen Geist, der sich mit seinen eigenen Gedanken berät und ihren RatsAlag für sich behält; es ist dasselbe unberechenbare Rätsel, das die Krieger im Antlitz des Schicksals sahen, Seine Entscheidungen sind die unerforschlichen oder vielmehr launischen Entscheidungen des Schicksals, er zeichnet die Männer zum Sieg oder zum Tod, wie es ihm gefällt, er kürt seine Lieblinge unter den Königen, ohne nach Recht oder Wert zu fragen, er stachelt sie auf zum härtesten Ehrgeiz und durchkreuzt ihre Pläne in dem Augenblick, in dem sie erfolgreich sind.”

Richard Wagner hat seine Quellen gut gekannt und in Vielem den “Geist” der nordischen Mythologie erfasst – und produktiv umgesetzt.

31 Wilhelm Grönbech, Kultur und Religion der Germanen 12. Auflage, Darmstadt 1997, S.308f.