Alexandra und der Zauberer

Alexandra und derZauberer mit den violetten Hosen Geschichte und Illustrationen Fernando Olavarría Gabler Alexandra und derZauberer mit den viole...
Author: Wilfried Koch
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Alexandra und derZauberer mit den

violetten Hosen

Geschichte und Illustrationen Fernando Olavarría Gabler

Alexandra und derZauberer mit den

violetten Hosen von Fernando Olavarría Gabler

Für meine tochter Alejandra

Alexandra und der Zauberer mit den violetten Hosen

lexandra war ein sehr hübsches und zartes Mädchen, so zart, dass sie sich einen Finger brach, als sich eine Fliege auf ihre Hand setzte während sie schlief als sie ein paar Tage alt war. Ihr blasses Gesicht und ihre beiden großen blauen Augen schienen eher zu einer feinen Porzellanpuppe als zu einem lebendigen kleinen Mädchen zu gehören. Ihre Eltern behüteten sie sehr, und es war eine ewige Sorge für sie, dass das Mädchen nicht krank würde. Aber eines Tages erkältete Alexandra sich und musste eine Woche im Bett bleiben, dann erst ging es ihr besser und sie konnte aufstehen. Weil es an jenem Sonntag warm und sonnig war, nahm ihre Mutter sie zum Marktplatz mit, damit sie frische Luft atmete und mit den anderen Kindern spielte. Auf dem Platz waren einige Händler, die ihre Waren feilboten,

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undunter ihnen war der Ballonverkäufer. Es waren sehr große Ballons verschiedener Farben, und Alexandra, bezaubert von den Ballons, bat ihre Mutter ihr einen schönen rosa Ballon zu kaufen. Der war genau wie andere Ballons mit Gas gefüllt und versuchte wegzufliegen indem er an der Schnur zog, die das Mädchen festhielt. Damit er nicht davonflöge, band die Mutter die Schnur an Alexandras Hand fest. Alexandra begann fröhlich auf den Wegen auf dem Platz zu spielen. Aber in diesen Momenten wehte eine sanfte Brise, und stellt euch vor, der Ballon begann mit Hilfe der Brise aufzusteigen und das kleine, feine, blasse Mädchen mitzunehmen, das jetzt die Wiesen und Blumen unter ihren Füßen betrachtete. Alle rannten um sie zu erreichen, aber keiner erwischte sie und der Ballon stieg höher und höher und entfernte sich zum großen Entsetzen und Jammer der Mutter. Der rosa Ballon stieg höher und höher über die Stadt bis man ihn aus den Augen verlor.

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Er durchquerte weiße und goldene Wolken und setzte seinen Aufstieg bis zur Abenddämmerung fort. Das Mädchen hatte merkwürdigerweise keine Angst und schien vergnügt bei diesem einzigartigen Abenteuer. Die Sonne versteckte sich, und das Firmament färbte sich in einem sanften Orange mit rosa Schattierungen. Weit weg boten violette und graue Wolken ein wunderbares Schauspiel. Bald tauchte vor Alexandras Augen in einigem Abstand ein dunkelbrauner Fleck auf, dem sich der Ballon langsam näherte, und als sie näher kam, merkte sie, dass der Flecken ein Holzhaus war, das in der Luft schwebte. Es hatte einen Kamin, mehrere Fenster und eine Türe. Vor dem Haus befand sich eine kleine Terrasse mit Geländer, die, weil sie in der Luft schwebte, mehr einer Mole glich. Aus den Fenstern ragten zwei Bambusstäbe, die an ihren Enden mit Drähten zusammengebunden waren und an denen Socken, Hemden, Taschentücher, und Handtücher

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verschiedener Farben aufgehängt waren. Der Ballon flog vor das Haus und stieß sanft an die Hauswand. Dort stand anscheinend ein Nagel oder ein Holzsplitter vor, jedenfalls platzte der Ballon und das Mädchen fiel aus geringer Höhe auf die Terrasse. Weil es schon kalt war, beschloss Alexandra das Haus zu betreten. Sie dachte daran, dass ihre Mutter sich sicher große Sorgen machte weil sie nicht bei ihr war und weil sie sich ohne Mantel im Freien aufhielt. Sie klopfte schüchtern, und die Türe öffnete sich. Dahinter war ein dunkler Gang, und in ihm saß ein riesengroßer schwarzer Kater, fast so groß wie die Türe. Seine Schnurrhaare glichen Weidenzweigen und seine Augen, gelb wie zwei große Zitronen, sahen sie spöttisch an. Alexandra erschrak zuerst ein wenig als sie diese Katze von doch etwas ungewöhnlicher Größe sah, und weil sie nicht wusste was sie sagen sollte, stammelte sie einige Worte um zu erklären, wie sie hierher gekommen war. Der Kater sah sie weiter fest an und schien zu lächeln. Er wird glauben

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ich sei ein Mäuschen, dachte das Mädchen- und fällt gleich über mich her. Doch sie näherte sich ihm und sagte, dass sie gerne eine Tasse Tee trinken würde. Da hörte der Kater auf sie so scharf anzusehen und sagte zu ihr: “Mein Name ist Ra und das ist das Haus meines Herrn, des Zauberers, der gleich kommen wird. Komm, ich zeig dir was ich heute für ihn gemacht habe. Nachdem er das gesagt hatte, wandte er sich um und ging den Flur entlang. Sie kamen in einen Raum, in dem in der Mitte ein großer rußiger Suppentopf auf dem Feuer stand und kochte. “Was für ein schöner Kater” dachte das Mädchen, und seine Bewegungen sind elegant und das Fell scheint weich wie Samt.“ In diesem Moment hörte sie wie sich jemand dem Haus näherte. “Ra, mach die Türe auf!” rief es von der Terrasse. Der Kater machte einen schnellen lautlosen Sprung und öffnete die Türe. Der Zauberer war gekommen! Sein Gesicht war sehr lang und Nase und Kinn scharf geschnitten.

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Er hatte auf dem Kopf einen großen schwarzen spitzen Hut, und war bekleidet mit einem ebenfalls schwarzen Frack, seine engen Hosen reichten bis zu den Knöcheln und waren aus glänzender violetter Seide. Seine Strümpfe waren weiß und die Lackschuhe hatten Silberschnallen. Sowohl das Gesicht als auch die Hände des Zauberers waren bleich wie Elfenbein. Alexandra bekam einen großen Schrecken als sie die Gestalt sah. Der Schrecken wurde noch größer, als der Zauberer sie entdeckte und sie anfing mit Augen, die Feuer zu sprühen schienen, ansah. “Was macht dieses Mädchen in meinem Haus?” schrie er wütend. “Ra! Wirf sie raus und bring mir Tee, ich bin sehr nervös und müde.” Als Alexandra den schneidenden Tonfall hörte, hielt sie sich die Ohren mit den Händen zu, ging langsam auf den Zauberer zu und schaute ihn mit ihren großen, blauen Augen an. Als der Zauberer sah, dass das Mädchen nicht weinte, sondern ihn vielmehr anlächelte, fragte er sie inscharfem Tonfall, der liebenswürdig klingen

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sollte: -Sag mir, kleines Mädchen, wie kamst du in mein Haus? -Mit einem Ballon. -Und wer lenkte diesen Ballon? -Der Wind. Als der Zauberer das hörte, wurde er sehr ernst und sagte: -Weißt du, wer ich bin? -Ja! -Hast du keine Angst vor mir? -Doch, ich habe große Angst, sagte Alexandra weinerlich. -Ah, wie gut! Damit dir die Angst vergeht, gebe ich dir ein bisschen Tee. Und er nahm das Mädchen sanft bei der Hand und führte es in das Zimmer, wo der Kessel dampfte. Erst jetzt merkte Alexandra, dass es in dem Raum mit dem dampfenden Kessel große Regale voll Büchern, Gefäßen

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und ausgestopften Tieren gab, die unbewegt auf sie herabblickten. Von der Decke hingen an dünnen Fäden einige Fische und Vögel. Der Zauberer setzte sich, nahm das Barett vom Kopf und schenkte sich aus einer Teekanne, die der Kater auf einem Tischchen vorbereitet hatte, und dann dem Mädchen Tee in Silbertassen ein. “Wie heißt du?” fragte das Mädchen. Sie war jetzt schon etwas ruhiger und nippte an ihrer Tasse. -Mein Name ist unwichtig, sagte der Zauberer. Aber wichtig ist, ist, dass du weißt, dass ich alle Tiere, die du hier siehst, einbalsamiert habe. -Was heißt einbalsamieren?, fragte das Mädchen. -Einbalsamieren, antwortete der Zauberer, heißt, den toten Tieren die Eingeweide herausnehmen und sie mit duftenden Spezereien füllen, ihnen Glasaugen einusetzen und andere Dinge mehr, die du nicht verstehst. So bleiben sie ewig erhalten und erscheinen lebendig. -Wo hast du das gelernt?, fragte das Mädchen.

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-Das habe ich vor vielen tausend Jahren gelernt, als ich noch ein ägyptischer Sklave war und als Einbalsamierer der Adeligen und Pharaonen gearbeitet habe. -Ah!, rief das Mädchen, und was sind die Pharaonen? -Schluss!, entfuhr es dem Zauberer. So viele Fragen auf einmal sind nervig. Du langweilst mich doch zu sehr. Ich werde dich in Ungeziefer verwandeln und dann einbalsamieren. Alexandra wurde sehr traurig und sagte wenig später: “Zauberer, wenn du mich in eines deiner Tiere verwandelst, dann möchte ich, dass du mich in einen schönen Schmetterling verwandelst.” “Schmetterling?!!”, schrie der Zauberer. “Weißt du nicht, dass Schmetterlinge nur einen Tag alt werden?” “Aber ihre Flügel sind sehr schön.” “Ich verwandle dich in das, was ich will, und nicht in was du möchtest!” schrie der Zauberer außer sich. “Und jetzt wird geschlafen, weil es schon spät ist. Ra, Ra, wo hast du dich versteckt, du Riesenkater. Richte das Bett für dieses Mädchen her und schlaf neben ihr,

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damit du sie schützt und sie nicht friert.” Der Kater miaute und entfernte sich leise mit dem Mädchen. Sie kamen in einen anderen Raum, in dem ein Bett stand, in das Alexandra sich legte, und schlief gleich tief ein. Einige Stunden später erwachte sie und beobachtete den riesengroßen Kater, der auf einem roten Teppich neben ihrem Bett schnurrend schlief. Er war so schwarz und groß, dass er eher wie ein Panther oder Löwe aussah, wie er so neben ihr ausgestreckt dalag. -Ra, flüsterte das Mädchen, Ra, was sind die Pharaonen? Ra streckte sich gähnend und begann sich das Fell zu lecken. -Ach, du dummes Mädchen, miaute er, was fragst du soviel? Weißt du nicht, dass das meinen Herrn verärgert? Die Pharaonen waren die alten ägyptischen Könige, und wenn sie starben, wurden sie einbalsamiert. Mein Herr arbeitete in diesem Beruf in einem Tempel und lernte damals viele Zauberkünste von den Priestern. Als sie sahen, dass da ein sehr kluger Mann war, wurden sie neidisch und schickten ihn zum Bau der Pyramiden, um ihn

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loszuwerden. Die Pyramiden waren nämlich die Gräber der Pharaonen und wurden aus gewaltigen Steinen gebaut, die von Sklaven herangeschafft werden mussten. Einer von ihnen war damals mein Herr. Sehr viele starben, und als mein Herr diese schrecklichen Grausamkeiten sah, schwor er sich, die Männer zu rächen. Eines Nachts floh er und seit damals hat er dank seiner Zauberkünste durch alle diese Jahrhunderte getrennt von dieser Welt gelebt und die Zauberkünste ausgeübt, ohne zu verstehen, dass es ebenso viele gute wie böse Menschen gibt. Aber ehrlich, ich sage dir, dass er seit 3600 Jahren noch nie ein liebes Wort gehört oder eine Zärtlichkeit bekommen hat. Kaum hatte er dies gesagt, rollte sich der Kater zusammen und schlief weiter. Alexandra überdachte alles, was der Kater ihr erzählt, aber sie verstand nicht viel davon. Jedoch fühlte sie in ihrem Herzen, dass der Zauberer mit den violetten Hosen nicht so schlecht war, wie sie anfangs geglaubt hatte. Es

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fiel ihr auf, dass er ihr, anstatt sie gleich in einen Schmetterling zu verwandeln, Tee serviert hatte und sie zusammen mit dem Kater schlafen schickte, der sie beschützen sollte. Am nächsten Tag erwachte sie vom Geschrei des Zauberers, der ebenso schlechter Laune war wie tags zuvor, oder noch schlimmer. Gerade schimpfte er den Kater, weil der vergessen hatte, den Besen aufzuräumen. Der war nämlich draußen auf der Terrasse geblieben. Das Mädchen stand auf, ging auf den Zauberer zu, sagte „Guten Morgen!“ und küsste ihn auf die Wange. Der Zauberer stampfte wütend auf, wollte sprechen, brachte aber kein Wort heraus, bis er sich beruhigt hatte. -Dummes Mädchen!, sagte er mit zornbebender Stimme. “Weißt du nicht, dass mich noch nie jemand geküsst hat?” -Na, dann bin ich eben die erste!, sagte Alexandra. “Aber deswegen musst du dich doch nicht so ärgern.” Der Zauberer wusste nicht, was er sagen sollte, riss die Tür zur Terrasse

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auf und ging hinaus. Das Mädchen beschloss ihm nachzugehen und nachzusehen, wo ihr kaputter Ballon war. Da traf sie den Zauberer wieder, der schon auf seinen Besen gestiegen war um wegzufliegen. “Nimm mich mit!” bat ihn Alexandra. Aber der Zauberer sah sie so zornig an, dass sie nicht weiter drängte. Zerknirscht wandte sie sich zur Tür, als sie den Befehl des Zauberers hörte: “Komm! Steig hinter mir auf! Halt dich gut fest! Wir fliegen mit großer Geschwindigkeit.” Das Mädchen kletterte auf den Besen und war glücklich. Sie legte ihre Arme um die Taille des Zauberers. Sie starteten rasch, aber da der Besen, der die Nacht über auf der Terrasse im Freien gestanden hatte, kalt war, begann er als sie schon weit vom Haus waren, Funken zu sprühen und Rauch auszustoßen. Er machte dabei großen Krach. Alexandra fand das sehr lustig und brach in fröhliches Lachen aus, das den Zauberer ansteckte, der nicht umhin konnte auch zu lachen, wenn auch leise und ohne dass das Mädchen es merkte. Sie flogen bis zur Stadt und der Zauberer hielt den Besen in der Höhe

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an, um zu sehen, wo er etwas Schlechtes anstellen könnte. Er erblickte eine Bettlerin, die mit ihren zerlumpten Kindern auf den Stufen zum Kirchenportal saß. “Siehst du diese alte Bettlerin? Ich werde sie auf den Kopf treffen.” Er nahm eine Orange aus einer Provianttasche, die er an der Seite trug, und warf sie kraftvoll nach unten. Die Orange zerplatzte auf der Stirn der armen Alten und traf beinahe das Auge. “Schau, wie sie auf den Rücken gefallen ist!”, lachte der Zauberer vergnügt. “Ist das nicht ein schöner Streich?” “Das ist es nicht!” antwortete Alexandra, als sie sah, wie sich die Bettelkinder über die Orange hermachten. “Denn du hast ihnen für heute etwas zu essen gegeben. Der Zauberer zog die Augenbrauen zusammen und wurde wieder schlechter Laune. Er beschleunigte den Besen und sie gelangten an ein Flussufer. Da sahen sie einen Mann, der einen jungen Hund in seinen Armen trug. Der Zauberer gab ihm einen Fußtritt und der Mann fiel auf seinen Hintern. Aber das Merkwürdige war, dass der Hund sofort reißaus nahm, als er auf den Boden kam, bis er verschwunden war.

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“Du hast etwas Gutes getan.” Bemerkte Alexandra. “Du hast das Hündchen gerettet.” Und wirklich – aus der Tasche des Mannes hing ein Strick, den er benutzen wollte, um den Hund zu ertränken, indem er ihm einen großen Stein umhängen wollte. Der Zauberer war außer sich vor Zorn. “Du bringst mir kein Glück!” sagte er zu dem Mädchen. “Begehe du eine schlechte Tat!” Alexandra nahm eine Zitrone heraus und wartete. Als sie über ein abgelegenes Stadtviertel flogen, näherten sie sich einem verfallenen Fenster. Hinter den zerbrochenen, schmutzigen Scheiben sah das Mädchen eine Witwe mit ihren sechs kleinen Kindern. Eines davon war sehr krank und gerade legte ihm seine Mutter ein schmutziges, feuchtes Tuch auf die fieberheiße Stirn, um ihm etwas Kühlung zu verschaffen. “Arme Frau,” sagte Alexandra zu sich, “sicher hat sie kein Geld um ihre Kinder zu ernähren und auch keines um Medizin zu kaufen.” Mitleidig warf

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sie die Zitrone zum Fenster hinein und diese – Oh welches Wunder! zerplatzte in tausend Stücke und jedes Stück verwandelte sich in eine Goldmünze. Das Glück der armen Familie kannte keine Grenzen. Anfangs rieben sie sich noch die Augen, weil sie glaubten, alles wäre ein Traum. Aber dann warfen sie sich auf den Boden, um die Münzen aufzusammeln und stießen dabei Freudenschreie aus. Sehr ungnädig entfernte sich der unfreundliche Zauberer von dieser Szene und nachdem er die Stadt überquert hatte, landete er vor einem großen Palast mit riesigen Glasfenstern. Er warf eine Gurke gegen das größte Fenster, das krachend zersplitterte. “Wie findest du das” fragte er das Mädchen triumphierend? Aber Alexandra zuckte nur mit den Schultern und sagte gleichgültig: “Der Besitzer dieses Palastes ist der reichste Mann der Stadt und ich glaube nicht, dass es ihn sehr stört, wenn eine Scheibe zu Bruch geht.” Der Zauberer schnaubte und hob den Stiel des Besens an, dass er so stark beschleunigte, dass das Mädchen dachte, dass es die große

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Geschwindigkeit nicht ertragen könnte. Bald kamen sie nach Hause, wo Ra sie empfing und ihnen heißen Tee servierte. Die Beziehung zwischen dem Zauberer und Alexandra war zerstört und mehre Tage lang flog er mit seinem Besen aus ohne das Mädchen einzuladen, bis er eines Tages das Mädchen zu sich rief und ihr energisch befahl, von neuem aufzusteigen. “Du hast mich endgültig verärgert,” sagte er zu ihr. “Steig auf! Ich werde dich in einem Wald aussetzen.” Sie flogen schnell fort und kamen zu einem riesigen Wald mit abgebrannten Bäumen, deren schwarze Stämme einen schönen Kontrast zum gelbgrünen Unkraut, das den Boden bedeckte, darstellten. Das Mädchen stieg vom Besen und besah mit Interesse die riesigen verkohlten Stämme. “Schau dir diese wunderbare Landschaft an!” rief der Zauberer aus. “Früher duftete dieser Wald nach wilden Blumen und die Vögel sangen im dichten Laub. Nichts davon ist übrig geblieben – dank meiner! Weil ich es verbrannt habe. Ist das nicht schön? Die verkohlten Stämme scheinen im ewigen Leid zu stöhnen.”

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“Sie sind wirklich sehr schön,” sagte Alexandra, “und einige treiben von Neuem, denn ich sehe grüne Blätter und einige Zweige.” “Ah!” schrie der Zauberer, “dummes Mädchen, deine Worte machen mich krank! Ich kann nicht mehr. Schluss damit, mich zu ärgern. Ade! Ich hoffe dich nie wieder zu sehen.” “Bis bald!” verabschiedete sich das Mädchen. “Und vielen Dank für alles. Du bist sehr nett mit mir gewesen und ich werde dich vermissen.” Während sie das sagte, näherte sich Alexandra dem Zauberer und gab ihm einen sanften Kuss auf die Wange. Dann sagte sie: “Werde ich dich nochmals sehen? Am Sonntag nimmt mich meine Mutter in die Kirche mit. Ich hoffe dich dort zu treffen.” Der Zauberer brach in lautes Lachen aus als er das hörte, weil er sich selbst in der Kirche vorstellte, sagte aber nichts und flog schnell über die Bäume in den Himmel. “Auf Wiedersehen!” rief Alexandra, “Ich erwarte dich am Sonntag!” Aber der Zauberer antwortete nicht und verlor sich am Himmel mit einem

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Kloß im Hals und Augen voll Tränen. Alexandra blieb alleine im schwarzen Wald zurück. Es war schon Nachmittag und die goldenen Strahlen verstärkten das zarte Gelbgrün der Landschaft und kontrastierte mit der Dunkelheit der Stämme. Die Stille schien greifbar zu sein und das Mädchen fühlte sich sehr allein und schutzlos. Sie fing an zu schluchzen und nach dem Zauberer zu rufen, aber niemand konnte sie hören, weil der Wald anscheinend unbewohnt war. Jedoch glaubt nicht, dass es so war! Von oben, von einem Zweig aus wurde sie von einem Vogel beobachtet. Das war ein Chirigüe (1). Und die gelbe Farbe seines Gefieders verschmolz mit der Landschaft. Der Vogel flog herunter und setzte sich zum Mädchen, das, als es den Vogel entdeckte, lächelte und sichdie Tränen mit dem Handrücken abwischte. “Weine nicht mehr!” sagte der Chirigüe, “weil dein Jammer mich an den Kummer erinnert, den ich vor Kurzem hier hatte.” “Welchen Kummer hattest du?” fragte Alexandra. “Das will ich dir erzählen,” sagte der kleine 1. Chirigue oder Chirihue ist ein chilenischer Singvogel, der zu den Ammern gehört.

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Vogel. “Vor einiger Zeit war dieser Wald sehr schön. Der Frühling war gekommen und ich war verliebt in ein hübsches Vogelmädchen. Wir beschlossen auf einem Ast unser Nest zu bauen. Dazu transportierten wir kleine Zweige, erst dickere, dann immer kleinere und feinere, bis wir schließlich das Nest mit kleinen Federn und Rosshaaren polsterten. Meine kleine Vogeldame setzte sich auf das Nest und legte drei schöne Eier. Wir waren glücklich und dachten an unsere zukünftigen Kinder, die bald aus der Schale schlüpfen würden. Aber der böse Zauberer mit den violetten Hosen kam und zündete den Wald mit seinem Funken sprühenden Besen an. Das Gras begann zu brennen, die Baumstämme verbrannten, die Zweige und schließlich auch das Nest. Meine Frau floh entsetzt, und ich habe sie nicht wieder gesehen. Seither lebe ich hier in diesem schwarzen Wald und suche meine Vogelfrau, um nochmals unser Nest zu bauen.” “Oh”, sagte Alexandra, “wie leid mir das alles tut, aber sei nicht länger betrübt, Vögelchen, vielleicht war dein erstes Nest zu nah am Boden gebaut

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und wäre gefährdet gewesen, weil es in Reichweite deiner Feinde gewesen war.” “Schönes und feines Mädchen”, sagte der Chirigüe. “Danke, dass du mich tröstest. Deine Güte hat wieder Freude in mein Herz gebracht.” Dann begann der kleine Vogel so wunderbar zu singen, so wunderbar, dass Alexandra von den harmonischen Tönen ganz außer sich war. Nach einer Weile beendete der Chirigüe seine melodischen Triller, und von weitem hörten sie eine zarte und leise Antwort. Die Töne kamen näher und bald tauchte ein anderer kleiner Vogel auf, mit ähnlichen Farben wie der Chirigüe, aber nicht so prächtig. Was für eine Freude hatten die beiden Vögel, als der Chirigüe und seine Frau wieder vereint waren. Beide waren außer sich vor Glück und flogen um das Mädchen herum, um ihre Dankbarkeit zu zeigen. Aber das Mädchen war nicht so gesprächig wie sie, weil es weit weg von zuhause war. “Sei nicht betrübt,” sagte die Vogel-Frau. “Ein Stück weit von hier, am

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See-Ufer ist eine Familie, die den Tag auf dem Land verbringen will. Ich hab sie schon von weitem gesehen. Wenn du willst, bringen wir dich hin.” Das Mädchen war einverstanden und die Vögel führten sie durch den Wald bis zu dem Lagerplatz. Die Familie empfing das verirrte Mädchen herzlich, und als die Familie am Nachmittag in die Stadt zurückkehrte, brachte sie Alexandra nachhause. Groß war dort die Überraschung und Freude ihrer Eltern, als sie sie gesund und wohlbehalten wieder sahen, nach dem geheimnisvollen Aufstieg des rosafarbenen Ballons. -----Am Sonntag nahm die Mutter sie mit in die Kirche um Gott für die glückliche Heimkehr Alexandras zu danken. Die Kirche war voll, und Mutter und Tochter mussten in einem der Seitenschiffe stehen. Plötzlich

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meinte Alexandra zu bemerken, dass die Heiligen sehr ernst dreinsahen, aber Jesus schien zu lächeln. Dann bemerkte sie, wie ihr jemand in den Arm kniff und hörte nah an ihrem Ohr eine Stimme, die sehr leise sprach: “Hier bin ich, ganz gegen meinen Willen, nur um deinen Wunsch zu erfüllen.” Alexandra erkannte die Stimme des Zauberers mit den violetten Hosen und freute sich so sehr, dass sie einen kleinen Freudenschrei nicht unterdrücken konnte. “Violetter Zauberer! Nie hätte ich geglaubt, dass du kämst um mich zu sehen. Wie geht es Ra?” “Weder Ra noch das fliegende Haus werden weiterhin über den Wolken sein,” sagte der Zauberer, “weil ich fortgehen und auf einem Stern leben werde. Du hast mich verändert, mein kleines Mädchen, dank deiner habe ich gemerkt, dass man glücklicher wird, wenn man Gutes tut, als wenn man Schlechtes tut. Aber weil ich soviel Zeit damit zugebracht habe schlechte Sachen zu machen, ziehe ich weit weg, um weder das Eine noch

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das Andere zu tun und so zu vergessen, dass ich böse war.” Nach diesen Worten fühlte Alexandra, dass der unsichtbare Zauberer sich entfernte und sie konnte sich nur mit leiser Stimme verabschieden. Ihre Mutter tadelte sie, weil sie abgelenkt war. Die Heiligen seufzten erleichtert und in diesem Moment war die Messe endlich zu Ende. Draußen sah das Mädchen, obwohl es den Himmel genau absuchte, keine Spur von seinem Freund, dem Zauberer. Es konnte den ganzen Tag nicht aufhören an ihn zu denken. Jedoch die Zeit verging und es vergaß ihn. Alexandra wuchs gesund heran und wurde ein schönes Mädchen, das wegen seiner Güte, Liebenswürdigkeit und Schönheit von allen sehr geliebt wurde. Und hier ist die Geschichte von Alexandra und dem bösen Zauberer, der nie Liebe und Zuwendung erfahren hatte, aber der sich dank des gütigen Mädchens verändert hatte, zu Ende. Meine lieben kleinen Freunde, wenn ihr einmal wissen wollt, welches

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der Stern ist, auf dem der Zauberer wohnt, müsst ihr nur in einer sternklaren Nacht das Fenster aufmachen und ihr werdet Tausende von Sternen sehen. Aber schaut nur genau hin: einen werdet ihr finden, der mit roten, blauen und violetten Strahlen funkelt, genauso wie die Hosen unseres Zauberers.

Ende

ALEXANDRA UND DER ZAUBERER MIT DEN VIOLETTEN HOSEN