Alexander Kuprijanow Bruno Jahn

„Wann kommt die nächste Krise?“ Alexander Kuprijanow Bruno Jahn 15.06.2016 fuchsschwarm.de „Wann kommt die nächste Krise?“ Eine Hiobsbotschaft über...
Author: Bastian Acker
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„Wann kommt die nächste Krise?“ Alexander Kuprijanow Bruno Jahn 15.06.2016

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„Wann kommt die nächste Krise?“ Eine Hiobsbotschaft übermittelt man im Regelfall kurz: darauf kann es leider keine eindeutige Antwort geben. Was wir jedoch tun können, um uns gegen die Ungewissheit der Zukunft zu wehren, ist in diesem eBook zu lesen. Hierzu benötigt man nur wenig mehr als den gesunden Menschenverstand – und die Fähigkeit, sich eigene Fehler eingestehen zu können. Versuche, die Zukunft vorherzusagen, beschäftigen die Menschheit seit prähistorischen Zeiten. Was einst die Domäne religiös-kultischer Autoritäten war, ist heute überwiegend Aufgabe – echter oder vermeintlicher – Experten und Expertinnen. Jedoch zeigt sich bei systematischer Auswertung vieler Prognosen, dass deren tatsächliche Genauigkeit außerhalb einiger gut mathematisch modellierbarer Bereiche oft ernüchternd schlecht ist. So sagten z.B. renommierte Ökonomen ganze zwei (!) von 62 Rezessionen weltweit im Zeitraum 1989-1998 korrekt voraus.

Eine umfangreiche Langzeitstudie des amerikanischen Psychologieprofessors Phil Tetlock im Zeitraum 1984-2002 wertete über 80.000 abgegebene Zukunftsprognosen aus. Sie zeigte, dass hochkarätige Experten im Bereich Außenpolitik die tatsächlichen Entwicklungen

kaum

besser

als

der

pure

Zufall

vorhersagten

(http://press.princeton.edu/titles/7959.html).

Tetlocks Studie zeigte jedoch noch etwas: Es gibt eine Gruppe von Menschen, deren Vorhersagen signifikant besser sind als die anderer Experten und dies mit einer Konstanz, die pures Glück ausschließt. Was genau zeichnet diese aus? Sie sind nicht per se intelligenter oder besser informiert (auch wenn beides nicht schadet); sie pflegen jedoch einen anderen “kognitiven Stil”, eine andere Herangehensweise. Tetlock nannte diesen Typ “Füchse”, in Ablehnung an ein Essay Isaiah Berlins, in dem es heißt “Der Fuchs weiß viele kleine Dinge, der Igel aber ein großes Ding”. Füchse pflegen eine große geistige Offenheit; sie nehmen Informationen aus einer Vielzahl von Quellen und Wissensgebieten auf und ändern ihre Meinung im Angesicht neuer Erkenntnisse.

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Die gute Nachricht ist: Menschen können diese Vorgehensweise zu einem gewissen Grad erlernen; bessere Vorhersagen zu machen ist also trainierbar.

Einen dt. Begriff für Forecasting gibt es übrigens nicht – Forecast wird meist mit Prognose gleichgestellt. In der VWL und BWL steht Forecast für eine wirtschaftliche Analyse der möglichen wirtschaftlichen Entwicklungen eines Marktes, eines Produkts, der Konjuktur, etc. Im weiteren Sinne bedeutet Forecasting, dass eine Aussage über zukünftige Ereignisse abgegeben wird, wobei hierzu wissenschaftliche Methoden herangezogen werden. Das Good Judgment Project Bevor wir uns an eine Prognose der künftigen Geschehnisse wagen, sollten uns kurz die Grundlagen des modernen Forecastings ansehen. Den wichtigsten Fundamentstein bildet das Good Judgment Project, das von der IARPA initiiert wurde. IARPA steht für Intelligence Advanced Research Projects Activity, eine Regierungsorganisation der USA, die dem Direktor der nationalen Nachrichtendienste untersteht (gemeint sind der CIA, der NSA, der Militärnachrichtendienst DIA, das Justizministerium,

das Department of Homeland Security und einige mehr). Um die

Genauigkeit der Vorhersagen von weltpolitischen Ereignissen zu verbessern, rief die IARPA 2011 das Programm ”Aggregative Contingent Estimation” (ACE) ins Leben. Ein Schwerpunkt von ACE waren probabilistische Beurteilungen, die von bestimmten Einzelpersonen abgegeben wurden. Diese Einzelpersonen erzielten bei Vorhersagen künftiger Ereignisse eine signifikant höhere Trefferquote als andere. Die Gelder von ACE wurden unter anderem dazu genutzt, im Jahre 2011 das Wissenschaftsprojekt Good Judgment Project (GJP) anlaufen zu lassen. Die Gründer des Projekts waren Phil Tetlock, Barbara Meller und Don Moore. Ausgangspunkt war Tetlock's Langzeitstudie, in der er ernüchternd feststellte, dass Experten keine besseren Vorhersage-Resultate erzielten als Laien. Besonders schlecht schnitten hierbei solche

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Experten ab, die eine hohe Medienpräsenz aufwiesen.

Seit dem Start 2011 überraschte das GJP es die gesamte Fachwelt (und die eigenen InitiatorInnen) mit geopolitischen Vorhersagen, deren Genauigkeit weit über dem liegt, was andere Methoden bislang liefern konnten. Die Experten aus Tetlocks ursprünglicher Studie wurden weit übertroffen.

Basierend auf dem Prinzip des „Weisheit der Vielen“-Crowdsourcing sah das Projekt eine große Anzahl von Laienteilnehmern vor, die Prognosen abgaben und Trainings durchliefen. Anstatt Einzelgänger setzte das Projektkonzept auf Teams. Aus den von den Teams abgegebenen Prognosen wurde - anstatt einen Konsens in der Gruppe erzielen zu wollen - ein Mittelwert gebildet. Anhand von Persönlichkeitstests und diversen Schulungen gelang es den Forschern, in den Teams einzelne Individuen ausfindig zu machen, die kognitiv weniger befangen agierten als die Durchschnittsteilnehmer. Innerhalb der „Forecaster“-Gruppe kristallisierte sich die Gruppe der „Superforecaster“ heraus, also solcher Teilnehmer, die eine nochmals höhere Trefferquote erzielten.

Das wichtigste Ergebnis von GJP war die Erkenntnis, dass nicht ein Expertenstatus und auch kein Sonderwissen einen guten Forecaster ausmachen. Vielmehr sei ein spezifischer kognitiv unbefangener Stil ausschlaggebend, der frei von Vorurteilen ist. Dies ging mit der

Feststellung

Projektteilnehmer

einher, bei

dass

die

als

Prognosen

erfolgreiche

ca.30%

Forecaster

höhere

eingestuften

Erfolgsquoten

als

Geheimdienstmitarbeiter erzielten, die über vertrauliche Informationen verfügten. Der Schlüssel zu diesen Erfolgen liegt in der Bündelung der Vorhersagen vieler Individuen, wobei diese gewichtet werden anhand verschiedener Faktoren, insbesondere der vergangenen Performance der einzelnen Teilnehmer. Es handelt sich also um ein Beispiel erfolgreich umgesetzter Schwarmintelligenz.

Das Geheimnis von erfolgreichem Forecasting fuchsschwarm.de

Manchen Leuten fällt ein unvoreingenommenes Urteil leichter als anderen. Dies bedeutet, dass sie weniger anfällig sind für bestimmte, weit verbreitete Denkmuster. Im Rahmen des GJP wurden Tests herangezogen, die es möglich machten, die abgegebenen Prognosen zu erfassen, mit dem eingetretenen realen Umständen zu vergleichen und so die Urteilsfähigkeit der Prognostizierenden einstufen zu können. Hier sind einige der am meisten verbreitetsten Denk-Irrtümer, die für eine gehörige Portion Irrationalität in unserem Alltag sorgen.

Groupthink Der Konsens in der Gruppe ist gefährlich, wenn es um eine Entscheidungsfindung geht, die

von

subtilen,

wenig

sichtbaren

Faktoren

abhängt.

Eine

Gruppe

von

Entscheidungsträgern tendiert oft dazu, sich auf eine, allen Mitgliedern passende Lösung zu einigen. Dabei ist die Gefahr groß, dass wichtige Entscheidungsgrundlagen oder Risiken aus Euphorie oder Übermut kleingeredet werden. Kritik oder Skepsis werden dem Harmonie- und Konformitätsbestreben innerhalb der Gruppe untergeordnet. Das oft angeführte Beispiel ist hier die gescheiterte Schweinebucht-Invasion der Kennedy-Regierung. Rational betrachtet war das Unterfangen allein in militärischer Hinsicht von vornherein zum Scheitern verurteilt, wurde aber dennoch trotz aller schlechten Vorzeichen bis ans bittere Ende geführt. Sunk-Cost Fallacy Dieses Phänomen kennen wir vom Texas Hold'Em-Poker: am Anfang sieht die Runde recht gut aus und man investiert einen ordentlichen Einsatz in den Pot gesteckt. Dann verändert sich jedoch die Spielsituation: das Mitgehen wird auf einmal nicht nur gefährlich,

sondern

sogar

sinnlos.

Obwohl

die

Chancen

auf

einen

Sieg

zusammengeschrumpft sind, gehen viele Spieler trotzdem mit. Sie können den Gedanken fuchsschwarm.de

nicht ertragen, sich eingestehen zu müssen, den falschen Pfad eingeschlagen zu haben. Es ist einfacher, weiterzumachen und dabei die Realität zu verdrängen. Als jüngstes Beispiel kann man hier die Wahlkampagne von Bernie Sanders anführen, der für die demokratische Partei der USA gegen Hillary Clinton als Präsidentschaftskandidat angetreten war. Obwohl Sanders' Chancen, Clinton das Wasser zu reichen, von Anfang an gering waren und im Zuge der Wahlen immer weiter schwindeten, setzte er seinen Wahlkampf

fort.

Selbst

nach

seiner

eindeutigen

Niederlage

verkündete

er,

weiterkämpfen zu wollen. Confirmation Bias Viele Menschen tendieren dazu, sich die Geschehnisse in ihrer Umwelt sich so zu erklären, dass sie stets ins eigene Weltbild passen und dieses immerzu bestärken. Das ist gefährlich, weil dadurch regelmäßig wichtige Umstände ausgeblendet werden. Vergleichbar ist dies mit einem Nachrichtendienst-Mitarbeiter, der in den ihm vorliegenden Informationen ausschließlich Islamisten als Gefahrenquelle anerkennt und die Aktivitäten von Rechtsradikalen als wenig beachtenswert einstuft. Hindsight Bias Dieses Phänomen kennt man vor allem als „Hinterher ist man immer schlauer“. Will heißen: Rückblickend sehen wir viele Dinge als völlig selbstverständlich, ja, gar trivial. So wird der Polizei-Einsatz einer taktischen Spezialeinheit, der einen großen Aufschrei der Medien verursacht hat, minutiös aufgearbeitet. Die Kritik an der Einsatzleitung und an den Polizisten ist groß und zum Teil vielleicht nicht ungerechtfertigt. Ein solches Vorgehen verkennt jedoch, dass in der Analyse eines solchen Einsatzes meist andere Umstände herrschen als während des Einsatzes selbst. Im Nachhinein liegen alle relevanten Informationen vor, sind komplett ausgewertet und auf ihre Folgen hin analysiert worden. Ferner existiert keinerlei Zeitdruck, unter dem die ursprüngliche Entscheidung getroffen werden musste. Die Finanzkrise von 2008 erscheint uns aus der Retrospektive als ein Phänomen, zu dem es einfach kommen musste, alles deutete

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daraufhin. Und doch hatte es niemand kommen sehen.

Kein Hexenwerk in Sicht Vorhersagen wollen aktiv betrieben und kontinuierlich überprüft werden. 1. Legen Sie ein Fachgebiet fest Überlegen Sie sich ein Fachgebiet, auf dem Sie eine Prognose abgeben möchten. Nicht zwangsläufig muss dies ein Fachgebiet sein, auf dem Sie bereits Erfahrung haben. Als Informationsquelle können Sie die üblichen zur Verfügung stehenden Medien nutzen. Machen Sie sich von dem Gedanken frei, Ihre Vorhersage müsse versteckte oder gar streng vertrauliche Informationen beinhalten, um besonders gut zu sein. 2. Formulieren Sie die Fragestellung Achten Sie darauf, Ihre Frage präzise genug zu umreißen. Eine Fragestellung wie „Wie wird unsere Welt in 50 Jahren aussehen“ sollten Sie Futurologen und Science-FictionAutoren überlassen. Mit Forecasts haben derlei komplexe Fragen recht wenig am Hut. Je komplizierter eine Frage ist, umso mehr muss sie kompartmentalisiert werden. Splitten Sie sie auf in kleinere Unterfragen auf, die abgeschlossen sein und auf eine Ja/Nein-Antwort hinauslaufen. Dabei müssen Sie bedenken, dass je größer die Zeitspanne ist, die ihrer Prognose zugrunde liegt, umso schwieriger wird es, tragfähige Vorhersagen abzugeben. Akzeptabel sind Zeitspannen von ca. 1 Jahr, danach nimmt die Prognosequalität rapide ab. 10Jahrespläne erinnern an die Volksökonomen, die im Jahre 1987 Zukunftsszenarien für die wirtschaftliche Entwicklung in der DDR aufstellten. Bringen Sie eine gesunde Portion Skepsis mit, wenn Sie derart schwammigen Begriffe wie „Krise“ begegnen. Es kommt immer darauf an, welche Sichtweise man für ein Ereignis mitbringt. Eine Krise in einem Wirtschaftszweig (z.B. Verbrennungsmotoren) kann das

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Aufblühen eines anderen Wirtschaftszweiges beflügeln (z.B. elektrische Motoren). Eine Krise in einem Wirtschaftszweig kann bspw. aber auch eine folgenschwere Reaktion aus der Politik hervorrufen. Somit spielt eine große Rolle, welche Akteure an einem Ereignis beteiligt sind (Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Kultur, etc.), zu welchem Zeitpunkt sie ihr Wirken entfaltet haben und was im Vorfeld dieses Ereignisses passiert ist. 3. Monitoring beim Forecasting Fragen Sie sich ständig: was muss „unterwegs“ passieren, damit das Ereignis am Ende so eintritt, wie Sie es vorhergesagt haben? Was muss eintreten, damit Sie am Ende Recht behalten? Treten diese Entwicklungen auch tatsächlich ein? Je überschaubarer Ihre Frage ist, umso einfacher werden Sie es haben, die wichtigsten Einflussfaktoren für Ihre Prognose im Auge zu behalten.

4. Dokumentation und Auswertung Notieren Sie sich Ihre Vorhersagen und werten Sie sie möglichst regelmäßig aus. Vergleichen Sie die Ereigniskette, die Sie im Zuge Ihrer Prognose gebildet haben (“Was muss eintreten, damit ich Recht behalte?“) mit den tatsächlich eingetretenen Ereignissen. Sie hatten recht? Prima! Stellen Sie Abweichungen fest? Noch besser! Dokumentieren Sie Ihre Fehlschläge in jedem Fall. Fragen Sie sich am Ende ehrlich, was dazu geführt haben könnte. Hatten Sie das Ereignis erst gar nicht auf Ihrem Radar? Oder haben Sie lediglich seine Tragweite unterschätzt? Seien Sie an dieser Stelle ehrlich mit sich und Ihren Fähigkeiten. Nur so werden Sie sich kontinuierlich verbessern können und zu besseren Ergebnissen gelangen.

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