6 Herr Wolf und... Guten Tag, Frau Doktor

6 Herr Wolf und ... Guten Tag, Frau Doktor Jetzt nur keine falschen Gedanken: Unsere Hauptfigur ist weder krank noch geht sie fremd. Doch sie tritt ...
Author: Moritz Kraus
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Herr Wolf und ... Guten Tag, Frau Doktor

Jetzt nur keine falschen Gedanken: Unsere Hauptfigur ist weder krank noch geht sie fremd. Doch sie tritt in einen Fettnapf – wir sagen nur: Frau Wurmel –, den es wohl so tatsächlich nur in Österreich gibt. Und eine nichts ahnende Frau Magister Irene Wolf stapft gleich hinterher. Als Herr Wolf das erste Mal von seiner neuen Firma zu einem Fortbildungstag »Qualitätssicherung in der Metall verarbeitenden Industrie« geschickt wurde, war er sehr erstaunt darüber, dass offensichtlich nur hochgebildete Referenten geladen worden waren. Denn bei der Vorstellung eines jeden Vortragenden wurde erst einmal eine ganze Litanei über seine akademischen Würden preisgegeben. Kaum jemand, der sich nicht »Frau Doktor«, »Herr Magister« oder »Herr Professor« nennen durfte. »Nicht schlecht«, dachte Herr Wolf und fühlte sich ob der geballten Titelflut noch ein wenig erlauchter im Kreis dieser Menschen. Er selbst hatte zwar studiert, das Studium jedoch nicht zu Ende gebracht, in Deutschland aber vor Jahren eine Prüfung zum Staatlich geprüften Techni48 AUSZUG AUS FETTNÄPFCHENFÜHRER Österreich ISBN 978-3-934918-76-4 © 2011 Conbook Medien GmbH. Alle Rechte vorbehalten.

ker Fachrichtung Maschinenbau erfolgreich abgeschlossen. Eine Ausbildung, die es so allerdings in Österreich nicht gibt. Deshalb konnte er hier mit seinem Titel auch keinen Blumentopf gewinnen. Nun, immerhin hatte er aber eine Akademikerin mit dem schönen Titel »Magister Artium« geheiratet, was ihn ja schon fast selbst ein wenig adelte – ein Titel allerdings, den sein angetrautes Eheweib in Deutschland nie benutzte hatte. Das würde er ihr gleich mal vorschlagen, nahm er sich vor, warum sollte sie sich verstecken! All diese Dinge gingen Herrn Wolf durch den Kopf, als sein Vorgesetzter ihn plötzlich aus den Gedanken riss: »Herr Wolf, darf ich Ihnen Frau Doktor Maria Wurmel vorstellen. Sie werden künftig häufiger mit ihr zu tun haben. Sie wird neue Leiterin unserer Technischen Abteilung.« Herr Wolf erhob sich sofort von seinem Stuhl, um die Dame zu begrüßen. Als er ihr Auge in Auge gegenüberstand, streckte er ihr die Hand entgegen und sagte erfreut: »Ich freue mich, Sie kennenzulernen, Frau Wurmel.« Die Angesprochene erwiderte den Gruß freundlich … … und eigentlich hätte damit alles in Ordnung sein können. Doch kaum hatte sich Frau Doktor Maria Wurmel von ihren beiden Gesprächspartnern verabschiedet, hagelte es Kritik. »Herr Wolf«, sagte sein Vorgesetzter in einem Ton, der den Angesprochenen sich augenblicklich einen Kopf klei49 AUSZUG AUS FETTNÄPFCHENFÜHRER Österreich ISBN 978-3-934918-76-4 © 2011 Conbook Medien GmbH. Alle Rechte vorbehalten.

ner fühlen ließ, »Sie können doch die Frau Doktor nicht in einer solch laxen Art und Weise begrüßen!« »Die Frau Wurmel?«, fragte Wolf und wusste gar nicht, wie ihm geschah. »Herr Wolf, ich möchte Sie bitten«, fügte der Vorgesetzte kopfschüttelnd hinzu, »dass Sie künftig hier auf Firmenebene alle Mitarbeiter, Kollegen, Besucher und wen auch immer mit Titel ansprechen.« Nach diesen Worten drehte sich Wolfs Chef um und ließ einen vollkommen perplexen Mitarbeiter zurück. Unser Tipp

Es empfiehlt sich in der Tat, sich stets über die Titel eines Geschäfts- oder Gesprächspartners zu informieren. Man spricht also nicht nur eine Frau Doktor mit »Frau Doktor« an – das hört man ja in Deutschland auch, mindestens im Ärzteumfeld –, sondern den Diplom-Ingenieur Meier als »Herrn Diplom-Ingenieur Meier« (in Österreich ist der Titel »Ingenieur« eine Standesbezeichnung, die vom Bundesministerium für Wirtschaft, Familie und Jugend verliehen wird), die »Frau Magistra Schmidt« nicht nur als »Frau Schmidt«, sondern ebenfalls mit ihrem Titel. Herr Wolf war von jenem Moment an besonders sensibilisiert für das Thema und entdeckte ständig und überall 50 AUSZUG AUS FETTNÄPFCHENFÜHRER Österreich ISBN 978-3-934918-76-4 © 2011 Conbook Medien GmbH. Alle Rechte vorbehalten.

Leute, die sich mit ihren Titeln schmückten. Kein Fassbieranstich, bei dem nicht der »Herr Magister« höchstpersönlich und der »Herr Doktor« im Besonderen begrüßt wurden, keine noch so kleine Zeitungsmeldung, in der nicht explizit auf die Titel des Akteurs verwiesen wurde. Nachdem Herr Wolf also im richtigen Gebrauch der Titel »unterwiesen« worden war, ermunterte er auch seine Frau Irene, ihren Magistertitel öfter einmal bei gewissen Anlässen ins Spiel zu bringen. »Das ist hier doch so üblich«, sagte er aufmunternd zu ihr, »und könnte dir vielleicht den einen oder anderen Geschäftskontakt erleichtern.« Denn Gerhard Wolf unterstützte seine Frau bei allem, was ihre Selbstständigkeit betraf. Irene Wolf nannte sich also ab sofort, wenn sie Briefe schrieb oder mit potenziellen Partnern ins Gespräch kam »Magister Irene Wolf«. Nicht etwa »Magistra« in der weiblichen Form, denn die gab es Ende der Achtzigerjahre, als sie ihr Studium beendet hatte, noch nicht. Laut Urkunde war ihr Titel »Magister« und den verwendete sie jetzt, wann immer es sich anbot. Sie praktizierte dies schon einige Zeit, als sie eines Tages von einem Berufskollegen direkt darauf angesprochen wurde. »Ich wusste gar nicht, dass du bei uns in Österreich studiert hast«, sagte der erstaunt. »Hattest du mir nicht erzählt, du hättest in Bochum deinen Abschluss gemacht?« 51 AUSZUG AUS FETTNÄPFCHENFÜHRER Österreich ISBN 978-3-934918-76-4 © 2011 Conbook Medien GmbH. Alle Rechte vorbehalten.

Erstaunt blickte Irene Wolf ihren Gesprächspartner an. »Wie kommst du denn darauf, dass ich in Österreich studiert habe?«, fragte sie. »Na, du nennst dich doch Magister Irene Wolf«, kam prompt zurück. »Nun, das bin ich ja auch«, führte Irene Wolf aus. »Ich habe in Bochum studiert und dort meinen Universitätsabschluss Magister Artium erworben.« »Tja, liebe Irene«, lächelte ihr Gesprächspartner nun ziemlich siegessicher, »dann darfst du dich hier aber trotzdem nicht Magister Irene Wolf nennen!« Frau Wolfs Gesicht war ein einziges Fragezeichen. Unser Tipp

Achtung! Hat man einen akademischen Titel in Deutschland erworben, so darf dieser nicht wie ein österreichischer Titel benutzt werden. Frau Wolf trägt den in Deutschland erworbenen Titel »Magister Artium«. In Deutschland heißt es korrekterweise »Frau Irene Wolf Magister Artium« oder »Frau Irene Wolf M.A.«. In Österreich wird der Magistertitel nach dem Abschluss eines Hochschulstudiums dem Namen vorangestellt. Hätte Frau Wolf also in Österreich studiert und dort ihren Abschluss gemacht, dürfte sie sich in Österreich »Frau Magister Irene Wolf« nennen. Da sie aber in Deutschland studiert und auch dort 52 AUSZUG AUS FETTNÄPFCHENFÜHRER Österreich ISBN 978-3-934918-76-4 © 2011 Conbook Medien GmbH. Alle Rechte vorbehalten.

ihren Abschluss gemacht hat, darf sie in Österreich auch nur den deutschen, dem Namen nachgestellten Titel führen, also das »Magister« nicht nur, weil sie jetzt in Österreich lebt, voranstellen. Auch alle anderen Titel wie Diplom-Ingenieur oder Diplom-Psychologe dürfen, wenn sie in Deutschland erworben wurden, in Österreich nur so geführt werden, wie sie auch in Deutschland geführt würden.

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