Wolfram Schnurbusch - Rechtsanwalt, Lehrbeauftragter -

Solingen, Grünewalder Str. 29/31

Vorlesung am 19.04.2012 Literatur: 1. Kallwass, Wolfgang; Abels, Peter; Privatrecht, 20. Auflage München 2010 2. Medikus, Dieter; Bürgerliches Recht, 20. Auflage München 2004 3. Brox, Hans; Walker, Wolf-Dieter; Allgemeiner Teil des BGB, 30. Auflage Köln/Berlin/Bonn/München 2007 4. Palandt, Otto; Bürgerliches Gesetzbuch, 70. Auflage München 2011 5. Baumbach, Adolf; Hopt, Klaus; Handelsgesetzbuch, 34. Auflage München 2010

3. Kapitel: Der subjektive Teil der Willenserklärung § 17 Problemaufriss Nachdem wir uns mit dem objektiven Teil der Willenserklärung befasst haben, ist nunmehr der subjektive Teil der Willenserklärung einer genaueren Betrachtung zu unterziehen. Ausgangspunkt des Rechtsgeschäfts, d.h. der in einer Erklärung zum Ausdruck gebrachte, auf einen bestimmten Rechtserfolg gerichtete Willen besteht. Dies bedeutet, dass nicht nur die geäußerte Erklärung, soweit ein unbefangener Dritter diese versteht (wir erinnern uns: objektivierter Empfängerhorizont), sondern auch der wirkliche Wille erkannt werden muss, jedenfalls dann, wenn wirklicher Wille des Erklärenden und der objektiv verstehbare Ausdruck seines Willens auseinanderfallen. Wenn der Geschäftswille und der Ausdruck des Geschäftswillens auseinanderfallen, stellt sich die Frage, ob Wille oder Ausdruck letztendlich für die Rechtsfolge ausschlaggebend ist. Man muss sich also fragen, welches Interesse höher bewertet wird, entweder die tatsächlich zum Ausdruck kommende Erklärung oder der wirkliche Wille des Erklärenden.

Der BGH entscheidet sich nicht eindeutig für die eine oder andere Seite, sondern hat mehr auf bestimmte typische Sachlagen abgestellt. Es gibt deswegen beide Alternativen. Zudem bemüht sich das Gesetz, bei bestimmten Entscheidungen Nachteile durch die Gewährung von Schadenersatzansprüchen auszugleichen. Methodisch wird also so vorgegangen: (1) Zuerst wird geprüft, ob überhaupt die objektiven Voraussetzungen für eine Willenserklärung vorliegen. (2) Weicht der wirkliche Wille des Erklärenden von der geäußerten Erklärung ab, geht man auf das Subjektive ein. (3) Zuletzt prüft man einen etwaigen Ausgleich durch Schadenersatzansprüche, wenn das Auseinanderfallen von dem Gliederungspunkt (1) und (2) zu Härten bei den Rechtsfolgen führt.

§ 18 Die Prüfung im Einzelnen: 1.

Der objektive Teil

Zunächst ist zu prüfen, ob die Willensäußerung objektiv eindeutig ist, bei einem Vertrag, der zwei übereinstimmende Willenserklärungen voraussetzt, ist zu prüfen, ob die Willenserklärungen sich objektiv decken. Gelingt dies nicht, benötigen wir die Auslegung als Hilfswerkzeug, und zwar (1) nach den Umständen, § 133 BGB (2) nach Verkehrssitte gemäß § 157 BGB und Handelsbrauch gemäß § 346 HGB (3) nach Treu und Glauben gemäß §§ 157, 242 BGB.

2.

Der subjektive Teil

a) Handlungswille Der Erklärende muss einen tatsächlichen Handlungswillen gehabt haben. Dieser liegt nicht vor bei Reflexen oder bei gewaltsamen Führen der Hand. Wenn also jemand einem anderen bei einer Auktion gewaltsam die Hand hoch reißt, liegt keine Willenserklärung vor. b) Erklärungsbewusstsein Zudem muss der Handelnde sich bewusst sein, dass er eine Erklärung abgibt. Dies bedeutet, dass der Handelnde wissen muss, dass er durch seine Erklärung etwas rechtlich Erhebliches auslöst oder wenigstens, dass andere sein Verhalten so verstehen können. Fehlt das Bewusstsein, eine Erklärung abzugeben, liegt keine Willenserklärung vor. Ausnahme davon ist das Schweigen, das unter bestimmten Umständen als eine zustimmende Willenserklärung behandelt wird. Dies war bereits unter Kapitel § 13 behandelt worden. Das Erklärungsbewusstsein fehlt z.B., wenn jemand in einer Auktion einem Bekannten zuwinkt und nicht daran denkt, dass das Handheben in dieser Auktion als Höheangebot angesehen wird. c) Geschäftswille Vom Erklärungsbewusstsein zu unterscheiden ist der Geschäftswille. Der Geschäftswille ist auf einen konkreten rechtsgeschäftlichen Erfolg gerichtet. Damit ist gemeint, dass, wenn jemand den von ihm zu kaufen beabsichtigten Gegenstand falsch bezeichnet und dann den Gegenstand, den er bezeichnet hat, erhält, bewusst war, dass er überhaupt etwas erklärte. Damit hat er Erklärungsbewusstsein. Nur sein konkreter rechtlicher Wille auf den Erwerb des falsch bezeichneten Gegenstandes weicht von seiner Erklärung ab. Hiermit fallen Erklärung und der Geschäftswille auseinander. In einem solchen Fall liegt zwar eine wirksame Erklärung vor, da sie von einem objektiven Dritter als solche verstanden werden konnte, der wirkliche Wille weicht aber von dem tatsächlich Erklärten ab. Hierfür hat § 119 Abs. 1 BGB vorgesehen, dass der Erklärende dann seine Willenserklärung wegen Irrtums anfechten kann.

d) Motiv Zuletzt muss von dem Geschäftswillen das Motiv unterschieden werden. Das Motiv führt erst zu dem Geschäftswillen. Kauft z.B. jemand ein Auto, weil es von tolles Angebot ist und derjenige stellt später fest, dass ein anderer Anbieter dasselbe Auto noch wesentlich günstiger anbietet, ist der Geschäftswille bei dem ursprünglichen Kauf der Kauf des Fahrzeugs. Das Motiv ist aber das besonders günstige Erwerben des PKWs. Wenn der Käufer also ein günstigeres Angebot findet, kann er den Kauf nicht rückgängig machen, weil das Motiv, das Fahrzeug günstig zu erwerben, rechtlich unbeachtlich ist. Zusammenfassend lässt sich also folgendes feststellen: (1) Handlungswille: Ich will schreiben, sprechen, den Arm heben u.dgl. (2) Erklärungsbewusstsein: Ich erkläre irgendetwas rechtlich Erhebliches. (3) Geschäftswille: Ich will das Geschäft abschließen und (4) Motiv: Ich will das Geschäft abschließen, weil es für mich wirtschaftlich vorteilhaft ist.

3.

Ausgleichende Schadensersatzansprüche

Zuletzt kommen die ausgleichenden Schadenersatzansprüche in Betracht. Diese sind: a) Vertrauensschaden In den Fällen des § 118 BGB als auch in den Fällen der Irrtumsanfechtung gemäß §§ 119, 120 BGB hat der Erklärende dem anderen den Vertrauensschaden (das negative Interesse zu ersetzen). Dieser Schaden umfasst alle diese Positionen, die durch den

Vertragsabschluss entstanden sind und die nicht entstanden wären, wenn der Vertrag nie abgeschlossen worden wäre. Dies können z.B. Transportkosten sein aber auch der Schaden, der dadurch entstanden ist, dass ein anderes Angebot nicht angenommen wurde. Der Vertrauensschaden ist in der Höhe aber gedeckelt durch die Höhe des Erfüllungsinteresses (des sog. positiven Interesses). Dies bedeutet, dass der andere Geschäftspartner nicht besser gestellt werden darf, als er stehen würde, wenn der Vertrag durchgeführt worden wäre. § 122 BGB setzt nicht Verschulden voraus. Das Verschuldensprinzip wurde eingeführt, um

Schadensersatzansprüche

dergestalt

zu

begrenzen,

dass

nur

derjenige

Schadenersatz leisten muss, der den eingetretenen Schaden zu verantworten hat. Was Verschulden ist, ist in § 276 BGB geregelt. § 122 BGB setzt dagegen kein Verschulden voraus mit der Folge, dass die Veranlassung des Schadens ausreicht, um ersatzpflichtig zu sein. b) Culpa in contrahendo Zusätzlich zu § 122 BGB hat die Rechtsprechung einen Grundsatz entwickelt, dass durch die Anbahnung von Vertragsverhandlungen und unabhängig vom Zustandekommen des Vertrages ein vertragsähnliches Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien entsteht, das den

Beteiligten

Schutzpflichten

füreinander

auferlegt.

Solche

Pflichten

können

insbesondere an Bedeutung erlangen, wenn dem anderen Vertragsteil versprochen wurde, einen Vertrag abzuschließen, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind und dann der Vertrag aus anderen Gründen nicht zustande kommt. Im Gesetz hat dieser Rechtsgedanke Ausdruck gefunden z.B. in § 311 Abs. 2 Abs. 3 und § 241 Abs. 2 BGB.

§ 19 Erklärung und Geschäftswille I. Geschäftsirrtum und falsche Übermittlung Die Untersuchung wendet sich nun einzelnen Problemen des Geschäftswillen zu. Der bedeutendste Fall der Willensmängel ist der sog. Geschäftsirrtum. Liegt eine ausdrückliche Erklärung vor und der Geschäftswille weicht davon ab, ohne dass dies dem

Erklärenden bewusst ist, so ist die Erklärung zwar zunächst wirksam, kann aber gemäß § 119 Abs. 1 BGB mit rückwirkender Kraft angefochten werden gemäß § 142 BGB. Sobald dem Erklärenden sein Irrtum auffällt, muss er unverzüglich, spätestens aber innerhalb von 10 Jahren nach Abgabe der Willenserklärung, die Anfechtung erklären. Dies ergibt sich aus § 121 BGB, der die Anfechtungsfrist regelt. In dieser Vorschrift ist auch die Definition für den Begriff „unverzüglich“ enthalten. Wir erinnern uns, der Ausgleich des Erklärungsempfängers wird bei § 122 BGB berücksichtigt. § 119 BGB bestimmt im Einzelnen, unter welchen Umständen eine Erklärung anfechtbar ist: (1) und zwar, wenn der Erklärende eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte. Dabei sind die Fälle des Versprechens, Verschreibens und Vergreifens gemeint. In diesen Fällen weicht schon der Handlungswille (Kapitel § 18 Nr. 2 a) BGB) vom äußeren Verhalten ab. Deswegen können auch Geschäftswille und Erklärung nicht übereinstimmen. (2) Wenn der Erklärende bei der Abgabe der Willenserklärung über deren Inhalt im Irrtum war. Hierbei ist gemeint, dass der Ausdruck der Willenserklärung von dem Erklärenden

so

gewollt

war,

also

Handlungswille

und

äußere

Handlung

übereinstimmen. Der Erklärende war sich aber über die rechtliche Bedeutung, die inhaltliche Tragweite seines Verhaltens nicht im Klaren. Wenn ein Basketballspieler z.B. im Fanshop des Vereins Schalke 04 einen „Ball“ kauft hat „Ball“ gesagt und wollte auch „Ball“ sagen. Handlung und Handlungswille stimmen also überein. Er hat aber tatsächlich erklärt: „ein Fußball“. Denn im Fanshop des Vereins Schalke 04 werden lediglich Fußbälle verkauft und anderes kann man auch nicht von einem Verkäufer im Fanshop eines Fußballvereins verstehen. Dagegen wollte der Käufer einen „Basketball“. Erklärung und Geschäftswille fallen also auseinander. Im Fachjargon werden die beiden Varianten des § 119 Abs. 1 BGB als „Erklärungsirrtum“ und „Inhaltsirrtum“ bezeichnet. Allerdings ist eine genaue Abgrenzung zwischen beiden Irrtumsarten schwierig und in der Wissenschaft auch sehr streitig, in der Praxis aber bedeutungslos, da für beide Fälle die gleiche Rechtsfolge angeordnet ist, nämlich die Anfechtbarkeit. Deswegen verzichten wir auf eine genaue Unterscheidung und schauen uns das Gemeinsame beider Irrtumsvarianten an. Im Ergebnis ist also festzuhalten:

§ 119 Abs. 1 BGB regelt einen Fall, den wir einheitlich als „Geschäftsirrtum“ bezeichnen und der vorliegt, wenn jemand etwas erklärt, was er nicht will. In der juristischen Prüfung müssen wir uns also damit befassen: (1) Was hat der Erklärende objektiv erklärt? (2) Was wollte der Erklärende? Stellt man fest, dass die Antworten unterschiedlich ausfallen, ist Anfechtbarkeit gemäß § 119 Abs. 1 BGB gegeben, soweit der Erklärende „bei Kenntnis der Sachlage und verständiger Würdigung des Falles“ die Erklärung nicht abgegeben hätte – also im Schalke Fanshop ausdrücklich „Basketball“ gesagt hätte. Diese Begriffsbestimmung führt zu

einer

deutlichen

Unterscheidung

zum

Dissens

(zwei

widersprechende

Willenserklärungen), zum Eigenschaftsirrtum und zum Motivirrtum. Zu berücksichtigen ist noch, dass § 120 BGB anordnet, dass dem Geschäftsirrtum der Fall unrichtiger Übermittlung gemäß § 119 BGB dem Irrtum gleichgestellt wird. Dies gilt aber nur bei irrtümlich falscher Übermittlung. Ist die Erklärung bewusst verfälscht, so handelt es sich überhaupt nicht um eine Erklärung des Erklärenden, sondern das von dem Boten Ausgerichtete ist für den Absender unverbindlich.

II. Geheimer Vorbehalt Ein weiterer Fall der Abweichung zwischen Erklärung und Geschäftswille ist der in § 116 Satz 1 BGB geregelte „geheime Vorbehalt“. Dieser liegt vor, wenn der Erklärende bewusst etwas anderes erklärt, als er wirklich will. Für diesen Fall hat der Gesetzgeber angeordnet, dass der Erklärende keinen Schutz verdient. Etwas anderes ist, wenn der Erklärungsempfänger den Erklärenden durchschaut. Jetzt hat der Erklärungsempfänger kein schutzwürdiges Interesse, er kann deshalb den Erklärenden nicht an der Erklärung festhalten. Der erkannte geheime Vorbehalt macht das Geschäft nichtig.

Vergleicht man § 116 BGB mit § 119 BGB, stellt man fest, dass die Formel mit der Formel für den Geschäftsirrtum genau übereinstimmt. In beiden Fällen erklärt jemand etwas, was er nicht will. Beim Geschäftsirrtum ist dies dem Erklärenden nicht bewusst, beim geheimen Vorbehalt bewusst.

III. Scherzgeschäft Möglicherweise gibt es im Rechts- und Geschäftsverkehr „Spaßvögel“, die eine Erklärung in der Erwartung abgeben, dass der Erklärungsempfänger erkennt, dass die von ihm abgegebene Erklärung nicht Ernst gemeint war. Oft fehlt es dann sogar am Erklärungsbewusstsein des Erklärenden (§ 18 Nr. 2 b) BGB) („Wenn du in der Juraklausur eine 1 schreibst, gebe ich dir 1 Mio. €“). Der Erklärende wird nicht an der Erklärung festgehalten, dass „Scherzgeschäft“ ist nichtig. Der „Spaßvogel“ muss aber gemäß § 122 BGB Schadenersatz leisten, und zwar den „Vertrauensschaden“ (sog. negatives Interesse). „Spaßvögel“ kann man in drei Arten einteilen: (1) „normaler Spaßvogel“: macht einen Scherz, bei dem kein vernünftiger Mensch auf einen rechtsgeschäftlichen Willen schließen kann. („Wenn Schalke heute abend gewinnt, gibt’s für die ganze Kneipe Freibier“). Hier fehlt es schon an den objektiven Voraussetzungen für eine Erklärung, § 118 BGB ist nicht anwendbar. (2) Der „ungeschickte Spaßvogel“ verhält sich so, dass der Schluss auf einen rechtsgeschäftlichen Willen immerhin möglich ist. Ein Schalke-Fan brüllt beim „public viewing“ in der Kneipe nach einem Tor laut „Lokalrunde“. Diesen Fall trifft § 118 BGB. Der Spaßvogel wird von der Erklärung frei, muss aber gemäß § 122 BGB Ersatz leisten. Allzu Begriffsstutzige werden allerdings in ihrem Vertrauen auf die Gültigkeit der Erklärung nicht geschützt (§ 122 Abs. 2 BGB). (3) Der „böse Spaßvogel“ macht bewusst einen „Scherz“ auf Kosten eines anderen: Er will, dass der andere den Mangel an Ernstlichkeit gerade nicht erkennt, so z.B. wenn er dem Wirt sagt, der Schalke-Fan, der 10 m hinter ihm steht, habe ihn gerade

beauftragt, eine Lokalrunde zu bestellen. Solche Späße macht das Gesetz nicht mit; der Spaßvogel muss geradestehen (§ 116 Abs. 1 BGB).

IV. Scheingeschäft § 117 Abs. 1 BGB ordnet aus dem gleichen Grund die Nichtigkeit für das Scheingeschäft an. Der Unterschied zwischen § 117 und § 116 Satz 2 BGB liegt darin, dass der Erklärungsempfänger den Erklärenden nicht nur durchschaut, sondern sich beide in dem Willen einig sind. Dann haben die Parteien an dem Erklärten höchstens insoweit Interesse, als sie dadurch einen Dritten täuschen wollen (z.B. das Finanzamt: Es wird ein niedrigerer Preis in das Kaufvertragsformular aufgenommen als die Parteien tatsächlich zahlen wollen; das Inventar wird extra bezahlt). Ein solches Interesse verdient keinen Schutz. Waren sich dagegen die Vertragsparteien über ein bestimmtes Geschäft einig, haben sie übereinstimmend etwas anderes erklärt – die eben ausgeführten steuerlichen Gründe -, so ist das verdeckte Geschäft maßgebend. Dies ordnet § 117 Abs. 2 BGB an.

V. falsa demonstratio (irrtümliche Falschbezeichnung) Ein in der Praxis wichtiger Fall ist die falsa demonstratio. Sie liegt dann vor, wenn die Erklärung mehrdeutig oder sonst wie misslungen ist, der Erklärungsempfänger aber den Erklärenden richtig verstanden hat, weiterhin, wenn die Parteien sich im Willen einig sind, aber versehentlich beide übereinstimmend einen falschen Ausdruck verwenden. Zwar ist dieser Fall im Gesetz nicht geregelt, die Lösung lässt sich aber durch § 117 Abs. 2 BGB rechtfertigen. Auch dort sind sich die Parteien vom Willen her einig, haben aber übereinstimmend etwas anderes erklärt. Das Gewollte entscheidet in diesem Fall. Der Unterschied zwischen § 117 Abs. 2 BGB und der falsa demonstratio liegt darin, dass bei § 117 Abs. 2 BGB das Auseinanderfallen von Wille und Ausdruck beiden Parteien bewusst war, bei der falsa demonstratio war die Falschbezeichnung den Parteien nicht bewusst.

§ 20 Erklärung und Motiv I.

Grundsatz

Wie eingangs unter Kapital § 18 Ziff. 2. d) bereits ausgeführt, ist der Beweggrund, also das Motiv für die Abgabe einer Erklärung, aus Gründen des Verkehrsschutzes grundsätzlich unbeachtlich. Stimmen also Erklärung (Ausdruck) und Geschäftswille überein, ist die Erklärung grundsätzlich voll wirksam. Praktisch relevant ist dieser Umstand bei dem sog. „Kalkulationsirrtum“. Wer z.B. einen Kauf-/Werk- oder Dienstleistungsvertrag abgeschlossen hat und den von ihm zu verlangende Preis/Vergütung in den Vertrag aufgenommen hat, kann sich später nicht darauf berufen, dass ihm bei der Berechnung des vereinbarten Preises/der vereinbarten Vergütung ein Irrtum unterlaufen ist. Denn er hat erklärt, was er erklären wollte. Der Irrtum liegt nicht bei der Abgabe der Erklärung, sondern im Motiv, nämlich warum der Erklärende diese Erklärung abgeben wollte. Dieser ist unbeachtlich. Eine Ausnahme wird in der Praxis nur dann zugelassen, wenn die Kalkulation auch in der Erklärung zum Ausdruck gelangt ist, z.B., wenn die Einzelposten alle richtig eingesetzt wurden (gearbeitete Stunden 100, Stundenlohn 50,00 €) und diese nur falsch berechnet wurden (500 € statt 5.000 €). Dann handelt es sich nicht um einen bloßen Motivirrtum, sondern um eine Äußerung mit einem inneren Widerspruch, also um ein Auslegungsproblem (hatten wir bereits in Kapitel § 14 Abs. II).

II. Gemeinsamer Motivirrtum Dabei ist es auch ohne Bedeutung, dass dem Erklärungsempfänger das Motiv des Erklärenden bekannt war. Kauft z.B. jemand im April Streusalz, weil er befürchtet, dass es noch einmal schneit und stellt sich im Mai heraus, dass es nicht mehr geschneit hat, muss er das Streusalz behalten. Es ist gleichgültig, ob der Käufer die Erwartung des Schneefalls noch im Monat April mitgeteilt hat oder nicht mitgeteilt hat. Ein Unterschied macht es nur dann, wenn es sich um gemeinsame Vorstellungen oder Erwartungen handelt, die die Grundlage des ganzen Geschäfts bilden, so dass

anzunehmen ist, dass die Geschäftspartner, jedenfalls als ehrliche und redliche Leute, das Geschäft ohne diesen Irrtum überhaupt nicht geschlossen hätten. Lösungen für solche Fälle sieht entweder die Auslegung des Vertrages vor oder aber das Rechtsinstitut der „Störung der Geschäftsgrundlage“, die allerdings erst im Verlauf der weiteren Vorlesung behandelt wird.

III. Täuschung und Drohung Die Unbeachtlichkeit des Motivs, die zu der Erklärung geführt hat, wird durch das Gesetz für den Fall der Beeinflussung der Motivation durch arglistige Täuschung oder widerrechtliche Drohung durchbrochen. Dabei genügt es für die Anfechtbarkeit, dass die Täuschung oder Drohung für die Abgabe der Willenserklärung ursächlich war. Das bedeutet, die Erklärung wäre ohne Drohung oder Täuschung gar nicht oder nicht so oder nicht zu dieser Zeit abgegeben worden. Bezüglich der Anfechtung wegen Drohung ist es gleichgültig, wer den Erklärenden bedroht hat. Dagegen schließt § 123 Abs. 2 BGB die Anfechtung wegen Täuschung aus, wenn ein Dritter die Täuschung vorgenommen hatte und der Erklärungsempfänger die Täuschung weder kannte noch kennen musste. Dritter kann z.B. ein Vermittler des Erklärungsempfängers, nicht aber der Vertreter oder ein sonstiger Gehilfe des Erklärungsempfängers sein. Gemäß § 124 BGB ist angeordnet, dass die Anfechtung gemäß §§ 123, 124 BGB innerhalb eines Jahres ab dem Zeitpunkt der Kenntniserlangung bzw. Beendigung der Drohungslage erfolgen muss. Im Klausurfall stellen sich also folgende Fragen: (1) Was hat der Erklärende erklärt? (2) Ist die Erklärung durch eine arglistige Täuschung oder widerrechtliche Drohung bestimmt worden?

§ 21 Erklärung und Wirklichkeit Der Eigenschaftsirrtum I. Vereinbarung von Eigenschaften Es dürfte auf der Hand liegen, dass sich die Vorstellung eines Erklärenden, die er sich von der Person oder der Sache, auf welchem sich das Rechtsgeschäft bezieht auch vom rechtsgeschäftlichen

Willen

mit

umfasst

werden

kann

und

Bestandteil

der

Willenserklärung wird. Diese Eigenschaften können Inhalt der Vereinbarung werden, so dass die Sache oder die Person bestimmte Eigenschaften haben soll. Welche Eigenschaften vereinbart worden sind, ist im Einzelfall eine Auslegungsfrage. Es werden jedoch in der Regel diejenigen Eigenschaften vereinbart sein, die im Verkehr als wesentlich angesehen werden. § 119 Abs. 2 BGB ist insoweit als eine Auslegungsregel zu verstehen.

II. Geschäftlicher und außergeschäftlicher Irrtum Führt man sich diesen Umstand vor Augen, können wir nun zwischen dem geschäftlichen Eigenschaftsirrtum, den § 119 Abs. 2 BGB regelt

und dem unbeachtlichen

außergeschäftlichen Eigenschaftsirrtum unterscheiden. (1) Ein geschäftlicher Eigenschaftsirrtum liegt vor, wenn die vereinbarten und die wirklichen Eigenschaften der Sache nicht übereinstimmen. Es handelt sich in diesem Falle nicht um einen Motivirrtum, es ist auch kein Geschäftsirrtum, denn dieser setzt voraus, dass Erklärung und Geschäftswille auseinanderfallen. Im Falle des geschäftlichen Eigenschaftsirrtum stimmen aber gewollte und erklärte Eigenschaften überein. Nur die Wirklichkeit weicht von dem Gewollten und Erklärten ab. Beispiel: Ein Verkäufer findet auf seinem Dachboden ein Bild und meint, es handele sich um eine Kopie eines Picassos. Nun verkauft er dieses Bild als Picasso-Kopie für einen Betrag von 1.000,00 €. Stellt sich später heraus, dass es sich um ein Originalwerk handelt, so hat der Verkäufer in Übereinstimmung mit dem Käufer „Kopie eines Picassos“ erklärt und wollte dies auch erklären. In Wirklichkeit hat aber das Bild nicht die

Eigenschaft, die es nach der Vereinbarung haben sollte, nämlich dass es ein Original des Künstlers Picassos ist. Deswegen kann der Verkäufer den Verkauf gemäß § 119 Abs. 2 BGB anfechten. Wenn man dies in eine Formal fassen würde, könnte man folgendes formulieren: Die Parteien haben erklärt, dass die Sache die Eigenschaft „Kopie eines Picassos“ haben soll. In Wirklichkeit hat die Sache die Eigenschaft „Original“. (2) Ein außergeschäftlicher Eigenschaftsirrtum liegt vor, wenn eine Partei eine fehlerhafte Vorstellung von den Eigenschaften einer Sache hatte, diese aber nicht zum Bestandteil ihres rechtsgeschäftlichen Willens und damit zum Bestandteil ihrer Erklärung gemacht wird. Fehlt eine solche Eigenschaft, so ist lediglich die Motivation dieser Partei fehlgeschlagen, es liegt ein unbeachtlicher Motivirrtum vor. Damit entfällt die Möglichkeit einer Anfechtung bei Ramschkäufen und bei Geschäften mit spekulativem Einschlag: Wenn z.B. im „Picassofall“ der Verkäufer und der Käufer vereinbaren, dass die Eigenschaft des Bildes „Kopie eines Picassos“ und dieses tatsächlich eine Kopie ist, währenddessen der Käufer meint, es handele sich dabei um ein Original, kann er sich nicht darauf berufen, dass er sich geirrt habe, wenn er später feststellt, dass er wirklich nur eine Kopie gekauft hat. Denn er hat sich mit dem Verkäufer auf die Eigenschaft „Kopie“ geeinigt und diese Eigenschaft lag auch in Wirklichkeit vor.

III. Eigenschaften der Sache (1) Das Wort „Eigenschaften“ in § 119 Abs. 2 BGB ist weit auszulegen. Eigenschaften sind

alle

tatsächlichen

und

rechtlichen

Verhältnisse,

die

nach

der

Verkehrsanschauung infolge ihrer Beschaffenheit und vermutlichen Dauer einen Einfluss auf die Wertschätzung der Sache besitzen mit Ausnahme ihrer natürlichen Beschaffenheit. Es sind also alle wertbildenden Faktoren, nicht aber der Wert, der Kurswert

oder

der

Marktpreis

als

solcher.

Diese

weite

Ausdehnung

des

Eigenschaftsbegriffs ist ungefährlich, da es letzten Endes immer darauf ankommt, was vereinbart ist.

(2) § 119 Abs. 2 BGB gilt nicht nur für Sachen im Sinne des § 90 BGB, sondern für jeden Gegenstand eines Rechtsgeschäfts, z.B. auch für Forderungen. (3) Wenn beim Kaufvertrag eine vereinbarte Eigenschaft fehlt, kann es zu einem Konkurrenzproblem kommen, falls das Fehlen der Eigenschaft gleichzeitig ein Sachmangel im Sinne des § 434 BGB ist. In einem solchen Fall geht die Sachmängelhaftung als ausschließliche Sonderregelung vor, die Anfechtung gemäß § 119 Abs. 2 BGB ist unzulässig. Dies ist deswegen wichtig, weil gemäß § 138 Abs. 1 Nr. 3 BGB die Rechte des Käufers wegen eines Sachmangels grundsätzlich in zwei Jahren verjähren. Wenn daneben die Anfechtung zulässig wäre, könnte man die Verjährungsvorschriften bei später entdeckten Mängeln leicht umgehen, denn die Anfechtung ist 10 Jahre lang möglich, sie muss nur unverzüglich nach Aufklärung des Irrtums erfolgen gemäß § 121 BGB.

IV. Eigenschaften der Person 1. Eigenschaften des Erklärungsgegners Neben den Eigenschaften der Sache ist aber auch ein Irrtum über die Eigenschaften der Person anfechtbar. Diese können sich auf die körperliche oder geistige Beschaffenheit, aber auch auf tatsächliche und rechtliche Verhältnisse beziehen. Zur Anfechtung aus § 119 Abs. 2 BGB berechtigen z.B. in der Regel: Völlige Kreditunwürdigkeit bei Kreditgeschäften – nicht bei Bargeschäften, da ja sofort erfüllt werden -, Vorstrafen bei bestimmten Dauerverträgen wie Mietverträgen u.dgl., fehlende Vertrauenswürdigkeit bei einer Beschäftigung als leitender Angestellter, Vergehen mit der späteren Folge des Lizenzentzugs bei einem Lizenzfußballspieler (Doping). 2. Eigenschaften eines Dritten Schließlich kann der Vertrag auch ergeben, dass ein Irrtum über persönliche Eigenschaften eines Dritten sich als geschäftlicher Eigenschaftsirrtum darstellt, z.B., wenn vereinbart ist, dass eine vertragliche Leistung besonderer Art durch diesen Dritten ausgeführt werden soll.

V. Praktische Anwendung: Bei starker Vereinfachung ergeben sich für die Prüfung im Übungsfall die Fragen: (1) Welche Eigenschaften sollte die Person oder Sache nach der Vereinbarung der Parteien besitzen? (2) Welche Eigenschaften besitzt die Person oder Sache in Wirklichkeit? Weicht die vereinbarte Beschaffenheit von der wirklichen ab, so kann der Irrende anfechten, falls anzunehmen ist, dass er die Erklärung bei Kenntnis der Sachlage und verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben hätte.