3 Leistungen nach dem SGB II

3 § 3 Leistungen nach dem SGB II des Existenzminimums genommen habe. Kürzungen von Ausgabepositionen, wie sie vom Gesetzgeber in den jeweiligen Abtei...
Author: Ingeborg Schulz
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§ 3 Leistungen nach dem SGB II des Existenzminimums genommen habe. Kürzungen von Ausgabepositionen, wie sie vom Gesetzgeber in den jeweiligen Abteilungen der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe, bei der Bemessung der Regelleistungen vorgenommen wurden, bedürfen zu ihrer Rechtfertigung einer empirischen Grundlage. Der Gesetzgeber darf Ausgaben, welche die Referenzgruppe tätigt, nur dann als nicht relevant einstufen, wenn feststeht, dass sie anderweitig gedeckt werden oder zur Sicherung des Existenzminimums nicht notwendig sind (BVerfG aaO. Rn 171). Von diesem Grundsatz wurde bei der Bemessung der Regelleistungen nach dem SGB II ohne ausreichende Begründung abgewichen. Die Verfassungswidrigkeit muss sich allein an Art. 1 GG (Schutz der Menschenwürde) und Art. 20 (Sozialstaatsprinzip) messen lassen. Andere Grundrechte, wie zum Beispiel Art. 3 Abs. 1 GG oder Art. 6 Abs. 1 GG, vermögen für die Bemessung des Existenzminimums im Sozialrecht keine weiteren Maßstäbe zu setzen. Entscheidend ist von Verfassungs wegen allein, dass für jede individuelle hilfebedürftige Person das Existenzminimum nach Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG ausreichend erfasst wird; eines Rückgriffs auf weitere Grundrechte bedarf es hier nicht (BVerfG aaO. Rn 145). Man wird sich bei der Geltendmachung oder Auslegung von Anspruchsgrundlagen daher nicht darauf berufen können, dass andere Sozialleistungsempfänger ungleich behandelt werden (anders bzgl. der Regelleistungen für Kinder BSG, Beschlüsse vom 27.01.2009 14 AS 5/08 R und B 14/11 b AS 9/07 R). Ein Anspruch auf höhere Leistungen besteht trotz Verfassungswidrigkeit der Normen zu den Regelleistungen nicht (BVerfG aaO. Rn 219).

57 Prozessualer Hinweis: Sofern Verfahren (Widerspruchs- oder Klageverfahren) über die Höhe der Regelleistungen (z.B. für Kinder) noch anhängig sind, empfiehlt es sich, wenn Gegenstand der Beschwer ausschließlich die Verfassungswidrigkeit der Regelleistung war, diese für erledigt zu erklären und einen Antrag auf Kostenerstattung zu stellen. Bei der Kostengrundentscheidung ist angemessen zu berücksichtigen, dass die Regelleistung verfassungswidrig war. Ebenso wenig ist es notwendig, Verfahren weiter ruhend zu stellen (BVerfG aaO. Rn 219). 58 Die Rechtsprechung des BVerfG (aaO.) hinsichtlich der Regelleistungen beim Sozialgeld nach dem SGB II lässt sich eingeschränkt auf die Regelsätze nach dem SGB XII übertragen (vgl. § 28 SGB XII iVm § 3 Abs. 2 der Regelsatzverordnung RSV). Zwar kann der Regelbedarf in der Sozialhilfe abweichend von dem Regelbedarf festgelegt werden, wenn er im Einzelfall anderweitig gedeckt ist oder unabweisbar erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht (§ 28 Abs. 1 S. 2 SGB XII), dies führt aber nicht dazu, dass z.B. ein regelmäßig auftretender Bedarf bei Schülern berücksichtigt werden kann. Hier handelt es sich nicht um ein Abweichen im Einzelfall, sondern um einen regelmäßigen Bedarf 4. Leistungen für Mehrbedarfe 59 Bei den im SGB II anerkannten Mehrbedarfen beim Lebensunterhalt handelt es sich um im Gesetz genannte Ausnahmetatbestände (§ 21), die sich aus besonderen Lebenssi90

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tuationen ergeben, denn der gesamte Lebensbedarf wird mit Ausnahme der Kosten für Unterkunft und Heizung mit der Regelleistung abgedeckt (§ 3 Abs. 3 S. 1). Es können mehrere Mehrbedarfe nebeneinander geleistet werden (§ 21 Abs. 1 und 6). Die Summe der Mehrbedarfe darf jedoch die Höhe der jeweils maßgeblichen doppelten Regelleistung in Höhe von 718 € (359 * 2) nicht übersteigen. Der Anspruch auf Mehrbedarf gehört zum ALG II, wenn er von einem erwerbsfähigen HB beansprucht wird, denn der Mehrbedarf gehört zu den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (§ 19 S. 1). Soweit bei einer erwerbsfähigen Person allein wegen eines Mehrbedarfes Hilfebedürftigkeit eintritt, folgt hieraus ein Anspruch auf ALG II und die Versicherung in der gesetzlichen Sozialversicherung. Beispiel: Die alleinstehende A erhält eine Unfallrente in Höhe von 639 € monatlich. Ihre 60 angemessenen, um die Warmwasserkosten bereinigten Wohnkosten betragen monatlich 250 €. Die A ist in der 13. Schwangerschaftswoche. Vor der 12. Schwangerschaftswoche war der Bedarf der A nach der folgenden Berechnung gedeckt, so dass keine Hilfebedürftigkeit bestand.

Regelleistung + Kosten der Unterkunft Gesamtbedarf Einkommensanrechnung Einkommen Unfallrente ./. Versicherungspauschale Anrechenbares Einkommen Leistungsbetrag + Mehrbedarf Schwangerschaft Leistungsbetrag

+ =

359,00 € 250,00 € 609,00 €

=

639,00 € 30,00 € 609,00 €

609,00 €

-

609,00 € 0,00 €

+ =

61,00 € 61,00 €

Allein durch den Mehrbedarf wird die A hilfebedürftig und hat Anspruch auf ALG II. Sie ist nunmehr in der gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversichert und erwirbt durch die Zahlung von Pflichtbeiträgen einen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung. Außerdem ist sie in der Kranken- und Pflegeversicherung versichert. Die A hat zwar einen Anspruch auf Zuschuss zur freiwilligen gesetzlichen bzw. privaten Kranken- und Pflegeversicherung, weil sie durch die Beiträge zur Versicherung hilfebedürftig wird. Die A könnte freiwillig gezahlte Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung zwar von ihrem Einkommen abziehen (§ 11 Abs. 2 Nr. 3 lit. b), erwirbt hierdurch jedoch in der Regel keinen Anspruch auf Erwerbsminderungsrente (§ 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB VI). Außerdem können freiwillige Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung nur im Rahmen der Angemessenheit vom Einkommen abgezogen werden. Freiwillige Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung fallen unter die in § 6 Abs. 1 Nr. 1 ALG II-V Pauschalierung. Die Pauschale wird nicht als gesetzliche Bestimmung einer Angemessenheitsgrenze anzusehen sein, denn der Gesetzgeber hat ausdrücklich vorgesehen, dass der HB eine angemessene Altersvorsorge haben soll. Beiträge zur freiwilligen Beitragsleistung in die gesetzliche Rentenversicherung dürften daher bis zum Beitragssatz in der gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe von 19,9 % als angemessener Beitrag vom Einkommen abziehbar sein. Die Anspruchsvoraussetzungen für die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und zur medizinischen Rehabilitation aus der gesetz-

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§ 3 Leistungen nach dem SGB II lichen Rentenversicherung sind bei der Zahlung von Pflichtbeiträgen ebenfalls erleichtert (§ 11 Abs. 2 und 3 SGB VI). a) Leistungen bei Schwangerschaft

61 Werdende Mütter erhalten nach § 21 Abs. 2 ab der 12. Schwangerschaftswoche einen Mehrbedarf in Höhe von 17 % der für sie maßgeblichen Regelleistung nach § 20. Da die Regelleistung in unterschiedlicher Höhe ausfallen kann, fällt auch der Mehrbedarf in unterschiedlicher Höhe an und zwar wie folgt: Regelleistung

Höhe

Mehrbedarf

alleinstehende HB

17 % von 359,00 €

= 61,00 €

Partner 90 %

17 % von 323,00 €

= 55,00 €

HB Kinder 80 %

17 % von 287,00€

= 49,00 €

b) Leistungen für Alleinerziehende

62 Nach § 21 Abs. 3 haben HB, die allein mit einem oder mehreren Kindern zusammenleben, einen Anspruch auf Mehrbedarf in Höhe von 12 % für jedes minderjährige Kind, das mit ihnen zusammenlebt. Sofern ein Kind unter sieben Jahren ist oder zwei oder drei Kinder unter sechzehn sind, beträgt der Anspruch 36 % der Regelleistung, wenn sich hierdurch ein höherer Prozentsatz ergibt als wenn der Berechnung nur ein Mehrbedarf von 12 % pro Kind zugrunde gelegt wird. Alleinerziehend ist jeder, der minderjährige Kinder in seinen Haushalt aufgenommen hat (BSG Urteil vom 27.01.2009 – B 14/7 b AS 8/07 R). Eine verwandtschaftliche Beziehung muss nicht bestehen, auch das Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft ist nicht erforderlich (BSG aaO.). Ein Anspruch auf Mehrbedarf für Alleinerziehende kann auch dann bestehen, wenn der Alleinerziehende mit einem Partner in einer Bedarfsgemeinschaft lebt. Alleinerziehend ist jemand, wenn er für die Pflege und Erziehung des Kindes alleine sorgt. Dies kann bei einem Partner der Fall sein, ist allerdings nicht zwingend, insbesondere dann, wenn er keinerlei Leistungen für das Kind erbringt. Teilen sich die Eltern des Kindes die Erziehung je zur Hälfte, dann ist der Mehrbedarf für allein Erziehende auch hälftig zu teilen (BSG Urteil vom 03.03.2009 – B 4 AS 50/07 R). Regelleistung

Mehrbedarf 36 %

Mehrbedarf 12 %

alleinstehende HB

359,00 €

129,00 €

43,00 €

Partner 90 %

323,00 €

116,00 €

39,00 €

HB Kinder 80 %

287,00 €

103,00 €

34,00 €

c) Mehrbedarf für behinderte Menschen, die Leistungen zur Teilhabe erhalten

63 Behinderte Menschen, die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 33 SGB IX oder Eingliederungshilfe nach § 54 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 – 5 SGB XII erhalten, haben An-

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spruch auf einen Mehrbedarf in Höhe von 35 % der für sie maßgeblichen Regelleistung (§ 21 Abs. 4). Zu den behinderten Menschen gehören alle Personen, bei denen die körperlichen Funktionen, die geistigen Fähigkeiten oder die seelische Gesundheit von dem im Lebensalter typischen Zustand abweicht und dieser Zustand mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als 6 Monate andauert (§ 2 Abs. 1 SGB IX). Nicht erforderlich ist, dass ein Grad der Behinderung oder gar eine Schwerbehinderung festgestellt wurde. Als Maßnahme im Sinne des § 33 SGB IX kommt die Förderung zur Teilhabe behinderter Menschen nach den §§ 97 ff. SGB III in Betracht. Diese Personen haben bei einer Erstausbildung keinen Anspruch auf Berufsausbildungsbeihilfe nach §§ 59 ff SGB III, sondern auf Ausbildungsgeld nach § 105 SGB III. Auch wenn diese Ausbildung dem Grunde nach den §§ 60 und 62 SGB III förderfähig ist, besteht ein Anspruch auf Leistung des Mehrbedarfes für behinderte Menschen, denn dieser ist nicht von dem ausbildungsbedingten Bedarf geprägt (vgl. LPK-SGB II/Brühl/Schoch zu § 7 Rn 98). Der Mehrbedarf für Behinderte kann der nachfolgenden Tabelle entnommen werden:

alleinstehende HB

Regelleistung

Mehrbedarf 35 %

359,00 €

126,00 €

Partner 90 %

323,00 €

113,00 €

HB Kinder 80 %

287,00 €

100,00 €

d) Mehrbedarf bei kostenaufwendiger Ernährung

Nach § 21 Abs. 5 haben HB Anspruch auf Mehrbedarf wegen einer aus medizinischen 64 Gründen kostenaufwendigen Ernährung. Die Aufwendungen für Ernährung müssen durch eine Krankheit oder eine Behinderung verursacht sein und zu einem Mehrbedarf führen, der über den Anteil des in der Regelleistung ausgewiesenen Anteils für die Ernährung in Höhe von 38 % hinausgeht. Die Praxis hat sich bisher damit beholfen, die vom Deutschen Verein für öffentliche 65 und private Fürsorge veröffentlichten Richtlinien für Krankenkostzulage (DV 1997, 26) zu übernehmen (hierzu im Einzelnen Münder in LPK-SGB II zu § 21 RZ 29 – 31). Diese Richtlinien sind nicht als antizipiertes Sachverständigengutachten anzusehen, sondern dienen allenfalls als Mittel zur Vereinheitlichung der Verwaltungspraxis (BSG Urteile vom 27.02.2008 – B 14/7B AS 32/06 R, B 14/7 b AS 64/06 R und vom 15.04.2008 – B 14/11 b AS 3/07 R). Der Deutsche Verein hat zwischenzeitlich neue Empfehlungen (im Internet abrufbar unter: http://www.deutscher-verein.de/05-empfehlungen/empfehlungen2008/pdf/DV und http://www.dge.de/pdf/ws/Lebensmittelkosten-vollwertige-Ernaehrung.pdf) herausgegeben. Nach den neuen Empfehlungen erfordern die bisher aufgeführten Zivilisationserkrankungen wie Diabetes, Gicht, Bluthochdruck, erhöhter Blutfettspiegel keiner besonderen kostenaufwendigen Ernährung mehr. Ein erhöhter Ernährungsmehrbedarf wird nur bei sogenannten zehrenden Erkrankun- 66 gen wie HIV-Infektion, Krebserkrankungen, schwere Formen von Morbus Chron/ Co93

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§ 3 Leistungen nach dem SGB II litis Ulcerosa und Multipler Sklerose angenommen. Weitere Krankheiten, bei denen gewöhnlich ein erhöhter Bedarf für Ernährung angenommen wird, sind Niereninsuffizienz, Zöliakie und Sprue. Der Mehrbedarf wird wie folgt vorgeschlagen: n konsumierende Erkrankungen, gestörte Nährstoffaufnahme bzw. Nährstoffverwertung 10 % des Eckregelsatzes (Regelleistung § 20 Abs. 2), n Niereninsuffizienz, die mit einer eiweißdefinierten Kost behandelt wird, 10 % des Eckregelsatzes (Regelleistung § 20 Abs. 2), n Niereninsuffizienz mit Dialysediät 20 % des Eckregelsatzes, n Zöliakie, Sprue 20 % des Eckregelsatzes (Regelleistung § 20 Abs. 2). Die Bundesagentur für Arbeit hat hierauf reagiert und entsprechende Weisungen erlassen, bisher geleisteter Mehrbedarf ist in den Folgebescheiden nicht mehr zu gewähren und den Empfehlungen im Übrigen zu folgen. Die Mehrbedarfe für Ernährung ergeben sich aus der nachfolgenden Tabelle: Regelleistung

Mehrbedarf 10 %

Mehrbedarf 20 %

alleinstehende HB

359,00 €

36,00 €

72,00 €

Partner 90 %

323,00 €

32,00 €

65,00 €

HB Kinder 80 %

287,00 €

29,00 €

57,00 €

67 Hinweis: Angesichts der Ermittlungen und der Ansichten der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, auf dessen Studie der DV zurückgreift, sind die Erfolgsaussichten beispielsweise eine Diabetikers einen ernährungsbedingten Mehrbedarf anerkannt zu bekommen, auch nach einem ärztlichem Gutachten als gering zu bezeichnen. Die Empfehlungen geben die derzeitige medizinische Meinung wieder und entbinden das Gericht nicht davon, im Einzelfall zu prüfen, ob gleichwohl ein Mehrbedarf besteht. 68 Die in der Studie der Deutschen Gesellschaft für Ernährung einbezogenen Lebensmittel lassen sich allerdings zu den ausschließlich statistisch festgestellten Preisen nur ausnahmsweise erwerben. Letztlich lässt diese Studie den Schluss zu, dass der Bedarf für Ernährung, der in der jeweiligen Regelleistung mit einem Anteil in Höhe von 38 % enthalten ist, in aller Regel nicht ausreichend ist, denn andernfalls würde dies voraussetzen, dass der HB stets in der Lage ist, Lebensmittel der unteren Preiskategorie zu erwerben. Der HB, der nur eine Leistung von 80 %, 70 % oder gar 60 % der Regelleistung erhält, kann sich auch nicht mehr unter diesen theoretisch günstigen Bedingungen aus seiner Regelleistung ernähren, es sei denn, er schränkt sich bei anderen „Bedarfen“ ein. 69 Hinweis: Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Gewährung von Prozesskostenhilfe bei einer Klage auf Mehrbedarf für Ernährung (Beschluss vom 20.06.2006 1 BvR 2673/05) wird nach Änderung der Empfehlung des DV nicht mehr ohne Weiteres anzuwenden sein.

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Das BVerfG (aaO.) hatte im Falle einer an Diabetes erkrankten Klägerin die ablehnende 70 Entscheidung des LSG über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ein Klageverfahren auf Anerkennung eines ernährungsbedingten Mehrbedarfes aufgehoben. Das LSG hatte, entgegen den damals noch angewendeten Empfehlungen des DV aus dem Jahr 1997, einen Anspruch auf Mehrbedarf aufgrund neuerer medizinischer Erkenntnisse verneint und die Prozesskostenhilfe wegen mangelnder Erfolgsaussichten abgelehnt. Nach Änderung der Empfehlungen des DV kann davon ausgegangen werden, dass die Prozesskostenhilfe nunmehr mit dem Hinweis auf die zwischenzeitlich geänderten Feststellungen des Deutschen Vereins abgelehnt wird. Hinweis: Die Leistungen für ernährungsbedingten Mehrbedarf sind nicht pauschaliert 71 und können auch abweichend von den Vorschlägen des Deutschen Vereines in der tatsächlichen Höhe geltend gemacht werden. Hierzu ist es allerdings erforderlich, dass der HB Angaben zu seinem Mehrbedarf macht oder sein behandelnder Arzt hierzu Auskunft geben kann. Der ernährungsbedingte Mehrbedarf ist auch nicht auf die in den Empfehlungen des Deutschen Vereins genannten Erkrankungen und Behinderungen beschränkt. 5. Sonder- und unabweisbare Bedarfe Das SGB II geht bei den Regelleistungen davon aus, dass mit der Regelleistung der ge- 72 samte notwendige Bedarf gedeckt ist (§ 3 Abs. 3). Die Aufzählung der mit der Regelleistung gedeckten Bedarfe in § 20 ist nicht abschließend, dies ergibt sich sowohl aus dem Wortlaut „insbesondere“ als auch aus dem Zusammenhang mit § 3 Abs. 3. a) Sonderbedarf gegen den kommunalen Träger

Die Pauschalierung stößt allerdings dann auf Grenzen, wenn dem HB eine Umschich- 73 tung der Bedarfe nicht mehr möglich ist und ein einmaliger Bedarf die Ansparmöglichkeiten erkennbar überschreitet. Dies betrifft einmal die unregelmäßig auftretenden (Sonder-)Bedarfe nach § 23 Abs. 3, 74 die nach dem Willen des Gesetzgebers von der Regelleistung nicht umfasst sind. Hierbei handelt es sich namentlich um n die Erstausstattung für die Wohnung einschließlich Haushaltsgeräten, n Erstausstattung für Bekleidung und Erstausstattung bei Schwangerschaft und Geburt sowie für n mehrtägige Klassenfahrten mit mindestens einer Übernachtung im Rahmen schulrechtlicher Bestimmungen. Es besteht auch ein Anspruch auf Übernahme für mehrtägige Klassenfahrten ins Ausland (BSG Urteil vom 13.11.2008 – B 14 AS 36/07 R Studienfahrt nach Florenz). Auch die Kosten für die Vorbereitung einer solchen Klassenfahrt sind, falls erforderlich, zu übernehmen (BSG Urteil vom 23.03.2010 B 14 AS 1/09 R Besuch einer „Indoorschihalle“ zur Vorbereitung einer Schiklassenfahrt nach Südtirol).

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75 Hinweis: Diese Leistungen sind Leistungen des kommunalen Trägers und müssen ggf. bei Auflösung der Arbeitsgemeinschaften nach dem 31. Dezember 2010 bei diesem geltend gemacht werden (nach § 23 Abs. 3 iVm § 6 Abs. 1 Nr. 2). 76 Die Erstausstattung einer Wohnung mit Möbeln und Haushaltsgeräten sowie die Erstausstattung für Kleidung, die Erstausstattung bei Schwangerschaft und die Erstausstattung bei der Geburt sind im Gesetz vorgesehene Sonderbedarfe. Ein Bedarf für eine Erstausstattung entsteht nach dem Wortsinn erstmals, wenn die in § 23 Abs. 3 genannten Gegenstände angeschafft werden müssen. Dies ist z.B. der Fall bei einem Neugeborenen, das erstmals Bekleidung benötigt oder wenn der junge HB nach Vollendung des 25. Lebensjahres erstmals eine angemessene Wohnung bezieht oder eine schwangere Hilfeempfängerin erstmals schwanger wird. Nicht zur Erstausstattung im Wortsinne gehören die Ersatzbeschaffung bei einem Wohnungsbrand oder einer Einrichtungsbeschaffung nach Haftentlassung. Bei dem Wohnungsbrand handelt es sich um eine Ersatzbeschaffung; dieser Fall wird auch regelmäßig bei einer Haftentlassung nach längerer Haftzeit vorliegen. In den Gesetzesmaterialien BT-Drs 15/1514 sind die genannten Fälle jedoch als Beispiele einer Erstausstattung benannt, d.h. nach dem Willen des Gesetzgebers sind die genannten Beispielsfälle und ähnlich gelagerte Fälle auch als erste Ausstattung anzusehen (BSG Urteil vom 19.09.2008 – B 14 AS 64/07 R für Erstausstattung mit Wohnungseinrichtungsgegenständen – hier Waschmaschine nach Scheidung oder Trennung; BSG Urteil vom 01.07.2009 – B 4 AS 77/08 R für ein bei einem vom LT veranlassten Umzug zerstörten Schrank und Bett). 77 Überträgt man die Rechtsprechung des BSG, dass auch einzelne Gegenstände Objekt einer Erstbeschaffung sein können, auf die Erstausstattung für Bekleidung, so entsteht ein erstmaliger Bedarf immer auch dann, wenn ein Kleidungsstück erstmals benötigt wird. Unterwäsche und Bekleidung bei der Umstellung vom Neugeborenen zum Säuglings- oder Kleinkindalter und streng genommen auch bei durch Wachstum verursachter Neubeschaffung bei Kindern. Die Instanzenrechtsprechung (SG Würzburg Gerichtsbescheid vom 19.10.2006 – S 9 AS 169/06) hat diese Bedarfslage einer Ersatzbeschaffung mit dem Hinweis gleichgestellt, es seien nur die unvermittelt auftretende Bedarfslage bei dem Sonderbedarf gemeint, Ersatzbeschaffung wegen natürlichen Wachstums sei nicht miteinbezogen (anders LPK-SGB II/Münder zu § 23 Rn 35). Der für Sozialhilfe zuständige 8. Senat des BSG (Urteil vom 16.10.2007 – B 8/9 b SO 8/06 R) tendiert wohl in die Richtung, dass ein „wachstumsbedingter Bekleidungsbedarf“ letztlich kein Bedarf im Sinne des § 23 ist. Hier zeigt sich, dass der Gesetzgeber den Regelbedarf nur im Falle der Regelleistung für Alleinstehende ermittelt hat und die anderen Bedarfsgruppen nur durch einen Abschlag berücksichtigt hat. Dabei lässt sich einzig die Differenzierung zwischen Alleinstehenden und Partner aufgrund einer vermuteten Ersparnis aus dem Bestehen einer Haushaltsgemeinschaft herleiten. Die weitere Differenzierung zwischen Kindern und anderen Mitgliedern einer Bedarfsgemeinschaft, die das sechste bzw. vierzehnte Lebensjahr vollendet haben, lässt keine sachlichen Unterschiede erkennen. Allerdings hat 96

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das BVerfG in seiner Entscheidung vom 02.09.2010 (BVerfG aaO) die Regelungen über die Regelleistungen bis zum 31.12.2010 weiterhin für anwendbar erklärt. Nur bei einem laufenden atypischen Bedarf, der vom Normalfall abweicht, hat der HB einen unmittelbaren Anspruch aus Art. 1 Abs. 20 Abs. 1 GG. Bei dem wachstumsbedingten Mehrbedarf handelt es sich um einen typischen Bedarf, der bei Kindern anfällt, so dass ein unmittelbarer Anspruch sich nicht aus dem Grundgesetz ergibt. Der Anspruch kann auch nicht daraus hergeleitet werden, dass es sich um einen erstmaligen Bedarf (§ 23 Abs. 3 Nr. 2) handelt (BSG Urteil vom 23.03.2010 - B 14 AS 81/08 R). b) Unabweisbarer Bedarf, einmaliger Sonderbedarf

Zu den Sonderbedarfen zählen auch Bedarfe, die zwar von der Regelleistung umfasst 78 sind, allerdings nicht durch Ansparung gedeckt werden können (sogenannte unabweisbare Bedarfe § 23 Abs. 1). Diese nicht benannten Bedarfe können durch Gewährung einer Sach- oder Geldleistung in Verbindung mit einem (zurückzuzahlenden) Darlehen gewährt werden (§ 23 Abs. 1). Ein Zusatzbedarf kann, wenn er unabweisbar ist und nicht aus dem Ansparguthaben 79 (§ 12 Abs. 2 Nr. 4) bestritten werden kann, nur als Geld- oder Sachleistungsdarlehen bewilligt werden. Eine gesonderte Deckung eines notwendigen Bedarfes durch Erhöhung der Regelleistung ist nach dem Gesetz nicht vorgesehen (§ 3 Abs. 3 S. 2). Beispiel: Der HB erhält von seinem Energieversorger wegen deutlich gestiegener Strompreise und Anstieg der Umsatzsteuer von 16 auf 19 % eine Nachforderung für Stromlieferung in Höhe von 300 €. Da er bereits in den Vorjahren nur zögerlich seine Energieschulden gezahlt hatte, ist der Energieversorger nicht bereit, den Betrag zu stunden. Der LT lehnt die Übernahme der Kosten ab, weil es sich um Schulden handelt, die nach dem SGB II grundsätzlich nicht übernommen werden.

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Der LT muss die Stromkosten hier dem HB als Geldleistung in Form eines Kredites gewähren, denn der Anspruch auf Stromlieferung ist unabweisbar. Der Stromversorger ist nämlich berechtigt, die Stromlieferung bei Nichtzahlung einzustellen. Eine Wohnung ohne Strom kommt der Unbewohnbarkeit gleich (LSG NRW Beschluss vom 12.12.2008 – L 7 B 384/08 AS). Mangels Ansparvermögens und Stundung durch den Energieversorger kann der Bedarf auch nicht anderweitig gedeckt werden. Der LT hat nach § 23 Abs. 1 die Möglichkeit eine Sachoder Geldleistung zu erbringen, ihm steht demnach ein Auswahlermessen zu. Im vorliegenden Fall kommt eine Sachleistung nicht in Betracht, so dass das Ermessen auf Null reduziert ist. Auf den Grundsatz, dass Schulden nicht übernommen werden, kann sich der LT nicht berufen, weil die Übernahme der Schulden im § 23 Abs. 1 ausdrücklich vorgesehen ist. Nachforderungen aus Nebenkostenabrechnungen sind zwar in der Vergangenheit entstanden, zeigen sich allerdings als aktueller Hilfebedarf erst dann, wenn die Abrechnung erfolgt. Besteht aus der Nebenkostenabrechnung ein Überschuss, ist dieser nicht als Einkommen (§ 11 Abs. 1), sondern als Minderung der Wohnkosten (§ 22 Abs. 1 S. 4) anzusehen. Die Nachzahlung mindert die Kosten der Unterkunft in dem auf den Zufluss der Nachzahlung folgenden Monat.

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§ 3 Leistungen nach dem SGB II c) Bedarf für die Schule

82 Zu einer dritten Gruppe zählen Bedarfe, die zwar bei den Regelleistungen, die den Bedarf decken, „berücksichtigt“ wurden, die allerdings die Absicht verfolgen, den Schulbesuch durch eine finanzielle Entlastung in Höhe von einmal jährlich 100 € pro Kind besonders zu fördern. Die Leistung entfällt, falls das förderungsfähige Kind dauerhaft unentschuldigt dem Unterricht fernbleibt, denn die Leistung für die Schule wird nur erbracht, wenn die Schule tatsächlich besucht wird (§ 27 a). d) Atypische Bedarfe

83 Die Rechtsprechung hat die im SGB II vorgenommene starre Pauschalierung in besonderen Einzelfällen als unzureichend angesehen und lässt in einem eng begrenzten Rahmen einen Anspruch nach § 73 SGB XII zu. Dies wurde hinsichtlich des Anspruchs von Kindern, deren Eltern getrennt leben, wegen der Kosten des Umgangsrechts angenommen (BSG Urteil vom 07.11.2006 – B 7 b AS 14/06 Rn 24 ff). Bei den Kosten einer notwendigen Haushaltshilfe handelt es sich demgegenüber nicht um einen von den Regelleistungen (§§ 19, 20) in Anlehnung an § 27 Abs. 3 SGB XII erfassten Fall, sondern um einen gesonderten Anspruch auf Sozialhilfe nach § 63 Satz 1 SGB XII iVm § 65 Abs. 1 Satz 1 SGB XII (BSG Urteil vom 11.12.2007 – B 8/9 b SO 12/06 Rn 18). Als weitere atypische Bedarfe wurden bisher in der Rechtsprechung anerkannt: n Der Bedarf für eine Schülermonatskarte bei einem Gymnasiasten, der eine 22 km entfernte Schule besucht (LSG NS-HB Beschluss vom 03.12.2007 – L 7 AS 666/07 ER, aA. BSG Urteil vom 28.10.2009 – B 14 AS 44/08 R). Anspruch besteht gegen den Träger der Sozialhilfe nach § 73 SGB XII. Die Rechtsansicht des BSG zur Schülermonatskarte berücksichtige noch nicht die durch die Entscheidung des BVerfG geänderte Rechtslage (BVerfG Urteil vom 09.02.2010 – BvL 1/09, 3/09, 4/09 Rn 204). Danach besteht unmittelbar aus Art. 1 Abs. 1, Art 20 Abs. 1 GG ein Anspruch zur Sicherung der Deckung des menschenwürdigen Existenzminimums und zwar für einen unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen, besonderen Bedarf. Ein solcher ist für denjenigen Bedarf erforderlich, der nicht schon von den §§ 20 ff. SGB II abgedeckt wird, weil die Einkommens- und Verbrauchsstatistik, auf der die Regelleistung beruht, allein den Durchschnittsbedarf in üblichen Bedarfssituationen widerspiegelt, nicht aber einen darüber hinausgehenden, besonderen Bedarf aufgrund atypischer Bedarfslagen (BVerfG aaO.) Ein solcher Fall des atypischen Bedarfs lag der Entscheidung des BSG zugrunde (vgl. hierzu Rn. 86 am Ende). n Der Bedarf für Schulbücher (verneint LSG NRW Urteil vom 27.08.2009 – L 7 AS 72/08; ebenso LSG Berlin-Brb Beschluss vom 27.08.2009 – L 7 AS 72/08; bejaht LSG RPF Urteil vom 25.11.2008 – L 3 AS 76/07 gegen den Träger der Sozialhilfe nach § 28 Abs. 1 S. 2 SGB 12). Insofern kommt den Regelungen über die Lernmittelfreiheit in dem betreffenden Land entscheidende Bedeutung zu.

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n Ausübung des Umgangsrechtes mit Eltern oder Kindern (bejaht LSG Sachsen Urteil vom 10.09.2009 – L 3 AS 210/08; BSG Urteil vom 07.11.2006 – B 7 b AS 14/06 Rn. 22). n Zuzahlungen für die gesetzliche Krankenversicherung (abgelehnt LSG NRW Beschluss vom 09.09.2009 – L 20 B 63/09 AS). e) Unabweisbarer Mehrbedarf nach Art. 1 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 GG

Nach der Entscheidung des BVerfG (Urteil vom 09.02.20101 BvL 1/09 – 1 BvL 3/09 – 84 1 BvL 4/09) besteht bis zur Neuregelung durch den Gesetzgeber (die zum 1. Januar 2011 in Kraft treten muss) ein Anspruch auf Leistungen eines unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen, besonderen Bedarfs für die nach § 7 SGB II Leistungsberechtigten nach Maßgabe der Urteilsgründe unmittelbar aus Art. 1 Abs. 1 GG iVm Art. 20 Abs. 1 GG zu Lasten des Bundes. Der Bedarf ist typischerweise von dem Statistikmodell nicht erfasst und muss im Einzelfall für ein menschenwürdiges Existenzminimum erforderlich sein. Dieser Bedarf muss über die im Gesetz ausdrücklich geregelten Bedarfslagen hinaus bestehen, d.h. nicht bereits durch einen Mehrbedarf gedeckt werden (für den Mehrbedarf an Schuhen bei einem Mehrbedarf wegen Gehbehinderung nach § 30 Abs. 1 SGB XII vgl. BSG Urteil vom 29.09.2009 – B 8 SO 5/08 R). Die Tatbestandsvoraussetzungen sind im Einzelnen wie folgt zu definieren: 1. Ein Bedarf muss unabweisbar sein. Ein Bedarf ist unabweisbar, wenn er vom Gesetzgeber im Rahmen der Regelleistung zur Deckung des Existenzminimums ausdrücklich vorgesehen ist. Ist er Bestandteil der Regelleistung, handelt es sich nicht um einen atypischen, d.h. außergewöhnlichen Bedarf. Unabweisbar ist daher ein Bedarf, der zwar nicht von der Regelleistung erfasst, aber von der Verkehrsauffassung als zum Leben notwendig angesehen wird (vgl. BSG Urteil vom 20.08.2009 – B 14 AS 45/08 R Rn 14; LSG NRW Urteil vom 29.07.2009 – L 12 SO 51/08 Rn 46). Hierbei handelt es sich nicht nur um Gegenstände, die zum Leben unerlässlich sind. Zusätzlich ist es erforderlich, dass der Bedarf nicht aufgeschoben werden kann (LSG Berlin-Brb Beschluss vom 23.07.2009 – L 29 AS 244/09 B PKH). Beispiel: Der Besitz eines Fernsehgerätes ist zwar zum Leben nicht unerlässlich, wird aber als unabweisbarer Bedarf angesehen (vgl. LSG Berlin-Brb Urteil vom 07.10.2009 – L 18 AS 2221/07).

2. Es darf sich nicht um einen einmaligen Bedarf handeln. In § 32 und § 31 SGB XII genannten Bedarfe, sind spezielle Bedarfe, die nicht regelmäßig anfallen und die erheblich von dem durchschnittlichen Bedarf abweichen (BSG Urteil vom 19.09.2008 – B 14 AS 64/07 R). Ein einmaliger Bedarf ist, z.B. der Einschulungsbedarf, der anlässlich der Einschulung von Erstklässlern anfällt, und zwar für die Schultüte und die Erstausstattung mit einer Schultasche (Ranzen), Federmäppchen, Heften u.A. (BVerwG Urteil vom 28.03.1996 – 5 C 33/95). 3. Der Bedarf muss entweder bei der Bemessung des existenzsichernden Bedarfes nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt worden sein. 4. Der Bedarf muss so erheblich sein, dass er durch Einsparmöglichkeiten in anderen Bereichen oder durch Leistungen Dritter nicht abgedeckt werden kann (BVerfG 99

3

§ 3 Leistungen nach dem SGB II aaO. Rn 208). Mit Einsparmöglichkeiten kann nicht der sogenannte „Ansparbetrag“ gemeint sein, der sich weder aus dem Gesetz noch den hierzu ergangenen Materialien ergibt und teilweise mit 16 % der Regelleistung angegeben wird. Das menschenwürdige Existenzminimum darf nicht mehr gewährleistet sein (BVerfG aaO.).

85 Das BVerfG hat in seiner Entscheidung nicht festgestellt, wann das menschenwürdige Existenzminimum evident verletzt ist. Konkrete Zahlen werden nicht genannt. Das menschwürdige Existenzminimum wird vom Gesetzgeber im Rahmen seines Beurteilungsspielraums bestimmt und ist auch bei Festsetzung der Regelleistungen nach §§ 20, 28 berücksichtigt worden. Die Frage, ob das menschenwürdige Existenzminimum unterschritten wird, richtet sich daher – abgesehen von den schwer auszulotenden „Evidenzfällen“– nach einfachem Recht. Ein Evidenzfall liegt vor, wenn die physische Existenzsicherung (Ernährung, Kleidung) nicht mehr gesichert ist (BVerfG aaO. Rn 158). Der Gesetzgeber hat in § 23 Abs. 1 S. 3 festgelegt, dass Darlehen, die zur Deckung eines unabweisbaren Bedarfs, der in der Regelleistung als existenznotwendig angesehen wird, gewährt werden müssen und mit monatlich in Höhe von 10 % der Regelleistung durch Aufrechnung vom HB getilgt werden. Diese Aufrechnungsmöglichkeit wurde vom BVerfG (aaO. Rn 150) als verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden eingeschätzt. Eine Belastung des menschenwürdigen Existenzminimums liegt daher nicht vor, wenn die Mehrkosten bis zu 10 % des für den HB maßgeblichen Regelsatzes nicht überschreiten. Wird diese Grenze dauerhaft überschritten und erfolgen keine Leistungen durch Dritte, so kann ein unabweisbarer Mehrbedarf vorliegen. Unabweisbar sind die in § 20 Abs. 1 genannten Bedarfe für Ernährung, Kleidung, Körperpflege usw. Darüber hinaus hat das BVerfG einen notwendigen (unabweisbaren) Bedarf bei Kindern für Bildung, insbesondere für die Schule angenommen (BVerfG aaO. Rn 192). 86 Beispiel: Der neun Jahre alte Schüler S erhält im Jahr 2010 eine Regelleistung in Höhe von

251 € monatlich und im August 2010 den zusätzlichen Bedarf für die Schule in Höhe von 100 €. Im Jahre 2009 haben sich die Eltern des S getrennt. Der S lebt nunmehr bei seiner Mutter, die ebenfalls Leistungen nach dem SGB II erhält. Einen Unterhaltsanspruch gegen seinen Vater kann S nicht durchsetzen. Durch die Trennung der Eltern ließen die Leistungen des S in der Schule erheblich nach, so dass der Übergang zum Gymnasium nach der vierten Klasse gefährdet ist. Ein Förderunterricht wird durch die Schule nur für lernschwache Schüler angeboten, wozu S nicht gehört. In der Zeit vom 1. Mai bis 31. Dezember 2010 entstehen dem S folgende Kosten für die Schule: Zwei jeweils eintägige Klassenfahrten mit Fahrkosten in Höhe von je 25 € zuzüglich jeweils 5 € Taschengeld Anschaffungskosten für Bücher Kosten „Bastelmaterial“ für die Schule Ersatzbeschaffung für eine Schultasche Aufwendungen für Nachhilfeunterricht für 6 Monate

100

50,00 € 10,00 38,50 24,80 43,90 1.440,00

€ € € € €

I. Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes Der LT bewilligt mit Bescheiden vom 20. April 2010 Leistungen für den Zeitraum vom 1. Mai bis zum 31. Oktober 2010 und zwar für die Ersatzbeschaffung der Schultasche ein Darlehen, welches in Höhe von jeweils 25 € von dem Regelbetrag in den Monaten Mai und Juni 2010 abgezogen wird, sowie im Monat August 2010 weitere 100 €. Weitergehende Leistungen werden abgelehnt. Der Nachhilfeunterricht sei nicht zu übernehmen, weil es hier schulische Angebote gebe. Außerdem sei die Versetzung in die vierte Klasse nicht gefährdet. Der Besuch eines Gymnasiums sei nicht erforderlich. Das Schulsystem sei so durchlässig, dass ein Übertritt in ein Gymnasium auch zu einem späteren Zeitpunkt möglich sei und der S die allgemeine Hochschulreife auch nach dem Besuch einer anderen Schule erreichen könne. Die Aufwendungen für Klassenfahrten, Anschaffungskosten für Bücher und Ersatzbeschaffung für eine Schultasche fallen nicht regelmäßig an und können daher nicht zu einer Berücksichtigung innerhalb des unmittelbaren Anspruchs auf den außergewöhnlichen Bedarf führen. Sie wirken sich allerdings auf die Leistungsfähigkeit des S aus und sind bei der Frage, ob anderweitige Einsparmöglichkeiten bestehen, zu berücksichtigen. Bei den Kosten für Bastelmaterial und für Nachhilfeunterricht handelt es sich demgegenüber um einen laufenden Bedarf. Dieser Bedarf fällt nicht nur gelegentlich, sondern laufend und zwar entweder unregelmäßig (Bastelmaterial) oder regelmäßig (Kosten für Nachhilfeunterricht) an. Nach der zutreffenden Ansicht des BVerfG ist der Bedarf für Bildung (schulischer Bedarf) zur Existenzsicherung erforderlich (BVerfG aaO. Rn 192). Da bei der Bemessung der Regelleistungen die Aufwendungen für Bildung (Abteilung 10 „Bildung“ der Einkommens- und Verbraucherstichprobe) nicht berücksichtigt wurden, ist dieser Bedarf nicht durch die Regelleistung abgedeckt. Er kann auch nicht anderweitig gedeckt werden, weil der Zusatzunterricht für lernschwache Schüler, den Bedürfnissen des S nicht entspricht. Der Nachhilfeunterricht ist erforderlich und geeignet, die Wissensdefizite bei S zu beseitigen, denn zu diesen Defiziten kam es erst, weil S aufgrund innerfamiliärer Probleme im Jahr 2009 in seinen Leistungen nachließ. Nachdem die innerfamiliären Auseinandersetzungen infolge der Trennung der Eltern nicht mehr in der bisherigen Form weitergeführt werden, ist auch ein Ausgleich des Leistungsdefizits zu erwarten. Hierzu eine Anmerkung: Nach der Rspr. des BVerfG aaO. ist der Anspruch auf einen atypischen Bedarf nicht ausdrücklich daran geknüpft, dass die Bedarfsdeckung erforderlich ist. Dieses Tatbestandsmerkmal ergibt sich allerdings aus dem in § 3 Abs. 3 S. 1 genannten Subsidiaritätsprinzip, wonach erst dann, wenn die Hilfebedürftigkeit nicht anderweitig beseitigt werden kann, der Bedarf nach Art. 1 und Art. 20 GG gedeckt werden kann. Der Bedarf des S kann schließlich auch nicht durch zumutbare Einsparungen gedeckt werden: Die zumutbaren Einsparungen betragen 10 % der Regelleistung, im vorliegenden Fall also 25,10 € (Regelleistung 70 %) im Monat und 150,60 € in sechs Monaten. Die Belastungsgrenze errechnet sich aus der Gesamtbelastung, soweit diese nicht in der Regelleistung berücksichtigt wurde, zuzüglich der Leistung für die Schule nach § 24 a, denn hier werden erstmals Ansprüche aus Abteilung 10 (Bildung) der EVS 1998 anerkannt. Damit ergibt sich die folgende Rechnung: Leistungen für schulischen Bedarf § 24 a + Einsparmöglichkeit 6* 25,10 € Summe Anrechnungsbetrag

+ =

100,00 € 150,60 € 250,60 €

101

3

3

§ 3 Leistungen nach dem SGB II ./. Belastung durch die Darlehensrückzahlung Summe = Belastungsfähigkeit

43,90 € 206,70 €

=

Hiergegen müssen nun die weiteren Belastungen im Bewilligungszeitraum gerechnet werden: Eintägige Klassenfahrten + Bücher + Bastelmaterial + Aufwendung Nachhilfeunterricht Summe der Belastungen

60,00 38,50 24,80 1.440,00 1.563,30

+ + + =

€ € € € €

Der atypische Bedarf ergibt sich aus dem Saldo der Summe der Belastungen und der Belastungsfähigkeit. Bei einmaligen Bedarfen wird man die Belastung ggf. auf mehrere Bedarfszeiträume aufteilen können (vgl. BSG Beschluss vom 16.05.2007 – B 7 b AS 40/06 R Rn 15). Summe der Belastungen ./. Belastungsfähigkeit Saldo = Belastbarkeit in sechs Monaten

-

1.563,30 € 206,70 € 1.356,60 €

Der LT wird S daher für den erforderlichen Nachhilfeunterricht einen (nicht rückzahlbaren) Zuschuss und für den restlichen Bedarf ein weiteres Darlehen zur Verfügung stellen müssen. Mangels einer vor der Entscheidung des BVerfG bestehende Anspruchsgrundlage wurde ein Anspruch auf Übernahme der Kosten für eine Schülermonatskarte iHv. 58,70 Euro abgelehnt (BSG Urteil vom 28.10.2009 B 14 AS 44/08 R Rn 17). Diese Entscheidung ist nach der Entscheidung des BVerfG aaO nicht mehr haltbar, denn das BVerfG hat den ausbildungsbedingten Bedarf ausdrücklich als grundsicherungsrelevanten Bedarf angesehen, der sich aus Art. 1 Abs. 1, Art 20 Abs. 1 GG ergibt (vgl. BVerfg aaO Rn 198). Voraussetzung für einen atypischen Bedarf ist, dass er zur Deckung des menschenwürdigen Existenzminimums unabweisbar ist und es sich um einen laufenden, nicht nur einmaligen, besonderen Bedarf handelt. Ein solcher ist für denjenigen Bedarf erforderlich, der nicht schon von den §§ 20 ff. abgedeckt wird, weil die Einkommens- und Verbrauchsstatistik, auf der die Regelleistung beruht, allein den Durchschnittsbedarf in üblichen Bedarfssituationen widerspiegelt, nicht aber einen darüber hinausgehenden, besonderen Bedarf aufgrund atypischer Bedarfslagen (BVerfG aaO. Rn. 204). In der Einkommens- und Verbraucherstichprobe wurde der Bedarf für schulische und außerschulische Bildung nicht berücksichtigt. Es wurde lediglich im geringen Umfang Verkehrsleistungen und zwar iHv 26 % anerkannt. Eine Schülermonatskarte gehört allerdings ausdrücklich zum Schul- und nicht zum Bedarf für Verkehrsleistungen (BSG aaO). Die Kosten der Schüler-Monatskarte sind auch evident, weil sie den Betrag von 10 % der Regelleistung eines über 15. Jahre alten Kindes iHv 287 € übersteigt. In dem vom BSG entschiedenen Fall bestand auch kein Anspruch nach dem Niedersächsischen Schulgesetz. Diese Ansprüche gehen den Leistungen nach dem SGB II vor (z.B. die Kostenübernahmen nach der Schülerfahrtkostenverordnung NRW V zu § 97 Abs. 4 Schulgesetz NRW).

87 Der Schulbedarf ist nicht der einzige Bedarf, der im Rahmen des Anspruchs auf atypischen Bedarf nach Art. 1 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 GG geltend gemacht werden kann. Neben den Bedarfen, die nach der Geschäftsanweisung der Bundesagentur für Arbeit zu gewähren sind (Geschäftsanweisung vom 17.02.2010 – SP II – II-1303 / 7000/5215), kommen noch weitere Bedarfe in Betracht. 102

I. Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes

3

Nach den Handlungsanweisungen der BA kann auf folgende Bedarfe ein Anspruch bestehen: n Nichtverschreibungspflichtige Medikamente und z.B. Hautpflegeprodukte bei Neurodermitis, Hygieneartikel bei ausgebrochener HIV-Infektion, usw. n Putz-/Haushaltshilfe für Rollstuhlfahrer und ähnlich behinderter Menschen. n Kosten zur Wahrnehmung des Umgangsrechts von Kindern, die von ihren Eltern getrennt leben und zwar sowohl für Eltern als auch für Kinder. Der Nachhilfeunterricht ist zwar in der Geschäftsanweisung aufgenommen worden. Die restriktive Regelung entspricht m.E. aber nicht den Vorgaben des BVerfG (aaO.). Die Kostenübernahme kann nicht auf wenige besondere Einzelfälle beschränkt bleiben. Zwar kommt es gegebenenfalls auf besondere Unterrichtsangebote der Schule an. Das BVerfG (aaO. Rn 192) hat in seiner Entscheidung ausdrücklich darauf hingewiesen, dass § 24 a die Kosten für den schulischen Bedarf nicht vollständig abdeckt. Außerdem wurde der Nachhilfeunterricht vom BVerfG in seiner Entscheidung namentlich erwähnt (BVerfG aaO. Rn 197). Über die in dem Katalog der Bundesagentur aufgeführten Bedarfe hinaus sind noch 88 weitere atypische Bedarfe denkbar und zwar: n Kosten für den Besuch von inhaftierten Familienangehörigen; diese fallen regelmäßig an und können, wenn sie die Zumutbarkeitsschwelle überschreiten einen abweichenden Bedarf begründen. n Ein Bedarf für gehbehinderte erwerbsfähige HB, die keinen Anspruch nach § 28 Abs. 1 Nr. 4 haben (vgl. LSG NRW Urteil vom 28.05.2009 – L 7 AS 4/09 nRk anhängig BSG B 14 AS 44/09 R) für Mehraufwand wegen erhöhtem Schuhbedarf. n Verpflegungsmehraufwendungen von Kindern, die eine Ganztagsschule besuchen, wenn diese nicht durch andere getragen werden. Verpflegungsmehraufwendung ist die Differenz zwischen dem in der Regelleistung enthaltenen Anteil für die Ernährung und der Leistung für Verpflegung, die an den Schulträger zu erbringen ist. Die Werte für den Eigenanteil an der Verpflegung können § 2 Abs. 5 ALG II-V entnommen werden. Ein neunjähriger Schüler erhält eine Regelleistung in Höhe von 70 % = 251 € der Regelleistung für alleinstehende HB (§§ 20 Abs. 2 S. 1, 28 Abs. 1 S. 2 Nr. 1, 74). Hieraus errechnet sich der Eigenanteil für ein Mittagessen wie folgt: Anteil der Verpflegungskosten § 2 Abs. 5 ALG II-V: 1 % der Regelleistung in Höhe von 251 € davon Anteil der Mittagsverpflegung 40 %

2,51 € 1,52 €

Dem hilfebedürftigen Kind ist somit ein Eigenanteil an der Mittagsverpflegung in Höhe von 1 € anzurechnen. Ob ein Anspruch auf Zuschuss zu den Verpflegungsmehraufwendungen besteht, richtet sich m.E. auch danach, ob die Belastungsgrenze überschritten ist.

103

3

§ 3 Leistungen nach dem SGB II n Auch ein spezieller Bekleidungsbedarf (Über- und Untergröße, spezieller Schnitt bei Körperbehinderung) kann, entgegen der Ansicht der BA in ihrer Geschäftsanweisung (Geschäftsanweisung aaO.) einen Anspruch auf Deckung eines atypischen Bedarfs bilden. Hier wird allerdings zumeist kein regelmäßiger Bedarf vorliegen, so dass hier zumeist ein Darlehen zur Bedarfsdeckung in Betracht kommt. n Zusätzlich könnte noch ein atypischer Bedarf im Bereich der außerschulischen Bildung, im Bereich des Sports oder der Musik in Frage kommen (BVerfG aaO Rn 180). Diese Ausgaben sind bei der Abfassung der Regelleistungen nicht vorgesehen. Beispiel: Die 17-jährige K, die seit mehreren Jahren ein Musikinstrument spielt, möchte sich an einer Musikhochschule bewerben. Um ihre Bewerbungschancen zu steigern, benötigt sie zusätzlich zu ihren eigenen Bemühungen noch die Unterstützung durch einen Musiklehrer, der sie für vier Monate unterrichten soll. Auch hier ist im Einzelfall die Übernahme der Kosten durch den LT als atypischer Bedarf denkbar. f) Darlehensgewährung bei Mittellosigkeit

89 Sofern der HB über Vermögen verfügt und es zu seinem Lebensunterhalt einsetzen muss, er allerdings nicht in der Lage ist, das Vermögen zu verwerten oder wenn die sofortige Verwertung eine besondere Härte für ihn darstellt, ist ihm zum Bestreiten seines Lebensunterhaltes ein Darlehen zu gewähren (§ 23 Abs. 5). 90 Beispiel: Der HB ist im Besitz eines unbebauten Grundstückes. Neben dem unbebauten

Grundstück hat er kein weiteres Vermögen mehr. Der Wert des Grundstückes übersteigt sein Schonvermögen nach § 12 um mehr als das Doppelte. Die Veräußerung des Grundstückes gestaltet sich außerordentlich schwierig, denn der HB versucht bereits seit 2 Jahren das Grundstück zu verkaufen. Der LT wird dem HB Leistungen nach dem SGB II gewähren müssen und zwar zumindest als Darlehen. Bei der Gewährung einer darlehensweisen Bewilligung ist zu berücksichtigen, dass der HB dann nicht der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung unterliegt. Zusätzlich zu den Regelleistungen und den Leistungen für Unterkunft und Heizung müsste der HB daher auch noch die Kosten für eine freiwillige Kranken- und Pflegeversicherung, sowie ggf. der Rentenversicherung erhalten.

91 Hier könnte sogar daran gedacht werden, dass sich der Vermögensgegenstand als unverwertbar erweist und dem HB die Leistungen als Zuschuss zu gewähren sind (vgl. BSG Urteil vom 27.01.2009 – B 14 AS 52/07 R). Bei der Ermittlung der Veräußerbarkeit einer Immobilie und deren Marktwert ist regelmäßig ein Gutachten einzuholen. 92 Hinweis: Im Verfahren auf einstweilige Anordnung wird die Einholung eines solchen Gutachtens in aller Regel nicht möglich sein, so dass eine abschließende Prüfung des Falles durch das Gericht nicht möglich ist. Die Entscheidung des Gerichtes wird daher auf einer Folgenabwägung beruhen müssen (BVerfG Beschluss vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05 lesenswert!). Die Folgenabwägung wird in der Regel ergeben, dass die Versorgung des HB höher zu bewerten ist als das Bedürfnis der Staatskasse an ihrer Schonung. 104

I. Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes

3

6. Leistungen für Unterkunft und Heizung Anders als die Regelleistungen und die Leistungen für Mehrbedarfe sind die Leistungen 93 für Unterkunft und Heizung nicht pauschaliert und werden nach § 22 Abs. 1 S. 1 in der tatsächlichen Höhe übernommen, soweit sie angemessen sind. Die Kosten für Unterkunft und Heizung richten sich daher, wie in der Sozialhilfe, nach den Besonderheiten des Einzelfalles (vgl. § 9 Abs. 1 SGB XII, §§ 20, 21, 28, 74 iVm § 3 Abs. 3). Der HB muss tatsächlich für seine Unterkunft Aufwendungen haben bzw. Zahlungen leisten. Eine bloße vertragliche Verpflichtung zur Zahlung von Miete oder andere Unterkunftskosten wie eine Leibrente oder Darlehenszinsen reichen allein nicht aus (vgl. BSG Urteil vom 20.08.2009 – B 14 AS 34/08 R). Beispiel: Der HB stellt seine Mietzahlungen ein und unternimmt von dem Geld, welches er

vom LT für die Miete erhält, eine Urlaubsreise.

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Der Anspruch auf Übernahme der Kosten der Unterkunft entfällt, weil diese vom HB nicht mehr erbracht werden.

Die Unterkunftskosten bestehen, falls nicht ein Pauschalpreis (Warmmiete) mietver- 95 traglich vereinbart wurde, aus der Nettokaltmiete und die nach der BetrKV (BGBl. vom 25.11.2003 I S. 2346, 2347) umlagefähigen und im Mietvertrag vereinbarten Betriebskosten (vgl. BSG Urteil vom 19.02.2009 – B 4 AS 48/08 R). Beispiel: Die von dem HB angemietete Wohnung verfügt über einen Kabelanschluss für den Radio- und Fernsehempfang. Der HB verfügt weder über Fernsehgerät noch Radio. Die Kosten werden von allen Mietern erhoben. Gleichzeitig hat der HB für eine in der Wohnung fest eingebaute Kücheneinrichtung nach dem Mietvertrag einen Betrag von 30 € zu entrichten. Die Wohnkosten des HB sind auch nach den geltenden Richtlinien des LT angemessen. Der LT verweigert die Übernahme der Kosten für den Kabelanschluss und die Nutzung der Kücheneinrichtung mit dem Hinweis auf § 9 Abs. 2 Nr. 4 WoGG in der bis zum 31. Dezember 2008 geltenden Fassung. Das Entgelt für die Nutzung der Kücheneinrichtung, bestehend aus Herd, Spüle, Spülmaschine und Waschmaschine, seien keine Kosten der Unterkunft.

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Nach § 2 Nr. 14 b der Betriebskostenverordnung können die Kosten für einen Breitbandkabelanschluss auf die Mieter umgelegt werden.

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Auch die Kosten der „Küchennutzung“ sind vom LT zu übernehmen, da die Wohnkosten insgesamt angemessen sind und die Anmietung der Wohnung ohne die Küche nicht möglich war (BSG Urteil vom 07.05.2009 – B 14 AS 14/08 R Küchenbenutzung; BSG Urteil vom 09.02. 2009 – B 4 AS 48/08 R Kabelanschlussgebühr). a) Ermittlung der Angemessenheit der Unterkunftskosten

Ob eine Unterkunft angemessen ist, lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen und unter- 98 liegt der vollen gerichtlichen Überprüfung. Die LT haben hinsichtlich der Feststellung der Angemessenheit der Unterkunftskosten keinen Beurteilungs- oder gar Ermessensspielraum (BSG Urteil vom 07.11.2006 – B 7 b AS 10/06 R). Ist die Wohnung unangemessen, so führt dies nicht dazu, dass der LT vollständig von seiner Pflicht Unterkunftskosten zu leisten befreit ist, sondern er muss die angemessenen Kosten der Unterkunft leisten. Ist eine Unterkunft unangemessen, muss der LT oder das Gericht somit zusätzlich prüfen, wie hoch die Kosten einer angemessenen Unter105

3

§ 3 Leistungen nach dem SGB II kunft sind. Der LT wird die Gegebenheiten auf dem Wohnungsmarkt überprüfen können und müssen (BSG Urteil vom 07.11.2006 7 b AS 18/06 R). Nach dem Urteil des BSG vom 07.11.2006 aaO. ist die Angemessenheit wie folgt zu ermitteln:

99 n Ermittlung der Wohnraumgröße: Hier ist die für Wohnberechtigte im sozialen Wohnungsbau anerkannte Wohnraumgröße zugrunde zu legen. Die angemessene Wohnungsgröße wird nach den in den jeweiligen Bundesländern erlassenen Verwaltungsrichtlinien zu § 10 des Gesetzes über die Förderung im sozialen Wohnungsbau (Wohnraumförderungsgesetz) bestimmt. Die Wohnungsgrößen betragen maximal für den alleinstehenden HB 45 bis 50 qm und für jede weitere Person jeweils weitere 10 bzw. 15 qm (vgl. BSG Urteil vom 07.11.2006 – B 7 b AS 18/06 R, 18.06.2008 – B 14/7 b AS 44/06 R). Der Rückgriff auf diese Regelungen ist problematisch, weil mit den Höchstgrenzen zu den Wohnungsgrößen in der Wohnungsbauförderung teilweise andere Ziele verfolgt werden als mit dem SGB II (BSG Urteil vom 19.02.2009 – B 4 AS 30/08 R). Die Wohnfläche könnte alternativ anhand statistischer Daten über die in den unteren Einkommensschichten angemieteten Wohnflächen ermittelt werden. 100 n Die Wohnfläche ist nach der Wohnflächenverordnung (WoFlV BGBl. 25.11.2003 Teil I S. 2346) zu berechnen. Bei sogenannten Altmietverträgen, die vor dem 1. Januar 2004 abgeschlossen wurden, sind die Wohnflächen nach der II. Berechnungsverordnung zu berechnen. Hiernach ist in erster Linie auf die Grundfläche abzustellen (§ 2 Abs. 1 WoFlV). Bei Dachschrägen ist bei Unterschreitung der Stehhöhe von zwei Metern bis einem Meter nur die Hälfte der Fläche als Wohnfläche anzurechnen(§ 4 WoFlV). Wird die Höhe von einem Meter unterschritten, erfolgt keine Anrechnung auf die Wohnfläche mehr. Balkone, die allenfalls eingeschränkt zur Wohnnutzung geeignet sind, werden mit einem Viertel der Fläche berücksichtigt (§ 4 Nr. 4 WoFlV). 101 Hinweis: Den Angaben in Mietverträgen und auch in Bauplänen sollte nicht unkritisch gefolgt werden, denn oftmals erfolgte die Wohnflächenberechnung nicht nach der II. BVO oder der WoFlV, sondern z.B. der DIN 277. Diese Berechnung kommt regelmäßig zu einer größeren Fläche. 102 n Ermittlung des Wohnungsstandards: Angemessen ist eine Wohnung nur dann, wenn sie nach Ausstattung, Lage und Bausubstanz einfachen und grundlegenden Bedürfnissen genügt und keinen gehobenen Wohnstandard aufweist (BSG Urteil vom 07.11.2006 – B 7 b AS 10/06 R). Die Frage der Ausstattung dürfte in der Praxis kaum eine Rolle mehr spielen, weil die Ausstattung der Wohnungen mit Bad, WC und Sammelheizung zwischenzeitlich zum allgemeinen (Mindest-)Wohnstandard gehört. Eine gehobene Ausstattung, Lage oder Bausubstanz wird sich daher nur über die Wohnkosten ermitteln lassen.

106

I. Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes

3

n Die Wohnkosten müssen innerhalb des infrage kommenden Bezirkes (in dem die 103 Wohnung liegt) im unteren Segment der nach der Größe in Betracht kommenden Wohnungen in dem räumlichen Bezirk, der den Vergleichsmaßstab bildet, liegen. Maßgeblich ist nach dem BSG (Urteil vom 07.11.2006 – 7 b AS 10/06 R) der konkrete Wohnort des Hilfebedürftigen und zwar unabhängig davon, wie lange er an diesem Wohnort bereits wohnt. Dies kann die politische Gemeinde sein, bei kleineren Orten kann es insbesondere im ländlichen Bereich geboten sein, ein größeres Gebiet als Vergleichsgebiet zusammenzufassen, wohingegen bei größeren Städten eine Unterteilung erforderlich ist, (BSG Urteil vom 07.11.2006 – 7 b AS 18/06 R). Bezüglich des Vergleichsgebietes erweist sich die Rechtsprechung als wenig berechenbar, so hat der 4. Senat des BSG (Urteil vom 19.02.2009 – B 4 AS 30/08 R) nicht ausgeschlossen, dass das Vergleichsgebiet auch die Stadt München sein kann, immerhin eine Stadt mit 1,35 Mio Einwohnern und einer Fläche von 31.043 ha mithin 1/3 von Berlin, der größten Stadt der Bundesrepublik. Das Vergleichsgebiet dient nur der abstrakten Ermittlung der Wohnkosten und dient nicht dazu, den räumlichen Bereich zu bestimmen, innerhalb dessen der HB zumutbar verwiesen werden kann. Diese Feststellung wird im Rahmen der Ermittlung der konkreten Angemessenheit vorgenommen. Existiert ein einfacher oder qualifizierter Mietspiegel nach §§ 558 c bzw. 558 d BGB, 104 kann dieser herangezogen werden; dass Gleiche trifft für Mietdatenbanken nach § 558 e BGB zu. Existiert kein Mietspiegel oder eine Mietdatenbank, so wird der Grundsicherungsträger bzw. das Gericht eigene Ermittlungen anstellen und einen Mietspiegel oder eine Tabelle erstellen müssen (vgl. BSG Urteil 18.06.2008 – B 14/7 b AS 44/06 R). Bei den Mietspiegeln ist zu beachten, dass diese vorzugsweise den Markt des frei finanzierten Wohnraumes darstellen. Hinweise zu zahlreichen Mietspiegeln im Internet finden sich auf den Webseiten der jeweiligen Städte oder unter www.pro-wohnen.de. In die Gesamtbetrachtung ist auch der geförderte Wohnungsbau einzubeziehen. Hierzu 105 können die Wohnungsämter der jeweiligen Städte und Gemeinden Auskunft erteilen. Bei den Ermittlungen des abstrakten Mietpreises sind sowohl freie als auch vermietete Wohnungen mit einzubeziehen (BSG Urteil vom 19.02.2009 – B 4 AS 30/08 R). Im Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz kann jedoch der Rückgriff auf einen Mietspiegel ausreichend sein, weil sich bei Anwendung des Mietspiegels für den HB in aller Regel keine Nachteile ergeben. Orientiert sich das Gericht an den Mittelwerten der Mietspiegel, ist davon auszugehen, dass auch ausreichend freier Wohnraum vorhanden ist, ohne dass im Einzelnen im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes geprüft werden müsste, ob ausreichend freier Wohnraum vorhanden ist (vgl. LSG Berlin-Brb Beschluss vom 13.09.2007 – L 29 B 883/07 AS ER). Hinweis: Sofern der LT einen Mietspiegel zur Ermittlung der Wohnraumkosten her- 106 anzieht, ist zu prüfen, ob die ermittelten Daten noch ausreichend aktuell sind. Die eigenen Ermittlungen der LT oder der Gerichte müssen auf einem schlüssigen Konzept beruhen, das eine hinreichende Gewähr dafür bietet, die aktuellen Verhältnisse des Wohnungsmarktes wiederzugeben (BSG Urteil 18.06.2008 – B 14/7 b AS 44/06 R). 107

3

§ 3 Leistungen nach dem SGB II Ergeben sich Zweifel an dem Konzept oder der Datenlage, sollten diese anhand von Beispielen widerlegt und nötigenfalls ein Sachverständigengutachten beantragt werden. Die Tabelle zum Wohngeldgesetz kann nur in den Fällen Hilfsmittel zur Feststellung der Angemessenheit sein, in denen alle anderen Erkenntnismöglichkeiten ausgeschöpft sind und z.B. im ländlichen Raum ein Wohnungsmarkt nicht besteht (BSG Urteil vom 07.11.2006 – B 7 b AS 10/06 R). Existiert kein Wohnungsmarkt und ist kein freier angemessener Wohnraum vorhanden, ist die bisher innegehabte unangemessene Wohnung als angemessen anzusehen.

107 n Von den Trägern der Grundsicherung für Arbeitsuchende und von den Gerichten ist danach in einer konkreten Angemessenheitsprüfung festzustellen, ob für den Hilfeempfänger eine bedarfsgerechte und kostengünstigere Unterkunft tatsächlich zur Verfügung steht, d.h. konkret verfügbar und zugängig ist. Bei Ermittlung der konkreten Angemessenheit ist auch ggf. ein erhöhter Wohnflächenbedarf, z.B. für Rollstuhlfahrer, oder die Zumutbarkeit eines Umzuges in ein anderes Stadtviertel zu prüfen. Der LT und auch die Gerichte müssen überprüfen, ob dem HB ein zumutbarer freier Wohnraum konkret zur Verfügung steht. Der LT kann diese Überprüfung einschränken, wenn er dem HB eine konkrete Wohnung benennt und die Wohnung tatsächlich für den HB verfügbar ist (vgl. BSG Urteil vom 18.06.2008 – B 14/7 b AS 44/06 R). 108 Die von den Leistungsträgern herausgegebenen Richtlinien, nach denen sich die Sachbearbeiter richten müssen, entsprechen häufig nicht den vom Bundessozialgericht benannten Vorgaben. Aus ihnen lässt sich oftmals nicht entnehmen, welche Nettokaltmiete als angemessener Mietpreis angesehen wird. Als Nettokaltmiete werden die Mietkosten ohne die Kosten für Heizung und die im Mietvertrag vereinbarten Betriebskosten nach § 2 der Betriebskostenverordnung (BetrKV) bezeichnet. Die Ausführungsvorschriften binden lediglich die Sachbearbeiter der LT. Eine darüber hinausgehende Bindungswirkung kommt ihnen nicht zu (LSG Berlin-BRB Beschluss vom 18.12.2008 – L 25 B 2222/08 AS ER). 109 Hinweis: Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 86 b SGG wird es dem Gericht regelmäßig nicht möglich sein, die Richtlinien des LT zu überprüfen. Das Gericht darf allerdings die Richtlinien des LT nicht als alleinigen Maßstab nehmen und selbst auf eine Überprüfung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft verzichten. Die Gerichte sind verpflichtet, die Angemessenheit der Unterkunftskosten selbst zu prüfen (BSG Urteil vom 07.11.2006 – B 7 b AS 18/06 R). Eine Überprüfung muss auch im Eilverfahren vom Gericht durchgeführt werden (LSG Berlin-BRB Beschluss vom 09.12.2008 – L 32 B 2223/08 AS ER). Des Weiteren sollte darauf hingewiesen werden, dass Leistungen für Unterkunft und Heizung zumindest ab Stellung des Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz gewährt werden müssen, weil andernfalls eine fristlose Kündigung und damit ein Wohnungsverlust droht.

108

I. Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes

3

b) Angemessene Heizkosten

Nach den Richtlinien der LT werden häufig auch für Heizkosten „Obergrenzen“ fest- 110 gelegt. Eine Pauschalierung der Heizkosten ist unzulässig (BSG Urteil vom 02.07.2009 – B 14 AS 36/08 R). Die Prüfung der Angemessenheit der Heizkosten ist getrennt von den übrigen Unterkunftskosten vorzunehmen (BSG aaO.). Ist die Wohnungsgröße unangemessen, lässt sich hieraus noch nicht auf unangemessene Heizkosten schließen. Ein Indiz für unangemessene Heizkosten besteht dann, wenn die Werte des durch die co2online gGmbH in Kooperation mit dem Deutschen Mieterbund ermittelten „Kommunalen Heizspiegels“ bzw., soweit ein solcher nicht besteht, des „Bundesweiten Heizspiegels“ deutlich überschritten werden. Der Grenzwert für die (vermutete) Angemessenheit ist das Produkt aus dem Wert extrem hoher Heizkosten, bezogen auf den jeweiligen Energieträger und die Größe der Wohnanlage, und der abstrakt festgelegten angemessenen Quadratmeterzahl (§ 10 WoFG, BSG aaO.). Die näheren Einzelheiten können unter www.heizspiegel.de oder für den Zeitraum vor 2005 unter www.mieterbund.de im Internet abgefragt werden. Auf den angegebenen Seiten lässt sich auch in Erfahrung bringen, für welche Orte kommunale Heizspiegel bestehen. Beispiel: Der HB wohnt in einen Gebäude mit 350 qm Gesamtwohnfläche. Seine Wohnung

ist 60 qm groß. Die angemessene Wohnungsgröße beträgt 50 qm. Das Gebäude verfügt über eine Gaszentralheizung. Er zahlt monatlich einen Abschlag an den Gasversorger in Höhe von 67 €. Der Grenzwert ergibt sich aus dem bundesweiten Heizkostenspiegel für das Jahr 2009 S.11 (http://www.heizspiegel.de/fileadmin/heizspiegelkampagne/Flyer_BWHSP/ BWHP_2009/Heizspiegel_Bundesweit_web.pdf). Gesamtfläche Gebäude 350 qm

angemessene Größe

Grenzwert (monatlich)

50 qm

* 16,20 ÷ 12 = 67,50 €

111

Im vorliegenden Fall ist der Grenzwert der „Unangemessenheit“ noch nicht überschritten, so dass ohne weitere Prüfung hier von angemessenen Heizkosten ausgegangen werden kann. Wird der Grenzwert (hier 67,50 € monatlich) überschritten, so ist in einem weiteren Schritt auch hier noch konkret zu überprüfen, ob die Heizkosten gleichwohl angemessen sind. Der HB muss dann im Prozess darlegen, warum die Kosten für die Heizung überschritten werden (BSG aaO.). Erfolgt die Heizung mit einem Brennstoffvorrat, z.B. Heizöl, Kohle oder Holz, besteht 112 ein Anspruch auf Leistung dann, wenn die Vorräte im Leistungszeitraum erschöpft sind, denn auch hier ist ein aktueller Bedarf zu decken und kann nicht auf den Leistungszeitraum verteilt werden (BSG Beschluss vom 16.05.2007 – B 7 b AS 40/06 R). Sofern die Kosten für Brennstoffe vor der Stellung des Antrags auf Leistungen nach dem SGB II entstanden und vom HB geleistet wurden, besteht kein Anspruch auf Kostenübernahme. Falls der Brennstoff vor dem Antrag auf Leistungsbezug bestellt und geliefert wurde und danach ganz oder teilweise noch nicht bezahlt ist, kommt eine Übernahme der Kosten durch den LT in Betracht (§ 22 Abs. 5). 109

3

§ 3 Leistungen nach dem SGB II

113 Bei Bestellung im Leistungszeitraum sind die Kosten zu übernehmen und zwar für einen Vorrat, der für den Leistungszeitraum mindestens reicht. Dies kann nach Ansicht des BSG (aaO.) auch ein Anspruch auf Anschaffung eines Brennstoffvorrates für einen längeren Zeitraum als den Bewilligungszeitraum sein und zwar für bis zu einem Jahr, sofern nur der Bezug von Leistungen nach dem SGB II hinreichend wahrscheinlich ist. c) Weiterzahlung der unangemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung

114 Unangemessene Kosten der Unterkunft sind von dem LT solange weiterzuzahlen, als eine Senkung der Unterkunftskosten nicht möglich oder zumutbar ist (§ 22 Abs. 1 S. 3). Die Weiterzahlung soll in der Regel längstens für einen Zeitraum von sechs Monaten erfolgen. Die Frist von sechs Monaten ist eine Regelhöchstfrist und ist nur dann anzuwenden, wenn der HB sich um eine Kostensenkung bemüht (BSG Urteil vom 19.03.2008 – B 11 b AS 41/06 R Rn 20). 115 Beispiel: Der HB wird vom LT aufgefordert, die Kosten seiner Unterkunft zu senken. Darauf-

hin erklärt er, die Wohnung sei angemessen, ein Umzug oder andere Kostensenkungsmaßnahmen kämen für ihn auf keinen Fall infrage. Sofern die Wohnung nicht angemessen ist, kann der LT die Kosten für Unterkunft und Heizung in verminderter angemessener Höhe vom Zeitpunkt der Erklärung des HB, ein Umzug käme nicht infrage, an erbringen. Das ergibt sich aus dem Zweck des Gesetzes, das dem HB lediglich eine „Suchfrist“ für die Wohnungssuche einräumt. Er soll nicht gezwungen werden, sein Mietverhältnis mit der gesetzlichen Frist nach § 580 a Abs. 1 Nr. 3 BGB von 3 Monaten zu kündigen, um sich dann erst eine neue Wohnung zu suchen und sich der Gefahr auszusetzen, dass er durch die „voreilige“ Kündigung wohnungslos wird. Die Frist zur Kostensenkung gilt nur dann, wenn der HB sich tatsächlich um eine Kostensenkung bemüht. d) Kostensenkungsaufforderung

116 Eine Aufforderung zur Kostensenkung durch den LT ist im Gesetz nicht ausdrücklich vorgesehen und daher für ein wirksames „Kostensenkungsverfahren“ nicht erforderlich (BSG Urteil vom 19.03.2008 – B 11 b AS 41/06 R). Die Kostensenkungsaufforderung hat allein Aufklärungs- und Warnfunktion (BSG Urteil vom 07.05.2009 – B 14 AS 14/08 R). Besondere Anforderungen an den Umfang und die Genauigkeit dieser Aufforderung bestehen nicht (BSG Urteil vom 19.03.2008 – B 11 b AS 43/06 R), diese muss nur die Rechtsfolgen aufzeigen und angeben, dass die bisherigen Kosten der Unterkunft unangemessen sind. Die Aufklärungs- und Warnfunktion entfällt, wenn für den HB erkennbar ist, dass die Kosten der Unterkunft in seinem Fall unangemessen sind. Dies wird in aller Regel nur dann der Fall sein, wenn die Unangemessenheit offensichtlich ist oder dem HB die Unangemessenheit bei der Anmietung bekannt war (BSG Urteil vom 17.12.2009 – B 4 AS 19/09 R). 117 Der LT ist verpflichtet, den HB über seine Rechte und Pflichten zu beraten (§ 14 SGB I). Unmittelbare Folgen und Ansprüche aus einer fehlerhaften Beratung ergeben sich für den HB nicht. Eine fehlerhafte Kostensenkungsaufforderung kann zu einer Unmöglichkeit der Kostensenkung bei dem Leistungsempfänger führen, wenn er da-

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I. Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes

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durch seine Suche in wesentlichem Umfang beschränkt (BSG Urteil vom 19.02.2009 – B 4 AS 30/08 R). Auch können bei fehlender Kenntnis des HB Kostensenkungsmaßnahmen von ihm nicht erwartet werden (vgl. BSG aaO.). Die tatsächlichen Aufwendungen waren daher jedenfalls für den streitigen Zeitraum weiter zu übernehmen (BSG Urteil vom 07.05.2009 – B 14 AS 14/08 R). aa) Bedeutung der Kostensenkungsbemühungen

Die Kostensenkung ist eine Obliegenheit des HB, die aus § 22 Abs. 1 S. 3 iVm § 2 118 Abs. 1 S. 1 hergeleitet werden kann. Der HB ist zur Beseitigung oder zur Verringerung seiner Hilfebedürftigkeit verpflichtet (§ 2 Abs. 1 S. 1). In aller Regel muss er sich umfassend um eine neue Wohnung bemühen, d.h. die örtlichen Anzeigenblätter nach Wohnungsanzeigen durchsuchen, Anfragen bei größeren Wohnungsbaugesellschaften tätigen und weitere ihm zugängliche Quellen nutzen (Wohnungsplattformen im Internet). Er hat sich bei dem zuständigen Wohnungsamt um einen Wohnberechtigungsschein (§ 5 Wohnungsbindungsgesetz WoBindG iVm § 27 Gesetz über die Wohnraumförderung WoFG) zu bemühen und sich nach gefördertem Wohnraum zu erkundigen. Ist er bei seinen Bemühungen erfolglos, sollte er den LT über seine Bemühungen informieren und mit dessen Mitarbeiter in „einen Dialog“ treten, welche weiteren Bemühungen von ihm angesichts der bisherigen Erfolglosigkeit erwartet werden. Ist der HB zu solchen Bemühungen nicht in der Lage, kann er Leistungen zur Über- 119 windung sozialer Schwierigkeiten nach dem SGB XII in Form der Hilfe zur Wohnungsbeschaffung in Anspruch nehmen (§ 68 Abs. 1 SGB XII). Führen seine Kostensenkungsbemühungen trotz Ausschöpfung aller gemeinsam mit dem Mitarbeiter des LT besprochenen Maßnahmen nicht zum Erfolg, muss der LT dem HB eine Wohnung nachweisen oder die abstrakt unangemessenen Kosten der Unterkunft als konkret angemessen ansehen und übernehmen. Der vom HB zu leistende Umfang der Bemühungen zur Wohnungssuche kann nicht Gegenstand einer Eingliederungsvereinbarung sein. In einer Eingliederungsvereinbarung können nur Maßnahmen zur Eingliederung in eine Arbeit oder andere Beschäftigung vereinbart werden (§ 15). bb) Unzumutbarkeit der Kostensenkung

Die Obliegenheit des HB zur Kostensenkung kann im Einzelfall unzumutbar sein. Ins- 120 besondere kann ein Umzug aus gesundheitlichen Gründen, wegen schwerer körperlicher, psychischer oder seelischer Leiden (LPK-SGB II/Berlit zu § 22 Rn 65 mwN) unzumutbar sein. Beispiel: Die HB lebt mit ihrem schwerkranken Ehemann in einer unangemessen teuren Wohnung. Der Ehemann hat nur noch eine geringe Lebenserwartung, die durch einen Umzug noch verkürzt werden würde.

In einem solchen Ausnahmefall ist ein Umzug unzumutbar. Die bisher innegehabte Wohnung wird als angemessen angesehen, solange der Zustand anhält, auf dem die Unzumutbarkeit beruht. So wird er ggf. zumutbar sein, wenn bei schulpflichtigen Kindern ein Woh-

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§ 3 Leistungen nach dem SGB II nungswechsel zum Schuljahresende erfolgt oder nach Genesung des HB oder seines mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebenden Angehörigen von einer schweren Erkrankung. e) Sonderproblem und Ausnahme: Warmwasserbereitungskosten

122 Nicht zu den Kosten der Unterkunft gehören nach der Rechtsprechung die umlagefähigen Kosten für die Warmwasserbereitung (BSG Urteil vom 27.02.2008 B 14/11 b AS 15/07 R). Diese Kosten seien hier nicht zu übernehmen, weil sie anderweitig gedeckt seien, nämlich durch die Regelleistung (vgl. § 20 Abs. 1) in Höhe von damals 345 € für einen Alleinstehenden. 123 Die anderweitige Deckung der Kosten der Warmwasserversorgung lässt sich aus § 2 Abs. 2 RSV entnehmen. Die Kosten für Wohnung, Energie, Wohnungsinstandhaltungskosten sind lediglich in Höhe von 8 % in den nach der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe von 1998 (hochgerechnet auf den Betrag von 2004 in Höhe von 20,74 €) ermittelten Kosten für die Unterkunft und Heizung enthalten. Die Warmwasserkosten werden um die Kosten für Reparaturen gekürzt und um die übrigen Haushaltsenergiekosten, wie für Kochfeuerung, Strom etc., bereinigt. Der Anteil an der Warmwasserbereitung beträgt hiervon 30 % des Betrages aus 8 %, mithin 6,22 €. Wohnkosten nach der Verbrauchsstichprobe davon Wohnkostenanteil 8 % (§ 2 Abs. 2 Nr. 3 RSV) davon Anteil an der Warmwasserversorgung 30 %

259,25 €

= 20,74 €

= 6,22 €

Die Warmwasserkosten müssen auf die jeweils maßgebliche Regelleistung umgerechnet werden. Für die Zeit vom 1. Juli 2009 bis zum 30. Juni 2010 ergeben sich aus den Heizkosten herauszurechnende Anteile für die Warmwasserversorgung aus der nachfolgenden Tabelle: Regelleistung

Warmwasseranteil

100 % alt

345,00 €

6,22 €

100 % ab 01.07.09

359,00 €

6,47 €

90 % ab 01.07.09

323,00 €

5,83 €

80 % ab 01.07.09

287,00 €

5,17 €

70 % ab 01.07.09

251,00 €

4,53 €

60 % ab 01.07.09

215,00 €

3,88 €

Ein pauschaler Abzug der Warmwasserkosten ist nicht durchzuführen, wenn die Warmwasserkosten gesondert erfasst werden. In diesem Fall seien die konkret entstandenen Warmwasserkosten aus den Kosten der Unterkunft herauszurechnen (BSG aaO.). Fraglich erscheint, ob angesichts der festgestellten Verfassungswidrigkeit der Regelleistungen (BVerfG Urteil vom 09.02.2010 – BvL 01/09 Rn 178) – und zwar im Hinblick auf die fehlerhaft ermittelten Kosten der Haushaltsenergie (Kosten für Strom wurden verfassungswidrig um 15 % gekürzt) – diese Rechtsprechung weiter Anwendung finden kann. Das BVerfG hat die Regelleistungen bis zum 31 Dezember 2010 112

I. Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes

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weiter für anwendbar erklärt, so dass auch die aus ihnen hergeleiteten Ergebnisse bis dahin weiter angewendet werden können. Nach dem 31. Dezember 2010 muss geprüft werden, ob diese m.E. praktikable Rechtsprechung auf die neue Gesetzeslage weiter anwendbar bleibt. Hinweis: Es empfiehlt sich vor der prozessualen Geltendmachung zuviel abgezogener 124 Warmwasserkosten immer zu überprüfen, ob die Warmwasserkosten in der Jahresabrechnung nicht gesondert ausgewiesen sind. Nach § 4 Abs. 1 der Verordnung über die Heizkostenabrechnung (BGBl. I 5.10.2009 S. 3250) sind die Vermieter verpflichtet, den Warmwasserverbrauch (gesondert) zu erfassen. Gegen die Ermittlung der Warmwasserkosten durch einen besonderen Warmwasserzähler kann eingewandt werden, dass dieser nicht den Wärmeverbrauch, sondern lediglich die Menge verbrauchten Warmwassers misst, so dass eine exakte Verbrauchsmessung in keinem Fall vorliegt. Zu den Unterkunftskosten gehören auch Nachforderungen des Vermieters für Betriebskostenabrechnungen (vgl. LPK-SGB II/Berlit zu § 22 Rn 19). Beispiel: Der HB steht seit Januar 2008 bei dem LT im Leistungsbezug. Am 1. März 2008

erhält er von seinem Vermieter eine Betriebskostenabrechnung für das Jahr 2006 über einen Betrag in Höhe von 600 €, zahlbar spätestens zum 31. März 2008. Der HB beantragt am 2. Juni 2008 unter Vorlage der Abrechnung seines Vermieters bei dem LT die Übernahme der Kosten.

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Der LT lehnt die Übernahme ab und verweist darauf, dass die Abrechnung nicht rechtzeitig vorgelegt worden sei; es handele sich um Schulden, die nicht übernommen werden, außerdem bestehe kein Anspruch auf die Nebenkosten, weil durch die Nachforderung die Grenze der angemessenen Heizkosten überschritten sei. Er erhalte bereits monatlich einen Betrag für die Bruttowarmmiete in Höhe von 320 € und habe hierdurch die Grenze der Angemessenheit nach den Richtlinien des LT erreicht. Der LT kann sich nicht darauf berufen, dass der HB den Leistungsantrag nicht unverzüglich gestellt hatte, hierfür bietet das Gesetz keine Anhaltspunkte (LSG NRW Urteil vom 22.01.2001 L 7 AS 44/08). Um Schulden handelt es sich nicht, weil die Forderung des Vermieters erst mit der Abrechnung fällig wird. Der LT wird sich nicht darauf berufen können, dass die Kosten von Unterkunft und Heizung durch die Betriebskostennachforderung unangemessen geworden ist, denn nach § 22 Abs. 1 S. 3 sind unangemessene Kosten der Unterkunft so lange zu berücksichtigen, wie dem HB eine Senkung der Unterkunftskosten nicht möglich ist. § 22 Abs. 1 S. 3 bezieht sich nicht nur auf Wohnkosten, die zu Beginn des Leistungsbezuges unangemessen waren, sondern auch auf Kosten der Unterkunft, die erst während des Leistungsbezuges unangemessen werden (LPK SGB II/Berlit zu § 22 Rn 63).

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Zu den Kosten der Unterkunft gehören auch wirksam auf den Mieter abgewälzte

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n Schönheitsreparaturen (BSG Urteil vom 19.03.2008 – B 11 b AS 31/06 R) und n Kosten für Ein- und Auszugsrenovierung (BSG Urteil vom 16.12.2008 – B 4 AS 49/07 R für die Einzugsrenovierung). Auch die Renovierungskosten müssen mietvertraglich geschuldet sein und sich im Rahmen der Angemessenheit bewegen. 113

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