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Stefan Hesse

Die mittelalterliche Siedlung Vriemeensen im Rahmen der südniedersächsischen Wüstungsforschung unter besonderer Berücksichtigung der Problematik von Kleinadelssitzen Dissertation Göttingen 2 0 0 0 (Prof. Dr. H a n s ­ G e o r g Stephan)

Landesherrliche Großburgen, Städte und Pfalzen stan­ den aufgrund ihrer Rolle als Schauplatz wichtiger hi­ storischer E n t w i c k l u n g e n oder Ereignisse schon früh im Blickpunkt der (archäologischen) Forschung. Die in der vorliegenden Dissertation behandelten W ü s t u n ­ gen und Kleinadelssitze ­ letztere in der Forschungsli­ teratur h ä u f i g mit den T e r m i n i Motte, W o h n t u r m , Turmburg, Festes Haus, Steinwerk etc. umschrieben ­ fanden j e d o c h nicht i m m e r die ihnen g e b ü h r e n d e Be­ achtung. Dies gründet hauptsächlich auf den zumeist fehlenden oder stilistisch k a u m einzuordnenden Bau­ relikten und den nur schwer zu erschließenden histori­ schen und archäologischen Quellen. Anlaß und G r u n d l a g e dieser Arbeit lieferten archäolo­ gische U n t e r s u c h u n g e n an mehreren Kleinadelssitzen in Südniedersachsen (Bernshausen, Radolfshausen, Vriemeensen).' In den Jahren 1994­95 und 1998­99 fanden in der W ü s t u n g V r i e m e e n s e n , Ldkr. Göttingen (Abb. 1), forschungsorientierte N o t g r a b u n g e n unter F e d e r f ü h r u n g der Kreisarchäologie Göttingen (Dr. K. Grote) statt, bei denen insgesamt 1.600 m 2 Fläche un­ tersucht, über 34.000 F u n d e geborgen und k n a p p 200 B e f u n d e dokumentiert wurden. Die A u s w a h l der Gra­ bungsflächen geschah gezielt nach Forschungsinteres­ se. Nach d e m A b s c h l u ß der Geländetätigkeiten ist die W ü s t u n g V r i e m e e n s e n die f u n d r e i c h s t e D o r f w ü s t u n g Südniedersachsens und eine der am besten erforschten und erschlossenen in diesem Gebiet. A u f g r u n d dessen bildet sie den S c h w e r p u n k t der vorliegenden Disserta­ tion. Das H a u p t a u g e n m e r k der archäologischen Untersu­ chungen in V r i e m e e n s e n lag auf mehreren M a s s i v ­ bauten, die mit dem W i r k e n des lokalen Adelsge­ schlechtes ­ der Herren von M e e n s e n ­ in Z u s a m m e n ­ hang zu bringen sind. Hierbei handelte es sich u m ei­ nen W o h n t u r m , die örtliche Pfarrkirche und u m ein Steinwerk mit V o r d e r h a u s (Abb. 2). Die Siedlung selbst ist als Dorf mittlerer Größe (ca. 5 0 0 m x 150 m maximale A u s d e h n u n g ) anzusprechen, die als Schwester­ oder A u s b a u s i e d l u n g des noch bestehen­ den Ortes M e e n s e n angelegt wurde. Sie befand sich in

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Abb. 1 Die Lage der Wüstung Vriemeensen (Stern) innerhalb Niedersachsens.

der N ä h e eines nachrangigen A b z w e i g e s des Hellwe­ ges, der das Rheinland mit d e m H a r z g e b i e t verband. Als Standort w u r d e ein siedlungsgünstiger Südhang gewählt, in dessen unmittelbarer U m g e b u n g ehemals der G l o c k e n b a c h verlief. A n l a ß für intensivere archäologische Untersuchun­ gen gab 1994 eine N o t g r a b u n g an einem Massivbau, der bis dahin als Kirche gedeutet wurde, j e d o c h schon während der A u s g r a b u n g zweifelsfrei als W o h n t u r m identifiziert werden konnte. A u c h in den folgenden G r a b u n g s k a m p a g n e n lag das H a u p t a u g e n m e r k auf der materiellen und baulichen Ä u ß e r u n g der A n w e s e n h e i t eines Ortsadelsgeschlechtes, das in den schriftlichen Quellen als Herren von M e e n s e n oder V r i e m e e n s e n erschien. In der ersten H ä l f t e oder u m die Mitte des 12. Jahrhunderts errichteten sie einen W o h n t u r m im

Archäologische Informationen 23/2, 2000, 281-286

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V r i e m e e n s e n , Ldkr. 400

G ö t t i n g e n , mit M e ß ­ 500

s y s t e m und G r a b u n g s ­ flächen.

R a n d b e r e i c h des D o r f e s . Bis zur Z e r s t ö r u n g des Tur­ m e s im zweiten Drittel des 14. J a h r h u n d e r t s wurden

durch nahezu vollständige gebrannte G e f a c h e in der A b b r u c h s c h i c h t des T u r m e s belegt ist (Abb. 3). Dort

im zugehörigen H o f b e r e i c h zahlreiche N e b e n g e b ä u d e , A b f a l l g r u b e n u.ä. angelegt, j e d o c h keinerlei Befest­

b e f a n d sich ab d e m späten 13. Jahrhundert ein Ka­ ch el o f en , der a u f g r u n d von Spitzkacheln mit runder oder viereckiger M ü n d u n g und F r a g m e n t e n des aus L e h m errichteten K a c h e l o f e n s als mehrgliedriger T u r m o f e n rekonstruiert werden kann. Der A b b r u c h des W o h n t u r m e s ist für das zweite Drittel des 14. Jahrhunderts anzusetzen. Von diesem Ereignis zeugen zahlreiche Funde, die sich in einer ausgeprägten Brandschicht erhalten haben. Zu den spektakulärsten zählen sicherlich Reste eines gepan­ zerten Handschuhs, wie er ab etwa d e m zweiten Drit­ tel des 14. Jahrhunderts üblich wurde. Die übrigen F u n d e (Gefäßreste, O f e n k a c h e l n , Radsporn, Stab­ schlüssel, L a m p e usw.) geben einen stichprobenhaften Einblick in das Inventar eines niederadeligen Haus­ haltes. Das U m f e l d des W o h n t u r m e s wies keinerlei Reste von B e f e s t i g u n g s w e r k e n a u f . Vermutlich vermittelte der Adelshof ­ abgesehen vom W o h n t u r m ­ den An­ blick eines größeren bäuerlichen G e h ö f t e s . Im Zuge der archäologischen U n t e r s u c h u n g e n des U m f e l d e s

igungsanlagen wie W a l l , G r a b e n etc. Somit liegt hier ein repräsentativer W o h n b a u mit nur nachrangiger W e h r f u n k t i o n vor. Die a r c h ä o l o g i s c h e n U n t e r s u c h u n g e n von 1994 und 1998 erfaßten den W o h n t u r m der Herren von M e e n s e n und a u s s c h n i t t h a f t dessen U m f e l d . N a c h A u s w e r t u n g der F u n d e und B e f u n d e w u r d e der T u r m ­ bau in der ersten H ä l f t e oder um die Mitte des 12. Jahrhunderts errichtet. Der 9,6 x 12,0 m große M a s ­ sivbau besaß eine F u n d a m e n t s t ä r k e von 2,1 m, die sich im A u f g e h e n d e n nach z w e i m a l i g e m A b t r e p p e n auf etwa 1,5 m verjüngte. A u s s a g e n über das weitere a u f g e h e n d e M a u e r w e r k und dessen m ö g l i c h e Erschei­ nungsbild lassen sich nur über A n a l o g i e n und auf­ grund des G r u n d r i s s e s und der M a u e r s t ä r k e treffen. D a s Dach des W o h n t u r m e s wird wahrscheinlich als Satteldach zu rekonstruieren sein, wie ein deutlich ausgeprägter T r a u f g r a b e n andeutet. Das letzte Ober­ geschoß war in F a c h w e r k b a u w e i s e ausgeführt, was

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Abb. 3 Rekonstruktionsvorschlag für den Wohnturm in Vriemeensen, Ldkr. Göttingen.

gelang der N a c h w e i s m e h r e r e N e b e n g e b ä u d e (Gru­ benhäuser, Pfostenbauten, Schwellbalkenbauten). Ein weiterer p r o f a n e r Steinbau konnte 1995 und 1999 untersucht werden ( H E S S E 2000, 87 ff.). Hierbei handelt es sich u m den B a u t y p eines sogenannten

Steinwerkes mit Vorderhaus, der bislang fast aus­ schließlich im städtischen Kontext beobachtet wurde. Lediglich in Diderikeshusen bei Büren, Ldkr. Pader­ born ( B E E R G M A N N 1993, 103 ff.), w u r d e ein ver­ gleichbarer Bau der Zeit um 1300 im Bereich einer ländlichen Siedlung beobachtet. M ö g l i c h e r w e i s e be­

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k ö n n e n . Auf die sozial h e r a u s g e h o b e n e Nutzerschicht verweist nicht nur der B a u t y p selbst, sondern auch Funde, wie beispielsweise das F r a g m e n t eines romani­ schen Leuchters aus Buntmetall, der vermutlich um 1200 datiert. Für die regionale relative Keramikchro­ nologie ist vor allem die große M e n g e der als nahezu zeitgleich a n z u s p r e c h e n d e n F u n d e von Bedeutung. Die Pfarrkirche St.­Laurentius konnte 1995 voll­ ständig ergraben werden ( H E S S E 1996, 7 ff.). Bei d e m 21,5 m langen und 7,9­8,0 m breiten Bau, konn­ ten trotz der schlechten E r h a l t u n g s b e d i n g u n g e n des M a u e r w e r k e s ( A u s b r u c h g r u b e n ) insgesamt drei Bau­ phasen ermittelt werden. Der vermutlich im späten 12. Jahrhundert angelegte Bau mit W e s t t u r m , Langhaus und C h o r mit Apsis (Abb. 4.1) wurde im 13. Jahrhun­ dert u m einen A n n e x im nördlichen Bereich erweitert (Abb. 4.II) Letzterer diente wahrscheinlich als Grable­ ge f ü r ein Teil der Familie der Herren von Meensen. Somit handelt es sich bei ihm vermutlich um den F u n k t i o n s n a c h f o l g e r der Grablege in der St.­Johannis­ kirche in M e e n s e n (s.u.), wie auch die Ähnlichkeit

II

beider Kirchenbauten nahelegt. In der dritten Baupha­ se (Abb. 4.III) w u r d e der Bau mit einem Stützpfeiler im Apsisbereich versehen. U n g e w ö h n l i c h war bei die­ sem Bau, daß e b e n s o wie beim W o h n t u r m und Stein­ werk bereits im späten 12. Jahrhundert engobierte Flachziegel zum Einsatz k a m e n , die eine Muster­ oder F a r b d e c k u n g belegen. N a h e z u identische E x e m p l a r e fanden sich in d e m ca. 8 km entfernten ehemaligen Stift Hilwartshausen, zu dem die Herren von Meensen enge V e r b i n d u n g e n besaßen. Unter den herausragen­

III

Abb. 4 Schematische Darstellung der Bauphasen I-III der Laurentiuskirche in Vriemeensen, Ldkr. Göttingen.

den F u n d e n im Brandschutt der Kirche sind zahlreiche F r a g m e n t e eines S p a n g e n h a r n i s c h e s oder Plattenrok­ kes zu nennen, der vermutlich nach der Zerstörung des W o h n t u r m e s in der Kirche als letztem erhaltenen Steinbau lagerte.

f a n d sich auch in der W ü s t u n g M e d e n h e i m bei Nort­ heim, Ldkr. N o r t h e i m , ein ähnlicher G e b ä u d e t y p ( C A L L A U C H & T E U B E R 1994, 216 ff.). Das V n e ­ m e e n s e n e r E x e m p l a r entstand vermutlich im späten 12. Jahrhundert und fiel bereits im zweiten Viertel des 13. Jahrhunderts einem Brand z u m O p f e r . Das Vor­ derhaus in P f o s t e n ­ S c h w e l l b a l k e n ­ M i s c h b a u w e i s e be­

In die G e s a m t b e t r a c h t u n g der W ü s t u n g wurden außer den ergrabenen Flächen auch die restlichen Bereiche des Siedlungsareals mit einbezogen, die in ihrer Ge­ samtheit seit den 1950er Jahren kontinuierlich began­

saß eine L ä n g e von e t w a 12 m und eine Breite von ca. 8,5 m. Die A b m e s s u n g e n sind mit ähnlichen Bautypen aus B r a u n s c h w e i g , H ö x t e r und der S t a d t w ü s t u n g Nie­ nover vergleichbar. Das 9,6­10,0 x 6,8 m große, etwa 1,4 m halbkellerartig eingetiefte steinerne Hinterhaus wies eine M a u e r s t ä r k e von 0,9­1,4 m auf. A u f g r u n d der zahlreichen verstürzten Kalksteinbrocken aus der V e r f ü l l u n g s s c h i c h t ist mit ein bis zwei massiven O b e r g e s c h o s s e n zu rechnen. N e b e n diesen Baurelik­ ten fanden sich m e h r e r e tausend K e r a m i k f r a g m e n t e , die sowohl die Funktion als Speicher ­ zumindest des Kellers und m ö g l i c h e r w e i s e auch des darauf folgen­

gen und feinkartiert wurden. Die A u s w e r t u n g der Funde und der schriftlichen Quellen ließen Phasen der Prosperität und der Regression erkennen und zeitlich einordnen. Nach A u s w e r t u n g des gesamten F u n d m a ­ terials ist von einer S i e d l u n g s g r ü n d u n g im frühen 9. Jahrhundert oder um 800 und dem Wüstfallen des Dorfes im L a u f e des 14. Jahrhunderts auszugehen. Als wesentliche W ü s t u n g s u r s a c h e n sind Verkarstungser­ scheinungen im Bereich des örtlichen Bachlaufes und die A n l a g e eines V o r w e r k e s durch das Kloster Lip­ poldsberg a n z u f ü h r e n . V e r m u t l i c h wurde im selben Areal der Hof des A m t e s B r a c k e n b e r g im 16. Jahr­ hundert errichtet, n a c h d e m man die um 1300 in der

den G e s c h o s s e s ­ belegen, als auch zur genauen Da­ tierung des A u f g a b e z e i t p u n k t e s h e r a n g e z o g e n werden

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Abb. 5 Der Wohnturm von Radolfshausen bei Ebergötzen, Ldkr. Göttingen.

N ä h e der W ü s t u n g V r i e m e e n s e n erbaute landesherrli­ che B r a c k e n b u r g nicht m e h r nutzen k o n n t e und/oder wollte. Das "Alte Steinhaus" hat sich als Rest dieser A n l a g e bis heute erhalten. Seine E r b a u u n g konnte dendrochronologisch in die Mitte des 16. Jahrhunderts datiert werden. Durch die A u s w e r t u n g gedruckter und ausgewähl­ ter ungedruckter schriftlicher Quellen konnte neben der Besitzgeschichte von M e e n s e n und der W ü s t u n g V r i e m e e n s e n auch die G e n e s e der Herren von M e e n ­ sen schlaglichtartig erhellt werden. Der A u f s t i e g der Niederadelsfamilie erfolgte im 12./13. Jahrhundert, wohingegen f ü r das 14. Jahrhundert deren allmähli­ cher sozialer und wirtschaftlicher N i e d e r g a n g belegt werden konnte. Für die Mitte des 13. Jahrhunderts ge­ lang es die Besitzungen der Herren von M e e n s e n nachzuweisen, die sich vorwiegend im R a u m um H o f ­ geismar konzentrierten, und sich somit in peripherer Lage zum Stammsitz befanden. W ä h r e n d der G r a b u n g e n am W o h n t u r m konnten wei­ terhin B e f u n d e der R ö m i s c h e n Kaiserzeit aufgedeckt werden. Die g e r m a n i s c h e Siedlung, auf die bereits der Ortsname hinwies, bestand vornehmlich im 2. Jahr­ hundert und beschränkte sich wohl auf mindestens vier Hofstellen. Eine Kontinuität bis zum Einsetzen der ersten mittelalterlichen Siedlungsaktivitäten im 9. Jahrhundert ist nicht zu belegen, aber auch nicht voll­ ends zu verwerfen. Für eine Betrachtung k o m p l e x e r siedlungsge­ schichtlicher V o r g ä n g e war weiterhin die Berücksich­

tigung der Situation in den restlichen W ü s t u n g e n der G e m a r k u n g ( B e w i n g e n , R o s t h a g e n und Kerndal) von­ nöten. B e s o n d e r e B e r ü c k s i c h t i g u n g fanden die ar­ chäologischen U n t e r s u c h u n g e n im Bereich des noch bestehenden D o r f e s M e e n s e n , die sich j e d o c h auf eine B a u s t e l l e n b e o b a c h t u n g in den 1960er Jahren und ei­ ner G r a b u n g im Bereich des W e s t t u r m e s der Johan­ niskirche beschränkten. D a s k e r a m i s c h e Fundmaterial legt auch in M e e n s e n ein Einsetzen der Besiedlung spätestens um 800 oder im L a u f e des frühen 9. Jahr­ hunderts nahe. W ä h r e n d der U n t e r s u c h u n g e n im T u r m der Johanniskirche konnten m e h r e r e Gräber des 12./13. Jahrhunderts freigelegt werden ( G R O T E 1996, 15 ff.), die wohl in Z u s a m m e n h a n g mit den Herren von M e e n s e n oder der ab d e m 13. Jahrhundert in M e e n s e n nachweisbaren Familie G r o p e gestellt wer­ den dürfen. N eb en dieser hier nur s k i z z e n h a f t w i e d e r g e g e b e n e n M i k r o s t u d i e des K l e i n r a u m e s M e e n s e n , fand eine Er­ fassung aller Kleinadelssitze im Ldkr. Göttingen statt, da besonders die hiermit v e r b u n d e n e Problematik bis­ her nur marginal B e a c h t u n g fand und somit ein Desi­ derat der archäologischen und historischen F o r s c h u n g berührte. Als g r u n d l e g e n d e V o r a u s s e t z u n g für eine wissenschaftliche Betrachtung galt es weiterhin, eine klare, eindeutige T e r m i n o l o g i e zu entwickeln und er­ ste Ansätze für eine typologische B e s c h r e i b u n g von T u r m b a u t e n zu entwerfen, die die E r f a s s u n g quantifi­ zierbarer Daten zuläßt. Die hieraus gezogenen Er­ kenntnisse helfen, E n t w i c k l u n g s t e n d e n z e n im süd­

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nieders ächs is ch e n und a n g r e n z e n d e n Gebiet zu erken­ nen. B e s o n d e r e r B e d e u t u n g k a m dabei der E r f a s s u n g

somit nicht als A u s n a h m e gewertet werden, sondern ist im Arbeitsgebiet h ä u f i g e r zu beobachten und zu

archäologischen F o r s c h u n g z.T. noch vernachlässig­ ten P e r s o n e n k r e i s e und deren E i n f l u ß n a h m e auf histo­ rische E n t w i c k l u n g e n und Prozesse im regionalen und überregionalen R a h m e n verdeutlichen. Mit der Bear­ beitung der W ü s t u n g V r i e m e e n s e n und der Klein­ adelssitze in Südniedersachsen w u r d e begonnen, eine seit l a n g e m bestehende F o r s c h u n g s l ü c k e zu schließen. B e s o n d e r s die B e r ü c k s i c h t i g u n g der kleineren Adels­ sitze leistet einen wesentlichen Beitrag zum Verständ­

erschließen. Die h e r a u s r a g e n d e Stellung der W ü s t u n g V r i e m e e n s e n f u ß t v i e l m e h r in der für eine ländliche

nis der mittelalterlichen Gesellschaft im ländlichen Raum.

aller v o r h a n d e n e r und historisch­topografisch nach­ weisbarer Kleinadelssitze im L a n d k r e i s Göttingen zu. Hier zeichnet sich eine a u f f ä l l i g e Dichte derartiger Bauten ab. Die Situation in der W ü s t u n g V r i e m e e n s e n mit zwei mittelalterlichen p r o f a n e n Steinbauten kann

Siedlung relativ reichhaltigen schriftlichen Überliefe­ rung und der qualitätvollen E r s c h l i e ß u n g archäologi­ scher Quellen.

Anmerkung

Die M ö g l i c h k e i t e n der A u s s a g e k r a f t von archäolo­ gischen G r a b u n g e n in K o m b i n a t i o n mit bauhistori­ schen U n t e r s u c h u n g e n k o n n t e am Beispiel der W ü ­ stung R a d o l f s h a u s e n bei E b e r g ö t z e n , L a n d k r e i s Göt­

1 Mit dem Begriff Südniedersachsen werden im folgenden die Landkreise Northeim, Göttingen und Osterode am Harz umschrieben.

tingen, dargelegt w e r d e n (Abb. 5; vgl. H E S S E 1998, 73). Hier g e l a n g es f ü r den bisher in das f r ü h e 16.

Literatur

Jahrhundert datierten W o h n t u r m eine E r b a u u n g in der ersten H ä l f t e des 13. J a h r h u n d e r t s wahrscheinlich zu

BERGMANN, Rudolf (1993) Die archäologische Untersuchung einer Hofstelle in der Ortswüstung Diderikeshusen bei Büren, Kr. Paderborn. In: BENDIX, Trier (Hrsg.) Zwischen Pflug und Fessel. Mittelalterliches Landleben im Spiegel der Wüstungsforschung. Aufsätze u. Kat. z. Ausstellung. Münster i. W. 1993, 103-118.

m a c h e n . Eine interdisziplinäre Z u s a m m e n a r b e i t zwi­ schen A r c h ä o l o g i e und B a u f o r s c h u n g , wie sie hier de­ monstriert w u r d e , verspricht auch bei anderen noch obertägig sichtbaren A n l a g e n einen nicht unerhebli­ chen E r k e n n t n i s g e w i n n . Bei einer G e g e n ü b e r s t e l l u n g von privater Adels­ burg und W e h r k i r c h e oder K i r c h h o f s b e f e s t i g u n g zeig­ te sich, daß beide T y p e n unterschiedliche Funktionen

CALAUCH, Heidrun & Stefan W. TEUBER (1994) Neue Ausgrabungen auf der Wüstung Medenheim, Stadt Northeim, im Jahre 1993. Göttinger Jahrb. 42, 1994, 216-218.

und unterschiedliche zeitliche V e r b r e i t u n g s s c h w e r ­ punkte a u f w e i s e n . W e h r h a f t e mittelalterliche Klein­ adelssitze erschienen in S ü d n i e d e r s a c h s e n vor allem

GROTE, Klaus (1996) Hochmittelalterliche Grabfunde in der St. Johanniskirche in Meensen, Ldkr. Göttingen. Göttinger Jahrb. 44, 1996, 15-27.

im 12. und 13. J a h r h u n d e r t , w o h i n g e g e n K i r c h h o f s b e ­ festigungen b e s o n d e r s im 14./15. Jahrhundert und später angelegt w u r d e n . Allein die T u r m k i r c h e n und m e h r g e s c h o s s i g e n Sakralbauten, denen eine g e w i s s e W e h r h a f t i g k e i t bzw. S c h u t z f u n k t i o n eigen war, er­ schienen wohl vereinzelt im späten 12., vermehrt je­ doch im 13. und 14. Jahrhundert. Für w e h r h a f t e n Sakralbauten war besonders der g e m e i n s c h a f t l i c h e C h a r a k t e r k e n n z e i c h n e n d . Sie dien­ ten nicht nur zur S i c h e r u n g des eigenen Lebens, son­ dern auch der L e b e n s ­ und W i r t s c h a f t s g r u n d l a g e , was w i e d e r u m auch d e m Interesse des G r u n d h e r r e n ent­ sprach. A d e l s b u r g e n oder Herrensitze dienten hinge­ gen zumeist nur einer einzigen Familie als Schutz und symbolisierten deren individuelles Selbstverständnis nach außen.

HESSE, Stefan (1996) Ausgrabungen an der romanischen Wüstungskirche in Vriemeensen bei Meensen, Ldkr. Göttingen ­ Ein Vorbericht. Göttinger Jahrb. 44, 1996, 7-17. HESSE, Stefan (1998) Radolfshausen ­ Ein Beispiel interdisziplinärer Zusammenarbeit an einem Relikt mittelalterlicher Profanarchitektur. Ber. Denkmalpfl. Niedersachsen 2, 1998, 73. HESSE, Stefan (2000) Die Herren von Meensen und ihr Dorf. Arch. Niedersachsen 3, 2000, 87-89.

Stefan Hesse Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege Scharnhorststr. 1 D - 30175 Hannover Stefan, hesse @ nld.niedersachsen.de

Die vorliegende Dissertation legt anhand einer Mikro­ studie des K l e i n r a u m e s M e e n s e n ­ V r i e m e e n s e n die E n t w i c k l u n g eines N i e d e r a d e l s g e s c h l e c h t e s und der von ihr m a ß g e b e n d b e e i n f l u ß t e n Siedlung dar. Sie soll weiterhin die B e d e u t u n g dieser in der historischen und

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