TÜRKEI BULLETIN 08/16 Berichtszeitraum: 16.-30. April 2016 Inhalt u. a.: Machtkampf in der MHP, Schwarze Listen? Türkei verweigert Journalisten die Einreise, Parlamentspräsident sorgt für Laizismus-Debatte, Türkei übernimmt OIC-Vorsitz, Wiederbelebte EUBeziehungen günstig für die Türkei, Überblick Die terroristischen Anschläge auf beliebte Touristenziele in Großstädten der West-Türkei nehmen kein Ende. Der jüngste Anschlag hat sich in der Industriestadt Bursa ereignet. Dort sprengte sich am 27. April eine 25jährige Selbstmordattentäterin in die Luft. Bei der Explosion in der Nähe der „Großen Moschee“, einem touristischen Hotspot, wurden nach Angaben von TV-Sendern mindestens 13 Menschen verletzt. Laut Gesundheitsminister Müezzinoğlu schwebe keiner von ihnen in Lebensgefahr. Ministerpräsident Davutoğlu erklärte kurz vor seiner Reise nach Katar, das Innenministerium untersuche die Identität der Attentäterin und das dahinter steckende Netzwerk. Zu der Tat bekannte sich bislang niemand. Die Türkei verletzt nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte das Recht auf Religionsfreiheit der ca. 20 Mio. Aleviten im Land. Sie würden ohne objektive und einsichtige Rechtfertigung anders behandelt als die Mehrheit der sunnitischen Muslime, entschieden die Straßburger Richter. Damit hatte eine Beschwerde von mehr als 200 Aleviten Erfolg, die sich in der Türkei wegen ihres Glaubens diskriminiert fühlen. Sie wollen u. a. erreichen, dass ihre Gebetshäuser (Cem Evi) und Gottesdienste offiziell anerkannt werden. Ein entsprechendes Gesuch der Religionsgemeinschaft hatte Ankara im Jahre 2005 abgewiesen. Türkische Gerichte bestätigten diese Entscheidung später. Die Angehörigen der alevitischen Glaubensrichtung sind nach den Sunniten die zweitgrößte islamische Religionsgemeinschaft der Türkei; sie gelten als liberaler und legen den Koran offener aus. Der Satiriker Jan Böhmermann will nach seiner Pause am 12. Mai mit einer neuen Folge seiner Satiresendung ‚Neo Magazin Royale‘ ins Fernsehen zurückkehren. Dies gab er auf seiner FacebookSeite bekannt. Nach der Schmähgedicht-Affäre hatte Böhmermann am 16. April eine Pause angekündigt. Währenddessen räumte Bundeskanzlerin Merkel Fehler im Fall Böhmermann ein. „Ich ärgere mich darüber, dass ich am 4. April [in Bezug auf die Satire, Anm. d. Red.] von ‚bewusst verletzend‘ gesprochen habe“, sagte Merkel unmittelbar vor ihrer Abreise in die Türkei. Inzwischen ist eine Fülle privater Strafanzeigen gegen Böhmermann und gegen Verantwortliche des ZDF bei der Staatsanwaltschaft Mainz eingegangen. Die leitende Oberstaatsanwältin sprach von einer Zahl im oberen dreistelligen Bereich, was jedoch rechtlich ohne jeden Belang sei. Das türkische Generalkonsulat im niederländischen Rotterdam hat seine Landsleute dazu aufgerufen, Kritiker des Staatspräsidenten Erdoğan, der Türkei und des türkischen Volkes zu denunzieren. Zivilgesellschaftliche Organisationen waren dazu aufgerufen worden, „zu melden, wenn Personen unseren verehrten Präsidenten, die Türkei oder die türkische Gesellschaft generell erniedrigen, kleinreden, beleidigen und zum Hass gegen sie aufstacheln“. Die niederländische Regierung kritisierte dieses Vorgehen und verwies auf die Justiz: „Wenn es Probleme mit Beleidigungen gibt, dann gibt es dafür juristische Mittel.“ Die Türkei muss nach Ansicht von Präsident Erdoğan bis zum Jahre 2023 rund 110 Mrd. USD in Energieprojekte investieren. Dies sei notwendig, um das geplante Wirtschaftswachstum zu erreichen, sagte er bei einer Rede in Adana. Ankara hat sich zur Hundertjahrfeier der Republikgründung eine Reihe ambitionierter Ziele gesetzt. Dazu gehört auch, die jährliche Wirtschaftsleistung von rund 800 Mrd. auf zwei Bio. USD zu steigern.

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Damit würde das Land zu den zehn größten Wirtschaftsnationen aufrücken. Die Türkei importiert zurzeit rd. 90 Prozent ihres Energiebedarfes und gibt dafür jährlich etwa 50 Mrd. USD aus. Ankara will in Zukunft mehr auf Atomenergie setzen. Mehr als zwei Jahre nach der Verurteilung angeblicher Putschisten der sogenannten ‚Ergenekon‘Verschwörung hat das Berufungsgericht in Ankara die damalige Entscheidung aufgehoben. U. a. seien Beweise rechtswidrig beschafft worden, hieß es nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu zur Begründung. Die Annahme, dass ‚Ergenekon‘ eine Terrororganisation sei, teilte das Berufungsgericht demnach nicht. Der ‚Ergenekon‘ genannte Geheimbund soll u. a. versucht haben, die islamisch-konservative AKP-Regierung und ihren damaligen Ministerpräsidenten Erdoğan zu stürzen. In dem mehrere Jahre andauernden Verfahren standen 275 Verdächtige vor Gericht. Im August 2013 verurteilte ein Istanbuler Gericht viele von ihnen zu lebenslanger Haft, darunter den früheren Generalstabschef Ilker Başbuğ. Die Opposition und Kritiker hatten der Regierung vorgeworfen, den ‚Ergenekon‘- Fall zur Abrechnung mit politischen Gegnern zu missbrauchen.

Machtkampf in der MHP In der rechtsnationalistischen MHP (türk.: Milliyetçi Hareket Partisi, deutsch: Partei der Nationalistischen Bewegung) tobt ein Machtkampf. Erst ein Gerichtsurteil hat dafür gesorgt, dass einem Sonderparteitag stattgegeben wurde. Nachdem es innerparteilich nicht zu einer Einigung gekommen war, setzten von einem Gericht in Ankara bestellte Treuhänder für den 15. Mai einen Sonderparteitag an. Doch Devlet Bahçeli, der die Partei seit fast 20 Jahren führt, will sich nicht so schnell geschlagen geben. Bei der Wahl vom 01. November 2015 gewann die MHP 11,9 Prozent der Stimmen und 40 Sitze in der Großen Nationalversammlung. Bei der vorausgegangenen Wahl im Juni 2015 waren es noch 16,29 Prozent und doppelt so viele Parlamentssitze gewesen. Innerhalb von sechs Monaten hatten der MHP über 2,2 Mio. Wähler den Rücken gekehrt. Frustriert von den Wahlschlappen und vom kompromisslosen Führungsstil des Parteiführers machen einige in der Partei Bahçeli den Vorsitz streitig. Zu ihnen gehören Sinan Oğan, Koray Aydın, Meral Akşener und Ümit Özdağ; sie alle haben ihren Anspruch auf den Parteivorsitz angemeldet. Doch der Termin für den nächsten ordentlichen Parteitag war zunächst für den 18. März 2018(!) angesetzt. So mussten die ‚Oppositionellen‘ für einen Sonderparteitag werben und genug Stimmen der Delegierten sammeln. Letztliche kamen mehr als doppelt so viele Unterschriften zusammen wie erforderlich. Doch Bahçeli mauerte und lehnte einen vorgezogenen Parteitag ab. In den darauffolgenden Wochen fand dann eine regelrechte Säuberungswelle innerhalb der Partei statt. Die Parteizentrale ließ viele Ortsverbände in jenen Provinzen auflösen, in denen Mitglieder mit ihrer Unterschrift für einen Sonderparteitag votiert hatten. Die innerparteiliche Opposition wandte sich daraufhin an die Justiz und bat um die Überprüfung ihres Anliegens. Die von einem Gericht in Ankara beauftragten Treuhänder entschieden sich für die Abhaltung des Sonderparteitages und gaben als Termin den 15. Mai an. Falls an diesem Tag die notwendige Mehrheit zur Wahl eines Parteivorsitzenden nicht zusammenkommt, soll der Parteitag eine Woche später wiederholt werden. Doch Bahçeli will das Feld nicht kampflos räumen. Der Anwalt der MHP-Führung ließ verlauten, er habe bei der nächsthöheren Instanz (türk. Danıştay) Berufung eingelegt, so dass der Beschluss des Gerichts ungültig und gegenstandslos sei. Zugleich signalisierte Bahçeli, dass er gegen seine internen Rivalen ein Disziplinarverfahren einleiten und sie aus der Partei ausschließen könnte. Bahçeli hat den Vorsitz der MHP im Jahre 1997 nach dem Tod des legendären Partegründers Alparslan Türkeş übernommen. Seitdem konnte die Partei nur im Jahre 1999 einen Teilerfolg verzeichnen, als sie Partner einer Dreier-Regierungskoalition wurde. 2002 flog sie sogar aus dem Parlament; seitdem dümpelt die Partei zwischen zehn und 16 Prozent.

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Trotz dieser eher ‚durchwachsenen‘ Bilanz konnte Bahçeli stets seine Führungsposition halten. Am 15. Mai wird nun über seine Zukunft und die der Partei entschieden werden.

Schwarze Listen? Türkei verweigert Journalisten die Einreise Die Türkei ist schon seit vielen Jahren kein einfaches Pflaster für unabhängigen Journalismus. Doch in den letzten Monaten mehren sich Schikanen gegen ausländische Journalisten. Aktuelles Beispiel ist der Fall des US-Journalisten David Lepeska, dem am Istanbuler Atatürk-Flughafen die Einreise verweigert wurde. Nach eigenen Angaben musste er ein Flugzeug nach Chicago besteigen. Lepeska arbeitet seit Jahren in Istanbul als freier Journalist, u. a. für den britischen ‚Guardian‘. Der Grund für seine Ausweisung war zunächst nicht bekannt. Ein weiteres Beispiel ist die Verweigerung der Einreise für den ARD-Korrespondenten Volker Schwenck. Nach eigenen Angaben war seine Einreise „aus Sicherheitsgründen“ verweigert worden. Der stellvertretende Ministerpräsident Numan Kurtulmuş gab zur Erklärung an, Schwenck habe weder eine Presseakkreditierung für die Türkei besessen noch eine solche beantragt. Der Leiter des ARD-Fernsehstudios in Kairo war im Istanbuler Flughafen zwölf Stunden festgesetzt worden und erst am Abend wieder in Kairo eingetroffen. In den ‚Tagesthemen‘ berichtete Schwenck, dass er nicht über den genauen Grund seiner Ausweisung informiert worden sei. „Die Kollegen in Istanbul haben herausgefunden, es hat irgendwas mit „Grenzverletzungen“ zu tun, aber mehr wurde mir nicht mitgeteilt.“ Schwenck war eigenen Angaben zufolge auf dem Weg zu einer Reportage über Flüchtlinge im türkisch-syrischen Grenzgebiet. Der Fall eines ‚Bild‘-Fotografen, dem ebenfalls die Einreise in die Türkei verweigert wurde, und die kurzfristige Festnahme einer niederländischen Journalistin sind weitere Beispiele für die härtere Gangart der türkischen Behörden gegen ausländische Journalisten. Nach diesen Vorfällen häufen sich die Spekulationen über die Existenz einer „Schwarzen Liste“, auf der die Namen jener ausländischen Journalisten stehen sollen, denen die Einreise in das Land verweigert werde. Der Deutsche Journalistenverband (DJV) kritisierte das Schikanieren ausländischer Journalisten durch türkische Behörden und verlangte vom deutschen Auswärtigen Amt (AA) Auskunft über die genannte „Schwarze Liste“. Der DJV-Bundesvorsitzende Frank Überall forderte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier in einem offenen Brief auf, bei den türkischen Behörden tätig zu werden. Aus dem AA hieß es: „Die Bundesregierung erwartet, dass deutsche Journalisten in der Türkei ihrer Aufgabe – der Berichterstattung über die Türkei und die Region – ungehindert nachgehen können.“ Dem Ministerium sei nicht bekannt, „auf welcher Grundlage“ in den einzelnen Fällen die Einreise verweigert worden sei. Unklar bleibt, ob es bei den türkischen Behörden tatsächlich eine oder mehrere „Schwarze Listen“ gibt. Auch EU-Parlamentspräsident Martin Schulz kritisierte das Verhalten der türkischen Regierung. „Listen mit Journalistennamen haben in Demokratien nichts zu suchen“, sagte der sozialdemokratische Politiker. Sollten die türkischen Behörden tatsächlich „Schwarze Listen“ mit den Namen unerwünschter Reporter führen, müssten diese offengelegt werden.

Parlamentspräsident sorgt für Laizismus-Debatte Der türkische Parlamentspräsident Ismail Kahraman hat mit einer provokanten Aussage über den Laizismus für hitzige Diskussionen gesorgt. Auf einer Konferenz sprach Kahraman von der Notwendigkeit, die Verfassung zu ändern und dabei den Laizismus abzuschaffen. „Wir sind ein muslimisches Land. Deshalb brauchen wir eine religiöse Verfassung“, sagte der AKP-Politiker. Für Laizismus sei indes kein Platz. „Warum sollten wir uns als muslimisches Land von der Religion distanzieren?“, wird Kahraman zitiert. Kahramans Worte haben prompt für heftige Kritik gesorgt. So äußerte sich der Oppositionsführer Kemal Kılıçdaroğlu von der säkular-kemalistischen Republikanischen Volkspartei (CHP) über Twitter:

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„Der Sumpf im Nahen Osten ist das Werk von Politikern wie Euch, die die Religion für politische Ziele missbrauchen. Den Laizismus gibt es, damit alle ihre Religion frei ausüben können.“ Außerdem halte er die Debatte für unangebracht: „Jeden Tag verlieren wir Märtyrer, Raketen regnen über unsere Grenzen herab und Ihr redet von Laizismus! Benutzt nicht die Religion, um eure dreckigen Rechnungen zu begleichen!“, schrieb der Politiker. In Ankara kam es zu spontanen Ansammlungen von Menschen; Hunderte demonstrierten gegen Kahramans Aussage. Die Polizei setzte Tränengas gegen die Demonstranten ein. Regierungschef Davutoğlu distanzierte sich von der Aussage Kahramans. Er bekräftigte, die geplante neue Verfassung für die Türkei werde den Grundsatz des Laizismus beinhalten: „Der Laizismus wird im Entwurf der neuen Verfassung als Prinzip aufgeführt, dass die Religions- und Glaubensfreiheit der Bürger garantiert und sicherstellt, dass der Staat den gleichen Abstand zu allen Glaubensgemeinschaften hält.“ Der Charakter der Türkei als laizistischer, demokratischer und sozialer Rechtsstaat stehe nicht zur Debatte. Davutoğlu unterstrich zugleich, dass sich die AKP von einer als Diskriminierung frommer Muslime empfundenen orthodoxen Auslegung des Laizismus distanziert. „In unserer neuen Verfassung werden wir einem freiheitlichen Verständnis des Laizismus Raum bieten“, so der Regierungschef. Staatschef Erdoğan machte ebenfalls deutlich, dass er die Ansicht des Parlamentspräsidenten nicht teile. Während seines Staatsbesuchs in Kroatien betonte Erdoğan, es habe sich um Kahramans persönliche Sichtweise gehandelt. „Meine Position dazu ist bekannt. Der Staat soll zu allen Religionen dieselbe Distanz wahren. Das ist Laizismus“, erklärte das Staatsoberhaupt in Zagreb. Geäußert hat sich auch der Vorsitzende der türkischen Verfassungskommission, Mustafa Şentop. Er betonte gegenüber Journalisten, dass es in der AKP keinerlei Diskussionen gegeben habe, den Laizismus abzuschaffen. Im neuen Verfassungsentwurf werde der Laizismus als Grundsatz jedenfalls beibehalten. Kritiker suchen jetzt nach der wahren Absicht hinter Kahramans Aussage, denn an Zufälle glauben nur noch wenige in der Türkei. Dass er dies gesagt haben könnte, ohne sich vorher mit dem allmächtigen Präsidenten abgesprochen zu haben, erscheint nahezu unmöglich. Kahramans Äußerung über die „religiöse Verfassung“, so heißt es häufig, habe, wenn auch unabsichtlich, die wahren Wünsche der AKP offenbart. Der 76jährige Kahraman, ein früherer Abgeordneter der „Tugend-Partei“ und Minister des islamistischen Premiers Necmettin Erbakan in den 1990er Jahren, war von Erdoğan erst 2015 in die aktive Politik zurückgeholt worden; bei den Parlamentswahlen im November führte er die Kandidatenliste der AKP in Istanbul an. Als Parlamentspräsident leitete er dann auch den Verfassungsausschuss, der Erdoğan endlich das lang ersehnte Präsidialsystem bescheren soll. Artikel 2 der Verfassung definiert die Türkei als „demokratischen, laizistischen und sozialen Rechtsstaat“. Doch das Prinzip des Laizismus steht mittlerweile immer öfter nur noch auf dem Papier – vor Gerichtsurteilen schützt es jedenfalls nicht mehr: Die beiden ‚Cumhuriyet‘-Kolumnisten, Ceyda Karan und Hikmet Çetinkaya, wurden vorige Woche zu zwei Jahren Haft verurteilt. Sie hatten nach dem Anschlag auf ‚Charlie Hebdo‘ im Januar 2015 eine kleine Mohammed-Karikatur über ihre Kolumne gestellt. Die Staatsanwaltschaft warf den beiden Journalisten vor, mit dem Abdruck der Karikatur in ihren Kolumnen den öffentlichen Frieden gestört sowie die religiösen Werte der Menschen in der Türkei beleidigt zu haben. Karan und Çetinkaya wollen Berufung einlegen.

Türkei übernimmt OIC-Vorsitz Das 13. Gipfeltreffen der „Organisation für Islamische Zusammenarbeit“ (engl.: Organization of Islamic Cooperation/OIC) hat am 15. April in Istanbul mit der Annahme der gemeinsamen Schlusserklärung geendet. Die Türkei, die erstmalig seit Gründung der OIC im Jahre 1969 Gastgeber war, übernahm für die kommenden zwei Jahre den Vorsitz von Ägypten. Am Treffen, das unter extremen Sicherheitsvorkehrungen stattfand, nahmen zahlreiche Staats- und Regierungschefs teil.

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Themen des Treffens waren u.a. die Bekämpfung des islamistischen Terrors, die Lösung der Flüchtlingskrise, die in Europa zunehmende Islamophobie und die zahlreichen bewaffneten Konflikte in der islamischen Welt. Doch die Konferenz wurde überlagert vom Ringen um die Vorherrschaft in der Region zwischen dem sunnitischen Saudi-Arabien und dem schiitischen Iran. Saudi-Arabien und Iran rivalisieren u. a. in den Konflikten in Syrien und im Jemen miteinander. Vor dem Gipfel war spekuliert worden, dass sich Saudi-Arabien darum bemühen werde, die iranische Mitgliedschaft in der größten Staatengemeinschaft nach der UNO suspendieren zu lassen. Es blieb am Ende bei einer Spekulation. Doch zu einem versöhnlichen Händedruck zwischen dem saudischen König Salman und dem iranischen Präsidenten Rohani kam es dennoch nicht. Salman reiste am ersten Tag nach seiner Rede unverzüglich ab. Die Beziehungen zwischen Riad und Teheran sind seit der Hinrichtung eines schiitischen Geistlichen in Saudi-Arabien auf einem Tiefpunkt. Als Reaktion auf die Exekution hatten wütende Demonstranten Saudi-Arabiens Botschaft in Teheran gestürmt. Ein weiterer Konflikt besteht zwischen dem Gastgeber Türkei und Ägypten. Der ägyptische Präsident Sisi war erst gar nicht zum Gipfel angereist und ließ sich von Außenminister Sameh Shoukry vertreten. Die Beziehungen zwischen beiden Ländern sind seit dem Militärputsch gegen den abgesetzten Präsideneten Mursi und der Machtübernahme durch Sisi sehr angespannt. In der Schlusserklärung kritisierte die OIC-Konferenz „die Einmischung des Iran in interne Angelegenheiten von Staaten der Region“, darunter Bahrain, Jemen, Syrien und Somalia, und seine „fortdauernde Unterstützung für Terrorismus“. Angesichts der Kritik an seinem Land blieb Präsident Rohani der Abschlusssitzung fern. Auch die libanesische Schiitenmiliz Hisbollah, die enge Beziehungen zu Teheran unterhält, wurde „wegen terroristischer und die Sicherheit und Stabilität unterminierender Aktivitäten“ verurteilt. Die Arabische Liga hatte bereits im März 2016 die Hisbollah als ‚Terrorgruppe‘ eingestuft, weil sie im syrischen Bürgerkrieg Machthaber Assad unterstütze. Der türkische Präsident Erdoğan gab außerdem bekannt, die OIC habe seinen Vorschlag akzeptiert, ein multinationales Polizeizentrum zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus mit Sitz in Istanbul zu gründen. Die neue Arbeitsstruktur werde unter dem Namen ‚OIC-Zentrum Polizeikooperation und -koordination‘ operieren. Laut Erdoğan ist beabsichtigt, die Terrormiliz ‚Islamischer Staat‘ (IS) im Irak und Syrien, Boko Haram in Westafrika und die al-Shabab-Miliz in Ostafrika zu zerschlagen. Sie seien alle „Terrororganisationen, die Muslime unterdrücken und ihnen schaden“. Erwähnenswert ist zudem, dass in der sogenannten „Istanbul-Deklaration“ im gleichen Satz neben diesen fundamentalistischen Terrormilizen auch die kurdischen Terrororganisationen PKK, PYD und YPG erwähnt werden. Hierfür dürfte die Gastgeberrolle der Türkei ausschlaggebend gewesen sein. Wiederbelebte EU-Beziehungen günstig für die Türkei In einem Fernsehinterview hat der frühere türkische Finanzminister und jetzige Vizepremier für Wirtschaftsfragen, Mehmet Şimşek, deutlich werden lassen, dass die Türkei von der Wiederbelebung der Kontakte zur Europäischen Union profitiert. „Unsere Annäherung an die EU hat die Risikoprämie der Türkei reduziert. Wir sehen wieder einen verstärkten Kapitalzufluss, der sich sowohl bei den Kreditzinsen als auch bei sinkenden Zinsen für Staatsanleihen bemerkbar macht.“ Dies werde sich mittelfristig auch auf die Landeswährung auswirken, die wieder an Stabilität gewinne. Die „Rückkehr der Türkei zu einer Reformagenda“ sei neben der Wiederannäherung an die EU und wachsendem Optimismus auf den globalen Märkten Auslöser für diese positive Entwicklung, so Şimşek. Positiv wertet der Vizepremier auch den von Marktbeobachtern zunächst mit großen Zweifeln erwarteten Wechsel an der Spitze der Türkischen Zentralbank. Die Investoren – so Şimşek – hätten „volles Vertrauen“ in den neuen Zentralbankchef Murat Çetinkaya. Bei ihrer ersten Sitzung unter neuer Führung hatte die Zentralbank am 20. April – gemäß den Erwartungen – den Zinskorridor nur leicht abgesenkt, aber den Leitzins – wie seit 14 Monaten – bei 7,5 Prozent belassen.

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Dies wurde als Zeichen interpretiert, dass auch die neue Zentralbankführung nicht bereit ist, ökonomische Vernunft dem Druck aus Teilen der türkischen Politik zu opfern. Şimşek wertet dies so: „Diese Zentralbankentscheidung entspricht der von der Zentralbank selbstdefinierten (makroökonomischen) Roadmap und läuft parallel zum Normalisierungsprozess an den globalen Währungsmärkten.“ Allen Spekulationen, die Zentralbank könne gezwungen sein, den ständigen Forderungen von Präsident Erdoğan und einigen Präsidentenberatern, die Hochzinspolitik im Interesse einer Konjunkturankurbelung mit „billigem Geld“ aufzugeben, erteilte Şimşek eine klare Absage: Die Rolle der Zentralbank sei eindeutig definiert: Ihre primäre Aufgabe sei und bleibe es, für Währungsstabilität zu sorgen. Daneben wende die Zentralbank Maßnahmen zur Wirtschaftsbelebung an, soweit diese nicht im Widerspruch zu ihrer primären Aufgabe stünden. Dies sei gesetzlich klar festgelegt.

Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit Projektbüro Türkei Redaktion: Dr. Hans-Georg Fleck – Aret Demirci Cumhuriyet Cad. No 107 D 2 Elmadağ-Istanbul 34473, Türkei www.fnst-turkey.org

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