Bonusmaterial Pro Mente Sana aktuell 2/15 „Tier und Psyche“

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Tiergestützte Therapie am REHAB Basel Das REHAB Basel ist ein Rehabilitationszentrum für Menschen mit Querschnittlähmung oder Hirnverletzungen. Das Zentrum legt seinen Hauptfokus auf eine ganzheitliche Rehabilitation der Patientinnen und Patienten und setzt stark auf handlungsorientierte Therapieangebote. So werden beispielsweise geführte Alltagsaktivitäten unter anderem im Therapiegarten oder in der Therapieküche nach dem von Félicie Affolter entwickelte Konzept durchgeführt. Es war daher naheliegend, die ebenfalls handlungsorientierte tiergestützte Therapie als zusätzliches Angebot zu implementieren. Von Karin Hediger Mitte 2013 entstand der Eckenstein-Geigy Therapie-Tiergarten, der mittlerweile das Zuhause von zwei Eseln, zwei Schafen, vier Ziegen, zwei Minipigs und zwei Katzen, mehreren Hühnern, Kaninchen und Meerschweinchen ist. Die Anlage bietet viel Raum für Mensch-TierBegegnungen. So steht nebst Aussenplätzen, die sowohl auf die Bedürfnisse der Tiere als auch auf diejenigen der PatientInnen ausgerichtet sind, auch ein beheizbarer Therapieraum zur Verfügung, zu dem Tiere wie PatientInnen Zugang haben. Das Spektrum der PatientInnen ist breit und reicht von Wachkomapatienten bis hin zu kurz vor dem Austritt stehenden Patientinnen mit Querschnittlähmung oder Hirnverletzungen. Dementsprechend kommen Tiere mit den unterschiedlichsten Fähigkeiten und Talenten zum Einsatz. Die Begabungen der Tiere so zu fördern, dass sie Spass bei der Arbeit haben, die TherapeutInnen ihre Ziele umsetzen können und die PatientInnen profitieren, ist eine grosse Herausforderung und erfordert ein kontinuierliches Training.

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Wohlwollen und Vorfreude bei den Mitarbeitenden Der Aufbau und die Umsetzung der tiergestützten Therapie am REHAB Basel werden seit Beginn wissenschaftlich begleitet. Dazu wurde eine Forschungsgruppe aufgebaut, die sowohl die Effekte der Methode als auch den Prozess der Integration ins bestehende Umfeld untersucht. Vor der Einführung der tiergestützten Therapie fand eine Befragung aller Mitarbeitenden des REHAB Basel zu ihrer Einstellung gegenüber der tiergestützten Therapie statt. So konnten Erwartungen und antizipierte Probleme berücksichtigt werden. Es zeigte sich, dass bereits vor dem Start viel Wohlwollen gegenüber der Einführung von tiergestützter Therapie vorhanden war. Über 90 Prozent der Befragten gaben an, dass die tiergestützte Therapie das Therapieangebot des REHAB aufwerten und der Einbezug von Tieren in der Therapie einen Mehrwert haben werde. 86.2 Prozent der Befragten freuten sich gar selbst auf die Tiere. Ein Drittel der Mitarbeitenden befürchteten jedoch auch Hygieneprobleme. Ein Jahr später führte die Forschungsgruppe die Befragung erneut durch, um die bereits gemachten Erfahrungen zu evaluieren. Es zeigte sich folgendes Bild: Die Einstellung gegenüber dem Einsatz von Tieren in der Therapie blieb unverändert positiv. Signifikant verändert haben sich jedoch die Antworten bezüglich möglicher Probleme. Gegenüber der ersten Befragung wurde signifikant weniger von Hygieneproblemen berichtet als diese zuvor befürchtet worden waren. Ein weiteres Ergebnis war, dass mehr als die Hälfte der Mitarbeitenden des REHAB Basel angaben, auch selbst von der Anwesenheit der Tiere zu profitieren. Im Mittelpunkt steht die Beziehung zum Tier In die tiergestützte therapeutische Arbeit sind LogopädInnen, ErgotherapeutInnen und PhysiotherapeutInnen involviert. Sie setzen die Tiere disziplinenspezifisch ein, um ihre jeweiligen Therapieziele errei-

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chen zu können. Das "tiergestützte" Arbeiten ist nicht eine neue oder andere Therapieform, sondern eine zusätzliche und ergänzende Methode, auf welche die TherapeutInnen zurückgreifen können, um ihre Ziele gemeinsam mit den PatientInnen zu erreichen. Zentraler Faktor beim tiergestützten Arbeiten ist die Beziehung der Patientinnen und Patienten zum Tier, die Interaktion und Kommunikation. Dieser Aspekt kommt disziplinenübergreifend zum Tragen und unterstützt die gesamtheitliche Rehabilitation der PatientInnen. Viele Patientinnen und Patienten gehen mit einer höheren Motivation ans "Werk" , wenn sie etwas für die Tiere tun können – und trainieren gleichzeitig ihre physischen, kognitiven und emotionalen Fertigkeiten. So trainieren sie etwa ihre Handmotorik beim Schneiden von Gemüse, welches sie anschliessend verfüttern können, oder steigern ihre Ausdauer, Koordination und das Situationsverständnis beim Absolvieren eines Parcours gemeinsam mit dem Tier. Dabei muss man sich durchsetzen, Frustrationen überwinden und sich in sein Gegenüber hineinversetzen, um zum Ziel zu kommen. Das Kaninchen und der Ziegenbock im Einsatz Durch den Einsatz von Tieren in der Therapie entstehen neue Lernsituationen, in denen häufig auch spontan reagiert werden muss. Zwei Beispiele dazu: Ein Patient sitzt an einem Tisch. Er hat Mühe, aus eigenem Antrieb heraus Handlungen zu entwickeln. Da hoppelt plötzlich Eddie, das Kaninchen, das während der Therapiestunde anwesend ist, gegen den Rand des Tisches: Der Patient reagiert intuitiv und schützt Eddie mit der Hand, so dass er sicher nicht vom Tisch fällt. Draussen auf dem Gelände gibt eine Patientin im Rollstuhl Ramon, dem Ziegenbock, Kommandos. Die Situation ist für die Patientin so positiv besetzt, dass sie sich diese Worte merken kann, obwohl sie ansonsten schwere Erinnerungsprobleme hat. Sie hat die Aufgabe, Ramon auf einen erhöhten Kletterfels zu locken. Sie steht

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dabei auf, der Ziegenbock folgt ihr motiviert, klettert hoch und fordert sofort weitere Kunststücke ein. Die Patientin bemerkt dabei kaum, dass sie nun bereits eine längere Strecke gegangen ist, ohne sofort wieder nach dem Rollstuhl zu verlangen. Um solche praktischen Erfahrungen zu objektivieren, wird die wissenschaftliche Begleitung der tiergestützten Therapie am REHAB Basel weitergeführt. In Zusammenarbeit mit dem Schweizerischen Tropen- und Public Health-Institut und dem Institut für interdisziplinäre Erforschung der Mensch-Tier-Beziehung (IEMT Schweiz) untersucht die Forschungsgruppe, welche Effekte bei PatientInnen auftreten, wenn Tiere in die Therapie miteinbezogen werden im Vergleich zu Therapiestunden ohne Einbezug von Tieren. Erhoben werden das Sozial- und Kommunikationsverhalten, die Aktivität, die Herzratenvariabilität und die Befindlichkeit der PatientInnen. Die Ergebnisse stehen noch aus, es bestehen jedoch bereits erste Hinweise auf einen positiven Einfluss der Tiere auf die Emotionen der Patientinnen und Patienten mit Hirnverletzungen. Karin Hediger, Dr., Fachpsychologin für Kinder- und Jugendpsychologie FSP, arbeitet aktuell in einer kinder- und jugendpsychiatrischen Praxis als Psychotherapeutin sowie im Reittherapiezentrum Hohenberg als Reittherapeutin und ist als Post-Doc am Swiss TPH in der Forschung zur Mensch-Tier-Beziehung tätig. Sie ist Geschäftsführerin des IEMT Schweiz.

Impressionen aus der tiergestützten Therapie auf folgender Seite.

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Tiergestützte Logopädie

Tiergestützte Ergotherapie mit einer Patientin im Wachkoma

Parcoursarbeit in der Ergotherapie

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