1. Einleitung 1.1 Einführung in die Thematik Bayern war in den Jahren des Kurfürsten Karl Theodor und seines Nachfolgers Max Joseph in zahlreiche militärische Konflikte verwickelt. Das Land beteiligte sich nicht nur an den Reichskriegen gegen Frankreich, sondern auch an fast allen Feldzügen Napoleons. Bayern befand sich geografisch in einer schwierigen Position zwischen den beiden rivalisierenden Mächten Österreich und Frankreich. Daher galten alle seine Anstrengungen der Sicherung der eigenen Souveränität. Das wichtigste Instrument hierzu war die Armee mit dem Offizierskorps. Unter „Offizierskorps“ versteht man die Gesamtheit der aktiven Offiziere, die zwischen 1799 und 1815 in der bayerischen Armee gedient haben. Dazu werden alle militärischen Chargen vom Unterleutnant an aufwärts gezählt. Dies sind die Dienstgrade Unter- und Oberleutnant, Hauptmann/Rittmeister, Major, Oberstleutnant, Oberst und alle Generalsränge. Das Korps war Teil des Staatswesens und der Gesellschaft Bayerns. In einem Beitrag über die „Napoleonische“ Erschütterung in Bayern und über die Wichtigkeit, sich mit einer Gesellschaftsgruppe wie dem Offizierskorps zu beschäftigen, heißt es: Die Ereignisse in der Geschichte hinterlassen ihre Spuren auch im Denken und Fühlen der Beteiligten und Betroffenen [Offiziere], das deren weiteres Handeln mitbestimmt. Vor allem die zentralen – politischen, militärischen, wirtschaftlichen – Vorgänge beeinflussen offenbar die Umwelt weiter, wenn nicht aller Teile einer Gesellschaft. (…) Eine Zeit solch tiefgreifender Erschütterungen war für Mitteleuropa das beginnende 19. Jahrhundert.1

Über die kulturelle Bedeutung des Militärs im Bayern des 19. Jahrhunderts sowie die Besonderheiten des bayerischen Offizierskorps steht in einer Abhandlung: „Das Offizierkorps war als Träger der Autorität der ‚wesentlichste Teil‘ des bayerischen Heeres.“2 1 Werner K. Blessing: Umbruchkrise und „Verstörung“. Die „Napoleonische“ Erschütterung und ihre sozialpsychologische Bedeutung, in: ZBLG 42 (1979), S. 75f. 2 Ders.: Disziplinierung und Qualifizierung. Zur kulturellen Bedeutung des Militärs im Bayern des 19. Jahrhunderts, in: Geschichte und Gesellschaft 17 (1991), S. 463.

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1. Einleitung

Die besondere Wichtigkeit der Offiziere für die Armee wurde auch von Zeitgenossen erkannt: „Der Dienst wird geschickte gebildete und brauchbare Officiers gewinnen, welches auf die ganze Armee den wohlthätigsten Einfluß haben muß.“3 Das Korps leitete seinen Leistungsstand von seiner organisatorischen Wirksamkeit und dem damit verbundenen Sozialprestige ab.4 Außerdem zeichnete es sich durch eine eigenständige Exklusivität und Homogenität aus, welche sich vor allem aus der starken Binnengliederung heraus ergab. Die Autorität wurde in Rängen verkörpert und in Befehlen praktiziert.5 Das Offizierskorps erschien als ein Faktor des wirtschaftlichen, gesellschaftlichen sowie politisch-öffentlichen Lebens: „Sie [die Militärgeschichte] behandelt institutionsgeschichtlich das Militär als Gewaltinstrument des Staates in seinem Verhältnis zu Politik, Staat und Gesellschaft. Aber auch sein Selbstverständnis, sein Aufbau und seine innere Verfassung sind zu schildern.“6 Dabei sind die soziologische Struktur und die sozialen Verhältnisse der einzelnen Offiziere wichtig. Auch deren Mentalität, Ideologie und der in ihnen herrschende Geist spielen eine bedeutende Rolle: Da das Offizierkorps ein wesentlicher Kreuzungspunkt ist, an dem man das Verhältnis von Wehrwesen und Staatswesen untersuchen kann, geben seine Stellung, der in ihm herrschende Geist, das Verhalten des Korps und seiner Mitglieder Aufschluß über die Rolle der Streitkräfte in Staat und Gesellschaft – und damit über das politisch-soziale Gemeinwesen selbst.7

3 KA, HS 218. Exercier-Reglements 1805–1811. Exerzier-Reglement Hauptmann Frank 1805, S. 19. Bei künftiger Angabe des Aktes steht jeweils das Reglement mit seinem Verfasser. 4 Blessing: Disziplinierung und Qualifizierung, S. 463. 5 Ebd., S. 464. 6 Wolfgang von Groote: Militärgeschichte, in: MGM 1/67, S. 16. 7 Hermann Rumschöttel: Das bayerische Offizierkorps 1866–1914. Berlin 1973, S. 21.

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1.1 Einführung in die Thematik

Das Verhalten des Korps als Ganzes beziehungsweise seiner Mitglieder gibt somit Aufschluss über die Rolle des Militärs im Gemeinwesen.8 Die Offiziere prägten wesentlich Geist und Wirksamkeit der Armee. Sie waren in erster Linie für das ordnungsgemäße Funktionieren der Armee verantwortlich. Die Aufrechterhaltung der Disziplin und Ordnung lag vornehmlich in ihren Händen.9 Nicht zuletzt zeigte sich der besondere Stellenwert der Offiziere in der damaligen Zeit darin, dass in den Feldzugsakten bei den Siegesmeldungen neben der Gesamtzahl der Gefangenen explizit die gefangenen Offiziere aufgelistet wurden. Die Franzosen hoben sie als „trophées de gloire“10 besonders hervor. Für Max Joseph war die Armee eine „bündnispolitische Notwendigkeit“11. In zeitgenössischen Quellen wurde ihr im Staat eine bedeutende Rolle eingeräumt: „Le militaire, cet instrument de la gloire et de conservations des Etats.“12 Sie bildete eine der wichtigsten Säulen des Staates und galt mit als das entscheidende Instrument zur Durchsetzung und Bewahrung der gegenwärtigen oder zukünftigen politischen Bedeutung. Ohne eine funktionierende und loyale Führung durch das Offizierskorps war sie dazu aber nicht in der Lage. Die Armee war aktives Mittel zur Durchsetzung eigenstaatlicher Interessen. Aufgrund von qualitativen Defiziten bedurfte es dazu großer Reformanstrengungen. Die eingeleiteten Neuerungen hatten sich gleich in der Praxis zu bewähren und sind vor ihrem zeitlichen Hintergrund zu sehen. Bayern konnte aufgrund 8 Marcus Funck: Militär, Krieg und Gesellschaft. Soldaten und militärische Eliten in der Sozialgeschichte, in: Thomas Kühne und Benjamin Ziemann (Hrsg.): Was ist Militärgeschichte? Paderborn 2000, S. 160f. „Ist es gerade für die neuere Militärgeschichte wohl angemessener, die militärische Institution und ihre handelnden Subjekte in das gesellschaftliche Gesamtsystem und ihre angestammten Lebenswelten einzubetten, also die engen Verflechtungen zwischen militärischer und ziviler Gesellschaft zu akzentuieren, ohne die Besonderheiten des Militärs in organisatorischer, sozialer und kultureller Hinsicht zu leugnen.“ Ebd., S. 160f. 9 Georg Ortenburg: Waffen der Revolutionskriege 1792–1848. Bonn 1988, S. 97. 10 KA, B 393. Hier die explizite Betonung der gefangen genommenen österreichischen Offiziere: „Officiers de tout grade sont autant de trophées de gloire.“. 11 Marcus Junkelmann: Kornblumenblau mit Raupenhelm, in: Ernst Fischer und Hans Kratzer (Hrsg.): Unter der Krone. Das Königreich Bayern und sein Erbe [1806 bis 1918]. München 2006, S. 44. 12 KA, HS 85. Erinnerungen von Utzschneider. Es ist aus dem Akt nicht erkennbar, welchen Rang Utzschneider innehatte.

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1. Einleitung

seiner geografischen Mittelposition keine neutrale Haltung einnehmen. Es musste sich für eine der Großmächte entscheiden und lief folglich immer Gefahr, von der anderen angegriffen zu werden. Die Souveränität bedurfte einer Absicherung sowohl im Inneren als auch nach außen. 1.2 Geschichtlicher Überblick 1799 bis 181513 In den Koalitionskriegen stand Bayern an der Seite Österreichs gegen Frankreich. München kam zeitweise unter französische Besatzung. Das Land konnte nicht mehr auf ausreichenden Schutz durch den Kaiser in Wien hoffen. Mit dem Tod des kinderlos gebliebenen Karl Theodor 1799 fiel das bayerische Erbe dann an den Zweibrücker Herzog Max Joseph. Bayern als Mitglied des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation war dem Kaiser in Wien verpflichtet, Truppen zu stellen. Diese halfen bei der Abwehr der ins Reich eindringenden französischen Armeen. Max Joseph kämpfte gemäß seinen Verpflichtungen gegenüber dem Reichsoberhaupt an der Seite Österreichs gegen die Franzosen. Dies stellte eine Einschränkung der außenpolitischen Souveränität Bayerns dar. 1801 annektierte Frankreich neben anderen linksrheinischen Gebieten das Herzogtum Zweibrücken. 1803 beim Reichsdeputationshauptschluss fielen unter anderem die geistlichen Herrschaften Würzburg, Bamberg, Freising und die Reichsstadt Augsburg an Bayern. Im Gegenzug trat man die rechtsrheinische Pfalz mit Mannheim und Heidelberg an Baden ab. Der Zusammenhalt der einzelnen Glieder des Reiches löste sich mehr und mehr. Eine gemeinsame Verteidigung nach außen war nicht mehr gesichert. Die Einzelstaaten gerieten unter Druck, ihre zukünftige Bündnispolitik selbst zu entscheiden. Preußen verweigerte dem Kaiser bereits 1795 die Gefolgschaft, indem es eigenmächtig einen Neutralitätsvertrag mit Frankreich abschloss. Bayern musste sich ebenfalls 13 In der Forschung finden sich zu Bayerns Geschichte in dieser Zeit zahlreiche Arbeiten: Max Spindler: Handbuch der Bayerischen Geschichte. Band 4. 1. Teilband. 2. Auflage. München 2003, S. 3ff. Peter Claus Hartmann: Bayerns Weg in die Gegenwart. Vom Stammesherzogtum zum Freistaat heute. 2. Auflage. Regensburg 2004. Andreas Kraus: Geschichte Bayerns. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. 3. erweiterte Auflage. München 2004. Benno Hubensteiner: Bayerische Geschichte. Staat und Volk. Kunst und Kultur. 17. Auflage. München 2009.

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1.2 Geschichtlicher Überblick 1799 bis 1815

für oder gegen einen Verbleib im Reichsverbund entscheiden. In den Folgejahren wurde der bayerische Kurfürst sowohl von Österreich als auch von Frankreich umworben. Max Joseph sperrte sich lange gegen ein festes Bündnis. 1805, als österreichische Soldaten ohne Kriegserklärung bereits auf bayerischen Boden vorrückten, entschied sich der Kurfürst für ein Bündnis mit Frankreich. Bayerns Armee kämpfte in den Feldzügen Napoleons gegen Österreich, Preußen und Russland. 1805 zog man siegreich im Verbund der Grande Armée gegen die Habsburger ins Feld. Dadurch sicherte sich das Kurfürstentum im Frieden von Pressburg Tirol, Vorarlberg, die Markgrafschaft Ansbach sowie das Bistum Eichstätt. Im Zuge einer territorialen Neuordnung des süddeutschen Raums durch Napoleon wurde Würzburg vorübergehend wieder abgetreten. Im folgenden Jahr gewann Bayern erneut Gebiete hinzu, unter anderem die Reichsstadt Nürnberg. 1806 schied das Land mit anderen Staaten aus dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation aus und trat dem Rheinbund bei. Der Kaiser in Wien legte die Krone des Reiches nieder, welches aufhörte zu existieren. Für Bayern hatte dies zahlreiche innere und äußere Veränderungen zur Folge. Über die Vor- und Nachteile dieser Rheinbundreformen sowie deren Auswirkungen auf die einzelnen deutschen Länder liegen in der Forschung zahlreiche Publikationen vor.14 Bayern erlangte unter dem Protektorat Napoleons die Königswürde. Man behielt die Handlungsfreiheit über innenpolitische Entscheidungen, verlor aber fast alle außenpolitischen Kompetenzen. Die Entscheidungen über Krieg und Frieden fielen fortan in Paris. Napoleon war somit der Hegemon über den bedeutendsten der Rheinbundstaaten.15 Mit der 14 Eberhard Weis: Montgelas. Zwischen Revolution und Reform. Band 1. 2. Auflage. München 1988. Ders.: Reformen im rheinbündischen Deutschland. München 1984. Siehe zu einzelnen Rheinbundstaaten wie Bayern, dem Großherzogtum Berg, dem Königreich Westphalen, dem Großherzogtum Frankfurt und dem Herzogtum Nassau die von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften herausgegebenen Quellen zu den Rheinbundstaaten Band 1 bis 5. Zu Bayern: Maria Schimke: Regierungsakten des Kurfürstentums und Königreichs Bayern 1799–1815. München 1996 (= Quellen zu den Rheinbundstaaten. Band 4). Für die Entwicklung in Hessen-Darmstadt siehe: Andreas Schulz: Herrschaft durch Verwaltung. Die Rheinbundreformen in Hessen-Darmstadt unter Napoleon (1803–1815). Stuttgart 1991. 15 Etienne François: Das napoleonische Hegemonialsystem auf dem Kontinent, in: Andreas Klinger, Hans-Werner Hahn und Georg Schmidt (Hrsg.): Das Jahr 1806 im europäischen Kontext. Balance, Hegemonie und politische Kulturen. Köln u. a. 2008, S. 73–83.

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1. Einleitung

Bindung an Frankreich war die Gestellung von Soldaten für zukünftige Kriege verbunden. Folglich marschierten 1806/07 und 1809 bayerische Soldaten gegen Preußen, Russland und Österreich. Durch die Verbindung mit Napoleon gelang es, die staatliche und territoriale Integrität zu bewahren. Der Pariser Vertrag von 1810, nach erfolgreichem Feldzug gegen Österreich, vergrößerte den Staat um Salzburg, Berchtesgaden, das Inn- und Hausruckviertel und die ehemalige Reichsstadt Regensburg. Teile von Tirol gingen an das Königreich Italien. 1812 folgte die fatale Niederlage der bayerischen Armee im Verbund der Grande Armée in Russland. Mit dem Wechsel zur Allianz der Gegner Napoleons 1813 sicherte Bayern im Wesentlichen den territorialen Fortbestand über die Zeit des Wiener Kongresses hinaus. Im Tausch gegen Tirol und Vorarlberg erhielt das Land von Österreich Aschaffenburg und Würzburg. Salzburg und das Inn- und Hausruckviertel wurden abgetreten. Als Entschädigung bekam Max Joseph mit der linksrheinischen Pfalz ein Gebiet, welches keine direkte Landverbindung mit den übrigen Landesteilen hatte. 1.3 Forschungsstand 1.3.1 Überblick Im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts beschäftigten sich deutsche Militärhistoriker vornehmlich mit der Generalstabshistorie. Ziel war es, aus systematischen und analytischen Untersuchungen vergangener Kriege Lehren für zukünftige Konflikte zu ziehen. Die Militärgeschichtsforschung in Deutschland durchlief in den letzten Jahrzehnten mehrere Perspektivwechsel. Nach 1945 begann man, sich von der reinen Kriegsgeschichte beziehungsweise Operationsgeschichte mit ihrer verengten Betrachtung des bloßen Verlaufs und Ausgangs von Schlachten und Kriegen zu trennen. Deutsche Militärgeschichte galt nach dem Zweiten Weltkrieg und infolge der daraus erwachsenen moralischen Verantwortung als stark negativ belastet. Die Nationalsozialisten missbrauchten unter dem Deckmantel der „Wehrgeschichte“ die militärgeschichtliche Forschung für ihre rassistische Weltanschauung. Die alliierten Siegermächte sorgten als Teil der „Entmilitarisierung“ nach dem Krieg dafür, dass an 14

1.3 Forschungsstand

den Hochschulen Militärgeschichte nicht gelehrt wurde. Sie stand für eine verengte Sichtweise, die die vergangenen Kriege verherrlichte oder verharmloste. Erst allmählich kam es in Deutschland zu einer interdisziplinären Öffnung.16 Die Militärgeschichte befand sich fortan „in einem Prozeß der Neuorientierung“17. Neben der Operationsgeschichte kamen Fragen nach der Stellung des Militärs in der Gesellschaft, Wirtschafts-, Rechts-, Mentalitäts-, Sozial-, Alltags- und Genderforschungsaspekte dazu. Aufgabe der Militärgeschichtsforschung ist es fortan, verstärkt den einzelnen Soldaten in allen Lebensbereichen zu erfassen. Das Militär wird dabei als Mittel der Staatsgewalt und wichtige Institution im Aufbau des damaligen Staatswesens gesehen.18 Wilhelm Deist bot einen Überblick über die Entwicklung der Militärgeschichte in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert. Einzelne Institutionen, wie etwa das Militärgeschichtliche Forschungsamt, begannen in der Mitte des 20. Jahrhunderts, sich neben operationsgeschichtlichen Ansätzen auch mit anderen Aspekten der Militärgeschichte eingehender zu beschäftigen.19 In der Forschung zur napoleonischen Zeit wurden bis in die 1970erJahre hinein einzelne Teilbereiche sehr verschieden und zudem unterschiedlich intensiv behandelt. Dies galt für die regionale wie auch für die zeitliche Perspektive. Eine Gesamtdarstellung dieses Zeitabschnitts, der politische, wirtschaftliche, militärische und soziale Faktoren gleichermaßen berücksichtigt, liegt nicht vor: „Das napoleonische Deutschland ist regional und sektoral unterschiedlich gut erforscht. Wegen dieses ungleichmäßigen Kenntnisstandes und einer mangelnden Koordination der Forschungsarbeiten fehlen auf den meisten Gebieten zusammen-

16 Rolf-Dieter Müller: Militärgeschichte. Wien u. a. 2009, S. 9–24. Heute gibt es in Deutschland lediglich in Potsdam einen Lehrstuhl für Militärgeschichte. 17 MGFA (Hrsg.): Zielsetzung und Methode der Militärgeschichtsschreibung, in: MGM 1976/2, S. 9. 18 Siehe zu den neuen Forschungsfeldern: Rainer Wohlfeil: Wehr-, Kriegs- oder Militärgeschichte?, in: MGM 1/1967, S. 21–29. 19 Wilhelm Deist: Bemerkungen zur Entwicklung der Militärgeschichte in Deutschland, in: Thomas Kühne und Benjamin Ziemann (Hrsg.): Was ist Militärgeschichte? Paderborn 2000, S. 315–322.

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1. Einleitung

fassende Darstellungen.“20 Bis in die 70er- und 80er-Jahre des 20. Jahrhunderts wurde die napoleonische Zeit als ein Kontinuitätsbruch in der Entwicklung Deutschlands angesehen. Sie galt als eine Epoche der Fremdherrschaft, in der die Einzelstaaten ein reines „Objekt napoleonischer Politik“21 waren. Der Rheinbund und seine Neuerungen wurden sogar gezielt ignoriert und abgewertet.22 Preußen stand lange Zeit beispielhaft für die Entwicklung Deutschlands im beginnenden 19. Jahrhundert. Stellvertretend hierfür sind die vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt in Potsdam und Freiburg im Breisgau herausgegebenen Studien.23 Die Geschehnisse der Zeit wurden vom „Mythos der Befreiungskriege“ beherrscht. Preußische Reformen dominierten in der Forschungsmeinung.24 Das Handbuch zur deutschen Militärgeschichte mit seinem eindeutigen inhaltlichen Schwerpunkt auf der Entwicklung der preußischen Armee widmet sich immerhin in einem eigenen Kapitel dem Militär der wichtigsten Rheinbundstaaten, wie Württemberg oder Bayern.25 Daneben zeigte die Forschung ab den 1970er-Jahren aber auch vermehrt Interesse am süddeutschen Raum. Der Schwerpunkt der Betrach20 Roger Dufraisse: Das napoleonische Deutschland. Stand und Probleme der Forschung unter besonderer Berücksichtigung der linksrheinischen Gebiete, in: Geschichte und Gesellschaft 6 (1980), S. 467. 21 Ebd., S. 467. 22 Elisabeth Fehrenbach: Verfassungs- und sozialpolitische Reformen und Reformprojekte in Deutschland unter dem Einfluß des napoleonischen Frankreichs, in: HZ 228 (1979), S. 288. 23 Unter anderem: Hans Meier-Welcker (Hrsg.): Untersuchungen zur Geschichte des Offizierkorps. Anciennität u. Beförderung nach Leistung. Stuttgart 1962. Zudem weitere Forschungsbeiträge zur preußischen Armee: Dierk Walter: Preußische Heeresreformen 1807–1870. Militärische Innovation und der Mythos der „Roonschen Reform“. Paderborn 2003. Karl-Heinz Lutz, Martin Rink und Marcus von Salisch (Hrsg.): Reform – Reorganisation – Transformation. Zum Wandel in deutschen Streitkräften von den preußischen Heeresreformen bis zur Transformation der Bundeswehr. München 2010. 24 Stellvertretend für diese Forschungsmeinung: Imanuel Geiss: Die deutsche Frage 1806–1990. Mannheim 1992, S. 27f. Vgl. vor allem das Kapitel „Rheinbund und Preußische Reformen“. „Richtungsweisende Reformimpulse kamen jedoch von Preußen, dem größten norddeutschen Staat.“ Zitat, S. 28. 25 Während das Kapitel zur preußischen Armee im Handbuch zur deutschen Militärgeschichte über mehrere Seiten hinweg die Veränderungen über die Jahre erörtert, nimmt die Beschreibung der bayerischen Offiziere nur wenige Seiten ein. Vgl. Rainer Wohlfeil: Vom stehenden Heer des Absolutismus zur Allgemeinen Wehrpflicht (1789–1814), in: MGFA (Hrsg.): Deutsche Militärgeschichte in sechs Bänden 1648–1939. Band 2. Frankfurt am Main 1983, S. 64–68.

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1.3 Forschungsstand

tung lag auf der Frage, ob die Neuerungen der Zeit eine Kontinuität in der Entwicklung dieser Gebiete darstellten oder einen Bruch in der bestehenden Ordnung bedeutet haben. Dabei stand die Rolle Napoleons im Mittelpunkt. Es ging im länderspezifischen Einzelfall um die Beharrungskraft vornapoleonischer Traditionen, die jeweiligen institutionellen Bedingungen für Reformen sowie die regional differenzierte Politik Napoleons.26 Die Arbeiten gingen über den Zeitraum von 1800 bis 1815 hinaus, um Motive, Ursachen und Auswirkungen der Rheinbundreformen zu verstehen. Verschiedene Bereiche über die Wirtschaftsbeziehungen bis hin zum Justizwesen wurden dabei ausgewertet.27 Zu Beginn des 21. Jahrhunderts wies die Forschung auf die Vielschichtigkeit der deutschen Identitätsbildung hin. Damit wurden gleichzeitig andere deutsche Länder und deren Entwicklungen in den Mittelpunkt gestellt.28 Die Forschungsrichtung setzte sich zunehmend mit komplexen Beziehungen zwischen militärischen Institutionen, staatlich-politischer Organisation und gesellschaftlicher Dynamik auseinander.29 Das Militärgeschichtliche Forschungsamt beschäftigte sich in einem 2010 erschienenen Sammelband mit dem Übergang vom preußischen Heer der napoleonischen Kriege bis zur Bundeswehr. Im Mittelpunkt steht neben den verschiedenen Militärreformen auch der einzelne Offizier. Das Kriegsgeschehen mit seinen neuen Erscheinungsformen erforderte umfassend ausgebildete militärische Führer. Der „aufgeklärte Offizier“ wurde von den Armeen zunehmend gefordert. Er musste 26 Vgl. Dufraisse: Das napoleonische Deutschland, S. 470. 27 Speziell zur Frage des Einflusses Napoleons auf den süddeutschen Raum siehe: Eberhard Weis: Der Einfluß der französischen Revolution und des Empire auf die Reformen in den süddeutschen Staaten, in: Francia 1 (1973), S. 569–583. „Die süddeutschen Regierungen erkannten, daß ihre Staaten die Unabhängigkeit in dieser Zeit stürmischer Veränderungen nur behaupten konnten, wenn sie ihre Finanzen und ihre Armee auf den Stand größtmöglicher Leistungsfähigkeit brachten, das heißt, wenn sie die alten Privilegien und das alte Chaos der Verwaltung beseitigten und die Untertanen am Gemeinwohl interessierten.“ Zitat, S. 571. Ute Planert: Staat und Krieg an der Wende zur Moderne. Der deutsche Südwesten um 1800, in: Werner Rösener (Hrsg.): Staat und Krieg. Vom Mittelalter bis zur Moderne. Göttingen 2000, S. 159–180. 28 Dieter Langewiesche: Föderativer Nationalismus als Erbe der deutschen Reichsnation: Über Föderalismus und Zentralismus in der deutschen Nationalgeschichte, in: Dieter Langewiesche und Georg Schmidt (Hrsg.): Föderative Nation. Deutschlandkonzepte von der Reformation bis zum Ersten Weltkrieg. München 2000, S. 215–242. 29 Funck: Militär, Krieg und Gesellschaft, S. 158.

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mehr können, als auf Drill und Disziplin zu achten. Seine Soldaten galten nicht mehr als anonyme Masse, sondern forderten, als „Mann von Ehre“ angesehen zu werden30: Die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts war durch einen nachhaltigen Wandel im Bereich der Kriegsführung und entsprechende Veränderungen im Kriegsbild geprägt, woraus wiederum weitreichende Konsequenzen für die militärische Bildung und Ausbildung der Soldaten, insbesondere der Offiziere, resultierten.31

Neben dem eindeutigen Schwerpunkt auf der Entwicklung in Preußen gibt der Sammelband ebenfalls Erläuterungen über die Entwicklung des Militärwesens in Sachsen und in Österreich. Auch für die Offizierskorps dieser beiden Länder brachte man unter dem Eindruck der Kriegsereignisse zu Beginn des 19. Jahrhunderts Reformen auf den Weg. Tatkräftige Reformer wie Karl Friedrich von Gersdorff oder Erzherzog Karl bemühten sich, die Offiziere in ihren Ländern für die neuen Gegebenheiten auszubilden.32 Die in der Forschung lange Zeit als „historische Grundkonstante“33 gesehene Trennung zwischen Militär- und Zivilgesellschaft soll möglichst aufgelöst werden. Der „Kriegsalltag“ der einzelnen Soldaten steht verstärkt im Forschungsinteresse der einzelnen Studien: „Tatsächlich war nur wenig über die reale wirtschaftliche Lage der Soldaten und Offiziere, ihre Beförderungschancen, die informellen Strukturen der militärischen Organisation, die Realitäten des Tagesablaufs und die soziale und rechtliche Stellung ihrer Angehörigen bekannt.“34 In England, Amerika und Frankreich waren militärgeschichtliche Studien traditionell unbelastet. Nach 1945 begann die angloamerikanische 30 Heinz Stübig: Das höhere militärische Bildungswesen im Zeichen der Aufklärung, in: Lutz u. a. (Hrsg.): Reform – Reorganisation – Transformation, S. 29. 31 Ebd., S. 29. 32 Vgl. Lutz u. a. (Hrsg.): Reform – Reorganisation – Transformation, S. 89–128. Vgl. Siegfried Fiedler: Taktik und Strategie der Revolutionskriege 1792–1848. Bonn 1988, S. 112. In Sachsen galt bei Beförderungen fortan verstärkt das Leistungsprinzip, zudem wurde die Kompaniewirtschaft abgeschafft. 33 Jutta Nowosadtko: Krieg, Gewalt und Ordnung. Einführung in die Militärgeschichte. Tübingen 2002, S. 132. 34 Ebd., S. 133.

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1.3 Forschungsstand

Forschung, neben der Operationsgeschichte vermehrt andere Teilbereiche der Militärgeschichte zu untersuchen. Es entstand die sogenannte „New military history“35. Sie umfasst unter anderem detailorientierte, theoretische Analysen und Gefechtserzählungen. Neben dem reinen Kriegsverlauf widmete sich die Forschung zunehmend der Perspektive der einzelnen Soldaten. Zu den operativen und strategischen Fallstudien traten soziale und gesellschaftliche Aspekte hinzu. Während so vor allem die beiden Weltkriege eingehender untersucht wurden, fiel die Betrachtung zu den napoleonischen Kriegen weniger intensiv aus. Hier dominierte weiterhin eine operationsgeschichtliche Betrachtungsweise. Die Hauptfragestellung umfasste eine genaue Analyse der einzelnen Feldzüge Napoleons. Dabei standen vor allem der Verlauf und Ausgang der Schlachten und Gefechte im Vordergrund, um daraus Schlussfolgerungen für zukünftige Konflikte zu ziehen. Chandler fasste diesen Forschungsansatz 1994 zusammen: „Knowledge of the wars of the past can assist the understanding of the problems of the present.”36 Typisch für diese Abhandlungen mit eindeutigem operationsgeschichtlichen Schwerpunkt ist das 1972 von Montgomery herausgegebene Überblickswerk zu den einzelnen Feldzügen Napoleons. Er analysiert anhand ausgewählter Schlachten die jeweiligen strategischen und taktischen Leistungen Napoleons, Nelsons und Wellingtons.37 Eine amerikanische Dissertation von Lee Shartle aus dem Jahr 1988 untersuchte das gemeinsame Agieren der französischen und bayerischen Armeen während der Jahre 1805 bis 1813. Dabei standen ebenfalls in erster Linie operative Geschehnisse im Vordergrund.38 1998 erschien ein weiteres Werk über die einzelnen Schlachten Napoleons. Darin legt Rory Muir den Schwerpunkt auf die Betrachtung und Bewertung der angewandten Operationen und Strate35 Dennis E. Showalter: Militärgeschichte als Operationsgeschichte. Deutsche und amerikanische Paradigmen, in: Thomas Kühne und Benjamin Ziemann (Hrsg.): Was ist Militärgeschichte? Paderborn 2000, S. 125. 36 David G. Chandler: On the Napoleonic Wars. Collected Essays. London 1994, S. 36. 37 Bernhard Law Montgomery of Alamein: Kriegsgeschichte. Weltgeschichte der Schlachten und Kriegszüge. Frankfurt am Main 1972, S. 335–367: „Die Ära Nelsons, Napoleons und Wellingtons“. Gegenstand der Untersuchung ist unter anderem die Anwendung der Linien- und Kolonnentaktik, die Verpflegung der Truppe aus dem Land sowie die Konzentration der Artillerie auf einen Punkt des Schlachtfeldes. 38 Lee Shartle: The Bavarian army under Napoleon 1805–1813. Florida 1988.

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1. Einleitung

gien. Konkret untersuchte Muir den Einsatz der verschiedenen Waffengattungen auf dem Schlachtfeld, vornehmlich bei der britischen Armee. Des Weiteren bietet das Werk einige Aspekte zur Befehlsführung einzelner Offiziere.39 Bei den Abhandlungen von David G. Chandler zu den napoleonischen Kriegen überwiegt gleichfalls der operationsgeschichtliche Ansatz. Die militärischen Leistungen Napoleons während der verschiedenen Kampagnen stehen im Mittelpunkt der Untersuchung.40 Die französische Militärgeschichte beschäftigte sich bereits ab dem 19. Jahrhundert in einigen Abhandlungen verstärkt mit den deutschen Verbündeten der Grande Armée. Schwerpunkte waren dabei die militärischen Leistungen der einzelnen ausländischen Kontingente sowie die politische Ausgestaltung einzelner Rheinbundstaaten. 1874 erschien ein Werk über Deutschland unter der Herrschaft Napoleons.41 Im Mittelpunkt steht das Wirken der deutschen Soldaten im Verbund des französischen Heeres. Mit Aussagen französischer Militärs über die Qualifikation bayerischer Soldaten bietet diese Quelle zudem einen knappen Einblick, welche Meinung die Franzosen von ihrem Verbündeten während der gemeinsamen Waffengänge gewannen: Etre cité dans un ordre du jour de la Grande-Armée, recevoir surtout cette étoile d’or et d’émail qui brillait sur la poitrine de Napoléon et de ses grognards, porter cette décoration française, qui devait cependant tant de son lustre à l’effusion du sang allemand, c’était pour l’officier bavarois ou wurtembergeois la suprême ambition.42

Die Hauptmotivation für die bayerischen Soldaten war demnach die Aussicht, im Verbund der Armee Napoleons hohe militärische Orden und Auszeichnungen zu erhalten. Berthiers Brief von 1807, in dem er einem bayerischen General die nochmalige Zusicherung gab, dass dessen Soldaten die vom Kaiser versprochenen Auszeichnungen tatsächlich

39 Rory Muir: Tactics and the Experience of Battle in the Age of Napoleon. London 1998. 40 David G. Chandler: The Campaigns of Napoleon. London 1966. Ders.: Napoleon. München 1974. Ders.: On the Napoleonic Wars. 41 Alfred Rambaud: La Domination Française en Allemagne. L’Allemagne sous Napoléon Ier (1804–1811). Paris 1874. 42 Ebd., S. 173.

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1.3 Forschungsstand

erhalten würden, scheint diese These zu stützen.43 Napoleon gab genaue Richtlinien für den Umgang mit den verbündeten Bayern: „En général, l’Empereur veut que les Bavarois et les autres alliés soient traités comme les Français, et qu’on procure aux officiers et aux soldats toutes les douceurs possibles.“44 1910 setzte das mehrbändige Werk „Essais sur les Troupes de la Confédération du Rhin“45 die Erforschung der Rheinbundtruppen fort. Es behandelt vor allem die operative Entwicklung und konkreten militärischen Leistungen der Rheinbundkontingente im Verbund der französischen Armee. Band 5 ist dem Königlich Bayerischen Heer gewidmet. Die Bayern werden darin kollektiv als eine von Napoleon begeisterte Nation beschrieben. Die Soldaten waren demnach ohne Zweifel bereit, für den Kaiser der Franzosen in den Krieg zu ziehen: „Comme la plupart des Allemands, les Bavarois, eux aussi, ont crié ‚Vive l’Empereur!‘: eux aussi ont marché à la voix et sous les auspices du moderne César.“46 Zur Entwicklung der bayerischen Soldaten an der Seite Frankreichs liest man: „Mais peu à peu, grâce au contact des Français, ils deviennent – selon le mot du colonel Sauzey – plus mordants et plus résolus.“47 Aufgrund seiner Quellen bietet das Werk wertvolle Beiträge zum Zusammenwirken der beiden verbündeten Armeen. Eine weitere sehr ausführliche Arbeit beschäftigt sich intensiv mit Bayern zur napoleonischen Zeit. Neben einer Darstellung der gemeinsamen Feldzüge ging der Verfasser Michael Dunan auch auf die innere Gestaltung der Verwaltung des Landes ein. Den eindeutigen Schwerpunkt bilden die Interaktionen zwischen den beiden Staaten. Die verschiede43 Vgl. ebd., S. 176f. 44 Ebd., S. 176. 45 Jean-Camille-Abel-Fleuri Sauzey: Les Allemands sous les Aigles françaises. Essais sur les Troupes de la Confédération du Rhin (1806–1814). Nos Alliés Bavarois. Band 5. Paris 1910. 46 Ebd., Zitat befindet sich im Vorwort des Bandes. Im Vorwort steht über die unterschiedliche Forschungslage zum Rheinbund in Frankreich und Deutschland: „Les difficultés sont grandes, en France, pour retrouver dans les mémoires des contemporains ou dans les pièces officielles de l’époque, les documents indispensables, et d’un caractère authentique, qui permettent de suivre sans lacune les contingents alliés de la Confédération du Rhin, dans les différentes campagnes du premier Empire. Il n’en est pas de même en Allemagne, où les sources documentaires sont nombreuses, et où maint ouvrage ancien ou récent peut être consulté avec fruit.“ Die anderen Bände haben die Streitkräfte von Frankfurt, Baden und Sachsen zum Thema. 47 Ebd., Zitat aus dem Vorwort.

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1. Einleitung

nen gesellschaftlichen Gruppen wurden nur am Rande betrachtet. Ein Kapitel handelt von den Reformen auf militärischem Gebiet: „Max Joseph savait toute l’importance de la formation d’un bon corps d’officiers. Il s’y était efforcé par la suppression de la vénalité des grades dès 1799 et par la création en 1805 d’un Saint-Cyr bavarois l’école des Cadets.“48 Den bayerischen Monarchen lobt Dunan für die Abschaffung des Chargenhandels sowie für die Etablierung einer ständigen Akademie für die Offiziersausbildung in München. Ein Schwerpunkt der französischen Forschung zur napoleonischen Zeit im 19. und 20. Jahrhundert lag ferner auf der Person Napoleons selbst.49 Nach einer Beschreibung des allgemeinen Forschungsstandes folgt in den nächsten Abschnitten ein methodischer Zugriff auf die Militärgeschichte über die Teilbereiche Soziales, Politik und Militär.50 Die Reihenfolge richtet sich nach der Gewichtung innerhalb der Dissertation. Die vorliegende Arbeit widmet sich einerseits als Teil der Institutionengeschichte dem Aufbau militärischer Organisationsformen und Verwaltungsstrukturen51 sowie andererseits den Offizieren im Rahmen der Elitenforschung. Das bayerische Offizierskorps bildete eine ständeübergreifende soziale Gruppe. Aufgrund seiner speziellen Kenntnisse und Fähigkeiten nahm es innerhalb der Armee als seinem Bezugssystem alle wichtigen Positionen und Funktionen wahr.52 Der Forschungsansatz in der französischen und angloamerikanischen Literatur mit dem 48 Michael Dunan: Napoléon et l’Allemagne: Le système continental et les débuts du royaume de Bavière 1806–1810. Paris 1948, S. 90. 49 Henri Plon und J. Dumais: Correspondance de Napoléon Ier. Publiée par l’Ordre de l’Empereur Napoléon III. Band 11 und 12. Paris 1863. Ders.: Correspondance de Napoléon Ier. Publiée par l’Ordre de l’Empereur Napoléon III. Band 17 und 18. Paris 1865. Plon E. und Nourrit: Lettres inédites de Napoléon Ier. Publiées par Léon Lecestre. Paris 1897. Ferdinand Nicolay: Napoléon Ier au camp de Boulogne. Paris 1907. Jacques Godechot: Napoléon. Paris 1969. George Lefebvre: Napoleon. Stuttgart 1989. 50 Vgl. Nowosadtko: Krieg, Gewalt und Ordnung, S. 131ff. Hier Übersicht über die Varianten des methodologischen Zugriffs zur Militärgeschichte. 51 Ebd., S. 136. 52 Siehe zur Definition des Begriffs „Elite“: Anja Victorine Hartmann: Kontinuitäten oder revolutionärer Bruch? Eliten im Übergang vom Ancien Régime zur Moderne, in: Zeitschrift für Historische Forschung 25 (1998), S. 401–416. Der Begriff „Elite“ wird nach den gängigen Definitionen von Hans-Ulrich Wehler, Elisabeth Fehrenbach, Jürgen Kocka und Alfred Vierkandt verwendet.

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1.3 Forschungsstand

Schwerpunkt auf der operativen Betrachtung wird nicht weiter verfolgt. In der vorliegenden Arbeit liegt das Gewicht auf der sozialen und politischen Komponente. 1.3.2 Sozialer Teilbereich Lange Zeit vernachlässigte die Sozialgeschichtsforschung in Deutschland die Themenfelder der Militär- und der allgemeinen Kriegsgeschichte. Bis in die 60er-Jahre des 20. Jahrhunderts blieb der soziale Teilbereich weitestgehend unerschlossen. Die Militärgeschichtsforschung hatte einerseits kein spezifisches Interesse an Sozialgeschichte und verhielt sich ihr gegenüber restriktiv. Andererseits waren bei sozialgeschichtlichen Studien zum 19. Jahrhundert vor allem die ökonomischen, sozialen, psychischen und politischen Konsequenzen der Industrialisierung von Bedeutung und nicht die militärischen Veränderungen der Zeit.53 Eine Verarbeitung der Ereignisse durch die vom Krieg Betroffenen stellte die Ausnahme dar, obwohl gerade in der napoleonischen Epoche das Kriegsgeschehen den Alltag vieler bestimmte. Beginnend in den 1970erJahren wurden verstärkt Forschungslücken geschlossen: So wird Militärgeschichte als Sozialgeschichte vorwiegend als eine Geschichte der Organisationsformen und ihrer sozialen Bedingungen, der kriegerischen Mentalitäten und Ideologien, der militärischen Einflußnahme auf die Geschäfte der zivilen Gesellschaft, der inner- und außermilitärischen Herrschaftsbildung und jetzt auch der Geschlechterverhältnisse geschrieben.54

Im Bereich der bayerischen Armee blieben aber weiterhin soziale Aspekte weitestgehend unerforscht. 1973 erschien eine erste Arbeit von Hermann Rumschöttel, die sich mit den vielfältigen Facetten – von der Ausbildung über die soziale Stellung bis zum Wirken im Feld – des bayerischen Offizierskorps von 1866 bis 1914 beschäftigt. Im Mittelpunkt stehen hier die Rolle des bayerischen Militärs im Krieg gegen Preußen 1866 und Frankreich 1870/71 sowie die Integration in den neu geschaffenen 53 Vgl. Funck: Militär, Krieg und Gesellschaft, S. 157f. Siehe hier die Klage von Eckart Kehr aus dem Jahr 1933 über die Vernachlässigung der Sozialgeschichte, die laut Funck bis in die 60er-Jahre des 20. Jahrhunderts unverändert Bestand hatte. 54 Ebd., S. 161. Siehe auch die Studien zur Sozialgeschichte, die bei Funck angegeben sind.

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1. Einleitung

deutschen Reichsverband. Hier werden sowohl die soziale Herkunft der einzelnen Offiziere, ihre Ideologie und Mentalität als auch deren schulische Bildung und Ausbildung analysiert. Rumschöttel zeigt, wie in der bayerischen Armee im Vorfeld des Krieges von 1866 Reformen angestoßen wurden, die verbindliche Bildungsvoraussetzungen für Offiziere festlegten. Freiherr von Pranckh trat als bayerischer Kriegsminister für diese Neuerung ein. Seine Bemühungen führten 1872 schließlich dazu, dass grundsätzlich Abitur Voraussetzung für eine Offizierslaufbahn wurde. Allerdings konnten Anwärter weiterhin auch ohne Hochschulreife direkt durch eine Fähnrichsprüfung in das Offizierskorps eintreten. Diese Prüfung legten insbesondere adelige Bewerber ab.55 Soziale Forschungen zur napoleonischen Zeit im süddeutschen Raum erschienen verstärkt zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Sie beschäftigten sich mit den Auswirkungen der Kriege. Konkret standen dabei die Probleme, mit denen die Zivilbevölkerung zu kämpfen hatte, im Vordergrund. Eine Hauptsorge waren die Einquartierungen, Requisitionen und Kriegskontributionen der kriegsführenden Mächte. Das Militär des Rheinbundes galt als bedeutender „Identifikationsfaktor“56 für die lokale Bevölkerung. Weitere Arbeiten haben den einzelnen Kriegsteilnehmer als Individuum zum Thema. Seine physischen und psychischen Belastungen während der Kriege sind Gegenstand der Untersuchung.57 2011 erschien eine umfangreiche Arbeit zum bayerischen Offizierskorps von 1815 bis 1866. Sie bietet zahlreiche Einzeluntersuchungen zu sozialen Belangen sowohl des Korps als Ganzes wie auch einzelner Offiziere. Eine Karriere in der bayerischen Armee erschien in diesen Jahren nicht attraktiv. Die Aussicht auf Beförderung war schlecht. Viele Offiziere verblieben lange in ihren Positionen, wodurch zu wenige Stel55 Rumschöttel: Das bayerische Offizierkorps. 56 Ute Planert: Der Mythos vom Befreiungskrieg. Frankreichs Kriege und der deutsche Süden: Alltag – Wahrnehmung – Deutung 1792–1841. Paderborn 2007, S. 536–544. Für das preußische Militär: Birgitt Hellmann (Hrsg.): Bürger, Bauern und Soldaten. Napoleons Krieg in Thüringen 1806 in Selbstzeugnissen. Briefe, Berichte und Erinnerungen. Weimar 2005. Die Leutnants Christian Ferdinand von Haxthausen und Carl Friedrich von Blumen sowie der Bataillonskommandeur Friedrich Gottlob von Hallmann gaben ihre Erfahrungen aus der Doppelschlacht von Jena und Auerstedt wieder. 57 Stellvertretend hierfür: Julia Murken: Bayerische Soldaten im Russlandfeldzug 1812. Ihre Kriegserfahrungen und deren Umdeutungen im 19. und 20. Jahrhundert. München 2006.

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1.3 Forschungsstand

len für neue Anwärter frei wurden. Zusätzlich führten eine Reduzierung der Sollstärke des Heeres sowie finanzielle Einsparungen in Friedenszeiten ebenfalls zu einem Mangel an Offiziersstellen.58 1.3.3 Politischer Teilbereich Politische Militärgeschichte gilt seit jeher als ein Teilbereich der Militärgeschichte: „Ein politischer Ansatz der Militärgeschichte dient also zur Erklärung realer Entwicklungen, ihrer Genesis und ihrer Folgen.“59 Seit 1970 trat ein Paradigmenwechsel ein, weg von den bis dahin gängigen Beiträgen zu Programmen des Handelns bestimmter Akteure, hin zu einem stärkeren Forschungsblick auf den jeweiligen kulturellen Kontext des politischen Handelns, auf Wertebeziehungen, historische Prägungen sowie emotionale Bedürfnisse und Bilder.60 Das Militär erschien häufig als „Scharnierstelle zwischen Innen- und Außenpolitik“61. Aus der Tradition gewachsen, bestimmten mehrere Aspekte das politische Denken in Bayern beziehungsweise das Handeln seiner Armee. Seit dem Mittelalter bestand ein „Antagonismus zwischen den Häusern Habsburg und Wittelsbach“62. Der Gegensatz zwischen Bayern und Österreich bildete eine Grundkonstante in der Geschichte des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation.63 Zum „zentralen Leitbild der bayerischen Politik“64 gehörte die Angst vor einer österreichischen Annexion. Das Kurfürstentum zeigte aber dennoch, trotz zahlreicher dynastischer Auseinandersetzungen, eine sehr starke Loyalität und Verbundenheit gegenüber dem habsburgischen Kaisertum. Man identifizierte sich über den „Reichspatriotismus“65 mit dem Oberhaupt des Reiches. Schließlich wuchs in Bayern über die Jahrhunderte eine latente Furcht vor französischer Expansion. Sie gründete auf den Erfahrungen der 58 Gundula Gahlen: Das bayerische Offizierskorps 1815 bis 1866. Paderborn 2011. 59 Jost Dülffer: Militärgeschichte und politische Geschichte, in: Thomas Kühne und Benjamin Ziemann (Hrsg.): Was ist Militärgeschichte? Paderborn 2000, S. 139. 60 Ebd., S. 135. 61 Ebd., S. 132. 62 Planert: Der Mythos, S. 505. 63 Ebd., S. 505. 64 Ferdinand Kramer: Bayerns Erhebung zum Königreich. Das offizielle Protokoll zur Annahme der Königswürde am 1. Januar 1806, in: ZBLG 68 (2005), Heft 2, S. 819. 65 Planert: Der Mythos, S. 499ff.

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aggressiven Außenpolitik Ludwigs XIV. im 17. Jahrhundert. Im Land verbreiteten sich unter der Bevölkerung „antifranzösische Stereotype“66, welche zu teilweise sehr stark ausgeprägten antifranzösischen Ressentiments führten.67 In Bezug auf Bayern sind ferner die gegenseitigen diplomatischen Interaktionen zwischen Bayern, Österreich und Frankreich Gegenstand der Forschungen zum politischen Teilbereich. Vorrangiges Ziel der Politik Bayerns war, die Souveränität des Landes zu erhalten. Das Land musste nach dem Zerfall des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation und dessen klaren territorialen Bestimmungen sein von Napoleon definiertes neues Staatsgebiet verteidigen. Ab 1806 bestand zusätzlich für die bayerische Führung die Aufgabe, die Rangerhöhung zum Königreich nach außen hin abzusichern.68 Die Forschung beschäftigte sich konkret mit der Frage der Bündnismöglichkeiten des bayerischen Kurfürsten im Jahr 1805, wobei seine Möglichkeiten und Grenzen eingehend analysiert wurden. In den 30er-Jahren des 19. Jahrhunderts erschien eine ausführliche Abhandlung von Hans Zwehl über die politische Lage des Kurfürstentums unmittelbar vor dem Bündnis mit Napoleon. Sie verdeutlicht die Bemühungen Frankreichs und Österreichs um eine Allianz mit Bayern. Eingehend werden die militärischen Aktionen der Großmächte in Bayern zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele analysiert.69 Ferdinand Kramer erläuterte 2005, ausgehend von der Erhebung Bayerns zum Königreich, ebenfalls die Werbungen Frankreichs und Österreichs um ein Bündnis mit Max Joseph.70 Eine ähnliche Fragestellung nach den politischen Möglichkeiten stellte die Forschung in Bezug auf den Bündniswechsel Bay66 Ebd., S. 478. 67 Vgl. ebd., S. 478. Dazu die ausführlichen Quellenangaben, die auf der Seite angegeben sind. 68 Zur Frage um Bayerns Souveränität siehe: Walter Demel: Der bayerische Staatsabsolutismus 1806/08–1817. Staats- und gesellschaftspolitische Motivationen und Hintergründe der Reform­ ära in der ersten Phase des Königreichs Bayern. München 1983, S. 37ff. Wolfgang Quint: Souveränitätsbegriff und Souveränitätspolitik in Bayern. Von der Mitte des 17. bis zur ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Schriften zur Verfassungsgeschichte. Band 15. Berlin 1971, S. 144ff. „Von einer äußeren Souveränität Bayerns aber konnte keine Rede sein, so lange, wie Montgelas sich ausdrückte, ‚die Influenz Frankreichs so mächtig‘ bestand. Kronprinz Ludwig, der die Politik Montgelas’ immer heftiger als ‚französisch‘ kritisierte, drückte sich weit deutlicher aus. Er nannte Bayern statt ‚souverän‘ einen ‚Satelliten Frankreichs‘.“ Zitat, S. 538. 69 Hans Karl von Zwehl: Der Kampf um Bayern 1805. Band 1. München 1937. 70 Kramer: Bayerns Erhebung, S. 818ff.

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1.3 Forschungsstand

erns 1813 zu den Gegnern Napoleons. Hans W. Schwarz und Alexander Winter beschäftigten sich mit den Ursachen und Motiven des Bündniswechsels.71 Die Allianz zwischen Bayern und Napoleon mit seinen politischen Vorgängen fasste 1985 Marcus Junkelmann zusammen.72 In allen Forschungsbeiträgen stellt sich beim bayerischen Militär demnach die Grundfrage: „für welche Szenarien des Krieges oder Zielvorstellungen zu seiner Herbeiführung und Vermeidung wird es [das Militär] aufgestellt und zusammengehalten“?73 Innerhalb der Armee spielte die Auseinandersetzung mit politischen Fragen der Zeit jedoch eine untergeordnete Rolle. Die Soldaten stellten darüber keine weiterführenden Reflexionen an. Sie hinterfragten nicht den Sinn und Zweck der einzelnen Feldzüge.74 Auch nationaldeutsche Gedanken über einen deutschen Staat kamen in der Armee nicht auf. Vielmehr zeigte sich unter den einzelnen Soldaten wiederholt eine starke Bindung an ihr Land. Der häufig verwendete Begriff „Vaterland“ bezog sich ausschließlich auf Bayern. Die Soldaten fühlten sich in der überwiegenden Mehrheit nicht als „Deutsche“.75 In Bayern beschäftigten sich mit patriotischen und nationaldeutschen Fragen vor allem die seit 1759 ansässige Akademie der Wissenschaften sowie Einzelpersonen wie Lorenz von Westenrieder oder Joseph Burgholzer. Sie machten es sich zur Aufgabe, Aspekte einer deutschen beziehungsweise bayerischen Geschichte aufzuzeigen.76 Neben den Auswirkungen der bayerischen Politik auf die Außenpolitik nahm die Forschung auch die innenpolitischen Veränderungen in den Fokus. Bei der Entwicklung Bayerns in der napoleonischen Zeit geht man von einer gesamtgesellschaftlichen Weiterentwicklung aus. Innenpolitisch entstand ein moderner Territorialstaat mit zentralisierten politischen Institutionen und einer effektiven Verwaltung. Eingebettet in die 71 Hans W. Schwarz: Die Vorgeschichte des Vertrages von Ried. München 1933. (= Münchener Historische Abhandlungen. 1. Reihe. Heft 2). Alexander Winter: Karl Philipp Fürst von Wrede als Berater des Königs Max Joseph und des Kronprinzen Ludwig von Bayern (1813–1825). MBM Band 51. München 1968. 72 Marcus Junkelmann: Napoleon und Bayern. Regensburg 1985. 73 Dülffer: Militärgeschichte, S. 132f. 74 Murken: Bayerische Soldaten, S. 127f. Hier exemplarisch der Russlandfeldzug von 1812. 75 Ebd., S. 133f. 76 Planert: Der Mythos, S. 505.

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1. Einleitung

politischen und militärischen Geschehnisse der Zeit standen damit die innerstaatlichen Veränderungen mit im Fokus.77 Die Verdienste Montgelas’ beim Aufbau staatlicher Strukturen waren dabei von besonderem Interesse.78 1.3.4 Militärischer Teilbereich Der militärische Teilbereich ist sehr gut dokumentiert und bewertet. Die Forschung über die napoleonischen Kriege bietet hauptsächlich Erläuterungen über die einzelnen Schlachten. Im Vordergrund stehen strategische, operative und taktische Betrachtungsweisen. Über die Geschichte der bayerischen Armee, insbesondere über deren Leistungen in den einzelnen Feldzügen der napoleonischen Zeit, gibt es zahlreiche Literatur. Im 19. Jahrhundert begannen insbesondere einzelne Offiziere mit der Darstellung der bayerischen Kriegsgeschichte. Völderndorff und Waradein beschränkte sich auf die Regierungszeit Max I. Joseph. Bei ihm standen die verschiedenen Kriege während der napoleonischen Zeit im Vordergrund.79 Daneben entstand eine Geschichtsschreibung, die die Soldaten als „Verteidiger des Vaterlandes“ verklärte. Ein typisches Beispiel für diese Art der Deutung ist die Geschichte der napoleonischen Kriege von Oberleutnant Johann Heilmann aus dem Jahr 1852. Die bayerischen Soldaten galten für Heilmann als Garanten der staatlichen Unabhängigkeit. Sie zogen jeweils nur in den Krieg, um den Bestand ihrer Heimat zu sichern. Die Abhängigkeit der bayerischen Soldaten von 77 Eberhard Weis: Das neue Bayern – Max I. Joseph, Montgelas und die Entstehung und Ausgestaltung des Königreichs 1799 bis 1825, in: Hubert Glaser (Hrsg.): Krone und Verfassung, König Max I. Joseph und der neue Staat. Beiträge zur bayerischen Geschichte und Kunst 1799–1825 (Wittelsbach und Bayern III/I). München und Zürich 1980, S. 49–64. Ders.: Die Begründung des modernen bayerischen Staates unter König Max I. (1799–1825), in: Max Spindler: Handbuch der Bayerischen Geschichte. Band 4. 1. Teilband. 2. Auflage. München 2003, S. 4ff. Nikolaus Orlop: Alle Herrscher Bayerns. Herzöge, Kurfürsten, Könige – von Garibald I. bis Ludwig III. 2. Auflage. München 2006, S. 402–414. Kramer: Bayerns Erhebung, S. 818. Karl Theodor legte bereits wesentliche unverzichtbare Grundlagen für die staatliche Entwicklung Bayerns. 78 Eberhard Weis: Montgelas. Zwischen Revolution und Reform 1759–1799. Band 1. 2. Auflage. München 1988. Ders.: Montgelas. Der Architekt des modernen bayerischen Staates 1799–1838. Band 2. München 2005. 79 Eduard von Völderndorff und Waradein: Kriegsgeschichte von Bayern unter König Maximilian Joseph I. Erstes bis viertes Buch: Zeitraum vom Jahre 1789 bis zum Frieden von Tilsit 1807. München 1826.

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1.3 Forschungsstand

den Befehlen Napoleons und den französischen Kriegszielen spielt keine Rolle. Bayern hatte demnach keine andere Wahl, sein staatliches Überleben zu sichern, als zunächst ein Bündnis mit Napoleon einzugehen.80 Münich81 gab einen Überblick über die Entwicklung der Armee in zwei Jahrhunderten von Kurfürst Maximilian I. im Jahre 1618 bis zum Ende der Herrschaft Ludwigs I. Dabei setzte er sich mit dem organisatorischen Aufbau des Heeres auseinander. Ihn interessierte die Entwicklung der militärischen Institutionen genauso wie die Veränderungen bei den unterschiedlichen Waffengattungen. Auch Einzelaspekte wie die Ausrüstung, Gestaltung der Uniformen und Bewaffnung des bayerischen Heeres finden sich in Münichs Darstellung. Als Grundlage für das Verständnis des Aufbaus der Armee im 19. Jahrhundert bietet die Arbeit wichtige Informationen.82 In den Arbeiten von Joseph Schmoelzl83 und Karl Theodor Heigel84 stehen die Kampfhandlungen der bayerischen Armee in Schlesien, Polen und Tirol im Mittelpunkt der Betrachtung.85 Des Weiteren erschien im 19. Jahrhundert eine eigene Abhandlung über die kurpfalzbayerischen Truppen.86 Zu Beginn des 20. Jahrhunderts folgte eine kurze Darstellung der bayerischen Armee von 1648 bis 1906. Sie beschränkt sich auf die Schilderung der einzelnen Feldzüge, an denen Bayern beteiligt war. Soziale Aspekte über bayerische Soldaten bietet die Arbeit nicht.87 Oskar Bezzel88 schloss sich mit seiner als Grundlage unentbehr80 Vgl. KA, HS 333. Geschichte der Napoleonischen Kriege von Oberleutnant Johann Heilmann. 81 Friedrich Münich diente als Hauptmann im 1. Infanterieregiment. 82 Friedrich Münich: Geschichte der Entwicklung der bayerischen Armee seit zwei Jahrhunderten. München 1864. 83 Joseph Schmoelzl war Major bei der Artillerie. 84 Karl Theodor Heigel war Professor für Geschichte in München, der vornehmlich in seinen Vorträgen und Studien bayerische Geschichtsthemen aufgriff. 85 Joseph Schmoelzl: Der Feldzug der Bayern von 1806–7 in Schlesien und Polen. Ein Beitrag zur Geschichte des königl. bayerischen Heeres. München 1856. Karl Theodor Heigel: Kronprinz Ludwig in den Feldzügen 1807 und 1809, in: Ders.: Historische Vorträge und Studien. Dritte Folge. München 1887, S. 292–316. 86 Emil Freiherr von Wulffen: Die kurpfalzbayerischen Truppen während der französischen Revolutionszeit. Ein Beitrag zur bayerischen Geschichte. München 1875. 87 Albrecht Ade: Kurzgefaßte Geschichte der Bayerischen Armee 1648–1906. München 1906. 88 Oskar Bezzel, ein ehemaliger Oberst, war in den 1930er-Jahren Direktor des Bayerischen Kriegs­ archivs. Dadurch hatte er Zugang zu zahlreichen Archivalien, die er für seine Geschichte des bayerischen Heeres heranzog.

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1. Einleitung

lichen Geschichte des kurpfalzbayerischen Heeres und der Königlich Bayerischen Armee unter Max I. Joseph an.89 Über die Situation, in der sich das Korps zu Beginn der Herrschaft Max Josephs befand, heißt es: Allein das beständige wenn auch verbotene „Sollicitieren“, die Eifersüchteleien, der Mangel an Unterordnungsgefühl, der noch größere an Kameradschaft, die geringen Anforderungen an allgemeine wie militärische Bildung, das geringe Ansehen, in dem das Offizierkorps bei unzureichender und unregelmäßiger Bezahlung durch ärmliche Lebenshaltung, Schuldenmachen und unstandesgemäßes Auftreten stand, vor allem aber der Stellenschacher und das Günstlingswesen ließen das Offizierkorps moralisch auf einen niedrigen Standpunkt herabgedrückt.90

Bezzel beschäftigte sich mit der Frage der Aufbringung und Ergänzung des Offizierskorps, der Beschaffenheit des Kadettenkorps, der Weiterbildung und dem Ehrbegriff der Offiziere. Demnach suchte man „Söhne angesehener Eltern mit sorgfältiger Erziehung und geeigneter geistiger wie körperlicher Befähigung durch Beförderung zum Offizier für die allgemeine Militärpflichtigkeit zu gewinnen“91. Die stetig steigenden Kriegsverluste der Epoche machten es nötig, neben dem Adel auch Anwärter bürgerlicher Herkunft ins Korps aufzunehmen. Dabei wurden Soldaten rekrutiert, „die sich den Anforderungen ihren [sic!] neuen Berufes moralisch keineswegs gewachsen zeigten“92. Das Überblickswerk bietet, im Gegensatz zu der in den 1930er-Jahren häufig nationaldeutsch und antifranzösisch dominierten93 deutschen Militärgeschichte, eine auf archivalischer Grundlage objektive Sicht auf das bayerische Heer während der napoleonischen Kriege.

89 Oskar Bezzel: Geschichte des kurpfalzbayerischen Heeres von 1778 bis 1803 (Geschichte des Bayerischen Heeres. Band 5, hrsg. vom Bayerischen Kriegsarchiv). München 1933. Ders.: Geschichte des Königlich Bayerischen Heeres unter König Max I. Joseph von 1806 (1804) bis 1825 (Geschichte des Bayerischen Heeres. Band 6.1, hrsg. vom Bayerischen Kriegsarchiv). München 1933. 90 Bezzel: Königlich Bayerischen Heeres, S. 114. 91 Ebd., S. 119. 92 Ebd., S. 119. 93 Stellvertretend für eine derartige Militärgeschichtsschreibung der 1930er-Jahre: Karl Linnebach (Hrsg.): Deutsche Heeresgeschichte. Hamburg 1935. „Die deutsche Armee Bayerns ward aus dem deutschen Heimatboden gestampft.“ Zitat, S. 236.

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1.3 Forschungsstand

1980 lenkte die Forschung den Blick auf die Veränderungen im Heerwesen beim Übergang von Karl Theodor zu Max Joseph. In der Praxis des weitverbreiteten Chargenkaufs unter der Herrschaft Karl Theodors lag demnach der Hauptgrund für die schlechte Verfassung des bayerischen Offizierskorps. Im Laufe der napoleonischen Kriege jedoch entwickelte sich das Korps zu einem effektiven Instrument, nachdem es sich in allen Feldzügen an der Seite Napoleons bewährt hatte.94 Einen weiteren Beitrag zur Entwicklung einer bestimmten Gruppe der bayerischen Armee lieferte die 2007 erschienene Abhandlung über die bayerischen Kadetten.95 Der Forschungsschwerpunkt liegt im 18. Jahrhundert. Die chronologischen Ausführungen reichen vom Frieden von Füssen 1745 bis zum Ende der Militärakademie 1805. Die 1806 unter dem Namen eines Königlich Bayerischen Kadettenkorps fortgeführte Kadettenausbildung erscheint hingegen nur in der Schlussbetrachtung. Anhand von Einzelbeispielen werden die Probleme einer geregelten Offiziersausbildung nach 1815 aufgezeigt.96 Jüngere Forschungsbeiträge schilderten im Einzelnen die Feldzüge von 1796 bis 1815. Sie wandten sich dabei den verbündeten Truppen im Heer Napoleons zu, welche allgemein als sehr wichtig für die Kriegsführung der Franzosen angesehen wurden. Der Rheinbund diente dem Kaiser als zusätzliche Verstärkung für seine militärischen Ziele. Etwa 720.000 ausländische Soldaten wurden so im Laufe der Jahre in der Grande Armée eingesetzt. Bayern war im Zuge des Rheinbundvertrages als größter Mitgliedsstaat verpflichtet, 30.000 Mann zu stellen. Insgesamt dienten rund 110.000 bayerische Soldaten zwischen 1805 und 1813 unter Napoleon.97 Einzelne Feldzüge, wie etwa die Kampagne in Tirol, sind besonders intensiv erforscht. In einem Aufsatz aus dem Jahre 2009, der sich haupt94 Ernst Aichner: Das bayerische Heer in den napoleonischen Kriegen, in: Hubert Glaser (Hrsg.): Krone und Verfassung, König Max I. Joseph und der neue Staat. Beiträge zur bayerischen Geschichte und Kunst 1799–1825 (Wittelsbach und Bayern III/I). München und Zürich 1980, S. 239–253. 95 Horst Erlich: Die Kadettenanstalten. Strukturen und Ausgestaltung militärischer Pädagogik im Kurfürstentum Bayern im späteren 18. Jahrhundert. München 2007. 96 Ebd., S. 333–337. 97 Unter anderem: Gunther Rothenberg: Die Napoleonischen Kriege. Berlin 2000. Joachim Hack (Hrsg.): Die Napoleonischen Kriege. Brandenburg 2008, S. 112–114.

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1. Einleitung

sächlich mit den Ereignissen in Tirol beschäftigte, gewinnt man einen Eindruck über den Zustand der bayerischen Armee um 1809. Mit dem Ziel, einen „modernen Verfassungsstaat“ zu schaffen, lag das Interesse im Militärwesen in der Umwandlung der Armee in ein „Volksheer“. Das Königreich verfügte folglich über eine gut organisierte und effektiv geführte Streitmacht.98 Aus demselben Jahr stammt ein kurzer Abriss über die bayerische Armee an der Seite Napoleons. Sie stand exemplarisch für das militärische Aufgebot aller Rheinbundstaaten.99 1.3.5 Regimentsgeschichten und personenbezogene Quellen Eine besondere Quellengruppe bilden die Regimentsgeschichten. Ihre Anfertigung wurde 1826 von König Ludwig I. persönlich angeordnet.100 Erleichtert wurden die Arbeiten durch das am 10. April 1885 gegründete Bayerische Kriegsarchiv. In ihm wurden die ursprünglich über ganz Bayern in verschiedenen Archiven verstreuten Akten der napoleonischen Epoche an einem zentralen Ort konzentriert und der Forschung zur Verfügung gestellt.101 Damit war der Zugang zu Dokumenten der damaligen Zeit wesentlich vereinfacht. 1891 regte das Kriegsarchiv durch die „Denkschrift über die Bearbeitung einer Bayerischen Heeresgeschichte“ an, sich neben der reinen Schilderung der verschiedenen Kriege überdies mit der Organisation und den inneren Verhältnissen des bayerischen Heeres auseinanderzusetzen.102 1892 forcierte das bayerische Kriegsministerium die Forschungen zur Militärgeschichte, indem es die Anfertigung einer Geschichte der bayerischen Armee von Kurfürst Ferdinand Maria bis zur Gegenwart anordnete. Im selben Jahr begann die Reihe „Darstellungen aus der Bayerischen Kriegs- und Heeresgeschichte“, zusätzlich bestimmte Abschnitte der Militärgeschichte darzulegen.103 98 Hermann Rumschöttel: Bayern am Vorabend des Krieges von 1809, in: Friederike Zaisberger und Fritz Hörmann (Hrsg.): Frieden-Schützen 1809–2009. Golling 2009, S. 55–64. 99 Karl-Volker Neugebauer (Hrsg.): Grundkurs deutsche Militärgeschichte. Die Zeit bis 1914. Vom Kriegshaufen zum Massenheer. Band 1. München 2006, S. 150–153. 100 Max Leyh: Entwicklung und Stand der heeresgeschichtlichen Forschung in Bayern, in: ZBLG 3 (1930), S. 71. 101 Zur Entwicklung des Bayerischen Kriegsarchivs bis zum Jahre 1930 siehe: Ebd., S. 78ff. 102 Ebd., S. 79. 103 Ebd., S. 80.

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1.3 Forschungsstand

In Bayern entstand eine „Militärische Geschichtspolitik“104. Sowohl König Ludwig als auch das Kriegsarchiv in München förderten diese Entwicklung intensiv. Obwohl die Arbeiten den Anspruch erhoben, auf der Grundlage der Quellen des Kriegsarchives verfasst worden zu sein, enthalten sie jedoch Passagen mit starker patriotischer und nationalistischer Färbung. Trotzdem zeichnen sie sich durch eine stellenweise sehr detaillierte Schilderung der Lebensbedingungen einzelner Soldaten aus. Um die soziale Situation einzelner Offiziere besser zu verstehen, bieten sich als Quellen Egodokumente der Soldaten an, die zum Teil Jahre oder Jahrzehnte nach dem Geschehenen geschrieben wurden. Sie entstanden entweder aus der Verklärung des zeitlichen Abstands oder dem Wissen um die folgenden geschichtlichen Ereignisse. Für die soziale Lage der einzelnen Offiziere bieten die Egodokumente jedoch einen unentbehrlichen Erkenntnisgewinn. Dazu gehören Autobiografien und Biografien der Protagonisten. Die Schilderungen der unterschiedlichen militärischen Akteure geben genauere Informationen zu einzelnen Ereignissen. Diese Gattung gewährt Einblick in die unmittelbare Kriegserfahrung des Soldaten. Im Einzelfall sind die Intention und der Wahrheitsgehalt der Biografien nicht mehr einwandfrei nachprüfbar. 1839 erschienen zwei Abhandlungen über die Generäle Wrede und Raglovich. Diese „militär-biographischen Skizzen“ bieten kurze biografische Angaben über die beiden Offiziere. Ihr Schwerpunkt allerdings liegt in einer operationsgeschichtlichen Darlegung der jeweiligen Leistungen Wredes und Raglovichs im Feld.105 Im Laufe des 19. Jahrhunderts kamen weitere Biografien über Wrede und General Deroy hinzu. Auch

104 Hermann Rumschöttel: Kriegsgeschichtsschreibung als militärische Geschichtspolitik? Zur publizistischen Arbeit des Bayerischen Kriegsarchivs nach 1918, in: ZBLG 61 (1998), S. 233–254. „Ist eine Indienststellung von Geschichte für politische Zwecke gemeint, politisch motivierte Geschichtserinnerung, Geschichtsdeutung mit dem Ziel Legitimation oder Identifikation oder Tradition oder Bewußtseinsbildung, aber natürlich auch Distanzierung oder Delegitimierung oder Nicht-Identifikation oder Traditionsbruch.“ Zitat, S. 234. 105 Carl A. Purkhardt: Die bayerischen Generale der Napoleonischen Kriegsepoche. Eine Sammlung militär-biographischer Skizzen. Fürst Wrede. Regensburg 1839. Ders.: Die bayerischen Generale der Napoleonischen Kriegsepoche. Eine Sammlung militär-biographischer Skizzen. Raglovich. Regensburg 1839.

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1. Einleitung

hier überwiegt die Operationsgeschichte.106 Grundlage für eine Darstellung des Kronprinzen Ludwig zur Zeit der napoleonischen Kriege bildet eine 1997 erschienene Biografie von Gollwitzer. Auf den einzelnen Feldzügen, in Polen und Tirol, stand der bayerische Thronfolger in direktem Kontakt mit den übrigen Offizieren. Er füllte formal die Rolle eines Befehlshabers aus. Man gewinnt einen Einblick, wie der Kronprinz aktiv eine Politik verteidigen musste, die er aus eigener Überzeugung nicht für richtig hielt. Ein weiteres Kapitel beschäftigt sich mit der Beziehung Ludwigs zur bayerischen Armee während seiner Herrschaft. Daneben erläutert das Werk ausführlich das Verhältnis Ludwigs zu Napoleon.107 Charakterisierungen und Beschreibungen einzelner Personen erklären ihre Motivation und Entscheidungen. Die Rolle des führenden Generals Wrede beim Zustandekommen des Vertrages von Ried wurde in mehreren Abhandlungen beschrieben. Offensichtlich leitete ihn dabei seine verletzte Ehre. Die Behandlung seitens der französischen Marschälle war der Auslöser für die Abwendung des Generals vom französischen Verbündeten. Demnach schien Wrede eine der treibenden Kräfte beim Übergang zum antinapoleonischen Lager gewesen zu sein.108 In einer biografischen Abhandlung der Herrschaft Karl Theodors wurden dessen Reformen und deren Auswirkungen beschrieben. Der Kurfürst war an militärischen Sachverhalten eher uninteressiert. Er übte zwar offiziell den Oberbefehl aus, trat die wichtigsten Entscheidungsbefugnisse aber an einen Kriegsrat ab. Die Berufung Benjamin Thompsons, des späteren Grafen Rumford, zum militärischen Berater wurde als eine glückliche Entscheidung für Bayern gewertet, da der bis dahin hauptsächlich für die Armee zuständige Freiherr von Belderbusch sich völlig unfähig zu Reformen gezeigt hatte. Rumford hingegen eignete sich vortrefflich für die Aufgabe, verfügte er doch über Kenntnisse ausländischer Militärsysteme, die er in seine Neuerungsversuche 106 Josef Heilmann: Feldmarschall Wrede. Mit dem Porträt des Feldmarschalls. Leipzig 1881. Johann Heilmann: Leben des Grafen Bernhard Erasmus von Deroy, k. b. General der Infanterie. Augsburg 1855. 107 Heinz Gollwitzer: Ludwig I. von Bayern. Eine politische Biographie. München 1997. 108 Winter: Karl Philipp Fürst von Wrede. Schwarz: Die Vorgeschichte des Vertrages von Ried. Wrede führte ein „von“ seit seiner Aufnahme in den Militär-Max-Joseph-Orden 1806. 1809 wurde er in den erblichen Grafenstand erhoben.

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1.4 Zielsetzung und Leitfragen

mit einfließen lassen konnte. Seine Reformanstrengungen führten zu positiven Veränderungen für die Offiziere.109 1930 wurde eine vorläufige Bilanz über den Stand der Militärgeschichtsforschung in Bayern gezogen, welche sowohl vom Kriegsarchiv als auch vom Kriegsministerium unterstützt wurde: Kann auch für die bayerische Geschichte nicht mit der gleichen Eindeutigkeit wie etwa für die preußische die Behauptung ausgesprochen werden, daß geradezu in ihrem Mittelpunkt die Geschichte des Heeres stehe, so bleibt doch auch für sie genug von der Tatsache übrig, daß die Geschichte der Völker und Staaten überall zu einem guten Teil die Geschichte ihrer Heere ist.110

1.4 Zielsetzung und Leitfragen Der Schwerpunkt der Forschung zum bayerischen Offizierskorps in der Zeit von 1799 bis 1815 lag hauptsächlich bei operationsgeschichtlichen Fragestellungen. Andere Aspekte wurden dabei vernachlässigt oder nur partiell angesprochen. Es fehlt bisher ein umfassender Blick auf die Einbindung des bayerischen Offizierskorps in die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse in Bayern. Diese Forschungslücken sollen durch die vorliegende Arbeit geschlossen werden. Ziel der Dissertation ist es, das Offizierskorps als militärische Führungsebene in seiner politischen sowie sozialen Bedeutung zu untersuchen und darzustellen. In diesem Zusammenhang erscheint ein Blick auf die Herrschaft Karl Theodors sinnvoll, um abzuschätzen, ob er Reformen anstieß, die die Grundlage für die spätere Entwicklung unter Max Joseph waren. Es geht um den Grad der Akzeptanz für die Neuerungen, die im bayerischen Heerwesen in dieser Zeit eingeführt worden sind. Wie sah die innere Verfassung des Korps aus, taten sich Konflikte zwischen konservativen und reformfreudigen Offizieren auf ? 109 Felix Joseph Lipowsky: Karl Theodor, Churfürst von Pfalz-Bayern, Herzog zu Jülich und Berg etc. Wie er war, und wie es wahr ist, oder dessen Leben und Thaten. Sulzbach 1828. 110 Zur Wichtigkeit der Geschichte der Heere für die Geschichte der Staaten: Leyh: Entwicklung und Stand, S. 69–84. Zitat, S. 69.

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1. Einleitung

Weiterhin wird untersucht, ob die Reformen innerhalb der bayerischen Armee durch Zwang von außen oder durch Einsicht in deren Notwendigkeit geschehen sind. Die verschiedenen internen Veränderungen, wie zum Beispiel die Ausbildung des Offiziersnachwuchses oder die Struktur des Heeres, stehen dabei besonders im Fokus. Im gleichen Zeitraum erfolgte der endgültige Übergang von einem aus vornehmlich geworbenen Söldnern zu einem zunehmend aus Landeskindern rekrutierten Heer. Hierbei stellt sich die Frage, wie dies von den Offizieren aufgenommen wurde. Ferner soll die These, nach der das Bild der bayerischen Kriegsteilnehmer von ihren Verbündeten im Wesentlichen von der individuellen Wahrnehmung abhing, untersucht werden: „Weder Napoleon noch die französischen Soldaten erfuhren also in den zeitgenössischen Tagebüchern der bayerischen Soldaten eine einheitliche Sichtweise.“111 Das Bündnis mit Napoleon und seine unmittelbaren Auswirkungen auf das Offizierskorps sind ein weiteres Untersuchungsfeld. Es geht darum, ob und in welchem Maß das bayerische Offizierskorps seine Identität unter der französischen Herrschaft verloren hat. Wie groß war die Abhängigkeit des bayerischen Offizierskorps von den Vorgaben französischer Offiziere beziehungsweise waren deren direkte oder indirekte Einflussmöglichkeiten auf das operative Handeln im Feld selbst? Die Zusammenarbeit des bayerischen mit dem französischen Offizierskorps während der verschiedenen Feldzüge wird beleuchtet. Mit der Bündnisverpflichtung der bayerischen Armee muss folglich der Frage nachgegangen werden, für wen die Offiziere in den Krieg zogen. Es soll gezeigt werden, ob sich durch eine allzu große Zuneigung zu Napoleon eine Loyalitätskrise zur herrschenden Dynastie der Wittelsbacher ergeben hat. Überwog eine frankophile Partei bei den Offizieren oder behielten die Bewahrer althergebrachter Traditionen die Oberhand? Die Haltung der militärischen Macht, und insbesondere die ihrer Führung, zum herrschenden Fürsten oder zur bestehenden Herrschaftsstruktur, war ein entscheidender Punkt für die innere Stabilität eines Staates zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Speziell für Bayern galt dies im Hinblick auf die Annahme der Verfassung von 1808 durch die Offiziere. 111 Vgl. Murken: Bayerische Soldaten, S. 126ff. Das Kapitel „Was die Franzosen betrifft“ – Die Sicht auf die Verbündeten. Zitat, S. 130.

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1.4 Zielsetzung und Leitfragen

Die 1987 vom Bayerischen Kriegsarchiv aufgestellte These, nach der die bayerischen Offiziere der napoleonischen Zeit politisch uninteressiert waren, wird kritisch hinterfragt. So heißt es etwa über den General der Artillerie von Triva: Triva war Offizier, er war, wenn man so will, Moralist; Politik war ihm verschlossen und das politische Geschäft war ihm, wenn er auf Montgelas blickte, wohl ein Greuel. Bei aller Treue und Loyalität gegenüber seinem König, er enthielt sich auch hier einer politischen Stellungnahme. (…) Er war unpolitisch, er war Soldat.112

Ein weiteres Untersuchungsfeld ist die soziale Einbindung des Offizierskorps. Das Korps wird als eine gesellschaftliche Gruppe gesehen, deren ökonomische und soziale Rahmenbedingungen näher erläutert werden. Vor allem etwaige Veränderungen, verbunden mit Auswirkungen auf den Alltag der Soldaten während der Herrschaft Max Josephs, stehen dabei im Fokus der Untersuchung. Damit soll deutlich gemacht werden, ob und wie sich die Rolle der Armee innerhalb der bayerischen Gesellschaft gewandelt hat. Zu klären gilt es im Speziellen, wie groß die soziale Homogenität, insbesondere auch im Bereich der Rekrutierung innerhalb des Standes der Offiziere zu Beginn des 19. Jahrhunderts, war. Konkret bedeutet dies, den Anteil des Adels gegenüber den Offizieren bürgerlicher Herkunft während der napoleonischen Kriege zu überprüfen und mögliche Veränderungen aufzuzeigen. Dabei erscheint es sinnvoll, zwischen den Gebieten des alten Kurfürstentums und den von Napoleon an Bayern gegebenen zu unterscheiden. Der Integrationsprozess der Offiziere aus fränkischen und schwäbischen Gebieten wird gesondert betrachtet. Eigene empirische Untersuchungen dienen dazu, ein umfassenderes Bild von der inneren Beschaffenheit des Korps zu gewinnen. Diesbezügliche Grundlagen fehlen bisher in der Forschung. Das Thema „Zwischen eigenstaatlicher Souveränität und napoleonischem Imperialismus: Das bayerische Offizierskorps 1799–1815“ bietet eine dreifache Perspektive. Geografisch liegt der Schwerpunkt auf Bayern einschließlich der dazugewonnen Gebiete. Zeitlich ordnet sich 112 Rainer Braun: Bayern und seine Armee. München 1987, S. 22f.

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1. Einleitung

die Arbeit vom Regierungsantritt Kurfürst Karl Theodors 1777 bis zum Ende der napoleonischen Kriege 1815 ein. Die dritte Perspektive bezieht sich auf die unmittelbaren Erfahrungen des Individuums. Wie verhielten sich die einzelnen bayerischen Offiziere in dem im Titel genannten Spannungsfeld? Max Joseph verlangte von seinen Offizieren absolute Treue und Loyalität. Eine ihm ergebene Armee sollte in erster Linie für die innen- und außenpolitischen Ziele Bayerns einstehen. Sie stand hingegen auch unter dem napoleonischen Imperialismus. Diese Form des Imperialismus zeichnete sich vor allem durch den Versuch aus, die Oberherrschaft über das Militär anderer Staaten zu gewinnen. Mithilfe der zusätzlichen Kontingente konnte Frankreich eine aggressive Außenpolitik betreiben. Der in der Arbeit verwendete Begriff des napoleonischen Imperialismus bezieht sich auf den Grad der Befehlsgewalt Napoleons über das bayerische Militär. Wie stark bestimmten französische Vorgaben das Wirken der Armee Max Josephs? Wie empfand der bayerische Offizier diese militärische Dominanz? Inwieweit andere gesellschaftliche Bereiche unter französischem Einfluss standen, wird, sofern es für das bayerische Offizierskorps von Belang gewesen ist, in den jeweiligen Abschnitten kontextualisiert.113 Eine Bewertung musste vor dem Hintergrund der wechselnden Erfolge der bayerischen Gefolgschaft gemacht werden. Das Spannungsfeld reichte von der Euphorie der Anfangserfolge bis zur totalen Niederlage im Russlandfeldzug. Dem politischen und militärischen Seitenwechsel kam dabei eine besondere Rolle zu. 1.5 Quellengrundlage und methodisches Vorgehen Die Dissertation beschreibt und bewertet die Stellung einer gesellschaftlich relevanten Gruppe in einem regionalen Rahmen über einen Zeitraum von rund 40 Jahren. Deshalb erscheint eine chronologische Betrachtung sinnvoll. Die Akteure sind dabei das Haus Wittelsbach mit dem bayerischen Offizierskorps sowie Napoleon und die französischen Militärs. 113 Jörg Fisch: Imperialismus, in: Otto Brunner, Werner Conze und Reinhart Koselleck (Hrsg.): Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Band 3. Stuttgart 1982, S. 175.

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1.5 Quellengrundlage und methodisches Vorgehen

Die einzelnen Offiziere werden als Teile einer Struktur gesehen, untersucht und bewertet. Sie sind eingebunden in andere Zusammenhänge wie Herkunft oder Nationalität. Eingehender struktureller Wandel geschieht meistens nicht in allen Lebensbereichen gleichzeitig, sondern es kommt häufig zu Phasenverschiebungen.114 Das bayerische Offizierskorps als Hauptuntersuchungsgegenstand ist durch umfangreiche Archivbestände dokumentiert.115 Hier sind in erster Linie die Bestände des Bayerischen Kriegsarchivs in München als Grundlage nutzbar. Leider gibt es seit 1945 einige Aktenbestände nicht mehr im Münchner Kriegsarchiv. Beispielsweise fehlen die „Ordres“ Max Josephs an seine Armee von 1807 bis ins Jahr 1815. Man muss sich auf eine nachträglich gedruckte Edition der Armeebefehle stützen, die leider nicht lückenlos alle Anweisungen enthält.116 Das Kriegsarchiv in München bietet ferner zu den Jahren 1805 bis 1815 Ranglisten der bayerischen Armee, anhand derer ein Überblick über die verschiedensten Dienstgrade möglich ist.117 Es bietet sich an, die Zeugnisse der Militärs in vier Gruppen einzuteilen: erstens die Dokumente, die unmittelbar nach dem Geschehenen geschrieben wurden. Zu dieser Quellengruppe gehören Tagebücher und andere persönliche Aufzeichnungen. Zweitens die Rechtferti114 Zur Theorie der „Strukturanalyse“: Karl-Georg Faber: Theorie der Geschichtswissenschaft. München 1982, S. 100ff. 115 Alle Quellen aus den Archiven sind in der damaligen Rechtschreibung und Grammatik zitiert. Beim Alten Bestand (A) und dem Feldzugsbestand (B) des Bayerischen Kriegsarchivs wird in den Fußnoten weitestgehend nur die entsprechende Signatur des Archivs angegeben, beim Bestand Handschriften (HS) neben der Signatur ein kurzer Titel. Methodische Anmerkung zum Fließtext: Da historische Quellen die Unterscheidung zwischen „Wrede“ und „von Wrede“ oft vernachlässigen, unterbleibt eine genaue Unterscheidung in der vorliegenden Arbeit. Das gleiche gilt für „Triva“ beziehungsweise „von Triva“. 116 Bayerisches Hauptstaatsarchiv München (Hrsg.): Sammlung der Armeebefehle an die bayerische Armee 1807–1820. München o. J. Im Folgenden werden beim Zitieren aus der Sammlung der Armeebefehle jeweils das Erscheinungsdatum und die laufende Nummer des Befehls in der Edition angegeben. 117 Vgl. KA, HS 1648 bis KA, HS 1653. Dies sind die Ranglisten der Jahre 1805, 1806, 1807, 1808, 1810 und 1815. Zur Entstehung der Ranglisten: Othmar Hackl: Rangliste der KöniglichBayerischen Armee für das Jahr 1811. Osnabrück 1982. Schon vor der napoleonischen Zeit entstanden erste Ranglisten über die bayerische Armee. 1811 erschien die erste gedruckte Ausgabe. Nach 1815 erstellte man zunächst keine weiteren Ranglisten. 1831 erschienen unter der Bezeichnung „Militärhandbuch des Königreichs Bayern“ neue Auflistungen.

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1. Einleitung

gungsschriften, welche meist erst nach dem Ende der Kämpfe verfasst worden sind. In ihnen versuchten die Militärs, die Feldzüge aus ihrer subjektiven Sicht darzustellen. Drittens umfassende Darstellungen in Chroniken, Erinnerungsschriften oder Historiografien. Dazu zählen die Regimentsgeschichten und Darstellungen der Bayerischen Kriegs- und Heeresgeschichte. Viertens Originaldokumente, wie Feldzugsakten, Offiziersakten und Ranglisten.118 Auffällig ist, dass die persönlichen Dokumente der ersten Gruppe meist von Offizieren geschrieben worden sind. Das erklärt sich aus der vielfach fehlenden Schreibfähigkeit unterer Chargen. Da es nur wenige Zeugnisse einfacher Soldaten über ihre Offiziere gibt, kommt ihnen in der Dissertation eine umso gewichtigere Bedeutung zu. Die Rechtfertigungsschriften bedürfen einer quellenkritischen Bewertung. Die Autoren verfolgten in der Regel ein bestimmtes Ziel mit ihrer Anfertigung. Die Bestände der dritten Gruppe beleuchten die Armee und ihre Entwicklung während bestimmter Jahre der napoleonischen Zeit. Sie geben einen Überblick über das Agieren des bayerischen Offizierskorps sowie einen Einblick in die Veränderungen, die das Heer durchlief. Die Regimentsgeschichten bieten für die Arbeit wertvolle Einblicke in den Erfahrungskontext einzelner bayerischer Offiziere, zumal sie selbst zum großen Teil von Militärs verfasst wurden, die über den nötigen Sachverstand für die Thematik verfügten. Anhand der Feldzugsakten wird die Interaktion zwischen den französischen und bayerischen Offizieren sichtbar. Man erhält einen Einblick in den genauen Weg der Befehlsgebung und Befehlsausübung. Die Offiziersakten führender Militärs geben Einblicke in deren soziale Situation. Zusammen mit den Ranglisten bilden sie die Grundlage für eine eigene empirische Untersuchung der sozialen Schichtung des Offizierskorps in der Dissertation. Das Geheime Hausarchiv der Wittelsbacher liefert durch die Korrespondenz wichtiger Entscheidungsträger der damaligen Zeit Erkenntnisse über deren Intentionen und Anweisungen. Zusätzlich wird die Quellengrundlage durch die Bestände der Bayerischen Armeebibliothek Ingolstadt und des Stadtarchivs Pfaffenhofen erweitert. Ingolstadt bietet eine Auswahl an verschiedenen Denkschriften von bayerischen Offizieren. Die Rolle des Bürgermilitärs wird im lokalen 118 Vgl. Einteilung gemäß Hellmann (Hrsg.): Bürger, Bauern und Soldaten, S. 12.

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1.5 Quellengrundlage und methodisches Vorgehen

Rahmen durch Unterlagen des Stadtarchivs Pfaffenhofen untersucht. Die Veröffentlichungen des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes in Potsdam ergänzen die empirischen Studien zum Offizierskorps. Durch sie werden die bayerischen Besonderheiten beziehungsweise Parallelen verdeutlicht. Der Bestand der verschiedenen Archive weist eine Reihe von Quellen auf, bei deren objektiver Einschätzung gewisse Probleme auftauchen. Grundsätzlich unterlag die Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts einer nationalen Färbung. Dies galt mit Einschränkungen auch noch für die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts. Das Bilden und Festigen von Nationalstaaten förderte eine subjektive Betrachtung der Geschichte. Eine Bewertung der Ereignisse wird 200 Jahre später dadurch erschwert. Zudem ist der radikale und schnelle Seitenwechsel von Nationen und Heeren aus heutiger Sicht emotional ein sehr schwer zu fassender Faktor. Es fällt nicht leicht, eine klare zeitliche Trennlinie zwischen den verschiedenen Arten von Geschichtsschreibung zu ziehen. Daher werden sie in der Arbeit kritisch überprüft. Als Forschungsgrundlage für die unmittelbare Kriegserfahrung der bayerischen Offiziere dient die Definition des Erfahrungsbegriffs vom Tübinger Sonderforschungsbereich „Kriegserfahrungen. Krieg und Gesellschaft in der Neuzeit“. Die Erfahrungen der Kriegsteilnehmer sind demnach als Teil eines übergeordneten Prozesses anzusehen, der nicht mit dem unmittelbaren Ende eines einzelnen Feldzuges abschließt.119 Im Mittelpunkt des Forschungsinteresses stehen ferner Fragen der Alltagsgeschichte, der Mentalität und Sozialisierung sowie die Verortung des Militärischen in der Gesellschaft. Dazu wird der von Anne Lipp definierte kulturgeschichtliche Ansatz angewandt. Die „Militärgeschichte als Kulturgeschichte“ widmet sich den einzelnen Akteuren: „Zu ihrem Themenspektrum gehört es fraglos, die Deutungs- und Wahrnehmungsstrukturen, Welt- und Gesellschaftsbilder, Wert- und Orientierungsmuster von Offizieren und Soldaten zu untersuchen und in Beziehung zu

119 Vgl. Nikolaus Buschmann und Horst Carl (Hrsg.): Die Erfahrung des Krieges. Erfahrungsgeschichtliche Perspektiven von der Französischen Revolution bis zum Zweiten Weltkrieg. Paderborn 2001, S. 12f.

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1. Einleitung

deren sozialer Praxis zu setzen.“120 Anhand der Erfahrungen der verschiedenen bayerischen Offiziere zieht die Kulturgeschichte Rückschlüsse auf die Struktur und die Handlungen des gesamten Offizierskorps: Daß eine kulturgeschichtlich orientierte Militärgeschichte sich mit militärisch definierten Personengruppen sowie der Rolle des Militärs im jeweiligen gesellschaftlichen Kontext zu befassen hat, dürfte unstrittig sein (…). Damit thematisiert Militärgeschichte als Kulturgeschichte nicht nur die Ebene der Strukturen, sondern ebenso die Prozesse, in denen diese kulturellen Strukturen durch die Praxis der Akteure bestätigt, verändert, abgeschafft oder neu hervorgebracht werden.121

Die damit eng verbundene Sozialgeschichtsforschung befindet sich „in einem andauernden Prozeß der thematischen, methodischen und schließlich der theoretischen Erweiterung, besser: Erneuerung“122: So wird Militärgeschichte als Sozialgeschichte vorwiegend als eine Geschichte der Organisationsformen und ihrer sozialen Bedingungen, der kriegerischen Mentalitäten und Ideologien, der militärischen Einflußnahme auf die Geschäfte der zivilen Gesellschaft, der inner- und außermilitärischen Herrschaftsbildung und jetzt auch der Geschlechterverhältnisse geschrieben.123

Der Arbeit liegt im ersten Teil eine Zustandsbeschreibung der bayerischen Armee zugrunde. Sie umfasst die militärischen Reformen und ihre Auswirkungen im geschichtlichen Kontext. Im methodischen Ansatz werden dazu zahlreiche Egodokumente bayerischer Offiziere unterschiedlicher Dienstgrade zusammen mit einschlägiger Forschungsliteratur untersucht und zu einer umfassenden Auswertung zusammengeführt. Bei der empirischen Untersuchung der sozialen Schichtung, Herkunft und Bildung der Offiziere werden als Grundlage die Ranglisten der bayerischen Armee sowie entsprechende Dokumente aus dem Handschriftenbestand und Feldzugsbestand des Kriegsarchivs genommen. Für die Erfassung der sozialen Rolle des Offizierskorps, seiner Motivation, sei120 Anne Lipp: Diskurs und Praxis. Militärgeschichte als Kulturgeschichte, in: Thomas Kühne und Benjamin Ziemann (Hrsg.): Was ist Militärgeschichte? Paderborn 2002, S. 227. 121 Ebd., S. 213f. 122 Funck: Militär, Krieg und Gesellschaft, S. 157. 123 Ebd., S. 161.

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1.5 Quellengrundlage und methodisches Vorgehen

nes Geistes und der konfessionellen Verteilung eignet sich keine archivarische Quelle als zusammenfassende Grundlage. Diese Aspekte können nur durch eine Vielzahl von Einzelquellen erforscht werden: Das Militär und seine Vermittlungsinstanzen waren immer auch Projektionsfläche von Erwartungen, Zuschreibungen und Forderungen, die weit über das rein Militärische hinauswiesen, gesellschaftliche Orte, an denen sozialer Status und Prestige, gesellschaftliche Werthaltungen und Identitäten repräsentiert oder auch erst erworben und verhandelt wurden.124

Die Stellung des bayerischen Offizierskorps in der Gesellschaft wird in erster Linie über die Bestände des Innenministeriums und entsprechende Einträge in den Feldzugsakten und Protokollen des Kriegsökonomierats untersucht. Insgesamt folgt die Arbeit der Frage nach „langlebigen kollektiven Strukturen, nach den historischen Bedingungen und den Spielräumen möglicher Ereignisse und Handlungen“125.

124 Ebd., S. 165. 125 Ebd., S. 162.

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