1. Einleitung

1. Einleitung Tenside verfügen über die besondere Eigenschaft, die Spannung zwischen den Grenzflächen zweier Phasen herabzusetzen. Diese Eigenschaft, aktiv Grenzen zu überwinden, macht sie zu einer viel gefragten Stoffgruppe. Sie fungieren z.B. als Emulgatoren, indem sie die Grenzflächenspannung zwischen zwei flüssigen Phasen vermindern. Auch zwischen unterschiedlichen Aggregatzuständen können sie phasenvermittelnd wirken, so z.B. als Schaumbildner zwischen gasförmigen und flüssigen Stoffen, als Solubilisatoren oder Netzmittel zwischen Flüssigkeiten und Feststoffen. Das grenzflächenaktive Verhalten lässt sich auf den chemischen Bau dieser Stoffgruppe zurückführen. Sie bestehen aus einem hydrophilen sowie einem hydrophoben Teil und können aufgrund dieser Ambivalenz die Grenzflächenspannung herabsetzen und phasenvermittelnd wirken. Sowohl in Bereichen des täglichen Lebens, als auch in großem Maße in der Industrie finden sie deshalb häufig Verwendung [213]. In Arzneimitteln sind Tenside als Hilfsstoffe unentbehrlich. Von Hilfsstoffen werden neben konstanter Qualität, chemischer und physikalischer Inaktivität und mikrobiologischer Reinheit vor allem eine gute physiologische Verträglichkeit gefordert [20]. Obwohl ihre orale Toxizität in aller Regel als gering eingeschätzt worden ist, stehen Tenside immer wieder im Mittelpunkt toxikologischer Untersuchungen [25, 99, 168]. Bei solchen toxikologischen Tests werden Tenside vor allem auf ihre Unbedenklichkeit im Hinblick auf ihre lokale Anwendung hin untersucht [41, 144, 168]. Tenside sind bekannt dafür, dass sie Haut-, Schleimhaut- und Augenirritationen verursachen können [73, 113, 129, 203]. Natriumdodecylsulfat wird seit längerer Zeit als Standardirritans verwendet [74, 236]. Das Ausmaß lokaler Irritationen, die durch Tenside verursacht werden, ist von vielen Faktoren abhängig. Dazu gehören die physiko-chemischen Eigenschaften des Tensids, die Konzentration, die Einwirkzeit, die Temperatur, der Hauttyp der betroffenen Person und andere Begleitumstände [24, 140, 145, 174, 185]. Tenside verursachen zumeist lokale Irritationen, die nicht die Folge immunologischer Sensibilisierung sind. Eine Rolle bei der Entstehung von lokalen Irritationen durch Tenside spielen vor allem Interaktionen der Tenside mit Proteinen der Epidermis, die Ausmaß und Heftigkeit der Irritationen bestimmen. Eigenschaften der Tenside wie Lipophilie und die Stärke der oberflächenaktiven Wirkung sind hingegen für die 1

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Irritationen nicht ursächlich [140, 185]. Für die Schäden an Haut und Schleimhaut werden verschiedene Mechanismen diskutiert. Dazu gehören unter anderem Zytotoxizität [136, 137] und Wechselwirkungen mit Membranen [160]. Durch Membranschäden ist die Barriere Haut nicht mehr vollständig intakt. Es kommt zu erhöhtem Wasserverlust und dadurch zu Spannungsgefühl, Juckreiz und Schuppung. Chemische Noxen wie Allergene und toxische Stoffe können leichter in die Haut eindringen. Des Weiteren werden wasserbindende Stoffe wie z.B. Harnstoff aus der Haut herausgelöst [185, 202]. Äußere Epidermisschichten bestehen aus toten Keratinozyten. Die Zytotoxizität spielt daher vor allem an den Schleimhäuten und an verletzter Haut eine Rolle. Insbesondere Zellnekrosen können Entzündungen verursachen und die Funktionstüchtigkeit des betroffenen Gewebes verringern und so zur Entstehung lokaler Irritationen beitragen [136, 171, 174, 202]. Es gibt sehr viele unterschiedliche Methoden zur Bestimmung des Irritationspotenzials, die sowohl In-vitro- als auch In-vivo-Methoden umfassen. In-vivo-Methoden zur Untersuchung lokaler Irritationen können am Tier und an freiwilligen Probanden durchgeführt werden. Für Tierversuche werden vor allem Ratten und Kaninchen verwendet [105, 176]. Als Standardtest galt lange Zeit der 1944 eingeführte Draize-Test. Hier wird die zu untersuchende Substanz in den Konjunktivalsack des Auges oder auf die rasierte Haut des Kaninchen aufgetragen [67]. Die Reaktionen des Versuchstieres werden in der Regel nach einem Score-System beurteilt, dem subjektive Beobachtungen zu Grunde liegen. Untersuchungen an Freiwilligen sind auf Tests an der Haut oder an der Mundschleimhaut beschränkt. Auch bei diesen Tests wird meist ein Score verwendet, der die beobachteten Veränderungen erfasst. Objektive Parameter bei der Bestimmung von Hautirritationen in vivo sind der Transepidermale Wasserverlust (TEWL) und die Vermessung bestimmter Hautveränderungen wie z.B. Hydratation oder Erytheme [74, 185, 236 ]. Bei In-vitro-Methoden wird in verschiedenen Systemen die Zytotoxizität bestimmt. Dabei werden entweder die Membranintegrität der Zelle, Veränderungen der Zellmorphologie oder physiologische Leistungen, die die Zelle erbringen kann, untersucht. Es gibt auch spezielle In-vitro-Modelle, die für eine bestimmte Art lokaler Toxizität etabliert wurden, z.B. Tests an Hautexplantaten oder dreidimensionalen Hautgewebekulturen, Untersuchungen an isolierten Hornhäuten oder den HET-CAM-

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Test, bei dem die Chorionallantoismembran der extraembryonalen Gefäßsysteme des Hühnerembryos verwendet wird [114, 119, 139]. Die erwähnten In-vitro-Methoden haben gegenüber den In-vivo-Methoden einige Vorteile. Sie sind wesentlich weniger aufwendig. Die erzielten Ergebnisse sind objektiv. Es können Konzentrations-Wirkungs-Beziehungen und konkrete Parameter, wie z.B. eine halbmaximale zytotoxische Konzentrationen (CC50), bestimmt werden. Informationen zu den Mechanismen, die die Toxizität bedingen, können gewonnen werden. In-vitro-Versuche sind ethisch vertretbar, da sie keine Belastung für Versuchstiere oder freiwillige Probanden darstellen. Des Weiteren sind die erzielten Ergebnisse oft besser reproduzierbar [114, 174, 211]. Für

Zytotoxizitätstests

zur

Bestimmung

des

Irritationspotenzials

können

verschiedene Zellsysteme verwendet werden. Sie sollten nach Möglichkeit von dem entsprechenden Gewebe abstammen, für das das Irritationspotenzial bestimmt werden soll, z.B. Keratinozyten oder Fibroblasten zur Bestimmung von Hautirritationen. Da permanente Zellkulturen sich besser handhaben lassen und in der Regel zu den gleichen Ergebnissen führen wie Primärkulturen, sind sie für solche Untersuchungen gut geeignet [27, 136]. Die Membranintegrität der Zelle kann durch Färbemethoden, Bestimmung freigesetzter Zellinhalte oder freigesetzte Membranbestandteile bestimmt werden. Eine Färbemethode ist z.B. die Trypanblaufärbung, bei der das Eindringen eines Farbstoffes in die Zelle erfasst wird. Ein Stoff aus dem Zellinneren, der sehr häufig als Maß für die gestörte Membranintegrität bestimmt wird, ist die Lactatdehydrogenase (LDH). Im [3H]Arachidonsäure-Freisetzungstest (AART) wird die Herauslösung von Arachidonsäure aus der Zellmembran untersucht. Als Bestandteil der Membranphospholipide ist die Arachachidonsäure fest in die Zellmembran integriert. Die Arachidonsäure-Freisetzung

aus

der

Zellmembran

stellt

ein

Maß

für

die

Membrantoxizität einer Testsubstanz dar [123, 134]. Physiologische Leistungen der Zelle, die als Maß für ihre Vitalität bestimmt werden sind z.B. eine aktive Aufnahme von Stoffen in die Zelle, die beim Neutralrotaufnahme-Test bestimmt wird [137, 154]. Als Maß für die Zellzahl wird der DNA- oder Proteingehalt der Zelle ermittelt [102, 154]. Auch das Reduktionsvermögen ist eine solche physiologische Leistung. Es wird vor allem im MTT- oder XTT-Test ermittelt. Bei diesen Tests wird die Fähigkeit der Zelle bestimmt, mit Hilfe ihrer, in Mitochon-

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drien lokalisierten Dehydrogenasen, Tetrazoliumsalze zu reduzieren [36, 135, 161, 199]. Es sind grundsätzlich zwei Arten des Zelltodes zu unterscheiden, die Zellnekrose und die Apoptose. Während die Apoptose einen physiologischen Prozess darstellt, bei dem die Zelle nach “programmiertem“ Ablauf stirbt, wird die Nekrose ausschließlich durch äußere Noxen ausgelöst und verursacht im Gegensatz zur Apoptose Entzündungen [171]. Für Tenside werden überwiegend nekrotische Zellveränderungen angenommen, da sie meist stark hämolytisch wirken. Erythrozyten besitzen keinen Zellkern, sodass bei der Hämolyse von einem nekrotischen Prozess ausgegangen wird [187]. Spezielle Untersuchungen zur Art des durch Tenside verursachten Zellsterbens fehlen weitestgehend. Nur bei Triton® X-100 und Benzalkoniumchlorid sind apoptotische Zellveränderungen beobachtet worden [5, 31, 57, 58, 209]. In der vorliegenden Arbeit werden grenzflächenaktive Substanzen untersucht, die sehr häufig und mit unterschiedlicher Zweckbestimmung in der Pharmazie zum Einsatz kommen. Es wird die In-vitro-Toxizität von Tensiden untersucht, die im Europäischen Arzneibuch (Ph. Eur.), im Deutschen Arzneibuch (DAB) oder im Deutschen Arzneimittelcodex (DAC) offizinell sind. Es handelt sich dabei um 12 Tenside unterschiedlicher chemischer Struktur, die eine breite Verwendung als Hilfsstoffe in der Pharmazie finden. Es sind Tenside, die uns täglich im pharmazeutischen Alltag begegnen. Tenside werden nach der Ladung ihrer hydrophilen Gruppe in anionische, kationische, nichtionische und amphotere Tenside eingeteilt [73]. Es finden sich bei den zu untersuchenden Verbindungen Vertreter aus allen vier Gruppen. Zur Untersuchung der In-vitro-Toxizität der offizinellen Tenside werden zwei Testsysteme verwendet, bei denen wichtige Vitalitätsmerkmale der Zelle bestimmt werden, die essentiell für das Entstehen lokaler Irritationen sind. Im [3H]Arachidonsäure-Freisetzungstest (AART) wird die Interaktion der Tenside mit der Zellmembran untersucht. Um die Zytotoxizität zu ermitteln, wird der XTT-Tetrazoliumreduktionstest EZ4U verwendet. Zusätzlich werden Veränderungen der Zellmorphologie mikroskopisch beobachtet. Die Untersuchungen werden an der humanen promonozytären Zelllinie U937 sowie an humanen Keratinozyten (HaCaT) durchgeführt. Es soll ergänzend untersucht werden, ob das Zellsterben, das im Zytotoxizitätstest ermittelt wird, bei Tensiden auch auf apoptotischen Veränderungen in den Zellen beruhen 4

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kann. Mit einem ELISA-Sandwich-Test sollen Histon-assoziierte DNA-Fragmente von mit Tensiden behandelten U937-Zellen bestimmt werden. Des Weiteren werden mittels Durchflusszytometrie nach Annexin-V-Propidiumiodid-Färbung durch Tenside induzierte nekrotische und apoptotische Zellveränderungen an U937-Zellen analysiert. Neben der Suche nach ursächlichen Zusammenhängen ihrer lokalen Toxizität werden Konzentrations-Wirkungs-Beziehungen und Kenngrößen ermittelt, um das Irritationspotenzial der Tenside zu beurteilen. Außerdem sollen in der vorliegenden Arbeit die verwendeten Methoden verglichen und kritisch hinsichtlich ihrer Eignung als In-vitro-Tests zur Abschätzung von lokalen Irritationen bewertet werden.

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