08. I nden Debatten von politischer Bildung und wissenschaftlicher

Wolfgang Beutel I nden Debattenvon politischer Bildung und wissenschaftlicher Schul pädagogik haben sich seit 200 I die Begriffe "Demokratisch Handel...
Author: Petra Hoch
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Wolfgang Beutel

I nden Debattenvon politischer Bildung und wissenschaftlicher Schul pädagogik haben sich seit 200 I die Begriffe "Demokratisch Handeln" (Beutel/Fauser 1990;200 I), "Demokratie Lernen" (Fauser / Edelstein 200 I, Himmelmann 2001} und "Demokratiepädagogik" (Beutel / Fauser 2007; de Haan / Edelstein / EikeI2007) etabliert. Begleitet wurde dies durch eine zunächst heftige Kontroverse zwischen der schulpädagogischfundierten Demokratiepädagogik und der fachdidaktisch begründeten Politischen Bildung. Eine bibliographische Übersicht! zur Publizistik zu diesem Themenkreis seit 200 1 in diesen beiden Wissenschaftsbereichen listet inzwischen über 90 Beiträge und Buchtitel. Zunächst soll der Hintergrund dieser breiten, bisweilen sehr kontrovers und heftig ausgetragenenDebatte skizziert werden ( I.). Anschließend werden Konzepte und Programme zur "Demokratiepädagogik" angesprochen (2.). Das "Förderprogramm Demokratisch Handeln" - eines der in diesem Feld schon lange arbeitendes Projekte - wird umrissen, Ergebnisse (3.) und ein Beispiel (4.) werden vorgestellt. Die Grundlagen der Demokratiepädagogik (5.) und ihre Entwicklungsperspektiven (6.) werden abschließend diskutiert. 1

Demokratiepädagogikund Demokratie Lernen - ein Phänomenseit 2001?

Bereits inden 1990er Jahrenhat sich mit dem "Förderprogramm Demokratisch Handeln" eine Initiative etabliert, die praktische Unterstützung und Veränderung der Schulwirklichkeit, wissenschaftliche Einsichten in die Schulentwicklung und einen bundesweiten Wettbewerb für Schüler und Schulen erfolgreich miteinander verbinden konnte (Beutel! Fauser 1990). Erste Überlegungen und Vorbereitungen zu diesem Projekt datieren von 1989, noch vor der politischen Wende in der ehemaligen DDR. Ausgangspunkt waren zunächst drei gesellschaftliche, politische und pädagogische Erscheinungen: Einerseits waren dies die Diskussionen der 1980erJahre um die zunehmendeAbwendung der Jugendlichen von der Politik -der Beginn der inzwischen vielfältig beschriebenen und beklagten "Politikverdrossenheit" (Wissmann! Hauck 1983; Arzheimer 2002). Zum zweiten trug das Erscheinen einer "Neuen Rechten" insbesondere in den Kommunalparlamenten mit der Partei der "Republikaner" und zum dritten ein erfolgreiches Schulentwicklungsprojekt zum "Praktischen Lernen" (Projektgruppe 1998) zu dieser Programmgenesebei. Inden ersten zehn Jahren seiner bisherigen Laufzeit konnte dieses Förderprogramm

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Demokratisch Handeln im Feld derSchulentwicklung als Seismograph und Sammelinstrument sowie ganz praktisch auch als Schul- und Schülerwettbewerb etabliert und stabilisiert werden. Im Jahr 200 I - nach bereits mehr als zehnjähriger Laufzeit von "Demokratisch Handeln" - trafen jedoch drei Entwicklungen aufeinander. Zum einen gelang es, ein Modellprogramm "Demokratie lernen und leben" der BundLänder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung auf der Basis einer Expertise von Wolfgang Edelstein und Peter Fauser (200 I) zu etablieren, das seit März 2007 erfolgreich abgeschlossenist. Auch diesem Programm liegen Vorüberlegungen bereits seit 1998 zugrunde. Diese Überlegungen gingen aus von der der damals neu gewählten Bundesregierung "... und den Länderregierungen sowie von Städten, Kommunen und zivilgesellschaftlichen Einrichtungen [...], um Rechtsextremismus,Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Rassismus entgegen zu wirken" (Welz 2005). In die Programmgestaltung ist die Expertise des Förderprogramms Demokratisch Handeln ebenfalls eingeflossen. Parallel dazu konnten wir seitens Förderprogramms die Bilanz aus der zehnjährigen Arbeit und Erfahrung ziehen und haben diese Ergebnisse publiziert sowie konzeptionell mit dem Begriff"Erfahrene Demokratie" untermauert (Beutel/ Fauser 2001). Ebenfalls in diesem Jahr argumentierte der Braunschweiger PolitikdidaktikerGerhard Himmelmann mit seiner Schrift "Demokratie lernen als Lebens-, Gesellschafts- und Herrschaftsform" (200 I) in dieselbe Richtung: Allen drei Ansätzen - dem BLK-Programm, dem Förderprogramm Demokratisch Handeln und Gerhard Himmelmanns Grundlagenschrift "Demokratie Lernen" geht es darum, in der Schulentwicklung und in der politischen Bildung den Schwerpunkt auf die Demokratie und auf das Erfahrungslernen als Bezugsgrößen des pädagogischen HandeIns zu setzen.

Beutel, W. / Himmelmann,G.: Literqturliste "DemokratiepädagogikversusPolitischeBildung, Zeitraum 2001-2007" vom 6.12.2007(internesPapier);hier wurdenweitestgehend alle Publikationenannotiert,die in Herausgeberbänden und Zeitschriften zum Themenkreiserschienensind. Die Literaturlistewird demnächstin derOnline-BibliographiederWebsite www.demokratisch-handeln.de zugänglichgemacht.

2.

Worum

es geht: Demokratiepädagogik

Himme]mann verbindet mit seiner Konzeption einen kritischen B]ick auf die Diskussionen der Fachdidaktik der Politischen Bildung, deren hauptsächliche Aufgabe traditionel]erweise darin liegt, tragfähige Unterrichtskonzepte und Inhaltsentscheidungen für eine wirksame po]itischdemokratische Erziehung zu generieren sowie für eine modeme Fach]ehrerausbi]dungzu sorgen.Gerhard Himme]mann diagnostiziert der fachdidaktischen Diskussion eine zu starke Ausrichtung ihrer Konzepte von politischer Bi]dung an der Bezugsgröße "Politik ". Dies begründet er unter anderem vor dem Hintergrund der Tatsache,dass die zivi]gesellschaftlichen Bemühungen und die Vita]isierung der Demokratie als Lebens- und Ku]turform auf diese traditionelle Art und Weise nicht zureichend erfasst, ausgewertet und weitervermitte]t werden: "Die po]itischeBildung [könnte] auch zur Kenntnis nehmen, dass das 'Politische' in der wissenschaftlichen Diskussion seit] 989 nicht mehr allein etatistisch auf der Ebene despo]itischen Systems nach dem Muster der staatszentriertenDefinition [...] angesiedelt wird, sondern viel stärker als bisher auch horizontal interpretiert und in die Gesellschaft und in die Lebens- undSozia]formen der Menschen hinein zurückver]agert wird" (Himme]mann 200], S. 23). Was folgt daraus für Schule und Unterricht? Erziehung zur Demokratie als Lebensform bezieht sich auf Alltag und Lebenswe]t von Schü]erinnen und Schülern und umfasst alles, was "[...] auf Gewa]tlosigkeit und To]eranz im sozialen Umgang, auf die Förderung von Zivi]ität, sozialer Kooperation undSo]idarität unter Respektierungder Vie]falt von Lebenssti]en und auf die Förderung von Selbst~ organisation, Se]bstwirksamkeit, Selbstvertrauen abzielt." (Himmel mann 2004, S. ]4). Diese fachdidaktische Position korrespondiert mit der Konzeption von Demokratie, die dem Förderprogramm Demokratisch Handeln zugrunde liegt. Dort geht es nicht allein um Wissensvermittlung durch Unterricht: "Es geht vielmehr um Demokratie als Lebensform, es geht um die Chance, in die Demokratie hineinzuwachsen. Die Schule soll Erfahrungen mit Demokratie ermöglichen und weitergeben, eigenes Hande]n und Mitwirkung fördern. Schu]pädagogisch gesehen, ist mit dieser Forderung eine ganz besondereLernqua]ität und eine ganz besondereSchu]qualität angesprochen: ein Lernen, das nicht nur auf Wissen, sondern aufbeidem, auf Wissen und auf Erfahrung beruht, und eine Schule, die ein solches Lernen durch Erfahrung ermöglicht" (Beutel I Fauser 200], S. 28). Das Förderprogramm steht dabei in einer pädagogischenTradition der Schulreform durch "Praktisches Lernen", bei der in den I 980er Jahren mit Unterstützung der Robert-Bosch-Stiftung eine Fülle an Modellpröjekten und auch kleineren

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Refonninitiativen an bundesdeutschen Schulen begleitet, gefördert und weiterentwickelt werden konnten, in denen es darum gehensollte, "[...] die Lebensdienlichkeit desLernensund den Lebensb~zugder Schule zu stärken.Die' Hand' zusammen mit dem 'Kopf' und dem 'Herzen': die leiblichen Kräfte und Fähigkeiten sollen mit den geistigen, den moralischen und sozialen zusammengebildet werden" (Akademie I Robert-Bösch-Stiftung 1993, S. 5). Dieser klassischen reformpädagogischen Forderung nach einem Lernen, das sich gegen die Auf teilung der Schule und des Weltverstehens durch Fachdisziplinen und parzellierten Unterricht, wurde vor dem Hintergrund modemisierungstheoretischer Analysen erhoben, in deren Zeitstrom auch die Schul theorie als eigenes Forschungs-, Analyse- und EntwickIungsparadigma entstanden war. Der Ansatz und das Programm "Praktisches Lernen" betonen die grundlegende Bedeutung des eigenenTuns für das menschliche Lernen allgemein und in der Schule: "Praktisches Lernen findet dann statt, wenn das Lernen um Erfahrungen erweitert und bereichert wir~, die sich mit eigenem Tätigsein und eigener Wirksamkeit des Lernenden verbinden. Tätigkeiten in diesem Sinne sind handwerkliche und technische Arbeiten, HersteHen und künstlerisches Gestalten, soziale Hilfeleistungen; dazu gehören aber auch Prozessedes Experimen: tierens und anderenErkundens und Forschens, ökologische und ökonomische Aktivitäten, demokratisches Engagement sowie internationale und interkulturelle Verständigung und Zusammenarbeit, soweit diese mit praktischem Tätigsein verbunden sind" (a.a.O.). Praktisches Lernen und die politische Sozialisationsfunktion der Schule beschreiben einen Schnittpunkt für das Konzept Demokratiepädagogik, der für die weitere Entwicklung entscheidend ist. Denn die Funktionen der Schule, die insbesondere die Schultheorie in der struktur-funktionalistischen Ausprägung unterscheidet, ". .. lassen sich dabei fast unmittelbar als Hypothesen zum Beitrag der Schule zur politischen Sozialisation begreifen" (Fauser 2007a, S. 83). Die Arbeiten im Theorie~trang struktur-funktionaler Schultheorie "[...] machen vor allem deutlich, dass die Wirkungen der Schule keineswegs auf das begrenzt sind, was die bewusst intendierten inhaltsbezogenenLernprozesse im Unterricht zu erreichen suchen. Die pädagogischen und sozialisatorischen Wirkungen der Schule gehen weit darüber hinaus. Die Schule als ganze erzieht: als Sozialisationsumwelt, als Agentur für die Zuteilung von Chancen, also als politisch relevanter Erfahrungsund Lernraum. Gerade für Politische Bildung ist damit eine Erweiterung des Betrachtungsrahmens über den Unterricht und seine Inhalte hinaus notwendig" (a.a.O.). Einer solchen auf Demokratie als pädagogischerAufgabe schulischer Sozialisation und schulischen Lernens verbundenenLinie folgt namentlich auchdie Begründung des BLKProgramms. DessenThema "Demokratie lernen und leben" wird als "zusammenfassende Formel und Leitlinie für den Analyse- und Handlungsrahmen verstanden,innerhalb dessen die demokratiepädagogische AufgabensteIlung verläuft". Das Programm strukturiert dabei den Entwicklungsrahmen der schulischen Modelle unter drei Aspekten: "1.

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Demokratie als Aufgabe und Ziel von Erziehung, Schule und Jugendarbeit. 2.. Demokratie als politischer und als pädagogischer Begriff. 3. Demokratie und Schulentwicklung: Lernqualität und Schulqualität." (EdelsteinlFauser 200t, S. 17)Das Demokratie-Konzept des Programms folgt dabei einem umfassenden Rahmen und meint eine lebenspraktische, kulturelle fundierte und der aufklärerischen Tradition der westlichen Moderne folgenden Linie. "'Demokratie' wird in ihrer umfassenden modemen Bedeutung als Qualität des gelebten Alltags sowie der gesellschaftlichen und staatlichen Ordnung begriffen, als Lebenstorm und als Verfassung, die sich am Anspruch humaner Verhältnisse misst und entsprechendden Verzicht auf (innergesellschaftliche) Gewalt fordert" (ebd. S. 18). Mit der Halbzeitkonferenzdes BLK-Programms "Demokratie lernen und leben" im Frühjahr 2005 wurde zudem die Gründung einer neuen Fach- und Interessenvereinigung, der "Deutschen Gesellschaft für Demokratiepädagogik" (www.degede.de) vorbereitet und vollzogen. Die DeGeDe ist eine gemeinnützige Vereinigung, die sich für Demokratie in Bildungs- und Jugendeinrichtungen engagiert. Eine wichtige Aufgabe sieht diese Fachgesellschaft in der "Entwicklung demokratischen Lernens und demokratischer Kultur in der Schule - gemeinsam mit Schülern, Eltern, Lehrern und allen, die sich in Wissenschaft, Verwaltung, Politik und Zivilgesellschaft mit Erziehung und Bildung beschäftigen"2. Hierzu sollen die Verbindung zwischen Akteuren und Initiativen hergestellt, stabilisiert und gestärkt sowie eigene Innovations projekte entwickelt werden. Auch diese Gründung wurde innerhalb der fachlichen und institutionellen Strukturen der etablierten Politischen Bildung mit großer Skepsis aufgenommen (GPJE 2004). Wobei hier festgehalten werden muss, dass die DeGeDe weder eine akademische Fachgesellschaft im engeren Sinne wie die Vereinigung der Fachdidaktiker der deutschen Hochschulen GPJE oder ein Fach- und Fachlehrerverband wie die DVpB ist, also in deren Handlungs- und Interessenfeldern keinerlei Konkurrenz stiftet. Doch brechen wir hier ab und halten fest: Ohne dass sich die Autoren der im Jahr 200 I publizierten Konzepte in ihrer schulbezogenenund wissenschaftlichen Arbeit zuvor näher kennen gelernt hatten, ist doch eine bemerkenswerte Übereinstimmung in der kritischen politikdidaktischen Sicht Himmelrnanns und in der schulpädagogischen Begründung und Auswertung des Förderprogramms Demokratisch Handeln (Beutel / Fauser) sowie des BLK-Programms "Demokratie lernen und leben" (Edelstein und de Haan) zu erkennen. Wir können rückblickend festhalten, dass damit auf zunächst eher zufallige Art ein neues politikdidaktisches Konzept mit der bereits mehrere Jahre laufenden schulpädagogischenArbeit zur Frage der Demokratiepädagogik und mit einer Bund-Länder-Initiative aus dem Raum der praktischen Politik korrespondiert. In jedem Falle ist nebst allen kontroversen Diskussionen der Gewinn dabei der, dass der gemeinsame Blick auf das Ziel Politischer Bildung neu justiert worden ist und in eine Richtung geht, für die aktive Beteiligung in der Demokratie, die mentale und loyalitäts-

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getragene Haltung zur Demokratie, das Wissen übe!" die Geschichte und die Institutionen der Demokratie und die Förderung der demokratischen Handlungskompetenz in der Schule durch Lernen und Erfahrung eine stabile Basis im KompetenliSpektrum der Schülerinnen und Schüler und damit ein besonders wichtiges schulisches Lernziel ist. Abseits aller anhaltenden Diskussionen im Einzelfall und in der Akzentsetzung kann man darin eine neu gewonnene gemeinsame Pe.rspektive erkennen, die zumindest in der praktischen Auseinandersetzung von Schulen mit der Aufgabe der demokratischen Erziehung eine zunehmend größere Rolle spielt.

3.

Demokratiepädagogik und "Demokratisch Handeln"

Im Folgenden soll die Konkretisierung von DemokratieLernen und Demokratiepädagogik exemplarisch vor dem Hintergrund der Erfahrungen und der Projekte des Wettbewerbs "Förderprogramm Demokratisch Handeln" dargestellt werden. Die grundlegende These, auf der dieses Programm aufbaut, verbindet unterrichtliches Lernen mit praktischem Tun: "Für politische Bildung und Demokratie lernen ist es unerlässlich, den Unterricht durch ein praktisches Lernen mit eigenem Tätigsein und durch eigene Erfahrung zu erweitern und zu bereichern. Ganz besonders im politischen Bereich ist ein praktisches Lernen notwendig, weil ein wirkliches Verständnis des Politischen als derSphäre des Handeins sui generis nicht möglich ist ohne die Erfahrung von Interessengegensätzenund Interessenausgleich, von Widerständen und Niederlagen, vQn öffentlicher Auseinandersetzung und Rechenschaft, von Überzeugen und Überzeugtwerden, von Mehrheitssuche und Minderheitenschutz" (Beutel! Fauser 2001, S. 34). Mit diesem Ansatz öffnet sich für schulisches Lernen der Zugang zu den Gestaltungs- und Erfahrungsräumen der Bürgergesellschaft. Dieser Zugang bezieht sich zudem lerntheoretisch auf das pragmatistische Lernkonzept von John Dewey (1993). Aus dieser Perspektive wurde 1989 damit begonnen, mit jährlichen Ausschreibungen beispielhafte Projekte aufzugreifen, "bei denen sich Schule und Jugendliche praktisch für die Lösung von Aufgaben desGemeinwesensengagieren - im Unterricht, im Schulleben und über die Schule hinaus" (Beutel! Fauser 2001, S. 35). Das "Förderprogramm Demokratisch Handeln" wird von bürgerschaftlichen Vereinigungen getragen und arbeitet gleichwohl mit Unterstützung und Anerkennung von Staat und Öffentlichkeit - denn der Wettbewerb wird aus Zuwendungen des BMBF und einer Reihe von Landeskultusministerien unterstützt, versteht sich selbst als eine Privat-Public-Partnership. Das Programm richtet sich auf die demokratiepädagogische Aufgabe der Schule als Ganzer, also auf die ~chule als eine sozialisatorische Umgebung, die einen großenTeil der Zeit von Schü-

2

V gl. dasPaltblattderDeGeDe(2007)unddasIntemetangebot unter www.degede.de.

Begegnung für eine gemeinsame Arbeit an einem Thema von globaler politischer Dimension genutzt haben. Das Projekt schließt an eine Reihe von früheren Aktivitäten an, die stets für sich abgeschlosseneLemeinheiten und Schul-

lerinnen und Schülern beanspruchtund dabei nicht nur durch den fächergebundenen Unterricht Einfluss nimmt, sondern vor allem durch ihre alltägliche Wirkung als kulturelle und soziale "Gelegenheitsstruktur". "Demokratisch Handeln" wird seit 1989 für alle allgemeinbildenden Schulen in Deutschland ausgeschrieben.Mit der Aufforderung "Gesagt. Getan. Wir suchen Beispiele für Demokratie. In der Schule und darüber hinaus." werden schulischen Gruppen angesprochen,insbesondereaber Schülerinnen und Schüler zum Mitmachen eingeladen. Mit der 2007 abgeschlossenen 18. Ausschreibungsrunde hat das Programm bislang 3447 Projekte erfasst, dokumentiert und fachlich ausgewertet. An der Ausschreibung haben sich Gruppen aller Schul arten und Schulformen und aus allen Bundesländern beteiligt. In den Projekten werden pädagogisch und politisch wichtige Themen in übertragbaren und wirksamen Formen des Lemens bearbeitet. Diese Themen sind: Demokratie in der Schule; Gewalt; das Zusammenleben und der Umgang mit Minderheiten; Umwelt und Umweltschutz;Auseinandersetzung mit der Geschichte, besonders der NS-Geschichte; Handeln in der kommunalen Öffentlichkeit. Mit über 900 Schulen und Projektgruppen ist bei der "Lern statt Demokratie", der kreativen bundesweit einladenden Arbeitstagung und zugleich Preis des Wettbewerbs sowie zahlreichen an~eren Veranstaltungen zusa~mengeatbeitet worden. Die Nachfrage nach Projekt-Berichten und nach Kontaktadressen ist groß - ein Zugang über das Internet ist durch eine recherchefahigeProjektdaten~ank geschaffen3. Der Begriff des "Wettbewerbs" im Sinne der pluralen Erarbeitung guter Lösungen für gesellschaftliche Probleme betont beim Förderprogramm Demokratisch Handeln zudem, dass auch die "Demokratie" ein Feld des Lemens und des Engagements eröffnet, in dem Leistungen, Anstrengungen und Konkurrenz von Ideen und Lösungen gefordert sind und öffentlich sichtbar anerkannt werden sollen (Beutel / Marwege 2007). Der Wettbewerb "Demokratisch Handeln" trägt aus dieser Perspektive dazu bei, herausragende Leistungen und Engagement für das Gemeinwesen als Teil der "Begabungsförderung" im Bildungswesen anzuerkennen

4.

Ein Beispiel: Das Projekt "Oberkante Unter-Lippe" des Conrad-von-Soest-Gymnasiums

"OberkanteUnter-Lippe" ist ein mehrdeutigerund sprechenderTitel für ein ökologisch basiertesUnternehmen praktischenund forschendenLernens,bei dem Schülerinnen und SchülerausdemholländischenKampen,ausUngarn und aus Polen mit ihren Gastgebebemin Soesteine

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projekte sind, gleichwohl aufeinander aufbauen und in einem über viele Jahre kultivierten Umfeld von Erfahrung und Handlungspartnern stehen."Oberkante Unterlippe" sagt uns alltagssprachlich, dass das Maß voll und das Fass kurz vor dem Überlaufen ist - gemeint ist im übertragenen Sinne die zunehmende Hochwasser- und Flutgefahr gerade in den dicht besiedelten mitteleuropäischen Kulturräumen, in denen industrieller Fortschritt zur venneintlichen Zähmung natürlicher Fließwasserverläufe geführt hat. Oberkante Unter-Lippe ist zugleich aber auch die Bezeichnung für die konkrete regionalräumliche Studie am unteren Lauf der Lippe, diesem östlichen Nebenfluss desRheins, der zugleich das heimische Ökotop der westfälischen Kommune Soest mit prägt: Das ~rojekt bearbeitet die politische Herausforderung des Hochwasserschutzes,die ausder gegenwärtigen Weltklimaentwicklung resultiert, als demokratische Herausforderung der Kommune und als grenzüberschreitende Aufgabe. Im September 2007 haben zwölf Schüler und Schülerinnen der Soester Biologie-AG gemeinsam mit Jugendlichen von den Partnerschulen aus Strzelce Opolskie (PL), aus Sarospatak (HU) und aus Kampen (NL) eine ökologischbiologische Feldstudie durch, deren Jdee bereits beim letzten gemeinsamen Projekt des Jahres 2005 in Polen entstanden ist. "Gibt es lokale Antworten auf globale Probleme?" formulieren die Jugendlichen die leitende Projektidee, bei der Handeln vor Ort sich mit den gesellschaftlichen Aufgaben globaler Dimension verbindet. Es soll dabei nicht nur gezeigt werden, dass die Folgen der Globalisierung immer lokal aufscheinen und die Menschen im Einzelnen betreffen. Vor allem soll nach Handlungskorridoren für demokratisches und zivilgesellschaftliches Engagement gesucht werden: Nicht Resignation angesichtseinerscheinbarmachtlosen Globalisierung, sondernEnnunterung zur Beteiligung und das Auffinden möglicher Partizipationsforrnen sind Zielperspektiven des Projektes. Der gemeinsameFokus der Hochwassergefahr verbindet die beteiligten Schul-Orte überdies über die Schul partnerschaft hinaus im Feld des verhandelten Themas. Was wurde getan? Zunächst wurden ortsnahe ökologische Untersuchungen und Dokumentationen durchgeführt, die die Teilgruppen sich bei ihrer Begegnung dann wechselseitig vorgestellt haben. Anschließend hat die internationale Gruppe zehn Tage lang die Lippeauen in der Nähe von Soest (Disselmersch, Hellinghauser Mersch und Klostermersch) in Blick auf nachweisbare Erfolge der dort erfolgten Renaturierung dieses Flusses beforscht. Dabei wurden Untergruppen gebildet, die auf einzelne Themenbereiche wie Wasseranalysen,Untersuchungen der Flora und Fauna,

www .demokratisch-handeln.de/dh-data/index. php

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aber auch zeichnerische und schauspielerische Darstellung der Situation und Umwelt genauer eingehen konnten. Biologische Expertise wurde mit kreativ-medialer Bearbeitung und Vermittlung der Ergebnisse verbunden. Die Ergebnisse der Untersuchungen haben gezeigt, dassdie Renaturierung der Lippe erfolgreich ist, in dem die neukultivierte natürliche Flora und Faunadie Si~uationbei kl~inen und mittleren Hochwassern positiv beeinflusst hat -sie zeigen allerdings auch, dass die Folgen der Klimaerwärmung in der Bioindikation auch der Lipperegion bereits nachweisbar sind. Zum Abschluss des Projektes wurde eine Podiumsdiskussion mit Entscheidungsträgern und Projektpartnern veranstaltet. Schließlich werden die fachlichen Ergebnisse und ein Forderungskatalogzum politisch-ökologischen Handeln in allen beteiligten Ländern an die zuständigen Parlamen1e und Minister versandt. Über den EuropaabgeordnetenSüdwestfalens werden auch das Europaparlament und der zuständige EU- Kommissar zum Handeln aufgefordert. Eine detailreiche Dokumentation veranschaulicht dasvielschichtige Projekt und seine Ergebnisse. Diese Projektskizze klingt in der Zusammenfassungkompakt, beschreibt jedoch ein in der schulischen und unterrichtlichen UmsetzungenanspruchsvollesUnternehmen,das genaue Planungsleistung der beteiligten Kolleginnen und Kollegen erforderlich macht und zugleich einen exakten Blick auf den Zeithorizont des Schuljahres bedingt. Bemerkenswert an dem Soester Projekt ist seineVerankerung in der Fachdomänedes Biologie-Unterrichts, dort v. a. im Schwerpunkt Ökologie. Organisiert wird dasLernen dabei sowohl im Unterricht, aber auch in einer Wahlveranstaltung der Schule, der "Biologie-AG". Bei dem Projekt kommen eine fachliche Expertise und biologisch-ökologische Forschungsmethoden der Bio-Indikation zum Einsatz, die in der AG dieser Schule im Laufe ihrer über 20jährigenArbeit entwickelt, ausgefeilt und professionalisiert worden sind (Dellbrügger I Grade 2000). Dieses fachlich-biologische Lernen in eine verantwortungsethische Grundbildung einzufügen, ist eine besondereStärke der zahlreichen Projekte, Arbeiten und Aktionen der Biologie-AG im ConvoS. Denn schließlich werden hier ortsnah und im kommunalpolitischenFeld Aspekte desökologischen Grundkonfliktes zwischen der menschlichen Kulturleistung und den daraus resultierenden kaum lösbaren Umwelt- und Verteilungsproblemen elementar und erfahrungsnah bearbeitet. Die Schülerinnen und Schüler lernen, dass diese fachliche Heraus-; forderung zugleich ein politisches Kernproblem in den Demokratien und der globalen Staatengemeinschaft ist: die

Brüssel oder Straßburg. Darüber hinaus erzeugt die Vermittlung der Projekt-Ergebnisse in den öffentlichen Raum durch Podiumsgespräche und fachliche untermauerte Eingaben an die politischen mstitutionen von ihrem Lebensort Soest über die Regierungen der Länder, aus denen die beteiligten Schülerinnen und Schüler kommen bis hin zum Europaparlamentein fundiertesdemokratiepädagogischesLernen. Denn hier werden nicht naiv politische Appellbriefe geschrieben, sondernForschungsergebnissevorgestellt, die die Jugendlichen zu ih~en politischen Fragen führen. msofern wird demokratische Partizipation an politischen Themen und Verfahren sichtbar. ErgänzendeAspekte der Selbstwirksarnkeitserfahrung, der Perspekti venübernahme, einer gerneinsamen Dokumentation und Beurteilung des Lernens und der Leistung durch die beteiligten Jugendlichen und ihre Lehrer kommen hinzu und sind zugleich Folgen und Voraussetzungendesprojektdidaktischen Arrangements für dieses Lernen. 5.

Grundlagen

der Dernokratiepädagogik

Die Einsicht in die Notwendigkeit, Wissen über die Demokratie, demokratische Werthaltung und die Bereitschaft zum Engagement für die Demokratie in der Bevölkerungvor allem in Jugendbildung und Schule - zu fördern und zu stärken, ist sicherlich eine gemeinsam geteilte Grundüberzeugung in der Fachdidaktik der Politischen Bildung und in der Demokratiepädagogik. So gesehen hat die bisweilen zugespitzte und kontroverse Debatte der letzten Jahre immerhin zu einer Verdeutlichung von Positionen, Ausgangslagen und Zielbestimmungen geführt, in der die Fachdidaktik Politik mit der Schulpädagogik in einen Diskurs gekommen ist, den es so vorher nicht gab. Dabei kann man aus heutiger Sicht festhalten, dass "Demokratisch Handeln", "Demokratie Lernen" und "Demokratiepädagogik" auf eine spezifische Aufgabe schulischen Lernens und Lehrens aufmerksam machen wollen, die den Fachunterricht Politik keinesfalls obsolet machen soll, die sich aber auch nicht alleine in den die Debatten der Fachdidaktik in den letzten Jahren prägenden Thesen und Modellen zum "fächerverbindenden und fächerübergreifenden Lernen" und zum "sozialen Lernen" sowie der "Politischen Bildung als Unterrichtsprinzip" erschöpft. Die Schul pädagogik als berufsbegleite!1deLehre und als Fachwissenschaftfür Lehrerinnen und Lehrer hat die "Schule als bürokratische Rationalität" (Lenhardt 1984) und ihre

Verteilungsgerechtigkeit für das Lebenselixier Wasser und der Grundkonflikt zwischen Umweltbelastung durch industrielles Wirtschaften und der natürlichen Lebensgrundlagen unserer Umwelt. Zugleich arbeiten die Schülerinnen und Schüler in einer europäischen Partnerschaft, die durch die spezifische Zentrierung in einerschulischen Lernleistung undAufgabenbewältigung eine ganz eigeneQualität erfährt. Dabei ist Europa eine gemeinsamgestalteteLern- und Hand-

gesellschaftlichen Wirkungsmächte bislang v. a. unteuein soziologisch-funktionalen Gesichtspunkten erfasst und erst in den letzten Jahren die Notwendigkeiten und Möglichkeiten der Schule als demokratischer Kultur und Atmosphäre wieder in den Blick genommen. Einschlägige Förderprogramme wie eben "Demokratisch Handeln", bürgerschaftliche Initiativen wiebspw. die Deutsche Kinder- undJugend~ stiftung (DKJS) oder die "Woche der Bürgergesellschaft" beim 50-Jahre-Jubiläum des GG, zahlreiche Initiativen von

lungsaufgabe und nicht nur ein touristisches Ereignis oder ein folgenloses politisch abstraktes Konstrukt im fernen

Bosch-Stiftung, Berielsmann-Stiftung, Freudenberg-Stiftung und anderen und nicht zuletzt das BLK-Modellpro-

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gramm "Demokratie lernen & leben" haben dem Thema einen erheblichen Aufmerksamkeitsschub gegeben. Dieser zivilgesellschaftliche Impuls prägt die Debatte und die Entwicklungspraxis der Demokratiepädagogik in starkem Maße. Trotz dieser erhöhten Aufmerksamkeit für die Beziehung zwischen Demokratie und Schule ist in dieserZeit das grundlegendeProblemfehlenderbzw. jedenfallsnicht selbstverständlicher Bindungen insbesonderevon Jugendlichen und Heranwachsenden an die Demokratie als Kultur- und Gesellschaftsform natürlich nicht abschließend gelöst. Vielmebr handelt es sich um eine Daueraufgabe von Schule und politischer Bildung. Auch in der Politik fordern jüngere Kräfte - wie bspw. in der SPD-Bundestags-Fraktion der MdB Hans-Peter BarteIs - ein "Institut für Didaktik der Demokratie" bzw. verstärkte "demokratiepolitische" Anstrengungen von Legislative und Exekutive als Beitrag zur demokratischen Kultur (BarteIs 2007). Man kann also zusammenfassen:"Demokratie Lernen", "Demokratisch Handeln" oder besser und surnrnativ gesprochen die "Demokratiepädagogik" umschreiben die gemeinsame Aufgabe zivil gesellschaftlich ausgerichteterInitiativen, Konzepte, Programme und Aktivitäten in Praxis und Wissenschaft, die dasZiel verfolgen, die Erziehung zur Demokratie zu fördern. Demokratie wird dabei als historischeErrungenschaft begriffen, deren Verständnis und praktische Geltung durch politisches wie durch pädagogisches Handeln ständig aktiv erneuert und verwirklicht werden muss - als Regierungsform, als Gesellschaftsform und als Lebensform. Wir sprechendabei deshalbvon "Demokratiepädagogik", weil "Demokratie" nicht angei;>orenist, sondern gelernt werden muss. Dieses Lernen begnügt sich nicht mit Wissen, sondern fordert darüber hinaus die Förderung von Kompetenz. Das Konzept "demokratischer Handlungskompetenz" meint dabei "die Handlungsfahigkeit und Handlungsbereitschaft, die erforderlich ist, um als mündiger, verantwortungsfähiger Bürger in der modemen Welt bestehen und mitwirken zu können" (Fauser 2007b, S. 203). Demokratie bezeichnet also nicht nur "... ein inhaltliches, methodisches oder fachliches Spezialgebiet, sondern eine pädagogische Aufgabe und einen normativen Anspruch für die Erziehung insgesamt" (a.a.O.). Dieser grundlegende und schulpädagogischgesehenfachübergreifende Charakter macht die Demokratiepädagogik dringlich und schwierig zugleich. Denn aus ihrer Perspektive muss der Gefahr entgegengewirkt werden, dass "Demokratie lernen" als Teilaspekt eines Unterrichtsfachs gesehenwird. Sie lässt sich auch nicht einfach an die formale, aber meist doch zu wenig bedeutsame Mitwirkung von

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Schülerinnen und Schülern in den verfassten Gremien alleine anbinden. Auch darf sie sich nicht als allgemeines Zielwie sie in den Präambeln aller Landesschulgesetzefestgehalten ist-lediglich gefordert werden und dann doch kaum oder keine lehr- und lernpraktische Folgen an den Schulen auslösen. "In Schule und Jugendarbeit sind Inhalte, Formen und Standards für professionelles pädagogisches Handeln und für die Gestaltung von Institutionen im Sinne der Demokratiepädagogik zu wenig bewusst und zu wenig entwikkelt. Sie bilden deshalb noch kaum einen selbstverständlichen Bestandteil des beruflichen Wissens und Könnens" (a.a.O.). Dies auszugleichen möchte die Demokratiepädagogik mit ihren Erfahrungen, Konzepten, Programmen und konkreten Angeboten einen Beitrag leisten. "Demokratiepädagogik" beschreibt aber nicht nur eine schulpädagogische Perspektive auf eine Herausforderung von allgemeiner Bildung in der Schule und Politischer Bildung im Schulfach. Sie hat darüber hinaus das Ziel, praktische Erfahrungen und Einsichten mit wissenschaftlichen Erkenntnissen zu verbinden und öffentlich zu vermitteln. Sie soll Versuche, Förderprogramme und Forschungen anregen und begleiten, die internationale Zusammenarbeit voranbringen und sich an der Bildung von Partnerschaften zivilgesellschaftlicher und staatlicher Akteure für diese Aufgabe beteiligen- hier sieht die bereitsgenannteDeGeDe auch ihr wichtigstes Aufgabenfeld. "'Demokratiepädagogik' ist deshalb ein Begriff für eine schul- und jugendpädagogische Aufgabe, der sich die etablierte politische Bildung und ein adäquater, fachlich professionell abgesicherter Unterricht ebenso widmen müssen wie die Schule als Ganze" (a.a.O.). Deshalb kann die Forderung nach mehr Fachunterricht "Politik" das Problem der durch die aktuellen Jugendstudien und auch durch das "Förderprograrnrn Demokratisch Handeln" sichtbar gewordenen Spaltung zwischen einerseitsverbreiteter Politikferne und gleichzeitiger deutlich sichtbarer Bereitschaft zum demokratischen Engagement in überschaubaren Feldern mit hoher Ergebniserwartung bei den gegenwärtigen Jugendgenerationen nicht all eine lösen. In Blick auf die "Demokratiepädagogik" ist die ganze Schule als demokratische Atmosphäre und alltagsprägende Kultur gefragt. Formen der Anerkennung und des Ausschließens (Inklusion und Exklusion) sind oftmals erste und die demokratische Haltung (durchaus auch negativ) prägendeErfahrung von Kindern und Jugendlichen in der Schule - von der Handhabung der schulischen Mitbestimmung, der Zugehörigkeit zu sozialen Schichtungen, der Bildung von Bezugsgruppen bis hin zum Umgang mit Leistungsbeurteilung und differenzierender Lernförderung. Lehrerinnen und Lehrer müssen sich - unabhängig von ihrem Unterrichtsfach - dieser pädagogischen Aufgabe stellen und benötigen dafür hinreichende professionelle Unterstützung. Die Erfahrungen mit "guten Schulen" und dafür notwendigen und anwendbaren Qualitätskriterien - wie sie etwas der seit 2006 etablierte "Deutsche Schulpreis" der Bosch-Stiftungen in Kooperation mit ZDF und "Stern" ausweist (FauserI Prentzell Schratz 2007; 2008) - zeigen,

Politisches

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dass gute Schulen immer auch demokratisch gehaltvolle Schulensind,die sich an den Kriterien Leistung, Unterrichtsqualität, Umgang mit Vielfalt, Verantwortung, Schulklima und Schule als lernende Institution messen lassen. Dabei sind Leistung und Demokratie keine ge~eneinanderauszuspielenden Gegensätze oder schulpolitische Alternativen, sondern aufeinander bezogeneGrundkategorien pädagogischer Schulqualität. Schließlich spricht eine die Schulgeschichte prägende Erfahrung für denAnsatz und die Notwendigkeit der "Demokratiepädagogik". Keine Reform wird praxiswirksam, wenn ihre Adressaten nicht mitgenommen werden. Eine demokratiepädagogischeStärkung von Schule und Jugendbildung verlangt deshalb,dasswir nachden vorhandenenPotenzialen fragen und von vorliegenden Erfahrungen ausgehen.Genau das begründet den "Best Practice"-Ansatz des Förderprogramms Demokratisch Handeln. Wir wissen, dasses mehr interessanteund gute demokratiepädagogischeProjekte und Ansätze in Schule und Jugendarbeit gibt, als der Öffentlichkeit bekannt sind. Hierzu ist es notwendig, einschlägige Projekte und Projektgruppen zu suchen und aufzufinden, sie fachlich differenziert wahrzunehmen, sie öffentlich anzuerkennen und damit zu stärken. Vielfach gelingt es dadurch, erfolgreiches Demokratie-Lernen in Schulen sichtbar zu machen, zu stabilisieren und weiterzuvermitteln. Dabei müssen die Lehrkräfte ebenso angesprochenwerden wie die Schülerinnen und Schüler. Ein weiteres kommt hinzu: Trotz aller sichtbarenWissensdefizite über die Demokratie und den schwierigen Umgang mit ihr kann die öffentliche Debatte sich nicht darauf begrenzen, ständig und erneut lediglich im Gestus des Mangels und des Forderns gegenüber den Schulen mit ihren Lehrkräften, den Kindern und Jugendlichen über Defizite und mangelndeWertorientierungen zu klagen. Geradewenn es darum gehen soll, demokratische Handlungskompetenz zu fördern und der Demokratie Legitimation zu verschaffen, indem sie für die jungen Menschen zu einem Wert wird, für den es sich einzutreten lohnt, können wir nicht nur Wissen über die Demokratie als politische Ordnungsform einfordern. Vielmehr müssen wir die Demokratie als kulturell zu erwerbende und täglich zu reproduzierende Lebensform und Werthaltung in Schule und Jugendarbeit pädagogisch erfahrbar machen. 6.

Demokratiepädagogik

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Eine Perspektive tür die Schulentwicklung Die Demokratie hat im Gefüge einer sich über Lehrpläne, Standard-Definitionen und für sich einzeln dastehenden Fächerdefinierenden Schule allerdings keine eigene Lobby und keine fachliche Domäne, die garantiert, dassDemokratie "gelernt" und hinreichendes Wissen dazu erworben wird. Sie kann auch deshalb nicht nur in einem "Fach" gelehrt und gelernt werden. Zwar benötigt die Schule zweifelsfrei einen kontinuierlich erteilten und fachlich professionell unterfütterten Politikunterricht, der Wissen über die Demokratie im Mittelpunkt sieht. Aber Wissen alleine wird nicht genü-

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zumal die Demokrati~ als "gemeinsam geteilte Er-

fahrung" (Dewey 1993, S. 121) dringlich alle Kinder und Jugendlichenerreichenmuss,in allen Schul stufen und Schularten.Aus diesenGründenmüssensich Fachunterricht Politik und Demokratiepädagogik als professionelle Aufgabe der Schule insgesamt ergänzen. Wenn wir Demokratie als pädagogische Aufgabe für die Schule als Ganze begreifen, benötigen wir eine systematischeAbsicherungder Demokratiepädagogik im Professionsverständnis des Lehrerberufs. Demokratie als Lebensform und kulturelle Errungenschaft setzt naturgemäß Lehrerinnen und Lehrer voraus, die selbst über "demokratische Handlungskompetenz" und "kritische Loyalität" zur Demokratie verfügen. Entsprechend muss die Demokratiepädagogik Aufgabe und Anteil im Professionsbild des Lehrerberufs und in den zugehörigen Studiengängen und Ausbildungswegen sowie in der Lehrerfortbildung sein. Abschließend können wir festhalten: In den Schulen und den Projekten des BLK-Programms "Demokratie leben und lernen" und desFörderprogramms"Demokratisch Handeln" und damit in der Demokratiepädagogik geht es darum, ~ innovative schulpraktischeLemformen und Erfahrungsräume zu entwickeln und zu erproben, in denen die Demokratie für die Schülerinnen und Schüler ein spürbarer und nachvollziehbarer Aspekt ihres Lebens und Lernens in der Schule ist; ~ Themen und Aufgaben der Zivilgesellschaft (oder der Bürgergesellschaft im Sinne eines sumrnativen Begriffs von Politik und partizipativer Demokratie) als Anlass für das Lernender Kinder und Jugendlichen inder Schule sichtbar und praktizierbar zu machen; ~ die BereitschaftderSchülerinnen und Schüler, aberauch der Lehrerinnen und Lehrer zu stärken und möglichst zu erhöhen, sich auf demokratischer Basis in der Politik in Schule, Schulleben, Gemeinde und darüber hinaus zu engagieren; ~ Bürgersinn, Toleranz und Zivilcourage als Element des schulischen Lebens und Lernens zu stärken. Hierzu gehören insbesondereProjekte und Ideen, durch die die Bereitschaft gefördert wird, andere Menschen anzuerkennen und gegen Gewalt zwischen Menschen einzutreten; ~ Demokratie als Qualität des schulischen Alltags und als Teil eines verständnisintensiven Lernens (Fauser 2002) und Handeins in der Schule zu etablieren. Zu all diesen Aspekten gehört als Voraussetzung die Gestaltung der Schule als einer öffentlichen Einrichtung, die mehr ist, als nur der verwaltungsmäßige Vollzug einer Aufgabe des demokratischen Leistungsst~ates. Vielmehr geht es dann um die "öffentliche Schule" als Teil der Bürgerschaft und ihres die Demokratie konstituierenden Qualitätsmerkmals der Öffentlichkeit (Beutel 2006). Das Freiburger Rotteck-Gyrnnasium hat seit mehreren Jahren ein Konzept für öffentliche Politik-Gespräche erarbeitet, die von Schülerinnen und Schülern konzipiert, vorbereitet und durchgeführt werden. Dieses demokratiepäda-

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gogische Projekt ist ebenfalls facherverbindend und in Blick auf die Schule als ganze.sowie als öffentliches Haus für kritische Diskurse in der Demokratie konzipiert. Das Projekt "Gespräche am Rotteck" wurde vom Förderprogramm Demokratisch Handeln aufgegriffen und anerkannt. Eine Gesprächsrunde mit den Schülerinnen und Schülern und dem begleitenden Lehrer kommt zu interessanten Einsichten. Der Schüler Felix meint, dass viele, aber nicht alle Jugendliche politik verdrossen oder schwer für Politik zu interessieren seien. Ihnen fehle das demokratische Verständnis dafür, "'dass, man sich engagieren muss für seine eigenen Interessen'. Felix findet es bedauerlich, dass es 'leider echt viele Schüler' gibt, ,die tatenlos einfach zu sehen und sich einfach nur über anderebeschweren.Doch Politik könne man ~nichtanderen überlassenund sich dann darüber beklagen [.. .]'. Deshalb seheer auch die Notwendigkeit, 'Schülern klar zu machen, dass man selbst erst einmal aktiv werden muss und sich selbst irgendwo einfinden muss [.. .].' Für Martin Walter (den Betreuungslehrer) entsteht demokratisches Handeln, 'wenn ich Selbstbewusstseinhabe und wenn ich merke, ich kann was bewegen"'. Seinen Schülerinnen und Schülern möchte er dazu verhelfen, dass sie "... wirklich sehen: Wir können aktiv werden, wir können was machen, wir brauchen uns nicht zu verstecken und Angst haben vor Politik".4 Dies zu fördern - über das Fach hinaus für möglichst viele Schülerinnen und Schüler - ist Ziel der Demokiatiepädagogik.

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Gesprächeam Rotteck. Ein Projekt 3m

Rotteck-Gymnasium, Lessingstraße16,79100Freiburg(Baden-Württemberg);Gesprächemit Schülerinnenund SchüI~rnsowiederLehrkraft im Rahmender"LernstattDemokratie Jena2007".Internet:www.demokratisch-handeln.de/arch iv/lernstatt/2007/portrait2.html, Zugriff v. 12.2.2008

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