ZWEITES KAPITEL Die wirtschaftliche Lage und Entwicklung in der Welt und in Deutschland

ZWEITES KAPITEL Die wirtschaftliche Lage und Entwicklung in der Welt und in Deutschland I. Weltwirtschaft: Nach dem Absturz 1. Auf dem Weg aus der R...
Author: Gundi Kurzmann
9 downloads 2 Views 787KB Size
ZWEITES KAPITEL Die wirtschaftliche Lage und Entwicklung in der Welt und in Deutschland

I.

Weltwirtschaft: Nach dem Absturz 1. Auf dem Weg aus der Rezession 2. Die konjunkturelle Entwicklung in wichtigen Wirtschaftsräumen

II. Die deutsche Volkswirtschaft nach dem Wachstumseinbruch 1. Auswirkungen der Krise auf das Produktionspotenzial 2. Zweitrundeneffekte auf dem Arbeitsmarkt und den Finanzmärkten

III. Der steinige Weg aus der Krise 1. Die Prognose im Überblick 2. Die Prognose im Einzelnen

Literatur

Die wirtschaftliche Lage und Entwicklung in der Welt und in Deutschland

Das Wichtigste in Kürze Die Weltwirtschaft auf dem Weg aus der Rezession Die Weltwirtschaft befindet sich nach dem schwersten Einbruch der Nachkriegszeit in einer leichten Erholungsphase, die jedoch aller Voraussicht nach mittelfristig wenig dynamisch verlaufen wird. Die tiefe Rezession wurde vor allem von einem besonders scharfen und abrupten Einbruch des Welthandels zu Beginn des Jahres 2009 ausgelöst, dem sich kaum ein Land entziehen konnte. So sank die weltweite Produktion im Jahr 2009 mit 1,1 vH deutlich. Die Stabilisierung der Weltkonjunktur zur Jahresmitte ist im Wesentlichen auf vier Aspekte zurückzuführen: die expansive Geldpolitik der Notenbanken, die starke Ausweitung der staatlichen Nachfrage im Rahmen von Konjunkturprogrammen, die relative Robustheit der Schwellenländer und den vergleichsweise niedrigen Ölpreis. Hinzu kam, dass sich die Weltwirtschaft aufgrund der leichten Entspannung zunehmend aus ihrer zu Jahresbeginn aufgetretenen Schockstarre löste und die Risikobereitschaft der Wirtschaftsakteure zurückkehrte. Trotz der verbesserten Erwartungen wird die konjunkturelle Erholung der Weltwirtschaft im Jahr 2010 wohl nur eine geringe Dynamik entfalten. Die Probleme im Finanzsektor sind noch nicht behoben. Ebenso wird die Arbeitslosigkeit aufgrund der gesunkenen Kapazitätsauslastung weiter steigen. Positive Impulse sind hingegen von dem weiteren Durchwirken der weltweiten Konjunkturprogramme und der robusten Entwicklung der Schwellenländer zu erwarten. Deutschland nach dem wirtschaftlichen Einbruch Die weltweite Nachfrageschwäche führte in Deutschland zu Jahresbeginn 2009 zu einem historisch einmaligen Rückgang der Exporte und der Ausrüstungsinvestitionen. Trotz der leichten konjunkturellen Verbesserung in der zweiten Jahreshälfte brach die gesamtwirtschaftliche Produktion im Jahresdurchschnitt um 5,0 vH ein. Die expansiven fiskal- und geldpolitischen Maßnahmen im Zusammenspiel mit den den Arbeitsmarkt stabilisierenden Elementen konnten einen noch tieferen Einbruch jedoch verhindern. So hat die Bundesregierung zwei Konjunkturprogramme mit einem Umfang von zusammen rund 84 Mrd Euro für die Jahre 2009 und 2010 aufgelegt. Zudem senkte die Europäische Zentralbank den Leitzins massiv, auf ihren bisher niedrigsten Stand, und wirkte hierdurch sowie über weitere, unkonventionelle Maßnahmen einer drohenden Kreditklemme entgegen. Zur Stabilität des Arbeitsmarkts trugen vor allem der verstärkte Einsatz der Kurzarbeit und die im Vergleich zu früheren Zyklen höhere Flexibilität bei den tarifvertraglichen Regelungen bei. Die Erholung im Jahr 2010 wird mit einer prognostizierten Zuwachsrate des Bruttoinlandsprodukts von 1,6 vH allenfalls mäßig ausfallen. Zwar sind für das kommende Jahr weitere konjunkturelle Impulse von den fiskalpolitischen Maßnahmen und dem niedrigen Zinsniveau zu erwarten. Bremswirkungen gehen jedoch von der nachlaufenden Arbeitsmarktentwicklung sowie einem möglicherweise eingeschränkten Zugang der Realwirtschaft zu Finanzierungsmitteln aus. Schätzungen des Sachverständigenrates kommen zu dem Ergebnis, dass das Produktionspotenzial, also die gesamtwirtschaftlichen Produktionsmöglichkeiten, im kommenden Jahr um lediglich 0,7 vH und damit spürbar geringer wachsen wird als bisher.

Sachverständigenrat - Jahresgutachten 2009/10

25

26

Die wirtschaftliche Lage und Entwicklung in der Welt und in Deutschland

I. Weltwirtschaft: Nach dem Absturz 46. Nach dem schwersten Einbruch der Nachkriegszeit befindet sich die Weltwirtschaft auf dem Weg zu einer kurzfristig zwar spürbaren, mittelfristig aller Voraussicht nach allerdings wenig dynamischen Erholungsphase. Während sich kaum eine Volkswirtschaft dem massiven Nachfragerückgang im Winterhalbjahr 2008/2009 entziehen konnte, unterscheiden sich die regionalen Konjunkturperspektiven aktuell zum Teil deutlich: Die asiatischen Volkswirtschaften verzeichnen einen deutlichen Aufwärtstrend, in anderen Wirtschaftsräumen ist es lediglich zu einer Stabilisierung oder einer zögerlichen Aufwärtsbewegung gekommen. Die stützenden Impulse, die von einer stark expansiven Ausrichtung der Geld- und Finanzpolitik, von der Umkehr des globalen Lagerzyklus sowie von der verstärkenden Wirkung einer seit dem Frühjahr 2009 fallenden Risikoaversion ausgehen, werden sich im Prognosezeitraum tendenziell abschwächen, sind aber weiter wirksam. Die Bremswirkungen eines anhaltenden Anstiegs der Arbeitslosigkeit und des Abbaus hoher Verschuldungsgrade im finanziellen und nichtfinanziellen Sektor vieler Volkswirtschaften werden die Weltwirtschaft hingegen mittelfristig belasten. Zudem muss die Wirtschaftspolitik in allen Weltregionen eine in vielfacher Hinsicht schwierige Gratwanderung meistern. Die Risiken, die hiermit einhergehen, tragen zur Fragilität des Aufschwungs bei: − Die Geldpolitik muss rechtzeitig einem Anstieg der Inflation auf den Gütermärkten und einem erneuten Überschießen der Vermögenspreise vorbeugen. Eine überhastete Rückführung der expansiven Maßnahmen würde allerdings nicht nur die Realwirtschaft, sondern auch die noch fragilen Bereiche des Finanzsektors belasten. Durch die Unsicherheit, die bezüglich der Höhe der Kapazitätsauslastung besteht, wird die geldpolitische Steuerung merklich erschwert. Zudem würde die Geldpolitik erheblich behindert, wenn Zweifel an der Fähigkeit der Finanzpolitik zum Rückzug aus stark erhöhten Defiziten aufkämen. Auch hier sollte die Konsolidierung nicht zu früh, dann aber umso konsequenter erfolgen (Drittes Kapitel). − Im Bereich der Finanzmarktstabilisierung steht eine schwierige Übergangsphase hin zu höheren Eigenkapitalpuffern bevor: Der Rückzug aus den expliziten Stützungsmaßnahmen muss mit einer Beendigung der impliziten Absicherung privatwirtschaftlicher Risiken durch den Steuerzahler einhergehen (Viertes Kapitel). Es ist deshalb davon auszugehen, dass der Finanzsektor in den nächsten Jahren größeren Restriktionen bei der Ausweitung der Kreditvergabe unterliegen wird. Die Diskrepanz zwischen den kurz- und mittelfristigen Anforderungen an geeignete Exit-Strategien, also an die Rücknahme expansiver wirtschaftspolitischer Maßnahmen, birgt Risiken für die mittelfristige Entwicklung der Weltwirtschaft. Die Notwendigkeit einer regionalen Neuausrichtung der globalen Nachfragedynamik, also eines Abbaus der globalen Ungleichgewichte, stellt einen weiteren Risikofaktor dar. Selbst wenn der notwendige Prozess der Verlagerung in geordneten Bahnen und damit ohne abrupte Verschiebungen im Wechselkursge-

Sachverständigenrat - Jahresgutachten 2009/10

Weltwirtschaft: Nach dem Absturz

27

füge verläuft, werden die Auswirkungen auf Jahre hinaus spürbar sein: In vielen Volkswirtschaften begrenzen demografische Gegebenheiten die Spielräume zu einer Ausweitung der außenwirtschaftlichen Defizite. Die Neuausrichtung der Weltwirtschaft wird deshalb in starker Form von den Schwellenländern getragen werden. Deren Konsumnachfrage stellt aktuell jedoch nur einen Bruchteil der Konsumnachfrage der Volkswirtschaften dar, die in der Vergangenheit hohe Leistungsbilanzdefizite aufgewiesen hatten.

1. Auf dem Weg aus der Rezession 47. Die aktuelle Rezession wies in ihrer Ausprägung und ihrem Verlauf zunächst besorgniserregende Parallelen zur Weltwirtschaftskrise zu Beginn der 1930er-Jahre auf. Die Krise erreichte im ersten Quartal 2009 ihren Höhepunkt. Die globale Industrieproduktion, die bereits im letzten Quartal des vorangegangenen Jahres deutlich eingebrochen war, rutschte zu Beginn des Jahres noch weiter ab: Durchschnittlich verzeichneten die OECD-Länder im Vorjahresvergleich ein Schrumpfen der Industrieproduktion um 16,6 vH und eine Verringerung des realen Bruttoinlandsprodukts um 4,7 vH. Beim Welthandel kam es zu einem in Stärke und Abruptheit außerordentlichen Rückgang um 30 vH. Für das Jahr 2009 insgesamt ist davon auszugehen, dass die Weltproduktion um 1,1 vH abgenommen hat, der Welthandel um 11,5 vH gesunken ist (Schaubild 3). Schaubild 3

Entwicklung der Weltproduktion1) und des Welthandels Veränderung gegenüber dem Vorjahr vH

vH

15

15

Welthandel (Volumen)

12

12

9 6

9 6

Weltproduktion1)

3

3

0

0

-3

-3

-6

-6

-9

-9

-12

-12

-15

1994

1995

1996

1997

1998

1999

2000

2001

2002

2003

2004

2005

2006

2007

2008

a)

2009

a)

2010

-15

1) Bruttoinlandsprodukt (preisbereinigt).– a) Eigene Schätzung auf Basis von Angaben internationaler und nationaler Institutionen. Quelle: IWF © Sachverständigenrat

Daten zum Schaubild

Die Gründe für die massive Kontraktion des grenzüberschreitenden Waren- und Dienstleistungsverkehrs sowie den Einbruch der Produktionstätigkeit sind vielfältig (Expertise 2009 Ziffern 15 ff.). Als Folge der Verschärfung der Finanzkrise im September 2008 wurde die Weltwirtschaft von einer Reihe global wirkender Schocks getroffen: Es kam zu einem Finanzmarktschock in Form einer extremen Verschärfung der Refinanzierungsbedingungen

Sachverständigenrat - Jahresgutachten 2009/10

28

Die wirtschaftliche Lage und Entwicklung in der Welt und in Deutschland

des privaten und in einigen Ländern auch des öffentlichen Sektors. Die aufgrund des weltweiten Falls der Immobilienpreise bereits gedämpfte Gesamtnachfrage wurde hierdurch zusätzlich beeinträchtigt. Ein massiver Nachfrageschock insbesondere für Investitions- und dauerhafte Konsumgüter war die Folge. 48. Im Verlauf der Krise setzten Prozesse ein, die dazu beitrugen, dass sich die Wirkung der ursprünglichen Schocks verstärkte. Bei diesen Verstärkungsmechanismen handelt es sich zum einen um die aus früheren globalen Abschwüngen bekannten Zweitrundeneffekte. So führt der Rückgang der Nachfrage in einem Land nicht nur zu einer Reduktion des Außenbeitrags und der Produktion in anderen Wirtschaftsräumen, sondern pflanzt sich durch den Einkommensrückgang über erneut sinkende Importe international weiter fort. Zudem kommt es zu weiteren Belastungen des Finanzsektors, der aufgrund der in einer Rezession zunehmenden Kreditausfälle eine zusätzliche Reduktion seiner Eigenkapitalbasis und Kreditvergabetätigkeit erlebt. Schließlich geht vom Versiegen der internationalen Kapitalströme ein erheblicher Einfluss auf die Wechselkursentwicklung aus. Die hiermit verbundenen Abwertungen führen zu einer abrupten Erhöhung der Schuldenlast von in ausländischer Währung verschuldeten Wirtschaftseinheiten. Zum anderen kann die Schärfe der Rezession mit den Reaktionen von Finanzinstituten, die in mehreren Ländern gleichzeitig aktiv sind, erklärt werden. Unterliegen international agierende Finanzinstitute Restriktionen bezüglich ihres Verschuldungsgrads, führen sinkende Vermögenswerte in einem Land zu erzwungenen Verkäufen von Aktiva in anderen Ländern. Es kommt zu einem Feedback-Mechanismus, in dessen Folge die Investitions- und Produktionstätigkeit international simultan zurückgefahren werden. Ein wohl entscheidender Grund für die seit September 2008 zu verzeichnende Krisenverschärfung war der Anstieg der gesamtwirtschaftlichen Unsicherheit, mit der sich die Akteure auf den Finanz- und Gütermärkten konfrontiert sahen. In Verbindung mit diskreten Anpassungskosten bei Veränderungen des Kapitalstocks oder der Beschäftigung können solche Unsicherheitsschocks zu sehr starken Abschwüngen beitragen. Zudem ist zu vermuten, dass der in den letzten Jahren zu verzeichnende Wandel der internationalen Arbeitsteilung, insbesondere die Tendenz zu einer zunehmenden internationalen Aufspaltung von Wertschöpfungsketten, zu einer Verstärkung der Auswirkungen von Nachfrageschocks auf Welthandel und -produktion beigetragen hat. 49. Angesichts der Schärfe des wirtschaftlichen Einbruchs setzte die allmähliche Stabilisierung der Produktion zur Jahresmitte relativ früh ein. Die Industrieproduktion verzeichnete seit dem zweiten Quartal 2009 wieder leicht positive Zuwachsraten und auch die Entwicklung des Welthandels entspannte sich zunehmend. Die weltweite Verunsicherung bezüglich der Konjunkturperspektiven ließ nach, wie beispielsweise die Entwicklung der Aktienmarktvolatilität zeigt (Schaubild 4, rechts unten). Dies hatte erhebliche Rückpralleffekte zur Folge, beispielsweise im Zuge des globalen Lagerzyklus. Die schnelle Entspannung nach dem Abschwung lässt sich vor allem auf vier Einflussfaktoren zurückführen:

Sachverständigenrat - Jahresgutachten 2009/10

Weltwirtschaft: Nach dem Absturz

29

Schaubild 4

Internationale Finanzmarkt- und Konjunkturindikatoren

Kurzfristige Realzinsen1)

%

Staatlicher Finanzierungssaldo2)

vH

4

2

3

0

Welt3) Euro-Raum

2

-2

1

-4

Japan 0

-6

Schwellen- und Entwicklungsländer3)

-1

-8

Vereinigte Staaten

Industrieländer3)

-2

2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009

1970

80

90

2000

-10

10

Implizite Volatilitäten verschiedener Aktienindizes5)

Spot-Preis und Futures-Preis für Rohöl4)

Tageswerte

US-Dollar je Barrel

Indexwert 100

140

120

80

Futures-Preis zum 15.09.2009

100

DAX

Futures-Preis zum 14.04.2009

80

60

Spot-Preis

40

60

S&P 500 Futures-Preis zum 28.01.2009

40

20

NIKKEI

20

2003

2008

2013

1992

2000

0

2009

1) Dreimonatsgeld abzüglich der Veränderungsrate des Verbraucherpreisindex.– 2) In Relation zum Bruttoinlandsprodukt in jeweiligen Preisen.– 3) Zusammensetzung der Ländergruppen siehe World Economic Outlook, Oktober 2009, des Internationalen Währungsfonds (IWF) – www.imf.org.– 4) Monatsendstände.– 5) Implizite Schwankungsintensität des DAX/NIKKEI/S&P 500 auf Basis der entsprechenden Optionspreise. Quelle: IWF © Sachverständigenrat

Daten zum Schaubild

− Zunächst reagierten die Notenbanken auf die zunehmende Verschlechterung der konjunkturellen Aussichten und senkten die Leitzinsen. Dadurch sanken die realen Kurzfristzinsen massiv (Schaubild 4, links oben). Im Zusammenspiel mit weitreichenden qualitativen und quantitativen Lockerungsmaßnahmen wurden so die Auswirkungen der globalen Kreditklemme abgefedert (JG 2009 Ziffern 134 ff.). − Bereits zum Ende des Jahres 2008 und auch in der ersten Jahreshälfte 2009 stemmte sich eine Vielzahl von Ländern mit breit angelegten Konjunkturprogrammen gegen den rasanten konjunkturellen Einbruch. Die staatlichen Finanzierungsdefizite stiegen stark an (Schaubild 4, rechts oben). Neben zusätzlichen Investitionen sowie Steuererleichterungen zur Steigerung der Kaufkraft kamen vermehrt auch branchenspezifische Unterstützungsmaßnahmen, insbesondere für die Automobilindustrie, zum Tragen.

Sachverständigenrat - Jahresgutachten 2009/10

30

Die wirtschaftliche Lage und Entwicklung in der Welt und in Deutschland

− Drittens wirkte der gegenüber seinem Höchststand vom Juli 2008 stark gefallene Rohölpreis zusätzlich stimulierend (Schaubild 4, links unten). Zu Beginn des Jahres 2009 notierte Rohöl so niedrig wie seit dem Sommer 2004 nicht mehr. Zwar stieg der Preis im Jahresverlauf deutlich, erreichte jedoch noch kein die Konjunkturentwicklung bremsendes Niveau. − Eine Reihe von Schwellenländern fungierte als weiterer Konjunkturanker. Während weltweit die Realwirtschaften in eine tiefe Krise gestürzt wurden, behaupteten sich insbesondere einige asiatische Volkswirtschaften mit einer lediglich temporären Eintrübung, nicht zuletzt, da ihr Finanzsektor sich als robust erwies (Schaubild 6, oben, Seite 40). Zu der besonderen Stabilität der Schwellenländer trugen unter anderem die in den vergangenen Jahren durch die Akkumulation von Währungsreserven aufgebauten finanziellen Polster bei, die den Spielraum für eine expansive Fiskalpolitik maßgeblich erweiterten (Schaubild 6, unten, Seite 40). Im Zuge dieser Entwicklungen löste sich die Weltwirtschaft im Jahresverlauf allmählich aus ihrer Schockstarre. Die positiven Einflussfaktoren federten den globalen konjunkturellen Einbruch zwar ab, konnten jedoch nicht verhindern, dass die globale Wirtschaftsleistung im Jahr 2009 um voraussichtlich 1,1 vH gegenüber dem Vorjahr abnahm. Während die Schwellen- und Entwicklungsländer mit einer Zuwachsrate von 1,7 vH eine noch leicht positive Entwicklung aufwiesen, zeigten sich die Industrieländer mit einem Rückgang von 3,4 vH weit anfälliger. 50. Der Abbau der Risiken und die weltwirtschaftliche Stabilisierung in der zweiten Jahreshälfte 2009 deuten darauf hin, dass der Tiefpunkt der Krise überwunden ist. Die Entwicklung im Prognosezeitraum wird einerseits von den kurzfristig stützenden Impulsen, die zu dieser Stabilisierung beigetragen haben, bestimmt. So werden sich die Nachholeffekte nach der extremen Schockstarre im Winterhalbjahr 2008/2009 bis in das kommende Jahr hinein auswirken. Unter Berücksichtigung der üblichen Wirkungsverzögerungen ist von einer weiterhin spürbaren Nachfragestützung durch die Geld- und Finanzpolitik auszugehen. Andererseits kommt es zu Bremseffekten. Angesichts der dauerhaft nicht tragfähigen Ausweitung der öffentlichen Defizite und einer in vielen Ländern ausgeprägten impliziten Verschuldung muss mittelfristig mit dämpfenden finanzpolitischen Effekten gerechnet werden (Schaubild 5, rechts unten). Auch wenn die Geldpolitik zunächst noch stützend wirkt, ist von einem Anziehen der Leitzinsen spätestens im Jahr 2011 auszugehen (Schaubild 5, links unten). Zudem ist ein weiterer Abbau der Beschäftigung zu erwarten (Schaubild 5, links oben). Weiterhin ist der Abbau hoher Verschuldungsgrade im finanziellen und nichtfinanziellen Sektor vieler Volkswirtschaften noch nicht abgeschlossen. Die Situation des Finanzsektors bleibt angespannt, da der Rekapitalisierungsprozess noch nicht beendet ist. Dies wird in Verbindung mit der Antizipation verschärfter Regulierungsmaßnahmen die Kreditvergabetätigkeit im kommenden Jahr hemmen (Schaubild 5, rechts oben).

Sachverständigenrat - Jahresgutachten 2009/10

Weltwirtschaft: Nach dem Absturz

31

Schaubild 5

Finanzmarkt- und Konjunkturindikatoren für ausgewählte Wirtschaftsräume1) Veränderungen der Kreditvergabe an Private

Arbeitslosenquote2) vH

Mrd Euro3)

12

250

2 500

200

2 000

10

Mrd US-Dollar3)

Euro-Raum Vereinigte Staaten BB

150 8

Vereinigte Staaten

100

1 000

Vereinigte Staaten (rechte Skala)

6 50 4

Vereinigtes Königreich

1 500

0

Japan

0

0

-50

2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010

500

Euro-Raum (linke Skala)

-500

2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009

Markterwartungen für den Tagesgeldsatz4)

Staatsverschuldung5)

%

vH 225

1,6

200

Japan

1,2

175

Euro-Raum 150 0,8

Vereinigte Staaten Euro-Raum

100 75 50

0,4

Vereinigtes Königreich

Vereinigtes Königreich

25

Vereinigte Staaten 0

0

1

2

3

4

5 6 7 Monate

8

9

10 11 12

0

2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010

1) Euro-Raum: Stand 1. Januar 2009.– 2) Arbeitslose in vH der Erwerbspersonen. 2010: Schätzung des IWF.– 3) Veränderungen gegenüber dem Vorquartal.– 4) Basierend auf der Federal Funds Rate (Vereinigte Staaten), Sterling Overnight Interbank Average Rate (Vereinigtes Königreich) sowie Euro Interbank Offered Forward Rate (Euro-Raum), Stand: 16. September 2009.– 5) Schuldenstand in Relation zum Bruttoinlandsprodukt in jeweiligen Preisen. 2010: Schätzungen der EU, des IWF und der OECD. Quellen: EU, IWF, OECD © Sachverständigenrat

Daten zum Schaubild

51. Vor diesem Hintergrund und vor dem Hintergrund der Erfahrungen früherer ausgeprägter Abschwünge (Kasten 1, Seite 32) ist für das Jahr 2010 lediglich von einer verhaltenen Erholung der Weltwirtschaft auszugehen. Voraussichtlich werden die Zuwachsraten der weltweiten Produktion mit 3,0 vH und die des Welthandels mit 4,5 vH deutlich unter dem Durchschnitt der letzten Jahre liegen. Auch wenn Aufwärtschancen und Abwärtsrisiken sich zunehmend annähern, überwiegen weiterhin letztere, zumal noch erhebliche Unsicherheit bezüglich der Bilanzsituation im Finanzsektor besteht. Zudem hat sich von der Öffentlichkeit weitgehend unbeobachtet ein Anstieg protektionistischer Maßnahmen ergeben. Jüngste Untersuchungen kommen zu dem Ergebnis, dass seit November 2008 weltweit mindestens 192 Maßnahmen, die als Diskriminierung von Handelspartnern zu qualifizieren sind, ergriffen wurden. Insgesamt 121 dieser Maß-

Sachverständigenrat - Jahresgutachten 2009/10

32

Die wirtschaftliche Lage und Entwicklung in der Welt und in Deutschland

nahmen und damit ein Großteil der Eingriffe wurden von den Staaten der G20 entgegen ihrer offiziellen Verlautbarungen verabschiedet (Evenett, 2009). Vielfach gehen diese protektionistischen Maßnahmen auf die in den weltweit aufgelegten Konjunkturprogrammen und Stützungsmaßnahmen für den Finanzsektor enthaltenen Klauseln zurück (Gamberoni und Newfarmer, 2009). Allerdings sind die bisherigen protektionistischen Eingriffe nicht mit denen der Weltwirtschaftskrise vergleichbar, deren Ausmaß die Abwärtsspirale damals noch verstärkt hatte. Würde diese Tendenz sich jedoch intensivieren und es daraufhin zu Vergeltungsmaßnahmen kommen, wären die Auswirkungen auf die Weltkonjunktur spürbar. Eine weitere Ursache für einen Rückfall in eine rezessive Dynamik wäre ein zu starker, nicht fundamental begründeter Anstieg der Rohstoff- und Lebensmittelpreise. Gefahren gehen auch von den weiterhin bestehenden globalen Ungleichgewichten aus (Ziffern 108 ff.). Kasten 1

Weltwirtschaftliche Erholungsprozesse nach Krisen: Wachstumsschwäche oder beschleunigter Aufholprozess? Angesichts des abrupten und synchronen Einbrechens der Weltwirtschaft stellt sich die Frage, welchen Verlauf die Weltwirtschaft in den nächsten Jahren nehmen kann. Wie stark sind nach einer Krise die negativen Auswirkungen auf angebotsseitige Faktoren, die beispielsweise durch eine Verfestigung der Arbeitslosigkeit oder durch die teils langwierigen Bereinigungseffekte im Finanzsektor ausgelöst werden? Welche Friktionen können durch das temporäre Einspringen des Staates als Nachfrager der letzten Instanz ausgelöst werden? Welche Faktoren sprechen für eine schnelle, V-förmige Erholung? Um Anhaltspunkte für eine Antwort auf diese Fragen zu finden, bedienen sich einige Studien der Erfahrungen nach früheren scharfen Konjunktureinbrüchen. So argumentieren Reinhart und Rogoff (2009), dass die Folgen einer schweren Finanzkrise im Wesentlichen durch drei Merkmale gekennzeichnet sind: Die Einbrüche an den Aktien- und Immobilienmärkten sind tief und lang anhaltend, die Einschnitte bei der inländischen Produktion sind scharf aber kurz, wobei die Arbeitslosenquote weniger stark reagiert, aber länger von ihrem langfristigen Pfad abweicht, und die öffentliche Verschuldung steigt drastisch an. Dieser Anstieg ist nicht in erster Linie den Bankenrettungsmaßnahmen geschuldet, sondern liegt vielmehr in dem unausweichlichen Rückgang der Steuereinnahmen während der andauernden konjunkturellen Schwächephase begründet. Eine anhaltende Schwächung der Konjunktur nach schweren Finanzkrisen auf mittlere Frist wird durch eine Untersuchung des IWF (2009) belegt. So deuten die Daten von Konjunkturabschwüngen in 21 Ländern in den vergangenen 50 Jahren darauf hin, dass Rezessionen, die weltweit synchron auftreten und von einer Finanzkrise ausgelöst wurden, deutlich länger andauern und die sich anschließende konjunkturelle Erholungsphase nach solchen Rezessionen weit weniger dynamisch verläuft. Aufgrund der globalen Synchronisierung fehlen außenwirtschaftliche Impulse. Darüber hinaus verhindert die notwendige Sanierung der Bilanzen, sowohl bei den Banken als auch bei Unternehmen und Haushalten, eine schnelle Belebung der Nachfrage. Cecchetti et al. (2009) kommen hingegen zu dem Ergebnis, dass schwere Finanzkrisen, die simultan in vielen Ländern auftreten, eine ausgeprägte Aufwärtsdynamik in der Folge nicht notwendigerweise ausschließen. Sie stützen ihre Analyse auf Daten von 40 Krisen in 35 Ländern. Demnach ist die Tiefe des Einbruchs größer, wenn die Finanzkrise von einer Schulden- oder Währungskrise begleitet wird. Ebenso wird die Dauer des Abschwungs durch eine Währungskri-

Sachverständigenrat - Jahresgutachten 2009/10

Weltwirtschaft: Nach dem Absturz

33

se verlängert. Eine Schuldenkrise hingegen verkürzt die inländische Rezession, da in den beobachteten Fällen ein Teil der Kosten von Gläubigern im Ausland getragen wurde. Traf die Krise auf ein Land, das im Jahr vor Ausbruch der Krise hohe Zuwachsraten verzeichnete, waren der Einbruch schwächer, die Dauer kürzer und somit die Verluste beim Bruttoinlandsprodukt geringer. Die Ergebnisse dieser Studien liefern somit kein einheitliches Bild. Für die aktuelle Krise ist dennoch zu erwarten, dass der synchrone Charakter und die Finanzkrise als Auslöser der Krise die Rezession länger andauern lassen und die Erholung nur sehr langsam erfolgen wird. Ebenso werden die Immobilienmärkte noch einige Zeit brauchen, um sich von dem Einbruch zu erholen, und auch die steigende Arbeitslosigkeit wird auf mittlere Frist die Konjunktur belasten.

2. Die konjunkturelle Entwicklung in wichtigen Wirtschaftsräumen 52. Die Erholung der Weltwirtschaft wird aktuell von der deutlichen Aufwärtsdynamik in vielen Schwellenländern angeführt. Auch für die Gruppe der Industrienationen ist nach der Stabilisierung im Sommer 2009 für das Jahr 2010 von einer Erholung auszugehen. Diese wird voraussichtlich nur verhalten ausfallen, da einige der zurzeit wirkenden Auftriebskräfte abklingen. Dies gilt gerade für Europa, wo aufgrund weiter sinkender Immobilienpreise in einigen Ländern und vor dem Hintergrund der immer noch ausgeprägten außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte allenfalls mit einem moderaten Aufschwung zu rechnen ist. Entscheidend wird deshalb sein, ob die Schwellenländer ihre Rolle als Konjunkturanker weiter ausbauen können. Vereinigte Staaten und andere große Industrienationen 53. Die Konjunktur in den Vereinigten Staaten und in den anderen Industrieländern außerhalb Europas hat sich stabilisiert. Dazu haben vor allem die massiven geld- und fiskalpolitischen Stimulierungsmaßnahmen und die dank staatlicher Stabilisierungsprogramme nachlassenden Spannungen an den Finanzmärkten beigesteuert. Zur Aufhellung des Konjunkturbilds trugen neben diesen Stimuli die Aufstockung der zuvor stark reduzierten Lagerbestände und eine Erholung des Welthandels von dem im Winter erlittenen Einbruch bei. Auffallend ist, dass die Belebung der Wirtschaftsaktivität in Japan, das besonders stark von der Kontraktion des Welthandels betroffen war, früher eingesetzt hat als beispielsweise in den Vereinigten Staaten, in denen die Immobilien- und Finanzkrise stärkere Verwerfungen verursacht hatte. Vereinigte Staaten 54. In den Vereinigten Staaten verlangsamte sich die konjunkturelle Abwärtsbewegung im ersten Halbjahr 2009 spürbar. Im dritten Quartal 2009 verzeichnete das Bruttoinlandsprodukt wieder eine deutlich positive Zuwachsrate und stieg gegenüber dem Vorquartal um knapp 0,9 vH. Während die stützenden konjunkturellen Impulse in der ersten Jahreshälfte aufgrund der schneller als die Exporte sinkenden Importe noch vom Außenbeitrag kamen, fungierte im dritten Quartal der private Konsum als wichtigste Antriebskraft. Zudem zog die Investitionstätigkeit wieder leicht an. Zu dieser Entwicklung trug insbesondere der „American Recovery and Reinvestment Act“ bei. Die dafür veranschlagten 787 Mrd US-Dollar (rund 5,5 vH ge-

Sachverständigenrat - Jahresgutachten 2009/10

34

Die wirtschaftliche Lage und Entwicklung in der Welt und in Deutschland

messen am nominalen Bruttoinlandsprodukt des Jahres 2008) für die Jahre 2009 und 2010 sollten in Form von Steuersenkungen und zusätzlichen Investitionsausgaben die inländische Verwendung stärken. Darüber hinaus trugen die zunehmende Entspannung an den Finanzund Immobilienmärkten sowie die Aufhellung der außenwirtschaftlichen Perspektiven zu einer Verbesserung der Situation bei. 55. Diese Entwicklung deutet darauf hin, dass die Konjunktur in den Vereinigten Staaten die Talsohle durchschritten hat. Die Einkaufsmanagerindizes haben zuletzt wieder die Schwelle von 50 Punkten, die Trennlinie zwischen Expansion und Kontraktion, überschritten, die Auftragslage hat sich verbessert und die Industrieproduktion stieg nach einer anderthalb Jahre dauernden Abwärtsbewegung im dritten Quartal wieder. Das Konsumentenvertrauen hat sich von seinem scharfen Einbruch erholt, wenngleich es sich weiterhin auf einem niedrigen Stand befindet. Die Lage am Immobilienmarkt ist immer noch durch ein hohes Überangebot gekennzeichnet, wenngleich die Abwärtsbewegung bei den Preisen zu einem temporären Stillstand gekommen ist. Zusammen mit den jüngsten Konjunkturindikatoren und der sukzessiven Beruhigung der Lage an den Finanzmärkten wird deutlich, dass die US-amerikanische Wirtschaft ab der zweiten Jahreshälfte wieder auf einen Expansionspfad zurückgekehrt ist. Allerdings lassen etliche fundamentale Faktoren erwarten, dass dieser relativ flach verlaufen wird. So werden die Privaten Konsumausgaben − mit 70 vH des Bruttoinlandsprodukts das größte Verwendungsaggregat − durch die anhaltende Verschlechterung der Lage auf dem Arbeitsmarkt gedämpft. Die Arbeitslosenquote könnte bis zum Jahresende auf etwa 10 vH und damit auf den höchsten Stand seit 26 Jahren steigen. Obschon sich der Beschäftigungsabbau seit Jahresmitte verlangsamt hat, wird die Entwicklung der Einkommen weiterhin vom Arbeitsmarkt belastet. Zudem wurde die Kreditvergabe in Folge der Bankenkrise deutlich eingeschränkt, und die privaten Haushalte sehen sich aufgrund der hohen Vermögensverluste und der in den vergangenen Jahren stark gestiegenen Verschuldung gezwungen, ihre finanzielle Situation zu konsolidieren. So hat sich die Sparquote in den ersten drei Quartalen gegenüber dem Vorjahr deutlich erhöht. Die Erholung des privaten Verbrauchs zu Beginn des zweiten Halbjahrs ist wohl zu einem guten Teil auf die staatlichen Maßnahmen zurückzuführen. Trotz der Belebung in der zweiten Jahreshälfte werden die Privaten Konsumausgaben im Jahr 2009 insgesamt um 0,8 vH und damit stärker als im vorangegangenen Jahr schrumpfen (Tabelle 1). Schließlich gehen von den Investitionen weiterhin dämpfende Wirkungen aus. Die Kapazitätsauslastung im Verarbeitenden Gewerbe lag zuletzt bei 67 vH und damit um 13 Prozentpunkte unter dem Durchschnitt der vergangenen zweieinhalb Jahrzehnte. 56. Die konjunkturelle Situation in den Vereinigten Staaten wird sich voraussichtlich im Jahr 2010 nur schleppend verbessern. Wenngleich sich die Erholung, die sich im zweiten Halbjahr 2009 abzeichnete, im nächsten Jahr fortsetzen dürfte, wird die Kapazitätsauslastung gemessen an ihrem langfristigen Durchschnitt noch extrem niedrig bleiben. Dies wird weiterhin die Nachfrage nach Investitionsgütern sowie den Arbeitsmarkt belasten. Trotz der Bodenbildung am Immobilienmarkt sind noch keine nennenswerten Impulse durch den Wohnungs-

Sachverständigenrat - Jahresgutachten 2009/10

Weltwirtschaft: Nach dem Absturz

35

bau zu erwarten, da weiterhin ein hohes Überangebot besteht. Zudem spricht einiges dafür, dass die gewerblichen Bauinvestitionen der Entwicklung der Wohnungsbauinvestitionen folgen und somit die konjunkturelle Entwicklung belasten werden. In Verbindung mit fortbestehenden Abwärtsrisiken am Gewerbeimmobilienmarkt birgt dies Risiken für eine erneute Abschwächung der Konjunktur. Tabelle 1

Wirtschaftsdaten für die Vereinigten Staaten vH1) 2006

2007

2008

20092)

20102)

2,7

2,1

0,4

– 2,5

1,8

Private Konsumausgaben ................................. Private Bruttoanlageinvestitionen3) ...................... Konsum und Bruttoinvestitionen4) des Staates3) … Exporte von Waren und Dienstleistungen3) ......... Importe von Waren und Dienstleistungen3) ..........

2,9 2,3 1,4 9,0 6,1

2,6 – 2,1 1,7 8,7 2,0

– 0,2 – 5,1 3,1 5,4 – 3,2

– 0,8 –16,8 2,2 –11,6 –15,3

0,7 – 1,0 3,5 4,5 4,3

Verbraucherpreise ................................................. Arbeitslosenquote5) …………………………………… Leistungsbilanzsaldo6) ………………………………… Finanzierungssaldo des Staates6) …………………… Schuldenstand des Staates6) …………………………

3,2 4,6 – 6,0 – 2,2 61,7

2,9 4,6 – 5,3 – 2,9 62,9

3,8 5,8 – 4,7 – 5,9 71,1

– 0,4 9,2 – 3,0 –11,9 85,0

1,3 10,1 – 2,6 –11,0 93,6

Bruttoinlandsprodukt3) ............................................ 3)

1) Soweit nicht anders definiert: Veränderung gegenüber dem Vorjahr.– 2) Eigene Schätzung auf Basis von Angaben internationaler und nationaler Institutionen.– 3) In Preisen von 2005.– 4) Bruttoanlageinvestitionen zuzüglich Vorratsveränderungen.– 5) Arbeitslose in vH der zivilen Erwerbspersonen.– 6) In Relation zum nominalen Bruttoinlandsprodukt in vH. Quellen: BEA, OECD

Daten für Tabelle

Eine nachhaltige, sich selbst tragende konjunkturelle Erholung würde zudem ein stabiles Finanzsystem voraussetzen. Diese Bedingung ist trotz der verringerten Spannungen bei weitem noch nicht erfüllt. Spiegelbild für dieses veränderte finanzielle Umfeld ist der anhaltende Druck auf die privaten Haushalte, ihre in den letzten Jahren erheblich gestiegene Verschuldung an ihre Einkommens- und Vermögenssituation anzupassen. Unter diesen Umständen erscheint eine Rückkehr zu einem schuldenfinanzierten Wachstumsmuster unwahrscheinlich; eher ist mit einem den privaten Konsum drosselnden weiteren Anstieg der Sparquote zu rechnen. Schließlich sind die immensen Haushaltsdefizite ohne eine Unterhöhlung der Tragfähigkeit der Staatsfinanzen, sowie die äußerst expansive Geldpolitik ohne eine Gefährdung der Preisniveaustabilität nicht aufrecht zu erhalten. Die erforderliche Exit-Strategie wird somit vermehrt die konjunkturelle Entwicklung beeinflussen, wenngleich ihre Umsetzung angesichts der fragilen Erholung der Konjunktur nur zögerlich angegangen werden dürfte. Allerdings werden die fiskalischen Nachfrageimpulse bei der gegenwärtigen Gesetzeslage voraussichtlich bereits im Jahr 2010 abnehmen, da dann einige befristete Maßnahmen auslaufen. Unter diesen Bedingungen kann für das Jahr 2010 nur mit einem moderaten, von einem hohen statistischen Überhang aus dem vorangegangenen Jahr getriebenen Wirtschaftswachstum von 1,8 vH gerechnet werden.

Sachverständigenrat - Jahresgutachten 2009/10

36

Die wirtschaftliche Lage und Entwicklung in der Welt und in Deutschland

Japan 57. Die japanische Volkswirtschaft wurde besonders stark von den indirekten Folgen der Krise über den Außenhandel in Mitleidenschaft gezogen. Das Jahr 2009 begann mit einem weiteren kräftigen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts. Ausfuhr und Industrieproduktion sackten im ersten Quartal um mehr als 22 vH gegenüber dem Vorquartal ab. Vor allem die Kernbereiche der Industrie − der Fahrzeug- und Maschinenbau sowie die Elektronikindustrie − waren von dieser Entwicklung betroffen. Die Produktionseinbußen ließen den Auslastungsgrad im Verarbeitenden Gewerbe zu Jahresanfang auf unter 65 vH und das Bruttoinlandsprodukt im Vorjahresvergleich um 8,7 vH sinken. Im Verlauf des Frühjahrs schwenkte die japanische Wirtschaft dann wieder auf einen moderaten Erholungskurs ein; das Bruttoinlandsprodukt legte im zweiten Vierteljahr um 0,6 vH gegenüber dem Vorquartal zu. Dazu haben neben den nachlassenden Spannungen an den Finanzmärkten Nachfrageimpulse aus den Schwellenländern, insbesondere aus China, sowie eine nach einem spürbaren Vorratsabbau einsetzende Wende im Lagerzyklus beigetragen. Dies schlug sich in einer signifikanten Belebung bei den Exporten und bei der Industrieproduktion nieder. Darüber hinaus wurde die Konjunkturaufhellung von umfangreichen fiskalpolitischen Stimuli angetrieben. Die Regierung brachte insgesamt drei Konjunkturprogramme mit einem Gesamtvolumen von rund 5 vH gemessen am aktuellen nominalen Bruttoinlandsprodukt auf den Weg. Neben erhöhten öffentlichen Investitionen beinhalteten diese Programme Steuererleichterungen und Direktzahlungen an die privaten Haushalte sowie eine gezielte Stützung der heimischen Produktion. Diese Maßnahmen schlugen sich im zweiten Quartal 2009 in einer Verbesserung der Privaten Konsumausgaben und einem kräftig beschleunigten Anstieg der öffentlichen Investitionen nieder. Dagegen gingen die privaten Investitionen infolge der niedrigen Kapazitätsauslastung weiterhin deutlich zurück. Die Erholung der japanischen Wirtschaft hat sich im zweiten Halbjahr 2009 fortgesetzt. Der starke Einbruch im Winterhalbjahr 2008/2009 konnte jedoch bei weitem nicht wettgemacht werden, sodass das Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2009 um 5,6 vH im Vorjahresvergleich zurückging (Tabelle 2). Die entscheidende Ursache war der starke Exporteinbruch. Die wirtschaftliche Entwicklung wurde zudem durch einen Rückgang des privaten Verbrauchs gedämpft, verursacht durch einen sprunghaften Anstieg der Arbeitslosenquote auf 5,5 vH im Jahresdurchschnitt, nominale sowie reale Lohnkürzungen und durch die Nachwirkungen der in der Rezession erlittenen Vermögensverluste. Die private Investitionsnachfrage blieb über das ganze Jahr hinweg ein Belastungsfaktor. Lediglich die öffentlichen Investitionen haben im Jahresdurchschnitt ihr Vorjahresniveau übertroffen. 58. Die weitere konjunkturelle Entwicklung Japans im Jahr 2010 ist im starken Maße abhängig von der Entwicklung des internationalen Umfelds. Die robuste Nachfrage aus China, einem der wichtigsten Handelspartner Japans, dämpfte bereits im abgelaufenen Jahr den Konjunktureinbruch. Ebenfalls zeichnet sich in den Vereinigten Staaten eine Entspannung ab, sodass für Japan im kommenden Jahr positive außenwirtschaftliche Impulse zu erwarten sind. Diese werden angesichts der Fragilität der globalen Konjunkturerholung voraussichtlich schwächer ausfallen als in früheren Aufschwungphasen. Aus heutiger Sicht ist es wenig wahr-

Sachverständigenrat - Jahresgutachten 2009/10

Weltwirtschaft: Nach dem Absturz

37

scheinlich, dass dies durch stärkere binnenwirtschaftliche Auftriebskräfte kompensiert wird. Die für japanische Verhältnisse hohe Arbeitslosenquote und die negative Lohnentwicklung lassen eine verhaltene Entwicklung der Konsumausgaben erwarten, die Impulse seitens des Lageraufbaus dürften temporärer Natur sein, und die infolge der Konjunkturpakete enorm gestiegene Staatsverschuldung lässt kaum Spielraum für weitere Stimulierungsmaßnahmen. Daher ist für das kommende Jahr nur mit sehr geringen Quartalszuwachsraten zu rechnen. Zusammen mit einem deutlichen statistischen Überhang aus dem Jahr 2009 wird im Jahr 2010 die Zuwachsrate der wirtschaftlichen Aktivität voraussichtlich 1,6 vH betragen. Mittelfristig wird aufgrund des extrem hohen Schuldenstands eine energische Konsolidierung der Staatsfinanzen erforderlich sein.

Tabelle 2

Wirtschaftsdaten für Japan vH1) 2006

2007

2008

20092)

20102)

2,0

2,3

– 0,7

– 5,6

1,6

Private Konsumausgaben ................................. Private Bruttoanlageinvestitionen3) ...................... Konsum und Bruttoinvestitionen4) des Staates3) … Exporte von Waren und Dienstleistungen3) ......... Importe von Waren und Dienstleistungen3) ..........

1,5 2,0 – 0,9 9,7 4,2

0,7 2,9 0,2 8,4 1,5

0,6 – 4,5 – 0,5 1,8 0,9

– 1,1 –13,2 2,0 –26,3 –16,5

0,6 0,9 2,8 7,5 2,5

Verbraucherpreise ................................................. Arbeitslosenquote5) …………………………………… Leistungsbilanzsaldo6) ………………………………… Finanzierungssaldo des Staates6) …………………… Schuldenstand des Staates6) …………………………

0,3 4,1 3,9 – 1,6 172,1

0,0 3,9 4,9 – 2,5 167,1

1,4 4,0 3,2 – 2,7 172,1

– 1,1 5,5 2,0 – 8,6 189,6

– 0,6 6,1 2,1 –10,0 199,8

Bruttoinlandsprodukt3) ............................................ 3)

1) Soweit nicht anders definiert: Veränderung gegenüber dem Vorjahr.– 2) Eigene Schätzung auf Basis von Angaben internationaler und nationaler Institutionen.– 3) In Preisen von 2000.– 4) Bruttoanlageinvestitionen zuzüglich Vorratsveränderungen.– 5) Arbeitslose in vH der zivilen Erwerbspersonen.– 6) In Relation zum nominalen Bruttoinlandsprodukt in vH. Quellen: ESRI, OECD

Daten zur Tabelle

Andere große Industriestaaten außerhalb Europas 59. Kanada und Neuseeland verzeichneten im Jahr 2009 einen im Vergleich zu den meisten anderen OECD-Ländern moderaten Rückgang des Bruttoinlandsprodukts. Australien ist wohl das einzige größere Industrieland, das von einer Rezession verschont geblieben ist und im Jahr 2009 einen Anstieg des Bruttoinlandsprodukts realisieren konnte. In all diesen Ländern wurden umfangreiche fiskalpolitische Stützungsmaßnahmen ergriffen, wofür angesichts der zuvor bestehenden Überschüsse in den öffentlichen Haushalten vergleichsweise günstige Voraussetzungen bestanden. Von diesen Stützungsmaßnahmen abgesehen wirkte der Wiederanstieg der Rohstoffpreise stimulierend; eine anziehende Nachfrage aus China gab dabei vor allem Australien konjunkturelle Impulse. So hat die australische Notenbank als erste Zentralbank der Industrieländer bereits eine geldpolitische Kehrtwende vollzogen und den Leitzins wieder leicht angehoben. Für das Jahr 2010 kann in all diesen Ländern eine fortgesetzte wirtschaftliche Erholung erwartet werden.

Sachverständigenrat - Jahresgutachten 2009/10

38

Die wirtschaftliche Lage und Entwicklung in der Welt und in Deutschland

Asiatische Schwellenländer 60. Die asiatischen Schwellenländer konnten nach dem schlagartigen und deutlichen Wegbrechen ihrer Exporte eine bemerkenswert schnelle Konjunkturwende einleiten. Die Auswirkungen der Krise waren jedoch auch hier zunächst ausgeprägt − lediglich die großen Volkswirtschaften China, Indien und Indonesien verzeichneten keine Rezession (Tabelle 3). Es ist davon auszugehen, dass die Zuwachsraten des Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2009 für diese Länder immer noch 8,5 vH, 5,4 vH beziehungsweise 4,0 vH betrugen. Hingegen mussten insbesondere die stark auf das Verarbeitende Gewerbe ausgerichteten exportorientierten Länder hohe Produktionseinbußen hinnehmen, die in Form von weiterhin unterausgelasteten Kapazitäten fortwirken. So verzeichneten die aufstrebenden Industrieländer wie Südkorea, Taiwan, Hongkong und Singapur im Jahr 2009 einen durchschnittlichen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts von etwas mehr als 2 vH. Tabelle 3

Die voraussichtliche Entwicklung in wichtigen Schwellenländern und Rohöl exportierenden Ländern

Land/Ländergruppe

Bruttoinlandsprodukt1)

Leistungsbilanzsaldo

Veränderung gegenüber dem Vorjahr

In Relation zum Bruttoinlandsprodukt in jeweiligen Preisen

vH

vH

2007

2008

2009

2010

2007

2008

2009

2010 – 1,9

Brasilien ...............................................

5,7

5,1

– 0,7

3,5

0,1

– 1,8

– 1,3

China ...................................................

13,0

9,0

8,5

9,0

11,0

9,8

7,8

8,6

Indien ...................................................

9,4

7,3

5,4

6,4

– 1,0

– 2,2

– 2,2

– 2,5

Russische Föderation ...........................

8,1

5,6

– 7,5

1,5

6,0

6,1

3,6

4,5

5,5

4,1

– 2,5

2,9

0,6

– 0,4

– 0,5

– 0,6

Südostasiatische Schwellenländer .......

5,7

2,9

– 1,1

3,8

5,5

3,7

5,2

4,3

Rohöl exportierende Länder4) …………...

6,3

5,9

1,4

4,1

16,4

16,9

3,1

7,8

2)

Lateinamerika …………………………... 3)

1) Die Veränderungsraten der Ländergruppen sind gewichtet mit den Anteilen am nominalen Bruttoinlandsprodukt der einzelnen Länder im jeweiligen Jahr.– 2) Argentinien, Brasilien, Chile, Kolumbien, Mexiko, Peru, Venezuela.– 3) Hongkong (China), Indonesien, Malaysia, Singapur, Südkorea, Taiwan, Thailand, Vietnam.– 4) Algerien, Angola, Ecuador, Indonesien, Irak, Iran, Katar, Kuwait, Vereinigte Arabische Emirate. Quelle für eigene Berechnungen: IWF

Daten zur Tabelle

Flankiert von einem raschen Wiederaufleben der Kapitalzuflüsse und einer im Vergleich zu anderen Weltregionen deutlichen Entspannung an den Kapitalmärkten stellten expansive Maßnahmen zur finanz- und geldpolitischen Konjunkturstützung die Basis für die Konjunkturerholung dar (Schaubild 6, Seite 40). So hat China ein Konjunkturpaket in Höhe von rund 14 vH des nominalen Bruttoinlandsprodukts für die Jahre 2009 und 2010 aufgelegt; das Volumen der diskretionären Maßnahmen in Indien und Indonesien war mit etwa 1 vH und 1,5 vH deutlich geringer. Darüber hinaus verfolgten die Notenbanken eine stark expansiv ausgerichtete Geldpolitik. In China wurden nicht nur der Leitzins und der Mindestreservesatz kräftig gesenkt; durch eine Lockerung der Vergaberegelungen wurde die Kreditvergabe direkt angekurbelt. Damit konnte zwar die Investitionstätigkeit gestützt werden, die Liquiditätsschwemme lässt jedoch bereits Befürchtungen bezüglich der Qualität der Aktiva des Banken-

Sachverständigenrat - Jahresgutachten 2009/10

Weltwirtschaft: Nach dem Absturz

39

systems aufkommen. Ähnlich gelagerte Risiken ergeben sich in den anderen asiatischen Schwellenländern, die große Programme zur Gewährung von Kreditgarantien aufgelegt haben. 61. Aktuell stellt sich die Frage, ob sich die teils deutlichen Erholungstendenzen verfestigen und in einen sich selbst tragenden Aufschwung münden, sobald die kurzfristigen Wirkungen des Nachholens von Lagerinvestitionen und der wirtschaftspolitischen Stimulierung an Bedeutung verlieren. In vergangenen Zyklen wiesen die meisten asiatischen Volkswirtschaften aufgrund ihrer Exportorientierung einen teils deutlichen Nachlauf gegenüber der Konjunkturentwicklung der Industriestaaten auf. Vor dem Hintergrund einer eher verhaltenen Aufwärtsbewegung in den hochentwickelten Ländern stellt sich die Frage, ob von dieser Region starke Impulse für die weltwirtschaftliche Entwicklung zu erwarten sind. Einiges spricht dafür, dass die Wachstumsdynamik in Asien im nächsten Jahr an Kraft gewinnen wird. Nur in wenigen Ländern der Region zwingen angespannte Staatsfinanzen die Wirtschaftspolitik zu kurzfristigen Konsolidierungsanstrengungen. Zusammen mit hohen Fremdwährungsreserven eröffnen sich damit Handlungsspielräume für weitere Ausgaben des öffentlichen Sektors, um die Importnachfrage zu stimulieren. Zudem ist in den nächsten Quartalen davon auszugehen, dass sich die Finanzierungskonditionen auf den Kapitalmärkten weiter entspannen. Trotzdem ist es unwahrscheinlich, dass sich die asiatischen Schwellenländer in der kurzen Frist zur Nachfragelokomotive der Weltwirtschaft entwickeln können. So betrugen die Privaten Konsumausgaben in China gemessen zu Marktpreisen im Jahr 2007 gerade einmal ein Achtel des US-amerikanischen Konsums. Zudem ist auch für die asiatischen Schwellenländer im Jahr 2010 von einer weiteren Erhöhung der Arbeitslosigkeit und einer verhaltenen Investitionstätigkeit auszugehen, da die Kapazitätsauslastung in den meisten Volkswirtschaften weit unter dem Vorkrisenniveau liegt. Weiterhin bergen die sehr hohen Zuwachsraten bei der Kreditvergabe das Risiko einer Verschlechterung der Kreditqualität in der Zukunft. Schließlich wird der langfristig notwendige Übergang zu einer stärkeren Binnendynamik nicht von heute auf morgen vonstatten gehen können, da strukturelle Faktoren wie das Fehlen sozialer Sicherungsnetze und unvollständig entwickelte Finanzsysteme erheblich zu einer ausgeprägten Neigung zum Vorsorgesparen und den damit verbundenen Kapitalexporten beitragen. Russland, Brasilien und andere große Rohstoffexporteure 62. Trotz des zunächst starken Rückgangs der Rohölpreise kam es in den Ländern, die relativ stark von Energieexporten abhängig sind, zu teils deutlich divergierenden Entwicklungen. Vor allem Russland musste tiefe Einschnitte hinnehmen. Aktuell ist für das Jahr 2009 von einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 7,5 vH auszugehen (Tabelle 3). Grund für diesen extremen Einbruch war neben dem Fall der Rohstoffpreise eine schlagartige Umkehr der in den letzten Jahren stark gestiegenen Kapitalzuflüsse. Diese hatten in den Jahren zuvor zu einem kreditfinanzierten Investitionsboom und einem starken Anstieg der Verschuldung in Fremdwährung geführt. Im Januar 2009 kam es zu einer erzwungenen Abwertung des Rubels; der Einbruch bei der Investitionsnachfrage verschärfte sich. Zwar hat sich im Verlauf des Jah-

Sachverständigenrat - Jahresgutachten 2009/10

40

Die wirtschaftliche Lage und Entwicklung in der Welt und in Deutschland

res 2009 die Abwärtsdynamik spürbar abgeschwächt, für das kommende Jahr ist allerdings lediglich mit einer schleppenden Erholung zu rechnen, die von einer zunehmend expansiv ausgerichteten Fiskalpolitik sowie von höheren Öl- und Gaspreisen gestützt wird. Die anderen Mitglieder der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) erlebten zum Teil noch tiefere Einbrüche ihrer Wirtschaftsaktivität, nicht zuletzt als Folge von Ansteckungseffekten aus Russland. Darunter litten vor allem die rohstoffärmeren Mitglieder der GUS. Besonders schwer waren zudem Länder wie die Ukraine betroffen, die zuvor eine starke Ausweitung der Kreditvergabetätigkeit erfahren hatten. Schaubild 6

Finanzmarkt- und Konjunkturindikatoren für Schwellenländer1) Zinsspreads3)

Entwicklung der Kredite an Private2) vH

Basispunkte

60

1 600

US-amerikanische Unternehmensanleihen 40

1 200

Osteuropa

Vereinigte Staaten Staatsanleihen der BB Schwellenländer4)

20

800

Unternehmensanleihen der Schwellenländer5)

Asiatische Schwellenländer 0

400

Lateinamerika -20

0

2002

2003

2004

2005

2006

2007

2008

2009

2002

Staatlicher Finanzierungssaldo6)

vH

2003

2004

2005

2006

2007

2008

Währungsreserven im Verhältnis zu den Importen7)

2009

Monate

0

6

Asiatische Schwellenländer

Lateinamerika -1

-2

-3

5

4

Lateinamerika

Asiatische Schwellenländer

3

Europäische Schwellenländer

-4

Europäische Schwellenländer

2

-5

0

1990

95

2000

05

2008

1990

95

2000

05

2008

1) Zusammensetzung der Ländergruppen siehe World Economic Outlook, Oktober 2009, des Internationalen Währungsfonds (IWF) – www.imf.org.– 2) Annualisierte Veränderungen der gleitenden Dreimonatsdurchschnitte.– 3) Renditedifferenzen der Anleihen gegenüber US-amerikanischen Staatsanleihen.– 4) JPMorgan EMBI Global Index Spread.– 5) JPMorgan CEMBI Broad Index Spread.– 6) In Relation zum Bruttoinlandsprodukt in jeweiligen Preisen.– 7) Umfang der Fremdwährungsreserven zur Finanzierung aktueller Importe in Monaten. Quelle: IWF © Sachverständigenrat

Daten zum Schaubild

63. Die Konjunkturentwicklung in Brasilien schwächte sich zwar merklich ab, sie wurde jedoch von einer robusten Binnenkonjunktur und der im Vergleich zu Russland breiteren regionalen und sektoralen Diversifikation seiner Exporte gestützt. Schon zur Mitte des Jahres 2009 deutete sich eine Erholung insbesondere bei der Industrieproduktion an, die sich

Sachverständigenrat - Jahresgutachten 2009/10

Weltwirtschaft: Nach dem Absturz

41

auch auf die lateinamerikanischen Nachbarstaaten positiv auswirkte. Nach einem geringen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2009 ist davon auszugehen, dass die Wirtschaftsleistung im Jahr 2010 mit einer Rate von über 3 vH zulegen wird. 64. In den Rohöl exportierenden Staaten des Mittleren Ostens kam es ebenso zu einer deutlichen Abschwächung der Wachstumsdynamik. Die seit Ende Dezember 2008 ansteigenden Rohstoffpreise und die trotz eines erheblichen Einnahmerückgangs ergriffenen Maßnahmen zur Ausweitung der Staatsausgaben lassen jedoch für das nächste Jahr eine Rückkehr zu einem beschleunigten Wachstum erwarten. Von den durchgeführten finanzpolitischen Maßnahmen profitieren nicht zuletzt die rohstoffärmeren Nachbarstaaten der Region, die im abgelaufenen Jahr sogar deutlich positive Zuwachsraten des Bruttoinlandsprodukts zu verzeichnen hatten. Die Länder der Europäischen Union 65. Die konjunkturelle Situation im Euro-Raum, der zu Beginn des Jahres 2009 einen starken Einbruch erlebt hatte, stabilisierte sich zur Jahresmitte wieder. Es ist deshalb davon auszugehen, dass die Rezession im Frühjahr ihren Tiefpunkt durchschritten hat. Angeführt durch eine Erholung der Vertrauensindikatoren verlangsamte sich der Abschwung bis zum Sommer und die Konjunktur zog, insbesondere im dritten Quartal, wieder leicht an. Deutschland und Frankreich wiesen bereits im zweiten Quartal wieder geringfügig positive Zuwachsraten auf. Die Konjunkturaufhellung ist jedoch in erster Linie auf das Ende des kräftigen Lagerabbaus im ersten Halbjahr und das immer stärkere Durchwirken der Konjunkturprogramme zurückzuführen. Für das Gesamtjahr 2009 muss mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 3,9 vH gerechnet werden (Tabelle 4, Seite 42). 66. Aktuell verharren die Bruttoanlageinvestitionen auf niedrigem Niveau, nachdem sie im ersten Quartal 2009 um 5,4 vH gegenüber dem Vorquartal zurückgegangen waren. Dieser starke Einbruch war hauptsächlich den gesunkenen Ausrüstungsinvestitionen in Folge der schrumpfenden Industrieproduktion geschuldet. Der Konsum verzeichnete einen nur geringen Rückgang zu Beginn des Jahres um 0,5 vH, stabilisierte sich jedoch ab dem zweiten Quartal. Grund für die verhältnismäßig robuste Entwicklung war einerseits die sinkende Inflation; andererseits wirkten sich die noch angestiegenen Nominallöhne stützend auf den Konsum aus. Zudem federten die automatischen Stabilisatoren und diskretionäre Maßnahmen wie die in vielen Ländern eingeführten Abwrackprämien eine Schwächung des Konsums ab. Insgesamt ist davon auszugehen, dass die Privaten Konsumausgaben im Euro-Raum im Jahr 2009 leicht um 0,9 vH zurückgegangen sind. Der Einbruch bei den Investitionen schlägt hingegen mit 10,4 vH deutlich stärker zu Buche. In fast allen Ländern des Euro-Raums hat sich die Finanzkrise spürbar auf den Arbeitsmarkt ausgewirkt. Besonders stark stiegen dabei die Arbeitslosenzahlen in den Ländern, die zuvor einen Immobilienboom erlebt hatten, wie in Spanien und Irland. Der Zusammenbruch des aufgeblähten Bausektors ließ dort die Arbeitslosenquote weit über den Durchschnitt der EuroLänder (9,5 vH) ansteigen.

Sachverständigenrat - Jahresgutachten 2009/10

42

Die wirtschaftliche Lage und Entwicklung in der Welt und in Deutschland

Tabelle 4

Wirtschaftsdaten für den Euro-Raum vH1) 2006

2007

2008

20092)

20102)

Gesamtwirtschaftliche Entwicklung3) Bruttoinlandsprodukt ..............................................

3,0

2,7

0,6

– 3,9

0,7

Private Konsumausgaben .................................. Konsumausgaben des Staates ........................... Bruttoanlageinvestitionen ................................... Exporte von Waren und Dienstleistungen ........... Importe von Waren und Dienstleistungen ...........

2,0 2,0 5,5 8,2 8,2

1,6 2,2 4,9 6,0 5,2

0,3 2,1 – 0,3 1,2 1,1

– 0,9 2,3 –10,4 –14,5 –12,5

0,2 1,5 – 1,6 4,0 2,9

2,1 4,3 4,3 7,4 – 0,1 – 0,6 66,2

3,3 4,6 4,3 7,5 0,1 – 2,0 69,6

0,3 1,0 3,4 9,5 – 1,2 – 5,7 80,0

1,1 1,3 4,0 10,7 – 0,3 – 6,4 84,0

Weitere Wirtschaftsdaten 4)

Verbraucherpreise …………………………………… Kurzfristiger Zinssatz (%)5) ……………................... Langfristiger Zinssatz (%)6) …………………………… Arbeitslosenquote7) …………………………………… Leistungsbilanzsaldo8) ………………………………… Finanzierungssaldo des Staates8) …………………… Schuldenstand des Staates8) …………………………

2,2 3,1 3,8 8,3 0,1 – 1,3 68,6

1) Soweit nicht anders definiert: Veränderung gegenüber dem Vorjahr.– 2) Eigene Schätzung auf Basis von Angaben internationaler und nationaler Institutionen.– 3) In Preisen von 2000.– 4) Harmonisierter Verbraucherpreisindex (HVPI).– 5) Für Dreimonatswechsel (Jahresdurchschnitte).– 6) Für Staatsschuldpapiere mit einer Laufzeit von 10 Jahren (Jahresdurchschnitte).– 7) Von der EU standardisierte Arbeitslosenquote gemäß Richtlinien der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO-Konzept). Arbeitslose in vH der zivilen Erwerbspersonen.– 8) In Relation zum nominalen Bruttoinlandsprodukt in vH. Quelle: EU

Daten zur Tabelle

67. Seit Oktober 2008 hat die Europäische Zentralbank (EZB) den Leitzins innerhalb von sieben Monaten von 4,25 % auf 1 % gesenkt. Um der weiterhin angespannten Lage auf den Finanzmärkten Rechnung zu tragen, hat sie darüber hinaus fünf außergewöhnliche Maßnahmen zur Erhöhung der Liquidität ergriffen: Zentralbankgeld wird seitdem in unbegrenzter Menge zum Leitzins ausgegeben, gegen einen ausgeweiteten Kreis von Sicherheiten, zu Laufzeiten von bis zu einem Jahr. Ferner stellt die EZB Liquidität in Fremdwährung zur Verfügung und kauft direkt Pfandbriefe auf. Mit diesen Maßnahmen ist es der EZB gelungen, die Unsicherheit auf den Finanzmärkten, gemessen an der Zinsdifferenz zwischen besicherten und unbesicherten Geldanlagen, auf das Niveau zu Krisenbeginn Ende August 2007 zu reduzieren (Ziffer 134). Dass es bei dieser außerordentlich expansiven Geldpolitik zu einem deutlichen Rückgang der Verbraucher- und besonders der Erzeugerpreise kam, ist neben der ausgeprägten Rezession im Wesentlichen auf den im Vergleich zum Vorjahr rapiden Preisverfall bei Energie und anderen Rohstoffen zurückzuführen. Von Januar bis September 2009 lag der Rohölpreis je Barrel im Durchschnitt um 31 Euro unter dem jeweiligen Vorjahreswert. Dies hatte zur Folge, dass der Harmonisierte Verbraucherpreisindex (HVPI) in den Monaten Juni bis Oktober negative Zuwachsraten aufwies (Schaubild 7, links oben). Raten für die Kerninflation von über 1 vH sowie stabile Inflationserwartungen deuten aber darauf hin, dass die Rezession nicht zu einer Deflation führen wird. Voraussichtlich ab November 2009 wird von den Rohölpreisen erstmals wieder eine preissteigernde Wirkung ausgehen, dann sollten die Unter-

Sachverständigenrat - Jahresgutachten 2009/10

Weltwirtschaft: Nach dem Absturz

43

schiede zwischen Kerninflation und HVPI wieder auf das historisch übliche Maß schrumpfen. Die zunehmenden staatlichen Haushaltsdefizite im Euro-Raum könnten in der Tendenz ebenfalls preissteigernd wirken, wenn die EZB nicht rechtzeitig und in ausreichendem Umfang gegensteuert (Schaubild 7, unten, siehe auch Ziffer 111). Von den Arbeitsmärkten dürften hingegen preisdämpfende Wirkungen ausgehen, die bei stabilen Inflationserwartungen jedoch keine dauerhaften deflationären Tendenzen zur Folge haben sollten. Schaubild 7

Wichtige Wirtschaftsindikatoren für den Euro-Raum Euro-Referenzkurse für ausgewählte Währungen4)

Verbraucherpreise und Erzeugerpreise

USD;GBP

vH 12

JPY 180

1,8

Yen je Euro 9

1,6

160

6

1,4

140

3

HVPI1)

Dollar je Euro

1,2

120

1,0

0

100

Kerninflation2)

Britisches Pfund je Euro

-3

Industrielle Erzeugerpreise3)

-6

0,8

80

0,6

60

0

-9

2006

2007

2008

0

2006

2009

2007

2008

2009

Staatsdefizit und seine Komponenten in den Jahren 2009 und 20105)

vH

vH

4

4

2

2

0

0

-2

-2

-4

-4

-6

-6

-8

-8

2009

-10 -12 -14

2010

-10

automatische Stabilisatoren

automatische Stabilisatoren

diskretionäre Maßnahmen

diskretionäre Maßnahmen

sonstiges strukturelles Defizit6)

sonstiges strukturelles Defizit6)

-12 -14

-16

-16

IE

ES

FR

PT

SL

GR

SK

BE

IT

AT

DE

MT

NL

CY

LU

FI

1) Harmonisierter Verbraucherpreisindex (HVPI) insgesamt, 2005 = 100.– 2) HVPI ohne schwankungsanfällige Teilkomponenten (Energie und unverarbeitete Nahrungsmittel).– 3) Index der industriellen Erzeugerpreise ohne Baugewerbe, 2005 = 100.– 4) Tageswerte.– 5) In Relation zum Bruttoinlandsprodukt in jeweiligen Preisen. Betrachtete Länder: IE-Irland, ES-Spanien, FR-Frankreich, PT-Portugal, SL-Slowenien, GR-Griechenland, SK-Slowakei, BE-Belgien, IT-Italien, AT-Österreich, DE-Deutschland, MT-Malta, NL-Niederlande, CY-Zypern, LU-Luxemburg, FI-Finnland.– 6) Für Luxemburg und Finnland: sonstiger struktureller Überschuss. Quellen: EU, EZB

© Sachverständigenrat

Daten zum Schaubild

Nach starken Devisenmarktturbulenzen in der zweiten Hälfte des Jahres 2008, während derer der Euro gegenüber US-Dollar und Yen deutlich abgewertet, gegenüber dem Pfund Sterling deutlich aufgewertet hatte, war die Entwicklung im Jahr 2009 wesentlich stabiler (Schaubild 7, rechts oben). Der reale effektive Wechselkurs als Maß für die Wettbewerbsfähigkeit des Euro-Raums liegt in etwa auf dem Niveau zu Jahresbeginn 2008.

Sachverständigenrat - Jahresgutachten 2009/10

44

Die wirtschaftliche Lage und Entwicklung in der Welt und in Deutschland

68. In den übrigen Ländern der Europäischen Union hat die Finanzkrise tiefe Spuren hinterlassen: Die Länder Mittel- und Osteuropas verzeichneten einen deutlichen Rückgang der Industrieproduktion und der Exporte, da die Nachfrage aus den Ländern des Euro-Raums spürbar nachließ. Insgesamt ist für das Jahr 2009 von einem Rückgang der Wirtschaftsleistung von 4,2 vH auszugehen, wobei der Konjunktureinbruch in den baltischen Ländern besonders drastisch ausfällt (Tabelle 5). Speziell die osteuropäischen Länder, die in den Jahren zuvor große Leistungsbilanzdefizite angehäuft hatten, wurden aufgrund der markanten Verschlechterung der Refinanzierungsbedingungen sowie der sich umkehrenden Kapitalströme in eine tiefe Rezession gestürzt. Einige Länder waren gezwungen, finanzielle Unterstützung beim Internationalen Währungsfonds und bei der Europäischen Union anzufordern. Durch die Hilfen dieser Institutionen konnte der Abwertungsdruck auf die entsprechenden Währungen abgefedert werden. So konnten insbesondere die Baltischen Länder die Kopplung ihrer Tabelle 5

Wirtschaftsdaten für die Länder der Europäischen Union

Land/Ländergruppe

Bruttoinlandsprodukt1)2) 2007

5) 5) 2008 2009 2010 2007

Belgien .............................. 2,9 1,0 – 3,1 0,5 Deutschland ...................... 2,5 1,3 – 5,0 1,6 Finnland ............................ 4,2 1,0 – 6,6 0,9 Frankreich ......................... 2,3 0,4 – 2,1 1,1 Griechenland ..................... 4,5 2,0 – 0,9 – 0,1 Irland ................................. 6,0 – 3,0 – 7,4 – 1,5 Italien ................................ 1,6 – 1,0 – 4,8 0,5 Luxemburg ........................ 6,5 0,0 – 4,4 0,6 Malta6) ……….............……… 3,7 2,1 – 1,9 0,9 Niederlande ....................... 3,6 2,0 – 4,3 0,4 Österreich .......................... 3,5 2,0 – 3,6 0,8 Portugal ............................. 1,9 – 0,0 – 3,0 0,5 Slowakei6) ……….............…… 10,4 6,4 – 5,6 2,4 Slowenien6) ……….............… 6,8 3,5 – 7,3 1,0 Spanien ............................. 3,6 0,9 – 3,6 – 0,6 Zypern6) ……….............……… 4,4 3,7 – 0,4 0,8 Euro-Raum ………........... Dänemark .......................... Schweden ......................... Vereinigtes Königreich ....... EU-19 ……….............…… Bulgarien ........................... Estland .............................. Lettland ............................. Litauen .............................. Polen ................................. Rumänien .......................... Tschechische Republik ...... Ungarn .............................. 7)

Europäische Union ………

2,7

Verbraucherpreise2)3)

Arbeitslosenquote4)

5) 5) 2008 2009 2010 2007

1,8 2,3 1,6 1,6 3,0 2,9 2,0 2,7 0,7 1,6 2,2 2,4 1,9 3,8 2,8 2,2

4,5 0,1 1,1 2,6 0,3 1,2 3,9 1,6 1,4 3,2 0,2 1,0 4,2 1,2 1,4 3,1 – 1,6 – 0,5 3,5 0,7 1,5 4,1 0,3 1,7 4,7 2,2 1,9 2,2 1,0 0,8 3,2 0,5 1,2 2,7 – 0,9 1,1 3,9 1,3 1,8 5,5 0,7 1,6 4,1 – 0,4 0,7 4,4 0,5 1,9

5) 5) 2008 2009 2010

7,5 9,0 6,9 8,4 8,3 4,6 6,1 4,2 6,4 3,2 4,4 8,1 11,1 4,9 8,3 4,0

7,0 7,8 6,4 7,8 7,7 6,0 6,8 4,9 5,9 2,8 3,8 7,7 9,5 4,4 11,3 3,6

8,3 8,2 8,6 9,6 9,2 11,9 8,2 6,3 7,2 3,6 5,3 9,1 11,9 6,4 18,2 5,4

9,8 9,4 10,1 10,3 10,3 14,5 9,8 7,1 7,6 5,6 6,1 9,7 12,7 8,1 19,9 6,5

0,6 – 3,9

0,7

2,1

3,3

0,3

1,1

7,4

7,5

9,5

10,7

1,6 – 1,2 – 3,6 2,6 – 0,2 – 4,7 2,6 0,6 – 4,6

1,2 1,3 0,8

1,7 1,7 2,3

3,6 3,3 3,6

1,2 2,0 2,0

1,6 1,7 1,5

3,8 6,1 5,3

3,3 6,2 5,6

4,7 8,7 7,8

5,6 9,8 9,1

2,6

0,7

2,1

3,3

0,6

1,2

7,1

7,1

9,1

10,3

1,8 1,6 4,4 4,3 2,0 0,9 1,1 – 0,6

7,6 6,7 10,1 5,8 2,6 4,9 3,0 7,9

12,0 10,6 15,3 11,1 4,2 7,9 6,3 6,0

2,5 1,7 0,0 0,2 3,4 – 2,9 4,1 – 0,9 3,7 2,4 5,6 3,6 0,8 1,5 4,1 3,7

6,9 4,7 6,0 4,3 9,6 6,4 5,3 7,4

5,6 5,5 7,5 5,8 7,1 5,8 4,4 7,8

7,9 14,0 16,6 15,0 8,7 7,9 7,2 10,4

10,1 15,8 19,3 17,7 10,2 8,1 8,9 11,1

0,7

2,4

3,7

0,8

7,1

7,0

9,1

10,3

0,6 – 4,0

6,2 6,0 7,2 – 3,6 10,0 – 4,6 9,8 2,8 6,8 5,0 6,3 6,2 6,1 2,5 1,0 0,6 2,9

– 6,0 –13,8 –18,0 –17,8 1,0 – 5,6 – 4,3 – 6,4

0,8 – 4,0

– – – –

1,3

1) Preisbereinigt.– 2) Veränderung gegenüber dem Vorjahr in vH.– 3) Harmonisierter Verbraucherpreisindex (HVPI).– 4) Von der EU standardisierte Arbeitslosenquoten gemäß Richtlinien der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO-Konzept). Arbeitslose in vH der Erwerbspersonen.– 5) Eigene Schätzung.– 6) Beitritt zum Euro-Raum: ab 1. Januar 2007 Slowenien, ab 1. Januar 2008 Malta und Zypern, ab 1. Januar 2009 Slowakei.– 7) Ab 2007 einschließlich Bulgarien und Rumänien (EU-27). Quelle: EU

Daten zur Tabelle

Sachverständigenrat - Jahresgutachten 2009/10

Weltwirtschaft: Nach dem Absturz

45

Währungen an den Euro aufrechterhalten (Ziffern 151 ff.). Dadurch wurde eine angesichts des hohen Anteils von Fremdwährungskrediten gefährliche Spirale von Abwertung und steigender Verschuldung verhindert. 69. Im Vereinigten Königreich bewirkte die Finanzkrise eine ausgeprägte Destabilisierung des Finanzsektors. Die Verschärfung der Kreditvergabekonditionen zusammen mit einer sinkenden Kapazitätsauslastung und ausbleibenden Auftragseingängen in der Industrie führten zu einem starken Rückgang der Investitionen in der ersten Jahreshälfte 2009. Zudem schränkten die Konsumenten, die sich mit fallenden Vermögenspreisen konfrontiert sahen, ihre Ausgaben markant ein. Die Reaktion der Bank of England (BoE) kam schnell und aggressiv: Innerhalb von fünf Monaten senkte sie bis März 2009 den Leitzins von 5 % auf 0,5 %, um der sich verschärfenden Kreditklemme entgegenzuwirken. Im Rahmen von „Quantitativen Lockerungsmaßnahmen“ hat die BoE in hohem Umfang Staatsanleihen erworben. Zur Unterstützung der Realwirtschaft folgten der temporären Mehrwertsteuersenkung seit Ende letzten Jahres in diesem Jahr weitere fiskalpolitische Maßnahmen: Im Mai 2009 führte die britische Regierung eine Abwrackprämie ähnlich der in Deutschland ein. Zudem sollen öffentliche Wohnungsbau- und Infrastrukturinvestitionen vorgezogen und speziell kleine bis mittlere Unternehmen unterstützt werden. Dennoch konnten diese diskretionären Maßnahmen mit einem Gesamtvolumen von rund 1,5 vH in Relation zum Bruttoinlandsprodukt ein Schrumpfen der britischen Wirtschaftsleistung im Jahr 2009 um 4,6 vH nicht verhindern. 70. Für das Jahr 2010 ist von einer mäßigen Erholung in den Ländern der EU und des Euro-Raums auszugehen. Die weitere Ausweitung der staatlichen Defizite wirkt in einer Vielzahl von Ländern auch im kommenden Jahr stützend (Schaubild 7, unten). Ein Großteil entfällt auf das Wirken der automatischen Stabilisatoren sowie auf den Anstieg der strukturellen Defizite aufgrund dauerhafter Einnahmeausfälle. Diese sind nicht zuletzt die Folge der Kontraktion des Immobilien- und Finanzsektors, die zuvor ein hohes Steueraufkommen generiert hatten. Weiterhin expansiv wirken die sehr niedrigen kurzfristigen Zinsen im Euro-Raum sowie das Aufleben der Exportnachfrage. Insgesamt überwiegen jedoch die Faktoren, die auf eine nur verhaltene wirtschaftliche Entwicklung hinwirken: Erstens wird sich die Lage am Arbeitsmarkt zunächst weiter verschlechtern, sodass mit einem Anstieg der Arbeitslosenquoten bis in das Jahr 2011 zu rechnen ist. Zweitens gehen von den Immobilienmärkten in vielen Ländern weiterhin dämpfende Effekte aus. Drittens sind die Schwellenländer des europäischen Konjunkturverbunds, von Ausnahmen wie Polen abgesehen, sehr viel stärker von der Krise betroffen. Schließlich wird die Realwirtschaft, die im Vergleich zu anderen Wirtschaftsräumen stärker von Bankfinanzierungen abhängig ist, von den noch bevorstehenden Aufräumarbeiten in den Bilanzen vieler Finanzinstitute belastet. Zwar wird die Erholungsdynamik im Jahresverlauf an Stärke gewinnen. Im Jahresdurchschnitt ist jedoch allenfalls mit einer leicht positiven Zuwachsrate des Bruttoinlandsprodukts von jeweils 0,7 vH im Euro-Raum und in der Europäischen Union zu rechnen.

Sachverständigenrat - Jahresgutachten 2009/10

46

Die wirtschaftliche Lage und Entwicklung in der Welt und in Deutschland

II. Die deutsche Volkswirtschaft nach dem Wachstumseinbruch 71. Nach dem dramatischen Rückgang der Wirtschaftsleistung im Winterhalbjahr 2008/2009 hat sich die deutsche Konjunktur zur Jahresmitte stabilisiert. Der Einbruch war gekennzeichnet durch einen historisch einmaligen Rückgang der Exportnachfrage und der Ausrüstungsinvestitionen. Die zunächst verhaltene Reaktion der Importe trug zu einer erheblichen Belastung durch den Außenbeitrag bei. Die Insolvenz von Lehman Brothers verdeutlichte und verschärfte das Ausmaß der globalen Finanzkrise, es kam zu einem abrupten Anstieg der gesamtwirtschaftlichen Unsicherheit. Die Wirtschaftsentwicklung wurde von einer Schockstarre erfasst. Der synchrone weltweite Nachfragerückgang traf die deutsche Volkswirtschaft im internationalen Vergleich besonders hart (Expertise 2009). Der Exportrückgang in der ersten Jahreshälfte 2009 beziffert sich auf 18,9 vH. Aufgrund der sinkenden Auslandsnachfrage wurden die Ausrüstungsinvestitionen deutlich zurückgefahren; im ersten Halbjahr 2009 um 21,8 vH gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Die Kapazitätsauslastung im Verarbeitenden Gewerbe sank bis zur Jahresmitte 2009 auf 71,3 vH (Anhang V, Tabelle 33*). Die Wirtschaftsleistung wurde damit auf das Niveau des Jahres 2005 zurückgeworfen. Um die Dynamik der Abwärtsspirale zu stoppen, ergriff die Wirtschaftspolitik weitreichende Maßnahmen. Die Bundesregierung legte breit angelegte Pakete zur Konjunkturstabilisierung auf, die im Zusammenspiel mit den Programmen anderer Länder zu einer Stützung der Nachfrage und einer Stabilisierung der Erwartungen beitrugen (Ziffern 244 ff.). 72. Mit einer positiven Zuwachsrate von 0,3 vH im Vergleich zum Vorquartal fand der über vier Quartale andauernde Rückgang des Bruttoinlandsprodukts im zweiten Quartal 2009 ein Ende. Harte wie weiche Konjunkturindikatoren deuten auf eine Trendwende in der zweiten Jahreshälfte hin (Schaubild 8). Die Auftragslage aus dem Inland und Ausland hat sich erholt und lässt, ebenso wie die beiden Komponenten des ifo-Geschäftsklimaindex, auf eine anhaltende Verbesserung der Produktion im weiteren Jahresverlauf schließen, wenngleich auf niedrigem Niveau. So konnten sich die Produktion, insbesondere von Vorleistungsgütern, inzwischen deutlich verbessern und die Ausfuhr sich stabilisieren. Allmählich lässt die Schockstarre nach, die seit dem Herbst 2008 auch die hiesige Wirtschaft gelähmt hatte. Aktuell befindet sich die deutsche Volkswirtschaft in einer Situation, in der die zwar wenig ausgeprägten aber dennoch vorhandenen außenwirtschaftlichen Impulse eine zögerliche Erholung eingeleitet haben. Vor dem Hintergrund des Abbaus weltwirtschaftlicher Ungleichgewichte und auslaufender Konjunkturprogramme ist jedoch bestenfalls mit einer fragilen Aufwärtsdynamik zu rechnen. Zudem ist davon auszugehen, dass ein Teil der Erholung zur Jahresmitte 2009 Spiegelbild der Schärfe des Einbruchs ist: So ist der Anstieg der Produktion zum Teil nur einem kurzfristigen Auffüllen der in der Krise abgebauten Lager geschuldet und könnte sich demzufolge auch wieder abschwächen. Schwerer jedoch wiegt die Gefahr, dass es als Folge der Krise zu einer negativen Beeinträchtigung des Produktionspotenzials kommt und binnenwirtschaftliche Zweitrundeneffekte die Bewegung zurück zum ursprünglichen Potenzialpfad behindern.

Sachverständigenrat - Jahresgutachten 2009/10

Die deutsche Volkswirtschaft nach dem Wachstumseinbruch

47

Schaubild 8

Konjunkturindikatoren für Deutschland 1. Vierteljahr 2008 = 100; saisonbereinigt ifo-Geschäftsklima2)

Auftragseingang der Industrie1)

Log. Maßstab

Log. Maßstab

110

110

Geschäftserwartungen

105

100

Aus dem Inland

100

90

95

Aus dem Ausland

80

Beurteilung der Geschäftslage

90 85

70

80 60 75 70

50

2006

2007

2008

2009

2006

Produktion in der Industrie3)

2007

2008

Ausfuhr nach Ländergruppen4) Log. Maßstab

Log. Maßstab 110

115

Konsumgüter

105

2009

Außereuropäische Länder

110

100

105

95

100

90

95

Vorleistungsgüter

85 80

90

Investitionsgüter

Euro-Raum

85

75

80

70

75

65

70

2006

2007

2008

2009

2006

2007

2008

2009

1) Ohne Ernährungsgewerbe und Tabakverarbeitung; ohne Kokerei, Mineralölverarbeitung, Herstellung und Verarbeitung von Spalt- und Brutstoffen.– 2) Verarbeitendes Gewerbe, Bauhauptgewerbe, Groß- und Einzelhandel.– 3) Produzierendes Gewerbe (ohne Energie und Bauleistungen).– 4) Erfasst nach Bestimmungsländern (Verbrauchsländern). © Sachverständigenrat

Daten zum Schaubild

1. Auswirkungen der Krise auf das Produktionspotenzial 73. Die Schätzung des Produktionspotenzials ist aktuell mit großen Unsicherheiten verbunden. Dies zeigen schon die Ergebnisse unterschiedlicher Schätzverfahren (JG 2007 Ziffern 693 ff.). Die Ergebnisse alternativer Ansätze können jedoch als obere beziehungsweise untere Grenze für das Potenzialwachstum interpretiert werden: − Auf Filterverfahren beruhende Schätzungen liefern aktuell nur sehr geringe Werte für das Potenzialwachstum. Sie legen nahe, dass sich das Produktionspotenzial im Jahr 2009 lediglich mit einer Rate von minus 0,2 vH bis plus 0,3 vH verändert hat (Tabelle 6, Seite 50). Der Grund hierfür liegt in der starken Betonung des Konjunktureinbruchs am aktuellen Rand. Daher ist dieses Ergebnis als untere Schranke für die Entwicklung des tatsächlichen Produktionspotenzials zu interpretieren.

Sachverständigenrat - Jahresgutachten 2009/10

48

Die wirtschaftliche Lage und Entwicklung in der Welt und in Deutschland

− Die strikte Anwendung des produktionstheoretischen Verfahrens des Sachverständigenrates führt hingegen zu dem Ergebnis, dass das Produktionspotenzial im Jahr 2009 noch mit einer Rate von 1,7 vH gewachsen ist; somit wäre die Zuwachsrate so gut wie unverändert gegenüber der des Vorjahrs. Allerdings basiert diese Schätzung auf Jahresdaten, die lediglich bis zum Jahr 2008 vorliegen. Mögliche negative Auswirkungen der Krise auf das Produktionspotenzial sind somit noch nicht vollständig berücksichtigt. Empirische Studien zeigen jedoch, dass Wirtschaftskrisen, insbesondere wenn sie mit einer Finanzkrise einhergehen, signifikante Auswirkungen auf das Produktionspotenzial haben können (Cerra und Saxena, 2008). Nach Schätzungen des IWF (2009) ist das Niveau des Produktionspotenzials noch sieben Jahre nach dem gemeinsamen Auftreten einer Wirtschaftsund Finanzkrise um fast 10 vH geringer als in einer hypothetischen Situation ohne Krise. Furceri und Mourugane (2009) finden zudem einen signifikant negativen Einfluss von Finanzkrisen auf die Potenzialwachstumsrate. Insofern ist die mit dem produktionstheoretischen Verfahren ermittelte Zuwachsrate als eine obere Grenze für das Potenzialwachstum anzusehen. 74. Das von den unterschiedlichen Verfahren aufgespannte Intervall von minus 0,2 vH bis 1,7 vH als mögliche Werte für das Potenzialwachstum des Jahres 2009 spiegelt die große Unsicherheit wider, mit der die Schätzungen derzeit behaftet sind. Um eine Annäherung an die tatsächliche Zuwachsrate des Produktionspotenzials zu erhalten, liegt es nahe, mögliche Auswirkungen der Krise im produktionstheoretischen Verfahren zu berücksichtigen. Die Kanäle, über die sich eine Rezession auf das Produktionspotenzial auswirken kann, sind vielfältig. Grundsätzlich kann einer Wachstumszerlegung folgend die Entwicklung des Arbeitsvolumens, des Kapitalstocks und der totalen Faktorproduktivität von einer Wirtschaftskrise beeinträchtigt werden. 75. Eine Reduktion des Arbeitskräftepotenzials ist dann zu erwarten, wenn sich ein Teil der in der Krise gestiegenen kurzfristigen Arbeitslosigkeit verfestigt und zu einer höheren gleichgewichtigen Arbeitslosigkeit führt. Derselbe Effekt ergibt sich, wenn eine länger anhaltende Rezession einen Teil der Arbeitsuchenden entmutigt, sodass sie die Suche nach einem Arbeitsplatz aufgeben und sich vollständig vom Arbeitsmarkt zurückziehen. Anzumerken ist, dass die hier beschriebenen Effekte zwar Auswirkungen auf das Niveau des Produktionspotenzials, nicht aber auf dessen Zuwachsraten haben. 76. Ebenso beeinflussen schwere Krisen über die Investitionstätigkeit und die Abschreibungen die Kapitalakkumulation und somit die Höhe des Kapitalstocks. Erstens verschlechtern Finanzkrisen die Investitionsbedingungen und damit die Kapitalakkumulation. Hiervon zeugen die während der Finanzkrise sprunghaft gestiegenen und gegenwärtig immer noch hohen Kapitalkosten. Zudem verlangen Banken bei der Vergabe von Krediten bessere Sicherheiten. Beide Effekte lassen einen Rückgang der Investitionstätigkeit erwarten. Die Verlangsamung der Kapitalakkumulation wird umso stärker ausfallen, je länger die durch höhere Kapitalkosten und durch eine geringere Kreditvergabetätigkeit hervorgerufenen ungünstigen Finanzierungsbedingungen anhalten.

Sachverständigenrat - Jahresgutachten 2009/10

Die deutsche Volkswirtschaft nach dem Wachstumseinbruch

49

Zweitens bedingen Krisen oftmals einen Strukturwandel, der eine Reallokation von Ressourcen aus unproduktiven in produktive Firmen oder Sektoren notwendig macht. Kurzfristig wird es dadurch zu höheren Abschreibungen auf den existierenden Kapitalstock kommen. Mittelfristig steigt dadurch zwar die totale Faktorproduktivität; im Augenblick der Anpassung wächst aber der Kapitalstock mit einer geringeren Rate. Es ist davon auszugehen, dass schwere Rezessionen einen verstärkten Reallokationsbedarf nach sich ziehen oder zumindest offen legen. Insgesamt lassen diese Effekte für die nächsten Jahre also ein verlangsamtes Anwachsen oder sogar eine Abnahme des Kapitalstocks erwarten. Diese Entwicklung erreicht ihr Ende, sobald die durch die Krise erforderlichen Restrukturierungen abgeschlossen sind. Inwieweit sich die Krise über die beschriebenen Kanäle schon auf die Zuwachsrate des Produktionspotenzials niedergeschlagen hat, lässt sich gegenwärtig nur schwer einschätzen. Es ist allerdings davon auszugehen, dass die Trendentwicklung von Arbeitsvolumen und Kapitalstock zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht messbar von der Krise beeinträchtigt wurde: Zum einen ist der im Jahr 2009 beobachtete moderate Anstieg der Arbeitslosigkeit sicherlich zum größten Teil auf eine Erhöhung der konjunkturellen Arbeitslosigkeit zurückzuführen. Zum anderen kann für den Kapitalstock unterstellt werden, dass sich der für das laufende Jahr abzeichnende Rückgang der Nettoinvestitionen erst ab dem Jahr 2010 negativ auf den Kapitalstock auswirken wird. 77. Bislang wurde jedoch neben den reinen Mengeneffekten auf die Produktionsfaktoren noch nicht berücksichtigt, dass ein Teil der aktuell verfügbaren Produktionsfaktoren in der kurzen bis mittleren Frist nicht mehr so produktiv eingesetzt werden kann, wie dies vor der Krise der Fall war. Die Krise kann zu Abschreibungen auf das spezifische Humankapital führen, die sich in produktionstheoretischen Verfahren in einer verringerten Faktorproduktivität niederschlagen. Im Bereich der Automobilproduktion ist beispielsweise mit einer Verschiebung der Nachfrage hin zu kleineren, verbrauchsärmeren Modellen zu rechnen. Daher ist davon auszugehen, dass die bestehenden Produktionskapazitäten für größere Fahrzeuge auch nach der Krise nicht mehr voll ausgelastet werden. In diesem Fall wären sofortige Abschreibungen auf den Kapitalstock nötig, die sich erst in den nächsten Jahren in den Daten widerspiegeln. Aktuell käme es daher zu einer Überschätzung der totalen Faktorproduktivität. Ohne Berücksichtigung dieser Aspekte bei der Ermittlung des Produktionspotenzials würde man dessen Zuwachrate überzeichnen. Eine Reduktion der totalen Faktorproduktivität ist konsistent mit empirischen Studien, die zeigen, dass schwere Krisen zunächst auf diese und erst danach auf die anderen Determinanten des Produktionspotenzials durchschlagen (IWF, 2009). Allerdings ist es zum gegenwärtigen Zeitpunkt schwierig, den beschriebenen Rückgang der Faktorproduktivität exakt zu quantifizieren. Eine plausible Approximationsmöglichkeit besteht allerdings darin, sich an dem Verlauf in den Jahren nach der letzten Phase eines gravierenden konjunkturellen Abschwungs zu orientieren. Schreibt man den Produktivitätstrend auf diese Weise fort, lässt sich ein Szenario für die Entwicklung des Produktionspotenzials im nächsten Jahr ableiten. Zu diesem Zweck wird für die totale Faktorproduktivität die durchschnittliche Zuwachsrate in den fünf Jahren nach der letz-

Sachverständigenrat - Jahresgutachten 2009/10

50

Die wirtschaftliche Lage und Entwicklung in der Welt und in Deutschland

ten mit Finanzmarktturbulenzen verbundenen Wachstumsschwäche im Jahr 2002 unterstellt. Die Pfade von Arbeitsvolumen und Kapitalstock bleiben hingegen unverändert. Unter diesen Annahmen hat das Produktionspotenzial im Jahr 2009 um 0,9 vH zugenommen (Tabelle 6). Für die relative Output-Lücke ergibt sich damit ein negativer Wert von 5,2 vH. Tabelle 6

Zuwachsrate des Produktionspotenzials unter Verwendung ausgewählter Schätzverfahren Produktionstheoretisches Verfahren des Sachverständigenrates2)

Filterverfahren1) nach Jahr Hodrick-Prescott

Baxter-King

ChristianoFitzgerald

Standardverfahren

bei angepasster Faktorproduktivität

2008

0,5

0,9

0,9

1,7

1,7

2009

0,3

– 0,1

– 0,2

1,7

0,9

2010

0,4

0,2

– 0,1

1,8

0,7

1) Basis: Quartalsergebnisse.– 2) Basis: Jahreswerte.

Daten zur Tabelle

78. Noch größere Unsicherheit besteht hinsichtlich der mittel- bis langfristigen Wachstumsrate des Produktionspotenzials. Diese wird wesentlich durch die Reaktion der Politik auf die schwere Rezession bestimmt. So besteht die Gefahr, dass eine Zunahme der Arbeitslosigkeit die Politik zu Maßnahmen veranlasst, die einen Teil der Beschäftigten zu einem dauerhaften Ausstieg aus dem Arbeitsmarkt verleitet. Ein Beispiel hierfür ist die derzeit diskutierte Verlängerung der Regelungen zur Altersteilzeit. Ebenso wird es darauf ankommen, ob die Politik der Versuchung widerstehen kann, den Strukturwandel aus einem kurzfristigen Kalkül heraus durch die Rettung unproduktiver Unternehmen zu verzögern. Wenn die Krise jedoch erfolgreich zu einer Restrukturierung genutzt wird, kann dies langfristig über eine höhere totale Faktorproduktivität sogar zu einem schnelleren Potenzialwachstum führen. Ein anschauliches Beispiel hierfür ist Schweden, dem es nach der schweren Bankenkrise Anfang der 1990er-Jahre zügig gelang, seinen Bankensektor zu restrukturieren und somit nach der Krise höhere Zuwachsraten des Produktionspotenzials zu verzeichnen.

2. Zweitrundeneffekte auf dem Arbeitsmarkt und den Finanzmärkten 79. Wie schnell die deutsche Volkswirtschaft ihren revidierten Potenzialwachstumspfad erreicht, hängt aktuell vor allem von zwei Faktoren ab: der außenwirtschaftlichen Dynamik und den möglichen Bremswirkungen, die binnenwirtschaftlich von den dem Konjunktureinbruch folgenden Zweitrundeneffekten ausgehen. Wie oben dargestellt, steht die Weltwirtschaft zwar vor einer schwierigen und fragilen Phase der Erholung, trotzdem sind im Prognosezeitraum spürbare Impulse zu erwarten. Die an sich schon wenig ausgeprägte Aufschwungsdynamik könnte jedoch von einer Reihe von Effekten gebremst werden. Entscheidend sind in diesem Zusammenhang vor allem die weitere Entwicklung am Arbeitsmarkt sowie der Zugang zu Finanzierungsmitteln.

Sachverständigenrat - Jahresgutachten 2009/10

Die deutsche Volkswirtschaft nach dem Wachstumseinbruch

51

Problembereich Arbeitsmarkt 80. Der Arbeitsmarkt war trotz des drastischen wirtschaftlichen Einbruchs zumindest bis zum Herbst des Jahres 2009 durch eine überraschend hohe Stabilität gekennzeichnet. Im Vergleich zu anderen Ländern, in denen die Unternehmen überwiegend mit einem direkten Beschäftigungsabbau reagiert hatten, kam es in Deutschland trotz niedriger Kapazitätsauslastung nur zu einem unerwartet geringen Anstieg der Arbeitslosigkeit. Die Reduktion der Arbeitszeit durch eine vorübergehende Absenkung der regelmäßigen tariflichen Arbeitszeit, der Abbau von Arbeitszeitkonten und Überstunden sowie die Nutzung von Kurzarbeit haben dazu einen erheblichen Beitrag geleistet (Ziffern 409 ff.). Ermöglicht wurde diese Entwicklung nicht zuletzt von der im Vergleich zu vorangegangenen Abschwüngen guten Ausgangslage der Unternehmen. So hat sich zwischen den Jahren 1998 bis 2007 die Eigenkapitalausstattung der Unternehmen um 8 Prozentpunkte verbessert, was die Spielräume zu einer vorübergehenden Überbrückung von Nachfrageausfällen erhöhte (KfW, 2009b). Die moderate Lohnpolitik der letzten Jahre war dafür eine wichtige Voraussetzung. Nachdem die realen Lohnkosten im Zeitraum der Jahre von 1991 bis 2000 um 13 vH gestiegen waren, stagnierten sie seitdem. Die Arbeitsproduktivität erhöhte sich im selben Zeitraum um 16 vH und danach um weitere 8 vH bis zum Jahr 2008. Für die Entwicklung der realen Lohnkosten und der Arbeitsproduktivität ist somit seit Anfang des Jahrzehnts ein Auseinanderlaufen zu verzeichnen, dessen Ausmaß seit dem Jahr 2003 deutlich zugenommen hat. Durch den Rückgang der Lohnstückkosten konnten die Unternehmen ihre preisliche Wettbewerbsfähigkeit im Außenhandel steigern. 81. Die aktuelle Tendenz, auf die Unterauslastung der Kapazitäten nicht sofort mit einer Entlassung von Arbeitskräften zu reagieren, reduziert die in den letzten Jahren aufgebauten Eigenkapitalpuffer. Nicht nur die Remanenzkosten der Kurzarbeit (Ziffer 411), sondern auch Kapitalkosten in Form von Zinsen und Abschreibungen schlagen hier zu Buche. Außerdem wird Liquidität gebunden, weil Umsätze einbrechen, aber große Teile des betrieblichen Aufwands unmittelbar auszahlungswirksam werden. Da Eigenkapital- und Liquiditätsausstattung wichtige Faktoren bei der Kreditgewährung durch Banken sind, kann dies Folgen für die Finanzierungsbedingungen der Unternehmen haben (KfW, 2008, 2009b). 82. Entscheidend für die weitere Entwicklung ist, wie die Unternehmen in den kommenden Monaten die Kosten der Weiterbeschäftigung relativ zu den Entlassungs- und späteren Such-, Einstellungs- und Einarbeitungskosten einschätzen werden. Dass die Kostenabwägung bisher zu Gunsten des Haltens der Arbeitskräfte ausgefallen ist, liegt nicht zuletzt an der Kostenerleichterung durch die Veränderung bei der Kurzarbeiterregelung. In den besonders betroffenen exportorientierten Industriezweigen des Verarbeitenden Gewerbes kommen erhöhte erwartete Entlassungskosten durch den hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrad, Suchkosten bei der Rekrutierung von Fachkräften, insbesondere aus dem Bereich der MINTWissenschaften, sowie hohe Einarbeitungskosten hinzu. Die bisher stabile Entwicklung am Arbeitsmarkt ist mithin auch Ausdruck der besonderen Betroffenheit ausgewählter Wirtschaftszweige vom Rückgang der globalen Endnachfrage. Dies ist schon aus dem Umstand ersichtlich, dass vor allem Unternehmen aus dem Produzierenden Gewerbe (ohne Bau) die

Sachverständigenrat - Jahresgutachten 2009/10

52

Die wirtschaftliche Lage und Entwicklung in der Welt und in Deutschland

Flexibilisierung der Arbeitszeit mit knapp 80 vH der 1,4 Millionen Kurzarbeiter besonders nutzen. Hier ist die Bruttowertschöpfung im zweiten Quartal 2009 im Vorjahresvergleich um mehr als 20 vH gesunken, die Anzahl der Vollzeitbeschäftigten ist hingegen ungefähr konstant geblieben. Bei einer anhaltenden Unterauslastung der Kapazitäten werden die Unternehmen die aus dem Halten der Arbeitskräfte resultierende Kostenbelastung nicht dauerhaft tragen können und müssen mit einer Anpassung der Beschäftigung reagieren. Momentan zeichnet sich ab, dass der Tiefpunkt des konjunkturellen Abschwungs im ersten Quartal 2009 bereits erreicht wurde. Es herrscht allerdings derzeit noch große Unsicherheit über die Dynamik der Erholung. Da nicht davon auszugehen ist, dass die Volkswirtschaft rasch zu ihrer Normalauslastung zurückkehren wird, sind weitere Entlassungen nicht zu vermeiden. Unter der Annahme, dass die Unternehmen die erheblichen Produktivitätsverluste seit Ausbruch der Krise zu einem größeren Teil in den Jahren 2009 und 2010 ausgleichen werden, ist deshalb von einem erheblichen Anstieg der Erwerbslosigkeit auszugehen. Dabei ist berücksichtigt, dass einige der Faktoren, die zu der beobachteten Stabilität des Arbeitsmarkts beigetragen haben, im Jahr 2010 weiter wirken. Falls aber die Unternehmen die Produktivitätsverluste vollständig ausgleichen oder bestehende Arbeitszeitverkürzungen in höherem Maße als erwartetet zurückgenommen werden, dürfte der Anstieg der Arbeitslosigkeit stärker ausfallen. Problembereich Finanzsystem 83. Seit Jahresanfang 2009 nehmen die Besorgnisse zu, eine Verknappung der Kreditversorgung oder „Kreditklemme“ könne eine sich selbst tragende konjunkturelle Erholung verhindern. Unter einer Kreditklemme kann eine Situation verstanden werden, in der das Bankensystem das Kreditangebot nicht mehr ausweitet. Ursachen dieser Angebotsreaktion können einerseits bilanzielle Beschränkungen der Banken aufgrund von Verlustabschreibungen, verschärften Regulierungsvorgaben oder Liquiditätsengpässen sein. Andererseits können in einem wirtschaftlichen Abschwung besonders große Informationsprobleme zwischen Kreditnehmern und Kreditgebern auftreten. Im weiteren Sinne sollte der Begriff auch solche Situationen erfassen, in denen Unternehmen Beschränkungen bei der kapitalmarktbasierten Finanzierung unterliegen. Tatsächlich ist es seit Ausbruch der Krise zu einer erheblichen Rückführung des Fremdkapitalhebels der Banken gekommen. Die mit diesem Deleveraging einhergehende Reduktion der Bilanzsummen betraf dabei zunächst vor allem Finanzierungsbeziehungen innerhalb des globalen Finanzsystems, insbesondere im internationalen Interbankengeschäft. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es innerhalb Deutschlands zunächst zu einer starken Ausweitung der Kreditvergabe an nicht-monetäre finanzielle Unternehmen wie Versicherungsgesellschaften, Pensionsfonds und Zweckgesellschaften kam, die die Kreditvergabe insgesamt lange Zeit stützte. In jüngster Zeit mehren sich die Anzeichen, dass nichtfinanzielle Unternehmen von den Anpassungen im Finanzsektor betroffen sind. Seit Mitte 2008 kam es zu einer deutlichen Abschwächung des Kreditwachstums in diesem Bereich (Schaubild 9 unten). Zwar lag das Vo-

Sachverständigenrat - Jahresgutachten 2009/10

Die deutsche Volkswirtschaft nach dem Wachstumseinbruch

53

lumen der an Unternehmen und Selbstständige vergebenen Kredite auch im zweiten Quartal 2009 noch immer um 4,1 vH über dem Vorjahresniveau. Allerdings verlief die Kreditvergabe bei einzelnen Fristen oder Wirtschaftsbereichen sehr heterogen. So ging insbesondere die Vergabe kurzfristiger Kredite stark zurück. Der bis zuletzt verzeichnete Rückgang bewegt sich allerdings noch im Rahmen früherer Zyklen. Besonders augenfällig sind jedoch die Unterschiede bei einzelnen Bankengruppen (Schaubild 9). So schränkten die von der Krise besonders betroffenen privaten Großbanken ihre Kreditvergabe deutlich ein. Vor diesem Hintergrund und vor dem Hintergrund des zu Beginn der Krise vollständigen Erliegens von Kapitalmarktfinanzierungen ist verständlich, dass zunächst vor allem große Unternehmen eine Schaubild 9

Indikatoren zur Kreditvergabe an Private

Entwicklung der Kredite an inländische Unternehmen und Selbstständige1)

vH

Saldo der Umfrageergebnisse zur Kreditnachfrage von Unternehmen2)

vH 75

2,4

Erwartet 1,6

50

0,8

25

0

0

-25

-0,8

Eingetreten -50

-1,6

-75

-2,4

2003

2004

2005

2006

2007

2008

2003

2009

2004

2005

2006

2007

2008

2009

Entwicklung der Kreditvergabe nach Bankengruppen im 2. Quartal 20091) Alle Banken Kreditbanken Großbanken Regionalbanken und sonstige Banken Landesbanken Sparkassen Genossenschaftliche Zentralbanken und Kreditgenossenschaften Realkreditinstitute Banken mit Sonderaufgaben -10

-5

0

5

10

15

20

25

30

35

vH 1) Für Unternehmen und Selbstständige; Veränderung gegenüber dem Vorquartal in vH (saisonbereinigt).– 2) Ergebnisse der vierteljährlichen Umfrage unter Banken zur Veränderung der Nachfrage von Krediten an Unternehmen, Angaben der befragten Banken im Berichtsmonat für die letzten drei Monate. Differenz zwischen der Summe der Angaben „deutlich gestiegen“ und „leicht gestiegen“ und der Summe der Angaben für „etwas gesunken“ und „deutlich gesunken“ in vH aller Antworten. Quelle: Deutsche Bundesbank © Sachverständigenrat

Daten zum Schaubild

Sachverständigenrat - Jahresgutachten 2009/10

54

Die wirtschaftliche Lage und Entwicklung in der Welt und in Deutschland

Verschärfung der Kreditkonditionen zu spüren bekamen. Außergewöhnlich kräftig expandierte die Kreditvergabe der Banken mit Sonderaufgaben wie die der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). 84. Sinkende Kreditvolumina können – selbst wenn sie nur bei einzelnen Bankengruppen, Fristen oder Wirtschaftsbereichen auftreten – zumindest zum Teil auf nachfrageseitige Aspekte zurückgeführt werden. In Abschwungphasen und bei Kapazitätsunterauslastungen rücken Unternehmen von Bestandserweiterungen ab und unterlassen geplante Erweiterungsinvestitionen. In diesen Fällen kann nicht von einer Kreditklemme gesprochen werden. Ökonometrische Schätzungen zeigen, dass es in jüngster Zeit tatsächlich zu einem Rückgang der Kreditnachfrage gekommen ist, der zur Erklärung der Abschwächung der Kreditvergabe beiträgt (Deutsche Bundesbank, 2009). Gleichzeitig weisen Umfragedaten jedoch darauf hin, dass Banken sich durchaus einer erheblichen Anzahl von Kreditanträgen gegenübersehen, wobei dieser Befund aufgrund von Mehrfachanfragen bei verschiedenen Banken nach oben verzerrt sein dürfte. Dennoch ist nicht auszuschließen, dass es in der aktuellen Krise gerade zu Beginn des Abschwungs zu einer erhöhten Liquiditätsnachfrage gekommen ist, da Umsätze abrupt wegbrachen und Versicherungserwägungen vor dem Hintergrund einer stark gestiegenen Unsicherheit dazu führen sollten, dass in der Vergangenheit eingeräumte Kreditlinien in Anspruch genommen werden. 85. Von der Angebotsseite können zwei Faktoren zu verschärften Finanzierungsbedingungen der Realwirtschaft führen: − Eine Neubewertung von Kreditrisiken ist ein im Konjunkturzyklus notwendigerweise auftretender Prozess, der für sich noch keine Kreditklemmenproblematik begründen kann. Zwar sollte die Bewertung von Kreditrisiken insbesondere bei längeren Fristen die Ausfallwahrscheinlichkeit über den gesamten Zyklus in den Mittelpunkt stellen. In einem Abschwung erhalten Finanzinstitutionen jedoch neue Informationen bezüglich gesamtwirtschaftlicher, sektoraler und regionaler Risiken, die bei der Bestimmung von Risikoprämien und Sicherheiten zu berücksichtigen sind. Gesamtwirtschaftlich problematisch wird eine Neubewertung erst dann, wenn die Ausfallrisiken überschätzt werden. Im Rahmen der meisten Kreditrisikomodelle kann es gerade gegen Ende eines wirtschaftlichen Abschwungs zu einer Überzeichnung kommen. Diese Prozyklizität der Risikomessung, die im Aufschwung spiegelbildlich zu einer überhöhten Kreditvergabe führt, liegt darin begründet, dass die Modelle den zyklischen Schwankungen der Ausfallquoten am aktuellen Rand ein zu hohes Gewicht beimessen. In der Folge steigt das für einen Kredit zu hinterlegende ökonomische und regulatorische Eigenkapital und die Möglichkeit zur Kreditvergabe wird eingeschränkt. − In der aktuellen Situation besteht die Gefahr, dass die in der realwirtschaftlichen Verschlechterung begründeten Einschränkungen des Kreditangebots durch weitere Friktionen im Finanzsystem verstärkt werden. Aufgrund der Verluste im Zusammenhang mit der Finanzkrise besteht hohe Unsicherheit bezüglich der verfügbaren Eigenkapitalpolster. Zudem ist für die Zukunft mit steigenden regulatorischen Anforderungen an die Eigenkapital-

Sachverständigenrat - Jahresgutachten 2009/10

Die deutsche Volkswirtschaft nach dem Wachstumseinbruch

55

ausstattung zu rechnen, die sowohl die Höhe als auch die Zusammensetzung der Eigenkapitalbasis betreffen. Schließlich leiden die Banken, die sich bis zur Krise vor allem auf Großhandelsmärkten, also über Verbriefungen oder kurzfristige Großkredite anderer Finanzinstitutionen, refinanzierten, unter dem Wegbrechen dieser Wege der Mittelbeschaffung. In diesen Fällen behindern bilanzielle Restriktionen das Kreditneugeschäft, selbst wenn der Schuldner eine entsprechend gute Bonität aufweist. 86. Rückläufige Kreditaggregate in einigen Segmenten und bei einigen Bankengruppen sowie zunehmende Klagen der Realwirtschaft über eine niedrigere Kreditvergabe könnten insgesamt auf eine angebotsseitig bedingte geringere Kreditversorgung hindeuten (Kasten 2). Über die gängigen Indikatoren hinaus lassen sich weitere Belege dafür finden, dass zumindest in einigen Teilbereichen des Finanzsystems Probleme vorhanden sind. Allen voran scheint es für Unternehmen im Bereich der Exportfinanzierung schwierig zu sein, eine Vorfinanzierung ihrer Exportforderungen zu erlangen und sich gegenüber Zahlungsausfällen zu versichern. Zudem spricht vieles dafür, dass sich die anhaltenden Probleme an den Verbriefungsmärkten belastend auf die Fähigkeit des Bankensystems zur Kreditvergabe auswirken. Insgesamt kann jedoch zum aktuellen Zeitpunkt keine allgemeine Kreditklemme konstatiert werden. Die bei den Kreditaggregaten festgestellten Rückgänge und die sich in Umfragen abzeichnende Verschärfung der Refinanzierungskosten und der Anforderungen an Sicherheiten und Dokumentation sind nicht ausgeprägt genug, um zu einer solchen Schlussfolgerung zu gelangen. Dies gilt insbesondere dann, wenn die in früheren Zyklen zu beobachtenden Rückgänge bei der Kreditnachfrage berücksichtigt werden. Kasten 2

Umfragebasierte Indikatoren zur Kreditvergabe Umfragebasierte Indikatoren wie die ifo-Kredithürde registrieren schon seit Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2007 eine restriktivere Kreditvergabe (Schaubild 10, Seite 56). Im Oktober 2009 gaben 41,7 vH der befragten Unternehmen an, die Kreditvergabe sei restriktiv. Nach dem rasanten Anstieg im Herbst 2008 von unter 30 vH auf 45,1 vH im Juli 2009 kommt es hier aktuell jedoch zu einer Stabilisierung. Auffallend ist, dass die Kredithürde sich nicht homogen über die Größenklassen von Unternehmen entwickelt, denn große Unternehmen klagen im Vergleich zu kleinen und mittleren Unternehmen verstärkt über eine restriktivere Kreditvergabe. Die Ergebnisse der DIHK-Umfrage vom Herbst 2009 zeichnen ein ähnliches Bild. Demnach ist es im Vergleich zum Frühsommer zu einer weiteren Verschärfung bei den Finanzierungskonditionen gekommen. Als Gründe für diese Entwicklung werden vor allem höhere Anforderungen an Kreditsicherheiten und steigende Kreditzinsen angegeben. Besonders deutlich fällt die Verschlechterung in wichtigen Exportbranchen aus. Während sich die Lage bei den Großunternehmen nicht weiter zugespitzt hat, da sich unter anderem der Zugang zu kapitalmarktbasierter Finanzierung verbesserte, klagen zunehmend kleine und mittlere Unternehmen über verschärfte Restriktionen. Der Bank-Lending-Survey der Deutschen Bundesbank im Eurosystem setzt mit seiner Umfrage direkt bei den Banken an. Der letzten Erhebung vom Oktober 2009 zufolge haben die Banken ihre Angebotsbedingungen im zweiten Quartal erneut verschärft. Allerdings gaben nur noch 8 vH der Banken an, ihre Kreditstandards weiter gestrafft zu haben, während es im Vorquartal noch 12 vH waren. Für das dritte Quartal erwarten die Banken ebenfalls nur noch eine leichte weitere

Sachverständigenrat - Jahresgutachten 2009/10

56

Die wirtschaftliche Lage und Entwicklung in der Welt und in Deutschland

Straffung der Konditionen. Zu der Entspannung haben die Beurteilung der Eigenkapitalkosten der Banken, die Einschätzung des konjunkturellen Umfelds sowie branchen- und firmenspezifische Faktoren beigetragen. Schaubild 10

Kredithürden und Kreditvergabestandards für Unternehmen

Kredithürden nach Größenklassen1)

Kreditvergabestandards2)

vH

vH 70

100

60

75

Konjunkturaussichten allgemein

Branchen-/firmenspezifische Faktoren

Kleine Unternehmen 50

50

Eigenkapitalkosten der Banken

40

25

30

0

20

-25

Mittlere Unternehmen 10

-50

Große Unternehmen

Konkurrenz durch andere Banken

0

-75

2003

2004

2005

2006

2007

2008

2009

2003

2004

2005

2006

2007

2008

2009

1) Ifo-Konjunkturtest, Oktober 2009. Anteil der Unternehmen im Verarbeitenden Gewerbe, die angeben, die Kreditvergabe sei restriktiv.– 2) Saldo der vierteljährlichen Umfrageergebnisse unter Banken zur Veränderung der Faktoren für die Richtlinien bei der Gewährung von Krediten, Angaben der befragten Banken im Berichtsmonat für die letzten drei Monate. Differenz zwischen der Summe der Angaben „deutlich verschärft“ und „leicht verschärft“ und der Summe der Angaben „etwas gelockert“ und „deutlich gelockert“ in vH aller Antworten. Quellen: Deutsche Bundesbank, ifo © Sachverständigenrat

Daten zum Schaubild

Auch eine Betrachtung der bisherigen Erfahrungen mit den zur Stützung der Liquiditätsversorgung aufgelegten Sonderprogrammen lässt diesen Schluss zu. Nach einer anfänglich schleppenden Nachfrage nach den Kredit- und Bürgschaftsmitteln aus dem Deutschlandfonds, dessen Volumen sich auf insgesamt 115 Mrd Euro beläuft, scheint das Interesse zuletzt zuzunehmen. Dennoch ist das gesamte Fördervolumen bei Weitem noch nicht ausgeschöpft. Sollten im Prognosezeitraum die Finanzierungsbedingungen für die Unternehmen angespannt bleiben oder sich verschärfen, ist davon auszugehen, dass das Interesse an den Mitteln zunimmt (Ziffern 340 ff.). 87. Auch wenn einzelne Indikatoren bisher eine nur moderate Verschärfung der Kreditvergabebedingungen und keine Kreditklemme signalisieren, ergeben sich für die zukünftige Entwicklung erhebliche Risiken. Erstens ist noch unklar, welche Bilanzbereinigungen aus den Belastungen der Finanzkrise noch bevorstehen und wie lange sich diese hinziehen werden. Zwar haben sich in den letzten Monaten die Bewertungen toxischer Wertpapiere leicht erholt, was ausgewählten Finanzinstitutionen bereits Zuschreibungen auf abgeschriebene Engagements erlaubt. Diese Erholung erfolgte jedoch in einem Umfeld äußerst illiquider Märkte, die Bewertungsunsicherheit bleibt somit hoch. Noch ausgeprägter ist die Unsicherheit im Hinblick auf den verbleibenden Abschreibungsbedarf bei den Finanzinstituten, die den erlittenen Wertverlust bisher nicht in ausreichendem Maße bilanziert haben. Gerade vor dem Hinter-

Sachverständigenrat - Jahresgutachten 2009/10

Die deutsche Volkswirtschaft nach dem Wachstumseinbruch

57

grund stark gelockerter Bilanzierungsregeln besteht aktuell wenig Transparenz bezüglich möglicher weiterer Belastungen. Zweitens werden die Folgen des realwirtschaftlichen Abschwungs selbst bei einer konjunkturellen Erholung in den nächsten Quartalen zu einer weiteren Belastung der Eigenkapitaldecke des Finanzsektors führen. Die zu erwartenden Herabstufungen der bankinternen und externen Ratings stellen aktuell das wohl größte Risiko für die Entwicklung des Kreditangebots dar. Zwar kommen Sensitivitätsanalysen zu dem Ergebnis, dass selbst eine Herabstufung auf breiter Ebene nicht dazu führen würde, dass die Mindesteigenkapitalanforderungen nach Basel II unterschritten werden (Deutsche Bundesbank, 2009). Die aktuell gültigen Eigenkapitalregelungen dürften jedoch eine nur unzureichende Richtschnur für den bei der Vergabe von Krediten notwendigen Eigenkapitalbedarf sein. Die von den Banken tatsächlich geforderten Eigenkapitalausstattungen sind drittens weitaus höher anzusetzen als das regulatorische Minimum. Schon in Normalsituationen legen Banken aus Vorsichtsmotiven Eigenkapitalpuffer an, um sich beispielsweise einer genaueren Überprüfung durch die Aufsicht zu entziehen. In der aktuellen Situation fordert zudem der Kapitalmarkt deutliche Aufschläge auf die Eigenmittelausstattung. Schließlich würden bei einer zielgerichteten Implementierung der Vorschläge, die der Basler Ausschuss für Bankenaufsicht mit dem Ziel einer Erhöhung der Widerstandskraft des Finanzsystems unterbreitet hat, erhebliche zusätzliche Anforderungen auf die Banken zukommen. Selbst wenn diese de jure erst nach Ende der konjunkturellen Schwächephase eingeführt werden sollten, würden die Finanzinstitute de facto frühzeitig beginnen, zusätzliches Eigenkapital vorzuhalten. Viertens liegen breite Teile des Verbriefungsmarkts weiterhin brach (KfW, 2009a). Verbriefungen werden aktuell vor allem dazu benutzt, um Sicherheiten für die Liquiditätstransaktionen mit den großen Zentralbanken zur Verfügung stellen zu können. In der Vergangenheit haben ausgewählte Segmente der deutschen Realwirtschaft einschließlich vieler Mittelstandsunternehmen aus der Möglichkeit der Finanzinstitute zu einer Weitergabe von Kreditrisiken ihren Nutzen gezogen. Aktuell deutet jedoch wenig darauf hin, dass es zu einer baldigen Erholung bei entsprechenden Aktivitäten kommen wird. Fünftens besteht weiterhin erhebliche Unsicherheit bezüglich der Verfügbarkeit alternativer Finanzierungsquellen. In der ersten Phase der Krise war gerade der Wegfall des Zugangs zu nicht bankbasierten externen Mittel entscheidend für die realwirtschaftlichen Auswirkungen der Finanzmarktturbulenzen. Zwar hat sich die Verfügbarkeit von Finanzierungsquellen innerhalb von Konzernverbundstrukturen, bei Geschäftspartnern und vor allem über den Kapitalmarkt in den letzten Monaten deutlich verbessert; aktuell ist jedoch noch nicht auszuschließen, dass von der realwirtschaftlichen Entwicklung geschwächten Unternehmen der Zugang verwehrt bleibt und nur die besser informierte Hausbank in der Lage ist, die mit einer Finanzierung einhergehenden Risiken adäquat zu beurteilen. Schätzungen zu dem bis Ende des Jahres 2010 weltweit nötigen Abschreibungsbedarf aus den ersten beiden Effekten kommen – unter Berücksichtigung des durch zukünftige Gewinne zu

Sachverständigenrat - Jahresgutachten 2009/10

58

Die wirtschaftliche Lage und Entwicklung in der Welt und in Deutschland

deckenden Bedarfs – auf rund 2 800 Mrd US-Dollar, wovon rund 814 Mrd US-Dollar auf Banken im Euro-Raum entfallen (IWF, 2009c). Auch für Deutschland ist von einem noch erheblichen Abschreibungsbedarf auszugehen (Ziffern 144 ff. sowie IfW, 2009). Vor diesem Hintergrund steht zu befürchten, dass die Kreditversorgung der Realwirtschaft in den nächsten Quartalen in nicht unerheblichem Maße Restriktionen unterliegen wird. 88. Insgesamt zeigt sich, dass sich die Finanzierungsbedingungen der Realwirtschaft in der jüngsten Vergangenheit verschärft haben. Diese Entwicklung geht jedoch nur in bestimmten Segmenten über eine mit dem Konjunkturbild zu erwartende Straffung der Kreditvergabe hinaus. Da jedoch trotz der konjunkturellen Erholung mit weiteren Kreditausfällen zu rechnen ist, muss man von einer spürbaren Belastung der Aufschwungsdynamik durch weiterhin angespannte Finanzierungsbedingungen ausgehen. Um einer solchen Entwicklung entgegenzuwirken, wird es notwendig sein, die Nutzung der vom Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung (SoFFin) zur Verfügung gestellten Instrumente zur Auslagerung von Problemaktiva und zur Rekapitalisierung des Bankensektors zu forcieren (Ziffern 187 ff.).

III. Der steinige Weg aus der Krise 89. Ausgehend von der sich zur Jahresmitte 2009 abzeichnenden Stabilisierung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung ist davon auszugehen, dass es im Prognosezeitraum zu einer moderaten Aufwärtsbewegung kommen wird. Der die bisherige Entwicklung stützende private Konsum wird sich im weiteren Verlauf infolge des Anstiegs der Arbeitslosigkeit im Jahr 2010 jedoch abschwächen und die gesamtwirtschaftliche Entwicklung bremsen. Durch die moderate Erholung des weltwirtschaftlichen Umfelds verbessern sich allerdings zunehmend die Exportaussichten. Schon in der zweiten Jahreshälfte 2009 sind hier spürbare Zuwächse zu verzeichnen. Die öffentlichen Bauinvestitionen sollten im Prognosezeitraum ebenfalls positiv wirken, da die Konjunkturpakete I und II ihre Wirkung erst verzögert entfalten. Eine schwache Entwicklung ist vor dem Hintergrund der Kapazitätsunterauslastung bei den Ausrüstungsinvestitionen zu erwarten. Allenfalls gegen Ende des Jahres 2010 sollten Vorzieheffekte wegen des Auslaufens der degressiven Abschreibung zu einer gewissen Belebung führen.

1. Die Prognose im Überblick 90. Im Jahr 2009 ist es zu einem extremen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 5,0 vH gekommen. Entscheidend geprägt wurde dieses Ergebnis durch einen statistischen Unterhang von 2,1 vH aus dem Jahr 2008 sowie vom verschärften Einbruch der Wirtschaftsleistung im ersten Quartal 2009 in Höhe von 3,5 vH gegenüber dem Vorquartal (Schaubild 11). Zusammen mit dem sich für das laufende Jahr ergebenden Überhang von 0,7 vH resultiert die wenig dynamische Aufwärtsbewegung in einer erwarteten Zuwachsrate des Bruttoinlandsprodukts von 1,6 vH im Jahr 2010 (Tabelle 7, Seite 61). In Anbetracht des vorangegangenen Einbruchs wird die negative Output-Lücke mit etwas über 4 vH weiterhin beträchtlich sein. Die wirtschaftliche Expansion wird von zwei zentralen Faktoren gedämpft:

Sachverständigenrat - Jahresgutachten 2009/10

Der steinige Weg aus der Krise

59

Schaubild 11

Voraussichtliche Wirtschaftsentwicklung in Deutschland1) Bruttoinlandsprodukt, preisbereinigt Mrd Euro Log. Maßstab

Verkettete Volumenangaben

595 580

statistischer Überhang (+ 1,6)3)

565 550 535

statistischer Überhang (+ 0,6)3)

statistischer Überhang (+ 0,6)3) 2,5 vH2)

3,2 vH2)

1,3 vH2) statistischer Unterhang (- 2,1)3)

statistischer Überhang (+ 0,6)3) statistischer Überhang (+ 0,7)3) 1,6 vH2) - 5,0 vH2)

0,8 vH2) P r o g n o s ezeitraum

520

vH 2,0

Veränderung gegenüber dem Vorquartal

1,0 0 -1,0 -2,0 -3,0

I

II III 2005

IV

I

II III 2006

IV

I

II III 2007

IV

I

II III 2008

IV

I

II III 2009

IV

I

II III 2010

IV

-4,0

Beitrag der Verwendungskomponenten zum Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts4) Private Konsumausgaben5)

Konsumausgaben des Staates

Ausrüstungsinvestitionen6)

Bauinvestitionen

Vorratsveränderungen

Außenbeitrag7)

Bruttoinlandsprodukt: Veränderungsrate zum Vorjahr in vH Prozentpunkte/vH 4,0

Prozentpunkte/vH 4,0

3,0

3,0

2,0

2,0

1,0

1,0

0

0

-1,0

-1,0

-2,0

-2,0

-3,0

-3,0

-4,0

-4,0

-5,0

-5,0

-6,0

-6,0

-7,0

-7,0

-8,0

2005

2006

2007

2008

2009

2010

-8,0

1) Vierteljahreswerte: Saisonbereinigung nach dem Census-Verfahren X-12-ARIMA.– 2) Jahresdurchschnitte: Veränderung gegenüber dem Vorjahr in vH.– 3) Prozentuale Differenz zwischen dem absoluten Niveau des Bruttoinlandsprodukts im letzten Quartal des Jahres t und dem durchschnittlichen Niveau in den Quartalen im Jahr t (siehe JG 2005 Kasten 5).– 4) Preisbereinigt; Wachstumsbeitrag zum Bruttoinlandsprodukt, berechnet mit den Veränderungen zum Vorjahr aus den verketteten Volumenwerten in Prozentpunkten (Referenzjahr = 2008).– 5) Private Haushalte und Private Organisationen ohne Erwerbszweck.– 6) Einschließlich Sonstige Anlagen.– 7) Exporte von Waren und Dienstleistungen abzüglich Importe von Waren und Dienstleistungen. © Sachverständigenrat

Daten zum Schaubild

− Die Situation am Arbeitsmarkt wird sich noch für einige Zeit verschlechtern. Die im Prognosezeitraum erwartete Erholung der gesamtwirtschaftlichen Produktion wird wohl nicht ausreichen, um die Kapazitätsauslastung derart anzuheben, dass Entlassungen in erheblichem Umfang zu vermeiden wären. Die Zahl der Arbeitslosen wird daher voraussichtlich jahresdurchschnittlich von 3,4 Millionen im Jahr 2009 auf etwa 4,0 Millionen im Jahr 2010 ansteigen.

Sachverständigenrat - Jahresgutachten 2009/10

60

Die wirtschaftliche Lage und Entwicklung in der Welt und in Deutschland

− Von der Finanzierungsseite gehen weiterhin Belastungen aus. Selbst wenn, wie im Rahmen dieser Prognose unterstellt, eine Kreditklemme auf breiter Front vermieden werden kann, ergeben sich aus den noch verbleibenden Aufräumarbeiten im Finanzsektor Restriktionen bei der Finanzierung der Realwirtschaft, die sich insbesondere dann auswirken dürften, wenn die Unternehmen beginnen, ihre Investitionspläne wieder auszuweiten. 91. Nach wie vor überwiegen die Abwärtsrisiken, wenn auch in geringerem Maße als im Vorjahr. So würde nicht nur eine erneute Verschärfung der Situation an den Finanzmärkten die aktuell bereits bestehenden Probleme bei der Finanzierung realwirtschaftlicher Aktivitäten erheblich vergrößern. Weitere zentrale Risiken gehen vom noch fragilen außenwirtschaftlichen Umfeld sowie von der Wechselkursentwicklung aus. Zudem könnten verstärkte Anstrengungen der Unternehmen zur Erhöhung der Produktivität zu größeren Entlassungen von Arbeitnehmern führen. Dem stehen Aufwärtsrisiken entgegen, die vor allem in einer im Vergleich zu dieser Prognose deutlicheren Erholung des weltwirtschaftlichen Umfelds bestehen. Kasten 3

Annahmen der Prognose Auf der Grundlage der aktuellen Terminkurse für Oktober 2010 wird angenommen, dass sich die Rohölpreise bei einem Wert von 75 US-Dollar pro Barrel stabilisieren. Für den nominalen Wechselkurs wird ab dem vierten Quartal 2009 ein Wert von 1,50 US-Dollar je Euro unterstellt. Der reale effektive Wechselkurs wird im Prognosezeitraum auf dem Niveau des Herbstes des Jahres 2009 verharren. Der Hauptrefinanzierungssatz der EZB wird im Prognosezeitraum 1,0 % betragen, der Zinssatz für Übernachtkredite zwischen Banken (Euro Over Night Index Average, EONIA) wird sich im Zeitverlauf dieser Marke annähern. Finanzierungsrestriktionen belasten die Realwirtschaft, eine allgemeine Kreditklemme bleibt jedoch aus. Der Anstieg der tariflichen Stundenlöhne wird im Jahr 2010 bei 1,7 vH liegen. Grundlage der Prognose ist der Datenstand zum 31. Oktober 2009 sowie die derzeitige Gesetzeslage, das heißt, es werden nur Maßnahmen einbezogen, bei denen das Gesetzgebungsverfahren bis Ende Oktober 2009 abgeschlossen war.

2. Die Prognose im Einzelnen Außenwirtschaft: Erholung mit positiven Impulsen für Deutschland 92. Mit einem Rückgang von 1,2 vH gegenüber dem Vorquartal verlangsamte sich der Einbruch der Exporte von Waren und Dienstleistungen im zweiten Quartal 2009 deutlich. Zur Jahresmitte 2009 lag die Ausfuhr jedoch noch um 18,9 vH unter dem Niveau des Vorjahreshalbjahrs. Angeführt wurde der starke Einbruch von der Investitionsgüterindustrie. Auch wenn für die zweite Jahreshälfte eine Verbesserung verzeichnet werden kann, sanken die Exporte im Jahresdurchschnitt um insgesamt 14,7 vH (Tabelle 7). Die Aufwärtsbewegung im

Sachverständigenrat - Jahresgutachten 2009/10

Der steinige Weg aus der Krise

61

Tabelle 7

Die wichtigsten Daten der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen für Deutschland Schätzung für das Jahr 2009 und Prognose für das Jahr 2010 Veränderung gegenüber dem Vorjahr in vH 2007

2008

2009

2010

0,1 – 0,3 1,7 5,0 11,0 0,0 6,5 0,0 1,0 1,5 7,5 4,8 2,5

0,8 0,4 2,1 3,1 3,3 2,6 5,3 0,4 1,7 – 0,3 2,9 4,3 1,3

1,1 0,8 2,2 – 8,8 – 20,9 – 0,4 4,2 – 0,9 – 1,8 – 3,3 – 14,7 – 9,0 – 5,0

0,4 – 0,1 1,8 1,4 1,5 1,2 2,5 0,1 0,7 0,9 6,3 4,5 1,6

1,6 1,4 2,2 7,7 10,2 6,3 3,4 2,9 . 8,0 4,9

2,8 2,5 3,7 4,2 2,7 5,8 1,6 3,7 . 3,5 5,8

1,4 0,5 4,2 – 9,3 – 22,0 0,5 – 3,9 – 1,9 . – 17,0 – 14,1

1,1 0,6 2,8 0,6 0,6 1,0 – 3,4 1,3 . 6,5 3,4

4,4

2,8

– 4,0

2,7

Preisentwicklung (Deflatoren) Konsumausgaben, zusammen ............................................... Private Konsumausgaben1) ………................…………….… Staatliche Konsumausgaben ............................................. Bruttoinlandsprodukt .............................................................. Inländische Verwendung ........................................................

1,4 1,8 0,5 1,9 1,9

2,0 2,1 1,6 1,5 1,9

0,2 – 0,3 2,0 1,0 – 0,1

0,8 0,7 1,0 1,1 0,6

Entstehung des Inlandsprodukts Erwerbstätige (Inland) ............................................................ Arbeitsvolumen ...................................................................... Produktivität (Stundenbasis) ..................................................

1,7 1,8 0,7

1,4 1,3 – 0,0

– 0,0 – 3,0 – 2,0

– 1,5 – 0,0 1,6

3,5 2,8 3,0 4,8 1,6 10,8

2,5 3,7 3,2 0,2 2,7 11,2

– 5,0 – 0,2 – 0,4 – 14,0 0,4 11,2

2,4 0,3 2,2 7,0 0,8 11,4

0,2 2,3

2,2 2,6

4,9 0,3

– 1,2 1,2

Verwendung des Inlandsprodukts Preisbereinigt (Vorjahrespreisbasis) Konsumausgaben, zusammen ............................................... Private Konsumausgaben1) ………...................................... Staatliche Konsumausgaben ............................................. Bruttoanlageinvestitionen ....................................................... Ausrüstungsinvestitionen ................................................... Bauinvestitionen ................................................................. Sonstige Anlagen ............................................................... Vorratsveränderungen (Wachstumsbeitrag)2)3) ……………...... Inländische Verwendung ........................................................ Außenbeitrag (Wachstumsbeitrag)2) …………………………..… Exporte von Waren und Dienstleistungen .......................... Importe von Waren und Dienstleistungen .......................... Bruttoinlandsprodukt ........................................................... Verwendung des Inlandsprodukts In jeweiligen Preisen Konsumausgaben, zusammen ............................................... Private Konsumausgaben1) …………………………………… Staatliche Konsumausgaben ............................................. Bruttoanlageinvestitionen ....................................................... Ausrüstungsinvestitionen ................................................... Bauinvestitionen ................................................................. Sonstige Anlagen ............................................................... Inländische Verwendung ........................................................ Außenbeitrag ......................................................................... Exporte von Waren und Dienstleistungen .......................... Importe von Waren und Dienstleistungen .......................... Bruttoinlandsprodukt ...........................................................

Verteilung des Volkseinkommens Volkseinkommen ................................................................... Arbeitnehmerentgelte ........................................................ darunter: Nettoarbeitnehmerentgelte4) …………….……… Unternehmens- und Vermögenseinkommen ..................... Verfügbares Einkommen der privaten Haushalte1) …………… Sparquote der privaten Haushalte1)5) …………………………… Nachrichtlich: Lohnstückkosten6) (Inlandskonzept) …...................................... Verbraucherpreise (Verbraucherpreisindex 2005 = 100) .........

1) Einschließlich private Organisationen ohne Erwerbszweck.– 2) In Prozentpunkten.– 3) Einschließlich Nettozugang an Wertsachen.– 4) Arbeitnehmerentgelte abzüglich Sozialbeiträge der Arbeitgeber sowie Sozialbeiträge und Lohnsteuer der Arbeitnehmer.– 5) Sparen in vH des verfügbaren Einkommens plus der Zunahme betrieblicher Versorgungsansprüche.– 6) Arbeitnehmerentgelte je Arbeitnehmer in Relation zum Bruttoinlandsprodukt (preisbereinigt) je Erwerbstätigen.

Daten zur Tabelle

Sachverständigenrat - Jahresgutachten 2009/10

62

Die wirtschaftliche Lage und Entwicklung in der Welt und in Deutschland

dritten Quartal 2009 wird sich voraussichtlich im Jahr 2010 fortsetzen; insgesamt ist für diesen Zeitraum mit einer Zuwachsrate von 6,3 vH zu rechnen (Schaubild 12, Seite 64). Der Rückgang bei den Importen war im Winterhalbjahr 2008/2009 weniger stark ausgeprägt, beschleunigte sich jedoch relativ zu den Exporten im zweiten Quartal 2009, sodass wieder ein positiver Impuls vom Außenbeitrag ausging. Die Abschwächung der Importe war im Bereich der Vorleistungsgüter am stärksten ausgeprägt, gefolgt von den Investitionsgütern; moderater fiel sie bei den Konsumgütern aus. Ausgehend von der Stabilisierung der Binnenkonjunktur in der zweiten Jahreshälfte 2009 ist von einer Erholung der Einfuhr auszugehen. Für das Gesamtjahr 2009 ergibt sich dennoch ein Rückgang um 9,0 vH. Für das Jahr 2010 ist bei einer beschleunigten Binnendynamik eine Ausweitung um voraussichtlich 4,5 vH zu erwarten (Schaubild 12). Mit einem Rückgang von 3,3 Prozentpunkten belastete der Außenbeitrag die Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2009 erheblich. Für das Jahr 2010 sollte er dagegen wieder mit einem Wachstumsbeitrag von 0,9 Prozentpunkten stützend wirken. Ausrüstungsinvestitionen: Konsequenzen der massiven Kapazitätsunterauslastung 93. Neben den Exporten waren die Ausrüstungsinvestitionen die am stärksten vom wirtschaftlichen Einbruch betroffene Verwendungskomponente. Im ersten Halbjahr 2009 betrug der Rückgang zum Vorjahreshalbjahr 21,8 vH. Während die Ausrüstungsinvestitionen im zweiten Quartal 2009 nur noch um 0,5 vH gegenüber dem Vorquartal sanken, verzeichneten sie von Januar bis März 2009 einen Einbruch von 18,5 vH. Dieser starke Rückgang stand im Einklang mit der drastischen Unterauslastung der Kapazitäten. Zudem belastete die Finanzierungssituation der Unternehmen die Investitionstätigkeit, auch wenn bisher keine allgemeine Kreditklemme zu verzeichnen ist. Insgesamt sanken die Ausrüstungsinvestitionen im Jahr 2009 deutlich um 20,9 vH. Dagegen sollte sich im Jahr 2010 die allgemein verbesserte wirtschaftliche Lage bemerkbar machen, da neben Rationalisierungsinvestitionen zunehmend Bestandserweiterungen in Betracht gezogen werden. Das Auslaufen der degressiven Abschreibungsmöglichkeiten lässt Vorzieheffekte gegen Jahresende 2010 erwarten, auch wenn die Finanzierungssituation weiter schwierig bleiben sollte. Vor diesem Hintergrund dürften die Ausrüstungsinvestitionen im Jahr 2010 um lediglich 1,5 vH zulegen (Schaubild 12). Bauinvestitionen 94. In der Summe werden die Bauinvestitionen im laufenden Jahr die gesamtwirtschaftliche Entwicklung nicht stützen und im nächsten Jahr einen nur schwachen Impuls liefern (Schaubild 12). Der Wohnungsbau hatte sich im ersten Halbjahr 2009 als relativ robust erwiesen. Im ersten Quartal 2009 nahm die Bautätigkeit um 1,2 vH gegenüber dem Vorquartal zu, im zweiten Quartal sank sie geringfügig um 0,3 vH. Im weiteren Jahresverlauf machte sich das gesunkene Zinsniveau positiv bemerkbar, denn im Gegensatz zu den Krediten an die gewerbliche Wirtschaft verschlechterten sich die Standards für Wohnungsbaukredite nur unmerklich. Dämpfend wirkte sich hingegen die Situation auf dem Arbeitsmarkt und bei der Einkommensentwicklung aus. Vor diesem Hintergrund ist von einem Rückgang der Wohnungsbauinvesti-

Sachverständigenrat - Jahresgutachten 2009/10

Der steinige Weg aus der Krise

63

tionen im Jahr 2009 um 0,9 vH auszugehen. Im Jahr 2010 sollten sie bestenfalls um 0,4 vH zulegen. Die gewerblichen Bauinvestitionen waren ähnlich wie die Ausrüstungsinvestitionen erheblich von der Rezession betroffen. Auch hier wirkten sich die angespannten Finanzierungsbedingungen negativ aus. Die gewerblichen Bauinvestitionen fielen im ersten Halbjahr 2009 um 5,7 vH geringer aus als im gleichen Zeitraum 2008. Die Auftragsentwicklung deutete zur Jahresmitte 2009 auf eine weiterhin schwache Dynamik hin. Sie lagen bis zum Ende des zweiten Quartals um 20,1 vH unter denen des Vorjahreszeitraums. Es ist deshalb davon auszugehen, dass sich die gewerblichen Bauinvestitionen im Jahr 2009 um jahresdurchschnittlich 1,7 vH verringerten. Im Jahr 2010 sollte sich aufgrund der Unterauslastung der gesamtwirtschaftlichen Kapazitäten keine Belebung abzeichnen. Stattdessen werden die gewerblichen Bauinvestitionen voraussichtlich um 3,1 vH sinken. Die öffentlichen Bauinvestitionen zeigten sich im ersten Quartal 2009 noch relativ schwach und gingen gegenüber dem Vorquartal um 4,6 vH zurück, während sie im zweiten Quartal 2009 mit einer Zuwachsrate von 3,4 vH deutlich expandierten. Dabei spielten die geplanten Ausgaben von rund 19,0 Mrd Euro aus den Konjunkturpaketen I und II noch keine wesentliche Rolle, da nur ein geringer Anteil in der ersten Jahreshälfte ausgabenwirksam wurde. In der zweiten Jahreshälfte verstärkten sich jedoch die Nachfrageimpulse spürbar. Diese Entwicklung dürfte sich im Jahr 2010 weiter fortsetzen. Insgesamt ist ein Anstieg der öffentlichen Bauinvestitionen von 5,6 vH im Jahr 2009 und von 14,9 vH im Jahr 2010 zu erwarten. Konsumausgaben 95. Für die Privaten Konsumausgaben ist für das Jahr 2009 von einem Anstieg von 0,8 vH, für das Jahr 2010 von einem Rückgang von 0,1 vH auszugehen (Schaubild 12). In den ersten beiden Quartalen des Jahres 2009 hatten sie sich mit Zuwachsraten von 0,6 vH und 0,7 vH erstaunlich robust entwickelt und als eine Stütze der Konjunktur erwiesen. Maßgeblich hat hierzu die sogenannte „Abwrackprämie“ beigetragen, von der in den nächsten Quartalen durch Substitutionseffekte allerdings dämpfende Wirkungen ausgehen dürften. Deutliche Impulse ergaben sich für das Jahr 2009 durch verschiedene weitere Maßnahmen aus den Konjunkturpaketen und durch zusätzliche Gesetzesänderungen (Kasten 4, Seite 65). Von der Einkommensseite her ist daher eine positive Entwicklung der Privaten Konsumausgaben angelegt, die sich jedoch mit einem zunehmenden Anstieg der Arbeitslosigkeit abschwächen wird. Trotz des starken Anstiegs der tariflichen Stundenlöhne um 2,4 vH sanken die Bruttolöhne und -gehälter (BLG) im Jahr 2009 um insgesamt 0,4 vH und je Beschäftigten um 0,5 vH. Da die Effektivlöhne je Stunde aufgrund einer positiven Lohndrift im Gesamtjahr um 3,0 vH höher ausfielen, war der Rückgang maßgeblich dem deutlich geringeren Arbeitsvolumen geschuldet. Der Rückgang der BLG je Beschäftigten hat zur Folge, dass die von der Bundesregierung beschlossene Rentengarantie im Jahr 2010 greifen wird (Ziffern 303 ff.). Für das Jahr 2010 ist mit einem Anstieg der BLG von 0,5 vH zu rechnen. Je Beschäftigten kommt es aufgrund der Zunahme der Arbeitslosigkeit voraussichtlich zu einer deutlichen Erhöhung um 2,1 vH.

Sachverständigenrat - Jahresgutachten 2009/10

64

Die wirtschaftliche Lage und Entwicklung in der Welt und in Deutschland

Schaubild 12

Verwendung des Bruttoinlandsprodukts1) Jahresdurchschnitte Prognosezeitraum2) Private Konsumausgaben

Mrd Euro 330

320

vH3)

1,8 vH

-0,1 vH

310

108 + 1,6 + 1,2 + 0,8 + 0,4 0 - 0,4 - 0,8 - 1,2 - 1,6 - 2,0 - 2,4

300

I

II III IV 2007

I

II III IV 2008

I

II III IV 2009

I

2,2 vH

104

102

1,7 vH

I

vH3) 3,3 vH

+ 1,6 + 1,2 + 0,8 + 0,4 0 - 0,4 - 0,8 - 1,2 - 1,6 - 2,0 - 2,4

2,1 vH

106

II III IV 2010

Ausrüstungsinvestitionen Mrd Euro 58

vH3)

110

0,8 vH 0,4 vH

-0,3 vH

Staatliche Konsumausgaben

Mrd Euro 112

II III IV 2007

I

II III IV 2008

I

II III IV 2009

I

II III IV 2010

Bauinvestitionen

Mrd Euro 58

vH3)

11,0 vH 53

53

48

2,6 vH

0,0 vH

-0,4 vH

1,2 vH

48 -20,9 vH

I

II III IV 2007

I

II III IV 2008

1,5 vH

I

II III IV 2009

I

+ 8 + 4 0 - 4 - 8 - 12 - 16 - 20

II III IV 2010

Exporte4)

Mrd Euro 300

+ 8 + 4 0 - 4 - 8 - 12 - 16 - 20 I

vH3)

2,9 vH

II III IV 2007

I

II III IV 2008

I

II III IV 2009

I

II III IV 2010

Importe4)

Mrd Euro 300

vH3)

7,5 vH 275

275 -14,7 vH

6,3 vH

250

250 + 4 + 2 0 - 2 - 4 - 6 - 8 - 10 - 12 I

II III IV 2007

I

II III IV 2008

I

II III IV 2009

I

II III IV 2010

4,3 vH -9,0 vH

4,8 vH

4,5 vH

225

I

II III IV 2007

I

II III IV 2008

I

II III IV 2009

I

+ 4 + 2 0 - 2 - 4 - 6 - 8 - 10 - 12

II III IV 2010

1) Verkettete Volumenangaben, preisbereinigt; saison- und kalenderbereinigte Ergebnisse nach dem Census-Verfahren X-12-ARIMA.– 2) Eigene Schätzung.– 3) Veränderung gegenüber dem Vorquartal in vH.– 4) Waren und Dienstleistungen. © Sachverständigenrat

Daten zum Schaubild

Die Konsumausgaben des Staates expandierten in diesem Jahr kräftig. Bei den sozialen Sachleistungen stiegen insbesondere die Ausgaben für Medikamente, während die Verkäufe des Staates in diesem Jahr nahezu stagnierten. Der Zuwachs der staatlichen Vorleistungen

Sachverständigenrat - Jahresgutachten 2009/10

Der steinige Weg aus der Krise

65

ging auf militärische Beschaffungen sowie auf Ausgaben für Forschung und Bildung zurück. Zusätzliche Impulse ergaben sich nicht nur über den Staatskonsum, sondern insbesondere über die beiden von der Bundesregierung im Winter 2008/2009 verabschiedeten Konjunkturpakete (Kasten 4). Kasten 4

Fiskalimpuls in den Jahren 2009 und 2010 Insbesondere mit dem Maßnahmenpaket „Beschäftigungssicherung durch Wachstumsstärkung“ (Konjunkturpaket I) und dem Gesetz zur Sicherung von Beschäftigung und Stabilität in Deutschland (Konjunkturpaket II) hat die Bundesregierung dazu beigetragen, die Schärfe und Dauer des Abschwungs abzumildern (Ziffern 303 ff.). Die ergriffenen Maßnahmen setzen sich vor allem aus Steuer- und Abgabenentlastungen und einer Erhöhung der staatlichen Investitionsausgaben zusammen. Für die Jahre 2009 und 2010 beläuft sich der konjunkturelle Impuls auf rund 1,6 vH beziehungsweise 0,4 vH des Bruttoinlandsprodukts gegenüber dem Vorjahr (Tabelle 8). Tabelle 8

Finanzpolitische Maßnahmen der Bundesregierung Haushaltsbelastung (–) / Haushaltsentlastung (+) Veränderung gegenüber 2008 in Mrd Euro

1)

Maßnahmen

2009

2010

Beitragssatzsenkung bei der Arbeitslosenversicherung (von 3,3 vH auf 2,8 vH) Änderungen in der Gesetzlichen Krankenversicherung und der Sozialen Pflegeversicherung darunter: Beitragssatzerhöhung in der Sozialen Pflegeversicherung (0,25 Prozentpunkte) und der Gesetzlichen Krankenversicherung (0,6 Prozentpunkte); Ausbau der Krankenhausfinanzierung; Änderung der Ärztevergütung Soziale Leistungen unter anderem: Ausbau des Kinderzuschlags; Wohngelderhöhung; Erhöhung des BAföG; Kindergelderhöhung; Aussetzung Riesterfaktor Mehreinnahmen aus der LKW-Maut Wegfall Eigenheimzulage Weitere Steuerrechtsänderungen unter anderem: Unternehmensteuerreformgesetz; Erbschaftsteuerreformgesetz; Mitarbeiterkapitalbeteiligungsgesetz; Jahressteuergesetz 2009; Steuerbürokratieabbaugesetz Maßnahmenpaket „Beschäftigungssicherung durch Wachstumsstärkung" (Konjunkturpaket I) darunter: Investitionen Steuerrechtliche Maßnahmen Verlängerung der Bezugsdauer Kurzarbeitergeld Gesetz zur Sicherung von Beschäftigung und Stabilität in Deutschland (Konjunkturpaket II) darunter: Investitionsprogramm Erhöhung Grundfreibetrag und Senkung des Eingangsteuersatzes bei der ESt Reduktion des Beitragssatzes der Gesetzlichen Krankenversicherung Abwrackprämie Kinderbonus Ausweitung und Bezuschussung des Kurzarbeitergelds Gesetz zur Fortführung der Gesetzeslage 2006 bei der Entfernungspauschale Gesetz zur verbesserten steuerlichen Berücksichtigung von Vorsorgeaufwendungen (Bürgerentlastungsgesetz)

– 4,1 + 1,4

– 4,1 + 1,4

– 4,6

– 5,0

+ 0,8 + 1,3 + 0,6

+ 0,8 + 2,4 + 4,1

– 4,1

– 7,7

– 1,0 – 2,6 – 0,2 – 21,1

– 1,0 – 5,7 – 0,8 – 25,5

– – – – – – –

3,2 2,8 3,1 5,0 1,8 4,2 5,4

– 10,1 – 5,4 – 6,0 . . – 3,1 – 3,1

– 2,5

– 9,6

– 37,7

– 46,3

Summe

1) Die in der Tabelle dargestellten Zahlen weichen leicht von denjenigen aus Tabelle 22 ab, da es sich hierbei um eigene Schätzungen handelt und Maßnahmen aus vorangegangenen Jahren berücksichtigt wurden. Quellen: BMF und eigene Schätzung

Daten zur Tabelle

Sachverständigenrat - Jahresgutachten 2009/10

66

Die wirtschaftliche Lage und Entwicklung in der Welt und in Deutschland

Entstehungsseite: Industrieproduktion hat Talsohle durchschritten 96. Als maßgebliche Belastung für die gesamte Wirtschaftsleistung erwies sich im Jahr 2009 die Industrieproduktion, die in den ersten acht Monaten des Jahres gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 21,0 vH einbrach. Die Produzenten von Vorleistungs- und Investitionsgütern mussten Produktionsrückgänge von 22,3 vH beziehungsweise 25,5 vH hinnehmen. Der Rückgang der weniger exportabhängigen Konsumgüterproduktion fiel dagegen mit 7,0 vH geringer aus. Die Bruttowertschöpfung der Wirtschaftsbereiche als Maß für die gesamtwirtschaftliche Produktion sank im Jahresdurchschnitt deutlich um 5,5 vH. Wesentlicher Treiber der rückläufigen Entwicklung war das Verarbeitende Gewerbe mit einem Produktionsabsturz im Jahr 2009 von 19,4 vH. Die Entwicklung der Wertschöpfung im Dienstleistungsbereich ging lediglich um 1,1 vH zurück. Aufgrund des Rückgangs der Gütersteuern abzüglich der Subventionen von 0,7 vH verringerte sich das Bruttoinlandsprodukt mit 5,0 vH im Jahr 2009 weniger stark als die Bruttowertschöpfung. Preisniveauentwicklung: Stabilisierung bei niedrigen Teuerungsraten 97. Im Vergleich zu den im Sommer 2008 beobachteten Inflationsraten von bis zu 3,3 vH stiegen die Verbraucherpreise bis zum Sommer 2009 zunehmend langsamer. Zur Jahresmitte 2009 waren beim Gesamtindex sogar zeitweilig negative Zuwachsraten zu verzeichnen (Schaubild 13, links unten). Dagegen betrug der Anstieg bei der Kerninflation, gemessen am Gesamtindex ohne Energie und saisonabhängige Nahrungsmittel, für das Jahr 2009 bisher im Mittel 1,2 vH und war damit so hoch wie im Durchschnitt der letzten zehn Jahre. Somit war die Preisniveauentwicklung neben Rückgängen bei Nahrungsmittelpreisen fast ausschließlich auf die teilweise dramatischen Preisrückgänge bei Energierohstoffen zurückzuführen (Schaubild 13, links oben). 98. Im Verlauf ähnlich, aber zeitlich verschoben, war die Entwicklung bei den Erzeugerund Großhandelspreisen (Schaubild 13, rechts oben). Beide Größen reagierten deutlich früher und stärker als die Verbraucherpreise auf die Entwicklung bei Rohstoffen. Der Großhandelspreisindex wies bereits seit November 2008 negative Zuwachsraten auf, der Erzeugerpreisindex seit März 2009; der Tiefpunkt wurde in beiden Fällen im Juli erreicht. Da beide Indizes Vorlaufeigenschaften aufweisen, sind zukünftig wieder Anstiege beim Niveau der Verbraucherpreise zu erwarten: Während für die Teuerungsrate im Jahresdurchschnitt 2009 von einem Wert von 0,3 vH auszugehen ist, wird sie im Jahr 2010 voraussichtlich auf 1,2 vH ansteigen. Arbeitsmarkt im Prognosezeitraum 99. Im Jahr 2009 reagierten die Unternehmen und Arbeitnehmer auf den Nachfrageeinbruch mit einer deutlichen Senkung der Arbeitszeit. Für die verbliebenen Arbeitskräfte nahmen sie damit eine erhebliche Reduktion der Arbeitsproduktivität hin. Im Jahr 2009 stieg die Arbeitslosigkeit um 164 000 Personen an. Dieser Anstieg betraf aufgrund der sektoralen Auswirkungen der Krise fast ausschließlich Westdeutschland (Ziffern 407 ff.). Die Arbeitslosenquote stieg in Deutschland im Jahr 2009 im Vorjahresvergleich um 0,4 Prozentpunkte auf ein Ni-

Sachverständigenrat - Jahresgutachten 2009/10

Der steinige Weg aus der Krise

67

veau von 8,2 vH. Die Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten sank um 18 000 Personen. Schaubild 13

Preisentwicklung in Deutschland Veränderung gegenüber dem entsprechenden Vorjahresmonat Ausfuhr- und Einfuhrpreise, Rohstoffpreise vH 12

Erzeuger- und Großhandelspreise vH 90

vH 12

60

8

4

30

4

0

0

Ausfuhrpreise1) (linke Skala)

8

-4

HWWI-Index2) (rechte Skala, gestaucht)

-8

-30

-4 -8

-60

Einfuhrpreise1) (linke Skala)

-12

0

Erzeugerpreise3)

Großhandelspreise4) -12

-90

-16

-16

-120

2006

2007

2008

2009

2006

2007

2008

2009

Preisliche Wettbewerbsfähigkeit7)

Verbraucherpreise vH 8

vH 8

Länder außerhalb des Euro-Raums8)

6

6

VPI, insgesamt5)

4

4

2 0

2 1) VPI, insgesamt Kerninflation gemäß VPI6) (linke Skala)

0

Euro-Raum9)

-2

-2

-4

-4

-6

-6

2006

2007

2008

2009

2006

2007

2008

2009

1) Index der Ausfuhr- und Einfuhrpreise (2005 = 100).– 2) HWWI-Index der Weltmarktpreise für Energierohstoffe (Kohle und Rohöl) auf Euro-Basis (2000 = 100).– 3) Index der Erzeugerpreise gewerblicher Produkte (2005 = 100) nach dem Systematischen Güterverzeichnis für Produktionsstatistiken, Ausgabe 2009.– 4) Index der Großhandelsverkaufspreise (2005 = 100).– 5) Verbraucherpreisindex (2005 = 100).– 6) Verbraucherpreisindex ohne schwankungsanfällige Teilkomponenten (Energie und unverarbeitete Nahrungsmittel).– 7) Auf Basis der Deflatoren des Gesamtabsatzes; Vierteljahresdurchschnitte. Berechnung entspricht der Methode der EZB zur Ermittlung des effektiven Wechselkurses des Euro (siehe Monatsberichte der EZB). Eine positive Veränderung zeigt eine verringerte preisliche Wettbewerbsfähigkeit an. Quelle: Deutsche Bundesbank.– 8) Dänemark, Japan, Kanada, Norwegen, Schweden, Schweiz, Vereinigte Staaten und Vereinigtes Königreich.– 9) Ab 2007 einschließlich Slowenien, ab 2008 einschließlich Malta und Zypern, ab 2009 einschließlich Slowakei. © Sachverständigenrat

Daten zum Schaubild

100. Im Prognosezeitraum ist davon auszugehen, dass die Unternehmen vermehrt die Beschäftigung an die weiterhin erhebliche Unterauslastung anpassen und so die erlittenen Produktivitätsverluste zum Teil ausgleichen. Da sie mit Remanenzkosten erheblich belastet werden, wird sich ein Großteil von ihnen im ersten Quartal 2010 wohl nicht für eine Verlängerung der konjunkturellen Kurzarbeit entscheiden. Entgegengesetzt, aber in geringerem Umfang, wird sich die Transferkurzarbeit entwickeln. Auch wenn die erlittenen Produktivitätseinbußen nicht vollständig ausgeglichen werden, wird es in der ersten Hälfte des kommenden Jahres zu einem massiven Anstieg der Arbeitslosigkeit kommen. Saisonbereinigt dürfte die

Sachverständigenrat - Jahresgutachten 2009/10

68

Die wirtschaftliche Lage und Entwicklung in der Welt und in Deutschland

Zahl der Arbeitslosen in diesem Zeitraum um etwas mehr als 500 000 Personen steigen, und damit so stark wie noch nie seit der Wiedervereinigung, sieht man von der Sondersituation zum Jahreswechsel 2004/2005 nach der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe ab. Insgesamt wird sich die Anzahl der Erwerbstätigen im Jahr 2010 im Vergleich zum Vorjahr um voraussichtlich 622 000 Personen reduzieren. Diese Summe setzt sich zusammen aus 575 000 Arbeitnehmern und 47 000 Selbstständigen. Die Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten dürfte um 567 000 sinken, die Anzahl der Arbeitslosen um 533 000 steigen. Entlastend wirkt sich die demographische Entwicklung aus. Die durch die verschlechterte Arbeitsmarktlage zu erwartenden negativen Auswirkungen auf den Konsum werden im Jahr 2010 den Dienstleistungsbereich negativ beeinflussen, sodass im Unterschied zum Jahr 2009 auch in Ostdeutschland mit einer Eintrübung zu rechnen ist. Die Arbeitslosenquote wird in Deutschland voraussichtlich auf ein Niveau von 9,4 vH ansteigen (Tabelle 9). Die Vorausschätzung der Entwicklung am Arbeitsmarkt ist für das Jahr 2010 mit besonders großer Unsicherheit verbunden. Der Zusammenhang zwischen der Veränderung des Bruttoinlandsprodukts und der Beschäftigung hat sich in diesem Jahr vor allem aufgrund des verstärkTabelle 9

Der Arbeitsmarkt in Deutschland1) Schätzung für das Jahr 2009 und Prognose für das Jahr 2010 2008

20092)

20102)

Tausend Personen Erwerbspersonen3)4) …………...................................................

43 361

43 445

43 391

Erwerbslose ……….......................................................…… Pendlersaldo6) ……............................................……………… Erwerbstätige7) ……….......................................………………

3 141 59 40 279

3 250 77 40 273

3 785 45 39 651

Registriert Arbeitslose8)9) ………..................……....................... davon: im früheren Bundesgebiet ohne Berlin ……............................ in den neuen Bundesländern und Berlin .................................

3 268

3 432

3 965

2 145 1 123

2 317 1 115

2 804 1 161

Nachrichtlich: Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte8) ............................

27 510

27 492

26 925

5)

Quoten (vH) 10)

Arbeitslosenquote

…………....................................…………. 11)

ILO-Erwerbslosenquote

…………...................................………

7,8

8,2

9,4

7,2

7,5

8,7

1) Jahresdurchschnitte.– 2) Eigene Schätzung. Abweichungen in den Summen durch Runden der Zahlen.– 3) Personen im erwerbsfähigen Alter, die ihren Wohnort in Deutschland haben (Inländerkonzept).– 4) In der Abgrenzung der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen.– 5) Abgrenzung nach der Definition der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO).– 6) Saldo aus erwerbstätigen Einpendlern aus dem Ausland und Auspendlern in das Ausland.– 7) Erwerbstätige Personen, die einen Arbeitsplatz in Deutschland haben, unabhängig von ihrem Wohnort (Inlandskonzept).– 8) Quelle: BA.– 9) Durch die Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente zum 1.1.2009 sind die Ergebnisse nicht mit den Vorjahren vergleichbar.– 10) Registriert Arbeitslose in vH an allen zivilen Erwerbpersonen (abhängig zivile Erwerbspersonen, Selbstständige, mithelfende Familienangehörige).– 11) Erwerbslose in vH der Erwerbspersonen.

Daten zur Tabelle

Sachverständigenrat - Jahresgutachten 2009/10

Der steinige Weg aus der Krise

69

ten Einsatzes der arbeitsmarktpolitischen Instrumente und der im Vergleich zu früheren Zyklen höheren Flexibilität bei den tarifvertraglichen Regelungen deutlich gelockert. Es ist nur schwer abzusehen, in welchem Umfang Unternehmen das damit verbundene Horten von Arbeitskräften im Jahr 2010 beibehalten werden. Öffentliche Finanzen: Erheblicher Anstieg der Staatsverschuldung 101. Das Finanzierungsdefizit des Staates wird sich trotz der leichten konjunkturellen Erholung im Jahr 2010 weiter erhöhen (Tabelle 10). Neben einem zusätzlichen Impuls der Fiskalpolitik von etwa 10 Mrd Euro im Vergleich zum Jahr 2009 führt die nunmehr ungünstigere Entwicklung wichtiger makroökonomischer Aggregate zu einem Anstieg des Defizits auf 5,1 vH in Relation zum nominalen Bruttoinlandsprodukt. Nachdem die Staatsquote in diesem Jahr aufgrund der Entwicklungen sowohl des Zählers als auch des Nenners deutlich um 3,8 Prozentpunkte zugenommen hat, wird im nächsten Jahr ein weiterer, nunmehr moderater Anstieg auf 47,6 vH zu verzeichnen sein. Tabelle 10

Einnahmen und Ausgaben des Staates1) Schätzung für das Jahr 2009 und Prognose für das Jahr 2010

Art der Einnahmen

2008

2009

2010

2)

und Ausgaben

2009

2010

Veränderung gegenüber dem Vorjahr in vH

Mrd Euro

Einnahmen ………………………….………… darunter: Steuern ...................................................... Sozialbeiträge ............................................

1 091,8

1 066,3

1 044,6

– 2,3

– 2,0

592,6 408,1

565,1 411,5

547,0 410,0

– 4,6 + 0,8

– 3,2 – 0,4

Ausgaben ………………………..................... davon: Vorleistungen ............................................ Arbeitnehmerentgelt .................................. Geleistete Vermögenseinkommen (Zinsen) Geleistete Transfers …………..................... Bruttoinvestitionen ..................................... Sonstiges3) ………….........................………

1 090,8

1 138,4

1 169,5

+ 4,4

+ 2,7

106,6 172,1 67,1 675,7 37,4 31,9

113,0 177,0 64,3 713,3 40,1 30,7

117,3 180,1 67,6 730,0 47,8 26,8

+ + – + +

+ 3,8 + 1,7 + 5,1 + 2,4 +19,1 X

Finanzierungssaldo ……………………….....

1,0

– 72,1

– 124,9

X

X

43,7 24,2 39,6 0,0 65,9

47,5 24,0 40,2 – 3,0 71,8

47,6 22,7 38,1 – 5,1 75,3

X X X X X

X X X X X

Nachrichtlich: Staatsquote4) …………......................……… Steuerquote4) …………......................……… Abgabenquote4) ………..........................…… Finanzierungssaldo (vH)5) ……………......... Schuldenstandsquote6) …………….............

6,0 2,8 4,1 5,6 7,1 X

1) Gebietskörperschaften und Sozialversicherung in der Abgrenzung der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen. Gebietskörperschaften: Bund, Länder, Gemeinden, EU-Anteile, ERP-Sondervermögen, Kinderbetreuungsausbau, Fonds „Deutsche Einheit“, Vermögensentschädigungsfonds, Teile des Bundeseisenbahnvermögens, Erblastentilgungsfonds.– 2) Abweichungen in den Summen durch Runden der Zahlen.– 3) Vermögenstransfers, geleistete sonstige Produktionsabgaben sowie Nettozugang an nichtproduzierten Vermögensgütern.– 4) Ausgaben/Steuern sowie Steuern an die EU/Steuern und Erbschaftsteuer, Steuern an die EU sowie tatsächliche Sozialbeiträge jeweils in Relation zum Bruttoinlandsprodukt in jeweiligen Preisen.– 5) In Relation zum Bruttoinlandsprodukt in jeweiligen Preisen.– 6) Schulden (in der Abgrenzung gemäß dem Vertrag von Maastricht)/Ausgaben des Staates in Relation zum Bruttoinlandsprodukt in jeweiligen Preisen.

Daten zur Tabelle

Sachverständigenrat - Jahresgutachten 2009/10

70

Die wirtschaftliche Lage und Entwicklung in der Welt und in Deutschland

102. Die Einnahmen des Staates werden voraussichtlich im Jahr 2010 um 2,0 vH zurückgehen. Die Lohnsteuereinnahmen sinken abermals aufgrund der weiteren Erhöhung des Grundfreibetrags, der Abzugsfähigkeit der Beiträge zur Gesetzlichen Krankenversicherung und zur Sozialen Pflegeversicherung sowie des Rückgangs der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung; das Aufkommen aus den gewinnabhängigen Steuern wird sich infolge von Erstattungen weiterhin schwach entwickeln. Die Umsatzsteuereinnahmen dürften aufgrund der gestiegenen Arbeitslosigkeit und Vorzieheffekten im Zuge der Abwrackprämie nahezu stagnieren; stabilisierend wirken hier die Einnahmen aus der Einfuhrumsatzsteuer. Trotz einer leichten Zunahme der BLG werden die Einnahmen aus Sozialversicherungsbeiträgen im Prognosezeitraum leicht rückläufig sein. Zum einen wechseln vermehrt Bezieher des Arbeitslosengelds in das Arbeitslosengeld II, sodass die stützende Funktion der Bundesagentur für Arbeit, die 80 vH der Sozialversicherungsbeiträge der Arbeitslosengeld-Bezieher übernimmt, im nächsten Jahr geringer ausfallen dürfte. Zudem ergeben sich weitere Belastungen durch die Reduktion des Beitragssatzes zur Gesetzlichen Krankenversicherung, da dieser erst zur zweiten Jahreshälfte 2009 um 0,6 Prozentpunkte gesenkt wurde. Schließlich wird sich der Rückgang der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung negativ auf die Einnahmen aus Sozialversicherungsbeiträgen auswirken, die in der Summe um 0,4 vH zurückgehen dürften. 103. Der Zuwachs der Staatsausgaben wird mit einer erwarteten Rate von 2,7 vH im Jahr 2010 weiterhin hoch sein. Die Vorleistungen des Staates werden nochmals aufgrund der Ausweitung von Ausgaben für Bildung und Forschung zunehmen, die unter anderem der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Graduiertenschulen und Exzellenzclustern zugute kommen. Die Investitionsausgaben des Staates werden im nächsten Jahr abermals kräftig angehoben und reflektieren die aus dem Konjunkturpaket II zur Verfügung gestellten Mittel. Unterstellt ist hierbei, dass ein kleiner Teil der Investitionsausgaben erst zeitverzögert im Jahr 2011 realisiert wird. Dagegen werden die sozialen Sachleistungen und die monetären Sozialleistungen im Jahr 2010 nochmals um 3,5 vH beziehungsweise 2,3 vH steigen. Im Vergleich zum Jahr 2009 wird der Zuwachs bei den monetären Sozialleistungen etwas geringer ausfallen, da die Ausgaben im Rahmen der Kurzarbeit sinken, die Renten ab der zweiten Jahreshälfte 2010 nahezu stagnieren werden und der einmalig gewährte Kinderbonus entfällt. Dagegen nehmen die Ausgaben für Arbeitslosengeld und die Grundsicherung für Arbeitsuchende im Prognosezeitraum zu. 104. In der Gesamtbetrachtung werden die öffentlichen Haushalte das nächste Jahr mit einem Finanzierungsdefizit in Höhe von 124,9 Mrd Euro abschließen, wobei allerdings zu beachten ist, dass kurz- und mittelfristig weitere Belastungen durch die umfangreichen Stützungsmaßnahmen des Finanzsektors hinzukommen könnten und etwaige Pläne der neuen Bundesregierung, die mit deutlichen Steuermindereinnahmen und Mehrausgaben einhergehen, keinen Eingang in die Prognose fanden. Die nunmehr deutliche Überschreitung der zulässigen Defizitund Schuldenstandsquote in der Abgrenzung des Vertrags von Maastricht sowie die verfassungsrechtliche Notwendigkeit des Bundes und der Länder, ab dem Jahr 2016 beziehungsweise 2020 in einer konjunkturellen Normallage (nahezu) ausgeglichene Haushalte aufzuweisen, stellen die zukünftige Bundesregierung vor eine gewaltige Herausforderung.

Sachverständigenrat - Jahresgutachten 2009/10

Literatur

71

Literatur BMWi (2009a) „Wirtschaftsfonds Deutschland“ − Perspektiven in der Krise sichern, in: Schlaglichter der Wirtschaftspolitik, Monatsbericht August, 16 - 21. BMWi (2009b) Ergebnisse der Sitzung des „Lenkungsausschusses Unternehmensfinanzierung“, Pressemitteilung vom 01.09.2009. Bundesagentur für Arbeit (2009) Umfassende Arbeitsmarktstatistik: Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung, Nürnberg, Mai. Cecchetti, S. G., M. Kohler und C. Upper (2009) Financial Crises and Economic Activity, NBER Working Paper Series, 15379. Cerra V. und S. Saxena (2008) Growth Dynamics: The myth of economic recovery, American Economic Review, 98 (1), 439 - 457. Deutsche Bundesbank (2009) Die Entwicklung der Kredite an den privaten Sektor in Deutschland während der globalen Finanzkrise, Monatsbericht September. Europäische Zentralbank (2009) Financial Stability Review, Juli. Evenett, S. J. (ed.) (2009) Broken Promises: a G20 Summit Report, Global Trade Alert. Furceri D. und A. Mourougane (2009) The Effect of Financial Crises on Potential Output: New Empirical Evidence from OECD countries, OECD Economics Department Working Paper, 699. Gamberoni, E. und R. Newfarmer (2009) Trade Protection: Incipient but Worrisome Trends, World Bank, International Trade Department, 37. Institut für Weltwirtschaft (IfW) (2009) Szenariorechnung und Projektion: Kreditvergabe Deutschland, Vorläufiger Zwischenbericht, Kurzexpertise für das Forschungsvorhaben fe 28/09 des Bundesfinanzministeriums (BMF). Internationaler Währungsfonds (IWF) (2009a) Global Financial Stability Report, April. Internationaler Währungsfonds (2009b) Global Financial Stability Report, Market Update, Juli. Internationaler Währungsfonds (2009c) Global Financial Stability Report, September. Internationaler Währungsfonds (2009d) World Economic Outlook, April. Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) (2008) Die Entwicklung der Eigenkapitalausstattung kleiner und mittlerer Unternehmen 2002 bis 2005, WirtschaftsObserver online, 36, Juni. Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) (2009a) Europäischer Verbriefungsmarkt: Aktuelle Informationen und Hintergründe. Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) (2009b) Eigenkapital im Mittelstand und Finanzierung in der aktuellen Krise, KfW-Research Akzente, 1, Juli. OECD (2009) Employment Outlook 2009 − Tackling the Jobs Crisis. Reinhart, C. M. und K. S. Rogoff (2009) The Aftermath of Financial Crises, American Economic Review, 99 (2), 466 - 72.

Sachverständigenrat - Jahresgutachten 2009/10

Suggest Documents