Zur Zukunft der Philosophie des Geistes

Zur Zukunft der Philosophie des Geistes von Patrick Spät 1. Auflage mentis 2008 Verlag C.H. Beck im Internet: www.beck.de ISBN 978 3 89785 611 0 Zu ...
Author: Klemens Knopp
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Zur Zukunft der Philosophie des Geistes von Patrick Spät 1. Auflage

mentis 2008 Verlag C.H. Beck im Internet: www.beck.de ISBN 978 3 89785 611 0

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Patrick Spät

EINLEITUNG What is ›real‹? How do you define ›real‹? If you’re talking about what you can feel, what you can smell, taste and see, then ›real‹ is simply electrical signals interpreted by your brain. Morpheus 1 If what I want when I drink fine wine is information about its chemical properties, why don’t I just read the label? Sydney Shoemaker 2

1. Das Problem Wenn Sie sich beim Lesen dieser Zeilen in der unangenehmen Situation befinden, an einem drückenden Weisheitszahn zu leiden oder sich an einer dieser Buchseiten geschnitten zu haben, dann verspüren Sie wahrscheinlich einen pochenden oder stechenden Schmerz. Was genau ist ein Schmerzzustand? Die International Association for the Study of Pain (IASP) bietet die folgende ›offizielle Definition‹: Pain: An unpleasant sensory and emotional experience associated with actual or potential tissue damage, or described in terms of such damage. Note: Pain is always subjective. Each individual learns the application of the word through experiences related to injury in early life. […] This definition avoids tying pain to the stimulus. Activity induced in the nociceptor and nociceptive pathways by a noxious stimulus is not pain, which is always a psychological state, even though we may well appreciate that pain most often has a proximate physical cause. (IASP 1986, 250, zit. nach Aydede 2005, 5)

Schmerzen sind demnach sowohl ein ›Gewebeschaden‹ und damit einhergehende Aktivitäten im Gehirn als auch eine ›subjektiv erlebte‹ Empfindung. Doch wie passt das zusammen? Diese Frage bildet den Kern des sogenannten Leib-Seelebzw. Körper-Geist-Problems: Auf welche Weise können aus einem physikalischen 1 2

Morpheus in The Matrix (1999). Sydney Shoemaker, Tufts Kolloquium 1988, zit. nach Dennett 1991, 383.

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System wie dem Gehirn oder dem Körper qualitativ und subjektiv erlebte Empfindungen und Wahrnehmungen hervorgehen? Wie kann es sein, dass wir über diese Schmerzen nachdenken können und wie ist es möglich, dass ein solches physikalisches System auf sich selbst Bezug nehmen kann, wenn wir sagen: ›Ich erlebe Schmerzen‹? Und wie frei sind wir – angesichts einer anscheinend vollkommen gesetzmäßig und determiniert verlaufenden Wirklichkeit – in unserer bewusst getroffenen Entscheidung, zum Zahnarzt zu gehen oder den Besuch um Wochen hinauszuzögern? Nicht ganz zu Unrecht sprach Schopenhauer von einem ›Weltknoten‹, den es angesichts dieser Fragen zu lösen gilt: Das Verhältnis zwischen ›Körper‹ und ›Geist‹ war und ist ein fundamentales Rätsel – sowohl für die Philosophie als auch für die Naturwissenschaften. Schon jene Fragen, welche die Kognition im weitesten Sinne betreffen, scheinen äußerst vertrackt: Wie kommt es, dass sich eine Spinne beim Laufen nicht mit ihren acht Beinen verheddert und dass sich zwei Menschen mühelos die Hände reichen können, ohne einander zu verfehlen? Und was geschieht auf der neuronalen und der kognitiven Ebene, wenn wir ein mathematisches Problem lösen, einer optischen Täuschung erliegen oder unseren Autoschlüssel suchen? Während wir bei diesen Fragen mithilfe der naturwissenschaftlichen Methoden beachtliche Fortschritte erzielen, verschärft sich die Sachlage, wenn wir zwei zentrale Fragestellungen der Philosophie des Geistes miteinbeziehen: das Problem der mentalen Verursachung und das Problem des Bewusstseins. Die jeweiligen Kernprobleme – welche wiederum eng miteinander verwoben sind – liegen in den beiden Fragen begründet, wie mentale Ereignisse eine kausale Wirksamkeit auf physikalische Systeme, wie etwa unseren Körper haben können, und wie sich die charakteristischen Eigenschaften des Bewusstseins, z. B. die Qualität von Sinneswahrnehmungen oder das Gefühl, ein ›Selbst‹ zu haben, in unser physikalisches Weltbild integrieren lassen. Während uns das Problem der mentalen Verursachung meist zu einer Spielart des Physikalismus zu führen scheint, drängt uns das Problem des Bewusstseins häufig in die entgegengesetzte Richtung. Denn wenn mentale Ereignisse eine kausale Wirksamkeit auf die physikalische Wirklichkeit haben, dann müssen sie selbst durch und durch Teil ebendieser physikalischen Wirklichkeit sein. Intuitiv gehen wir jedoch davon aus, dass sich mentale Ereignisse grundlegend von physikalischen Systemen unterscheiden – und ebendiese Intuition wirft das Problem der mentalen Verursachung auf. 3 Philosophen kennen solche ›Probleme‹ schon länger, doch innerhalb der Neuro- und Kognitionswissenschaften galt es lange Zeit als unseriös, sich wissenschaftlich des Phänomens Bewusstsein anzunehmen, und nur wenige wagten es, darüber 3

Vgl. auch Jaegwon Kim (2005, 29): »What stands in the way of solving the problem of mental causation is consciousness. And what stands in the way of solving the problem of consciousness is the impossibility of interpreting or defining it in terms of its causal relations to physical/biological properties. They are indeed Weltknoten, problems that have eluded our best philosophical efforts.«

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zu publizieren (wie z. B. Mandler 1975; Posner & Klein 1973). Glücklicherweise hat sich dieser Umstand in der Zwischenzeit grundlegend geändert, so dass das Thema ›Bewusstsein‹ in den Laboren weltweit präsent ist. Die hierbei gewonnenen Erkenntnisse anhand der modernen Elektroenzephalographie (EEG) und vor allem der Positronen-Emissions-Tomographie (PET) sowie der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT) sind von unschätzbarem Wert für die Debatte. Gleichwohl sind es oftmals nicht die empirischen Daten, sondern die (metaphysischen) Schlussfolgerungen, welche Anlass zum Diskutieren geben. Freilich ist die Erforschung des Gehirns von zentraler Bedeutung, doch wenn manch Neurowissenschaftler behauptet, dass wir »nichts weiter als ein Haufen Neurone« (Crick 1994, 22) seien, dann sehen darin viele einen Fehlschluss. Denn an welcher Stelle innerhalb der Neuronennetzwerke lassen sich die qualitativen Eigenschaften des Bewusstseins finden? Diese grundlegende Frage führt uns zu einem weitreichenderen Fragenkomplex: Lässt sich das Phänomen Bewusstsein anhand des naturwissenschaftlichen Instrumentariums vollständig erklären bzw. lässt sich das Bewusstsein mittels (mikro-)physikalischer Termini erfassen, oder wohnen dem Bewusstsein besondere, nicht weiter zu reduzierende Eigenschaften inne? Oder ist es am Ende gar so, dass das Körper-Geist-Problem zwar im Prinzip lösbar ist, dass eine solche Lösung aber außerhalb unseres derzeitigen Verständnisses des Physikalischen liegt (Chomsky 2000; Stoljar 2006) oder generell unsere kognitiven Fähigkeiten übersteigt (McGinn 1989; 2004)? Zwei besondere Eigenschaften, welche die Intuition nähren, dass das Bewusstsein von ganz besonderer Art ist, sind die Intentionalität und das phänomenale Bewusstsein. 4 Intentionale Zustände scheinen prima facie Raum und Zeit überwinden zu können. Wir können über eine mögliche Besiedelung des Mars im Jahre 2069 nachdenken, oder über Sokrates, welcher vor über 2400 Jahren in Griechenland lebte. Zudem sind uns Gedanken über Dinge möglich, die gar nicht existieren, wie z. B. ein Einhorn oder Sherlock Holmes. Schließlich können intentionale Zustände beim Bezugnehmen sogar fehlerhaft sein. Wir können beispielweise Aristoteles für Sokrates’ Lehrer halten oder ein Glas Wasser betrachten und es fälschlicherweise für ein Glas Martini halten. Wie ist es nun möglich, dass unser Gehirn bzw. unser Körper derart auf die Welt Bezug nehmen kann? Auf welche Weise kann unser Gehirn einem Gespräch oder den hier geschriebenen Worten eine ›Bedeutung‹ beimessen? Und wie lassen sich intentionale Zustände und deren charakteristische Eigenschaften naturalisieren, d. h. mittels der uns zur Verfügung stehenden, naturwissenschaftlichen Methoden beschreiben und erklären? 4

Intentionale Zustände können unter Umständen freilich auch eine phänomenale Komponente haben und umgekehrt (vgl. z.B. Zahavi 2005 oder Strawson 1994). Das Erblicken eines Stopp-Schildes etwa kann sowohl einen intentionalen Gehalt haben, der die Bedeutung des ›Anhaltens‹ birgt, als auch ein Gefühl des ›Erschrockenseins‹ auslösen, wenn man das Schild zu spät sieht oder ein unsicherer Fahrer ist.

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Das phänomenale Bewusstsein, dessen spezifische Eigenschaften in der Philosophie häufig mit den Termini Qualia oder raw feels belegt werden, geht mit der Frage einher, wie es ist bzw. wie es sich anfühlt, die Farbe Rot zu sehen, Zahnschmerzen zu erleben, die Beatles zu hören oder frischen Lavendel zu riechen (vgl. Nagel 1974). Die Schwierigkeiten, die wir bei der exakten Beschreibung solcher Zustände haben, begegnen uns tagtäglich. Wir können jemandem erklären, wie ein Schiffsmotor funktioniert, doch wollen wir jemandem, der noch nie eine Papaya gekostet hat, beschreiben, wie ebendiese schmeckt, so stoßen wir schnell an unsere Grenzen – es scheint, als müsse man den Geschmack selbst erlebt haben. Das bewusste Erleben, wie hier der Geschmack einer Papaya, widersetzt sich (bis dato) jeder Erklärung, weil das klassische Instrumentarium der Naturwissenschaften – also Erklärungen anhand von Funktionen, Relationen und Dynamiken, die sich in der Sprache der Mathematik ausdrücken lassen – derzeit keinen Weg bietet, die Eigenschaften des Bewusstseins adäquat zu beschreiben. Doch die fehlende Beschreibung allein ist nicht der Kern des Problems. Was fehlt ist ein Verständnis darüber, wie aus einem (beim Menschen) knapp anderthalb Kilogramm schweren, rot-weißlichen Gebilde mit Abermilliarden von Nervenzellen, die über chemische und elektrische Signale miteinander kommunizieren, unsere bewusst wahrgenommenen Erlebnisse hervorgehen können.

2. Status quo David Chalmers spricht an dieser Stelle vom ›schwierigen Problem‹ des Bewusstseins (Chalmers 1995; 1996). Während sich die erwähnten Probleme der Kognition zumindest im Prinzip mit computionalen und funktionalen Mechanismen, also dem Handwerkszeug der Kognitionswissenschaften, erklären lassen, scheint sich das Phänomen Bewusstsein einer solchen Erklärung zu verschließen. Philosophen wie Daniel Dennett (1991; 2005) gehen davon aus, dass der vermeintlich besondere Charakter des Bewusstseins eine pure Illusion darstellt und dass sich in ein paar Jahrzehnten alles mittels physikalistischer Methoden erklären lässt, so dass sich das Bewusstsein infolge des naturwissenschaftlichen Fortschritts von ganz alleine ›quint‹. 5 Doch selbst dann müssten wir das Entstehen dieser Illusion erklären. Andere wiederum akzeptieren die Existenz des Bewusstseins, nicht jedoch die hieraus gezogene Schlussfolgerung, dass es ein ›schwieriges Problem‹ zu lösen gibt. Im Kern gehen diese Philosophen davon aus, dass physikalistische Theoriedesigns auch den Charakter des Bewusstseins erfassen und erklären können (z. B.

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In Anspielung an W.V.O. Quine im Sinne von ›eliminieren‹: »Etwas Quinen: Mit Nachdruck die Existenz oder Relevanz von etwas Realem oder Wichtigem abstreiten.« (vgl. Dennett 1978; zit. nach Heckmann & Walter 2006, 425).