Zur Sanierung von Pensionskassen

PENSIONSKASSEN Carl Helbling Zur Sanierung von Pensionskassen Zwölf Massnahmen bei Unterdeckung und zwölf Vorschläge zur Gesetzgebung Tariferhöhunge...
Author: Johann Kalb
1 downloads 3 Views 59KB Size
PENSIONSKASSEN Carl Helbling

Zur Sanierung von Pensionskassen Zwölf Massnahmen bei Unterdeckung und zwölf Vorschläge zur Gesetzgebung

Tariferhöhungen vorgenomDie Pensionskassen haben in den letzten drei Jahren grössere men werden, ohne die das Gleichgegrosse Börsenverluste auf den Aktienanlagen erlitten. wicht zwischen Prämien und LeistunDie Tagespresse berichtet laufend von Pensionskassen gen nicht mehr zu finden ist. mit Unterdeckungen. Was bedeutet dies für den Stiftungsrat und die Versicherten – aber auch für die Re2. Gleichgewicht von Aktiven visionsstelle und die Aufsichtsbehörde? Welche Mass- und Passiven nahmen sind zu ergreifen, und welche Vorschläge er- Die Bilanz einer Pensionskasse weist geben sich daraus für den Gesetzgeber? auf der Aktivseite die Vermögensanla-

Auf dem gesamten Ende 2000 von den Pensionskassen verwalteten Kapital von rund 500 Mrd. Franken und bei einem Aktienanteil von damals 33% dürften seither 50 bis 70 Mrd. Franken oder 10 bis 15% des gesamten Vermögens verlorengegangen sein.

Ähnlich ist dies bei den Versicherungsgesellschaften. Dort verlangte die bereits ein halbes Jahr früher bekanntgewordene Lage der Sammelstiftungen eine Senkung des BVG-Zinses von 4% auf 3,25%. Der Trend zeigt weiter nach unten, so dass heute eigentlich 2,5% oder noch weniger angezeigt wären. Teilweise mussten überdies Eigenkapitalverstärkungen und durchwegs

1. Das aktuelle Thema

gen auf. Das sind sowohl Nominalwertanlagen, wie Bankguthaben, Anleihensobligationen oder Forderungen, als auch Sachwertanlagen, wie Aktien und Liegenschaften. Es ist naturgemäss und gewollt, dass bei Aktien Werte und Performance, die sich aus der Dividende und der Kursveränderung zusammensetzen, stark schwanken. Die Passivseite wird von den versicherungstechnischen Rückstellungen, dem Vorsorgekapital, bestimmt, den Barwerten der festen nominellen Leistungszusagen an die Versicherten.

Auch für die Revisionsstellen und Experten für berufliche Vorsorge ist das aktuelle Thema bei Pensionskassen die Frage, ob eine Unterdeckung besteht und wenn ja, welche Massnahmen zur Behebung ergriffen werden sollen. Das Thema ist neu, war aber eigentlich als Folge der Anlagepolitik in wertmässig schwankende Aktien voraussehbar. Die Aktien umfassen in vielen Fällen 30% oder 40% der gesamten Aktiven.

Wenn nun der Marktwert der Aktiven stark schwankt, der Bilanzwert der Passiven aber konstant bleibt, führt dies von selbst zu Überdeckungen oder Unterdeckungen. Überdeckungen einerseits sind meist auf Kursgewinne (realisierte und nicht realisierte) und Unterdeckungen andererseits auf Kursverluste (realisierte und nicht realisierte) zurückzuführen. Zwischen Aktiven und Passiven herrscht ein Gleichgewicht oder eine Wertkongruenz.

Sanierungen von Unterdeckungen bei Pensionskassen sind für Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Versicherte bitter, aber unausweichlich. Anderseits wurden in den 90er Jahren auch erfreuliche Börsengewinne verbucht – falls die Kasse damals schon Aktien besass.

Ideal wäre eine ausgewogene Pensionskasse, bei der der Barwert der Leistungen laufend dem Wert der Aktiven angepasst werden kann. Dies wäre ein Gebilde ähnlich einem Anlagefonds, bei dem der Wert der Anteile stets dem inneren Wert des Fonds entspricht.

Der Schweizer Treuhänder 4/03

Carl Helbling, Prof. Dr. oec., Experte für berufliche Vorsorge, em. Professor an der Universität Zürich, Zürich

217

PENSIONSKASSEN Carl Helbling, Zur Sanierung von Pensionskassen

Doch sind solche Kassen nicht möglich wegen des Freizügigkeitsgesetzes, das Über- und Unterdeckungen bei ordentlichen Austritten nicht anrechnen lässt.

3. Risikofähigkeit dank Eigenkapital und Schwankungsreserve Pensionskassen sollten daher Schwankungsreserven aufweisen, deren Höhe – etwa 10 bis 20% des Wertes der Aktien – sich nach Struktur und Volatilität des Portefeuilles richtet. Die Schwankungsreserve hat als Eigenkapitalsurrogat zu dienen. Bei einer Kasse ohne Reserven führen Wertverluste sofort zu einer Unterdeckung, die gesetzlich nicht zulässig ist. Eine solche Kasse ist nicht risikofähig und darf nur sehr beschränkt Aktien halten. Die Risikofähigkeit, also die Möglichkeit, Verluste tragen zu können, setzt ein angemessenes Eigenkapital oder – so bei Pensionskassen – eine Wertschwankungsreserve voraus. Doch eine solche muss zuerst gebildet werden können, was in wirtschaftlich schlechten Zeiten kaum möglich ist. Zudem setzt die Bildung einer Schwankungsreserve eine entsprechende Solidarität voraus: Ein gutes Jahr wird belastet, damit daraus in einer schlechteren Zeit eine Entlastung verbucht werden kann. Wie bei Banken gesetzlich im Detail geregelt, ist auch bei Pensionskassen die notwendige Schwankungsreserve ( = Eigenkapital) eine Funktion der bestehenden Risiken, also grundsätzlich berechenbar. Die Schwankungsreserve, obwohl «Eigenkapital», ist für den Fortbestand einer Pensionskasse wichtig und verbleibt bei einer Teilliquidation regelmässig vollumfänglich den der Kasse weiterhin angehörenden Versicherten.

4. Deckungslücken bis 10% im allgemeinen tragbar Unterdeckungen von etwa 5 bis 10% sind wirtschaftlich im allgemeinen trag218

bar. Doch sollte dann die Lücke mit Sanierungsbeiträgen wenigstens verzinst werden. In keinem Land kennt man einen so hohen Deckungsgrad wie in der Schweiz. Ein Deckungsgrad von 90% ist im Normalfall noch akzeptabel. Bei der Beurteilung einer Unterdekkung spielt die Altersstruktur der Versicherten (inkl. Rentner) eine wichtige Rolle, wie auch das angewandte Leistungs- und Finanzierungssystem. Voraussetzung ist zudem, dass die Arbeitgeberfirma fortgeführt werden kann, also keine Liquidation (oder Teilliquidation) zu befürchten ist. Damit ist auch in einem gewissen Umfang eine Perennität gegeben, das heisst, die Pensionskasse verzeichnet weiterhin Neueintritte und geht nicht einer Liquidation entgegen. Durch eine Dekkungslücke wird allerdings die Risikofähigkeit stark eingeschränkt.

5. Massnahmen bei Unterdeckungen Viele Kassen stehen vor der Frage, was nach Feststellung einer Unterdeckung zu tun ist. In allen Fällen muss der Stiftungsrat die Aufsichtsbehörde orientieren. Die Beurteilung einer Unterdekkung wird stark von der Struktur der Kasse abhängen. Junge Kassen lassen sich besser sanieren. Wichtig ist sodann das Rentnerverhältnis, weil Rentner keine Beiträge mehr erbringen, eine Sanierung dadurch schwieriger ist. Wichtig sind auch die finanzielle Lage und die Personalpolitik des Arbeitgebers. Für alle Sanierungsmassnahmen, auch für einmalige, muss vom Stiftungsrat eine Reglementsänderung beschlossen werden, die – wie jede Reglementsänderung – von der Aufsichtsbehörde zu genehmigen ist. Es empfiehlt sich sodann eine Bestimmung ins Reglement aufzunehmen, dass, falls später wieder eine Überdeckung eintritt, zuerst die früher von Sanierungsmassnahmen betroffenen Versicherten ihren Anteil wieder ausgeglichen erhalten. Es gibt verschiedene Sanierungsmöglichkeiten, die im folgenden einzeln näher beleuchtet werden sollen.

5.1 Auflösung von freien Reserven und Schwankungsreserven Im Falle einer befürchteten Unterdeckung sollten zuerst die freien Mittel und allfällige stille Reserven, sodann anschliessend die Schwankungsreserven aufgelöst werden. Diese Reihenfolge trägt dem Umstand Rechnung, dass bei Teilliquidationen die freien Mittel mit den Austretenden geteilt werden, die Schwankungsreserven aber wegen der Fortbestandesinteressen in der Pensionskasse verbleiben. Dieses Vorgehen liegt im Interesse der verbleibenden Versicherten und auch des Arbeitgebers. Eine Unterdeckung besteht, wenn der Wert der Aktiven (nach Auflösung aller stillen Reserven) kleiner ist als die Schulden und das Vorsorgekapital (die versicherungstechnischen Rückstellungen). In dieser Rechnung sind die Schwankungsreserven nicht zu berücksichtigen.

5.2 Orientierung der Aufsichtsbehörde Die Vorsorgeeinrichtung hat im Falle einer Unterdeckung die Aufsichtsbehörde schriftlich zu orientieren. Der betreffende Art. 44 Abs. 2 BVV2 lautet: Sie (die Vorsorgeeinrichtung) «muss die Aufsichtsbehörde über Deckungslücken und über die dagegen ergriffenen Massnahmen unterrichten». Diese Orientierung sollte nicht erst mit der Einreichung der Jahresrechnung und des Kontrollstellenberichtes erfolgen. Besonders in schwerwiegenden Fällen ist sofort zu informieren. Es liegt dann bei der Aufsichtsbehörde, von der Pensionskasse nähere Auskünfte zu verlangen. Die Verantwortung zu handeln verbleibt aber beim Stiftungsrat.

5.3 Beiträge oder Garantien von Patronalen Stiftungen und aus Arbeitgeberbeitragsreserven In manchen Fällen kann eine Patronale Stiftung zur Behebung der Unterdeckung beitragen. Dies kann erfolgen durch die Leistung eines Sonderbeitrages an die Pensionskasse. Ähnlich wirkt Der Schweizer Treuhänder 4/03

PENSIONSKASSEN Carl Helbling, Zur Sanierung von Pensionskassen

ein ausserordentlicher Beitrag aus einer Arbeitgeberbeitragsreserve. Im Gegensatz zu Sonderbeiträgen sind Garantien nicht endgültig, sondern können wieder wegfallen. Bei Arbeitgeberbeitragsreserven und Patronalen Fonds, die Garantien leisteten, können später, wenn die Pensionskasse wieder im Gleichgewicht ist, diese Garantien wieder rückgängig gemacht werden.

5.4 Erheben von temporären Zusatzbeiträgen Mehrere Pensionskassen erheben seit Anfang dieses Jahres vom Arbeitgeber und von ihren Aktivversicherten temporär, beispielsweise während fünf oder zehn Jahren, Zusatzbeiträge. Beispielsweise sind dies 2 bis 3% vom Arbeitgeber und 2% vom Arbeitnehmer, oder es ist ein proportionaler Zuschlag auf den laufenden ordentlichen Beiträgen.

5.5 Überparität des Arbeitgeberbeitrages als Sanierungsbeitrag Eine weitere Möglichkeit ist, dass der Arbeitgeber bei Beitragsprimatkassen den überparitätischen Teil der Beiträge eine gewisse Zeit für die Sanierung bestimmt. Diese Lösung hat den Vorteil, dass die Kosten des Unternehmens unmittelbar nicht belastet werden und

Der Schweizer Treuhänder 4/03

damit nicht steigen. Den Versicherten wird dabei allerdings auf den Alterskonten weniger gutgeschrieben. Dies im Gegensatz zur Lösung mit Zusatzbeiträgen.

5.6 Reduzierte Verzinsung der Alterskonten Bei Beitragsprimatkassen kann die Verzinsung der Alterskonten für den überobligatorischen Teil auf null gesetzt werden. Für den obligatorischen BVG-Teil zählt die Schattenrechnung, die für 2002 noch zu 4% und ab 2003 mit 3,25% zu verzinsen ist. Wie bei anderen Leistungen, so dem Teuerungs-

Im Oktober 2003 will der Bundesrat den Zins für 2004 festlegen. Dieser kann wohl kaum über 2,5% liegen. Noch sachgerechter würde man auf einen fixen Zins überhaupt verzichten und die Verzinsung den effektiven Vermögenserträgnissen der betreffenden Vorsorgeeinrichtung gleichsetzen. Alles andere führt zu unerwünschten Solidaritäten und Quersubventionierungen.

5.7 Sonderbeiträge zur Verzinsung der Deckungslücke In den meisten Fällen dürften, wie bereits erwähnt, Unterdeckungen von etwa 5 bis 10% tragbar sein. Doch sollte

«Eine Unterdeckung bis 10% ist tolerierbar, die Lücke sollte aber verzinst werden.» ausgleich auf Invaliden- und Hinterbliebenenrenten, dürfte der überobligatorische Teil beim BVG-Teil angerechnet werden können, so dass eine Verzinsung auch des BVG-Teils mit null Prozent zulässig ist. Denkbar ist auch, dass der BVG-Teil mit 3,25% verzinst wird, der überobligatorische Teil dafür mit Minusprozenten. Dabei muss die Mindest-Freizügigkeitsleistung stets gewährleistet sein.

dann die Unterdeckung durch Zusatzbeiträge wenigstens zum BVG-Zins verzinst werden. Zudem ist eine laufende Überwachung angezeigt. Auch mit 90% Kapitaldeckung sind Pensionskassen noch gut finanziert, vorausgesetzt, die Alterstruktur der Versicherten (inkl. Rentner) sei angemessen und die Arbeitgeberfirma könne fortgeführt werden. Diese letzte Bedingung gilt bekanntlich generell für die Erstel-

219

PENSIONSKASSEN Carl Helbling, Zur Sanierung von Pensionskassen

lung der Jahresrechnung des Unternehmens zu Fortführungswerten (siehe Art. 725 OR).

5.8 Herabsetzen von Leistungszielen Bei Leistungsprimatkassen können im Sanierungsfall hohe Leistungsziele, beispielsweise bei einer Altersrente 70% oder noch mehr, herabgesetzt werden. Renten über etwa 75% sind unter Berücksichtigung der bei einem Pensionierten wegfallenden AHV- und PKBeiträge und der Steuerwirkungen (Progression), oft höher als der zuletzt versicherte Lohn, was nicht angemessen ist. Solche Leistungsziele können neu und praxisnäher definiert werden, womit sich Kosten einsparen lassen. Auch die Streichung von freiwilligen Teuerungszulagen ist die Herabsetzung eines Leistungszieles. Sodann können im überobligatorischen Bereich Umwandlungssätze auf das technisch angemessene Mass reduziert werden. Oder bei autonomen Kassen wird eine large Invalidierungspraxis verschärft. Es können auch Sicherheitszuschläge (z. B. für künftige Sterblichkeitsverbesserungen) bei den Rechnungsgrundlagen vorgenommen werden, welche leistungsvermindernd wirken.

Renten nicht für sanierbar halten. Eine Rechtsgrundlage für Rentenkürzungen müsste aber erst geschaffen werden. Eine «Opfersymmetrie» zwischen den Aktivversicherten und den Rentnern schliesst eine analoge Behandlung der Überschüsse in den guten Jahren mit ein. Reine Rentnerkassen können nur durch Leistungskürzungen technisch saniert werden. Letztlich muss der Sicherheitsfonds für den bei ihm versicherten Teil einspringen – und zwar bis 150% des BVG-Obligatoriums; das sind rund CHF 110 000 versicherter Lohn. Eine temporäre Erhebung von Beiträgen bei den Rentnern zur Sanierung der Pensionskasse dürfte auf steuerliche Schwierigkeiten stossen. Ein Rentner kann Beiträge an Pensionskassen steuerlich nicht abziehen. Zudem wäre das Inkasso schwierig. Letztlich müsste ein «Beitrag» in eine Rentenkürzung umgewandelt werden. Verschiedene Kreise drängen auf eine solche Lösung. Eine Kürzung der laufenden Renten, bevor der Deckungsgrad bei einer normalstrukturierten Pensionskasse unter 80% fällt, sollte nicht in Betracht gezogen werden. In jedem Fall müsste zuerst eine gesetzliche Grundlage geschaffen werden.

5.10 Kürzen der Freizügigkeitsleistungen

5.9 Kürzen laufender Renten Es können auch Leistungen gekürzt werden, so beispielsweise anwartschaftliche Vorruhestandsregelungen. Oder es kann verlangt werden, dass solche stärker vorfinanziert werden und nicht teilweise oder gar ganz zulasten der freien Mittel der Pensionskasse gehen. Nach Ansicht der Aufsichtsbehörden und des Pensionskassenverbandes ASIP können, rein rechtlich gesehen, laufende Renten nicht gekürzt werden, es sei denn, es bestehe im Reglement eine entsprechende Sanierungsklausel, welche dies vorsieht. Anders wünschen sich dies Versicherungsexperten, welche eine Pensionskasse mit sehr hohem Rentneranteil und erheblicher Unterdeckung ohne Kürzung der laufenden 220

Nicht möglich aufgrund des heutigen Freizügigkeitsgesetzes ist es, Austrittsleistungen (gemäss Freizügigkeitsgesetz) zu kürzen oder Bezüge für Wohneigentumsförderung zu unterbinden. Dazu fehlt die Rechtsgrundlage. Bei Teilliquidationen dagegen sind bereits heute Unterdeckungen zum Abzug zugelassen. Die Gefahr besteht, dass aus Pensionskassen mit hohen Unterdeckungen Versicherte austreten, damit sie die volle Freizügigkeitsleistung erhalten und nicht zur Sanierung beitragen müssen. Der Bezug von Darlehen aus Wohneigentumsförderung ist im letzten Jahr stark gestiegen. Auch hier sind Missbräuche möglich, um Kürzungen und Sanierungsbeiträgen auszuweichen.

Es wäre wünschbar, die Freizügigkeitsleistungen gleich zu behandeln wie Austrittsleistungen anlässlich einer Teilliquidation. Die Rechtslage dazu müsste noch geschaffen werden. Das Problem ist ähnlich wie bei Rentenkürzungen.

5.11 Liquidation und Neubeginn bei einer Sammelstiftung Vorsorgeeinrichtungen mit starken Unterdeckungen oder mit hohen Rentnerbeständen, welche eine Behebung der Unterdeckung fast nicht mehr möglich machen, kann als letzter Ausweg nur die Liquidation bleiben. Der Neubeginn kann dann bei einer Sammeleinrichtung liegen. Dann können Fehlbeträge bei den einzelnen Versicherten angerechnet werden. Doch dies ist ein Weg, der wenn möglich vermieden werden sollte. Ob letztlich hier der Sicherheitsfonds die Verluste der Versicherten deckt, ist unklar.

5.12 Risikoabbau Auch die Möglichkeit von Risikominderungen müssen geprüft werden, um eine Pensionskasse, welche die Risikofähigkeit verloren hat, wieder ins Gleichgewicht zu bringen. So mussten die Lebensversicherungsgesellschaften ihre Aktienportefeuilles von 20 bis 30% der Bilanzsumme auf wenige Prozente abbauen, um das Risiko zu beseitigen und um zu vermeiden, weiteres Eigenkapital durch Börsenverluste zu verlieren. Dies setzt natürlich eine Änderung der Anlagestrategie voraus. Jedenfalls sollten Aktienunterbestände als Folge von Kursverlusten ohne ausdrücklichen Beschluss des Stiftungsrates nicht ergänzt werden (also kein Rebalancing). Bankenvertreter und Vermögensberater neigen seit Jahren dazu, Aktien und ihre Produkte zu empfehlen.

6. Vorschläge zur Gesetzgebung Die Diskussion um die Massnahmen zur Beseitigung von Unterdeckungen von Pensionskassen ergibt, dass in der Gesetzgebung Änderungen und Ergänzungen vorgenommen werden sollten. Der Schweizer Treuhänder 4/03

PENSIONSKASSEN Carl Helbling, Zur Sanierung von Pensionskassen

Dies kann mit der laufenden BVG-Revision erfolgen oder soweit dringend durch sofortige Massnahmen. Einige wichtige Änderungen sollen bereits in den nächsten Monaten von den Eidgenössischen Räten verabschiedet werden. Dazu wird von den Bundesbehörden zurzeit die Botschaft ausgearbeitet. Vorgesehen ist die Behandlung in der Sommer- oder Herbstsession.

6.1 Definition des Begriffes Deckungsgrad Der Begriff Deckungsgrad verlangt eine einheitliche Definition, um zwischen den Pensionskassen Vergleiche anstellen zu können. Der Marktwert der Aktiven (Verkehrswert) wird den Verpflichtungen (Schulden und Vorsorgekapital, ohne freie Mittel und Schwankungsreserve) gegenübergestellt. Der Begriff sollte in der BVV2 definiert werden.

6.2 Zulassung einer Unterdeckung von 5 bis 10% bei Verzinsung der Lücke Nach Art. 65 Abs. 1 BVG müssen die Vorsorgeeinrichtungen «jederzeit Sicherheit dafür bieten, dass sie die übernommenen Verpflichtungen erfüllen können». Deckungslücken sind zu beheben (Art. 44 BVV2). Es ist vertretbar, bei einer Pensionskasse im Normalfall eine Unterdeckung von bis 10% zuzulassen, also einen Deckungsgrad bis minimal 90% zu akzeptieren, ohne dass sofort eine Sanierung eingeleitet werden muss. Bedingung ist, dass die Deckungslücke von dritter Seite verzinst wird (Arbeitgeber, Patronaler Fonds oder paritätisch), und zwar zum BVG-Satz. Im «Normalfall» heisst hier, dass dies z.B. mehrheitlich für Rentnerkassen nicht gilt. Ähnlich war dies bei der alten Eidgenössischen Versicherungskasse EVK, bei der gewollt und von Experten vorgeschlagen eine Unterdeckung von bis 30% bestand, die vom Bund wie eine «imaginäre Schuld» verzinst wurde. In den meisten Staaten beruhen die öffentlichen Pensionskassen stark überDer Schweizer Treuhänder 4/03

wiegend auf dem reinen Umlagesystem. Dies ist dank der Perennität (unbeschränkte Fortführung) bei staatlichen Kassen möglich. Der Zeitraum, nach welchem die Pensionskasse wieder einen Deckungsgrad von wenigstens 90% erreicht, sollte drei bis fünf Jahre nicht überschreiten. Nach etwa fünf bis zehn Jahren sollte wieder ein Deckungsgrad von 100% gegeben sein.

6.3 Bewertung der Obligationen zum Marktwert Nach Art. 48 Abs. 1 BVV2 dürfen Obligationen «höchstens zum Nennwert in die Bilanz eingesetzt werden». Dies sollte geändert werden, da hier stille Reserven entstehen (z.B. wenn heute Obligationen mit einem Kurswert von 112 zu 100 bilanziert werden). Bei der Bewertung gelten sonst durchwegs Marktwerte, also Verkehrswerte. Bei der Berechnung des Deckungsgrades ist übrigens diese stille Reserve – als

die Pensionskasse sollten bei den Austrittsleistungen nicht mitzählen dürfen. Dies ist gesetzlich zu regeln und im Reglement festzuhalten. Eine entsprechende Änderung des Freizügigkeitsgesetzes soll in Vorbereitung sein.

6.6 Regeln für allfällige Rentenkürzungen Für allfällige Kürzungen von laufenden Renten unter bestimmten Voraussetzungen ist eine gesetzliche Ermächtigung zu formulieren. Geplante Kürzungen sollten in jedem Falle vorgängig von der Aufsichtsbehörde genehmigt werden (wie eine Teilliquidation).

6.7 Rentner in den Stiftungsrat Insgesamt fallen von dem von den Pensionskassen verwalteten Kapital knapp 200 Mrd. Franken oder 40% auf das Deckungskapital für die laufenden Renten. Es ist eigentlich erstaunlich, dass nur wenigen Stiftungsräten Rentner

«Erhöhte Transparenz lockert die Solidaridät.» m.W. einzige – aufzurechnen. Auch alle Bilanzierungsnormen (FER, IFRS u.a.) schreiben Marktwerte vor.

6.4 Die Schwankungsreserven im BVG verankern Das Vorhandensein von Schwankungsreserven ist für die Risikofähigkeit einer Pensionskasse von grosser Wichtigkeit. So überrascht es, dass die Schwankungsreserven im BVG und in den BVV nirgends erwähnt sind. Begriff, Bildung und Auflösung sollten in der BVV2 näher umschrieben werden.

6.5 Änderungen im Freizügigkeitsgesetz betreffend Sanierungsbeiträge Vom Arbeitgeber und vom Arbeitnehmer geleistete Sanierungsbeiträge an

angehören. Vermutlich ist dies eine Folge des paritätischen Sozialpartnergedankens, der dadurch gestört würde. Der Stiftungsrat einer BVG-Kasse besteht je zur Hälfte aus Arbeitgeberund Arbeitnehmervertretern. In vielen Fällen ist es eine Illusion zu glauben, dass diese Vertreter stets auch die Interessen der Rentner wahren. Dies kam bei einzelnen Kassen beim Verteilen von Überschüssen oder bei der Beschliessung von Beitragsbefreiungen zum Ausdruck. Es ist zu befürchten, dass sich dies wieder bei der Diskussion um Sanierungsmassnahmen zeigt. Die Meinung der Rentner wäre auch bei der Beurteilung der Kapitalanlagen erwünscht. Vermutlich gibt es nur folgende Lösung, soll das sozialpartnerschaftliche Verhältnis, das im BVG wichtig ist, nicht gestört werden. Entweder werden bei grossen Stiftungsräten zwei 221

PENSIONSKASSEN Carl Helbling, Zur Sanierung von Pensionskassen

Vertreter, je einer aus ehemaligen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerkreisen gewählt, oder es wird nur ein Vertreter ernannt, nicht als Vollmitglied des Stiftungsrates, sondern als Berater oder Gast, der aber seine Anliegen wie ein Mitglied des Stiftungsrates vortragen kann. Dies zählt letztlich. Häufig werden als Rentnervertreter ehemalige Stiftungsräte gewählt, welche die Pensionskasse bereits gut kennen und auch dem Stiftungsrat bekannt sind. Die laufende Diskussion um die Sanierung der Pensionskassen und mögliche Rentenkürzungen zeigen die Aktualität dieses seit Jahren immer wieder aufgebrachten Themas.

6.8 Sanierungsklausel in jedes Reglement Die Überlegungen zu Behebung von Unterdeckungen führen dazu, dass in jedes Reglement eine Sanierungsklausel aufgenommen werde sollte, wie dies bei einzelnen Leistungsprimatkassen schon seit Jahren der Fall ist. Diese Sanierungsklausel könnte unter anderem auch regeln, dass bei notwendigen Sanierungen früher (z.B. in den letzten fünf Jahren) gewährte freiwillige Leistungsverbesserungen, Teuerungszulagen und ähnliches als erstes rückgängig gemacht werden müssen. Ähnliches gilt für frühere Contribution Holidays. Anderseits sollten gemäss Reglement bei späteren Überdeckungen als erstes früher erbrachte Sanierungsbeiträge aller Art wieder rückerstattet werden.

6.9 Zulassung von anlagewertabhängigen Leistungen Eine Pensionskasse würde keine Schwankungsreserve benötigen, wenn sich ihre Verpflichtungen ähnlich wie Anteile an Anlagefonds wertmässig laufend dem Wert der Aktiven anpassen könnten. Solche Pensionskassen, wohl nur für den überobligatorischen Teil der Kadervorsorge geeignet, wären zu begrüssen und wohl auch beliebt. Doch ist dies wegen des Freizügigkeitsgesetzes nicht möglich. Dieses verlangt klar fest222

gelegte Austrittsleistungen aufgrund der bisherigen Einzahlungen und der Verzinsung bzw. beim Leistungsprimat aufgrund des Reglements. Bei der nächsten Revision des Freizügigkeitsgesetzes wäre zu prüfen, ob Anlagefonds ähnliche Kassen nicht als Alternative zugelassen werden sollten. Die Versicherten hätten dann keine nominellen Geldforderungen an die Pensionskasse, sondern würden in ihrem Wert schwankende Anteile halten. Es gäbe dann keine Über- oder Unterdekkungen und keine Sanierungen mehr. Dazu wäre insbesondere eine Änderung des Freizügigkeitsgesetzes erforderlich.

6.10 Wahlmöglichkeiten beim Beitrags-/Leistungsplan und bei den Vermögensanlagen Wünschbar wäre die Zulassung von Wahlmöglichkeiten sowohl beim Beitrags-/Leistungsplan als auch bei den Vermögensanlagen. Es sollte einer Pensionskasse erlaubt sein, den Versicherten je nach deren Selbsteinschätzung ihrer Risikofähigkeit Varianten zur Wahl anzubieten: Eine BVG-minimale, mittlere und maximale Lösung bei Beitrags-/Leistungsplan und zwei bis drei Risikostufen bei den Vermögensanlagen (15% Aktien, 25% Aktien und 40% Aktien). Jeder Versicherte hätte dann selbst die Möglichkeit, die ihm risikomässig adäquat scheinende Lösung zu wählen. Mancher hätte bei einer solchen Lösung weniger Geld verloren.

6.11 Rolle des Sicherheitsfonds überdenken Die Unterdeckungen zeigen, dass Sanierungen von Pensionskassen in nächster Zeit ein vielschichtiges Thema sein werden. Dabei muss die Rolle des Sicherheitsfonds klargestellt werden. Es darf nicht sein, dass der Sicherheitsfonds missbraucht wird zur Sanierung von Pensionskassen, die aus eigener Kraft von Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Rentenbezügern in zumutbarem Umfang nachfinanziert bzw. saniert werden könnten.

6.12 Regeln zur Verantwortlichkeit der Organe Noch ein Wort zur Verantwortlichkeit des Stiftungsrates. Bisher gibt es noch keinen Fall, bei dem Mitglieder des Stiftungsrates finanziell belangt worden sind. Ein Fall, bei dem der Sicherheitsfonds klagt, ist im Gange. Weitere Fälle werden aber gerade in der heutigen schwierigen Zeit mit Sicherheit folgen. Stiftungsräte sollten sich überlegen, ob sie für ihre Mitglieder nicht eine Organhaftpflichtversicherung abschliessen sollten. Dies liegt auch im Interesse des Unternehmens, das letztlich befürchten muss, aus Regress von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerstiftungsräten belangt zu werden, da ihre Stiftungsratsfunktion ein Teil ihrer Arbeit für die Firma ist. Die gesetzliche Regelung der Haftung ist gerade bei Stiftungsräten nicht klar. Unangemessene Haftungsfälle könnten dazu führen, dass sich kaum mehr Stiftungsräte, die übrigens in der Regel ohne Honorar arbeiten, finden lassen.

7. Schlussbemerkungen Die Wirtschaftslage bleibt weiterhin ungewiss. Die heutige Wirtschaftspolitik, die Zinsen möglichst niedrig zu halten, um damit eine Inflation zu vermeiden, kann volkswirtschaftlich hinterfragt werden. In der Vergangenheit jedenfalls waren die inflationsfreien Zeiten wirtschaftlich nie die besten. Für Pensionskassen wären eine Inflation von 2 bis 3% jährlich und dementsprechend ein Zinsniveau von gut 4% wünschenswerter. Es kann festgestellt werden, dass die Solidarität zwischen den verschiedenen Versichertengruppen immer weniger beliebt ist. Die Erhöhung der Transparenz bei den Pensionskassen wird diese Entwicklung noch fördern, wie auch die einsetzende Diskussion um die Behebung der Unterdeckung bei Pensionskassen. Dies ist auch ein Grund für die Zunahme der Beitragsprimatkassen.

Literatur Carl Helbling, Personalvorsorge und BVG, 7. Aufl. 2000. Der Schweizer Treuhänder 4/03