Zur Messung der Lebensqualität in der Onkologie Th. Küchler
Referenzzentrum „Lebensqualität in der Onkologie“ „ Klinik für Allgemeine und Thoraxchirurgie des UKSH, Campus Kiel
Struktur des Vortrages: - Einführung: was ist Lebensqualität (LQ) - Warum messen wir „gesundheitsbezogene LQ“ - Grundvoraussetzungen einer angemessenen LQ-Messung - Erhebungs- und Auswertungsmethoden
Einführung: Von 1998 bis 2001 förderte die Deutsche Krebshilfe e. V. die Einrichtung eines Referenzzentrums “Lebensqualität in der Onkologie”. Das generelle Ziel dieses Projektes war es, aktiv Forschungsprojekte zu initiieren oder zu unterstützen, die Lebensqualität als primäres oder sekundäres Studienziel haben. Diese neuartige Forschungseinrichtung war und ist der Klinik für Allgemeine und Thoraxchirurgie zugeordnet, um größtmögliche Nähe zum klinischen Alltag zu gewährleisten. Entsprechend ist der Großteil der Aktivitäten in der Chirurgie realisiert worden.
Referenzzentrum Lebensqualität in der Onkologie (RZLQ) Arbeitsbereiche: Bereich 1: Lebensqualitätssforschung / clinical outcome research (N.N.) Bereich 2: Psychoonkologie / Psychosoziale Versorgung (Dr. Maria Berend) Bereich 3: Qualitätssicherung / Qualitätsmanagement (Björn Malchow, M.A.)
Kernkompetenz:
1
- Planung, Durchführung, Analyse, Interpretation und Präsentation von "clinical outcomes studies" - Methodisch / statistische Beratung - Instrumenten-Entwicklung - Lehre
2
- Psychoonkologie, Psychotherapie, psychologische und psychosoziale Betreuung, Supervision - Begleit- und Versorgungsforschung - Lehre
3
- Planung und Durchführung von PatientenzufriedenheitsErhebungen - Beschwerdemanagement - Lehre
Zurück zur eigentlichen Fragestellung:
- W as
ist
„L e b e n s q u a l i t ä t“?
Dr. Birnes believes in the holistic approach
Was ist Lebensqualität: Es gibt einen deutlichen Unterschied zwischen dem Begriff, dem der
Konzept
und
praktischen Umsetzung
(Messung)
Wie würden Sie insgesamt Ihre Lebensqualität während der letzten Woche einschätzen ?
1 2 sehr schlecht
3
4
5
6 7 ausgezeichnet
Referenzzentrum Lebensqualität in der Onkologie, Klinik für Allgemeine Chirurgie und Thoraxchirurgie, UKSH, Campus Kiel
Was ist Lebensqualität?
Lebensqualität ist ein - philosophischer - politischer - ökonomischer - sozialwissenschaftlicher und
- medizinischer Begriff
Was ist Lebensqualität?
Was ist Lebensqualität? „…und oft ändert derselbe Mensch seine Meinung: wird er krank, so ist es Gesundheit, und wenn er gesund ist, so ist es das Geld.“ -AristotelesNikomachische Ethik
Was ist Lebensqualität? Lebenszufriedenheit: Bewertung dessen, was einer hat Erwartung
= Zufriedenheit
Hofstätter, 1986
Was ist Lebensqualität? →Lebensqualität
bedeutet für Kranke etwas grundsätzlich anderes als für Gesunde
→Die Bedeutung (Bewertung) einzelner Aspekte der Lebensqualität ist individuell ebenso wie kulturell höchst unterschiedlich
ERSTE OFFENE FRAGE AN (200) DEUTSCHE ÄRZTE: WIE DEFINIEREN SIE LEBENSQUALITÄT FÜR SICH GANZ PERSÖNLICH? UND ZWEITE FRAGE: WIE DEFINIERT DIE MEHRHEIT IHRER PATIENTEN IHRER MEINUNG NACH LEBENSQUALITÄT?
100
90
Religion
Freiheit
Natur
Balance
Patienten
Selbstverw
Freizeit
Wohnung
soz. Platz
Beruf
Geld
Selbst
Ruhe
Gesundheit
80 70 60 50 40 30 20 10 0
Erste offene Frage an Ägyptische und Deutsche Ärzte: Wie defi nieren Sie Lebensqualität für sich ganz persönlich? Summe aller Synonyme
25 20 15 10 5 Ägyptische Ärzte
0 tät
n i e t s e t d i n d n e e i u t f h n e e n i r k b e f c ns s d hl ü e e o l n b e G W f ri b Le u e Z L
be e i L
Deutsche Ärzte
Was ist „gesundheitsbezogene“ Lebensqualität?
Diagnose
Behandlung
Patient Überlebenszeit
Lebensqualität
Referenzzentrum Lebensqualität in der Onkologie, Klinik für Allgemeine Chirurgie und Thoraxchirurgie, UKSH, Campus Kiel
„Um Lebensqualität zu haben, muß man zumindest am Leben sein“ B. Kremer, 1994
Referenzzentrum Lebensqualität in der Onkologie, Klinik für Allgemeine Chirurgie und Thoraxchirurgie, UKSH, Campus Kiel
Was ist gesundheitsbezogene Lebensqualität?
Was ist Lebensqualität?
Ges.-bez. Lebensqualität hat eine
somatische, psychische (mentale) interpersonelle, sozioökonomische und spirituelle
Dimension.
Diese Dimensionen sind im subjektiven Erleben konditional miteinander verbunden.
Wie misst man Lebensqualität?
• Fremdeinschätzung (Proxy Rating): Menschen, die mit dem Patient ständig in Kontakt sind (z.B. behandelnder Arzt, Partner etc.) CAVE: Weichen oft stark von der Selbsteinschätzung ab! • Selbsteinschätzung: Patient selbst wird befragt (subjektives Empfinden)
Wie misst man Lebensqualität?
• Interview: (offen- halbstrukturiert- strukturiertstandardisiert) patientenfreundlich, aber zeit-, kosten- und personalintensiv • Fragebogen: maximale Distanz von Forscher und Befragtem, hohe Standardisierung macht Ergebnisse leicht vergleichbar
Wie misst man Lebensqualität? • generische Fragebögen: Vorteil: für breite Populationen anwendbar, große Menge Referenzwerte. Nachteil: wenig sensitiv. • krankheitsspezifisch: Fokus auf Dimensionen der Lebensqualität, die für die Krankheit und ihre Behandlung (bzw. die Forschungsfrage) von besonderer Relevanz sind. Vorteil: aufgrund ihrer Spezifität sensitiv in Bezug auf Veränderungen (z.B. im Zeitverlauf); Nachteil: schwierige Vergleichbarkeit mit Ergebnissen anderer Forschungsgruppen
Anforderungen an einen (onkologischen) Lebensqualitätsfragebogen • er sollte tumorspezifisch sein • er sollte von den Patienten selbst auszufüllen sein • er sollte multidimensional sein d.h. mindestens die somatische, psychische und soziale Dimensionen von Lebensqualität erfassen • er sollte vorwiegend aus Skalen und wenig aus Einzelitems bestehen
Anforderungen an einen (onkologischen) Lebensqualitätsfragebogen II • er sollte möglichst kurz sein i.e. maximal 10-15 min. Ausfüllzeit • er sollte ausreichende psychometrische Eigenschaften (Validität, Reliabilität, Sensivität) besitzen • er sollte kulturell übergreifend anwendbar sein
Gütekriterien eines (Lebensqualitäts-) Fragebogens • Objektivität: Ein Test gilt als objektiv, wenn verschiedene Testleiter bei denselben Befragten zu identischen Ergebnissen kommen. • Reliabilität (auch: Zuverlässigkeit): bezeichnet den Grad der Genauigkeit, mit der ein Merkmal gemessen wird. • Validität: Erfasst der Fragebogen auch die Aspekte, die er zu erfassen vorgibt? Darüberhinaus sollte der Fragebogen einfach und praktikabel sein.
Übersicht über LQ-Instrumente
EORTC QLQ-C30
FACT
Europäisches Standardinstrument in der Onkologie
Nordamerikanisches Standardinstrument in der Onkologie
Vorteil: Kernfragebogen + diagnose-/behandlu ngs- spezifische Module
Vorteil: Größte Sammlung spezifischer Module
SF-36
Standardinstrument für nicht -onkologische Fragestellungen Vorteil: Normwerte für Gesunde
Skalen des EORTC QLQ C30: - Physical Functioning (subj. erlebtes körperliches Befinden) - Role Funct. (subj. erlebte Arbeitsfähigkeit) - Emotional Funct. (emotionales Befinden) - Cognitive Funct. (Gedächnis und Konzentration) - Social Funct. (Soziale Kompetenz und „Leistungsfähigkeit“) - Global Health (Lebensqualität insgesamt) - Fatigue (Müdigkeit/Abgeschlagenheit) - Nausea and Vomiting (Übelkeit, Erbrechen) - Dyspnea (Kurzatmigkeit) - Sleep Disorders (Schlafstörungen) - Appetite Loss (Appetitlosigkeit) - Pain (Schmerzen) - GI – Syptoms (gastrointest. Symptome) - Financial Difficulties (Finanz. Belastungen) + diagnosespezifische Fragen (z. B. Gelbfärbung Haut/Augen)
Oesophageal cancer module: EORTC QLQ – OES18 Gastric cancer module: EORTC QLQ – STO22 Oesophago-gastric cancer: EORTC QLQ-OG25) Pancreatic cancer module: EORTC QLQ-PAN26 Primary liver cancer module: EORTC QLQ-HCC18 Colorectal cancer modules: EORTC QLQ-CR38 and EORTC QLQ-CR29 Liver metastases from colorectal cancer: EORTC QLQLMC21
Patienten mit colorektalen Karzinomen (N = 368) LQ von präoperativ bis 2 Jahre postop EORTC QLQ-C30 Funktionsskalen
Physical Functioning
Role Functioning
Z1
Emotional Functioning
Z2 Z3 Z4
Cognitive Functioning
Z5 Z6
Social Functioning
Global Health 0
20
40
60
80
Referenzzentrum Lebensqualität in der Onkologie, Klinik für Allgemeine Chirurgie und Thoraxchirurgie, UKSH, Campus Kiel
100
Patienten mit colorektalen Karzinomen (N = 368) LQ von präoperativ bis 2 Jahre postop EORTC QLQ-C30 Symptomskalen
Fatigue Nausea/ Vomiting Pain Dyspnea
T1 T2
Insomnia
T3 T4
Appetite Loss
T5 T6
Consitipation Diarrhea Financial Difficulties 0
20
40
60
80
100
Lebensqualität (LQ) nach Magen Ca (N = 238) (Symptomskalen) Fatigue (FA) Nausea/Vomiting (NV) Pain (PA) Z1
Dyspnoea (DY) Z2
Insomnia (SL) Z3
Appetite loss (AP) Z4
Constipation (CO) Diarrhoea (DI) Financial difficulties (FI) 0
20
40
60
80
100
State of the QoL – Databank (11/2007) at the „RZLQ“ Time / Tumorsite (Diagnosis)
Lung
CoRe
LivGa
Stom
Eso
Pan
Sum
preoperative
392
757
194
255
95
221
1914
postoperative
307
699
132
176
81
144
1549
3 Month post OP
458
978
211
236
111
197
2191
6 Month post OP
372
889
196
205
101
175
1938
12 Month post OP
274
751
154
143
72
129
1523
24 Month post OP
184
613
110
98
39
81
1125
Sum
1987
4687
997
1113
499
957
10240
Prostate cancer
„Healthy“ controls
1500
1200
Different timepoints/ tumorsites
Other tumor sites (small numbers in subgroups like NCC)
800
Relatives
300
1. Auf Basis dieser Verlaufsdaten ist es nicht nur möglich, bei vergleichbaren Krankheitsbildern das outcome unterschiedlicher Therapien zu messen, sondern auch zukünftigen Therapien eine echte Meßlatte zur Verfügung zu stellen. 2. Von 2005 bis 2007 generierten sich aus dieser Grundlage allein in unserer chirurgischen Klinik 16 internationale Publikationen mit einem kumulativen Impact von > 40!
Anforderungen an eine valide LQ - Studie 1. genuine Fragestellung, entsprechendes Studiendesign mit ausreichender Fallzahl um diese Frage zu beantworten 2. LQ – Meßinstrument mit ausreichenden psychometrischen Eigenschaften 3. im Studienprotokoll: detaillierte Beschreibung des Vorgehens bei der LQ - Erhebung 4. Auswertungskonzept entsprechend der Fragestellung 5. angemessene Auswertungsmethoden 6. angemessene Finanzierung (Förderung)
Zusammenfassung (LQ-Messung) I
• Es gibt nicht „den einen“ Fragebogen, also keinen Goldstandard zur Messung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität; • für onkologische Studien in Europa ist dennoch der EORTC QLQ C30 + diagnosespezifisches Modul „first choice“ • Die Auswahl des geeigneten Fragebogens bzw. des geeigneten Moduls ist immer abhängig von der jeweiligen Fragestellung!
Zusammenfassung (LQ-Messung) II • Die Messung von Lebensqualität ist eine wertvolle Ergänzung der Ergebnisqualität, insbesondere wenn die Standardparameter Überlebenszeit und Morbidität ihre Limitierungen haben. • Lebensqualitätserhebungen unterliegen selbst klaren Qualitätskriterien; nur wenn diese erfüllt sind, sind auch verwertbare Ergebnisse zu erwarten. • Gerade bei der Einführung neuer therapeutischer Konzepte wird die systematische Erfassung von Lebensqualität unverzichtbar.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit