Zum Umgang mit Angst und Vertrauen in der Politik

Zum Umgang mit Angst und Vertrauen in der Politik Bearbeitet von Timo Freudenberger 1. Auflage 2011. Buch. XIV, 213 S. Hardcover ISBN 978 3 631 6306...
Author: Elmar Egger
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Zum Umgang mit Angst und Vertrauen in der Politik

Bearbeitet von Timo Freudenberger

1. Auflage 2011. Buch. XIV, 213 S. Hardcover ISBN 978 3 631 63069 3 Format (B x L): 14,8 x 21 cm Gewicht: 400 g

Weitere Fachgebiete > Medien, Kommunikation, Politik > Regierungspolitik > Innen-, Bildungs- und Bevölkerungspolitik

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1 Einleitung Sicherheit und Freiheit bestimmen den Diskurs über den Kampf gegen den Internationalen Terrorismus und die damit verbundenen Strategien, die für den Umgang mit ihm erarbeitet und verwirklicht werden müssen. In einem Rechtsstaat gestaltet sich ein ausgewogenes Verhältnis von Freiheit und Sicherheit dermaßen, dass den Bürgern des Staates Möglichkeiten einer freien Entfaltung der eigenen Person und auch der Schutz vor inneren und äußeren Bedrohungen ermöglicht wird. In den Augen einiger Autoren befindet sich dieser als Idealfall charakterisierte Zustand weitab von den derzeitigen Gegebenheiten, die durch den Internationalen Terrorismus und die daraus resultierende Sicherheitsdebatte – und vor allem durch die daher scheinbar unabwendbaren Veränderungen innerhalb des Rechtsstaates – eine neue Realität gewinnen lassen.1 Die Rede ist von einer schleichenden Abschaffung der Freiheit zugunsten der Sicherheit – und damit einhergehend der Ausweitung staatlicher Befugnisse, die unter dem Deckmantel der Sicherheit die Freiheit marginalisieren. Im Rahmen der Bedrohung durch den Internationalen Terrorismus werden Auseinandersetzungen um den richtigen Umgang mit dieser Gefahr und der institutionellen Ausrüstung wieder präsenter. Eine Debatte um die Mittel des Staates, die er einsetzen können muss, in der Auseinandersetzung mit der neuen Gefahr und der rechtlichen Möglichkeiten wird vielerorts geführt. Die Diskurse um Sicherheit und Freiheit werden erneut aufgegriffen und scheinen gerade durch diese neue Herausforderung, die auf den Rechtsstaat zukommt, an Bedeutung zu gewinnen. Vom »Ausverkauf der Bürgerrechte« und der Hinwendung zum Sicherheitsstaat wird gesprochen, genauso wie von der Möglichkeit, den Staat zu wappnen, damit er seine Aufgabe, nämlich seine Bürger zu schützen, wahrnehmen könne. Den genannten Auseinandersetzungen scheint gemein zu sein, dass sich die unterschiedlichen Positionen trotz vieler Diskussionen mit guten Argumenten offenbar nicht näherkommen und vielfach gar nicht zu verstehen scheinen. 1

Vgl. exemplarisch hierzu Prantl, 2002, 2008; Sofsky, 2002, 2005, 2007.

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Dies lässt die Vermutung aufkommen, dass noch weitere Faktoren in die Betrachtung einbezogen werden müssen, als die zunächst genannten. Hier setzt diese Arbeit theoretisch an und konkretisiert sich an einer Untersuchung von Debatten, die im Deutschen Bundestag im Rahmen der Verhandlung der neuen Sicherheitsgesetze (vor allem der von der Regierung Schröder verabschiedeten Sicherheitspakete I und II) geführt wurden. Sie zeigen in eindrücklicher Weise – und dies nicht nur, weil es um die Auseinandersetzung mit dem Internationalen Terrorismus geht –, wie deutlich die Dikussion um Sicherheit und Freiheit von anderen Motiven mitbestimmt wird. Die an dieser Stelle die Debatte um Freiheit und Sicherheit beeinflussenden Motive und Kräfte, vor allem die Konstellation von Angst und Vertrauen, geraten dabei zu oft aus dem Blick und werden in den Auseinandersetzungen wenig berücksichtigt. Angst und Vertrauen werden der Reflexion entzogen; ihr Einsatz ist instrumentell und hat oftmals die Erreichung eines Zieles zum Zweck. Dies wird an dem folgenden Beispiel, einer Rede von Gerhard Schröder, gehalten am 12. September 2001 vor dem Deutschen Bundestag, deutlich:2 »Viele Menschen werden sich fragen: Was bedeuten diese Anschläge für uns in Deutschland? Ich habe gestern Abend unverzüglich eine Sitzung des Bundessicherheitsrates einberufen. Wir haben auf der Grundlage der uns zugänglichen Informationen die Lage eingehend analysiert. Derzeit liegen keine Hinweise auf eine außerordentliche Bedrohung der Sicherheit unseres Landes vor. Gleichwohl haben wir zusätzliche Maßnahmen ergriffen, die zum Schutz der Menschen in unserem Land erforderlich sind. Das betrifft insbesondere die Sicherheit des Luftraums und des Flugverkehrs, sowie den Schutz amerikanischer und anderer herausgehobener Einrichtungen.«3

Schröder spricht hier in erster Linie über die Freiheit und die Sicherheit des Landes, der Bundesrepublik Deutschland, aber diese Ausführungen machen auch deutlich, dass Angst und Vertrauen in einer solchen Debatte einen erheblichen Stellenwert haben und Einfluss auf den Ausgang eines solchen Prozesses nehmen können. Die Diskussion bzgl. des Spannungsfeldes von Sicherheit und Freiheit wird in dieser Arbeit daher unter den Beziehungen zu Angst und Vertrauen betrachtet. Die vorliegende Studie setzt sich bewusst mit einer affektiven Ebene auseinander. Eine Grundthese lautet, dass die Diskussion um Freiheit und Sicherheit immer auch eine Diskussion um Angst und Vertrauen ist. Beide 2 3

Dieser Sachverhalt wird in Kapitel 6 deutlich ausgeführt. Gerhard Schröder, in: BT Drs. 14/186, S. 18293 A-B

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»Begriffspaare« sind auf das Engste miteinander verbunden. Ein wesentliches Merkmal ist, dass Angst und Vertrauen einer strukturellen Ambivalenz unterliegen, was bedeutet, dass sie je nach Staatsform verschieden eingesetzt werden und ihre Wirkung daher eine andere ist. Dabei scheint von besonderer Bedeutung, welche rechtliche Verfasstheit den jeweiligen Staat auszeichnet. Autoritäre Staaten werden Angst und Vertrauen jeweils in anderer Weise einsetzen als demokratische. Im Gegensatz zu totalitären Regimen ist für den demokratischen Rechtsstaat das Recht und seine Garantie der Maßstab für einen produktiven und vernünftigen Einsatz von Angst und Vertrauen. Die Beziehungen zwischen Angst, Vertrauen, Freiheit und Sicherheit geben daher Aufschluss über die Rechtsstaatlichkeit oder eventuelle autoritäre Züge eines Staates. Dabei erscheint es wesentlich, ob der Staat durch sein geltendes Recht in der Lage ist, Angst rechtlich einzufangen und sie zu minimieren, um damit auch Vertrauen zu schaffen, oder ob er die Angst lediglich zur Selbsterhaltung und als Unterdrückungswerkzeug einsetzt – hierbei erhält das Vertrauen einen zweifelhaften Inhalt. Um sich diesen Thesen zu nähern, werden folgende Schritte unternommen: Ein theoretisch-historischer Kontext wird dabei behilflich sein, sich den – die Diskussion um Freiheit und Sicherheit erweiternden – Phänomenen Angst und Vertrauen begrifflich wie systematisch zu nähern. Im Kapitel Die Gestaltungskraft von Angst und Vertrauen wird der Frage nachgegangen, was Angst und Vertrauen im Hinblick auf die Politik zu leisten imstande sind. Sind sie die eigentlichen Mechanismen der Politik und deren Triebfedern oder nur eine subjektiv erlebbare marginale Randerscheinung? Diese teils am Rande der Wahrnehmung wirkenden Kräfte, die auf die Diskussion um Freiheit und Sicherheit – so meine Vermutung – einen erheblichen Einfluss ausüben, werden im Weiteren beleuchtet und hervorgehoben. Somit bekommt die Debatte um Freiheit und Sicherheit eine Erweiterung, oder anders gesagt: eine erweiterte Grundlage, nämlich die Einbeziehung von Angst und Vertrauen. Damit wird eine Betrachtung des Verhältnisses zwischen Freiheit, Sicherheit, Angst und Vertrauen möglich. Daher wird sich das darauffolgende Kapitel Ordnung | Sicherheit, Freiheit, Recht mit dem Thema Sicherheit und Freiheit sowie den aktuellen Herausforderungen in Form des Internationalen Terrorismus beschäftigen und den für diese Arbeit wichtigen Stand der Forschung aufgreifen. Dazu ist es nötig, sich mit grundlegenden Überlegungen zu den Imperativen des Rechts-

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staats zu beschäftigen. Ziel dieses Kapitels ist es, in die Diskussion einzuführen und für die Verbindungen zwischen Angst, Vertrauen, Freiheit und Sicherheit zu sensibilisieren, d. h. eine Idee davon zu entwicklen, welche Motive hier letztlich miteinander wirken. Dabei werden nicht nur die Debatten um Freiheit und Sicherheit untersucht, sondern auch die zuvor erörterten Gestaltungsmöglichkeiten von Angst und Vertrauen innerhalb der Politik einbezogen. Die Inklusion von Angst und Vertrauen in die Politik, vor allem aber in die Debatte um Freiheit und Sicherheit lässt nicht nur die enge Verbindung, sondern auch die entscheidende Rolle, die Angst und Vertrauen im politischen Prozess übernehmen, hervortreten. Die ambivalente Rolle von Angst wird an den entsprechenden Stellen dabei betont und erläutert. Anhand von Debatten, die im Deutschen Bundestag zu den Anschlägen vom 11. September 2001 und den aus der Bedrohung entstandenen Sicherheitsgesetzen abgehalten wurden, werden die Ergebnisse aus dem vorangegangenen Kapitel überprüft und verdeutlicht. Ziel ist es, durch eine Analyse der Debatten zu zeigen, wie die Beziehungen von Angst und Vertrauen, Freiheit und Sicherheit ausgestaltet sind und wie sie auf das Ergebnis dieser Debatten einwirken. Die Frage nach dem Umgang mit Angst und Vertrauen in der Politik, deren Nutzen und Wirken wird anschließend im Kapitel Rechtsstaatliche Bewältigung: Transformation von Angst in Furcht aufgegriffen und in einer Bestimmung der möglichen Funktion von Angst und Vertrauen im Politischen münden. Im Kapitel Zur Funktion von Freiheit, Sicherheit, Angst und Vertrauen im demokratischen Rechtsstaat werden in einem Fazit sowie einem Ausblick mit möglichen Lösungsansätzen die gewonnenen Ergebnisse aufgriffen und zusammengefasst. Diese Arbeit behandelt Politik, die Gefühlen unterliegt und sich aus den verschiedenen Gründen im rein subjektiven Bereich wiederfindet. Die Funktionslogik entspricht dabei eher einem Ansatz der Bewegung durch Gefühle und Affekte als durch rationales Abwägen. Der Antrieb der Menschen speist sich aus Gefühlen4 und Affekten und gibt somit die Richtung des Handelns bzw. der Entscheidung vor. Gerade in Gefahrensituationen beherrscht dieser Teil den größten Prozentsatz des 4

Psychologische Untersuchungen liefern uns hier wertvolle Hinweise und lassen uns verstehen, wie sich der Einsatz von Angst und Vertrauen auf die Politik und das politische Handeln auswirken. Zur Relevanz und zum Forschungsstand von Gefühlen im sozialwissenschaftlichen Diskurs siehe Hartmann, 2005.

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»menschlichen Funktionierens«. Es ist ein Leichtes, hier anzusetzen und Gefühle als Instrument zur Durchsetzung gewisser Ziele zu nutzen. Gerade an dieser Stelle darf nicht der jeweilige historische Kontext außer Acht gelassen werden: Wie sich die Beziehungen zwischen Freiheit, Sicherheit, Angst und Vertrauen ausgestalten und wie Angst und Vertrauen eingesetzt werden, hängt in entschiedenem Maße von den äußeren Gegebenheiten der jeweiligen Zeit ab, insbesondere davon, in welcher Weise der Mensch Angst und Vertrauen gelernt hat bzw. lernen konnte.