Zum gesellschaftlichen Umgang mit dem Klimawandel

Besio | Romano [Hrsg.] Umweltsoziologie l1 Zum gesellschaftlichen Umgang mit dem Klimawandel Cristina Besio | Gaetano Romano [Hrsg.] Zum gesells...
Author: Fritzi Solberg
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Besio | Romano [Hrsg.]

Umweltsoziologie

l1

Zum gesellschaftlichen Umgang mit dem Klimawandel

Cristina Besio | Gaetano Romano [Hrsg.]

Zum gesellschaftlichen Umgang mit dem Klimawandel Kooperationen und Kollisionen

1 ISBN 978-3-8487-1481-0

Nomos BUC_Besio_1481-0.indd 1

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Umweltsoziologie herausgegeben von Prof. Dr. Matthias Groß, Helmholtz-Zentrum für Umwelt­ forschung, Leipzig und Friedrich-Schiller-Universität Jena Prof. Dr. Stefanie Hiß, Friedrich-Schiller-Universität Jena Prof. Dr. Harald Heinrichs, Leuphana Universität Lüneburg Prof. Dr. Ortwin Renn, Universität Stuttgart

Band 1

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Cristina Besio | Gaetano Romano [Hrsg.]

Zum gesellschaftlichen Umgang mit dem Klimawandel Kooperationen und Kollisionen

Nomos

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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-8487-1481-0 (Print) ISBN 978-3-8452-5522-4 (ePDF)

1. Auflage 2016 © Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2016. Printed in Germany. Alle Rechte, auch die des Nachdrucks von Auszügen, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

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Inhalt

Der Klimawandel der modernen Gesellschaft Cristina Besio und Gaetano Romano I.

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Wechselwirkungen auf der Makroebene

Die Erzählbarkeit der Natur – Massenmediale Narrative zwischen Wissenschaft und Politik

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Gaetano Romano Ökologische Integration der Moderne – eine integrative gesellschaftstheoretische Perspektive Uwe Schimank

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Homogenität und Diversität – Klimawandel als Risiko in der funktional differenzierten Gesellschaft Alessandra Corti und Andrea Pronzini

85

Zivilgesellschaftliche Partizipation im Klimawandel Martin Voss und Sascha Schildhauer

117

II. Organisationen als Schnittstellen Hybride Organisationen als Schnittstellen – Der Fall IPCC Silke Beck

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Klimakonferenzen Elke Schüßler, Bettina Wittneben und Charles-Clemens Rüling

187

Klimawandel und Energiewirtschaft Cristina Besio

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III. Klimawandel im Alltag Konsum und Nachhaltigkeit Birgit Blättel-Mink

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Innovativität der Konsumpraktiken René John und Jana Rückert-John

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Alltagsmobilität und die Ideologisierung des Klimawandels Jessica Stock

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Der Klimawandel der modernen Gesellschaft Cristina Besio und Gaetano Romano

Es gibt ‚Klimawandel’. Diese Feststellung fällt aus einer sozialkonstruktivistischen Perspektive besonders leicht. Denn letztere braucht, um dies behaupten zu können, lediglich den Nachweis zu erbringen, dass die Gesellschaft ‚Klimawandel’ faktisch als Problem behandelt – und dies lässt sich wohl nicht leugnen. Es wäre dies denn auch eine passende Weise, wie sich die Sozialwissenschaften in die immer noch von den Naturwissenschaften dominierte Diskussion um ‚Klimawandel’ einzubringen vermöchten: nämlich ‚Klimawandel’ mit den theoretischen und empirischen Mitteln zu bearbeiten, die die Soziologie sozialer Probleme seit Längerem schon, und inzwischen an einer stattlichen Anzahl solcher Probleme argumentiert, vorgeschlagen hat. Die Soziologie sozialer Probleme hat sich allerdings viel zu lange mit dem unproduktiven Disput zwischen ‚Objektivismus‘ und ‚Konstruktivismus‘ aufgehalten. Den einen (mit Merton als Leitreferenz) schien die Aufgabe gegeben zu sein, die Gesellschaft über objektiv feststellbare, aber erst noch ‚latente‘ Probleme aufzuklären. Den anderen (mit Blumer als Leitautor) schien nur machbar jene Probleme zu identifizieren, die die Gesellschaft selbst bereits als Probleme beschreibt bzw. konstruiert. Und die meisten (Blumer selbst sei hier ausgenommen) übersahen das Naheliegende: dass die regelmäßig bemühte ‚Gesellschaft‘ sich im Normalfall einen Deut darum schert, ob nun die Soziologie deren Probleme als ‚konstruiert‘ oder als ‚objektiv gegeben‘ behandeln mag. Oder anders herum: Es ist durchaus erklärungsbedürftig, weil ausnehmend unwahrscheinlich, dass die Gesellschaft wissenschaftliche Problembeschreibungen überhaupt zur Kenntnis nimmt, geschweige denn zur Grundlage gesellschaftsweit verbindlichen Handelns erklärt. Mit etwas Sinn für nüchterne Empirie lässt sich bereits hieran erkennen, dass wissenschaftliche Problembeschreibungen eben doch nur: wissenschaftliche Konstruktionen sind. Auch dann, wenn im Schema von Objektivität und Latenz konstruiert wird. Dies gilt unverändert, ja vielleicht noch verstärkt, wenn die Hauptakteure der Problembeschreibung die Naturwissenschaften sind: wenn es also nicht mehr nur um gesellschaftsinterne Probleme (die klassische Domä7

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ne der Soziologie sozialer Probleme), sondern um Probleme der SystemUmwelt-Beziehungen der Gesellschaft, also etwa ökologische Probleme, geht. Dass auch die Naturwissenschaften lediglich wissenschaftliche Konstruktionen verhandeln, ist ausführlich genug geklärt worden – immerhin wurden die wichtigeren Argumente des neueren Konstruktivismus von der Wissenschaftstheorie und -geschichte der Naturwissenschaften vorgelegt (Popper, Kuhn, Lakatos). Erklärungsbedürftig ist also auch hier vor allem: unter welchen Bedingungen die ‚Gesellschaft‘ ökologische Problembeschreibungen zur Kenntnis nimmt – und nicht vielmehr, was erheblich wahrscheinlicher wäre, ignoriert. Hierzu nun kann die Soziologie einen Beitrag leisten: indem sie auch ökologische Probleme als soziale Probleme behandelt, mithin die sozialen Bedingungen der Etablierung ökologischer Problembeschreibungen beobachtet und beschreibt. Damit ist unweigerlich ein sozialkonstruktivistisches Programm angesprochen: Denn ökologische Problembeschreibungen drängen sich nicht Kraft des besseren naturwissenschaftlichen Arguments der Gesellschaft auf – deren Etablierung und Bearbeitung ist auf soziale Bedingungen verwiesen, die die Naturwissenschaften nicht selbst erbringen können. Die Komplexität dieser sozialen Bedingungen wird immer noch massiv unterschätzt. Der Grund hierfür liegt, aber das liegt nahe, in sozial- und gesellschaftstheoretischen Begrifflichkeiten, die unterkomplex, also zu wenig auflösungsfähig, angelegt sind. Dabei stünde, seit nun bald zweihundert Jahren, ein bewährtes und auflösungsscharfes begriffliches Instrumentarium zur Verfügung, das als Ausgangspunkt der Analyse dienen kann: nämlich die Theorie der Differenzierung der Gesellschaft. Laufend präzisiert und ausgebaut seit den Tagen von Spencer, Durkheim, Weber, dann über Parsons bis hin zu Luhmann und Bourdieu, liegt hier ein Konzept vor, das die Differenzierung der Gesellschaft auf der Makroebene in Funktionsbereiche (bei Weber ‚Sphären der Lebensführung‘, bei Luhmann ‚Funktionssysteme‘, Bourdieu nennt sie ‚Felder‘), auf der Mesoebene in Organisationen, auf der Mikroebene in Interaktionen, also, neben anderem, Alltagsinteraktionen und Alltagspraktiken, beschreibt – in welcher spezifischeren Terminologie auch immer. Viele der unergiebigeren Debatten, gerade der Soziologie sozialer Probleme, gründen in der Vernachlässigung der Potenziale solch komplexer Beschreibungsstrategien der modernen Gesellschaft. So etwa die Kaprizierung auf ‚Kritik‘: also auf den für die Soziologie sozialer Probleme recht typischen Gestus ideologiekritischer Relativierung gesellschaftlicher Pro8

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blembeschreibungen als ‚objektiv‘ (und das meint dann nur: soziologisch) übertrieben oder gar inexistent. Ungar (2001) geht gar so weit, hierin ein Argument für die Unangemessenheit sozialkonstruktivistischer Konzepte (vor allem der ‚moral panic‘-Forschung) angesichts der besonderen Problemlagen einer Risikogesellschaft zu sehen. ‚Übertreibung‘ ist tatsächlich kaum eine soziologisch brauchbare Begrifflichkeit. Schärfer aufgelöst wird aber schnell sichtbar, dass sich hinter der eher metaphorischen Unterscheidung von ‚konstruierten‘ versus ‚objektiven‘ Problemlagen schlicht die Eigenlogiken unterschiedlicher Funktionsbereiche verbergen könnten: Wissenschaftliche Problembeschreibungen, die sich gerne selbst für ‚objektiv‘ nehmen, sind auf die Vermittlung durch Massenmedien angewiesen – und letztere folgen einer eigenen Logik, die sich etwa über ‚Nachrichtenwerte‘ (unter anderem: Dramatisierung) beschreiben lässt. Dass hier unterschiedlich konstruiert wird, liegt so ziemlich auf der Hand. Solch ein Konstruktivismus ist dann aber kein Argument dafür, dass es die inkriminierten Probleme vielleicht doch nicht gibt (das ist grundsätzlich immer offen, sagt uns die Wissenschaftstheorie und Wissenschaftssoziologie). Er ist vielmehr ein Argument dafür, zu sehen, dass nicht die Wissenschaft selbst die gesellschaftsweite Vermittlung akademischer Problembeschreibungen kontrolliert, sondern hierbei etwa auf Massenmedien angewiesen ist – die hierzu nur auf der Grundlage einer eigenen Agenda bereit sind. Wie sehr diese dann Wissenschaftlern* auch immer missfallen oder entgegenkommen mag. Dies gilt nicht anders, wenn Wissenschaft sich organisiert – und als Organisation als ‚claims maker‘ auftritt. Politische und rechtliche Auswirkungen, die Veränderung von Alltagsinteraktionen und Alltagspraktiken sind wohl kaum lineare Effekte organisatorischer Mobilisierung der Wissenschaft – sie sind auf massenmediale Vermittlung angewiesen, auf die Einschätzung politischer Akteure, dass sich mit diesen Themen Wahlen gewinnen lassen, auf Integration ökonomischer Perspektiven, schließlich auf alltägliche Handlungsbereitschaften von Akteuren, die auch noch ganz andere Sorgen haben als Ökologie. Klimawandel ist kein Problem der Natur mit der Naturwissenschaft als Fürsprecherin, die mit einer voraussetzungslos aufnahme- und lernbereiten, als Gegenpart wissenschaftlicher Aufklärung kompakt imaginierbaren

* Lesbarkeit erzwingt, im gesamten vorliegenden Band, die Verwendung nur einer Geschlechtsform, es sind aber stets alle Geschlechter mit eingeschlossen.

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und damit gut überschaubaren Gesellschaft rechnen kann. Klimawandel ist ein Problem der Gesellschaft nur unter der sehr einschränkenden Bedingung, dass eine in eigenlogische Funktionssysteme, eigennützige Organisationen und eigensinnige Alltagsinteraktionen differenzierte und damit strukturell hochgradig unübersichtliche Gesellschaft Klimawandel zum Thema der eigenen Kommunikation macht – und genau hierin eine Vielfalt von Risiken und Chancen sieht (Beck 1986; Beck 2007: 153–200; Luhmann 1986; Schimank 2005: 264–266). Klimawandel ist, mit anderen Worten, ein Problem mal konkurrierender, mal kooperierender, jedenfalls höchst unterschiedlicher Problemdefinitionen und -konstruktionen unterschiedlichster Funktionsbereiche, verschiedenst betroffener und engagierter Organisationen, weitgehend desinteressierter oder dann überengagierter Alltagsinteraktionen. Dies dürfte die viel bemühte ‚soziale Dimension‘ von Klimawandel sein, die in der Tat immer noch kaum bearbeitet ist. Zwar stehen einige fachspezifische Untersuchungen im Rahmen der Umweltsoziologie zur Verfügung, doch ohne Bezüge zu einer allgemeinen Theorie des Sozialen und der Gesellschaft bleibt ihre Reichweite eher beschränkt (für einen Überblick: Heidbrink et al. 2010; Lever-Tracy 2008; Shove 2010; Szerszynski/Urry 2010). In jüngster Zeit wird durchaus versucht, diesem Mangel zu begegnen (u.a. das special issue „Changing Climates“ der Zeitschrift „Theory,Culture & Society“ aus dem Jahr 2010; Voss 2010). In neueren Beiträgen wird durchwegs betont, ‚Klimawandel‘ stelle eine ‚gesamtgesellschaftliche Herausforderung‘ dar. Er sei nicht auf spezifische Sektoren beschränkbar, also kein ausschließlich wissenschaftliches noch ein rein politisches oder ökonomisches Problem – sowohl Verursachung als auch Bekämpfung der globalen Erwärmung umfassten Prozesse, die in den unterschiedlichsten Bereichen der Gesellschaft angesiedelt seien. Erwartbar wird dann aber der Umgang mit dem ‚Klimaproblem’ von Konflikt und Kooperation heterogener gesellschaftlicher Instanzen geprägt sein. Der vorliegende Sammelband stellt diese Erwartung ins Zentrum und fragt nach Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Logiken sowie nach den Mechanismen, Strukturen, Praktiken und Diskurse, die diese ermöglichen bzw. diesen im Wege stehen. Zum theoretischen Verständnis von Formen und Folgen der Wechselwirkung zwischen verschiedenen Logiken stehen in der soziologischen Theorie einige Konzepte zur Verfügung: etwa Luhmanns Begriff der „strukturellen Kopplung“ (Luhmann 1997: 92–120; 779–788; Luhmann 2002: 124–127), der Begriff des „Kompromisses“ (Boltanski/Thévenot 2007 [1991]: 367–447), des „actor10

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network“ (Latour 1987; für einen Überblick: Schulz-Schaeffer 2000) oder der „boundary objects“ (Star/Griesemer 1989). Um diese unterschiedlichen, aber auf gemeinsame Problembeschreibungen hin konvergierenden Begriffsstrategien nutzbringend auf das Thema ‚Klimawandel‘ anzuwenden, sind Untersuchungen auf allen Analyseebenen erforderlich, die eine Theorie der Differenzierung der Gesellschaft vorschlägt. Der erste Teil des Bandes beschäftigt sich mit Wechselwirkungen auf der Makroebene: mit der Vielfalt institutioneller Logiken und Narrative, die um Definition und Bearbeitung des sozialen Problems ‚Klimawandel’ konkurrieren; und mit den Diskursen und Praktiken, die Konkurrenz zu wechselseitiger Beeinflussung, ja Koordination kanalisieren können. ‚Klimawandel’, so Gaetano Romano, reiht sich ein in eine Sequenz ökologischer Fragen, die seit spätestens den 1980er-Jahren als prominente soziale Probleme behandelt werden: Waldsterben, Löcher im Ozon, Klima. All diesen Problembeschreibungen gemeinsam ist eine Reflexivierung der Beziehung von Gesellschaft und Natur. Natur mutiert, weg von der romantischen Alternative von technischer Naturbeherrschung versus Naturkonservierung, zu einer ‚Umwelt’ der Gesellschaft, die sich durch menschliche Eingriffe verändert und genau deswegen Folgeprobleme für die Gesellschaft erzeugt. Die Popularisierung dieses Naturverständnisses ist, so die zentrale These des Beitrags, kein Effekt wissenschaftlicher Aufklärung, sondern vielmehr massenmedialer Eigenlogiken: eine zunehmend als Produkt von Entscheidungen beschriebene Natur verlangt nach der Benennung der hierfür Verantwortlichen – und koppelt damit an die Erzählschemata der Massenmedien, im moralisierenden Duktus von Schuld und Sühne, erst nachhaltig an. Die detaillierte empirische Rekonstruktion massenmedialer Narrative vom Waldsterben bis zum Klimawandel erläutert die Risiken dieses Arrangements: die Problembearbeitungskapazität der funktional differenzierten Gesellschaft macht sich abhängig von massenmedialen Problemkonstruktionen – Wirtschaft, Politik, Recht usf. handeln nicht auf Zusehen wissenschaftlicher Erkenntnisse, vielmehr immer nur episodischer, also vorübergehender, massenmedialer Aufmerksamkeiten hin. Uwe Schimank entwickelt einen integrativen Bezugsrahmen, der ökologische Probleme, also auch ‚Klimawandel’, gesellschaftstheoretisch zu fassen sucht. Differenzierungstheoretisch informiert, kann ökologische Desintegration, mithin der unvorsichtige Umgang mit Natur, als Nebenwirkung der Eigendynamiken von Funktionssystemen erläutert werden – allen voran eines pervasiven Ökonomisierungsdruckes, der alle Funktions11

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systeme erfasst. Kulturtheoretisch gewendet wird die moderne Idee des Fortschrittes als Wirtschaftswachstum zum herausragenden Moment ökologischer Desintegration der funktional differenzierten Gesellschaft. Und eine ungleichheitstheoretisch informierte Perspektive erlaubt zu beobachten, wie das sozialpolitisch wünschenswerte Streben nach universeller Inklusion und Wohlstand für alle sich ökologisch negativ auswirkt. Führt man diese unterschiedlichen Perspektiven zusammen, so scheine vieles für eine deutliche Tendenz der Moderne zu ökologischer Desintegration zu sprechen – doch Schimank sieht auch eine ganze Reihe von Gegentendenzen, die eine ökologische Re-Integration fördern dürften. Er wirft schließlich gar die Frage auf, ob nicht die Ausdifferenzierung eines Teilsystems beobachtet werden könnte, das sich am Leitwert ökologischer Nachhaltigkeit orientieren würde. Alessandra Corti und Andrea Pronzini plädieren für einen multiperspektivischen Blick auf ‚Klimawandel’. Differenzierungstheoretisch beobachtet sei zunächst erläuterungsbedürftig, wie es dazu kommen könne, dass über unterschiedlichst operierende und beobachtende Funktionssysteme hinweg Klimawandel zu einem gesellschaftsweit, also die meisten Teilsysteme einschließenden, relevanten ökologischen Thema wurde. Ihre Antwort hierzu hebt, theorietechnisch und empirisch ausgeführt, die Bedeutung von Massenmedien, und damit der medienbasierten reziproken Beobachtung eigensinniger Teilsysteme hervor. Im Effekt führe dies allerdings nicht zu einer Homogenisierung teilsystemischer Perspektiven und Bearbeitungen, sondern allenfalls zu Ko-orientierung auf ein nur an der Oberfläche gemeinsames Thema – mit viel Spielraum für je eigensinnig differierende Problembeschreibung und -bearbeitung, also für Diversität, ja gar Inkompatibilität spezifischer Perspektiven. Dieses paradoxe Zusammenspiel von Ko-orientierung und Inkompatibilität der Perspektiven schließt dabei wechselseitige Beeinflussung keineswegs aus: Am Beispiel der Effekte massenmedialer Berichterstattung auf Finanzierung und inhaltlich-methodische Schwerpunktsetzungen der naturwissenschaftlichen Klimaforschung zeigen die Autoren, wie folgenreich ein System ein anderes irritieren kann. Martin Voss und Sascha Schildhauer setzen sich mit dem, oft genug normativ ausgiebig beladenen, Thema zivilgesellschaftlicher Partizipation am Klimadiskurs auseinander – und zwar mit zunächst empirischen Mitteln. Die detaillierte Analyse faktischer zivilgesellschaftlicher Partizipation an Klimadebatte und Naturgefahrenmanagement im Alpenraum weist nach, wie unterschiedliche Akteure (aus den Bereichen der Land-und 12

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Forstwirtschaft, des Tourismus, des Natur-, Umwelt-, und Landschaftsschutzes usw.) ausgehend von lokalspezifischen Normen, Werten, Interessen und Einflussstrukturen den Klimawandel unterschiedlich deuten und dem Phänomen mit unterschiedlichen Handlungspraktiken begegnen. ‚Zivilgesellschaft’ ist, als Zivilgesellschaft einer funktional differenzierten Gesellschaft, eine hochgradig pluralistische Veranstaltung – die oft formulierte Hoffnung, zivilgesellschaftliche Partizipation möge und könne den Umgang mit Klimawandel erleichtern, sei entsprechend faktisch und praktisch nicht umstandslos gerechtfertigt. „Partizipation“ könne gar unter Umständen als ein Dispositiv wirken, das verschleiere, wie sehr spezifische Maßnahmen unrealistisch seien. Statt also, wie anderswo gerne getan, einfach und normativ für mehr Partizipation zu plädieren, arbeiten die Autoren den Bedarf nach sozialwissenschaftlich informierter Analyse der komplexen und hochgradig divergierenden Narrationen der involvierten Akteure heraus. Erst dies ermögliche es besser zu verstehen, warum in einem spezifischen Kontext klimaschützende Maßnahmen ergriffen werden oder dann eben nicht – und es schaffe also auch erst eine informative Basis für eine kritische Auseinandersetzung mit der Pluralität differierender Problemdefinitionen und Problemlösungspraktiken. Der zweite Teil dieses Bandes beschäftigt sich mit Organisationen. Unternehmen, Behörden, NGOs, intermediäre Organisationen usw. spielen in der Klimafrage gewiss eine bedeutende Rolle – herausgehoben etwa im special issue „Climate Change and the Emergence of New Organizational Landscapes“ der Zeitschrift „Organization Studies“ (2012). Im vorliegenden Band werden Organisationen aber insbesondere mit Blick auf ihre Fähigkeit untersucht, die Schnittstellen zwischen unterschiedlichen funktionalen Logiken zu bedienen. Denn zwar mögen Organisationen meist der Orientierung an einem bestimmten Funktionssystem den Vorzug geben – Unternehmen zielen auf Profit, Forschungsinstitute haben doch eher Wahrheit im institutionellen Auge. Sie müssen aber stets zugleich andere Logiken bedienen – auch in Unternehmen wird geforscht und auch Forschungsinstitute brauchen Geld (Åkerstrøm Andersen 2003; Thévenot 2001; Pache/Santos 2010; Wehrsig/Tacke 1992). Wenn sie ihre Entscheidungsprozesse aufrechterhalten wollen, müssen Organisationen zwischen unterschiedlichen Logiken vermitteln. Dieser Frage wird, intra- wie auch interorganisationale Dynamiken (Netzwerke, Felder) reflektierend, im zweiten Teil dieses Bandes nachgegangen: inwiefern Organisationen, wenn es um ‚Klima‘ geht, zu Instanzen der Vermittlung und Vereinbarung unterschiedlicher Handlungslogiken werden – und wie die Auseinander13

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setzung um ‚Klima‘ typisch die Form des organisationsinternen Konflikts annimmt. Silke Beck untersucht den IPCC als Schnittstelle zwischen Wissenschaft und internationaler Politik. Ausgehend von den sozialkonstruktivistischen Konzepten des „boundary work“ und „boundary management“ zeigt der Beitrag, wie es dem IPCC als hybrider Organisation gelingen kann, im Rückgriff auf Brücken- und Pufferstrategien zwischen wissenschaftlichen und politischen Handlungslogiken zu vermitteln und gleichzeitig die funktionale Eigenlogik dieser zwei Sphären auseinander- und aufrechtzuerhalten. Empirisch detaillierend charakterisiert Beck die Vollversammlung des IPCC als ‚Brückenstrategie‘ – die Hunderte von Experten, Vertreter von Mitgliedstaaten und Beobachterorganisationen auf eine gemeinsam gestaltete Agenda hin zusammenbringt. Während zugleich Pufferstrategien die Autonomie der Wissenschaft absichern: die Assessmentverfahren finden in ausschließlich wissenschaftlichen Arbeitsgruppen und im Rückgriff auf peer review-Verfahren statt – beides Mittel der Abwehr bzw. ‚Pufferung‘ wissenschaftsexterner Einflüsse. Vermittlung und Grenzziehung zwischen unterschiedlichen Logiken erweist sich dabei, so Beck, nicht als statische Größe, sondern ist dynamisches Objekt kontinuierlicher Verhandlung, die auch immer wieder zur Revision der Verfahrensregeln der Organisation führt. Nicht einzelne Organisationen, vielmehr Prozesse auf der Ebene organisationaler Felder stehen im Fokus des Beitrags von Elke Schüßler, Bettina Wittneben und Charles-Clemens Rüling. Klimakonferenzen werden als Orte beobachtet, an denen die unterschiedlichsten Akteure aufeinandertreffen, um Klimapolitik zu machen – als potenziell ‚feldkonfigurierende Veranstaltungen‘ mithin. Die Autoren interessieren sich zunächst insbesondere für die Spannung zwischen perzipierter Dringlichkeit der Klimafrage und den Langwierigkeiten von Verhandlungsprozessen, die faktisch wenig zur Entwicklung neuer Regulierungsstandards beitragen. Dies, so die Autoren empirisch nachzeichnend, ist auf Strukturveränderungen der Klimakonferenzen in den zwei Jahrzehnten ihres Bestehens zurückführbar, die dafür gesorgt zu haben scheinen, dass die feldkonfigurierende Wirkung der Klimakonferenzen deutlich nachgelassen hat. So wurden die Möglichkeiten offener Interaktion zwischen heterogenen Akteuren (Regierungsvertreter, Vertreter akkreditierter Beobachterorganisationen, Medienvertreter und nicht offiziell zugelassenen Akteuren der Zivilgesellschaft) eingeschränkt – mit dem Effekt einer Reduktion der Chancen eines Abgleichs von Perspektiven mit den, überraschungsoffeneren, Mitteln der 14

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face to face-Interaktion. Zugleich sind Klimakonferenzen inzwischen von so vielen Vorbereitungssitzungen eingerahmt, dass ihre besondere Markierung als zeitlich und räumlich herausgehobenes Ereignis, wo in begrenzter Zeit und an bestimmtem Ort wichtige Entscheidungen getroffen werden, verloren gegangen ist – unter all diesen Umständen muss es angemessen sein, dass die an diese Ereignisse politisch und massenmedial gerichteten Erwartungen deutlich beobachtbar zurückgefahren worden sind. Auch Cristina Besio betont die Relevanz von Organisationen bei der Vermittlung verschiedener Handlungs- und Kommunikationslogiken. Am besonderen Fall der Organisationen der Energiewirtschaft zeigt der Beitrag, systemtheoretisch argumentierend, dass diese Vermittlung je nach organisationaler Beschaffenheit sehr unterschiedlich ausfallen kann. Organisationen der Energiewirtschaft in Zeiten des Klimawandels müssen zwischen dem moralisch artikulierten Imperativ eines verantwortungsvollen Handelns und der für wirtschaftliche Organisationen dominanten ökonomischen Handlungslogik vermitteln. Dies lässt sich mit sehr unterschiedlichen Strategien erreichen – Strategien, die je zu sehr unterschiedlichen Re-spezifikationen der genannten Logiken führen: Während einige Organisationen sich auf bloße Lippenbekenntnisse beschränken und Moral nur in ihre Fassade einbeziehen, wählen andere den Weg innovativer Technologieprojekte zur Förderung von Nachhaltigkeit und noch andere betten moralische Normen gar in ihre organisationale Kultur hinein. Die genannten Strategien haben primär organisationsinterne Maßnahmen im Blick, jedoch wenden Organisationen durchaus auch kooperative Strategien an. So bilden sie Innovationsnetzwerke mit anderen Akteuren im Feld oder versuchen aktiv durch Lobbyarbeit oder den Dialog mit Stakeholders Feldnormen mitzugestalten. Die Freiheiten der Organisation, Normen zu respezifizieren, tragen, so eine zentrale These des Beitrags, bei zur Bildung der Normen, die den Rahmen ihrer Handlungen regulieren. Der dritte Teil des Sammelbandes beschäftigt sich schließlich mit Lebensstilen, Konsumverhalten und Alltagspraktiken (siehe u.a. Diekmann/ Preisendörfer 2002; Tully/Krug 2011; Welzer et al. 2010). Alltägliche Interaktionen, wie jede Interaktion überhaupt (Goffman), dürfen sich die Freiheit nehmen, auf ‚Gesellschaft’ im weiten Band zwischen vollständigem Desinteresse und massivem Engagement zu reagieren – die Leitfrage der Beiträge muss also lauten, ob und inwiefern Alltagsinteraktion von der Definition und der Behandlung des Klimaproblems durch unterschiedliche gesellschaftliche Instanzen beeinflusst wird. Verändern sich Einstellungen und Alltagspraktiken unter dem Eindruck des gesellschaftlichen Umgangs 15

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mit Klimafragen in Richtung dessen, was die Gesellschaft als ‚ökologische Verantwortung des Alltagshandelns’ vorlegt. Birgit Blättel-Mink untersucht den Zusammenhang zwischen Konsum und Nachhaltigkeit – und Nachhaltigkeit ist dann die Formel, die die gesteigerten sozialen Erwartungen an die Akteure, für die Folgen des eigenen Tuns Verantwortung zu übernehmen, auf den Punkt bringt. Mit Rekurs auf unterschiedliche theoretische Perspektiven erläutert sie die möglichen Faktoren, die einen nachhaltigen Konsum in einer Konsumgesellschaft beeinflussen könnten: neben anderen etwa rationale Kalkulation, demografische Aspekte, soziale Lage und Einstellungen, Umweltbewusstsein. Eine praxistheoretische Perspektive fügt dem Argument eine zusätzliche Dimension hinzu und erschließt die besondere Bedeutung eingespielter, also routinierter Konsumpraktiken. Sie können ‚nachhaltigen Konsum’ behindern, doch, wenn Nachhaltigkeit gesellschaftlich positiv konnotiert wird und wenn es faktisch möglich wird, sich an ‚Nachhaltigkeit’ im Alltag zu orientieren, dann können sich tatsächlich Praktiken des nachhaltigen Konsums herausbilden. Zur Schaffung der Rahmenbedingungen solcher Praktiken können wirtschaftliche sowie staatliche Akteure entscheidend beitragen. Auch René John und Jana Rückert-John nehmen eine praxistheoretische Perspektive ein und rücken die Frage der Innovativität von Konsumpraktiken ins Zentrum ihres Beitrags. Konsumhandlungen werden als Praktiken verstanden, die routinehaft ablaufen. Sie sind auf Stabilität abgestellt, aber wenn sich die Umweltbedingungen ihrer Reproduktion verändern, kann dies zu einer Krise führen, die Spielräume zur Entwicklung innovativer Praktiken eröffnet. Umbrüche im Lebenslauf (die Geburt von Kindern, Arbeitslosigkeit, Wohnortwechsel usw.), aber auch institutionell motivierte Veränderungen vermögen Umweltbedingungen des Alltagshandelns so weit zu transformieren, dass bisher geläufige Praktiken problematisiert und reflektiert werden müssen oder zumindest können. Soziale bzw. politische Intervention, die die Rahmung von Alltagsroutinen zu verändern sucht, sollte, so die Autoren, in ihrer empirisch ausführlich unterlegten Argumentation, dabei weniger Aufklärung durch ökologische Bildungsvermittlung als vielmehr die Schaffung von Ermöglichungsstrukturen für nachhaltige Konsumpraktiken anvisieren. Jessica Stock hebt einen weiteren Faktor, der Routinen brechen kann, hervor: die Ideologisierung des Klimawandels. Im Fokus ist die Sphäre der Mobilität, die durch ausgeprägte Routinen gekennzeichnet ist. Am Beispiel der Gemeinschaft der Elektromobilisten rekonstruiert die Autorin 16

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eine offenbar besonders effiziente Form, wie zivilgesellschaftliche Akteure das Phänomen Klimawandel in ihren Alltag einarbeiten können – eben durch massive Ideologisierung. Elektromobilität wird, als elektromobile Ideologie, zur zentralen Lösung globaler Klimaprobleme - Elektromobilisten werden damit zu Innovationsakteuren. Elektromobile Ideologie zielt nicht auf Verzicht, sondern besteht auf ressourcenschonende Praktiken – das Elektroauto, als innovative Technik, vereinbart Ressourcenschonung mit automobiler Mobilität. Die besondere Rolle der Elektromobilisten besteht mithin nicht so sehr in der Findung und Erfindung neuer Techniken, sondern vielmehr in der Diffusion der sozialen Innovation einer elektromobilen Mobilitätspraxis bei gleichzeitiger Exnovation, also dem Bemühen, die konventionelle Praxis der Mobilität aus der (ganzen) Welt zu schaffen. Elektromobilisten nutzen Elektroautos in ihrem Alltag, bauen eine gemeinschaftlich nutzbare Ladeinfrastruktur auf, leisten Öffentlichkeitsarbeit und engagieren sich politisch. Explizites Ziel ist, wie für soziale Bewegungen so ziemlich typisch, die Veränderung der Gesellschaft. Klimawandel ist kein Problem der Natur – Klimawandel ist ein Problem der Gesellschaft. Und sollte dann aber auch ein Thema der Soziologie sein. Dass dies immer noch kaum, und wenn, dann kaum überzeugend, der Fall ist, könnte an Begriffsstrategien liegen, die der Komplexität des Gegenstandes nicht angemessen sind. Dieser Sammelband schlägt eine sozialkonstruktivistische Perspektive vor. Dass sich damit die Frage, ob es Klimawandel gibt, von selbst erledigt, ist aber nur Ausgangspunkt, nicht Resultat. Unbestreitbar ist Klimawandel ein Problem der Gesellschaft. Aber welcher Klimawandel? Der Klimawandel der Massenmedien, der sicher und sicher menschgemacht ist und vielleicht bald, weil neue Themen und attraktivere Dramen anstehen, vergessen sein wird? Der Klimawandel der Wissenschaft, die gut belegen kann, dass Klimawandel die Normalität der Erdgeschichte, aber nur vielleicht, und sicher nie abschließend sicher, seit neuerem auch menschgemacht ist – ohne dass aber das Mantra wissenschaftlicher Unsicherheit und Unvollkommenheit allen Ernstes sonst wo noch gehört würde, außer, man wollte sich dem Anwurf aussetzen, ein Klimaleugner zu sein? Oder der Klimawandel der Politik, die nirgendwo zuhört, sondern nur beobachtet, wie Massenmedien Themen erzeugen, die sich politisch in Wahlgewinne umsetzen lassen – oder eben doch nicht? Oder doch der Klimawandel dieser oder jener Organisation, der OPEC oder des IPCC oder des WWF? Oder der Klimawandel dieser automobilen oder jener elektromobilen Freundesclique, oder der Klimawandel auf diesem oder dann auf einem ganz anderen Arbeitsweg? 17