Zukunft der Behindertenpolitik im Bezirk

Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg von Berlin Abteilung Familie, Gesundheit und Personal Zukunft der Behindertenpolitik im Bezirk Fortschreibung de...
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Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg von Berlin Abteilung Familie, Gesundheit und Personal

Zukunft der Behindertenpolitik im Bezirk

Fortschreibung der bezirklichen Behindertenplanung für den Zeitraum 2013-2016

Planungs- und Koordinierungsstelle Gesundheit Gesundheits- und Sozialplanung

Herausgeber:

Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg von Berlin Abteilung Familie, Gesundheit und Personal Planungs- und Koordinierungsstelle Gesundheit Yorckstr. 4-11, 10965 Berlin

Bearbeitung:

Dr. Horst-Dietrich Elvers Ulrike Ehrlichmann (Kap. 1.2 und 1.3) Garrit Güldenpfennig (Mitwirkung Kap. 5)

Mitwirkung:

Ulrike Ehrlichmann, Maren Simon (geb. Tatje), Olga Prieb, Dajana Ziegler

Auskünfte:

Telefon:

(030) 90298-3541

E-Mail:

[email protected]

Redaktionsschluss:

01.10.2013

Bezug:

Planungs- und Koordinierungsstelle Gesundheit Telefon:

(030) 90298-3547

E-Mail:

[email protected]

Im Internet als PDF-Datei zum kostenlosen Herunterladen: http://www.berlin.de/gesundheit-fk

Vorwort der Bezirksbürgermeisterin und Stadträtin für Familie, Gesundheit und Personal

Mit dem vorliegenden Bericht zur Zukunft der Behindertenpolitik im Bezirk schreibt das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg die Berichte zur Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen aus den Jahren 2003 und 2007 fort. Wir möchten damit darlegen, welche Prioritäten bezüglich der Verbesserung der Lage von Menschen mit Behinderungen gesetzt werden. Leserinnen und Lesern innerhalb und außerhalb der Bezirksverwaltung möchten wir ferner ein möglichst genaues Bild von den Schritten vermitteln, die unser Bezirk bei der Verwirklichung des Prinzips der Inklusion gehen will. Der Umfang des vorliegenden Werkes macht deutlich, dass wir uns mit dem Auftrag, den uns die Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg gegeben hat, sehr ernsthaft auseinandergesetzt haben. Wir sind mit der Vorlage dieses Berichtes aber keineswegs am Ziel angekommen. Im Gegenteil – es gilt nun, die dahinter stehenden Handlungsaufträge nicht nur in den Fachbereichen der Verwaltung, sondern auch in den Gremien der Bezirksverordnetenversammlung mit Leben zu füllen und zu untersetzen. Die Übertragung der Handlungsempfehlungen in die Praxis kann dabei nur erfolgreich sein, wenn sie in dezentraler Fach- und Ressourcenverantwortung erfolgt. Ich bin zuversichtlich, dass die Umsetzung und Fortschreibung dieses behindertenpolitischen Rahmenplanes im konstruktiven Austausch mit den Menschen mit Behinderung aus Friedrichshain-Kreuzberg, den behindertenpolitischen Interessenvertretungen, der Bezirkspolitik und den Verwaltungszweigen des Bezirksamtes gelingen wird.

Monika Herrmann

Inhalt 1

Einleitung ...............................................................................................3 1.1

Leitsatz der bezirklichen Behindertenplanung........................................3

1.2

Zur UN-Behindertenrechtskonvention ....................................................4

1.3

Aufgaben der bezirklichen Behindertenbeauftragten .............................5

1.4

Aufgaben der Schwerbehindertenvertretung..........................................6

1.5 1.5.1 1.5.2

Aufbau und Umsetzung der Behindertenplanung...................................7 Aufbau des vorliegenden Rahmenplans.................................................7 Dezentrale Zuständigkeit, Umsetzung und Fortschreibung....................8 Amtliche Behindertenstatistik ...............................................................10

2.1

Begriffsklärungen .................................................................................10

2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.2.4 2.2.5 2.3

Sozialstatistisches Berichtswesen........................................................12 Datengrundlagen..................................................................................12 Ausgewählte Ergebnisse der bezirklichen Behindertenstatistik............13 Ergänzung: Bezirkliche Behindertenstatistik 2012 ...............................19 Ausgewählte Ergebnisse der amtlichen Schwerbehindertenstatistik....20 Soziale Lage und Behinderung ............................................................25 Das Wichtigste in Kürze .......................................................................25

2

3

Inklusion aus Sicht der Bezirksverwaltung ...........................................27 3.1 3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.1.4 3.1.5 3.1.6 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4 3.2.5 3.3 3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.4 3.4.1 3.4.2 3.5 3.5.1 3.5.2

Bildung und Erziehung .........................................................................27 Kindertagesbetreuung im Vorschulalter ...............................................27 Inklusive Schule in Friedrichshain-Kreuzberg ......................................31 Offene Kinder und Jugendarbeit ..........................................................35 Musikschule .........................................................................................36 Volkshochschule ..................................................................................37 Öffentliche Bibliotheken........................................................................39 Arbeit und Beschäftigung .....................................................................40 Integrationsamt und Berliner Integrationsfachdienste ..........................40 Jobcenter Friedrichshain-Kreuzberg ....................................................44 Werkstätten für Menschen mit Behinderung ........................................47 Zuverdienstangebote............................................................................48 Schwerbehinderte Beschäftigte und Gesundheitsmanagement...........50 Wohnen................................................................................................54 Sozialer Wohnungsbau und Mietenentwicklung...................................54 Rollstuhlgerechtes Wohnen .................................................................57 Betreutes Wohnen für Menschen mit Behinderungen ..........................58 Sport und Kultur ...................................................................................64 Freizeitsport im Bezirk..........................................................................64 Kunst und Kultur...................................................................................67 Gesundheit und Soziales .....................................................................70 Gremien der psychosozialen Versorgung ............................................70 Beratungsstelle für hörbehinderte Kinder und Jugendliche ..................71

1

3.5.3 3.5.4 3.5.5 3.5.6 3.6 3.6.1 3.6.2 3.6.3 3.7 3.7.1 3.7.2 3.7.3

Prävention, Gesundheitsförderung und Gesundheitshilfe für Erwachsene ......................................................................................... 74 Eingliederungshilfe für erwachsene Menschen mit Behinderung ........ 78 Hilfen für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen ......................... 82 Stadtteil- und Seniorenangebote ......................................................... 86 Öffentlicher Raum................................................................................ 89 Barrierefreier Zugang zu Grünflächen ................................................. 89 Öffentliches Straßenland ..................................................................... 91 Ordnungsrechtliche Aspekte................................................................ 92 Barrierefreie Bezirksverwaltung ........................................................... 95 Bezirkliche Gebäudeverwaltung .......................................................... 95 Bürgerämter......................................................................................... 98 Barrierefreie Information .................................................................... 100 Weitere Handlungsfelder ................................................................... 105

4.1 4.1.1 4.1.2 4.1.3 4.2 4.2.1 4.2.2 4.3

Migration und Behinderung................................................................ 105 Erreichtes .......................................................................................... 105 Herausforderungen: Vergleich „Federas 2009“ / Befragung 2012 ..... 107 Handlungsempfehlungen und Perspektiven ...................................... 109 Menschen mit geistigen Behinderungen............................................ 110 Defizite aus Sicht der Clearingstelle .................................................. 110 Herausforderungen, Handlungsempfehlungen, Perspektiven ........... 111 Gehörlose Menschen......................................................................... 113

4

5

Handlungsfelder aus Sicht von Menschen mit Behinderungen.......... 115 5.1 5.1.1 5.1.2 5.2 5.2.1 5.2.2 5.2.3 5.2.4 5.2.5 5.2.6 5.2.7 5.2.8 5.3

Befragung „Leben mit Behinderung in Friedrichshain-Kreuzberg“ ..... 115 Hintergrund und Aufbau der Befragung ............................................. 115 Stichprobengröße und Methodenkritik ............................................... 116 Erste Ergebnisse der Befragung........................................................ 117 Wohnen: Licht und Schatten.............................................................. 118 Freizeit – je stärker die Behinderung, desto deutlicher die Barrieren. 120 Mobilität – trotz Verbesserungen ein Drittel unzufrieden ................... 120 Beratung – Behindertenspezifik und Mehrsprachigkeit gefordert ...... 121 Gesundheit – „eher schlecht als recht“ .............................................. 122 Arbeit und Beschäftigung – Integration durch betreutes Wohnen?.... 122 „Ich als Bürgermeister/in…“ und Zufriedenheit .................................. 124 Eine erste Bilanz................................................................................ 126 Abschließende Beurteilung der Befragung ........................................ 127

6

„Barrierefreiheit neu denken“ – nächste Schritte................................ 128 Barrierefreie Bezirksverwaltung ....................................................................... 128 Demografischer Wandel in der Bezirksverwaltung .......................................... 129 Bessere Vernetzung der Hilfs- und Unterstützungsangebote .......................... 130 Sicherung von Sprach- und Kulturmittlung ...................................................... 131 Ent-Stigmatisierung ......................................................................................... 131 Konstruktiver Austausch mit der Bezirksverordnetenversammlung ................. 132 Beschlussfassungen des politischen Bezirksamtes......................................... 133 „Inklusion als Haltung“ – zwischen Anspruch und Wirklichkeit ........................ 133 Anhang ................................................................................................................... 135 2

1

Einleitung

1.1

Leitsatz der bezirklichen Behindertenplanung

Der vorliegende Bericht ist im Auftrag der Bezirksverordnetenversammlung erstellt worden. Im BVV-Beschluss heißt es u. a.: Es ist „ein behindertenpolitischer Plan zu entwickeln, der die erforderlichen Konsequenzen aufzeigt, die Verantwortlichkeiten in den einzelnen Bezirksamt-Bereichen festlegt, den möglichen Realisierungszeitraum und den notwendigen Finanzbedarf benennt und unter Berücksichtigung der Haushaltslage klare Prioritäten setzt. […] Verbände und Vereine des Bezirkes sollen einbezogen werden, um u. a. eine Einschätzung zur Verbesserung sowie konkrete Defizite zu benennen. Der Begriff der Barrierefreiheit ist dabei im umfassenden Sinne zu definieren (Teilhabe an allen gesellschaftlichen Bereichen, barrierefreie Umwelt, Kommunikation, Bildung, Beschäftigung) [...] Abschließendes Ziel der behindertenpolitischen Planung durch das Bezirksamt muss es sein, dass behindertenpolitische Aspekte immer vor Beginn aller Planungen und Maßnahmen der Bezirksamtsbereiche in die Überlegungen einbezogen werden („disability mainstreaming“). [...]“ (DRS/0028/IV) 1 .

Im Zuge der Bearbeitung dieser Drucksache, welche mit Unterstützung der Menschen mit Behinderung und gemeinsam mit beteiligten Verwaltungszweigen erfolgte, wurde deutlich, dass zahlreiche gute Ansätze für Inklusion im Bezirksamt existieren. Dort, wo es noch Lücken in der Umsetzung von Inklusion gibt, liegen diese vielfach nicht etwa in fehlendem Umsetzungswillen in den Fachbereichen und Ämtern, sondern sind baulicher oder finanzieller Natur oder sind auf einen massiven Personalabbau zurückzuführen, welcher in der Regel mit erheblicher Aufgabenverdichtung einhergeht. Inklusion ist nicht zum Nulltarif zu haben. Sie setzt entsprechende finanzielle Kapazitäten und organisatorische Anpassungen in der Verwaltung voraus – sei es über den Einsatz von Gebärdensprachdolmetscherinnen und Gebärdensprachdolmetschern, Sprach- und Kulturmittlerinnen und Sprach- und Kulturmittlern oder bei der Gestaltung inklusiver Angebote im Bereich von Kunst und Kultur. Der Weg zu mehr Inklusion ist nicht frei von Konflikten und erfordert transparente Prioritätensetzungen – etwa bei der Gestaltung von Grünanlagen, bei welcher Forderungen nach einer möglichst naturnahen Gestaltung von Wegen dem Anspruch einer Befahrbarkeit für Menschen im Rollstuhl bei jedem Wetter entgegentreten können. Diese Prioritätensetzungen kann der vorliegende Bericht nicht bieten, denn sie liegen in der dezentralen Fachund Finanzverantwortung der Ämter und Fachbereiche.

1

Online unter: http://tinyurl.com/o93njqw, Zugriff am: 30.09.2013 (Link verweist auf www.berlin.de)

3

Eine immer wieder geäußerte Forderung im Hinblick auf mehr Inklusion im Bereich der Bezirksverwaltung ist die Qualifizierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Bereich der interkulturellen Kompetenz. Bei Hilfesuchenden mit Behinderung kommt hierzu der Bereich der Gesundheits- und Krankheitsverständnisse als zentrales Element interkultureller Öffnung hinzu. Eine umfassende Teilhabe aller Menschen am gesellschaftlichen Leben – ob behindert oder nicht, ob mit oder ohne Migrationshintergrund, ob Frau oder Mann – setzt voraus, dass sich unser Denken über soziale „Schubladen“ ändert. Inklusion ist nicht etwa ein modisches Substitut für Integration, sondern markiert einen fundamentalen Standortwechsel im Vergleich zu Integrationsansätzen: Behinderung wird nicht mehr als soziale Sonderkategorie betrachtet, also als prägendes Merkmal einer sozialen Gruppe, welche es „in die Normalgesellschaft“ zu integrieren gilt. Aus einer inklusionstheoretischen Perspektive ist Behinderung vielmehr eine von verschiedenen möglichen Ausprägungen des Normalen. Ein inklusives Gemeinwesen muss sich also daran messen lassen, inwiefern es tatsächlich den Schritt vom Einbezogensein in die Gesellschaft zum Einbezogensein als Mitglied der Gesellschaft schafft: „Inklusion ist deshalb Ausdruck einer Vision von einer Gesellschaft, die es in Anerkennung der Gleichheit und Verschiedenartigkeit der Menschen erst gar nicht zur Ausgrenzung kommen lässt“. 2 Unter diesem Leitsatz soll auch die Umsetzung der Inklusion im Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg stehen. Ämter und Fachbereiche sind – so wie es auch die Beschlussfassung der BVV fordert – angehalten, Maßnahmen zu treffen dafür, dass alle Bürgerinnen und Bürger einen gleichen und barrierefreien Zugang zu allen Leistungen der Verwaltung haben.

1.2

Zur UN-Behindertenrechtskonvention

Das „Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen“ (UN-Behindertenrechtskonvention, UN-BRK) wurde am 13. Dezember 2006 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet. Die Bundesrepublik Deutschland trat der UN-BRK am 30. März 2007 bei. Damit bildet die Konvention eine verbindliche Grundlage für die deutsche Behindertenpolitik. Aktuell haben die UN-BRK 155 Staaten (von 192) unterzeichnet. Die UN-Behindertenrechtskonvention stärkt die Menschenrechte von Menschen mit Behinderungen im Sinne der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1949. Sie formuliert keine „Spezialrechte“ oder neuen Rechte, sondern beansprucht, dass die speziellen Perspektiven von Menschen mit Behinderung systematisch in das Menschenrechtsschutzsystem eingefügt werden. „Behinderung“ wird in der Konven-

2

Vgl. Cloerkes, Günther (2007), Soziologie der Behinderung. 3. Aufl., Heidelberg, S. 223.

4

tion als eine gesellschaftlich bedingte Einschränkung der individuellen Rechte gesehen. Die UN-BRK strebt danach, den defizitären Ansatz von Behinderung – Behinderung als Mangel, Fehler oder Krankheit dazustellen – zu überwinden. Sie orientiert sich damit am sozialen Verständnis von Behinderung:  Behinderung entsteht durch eine Wechselwirkung zwischen individuellen Beeinträchtigungen und gesellschaftlichen Barrieren.  Nicht die Person mit ihrer Konstitution ist das Problem, sondern eine Umwelt, welche sie an der Ausübung ihrer Rechte und gleichberechtigten Teilhabe hindert. In 50 Artikeln werden Aussagen zu allen Lebensbereichen, wie Bildung, Arbeit, Gesundheit, Wohnen, Familie, Freizeit, Kultur etc. getroffen. Für alle diese Bereiche fordert die UN-Konvention die Inklusion von Menschen mit Behinderungen. Der Inklusionsbegriff in der UN-BRK ist sehr weitreichend. Es geht nicht darum, innerhalb bestehender Strukturen Raum für Menschen mit Behinderung zu schaffen. Vielmehr sind gesellschaftliche Strukturen so zu gestalten und zu verändern, dass sie der realen Vielfalt menschlicher Lebenslagen von vornherein gerecht werden. Durch die Ratifizierung der UN-BRK hat sich die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet, die Konvention einzuhalten und umzusetzen. Der Prozess der Umsetzung der UN-BRK begann in der Bundesrepublik im Sommer 2011 mit dem Nationalen Aktionsplan der Bundesregierung zur Umsetzung der UN-Konvention – „Unser Weg in eine inklusive Gesellschaft“. Im Juni 2011 formulierte der Berliner Aktion- und Maßnahmeplan zur Umsetzung der UN-BRK 10 behindertenpolitische Leitlinien. Auf Bezirksebene markiert die qualifizierte Fortschreibung der Behindertenplanung auf Grundlage der DS/0028/IV den Beginn der Umsetzung der UN-BRK.

1.3

Aufgaben der bezirklichen Behindertenbeauftragten

Das Land Berlin schuf mit dem am 17. Mai 1999 verabschiedeten Landesgleichberechtigungsgesetz (LGBG) die Rechtsgrundlage für die Tätigkeit von Landes- und Bezirksbeauftragten für Menschen mit Behinderung. Der §7 des LGBG umreißt das Aufgabenspektrum der Beauftragten wie folgt: „Die Bezirksbeauftragten für Menschen mit Behinderung nehmen in engem Zusammenwirken mit den örtlichen Organisationen der Behindertenselbsthilfe insbesondere folgende Aufgaben wahr: 1. Sie geben Anregungen und unterbreiten Vorschläge zu Entwürfen von Anordnungen und Maßnahmen im Bezirk, soweit diese Auswirkungen auf die Verwirklichung der Gleichstellung behinderter Menschen haben.

5

2. Sie wachen darüber, dass bei allen Projekten, die der Bezirk plant oder realisiert, die Belange behinderter Menschen berücksichtigt werden. Die Bezirksbeauftragten für Menschen mit Behinderung sind Ansprechpartner oder Ansprechpartnerin für Vereine, Initiativen und sonstige Organisationen, die sich mit Fragen im Zusammenhang mit der Lebenssituation behinderter Menschen befassen, sowie für Einzelpersonen bei auftretenden Problemen.“ In der praktischen Umsetzung sind folgende Arbeitsschwerpunkte relevant:  Zusammenarbeit und Unterstützung der Freien Träger (vor allem der Behindertenselbsthilfe) im Bezirk,  Unterstützung, Begleitung und Moderation von Prozessen in der Behindertenarbeit,  Beratung von ratsuchenden Bürgerinnen und Bürgern,  Initiierung, Begleitung und Moderation von Projekten,  Information und Beratung des Bezirksamtes und der BVV,  Erstellung von BA und BVV-Vorlagen,  Stellungnahmen zu Bauvorhaben/Nutzungsänderungen im Bezirk,  Geschäftsführung des Behindertenbeirates,  Mitarbeit in verschiedenen Gremien und  Öffentlichkeitsarbeit. Die bezirkliche Beauftragte für Menschen mit Behinderungen ist bei der Fortschreibung der bezirklichen Behindertenplanung im Sinne der UN-BRK ein wichtiger Partner.

1.4

Aufgaben der Schwerbehindertenvertretung

Die Aufgaben der Schwerbehindertenvertretung sind geregelt in § 95 SGB IX. Darin heißt es: „Die Schwerbehindertenvertretung fördert die Eingliederung schwerbehinderter Menschen in den Betrieb oder die Dienststelle, vertritt ihre Interessen in dem Betrieb oder der Dienststelle und steht ihnen beratend und helfend zur Seite“ (vgl. auch Kap. 3.2.5). Die Schwerbehindertenvertretung hat die Eingliederung von Beschäftigten mit schwerer Behinderung 3 zu fördern, ihre Interessen im Betrieb zu vertreten und ihnen beratend und helfend zur Seite zu stehen.

3

Sowohl in den gesetzlichen Grundlagen als auch in der Praxis wird stets von „Schwerbehinderten“ oder „schwerbehinderten Beschäftigten“ gesprochen. Aus diesem Grund wird diese Terminologie auch im vorliegenden Bericht für den Bereich der bezirklichen Schwerbehindertenvertretung beibehalten.

6

Die Schwerbehindertenvertretung ist nicht Teil des Betriebs- oder Personalrates, wie dies oft angenommen wird. Sie ist vielmehr eine eigene Institution nach SGB IX, welche jedoch mit dem Betriebs- oder Personalrat eng zusammenarbeitet und hat das Recht, an jeder Sitzung teilzunehmen. Die Schwerbehindertenvertretung hat darüber zu wachen, dass die für Beschäftigte mit schwerer Behinderung geltenden Gesetze und Verordnungen eingehalten werden. Sie hat Maßnahmen, welche den Beschäftigten mit schwerer Behinderung dienen, bei den zuständigen Stellen zu beantragen. Es handelt sich hierbei insbesondere um Maßnahmen zur beruflichen Wiedereingliederung und Maßnahmen im Zusammenhang mit der Beschäftigung. Die Schwerbehindertenvertretung kann hierbei auf die berufsbegleitenden und psychosozialen Dienste der Integrationsämter (vgl. Kap. 3.2.1) zurückgreifen. Diese Hilfe ist für die Betroffenen kostenlos. Sie wird aus der Ausgleichsabgabe finanziert und soll helfen, behinderungsbedingte Probleme am Arbeitsplatz zu verhindern oder auszuräumen. Die Arbeitgeber sind zur Unterrichtung der Schwerbehindertenvertretung verpflichtet, wenn sich Personen mit schwerer Behinderung auf eine Stelle bewerben. Dies muss unmittelbar nach dem Eingang von Bewerbungen von Menschen mit schwerer Behinderung geschehen. Neben der von den Beschäftigten mit schwerer Behinderung gewählten Vertretung gibt es noch die Beauftragte oder den Beauftragten des Arbeitgebers oder der Arbeitgeberin, die oder der letztere in den Angelegenheiten der Beschäftigten mit schwerer Behinderung vertritt. Die Beauftragten sollten Partnerinnen oder Partner der Schwerbehindertenvertretung, des Personal- oder Betriebsrates und der Integrationsämter sein. Die Beauftragte oder der Beauftragte des Arbeitgebers oder der Arbeitgeberin wird von diesen ernannt und kann auch wieder abberufen werden.

1.5

Aufbau und Umsetzung der Behindertenplanung

1.5.1 Aufbau des vorliegenden Rahmenplans Der Aufbau des vorliegenden Berichtes orientiert sich am zugrundeliegenden BVVBeschluss. Nach den Grundlagen und einer Einordnung der bezirklichen Behinder-

Eine schwere Behinderung wird vom Versorgungsamt ab einem Grad der Behinderung von 50 GdB festgestellt. Eine Gleichstellung mit Schwerbehinderten durch die Bundesagentur für Arbeit auf Antrag des Betroffenen soll ab einem GdB von 30 erfolgen, wenn aufgrund der Behinderung ansonsten ein Arbeitsplatz nicht erlangt oder behalten werden kann (Quelle: wikipedia).

7

tenplanung folgt ein Abriss des sozial- und gesundheitsstatistischen Berichtswesens zum Thema Behinderung (Kap. 2). Auf der Basis der bezirklichen Behindertenstatistik wird eine Beschreibung der Art und Häufigkeit von Behinderungen im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg vorgenommen. Ergänzend wird die amtliche Schwerbehindertenstatistik hinzugezogen, da deren Auswertung Einblicke in zeitliche Entwicklungen, Behinderungen nach Altersgruppen, Verteilung der Behinderungsarten nach Schwere der Behinderung und Ursachen für Behinderungen erlaubt. An dieses Kapitel schließt sich der Hauptteil an, welcher aus einer Darstellung der Rückmeldungen aus der Bezirksverwaltung beruht (Kap. 3). Im Frühjahr und Sommer 2013 wurden Interviews mit den Fachbereichs- und Amtsleitungen geführt, in deren Tätigkeitsfeldern ausgeprägte Bezüge zur Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen liegen. Die Auswahl wurde gemeinsam mit der Behindertenbeauftragten getroffen. Die Interviews wurden aufgenommen, protokolliert und anschließend inhaltlich aufbereitet und zusammengefasst. Bevor diese Zusammenfassungen in den Bericht eingingen, wurden die Interviewten um ihre Einschätzung bzw. Überarbeitung gebeten. Die in diesem Bericht enthaltenen Beschreibungen sind sämtlich freigegeben. Da nicht alle Facetten der Lebenslage von Menschen mit Behinderungen über die durch uns durchgeführte schriftliche Befragung beleuchtet werden konnten, wurden ergänzende Gespräche mit Expertinnen und Experten freier Träger aus den Bereichen geistige Behinderung, Migration und Behinderung sowie gehörlose Menschen geführt. Diese wurden im Kapitel 4 aggregiert. Kapitel 5 enthält die Beschreibung und erste Ergebnisse der bezirklichen Befragung „Leben mit Behinderung in Friedrichshain-Kreuzberg 2012“. Dass im Zuge der Bearbeitung des BVV-Auftrages eine derartige schriftliche Befragung durchgeführt werden sollte, wurde nach einer Abwägung der Vor- und Nachteile beschlossen. Der Sinn dieser Befragung wurde darin gesehen, die Zielgruppe selbst zu Wort kommen zu lassen. Eine Darstellung der Vorgehensweise, eine methodische Kritik und die ersten Ergebnisse sind in dem vorliegenden Bericht zu finden. Eine ausführliche Auswertung der Befragung wird im Jahr 2014 vorgelegt. Das letzte Kapitel (Kap. 6) fasst wesentliche, über die in Kapitel 3 dezentral formulierten hinausgehende Handlungsempfehlungen zusammen. Es formuliert Rahmenbedingungen der Umsetzung von Inklusion im Einflussbereich des Bezirksamtes Friedrichshain-Kreuzberg, welche sich im Zuge der Bearbeitung dieser Drucksache als wesentlich und grundlegend erwiesen haben. 1.5.2 Dezentrale Zuständigkeit, Umsetzung und Fortschreibung Entsprechend einer dezentralen, auf die Verantwortung der Ämter und Fachbereiche setzenden Vorgehensweise bei der Bearbeitung des BVV-Auftrages wird ebenfalls 8

die Verantwortung für die Umsetzung der in diesem Bericht enthaltenen Empfehlungen in dezentrale Verantwortlichkeit gelegt. Da in diesem Bericht nicht alle relevanten Themen in gebührender Tiefe behandelt werden konnten, sind künftig weitere, kleinere Berichte in Planung. Dies betrifft schwerpunktmäßig die Themen „Kinder und Jugendliche mit Behinderung“ sowie „Migration und Behinderung“.

Tabelle 1.5-1: Jahr

Umsetzung und weitere Planung der Behindertenplanung

I. Quartal

II. Quartal

III. Quartal

2011 2012

IV. Quartal Auftragserteilung

- Planung des Vorhabens

- Einrichtungsliste

- Entwicklung Fragebogen

- Überarbeitung des Fragebogens

- Beteiligung Behindertenbeirat

- Start der Befragung am 31.10.2012 auf der 5. Seniorenkonferenz

- Test des Fragebogens im Behindertenbeirat 2013

- Erstellung Codeplan

- Auswertung der amtlichen Behindertenstatistiken

- Erstellung Dateneingabemaske - Leitfadeninterviews in Bezirksverwaltung

- Vorlage des Berichts

- Auswertung der Befragung, der Leitfadeninterviews und der Expert/innengespräche

- Expertengespräche - Dateneingabe

- Berichterstellung 2014

- Gesundheitskonferenz zum Thema Behinderung

2015

- Spezialbericht „Kinder und Jugendliche mit Behinderung“

2016

- Spezialbericht „Migration und Behinderung“

Die Tabelle (vgl. Tab. 1.5.-1) zeigt schematisch die bisherigen Schritte und die ab 2014 beabsichtigte weitere „Planung der Behindertenplanung“. Durch öffentlichkeitswirksame und fachlich angemessene Behandlung des Themas „Behinderung“ und spezieller Themenschwerpunkte soll die bezirkliche Behindertenplanung als Prozess angelegt werden. Dieser kann erfolgreich sein, wenn er eine bessere Berücksichtigung der Belange von Menschen mit Behinderungen zur Folge hat – nicht durch Pläne, Konzepte und Strategiepapiere, sondern im tatsächlichen Verwaltungsvollzug. Dabei ist der vorgelegte Bericht aber nicht der Masterplan, aus dem sich alle Einzelmaßnahmen ableiten lassen müssen. Er soll vielmehr als Diskussionsgrundlage und Handlungsleitfaden für dezentrale Prioritätensetzungen dienen.

9

2

Amtliche Behindertenstatistik

2.1

Begriffsklärungen

Der Begriff der Behinderung findet sich in den Sozialgesetzen an differenten Stellen wieder. Im Hinblick auf unterschiedliche Regelungszusammenhänge und divergente Sozialleistungen sowie fachspezifische Sichtweisen wird der Begriff der Behinderung nicht einheitlich verstanden und abweichend verwendet. Von grundsätzlicher Bedeutung für das Sozialrecht ist die in Anlehnung an die WHO festgelegte Definition für Behinderung nach § 2 Abs. 1 SGB IX, welche auch für die Leistungen der Eingliederungshilfe des örtlichen Sozialhilfeträgers maßgeblich ist: Menschen gelten dann als behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Dabei werden grundsätzlich altersbedingte Krankheiten oder Beeinträchtigungen nicht zu den Behinderungen gezählt. Um aufgrund der Behinderung Hilfe und Unterstützung in Anspruch nehmen zu können ist es nicht immer erforderlich, dass ein bestimmter Grad der Behinderung attestiert und etwa durch Schwerbehindertenausweis (i. d. R. ab einem Grad der Behinderung von 50) bescheinigt wird. Andere Leistungen setzen einen definierten Grad der Behinderung (beginnen bei 20) voraus und wiederum andere Ansprüche – insbesondere Leistungen der Eingliederungshilfe des örtlichen Sozialhilfeträgers – setzen ein von einem bestimmten Grad der Behinderung völlig unabhängiges Verfahren der Prüfung einer Anspruchsberechtigung voraus. § 53 Abs. I SGB XII bestimmt diesen berechtigten Personenkreis für Leistungen der Eingliederungshilfe. Danach sind Personen leistungsberechtigt, wenn sie infolge einer gesundheitlichen Störung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt sind. Das gleiche gilt, wenn eine wesentliche Beeinträchtigung der Teilhabe einzutreten droht. In der Eingliederungshilfeverordnung (EHVO) wird unterschieden in Personenkreise mit körperlichen, geistigen und seelischen wesentlichen Behinderungen. Zu den seelisch wesentlichen Behinderungen können – nach individueller Prüfung des Sozialhilfeträgers – neben Psychosen und seelischen Störungen auch Suchtkrankheiten zählen. Somit unterscheidet sich die Feststellung über Menschen mit Behinderungen etwa dahingehend, ob Behinderung im Sinne eines Anspruchs auf bestimmte Leistungen aus dem Katalog des SGB IX oder SGB XII definiert wird (z. B. Feststellung eines Grades der Behinderung gem. § 69 SGB IX, sofern nicht anderweitig eine Behinderung nachgewiesen wurde oder Feststellung einer Schwerbehinderung nach § 2 Abs. I SGB IX) oder unabhängig davon eine wesentliche Behinderung gem. § 53 Abs. I 10

SGB XII festgestellt wird. Darüber hinaus formuliert auch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) ein Benachteiligungsverbot, u. a. aufgrund einer Behinderung. Für die Zielgruppen der bezirklichen Behindertenplanung soll kein sozialrechtlich exklusiver Behinderungsbegriff gewählt werden. Die Zielgruppe der bezirklichen Behindertenplanung sind alle Menschen, die körperlich, geistig oder seelisch behindert sind oder sich – auch ohne entsprechenden Nachweis – entsprechend behindert fühlen. Diese Festlegung ist u. a. von konkreter Relevanz für die Bestimmung der Zielgruppe der Behindertenbefragung gewesen (vgl. Kap. 5).

Tabelle 2.1-1:

Behinderungsformen und Grad der Behinderung (Beispiele)

Behinderungsform mit Intensität und ggf. Erläuterungen

GdB

Echte Migräne (mittelgradige Verlaufsform – häufigere Anfälle, jeweils einen oder mehrere Tage anhaltend)

20-40

Chronische Bronchitis (schwere Form – fast kontinuierlich ausgiebiger Husten und Auswurf, häufige akute Schübe)

20-30

Autistische Syndrome im Kindesalter (leichte Formen, z. B. Typ Asperger)

50-80

Einschränkung der geistigen Leistungsfähigkeit im Schul- und Jugendalter – kognitive Teilleistungsschwächen mit wesentlicher Beeinträchtigung der Schulleistungen

20-40

Emotionale und psychosoziale Störungen („Verhaltensstörungen“) im Kindesalter – lang andauernde, erhebliche Einordnungsschwierigkeiten (z. B. Integration in der Normalschule nicht möglich)

50-80

Alkoholkrankheit – bei nachgewiesener Abhängigkeit mit Kontrollverlust und erheblicher Einschränkung der Willensfreiheit

mind. 50, nach Entzug i. d. R. 30 („Heilungsbewährung“)

Drogenabhängigkeit – bei körperlicher und/oder psychischer Abhängigkeit mit entsprechender psychischer Veränderung und sozialen Einordnungsschwierigkeiten

mind. 50, nach Entzug i. d. R. 30 („Heilungsbewährung“)

Taubheit – z. B. wenn angeboren oder bis zum 7. Lebensjahr erworben

100

Bronchialasthma bei Kindern – Hyperreagibilität mit seltenen (saisonalen) und/oder leichten Anfällen, keine dauernde Einschränkung der Atemfunktion, nicht mehr als sechs Wochen Bronchitis im Jahr

20-40

Atopisches Ekzem („Neurodermitis constitutionalis“, „endogenes Ekzem“) – bei länger dauerndem Bestehen)

20-30

Verlust der ganzen Hand

50

Verlust eines Beines im Hüftgelenk oder mit sehr kurzem Oberschenkelstumpf

80

11

Zur Verdeutlichung des Formenkreises seien einige Beispiele für einzelne Behinderungen 4 , welchen Grade der Behinderung ab 20 zugeordnet werden können, an dieser Stelle aufgeführt. Diese Darstellung zeigt anschaulich, dass „Behinderung“ nicht auf Beeinträchtigungen reduziert werden kann, die Laien auf den ersten Blick leicht erkenn- und definierbar scheinen. Ebendiese benannten stellen lediglich einen kleinen Ausschnitt der Behinderungen dar, die vom Versorgungsamt anerkannt werden können. Weiteres kann der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10. Dezember 2008 entnommen werden. In Broschürenform kann diese auf den Internetseiten des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales abgerufen werden. 5

2.2

Sozialstatistisches Berichtswesen

2.2.1 Datengrundlagen Für Zwecke einer differenzierten sozialstatistischen Berichterstattung zu Menschen mit Behinderungen liegen dem Bezirk aktuell folgende Statistiken vor: Bezirkliche Behindertenstatistik Die vom Landesamt für Gesundheit und Soziales/Versorgungsamt an die bezirklichen Behindertenbeauftragten gemeldeten Zahlen enthalten alle Menschen mit einem anerkannten Grad der Behinderung größer/gleich 20 und ohne Rücksicht auf einen ausgestellten Schwerbehindertenausweis. Somit sind die in den bezirklichen Statistiken gemeldeten Zahlen für Menschen mit Behinderungen höher als die in der amtlichen Schwerbehindertenstatistik nach § 131 SGB IX. Hierbei ist zu beachten, dass lediglich Aussagen über anerkannte Fälle von Behinderungen gemacht werden können. Amtliche Schwerbehindertenstatistik Im Sinne des Gesetzes sind Personen, denen ein Grad der Behinderung von 50 und mehr zuerkannt wurde. Die „Statistik der schwerbehinderten Menschen“ wird alle zwei Jahre als Totalerhebung zum Stichtag 31. Dezember durchgeführt. Auskunftspflichtig ist in Berlin das Landesamt für Gesundheit und Soziales. Dabei sind nur Inhabende ausgehändigter und gültiger Ausweise zu zählen. Daraus folgt: Alle Menschen mit schweren Behinderungen ohne gültigen Ausweis zum Stichtag (jeweils der 31.12. des Berichtsjahres) sind in dieser Statistik nicht erfasst. Weiterhin handelt es

4

D. h. Behinderungen, die bei isolierter Betrachtung zu einem Grad der Behinderung führen.

5

Vgl. URL: http://www.bmas.de/DE/Service/Publikationen/k710-anhaltspunkte-fuer-dieaerztliche-gutachtertaetigkeit.html, Zugriff am: 30.09.2013

12

sich um eine Statistik der Menschen mit schweren Behinderungen, d. h., alle anerkannten Behinderten mit einem GdB unter 50 werden nicht gemeldet. 2.2.2 Ausgewählte Ergebnisse der bezirklichen Behindertenstatistik Vorbemerkungen zur Bevölkerungsstatistik Zum Redaktionsschluss des vorliegenden Statistikteils lagen lediglich die Angaben der bezirklichen Behindertenstatistik zum Stichtag 31.11.2011 vor. Daher beziehen sich Berechnungen im Folgenden auf den Bevölkerungsstand zum gleichen Datum (31.12.2011) und haben die Einwohnermelderegisterstatistik zur Grundlage. Die Gesamtbevölkerungszahl des Bezirks lag zu diesem Stichtag auf der Grundlage des Einwohnermelderegisters bei 265.361 Einwohnerinnen und Einwohnern. Nach den Ergebnissen der aktuellen bundesweiten Volkszählung vom Mai 2011 wurde eine abweichende Bevölkerungszahl von 254.695 Einwohnerinnen und Einwohnern für den Bezirk ermittelt. Der Bevölkerungsstand auf der Grundlage der seither nicht mehr aktuellen Fortschreibung der alten Fortschreibungszahlen 6 lag zum gleichen Stichtag bei 274.535 Einwohnerinnen und Einwohnern. Die Einwohnermelderegisterzahlen liegen zwischen diesen beiden, auf der Grundlage der jeweils aktuellen Bevölkerungsfortschreibung ermittelten, Bevölkerungszahlen. Sie erlauben Analysen der Daten auf Ebene der lebensweltlich orientierten Räume (LOR). Damit sind sie die bevorzugte Datenquelle für regionale, bezirkliche Planungen. Grad der Behinderung, Behinderungsarten, Alter und Geschlecht Im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg waren am Stichtag (Stand: 31.12.2011) 30.146 Menschen mit einer anerkannten Behinderung gemeldet. Mehr als 10 % der Bevölkerung des Bezirks hat eine anerkannte Behinderung (Tab. 2.2-1) Die Quote der Menschen mit Behinderungen nimmt mit dem Alter deutlich zu. Während 1,6 % der unter 25-Jährigen eine anerkannte Behinderung aufweisen, sind dies mehr als die Hälfte der über 65-Jährigen und älteren. So sind die überwiegende Mehrzahl der Menschen mit Behinderungen im Bezirk 45 Jahre oder älter. Beim Vergleich der Menschen mit Behinderung zur Gesamtzahl der jeweiligen Altersgruppe wird sichtbar, wie massiv sich Behinderungen im fortgeschrittenen Lebensalter ballen. So hat die Hälfte der Menschen ab einem Alter von 65 Jahren eine anerkannte

6

Es handelt sich hierbei um die Fortschreibungszahlen auf der Grundlage der Volkszählung in der ehemaligen BRD vom 25.05.1987 in Kombination mit einem Abzug aus dem Zentralen Einwohnerregister der DDR vom 03.10.1990.

13

Behinderung. Die Behinderungsquote bei den Hochaltrigen ist demgegenüber nochmals deutlich erhöht. Mehr als 85 % der 85-Jährigen und älteren haben im Bezirk eine anerkannte Behinderung.

Tabelle 2.2-1: Altersgruppe

Bevölkerung mit Behinderungen ab 20 GdB nach Altersgruppen, Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg Bevölkerung in der Altersgruppe

darunter Menschen mit Behinderungen

Anteil Behinderte bezogen auf die jeweilige Altersgruppe in %

Anteil Behinderte in der Altersgruppe an allen Behinderten in %

unter 15

34.032

468

1,4

1,6 %

15 – 25

29.572

528

1,8

1,8 %

25 – 45

118.376

3.662

3,1

12,1 %

45 – 65

56.954

11.575

20,3

38,4 %

65 und älter

26.427

13.913

52,6

46,2 %

Gesamt

265.361

30.147

11,4

100

Stand: 31.12.2011, Quellen: Einwohnermelderegister, Bezirkliche Behindertenstatistik, eigene Berechnungen

Die Verteilung der Grade der Behinderung lässt keine eindeutige Struktur erkennen – am häufigsten findet sich ein GdB von 50, gefolgt von 30 und 100 (Abb. 2.2.2-2). Mehr als zwei Drittel (69,5 %) der Menschen mit Behinderung im Bezirk haben einen GdB von 50 oder mehr und damit Anspruch auf einen Schwerbehindertenausweis (Abb. 2.2-2). 7

7

Die Zahlen der Menschen mit Behinderung ab einem GdB von 50 beträgt 20.955. Damit liegt sie um 3.401 Fälle über der Anzahl der anerkannt Schwerbehinderten, die in der amtlichen Statistik für den Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg ausgewiesen werden (17.554 Menschen mit anerkannt schwerer Behinderung). Der Grund hierfür liegt darin, dass in der amtlichen Statistik der Schwerbehinderten nur Inhaber gültiger Schwerbehindertenausweise gezählt werden. In der Bezirksstatistik dahingegen sind alle Fälle gezählt, die einen anerkannten Grad der Behinderung haben und zwar unabhängig davon, ob die betreffenden Personen einen Schwerbehindertenausweis besitzen oder nicht.

14

Abbildung 2.2-2: Anzahl von Menschen mit Behinderung nach Grad der Behinderung in Friedrichshain-Kreuzberg 7.000

6.389

6.000 5.000 4.206

4.160 3.704

4.000 2.972

2.804

3.000

2.700

2.014 2.000 1.198 1.000 0 20

30

40

50

60

70

80

90

100

Grad der Behinderung

Stand: 31.12.2011, Quelle: Bezirkliche Behindertenstatistik

Bei genauerer Betrachtung der drei am häufigsten vorkommenden Grade der Behinderung (50, 100, 30, s. Abb. 2.2-2) zeigt sich, dass in allen drei Gruppen Beeinträchtigungen der Funktion von inneren Organen am häufigsten festgestellt werden. Dieses Bild bestätigt sich auch durch die Gesamtverteilung der verschiedenen Behinderungsarten in Friedrichshain-Kreuzberg (Abb. 2.2-3).

Abbildung 2.2-3: Verteilung der Grade der Behinderung (kumulierte Anteile in %) in Friedrichshain-Kreuzberg Verteilung der Grade der Behinderung, kum ulierte Anteile in % Friedrichshain-Kreuzberg

100,0

93,3 79,4

69,5 48,3 36,0

ab 20

ab 30

ab 40

ab 50

ab 60

ab 70

Grad der Behinderung

Stand: 31.12.2011, Quelle: Bezirkliche Behindertenstatistik

15

26,7

ab 80

17,8

13,8

ab 90

100

Dabei fällt auf, dass fast die Hälfte aller festgestellten Behinderungen unter die Kategorie „sonstige und ungenügend bezeichnete Behinderungen“ fallen. Es handelt sich hierbei in der Mehrheit um Behinderungen, von denen keine über einem GdB von 24 liegt: Hat das schwerste Einzelleiden einer Person mit Behinderung einen GdB von unter 25, wird diese Behinderung in die Kategorie „sonstige und ungenügend bezeichnete Behinderungen“ gegliedert, egal welcher Art die Einzelleiden sind. 8 Ferner sind in diese Gruppe all jene Behinderungen eingeordnet, für die bei der Begutachtung keine eindeutige Entsprechung im Katalog der versorgungsmedizinischen Grundsätze gefunden werden konnte.

Abbildung 2.2-4: Behinderungsarten nach Häufigkeit ihres Auftretens in % in Friedrichshain-Kreuzberg Sonstige und ungenügend bezeichnete Behinderungen

43,7

Beeinträchtigung der Funktion von inneren Organen

20,8

Querschnittsl., zerebr. Störg., geist.-seel.Beh., Suchtkrankheiten

11,8

Fkt.-einschränkung d. Wirbelsäule u. d. Rumpfes, Deformation Brustkorb Funktionseinschränkung von Gliedmaßen

10,4 6,7

Blindheit und Sehbehinderung 2,6 Sprach- oder Sprechstörg., Taubheit, Schwerhörigkt., Gleichgewichtsstörg. 2,5 Verlust einer Brust o. beider Brüste, Entstellungen u.a. Verlust oder Teilverlust von Gliedmaßen

1,2 0,2

Stand: 31.12.2011, Quelle: Bezirkliche Behindertenstatistik, Angaben in %

Eine Auflistung der Einzeldiagnosen und Gruppen von Behinderungen findet sich im Anhang (Tabelle A-1). Die größte Gruppe bei den definierten Behinderungsarten – bezogen auf alle Grade der Behinderung – entfällt mit einer Häufigkeit von knapp 21 % auf die Beeinträchtigung der Funktion von inneren Organen (Abb. 2.2-4). In dieser Gruppe stellt die „Beeinträchtigung der Funktion von Herz-Kreislauf“ die mit Abstand am weitesten verbreitete Einzeldiagnose dar. Die gemeinhin als „klassisch“ geltenden Beeinträchtigungen der Gliedmaßen, Blindheit und Sehbehinderungen

8

D. h. also in der Mehrheit eben gerade nicht, dass diese Behinderungen nicht bezeichenbar wären.

16

sowie Sprachstörungen einschließlich Taubheit sind in der Gesamthäufigkeit anerkannter Behinderungen vergleichsweise untergeordnet. 9 Innerhalb der Gruppe der „Querschnittslähmungen, zerebralen Störungen, geistigseelischen Behinderungen und Suchterkrankungen“ machen die Behinderungen im Spektrum der psychischen und Suchterkrankungen im Bezirk 58 % aus. Für eine differenzierte Darstellung der altersspezifischen, typischen Behinderungsarten und der altersspezifischen Gründe für eine Behinderung sei auf die Erörterung der Schwerbehindertenstatistik verwiesen. Diese Daten liegen auf Bezirksebene nicht vor (vgl. Abschn. 2.2.3). Ausländische Staatsangehörigkeit, Migrationshintergrund und Behinderung Als Teil der bezirklichen Behindertenstatistik werden Angaben zur Staatsangehörigkeit der Menschen mit Behinderung im Bezirk zur Verfügung gestellt. Angaben zum Migrationshintergrund – unabhängig von der Staatsangehörigkeit – sind jedoch bislang nicht verfügbar. An dieser Stelle wird zum Vergleich zur deutschen Bevölkerung der Anteil der Menschen mit Behinderung im Bezirk ausgewiesen, welche eine ausländische Staatsbürgerschaft aufweisen (vgl. Tab. 2.2-5).

Tabelle 2.2-5: Altersgruppe

Ausländische Bevölkerung mit Behinderungen nach Altersgruppen, Friedrichshain-Kreuzberg Ausländer in der Altersgruppe

darunter Ausländer mit Behinderungen ab 20 GdB

Anteil bezogen auf die jeweilige Altersgruppe in %

unter 15

3.432

61

1,8

15 – 25

7.758

141

1,8

25 – 45

30.278

676

2,2

45 – 65

11.646

2.443

21,0

65 und älter

4.319

2.661

61,6

Gesamt

57.433

5.982

10,4

Stand: 31.12.2011 Quellen: Einwohnermelderegister und Behindertenstatistik, eigene Berechnungen

Sowohl beim Gesamtanteil als auch bei den altersspezifischen Behinderungsraten lassen sich bei Menschen mit ausländischer Staatsangehörigkeit im Wesentlichen

9

Bitte beachten: Tabelle 2.2-4 enthält die Häufigkeit der Schlüsselung einzelner Behinderungsarten, nicht die Häufigkeit der Menschen, die diese Behinderung haben. Grundlage der Tabelle sind also insgesamt 78.570 einzelne festgestellte und mit einem Grad der Behinderung anerkannte Behinderungen.

17

erhöhte Betroffenheiten feststellen. Bei Menschen mit ausländischer Staatsangehörigkeit sind Behinderungen insgesamt etwas häufiger anerkannt als bei Deutschen mit oder ohne Migrationshintergrund. Deutlichere Abweichungen ergeben sich insbesondere den beiden Altersgruppen der 65- bis unter 85-Jährigen und der 85-Jährigen und Älteren. Hier sind die Anteile der Menschen mit Behinderung unter der Gruppe der Friedrichshain-Kreuzberger Bevölkerung ohne deutsche Staatsangehörigkeit mit 20 bzw. 10 Prozentpunkten höher als in der Bevölkerung mit deutscher Staatsbürgerschaft (vgl. dazu auch Tab. 2.2-5). Um näherungsweise die mögliche Zahl von Menschen mit Migrationshintergrund zu schätzen, welche im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg eine Behinderung aufweisen, können die altersspezifischen Behinderungsraten der ausländischen Bevölkerung auf die altersspezifische Anzahl der Menschen mit Migrationshintergrund insgesamt bezogen werden (Tab. 2.2-6). Nach diesem Versuch einer Hochrechnung hätten etwa 10.000 Menschen mit Behinderung im Bezirk einen Migrationshintergrund. Anders gesprochen: Ca. ein Drittel der Menschen mit Behinderung im Bezirk könnte einen Migrationshintergrund haben. Diese Form der Verallgemeinerung setzt jedoch voraus, dass im Bezirk lebende Menschen mit ausländischer Staatsangehörigkeit und Deutsche mit Migrationshintergrund ähnliche Lebensbedingungen vorweisen können.

Tabelle 2.2-6: Altersgruppe

Schätzung: Menschen mit Migrationshintergrund mit Behinderungen nach Altersgruppen, Friedrichshain-Kreuzberg Menschen mit Migrationshintergrund in der Altersgruppe

darunter Menschen mit Migrationshintergrund ab 20 GdB (Schätzung)

Anteil bezogen auf die jeweilige Altersgruppe in % (Schätzung)

unter 15

19.204

341

1,8

15 – 25

13.482

245

1,8

25 – 45

41.133

918

2,2

45 – 65

17.094

3.586

21,0

65 und älter

5.967

3.676

61,6

Gesamt

96.880

10.091

10,4

Stand: 31.12.2011, Quellen: Einwohnermelderegister und eigene Berechnungen

Die Grenzen der amtlichen Behindertenstatistik liegen in der Erfassungsmethode: Als „behindert“ klassifiziert werden all jene Menschen, die einen anerkannten Grad der Behinderung besitzen. Diese müssen dies beim zuständigen Versorgungsamt, in Berlin also dem Landesamt für Gesundheit für Soziales, beantragt haben. Unter Bezugnahme auf die nur ausschnitthaft skizzierten Beispiele für Behinderungen, die amtlich anerkannt werden können (vgl. Tab. 2.1-1) kann davon ausgegangen werden, dass die Zahl der Menschen im Bezirk, die eine körperliche, geistige oder seeli18

sche Beeinträchtigung vorweisen, die bei Begutachtung zu einem anerkannten Grad der Behinderung führen würde, in Wahrheit höher ist, als über die amtliche Statistik berichtet wird. Behinderung ist somit kein Thema, welches lediglich eine kleine Bevölkerungsgruppe mit wesentlichen körperlichen, geistigen und seelischen Beeinträchtigungen beträfe. Vielmehr kann angenommen werden, dass die Voraussetzungen für die Anerkennung eines Grades der Behinderung bei einem wesentlich höheren Bevölkerungsanteil zutreffen dürften. Dies hat nicht nur finanzielle Auswirkungen, sondern unterstreicht, dass Inklusion eine Aufgabe ist, die breite Bevölkerungsgruppen betrifft. 2.2.3 Ergänzung: Bezirkliche Behindertenstatistik 2012 Aus organisatorischen Gründen konnte für die vorangegangene Auswertung der amtlichen bezirklichen Behindertenstatistik nicht auf die Daten des Jahres 2012 zurückgegriffen werden. Diese wurden erst im Zuge der Fertigstellung des vorliegenden Berichtes zur Verfügung gestellt. An dieser Stelle soll der Vollständigkeit halber dennoch ein zentrales Ergebnis der aktualisierten bezirklichen Behindertenstatistik grafisch präsentiert werden: der Anteil an Menschen mit Behinderungen nach Bezirksregionen. Die Zahl der Menschen mit Behinderungen im Jahr 2012 ist mit 28.274 um etwa 6 % niedriger als die Gesamtzahl des Jahres 2011. Der Grund hierfür besteht zum einen in einem Datenabgleich, den das Landesamt für Gesundheit und Soziales im Jahr 2012 beim Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (LABO) vorgenommen hat. Zum anderen werden die Wohnadressen der Menschen mit Behinderung beginnend mit der Erfassung mit Stand 31.12.2012 nunmehr eindeutig zu lebensweltlich orientierten Räumen (LOR) zugeordnet. Bis dahin wurden die Personen über die Postleitzahl zu Bezirken zugeordnet, was zu Überschätzungen in der Häufigkeit bzw. Mehrfachzählungen im Vergleich zwischen den Bezirken geführt hat. Eine Diskussion der unterschiedlichen Behinderungsraten in den Bezirksregionen wird im Spezialbericht zur Auswertung der Behindertenbefragung erfolgen, der im I. Quartal 2014 vorgelegt werden wird.

19

Abbildung 2.2-7: Menschen mit Behinderung: Anteile an der Bevölkerung in Bezirksregionen, Friedrichshain-Kreuzberg 15,10%

Lebensweltlich orientierter Raum

020101 - Südliche Friedrichstadt 10,27%

020202 - Tempelhofer Vorstadt

12,03%

020303 - nördliche Luisenstadt 9,52%

020304 - südliche Luisenstadt

13,82%

020405 - Karl-Marx-Allee-Nord 6,66%

020506 - Frankfurter Allee Nord

12,96%

020407 - Karl-Marx-Allee-Süd 6,16%

020508 - Frankfurter Allee Süd

10,49%

Bezirk Gesamt 0%

2%

4%

6%

8%

10%

12%

14%

16%

18%

20%

Anteil MmB an EW

Stand: 31.12.2012, Quelle: Bezirkliche Behindertenstatistik, eigene Darstellung

2.2.4 Ausgewählte Ergebnisse der amtlichen Schwerbehindertenstatistik In Berlin wiesen am 31.12.2011 345.414 Menschen eine anerkannte schwere Behinderung auf. Im Rückblick über 10 Jahre stellt sich diese Zahl zunächst als weitgehend konstant dar – was aber nicht der Realität entspricht. Denn zwischenzeitlich ist ein Datenabgleich des Amtes für Statistik mit dem Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten erfolgt, der zu einem „Einbruch“ der Behindertenzahlen geführt hat. Seit diesem Abgleich sind die Zahlen der Menschen mit schwerer Behinderung berlinweit erheblichen angestiegen – seit 2005 um etwa 12 %. Aus diesem Grund sollten Zeitreihenbetrachtungen über einen längeren Zeitraum nicht weiter als bis in das Jahr 2005 zurückreichen.

Tabelle 2.2.-8:

Menschen mit schwerer Behinderung 2001-2011, Berlin Veränderung in %

Schwerbehinderte Menschen

2001

insgesamt

2003

2005

2007

2009

2011 seit 2001

seit 2005

345.724 326.323 308.765 333.733 342.968 345.414

-0,1

11,9

davon männlich

154.204 148.690 141.824 153.713 157.548 158.464

2,8

11,7

davon weiblich

191.520 177.633 166.941 180.020 185.420 186.950

-2,4

12,0

Stand: 31.12.2011, Quelle: Amtliche Schwerbehindertenstatistik, eigene Berechnungen

20

Die Entwicklungen der Altersstruktur der Menschen mit Schwerbehinderungen in Berlin zeigen, dass die Zunahme der Behindertenzahlen speziell durch altersspezifische Zunahmeraten erklärt werden können. Vor allem in den höchsten Altersgruppen können absolut und relativ gesehen die stärksten Zuwächse verzeichnet werden (vgl. Tabelle A 2 im Anhang). Ein Drittel der Bevölkerung im Alter von 65 Jahren und älter hat in Berlin wie auch im Bezirk eine schwere Behinderung (Tab. 2.2-9). Im Vergleich zur Gesamtstadt fällt im Bezirk ein insgesamt etwas geringerer Anteil an Menschen mit schweren Behinderungen auf, welcher offenbar durch deren unterdurchschnittliche Anteile in den Altersgruppen bis 45 Jahre erklärt werden kann. Was die genauen Gründe dafür sind – eine durchschnittlich gesündere junge Bevölkerung oder eine größere Mobilität der jüngeren Bevölkerungsgruppen – ist aus den Daten nicht abzuleiten.

Tabelle 2.2-9: Altersgruppen von … bis unter … Jahren

Altersverteilung Menschen mit schwerer Behinderung, innerhalb ihrer Altersgruppe und Gesamtbevölkerung (Berlin), 2011 Bevölkerung Darunter Schwerbehinderte in AltersDarunter Friedrichshain-Kreuzberg gruppen, Berlin Anzahl

Anteil an Altersgruppen, Berlin

Bevölkerung Anzahl in AltersSchwerbegruppen hinderte

Anteil an Altersgruppen

unter 15

429.775

5.159

1,2

34.032

391

1,1

15 – 25

358.749

6.210

1,7

29.572

384

1,3

25 – 45

1.040.118

28.310

2,7

118.376

2.175

1,8

45 – 65

947.506

114.497

12,1

56.954

6.480

11,4

65 und älter

650.966

191.238

29,4

26.427

8.124

30,7

Insgesamt

3.427.114

345.414

10,1

265.361

17.554

6,6

Stand: 31.12.2011, Quelle: Amtliche Schwerbehindertenstatistik, Einwohnermelderegister, eigene Berechnungen

Im Zeitverlauf zeigt sich ferner, dass die Zunahme von schweren Behinderungen seit dem Jahr 2005 überproportional durch schwere Behinderungen ab 70 GdB erklärt werden kann (Tab. 2.2-10). Da nicht nur das Risiko für eine schwere Behinderung, sondern auch der Grad der Behinderung mit dem Alter positiv zusammenhängt, muss mit steigender Lebenserwartung und steigendem Altersquotienten in der Berliner und FriedrichshainKreuzberger Bevölkerung künftig von einer weiteren Zunahme von schweren und schwersten Behinderungen ausgegangen werden. Dabei ist zu erwarten, dass vor

21

allem die Behinderungsarten weiter zunehmen werden, welche bereits heute zu den häufigsten in der Bevölkerung gehören.

Tabelle 2.2-10:

Menschen mit schwerer Behinderung nach Grad der Behinderung, 2005-2011, Berlin

Grad der Behinderung

Jahr

Veränderung

von … bis unter ...

2005

2007

2009

2011

in %

50 – 60

100.700

108.351

109.200

109.249

8,5

60 – 70

54.814

59.613

61.116

61.076

11,4

70 – 80

40.449

43.640

44.828

45.423

12,3

80 – 90

39.466

42.141

44.054

44.660

13,2

90 – 100

16.976

18.535

19.461

19.899

17,2

100

56.360

61.453

64.309

65.107

15,5

Insgesamt

308.765

333.733

342.968

345.414

11,9

Stand: 31.12.2011, Quelle: Amtliche Schwerbehindertenstatistik, eigene Berechnungen

Tabelle 2.2-11 gibt die Entwicklung der schwersten Behinderungsart im Zeitverlauf seit 2005 wieder. Die höchste Zuwachsrate zeigt sich für schwere Behinderungen aufgrund von „Verlust einer Brust oder beider Brüste bzw. anderer Entstellungen“ 10 , allerdings ist damit nur eine geringe Zunahme der relativen Häufigkeit dieser Oberkategorie verbunden (vgl. hierzu auch Tab. 2.2-11). Signifikant – sowohl was den relativen Anteil an der Gesamtverteilung als auch die relative Zunahme seit 2005 betrifft – ist hingegen die Zunahme der Querschnittslähmungen, zerebralen Störungen 11 , geistig-seelischen Behinderungen und Suchtkrankheiten. Für den Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg zeigt dieses, dass diese Behinderungen voraussichtlich auch in Zukunft in den Fokus der bezirklichen Behindertenpolitik gerückt werden müssen. Damit einhergehend muss von weiter steigenden Kosten im Bereich der bezirklichen Eingliederungshilfe ausgegangen werden. Bereits jetzt stellt diese Gruppe der Behinderungen nach den Störungen der Funktion von inneren Organen bzw. Organsystemen – wozu auch Störungen des Herz-Kreislaufsystems in wesentlichem Ausmaß zählen – die größte definierte Gruppe von Behinderungen dar.

10

So die Bezeichnung in der amtlichen Statistik

11

Der Terminus bezieht sich auf Störungen, die vom Gehirn ausgehen.

22

Tabelle 2.2-11:

Menschen mit schwerer Behinderung nach Art der schwersten Behinderung, 2005-2011, Berlin

Art der schwersten Behinderung

Jahr

Reihenfolge auf der Grundlage 2011

Veränderung

2005

2007

2009

2011

Verlust oder Teilverlust von Gliedmaßen

0,8

0,7

0,6

0,5

-37,5 %

Sprach- oder Sprechstörungen, Taubheit, Schwerhörigkeit, Gleichgewichtsstörungen

3,6

3,5

3,6

3,7

2,8 %

Verlust einer Brust oder beider Brüste, Entstellungen u. a.

2,4

3

3,5

3,8

58,3 %

Blindheit und Sehbehinderung

5,1

4,9

4,9

4,9

-3,9 %

Funktionseinschränkung von Gliedmaßen

10,8

10,9

11,1

11,1

2,8 %

Sonstige ungenügend bezeichnete Behinderungen

11,7

12,1

11,4

11,8

0,9 %

Funktionseinschränkung der Wirbelsäule und des Rumpfes, Deformierung des Brustkorbes

15,9

15,5

14,8

13,6

-14,5 %

Querschnittlähmung, zerebrale Störungen, geistig-seelische Behinderungen, Suchtkrankheiten

19,1

20,4

21,8

23,0

20,4 %

Beeinträchtigung der Funktion von inneren Organen bzw. Organsystemen

30,6

29

28,2

27,6

-9,8 %

Stand: 31.12.2011, Quelle: Amtliche Schwerbehindertenstatistik, eigene Berechnungen

Entscheidend für die Lebensqualität von Menschen mit Behinderungen ist jedoch nicht nur die Art und Schwere der Behinderung, sondern auch, wie viele weitere Behinderungen mit der schwersten Behinderung einhergehen.

Tabelle 2.2-12:

Anteil der Menschen mit schweren Behinderungen mit einer bzw. zwei oder mehreren weiteren Behinderungen Insgesamt

Darunter mit mehreren Behinderungen eine weitere

Schwerbehinderte

zwei oder mehr weitere

Anzahl

Anzahl

Anteil in %

Anzahl

Anteil in %

345.414

122.697

35,52

50.521

14,63

Stand: 31.12.2011, Quelle: Amtliche Schwerbehindertenstatistik, eigene Berechnungen

Insgesamt sind mehr als ein Drittel der Menschen mit schweren Behinderungen von einer weiteren Behinderung betroffen und ein Sechstel hat drei Behinderungen oder mehr (Tab. 2.2-12).

23

Der weitläufigen Meinung, eine Behinderung sei eine Art angeborenes Schicksal, dem man kaum entgehen könne, lässt sich eine altersspezifische Aufstellung der Ursachen der jeweils schwersten Behinderung entgegenhalten (vgl. Tab. 2.2-13): Insgesamt sind weniger als 2 % der Behinderungen angeboren. Die überwiegende Mehrheit der Ursachen für eine schwere Behinderung liegt in einer allgemeinen Krankheit bzw. einem Impfschaden. Ein knappes Drittel der Ursachen werden gutachterlich nicht genauer spezifiziert. Darunter dürfte vermutlich ein maßgeblicher Anteil auf Suchterkrankungen und geistig-seelische Störungen entfallen, für deren Manifestation nach herkömmlicher Meinung multifaktorielle, psychische und soziale Umstände ausschlaggebend sind, welche allerdings kaum monokausal bestimmbar sind. 12

Tabelle 2.2-13:

Ursachen der schwersten Behinderung (anerkannt schwere Behinderung), Berlin

Ursache der schwersten Behinderung

Anteil in %

Anzahl

Darunter im Alter von ... bis unter ... Jahren (in %) unter 15

15 - 25

25-45

45-65

65 und mehr

Angeborene Behinderung

1,7

5.909

20,0

15,8

6,6

1,4

0,3

Unfall

0,7

2.588

0,2

0,5

1,1

0,9

0,6

Anerkannte Kriegs-, Wehrdienstoder Zivildienstbeschädigung

0,7

2.376

0,0

0,2

0,4

0,3

1,0

Allgemeine Krankheit Impfschaden)

68,4

236.424

53,9

57,3

65,5

68,3

69,7

Sonstige, mehrere oder ungenügend bezeichnete Ursachen

28,4

98.117

25,9

26,3

26,4

29,2

28,4

Gesamt

100,0

345.414

100,0

100,0

100,0

100,0

100,0

(einschl.

Stand: 31.12.2011, Quelle: Amtliche Schwerbehindertenstatistik, eigene Berechnungen

Da mit schweren Behinderungen in der Regel erhebliche Beeinträchtigungen der Lebensqualität einhergehen, ist es von grundsätzlicher Bedeutung, ob diese verhindert werden können. Wenn man nur auf die Unterscheidung in „angeborene“ und „nicht angeborene“ Behinderung zurückgreift, so wären demnach über 95 % der Behinderungen vermeidbar. Für die bezirkliche und landesweite Behindertenpolitik ist somit nicht nur die Frage der Inklusion von Menschen mit Behinderungen relevant. Genauso wichtig ist der Ausbau der Gesundheitsförderung und Prävention, um vermeidbaren Behinderun-

12

In der Diskussion zu den Ursachen von Suchterkrankungen spielen z. B. auch hirnorganische Faktoren eine Rolle.

24

gen, welche sich, wie gezeigt, überporportional stark in den Altersgruppen ab 65 Jahren ballen, nach Möglichkeit primärpräventiv zu begegnen. Ferner bleiben Suchterkrankungen und psychische Erkrankungen jetzt und zukünftig ein wichtiger Handlungsbereich für die bezirkliche Gesundheits- und Behindertenpolitik. 2.2.5 Soziale Lage und Behinderung Aus den Statistiken lassen sich keine Aussagen darüber treffen, ob Behinderung sozial ungleich verteilt ist. Allerdings gilt es als unumstritten, dass mit ungünstiger soziökonomischer Lage das Risiko für Behinderung steigt. Auf eine Formel gebracht: „Behindert wird vor allem der, der arm ist, und wer behindert ist, wird arm. Behinderung und Armut sind eng miteinander verflochten.“ 13

2.3

Das Wichtigste in Kürze

 Behinderung ist kein Thema, das nur eine kleine Bevölkerungsgruppe mit wesentlichen körperlichen, geistigen und seelischen Beeinträchtigungen beträfe. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Voraussetzungen für die Anerkennung eines Grades der Behinderung bei einem wesentlich höheren Bevölkerungsanteil zutreffen dürften.  Über 95 % der Behinderungen sind theoretisch vermeidbar, weil „nicht angeboren“. Dies unterstreicht die Bedeutung von Gesundheitsförderung und Prävention.  Ein Zehntel der Bevölkerung in Friedrichshain-Kreuzberg hat eine anerkannte Behinderung ab 20 GdB.  Mehr als zwei Drittel der Menschen mit Behinderung im Bezirk haben einen Grad der Behinderung von 50 GdB oder mehr und damit Anspruch auf einen Schwerbehindertenausweis.  Bei Menschen mit einer ausländischen Staatsangehörigkeit sind Behinderungen insgesamt geringfügig häufiger anerkannt als bei Deutschen ohne Migrationshintergrund.  Nach einer Schätzung hat etwa ein Drittel der Menschen mit Behinderung (dies entspricht etwa 10.000 Menschen) im Bezirk einen Migrationshintergrund.  Die Quote der Menschen mit Behinderungen nimmt mit dem Alter deutlich zu. Mehr als die Hälfte der über 65-jährigen und älteren Menschen haben eine Be-

13

Cloerkes, a. a. O., S. 99.

25

hinderung ab 20 GdB, ca. ein Drittel dieser Altersgruppe hat eine schwere Behinderung ab 50 GdB.  Die Zahl der Menschen mit schwerer Behinderung hat seit 2005 um etwa 12 % zugenommen. Diese Zunahme kann vor allem durch altersspezifische Zunahmeraten erklärt werden können. Vor allem in den höchsten Altersgruppen werden absolut und relativ gesehen die stärksten Zuwächse an Menschen mit schweren Behinderungen verzeichnet.  In den letzten Jahren haben schwere Behinderungen ab 70 GdB überdurchschnittlich stark zugenommen.  Die größte Gruppe bei den definierten Behinderungsarten – bezogen auf alle Grade der Behinderung – entfällt mit einer Häufigkeit von knapp 21 % auf die Beeinträchtigung der Funktion von inneren Organen. In dieser Gruppe stellt die „Beeinträchtigung der Funktion von Herz-Kreislauf“ die mit Abstand am weitesten verbreitete Einzeldiagnose dar.  Die zweithäufigste Gruppe der Behinderungsarten im Bezirk entfällt auf die Gruppe „Querschnittslähmungen, zerebrale Störungen, geistig-seelische Behinderungen, Suchterkrankungen“.  Es muss davon ausgegangen werden, dass die Zahl der Menschen im Bezirk, die eine körperliche, geistige oder seelische Beeinträchtigung vorweisen, die bei Begutachtung zu einem anerkannten Grad der Behinderung führen würde, höher ist, als über die amtliche Behindertenstatistik ausgewiesen.  Das öffentliche Bild von „Behinderung“ darf nicht auf Beeinträchtigungen reduziert werden, die Laien auf den ersten Blick leicht erkenn- und definierbar scheinen – wie die klassischen Behinderungsarten an Gliedmaßen, Ohren und Augen.  Die Zunahme der Querschnittslähmungen, zerebralen Störungen, geistigseelischen Behinderungen und Suchtkrankheiten ist erheblich – sowohl was den relativen Anteil an der Gesamtverteilung als auch die relative Zunahme seit 2005 betrifft.  Für den Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg weist dies darauf hin, dass jene Behinderungen künftig stärker fokussiert werden sollten. Dies betrifft nicht nur Schwerpunktsetzungen der Gesundheitspolitik, sondern auch den Umgang mit zu erwartenden Ausgabensteigerungen im Bereich der Eingliederungshilfe.

26

3

Inklusion aus Sicht der Bezirksverwaltung

3.1

Bildung und Erziehung

3.1.1 Kindertagesbetreuung im Vorschulalter Zuständigkeit Die gesetzliche Grundlage zur Bildung und Betreuung von Kindern mit Behinderung in Berliner Kindertagesstätten stellt das Kindertagesförderungsgesetz (KitaFöG) in seiner Fassung vom November 2011 dar. Nach den §§ 1 und 6 des KitaFöG darf keinem Kind mit Behinderungen die Aufnahme in eine Tageseinrichtung verwehrt werden. In der Regel sind Kinder mit Behinderungen gemeinsam mit anderen Kindern zu betreuen. Soweit besondere Gruppen für Kinder mit Behinderung erforderlich sind und ihre Eltern eine derartige Förderung wünschen, sind diese Gruppen nach Möglichkeit in Tageseinrichtungen einzurichten. Im Friedrichshain-Kreuzberg gibt es keine sogenannten „besonderen Gruppen“ in Kitas. Alle Kinder mit Behinderung können integrativ in Kitas oder einzelnen Kindertagespflegestellen betreut werden. In wenigen Fällen – für Kinder, die einer sehr intensiven pflegerischen und heilpädagogischen Förderung bedürfen – kann ein Platz in einer von vier Sonderkindertagesstätten im Land Berlin vermittelt werden. Eltern suchen sich in der Regel die Kindertagesstätte aus, die ihren Vorstellungen entspricht. Sie können sich dafür im Kinder- und Jugendgesundheitsdienst, im SPZ oder im Jugendamt beraten lassen. Nicht immer ist es die nächstgelegene Kindertagesstätte, die dem Bedarf des Kindes und Wünschen der Eltern entspricht und eine geeignete Förderung und Integration anbieten kann oder einen Platz frei hat. Für die notwendige medizinisch-therapeutische Begleitung und Betreuung der Kinder mit Behinderung in Integrationsgruppen der Kitas gibt es das berlinweite Netz von Kinder- und Jugendambulanzen/Sozialpädiatrischen Zentren (KJA/SPZ). Diese KJA/SPZ sind Einrichtungen in freier Trägerschaft (Kontakt über die Koordinationsstelle der KJA/SPZ des Sozialverbandes VdK Berlin-Brandenburg e.V.). Erreichtes In den letzten Jahren haben sich immer mehr Kindertagesstätten auf die Anforderungen eingestellt, welche sich mit integrativer bzw. inklusiver Arbeit verbinden. Ausschlaggebend dafür waren die Gesetzeslage in Berlin, welche die integrative Förderung als Regelfall vorsieht, die Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention 2009 in Deutschland und vergleichsweise günstige Rahmenbedingungen in Berlin zur Frühförderung von Kindern mit Behinderungen (regelhafte Zusammenarbeit der

27

Kitas mit Kinder- und Jugendambulanzen, Finanzierung zusätzlicher Personalanteile durch das Land). Zusätzlich wurden in Berlin verbindliche Arbeitsmaterialien und Angebote für die pädagogische Tätigkeit erstellt. Dies sind im Wesentlichen:  Berliner Bildungsprogramm (gegenwärtig in Aktualisierung , u. a. zum Thema inklusive Arbeit ),  Handreichung zur Aufnahme und Betreuung von Kindern mit Behinderungen in Berliner Kindertagesstätten,  Berliner Förderplan,  vielfältige Weiterbildungsangebote für Fachkräfte durch die sozialpädagogische Fortbildungsstätte Glienicke und zahlreiche Vereine, Verbünde und medizinische Einrichtungen. Die entsprechenden Ausbildungskapazitäten sind in den vergangenen Jahren in Berlin ausgebaut worden, sodass immer mehr der Beschäftigten in den Kitas über die zusätzliche Qualifikation verfügen oder sich in Ausbildung befinden. Somit gibt es aus heutiger Sicht bereits langjährige Erfahrungen in der gemeinsamen Betreuung von Kindern mit und ohne Behinderung. Für die Betreuung von Kindern mit Behinderung stellt die Kita zusätzliches sozialpädagogisches Fachpersonal im Umfang von 0,25 Stellen (erhöhter Förderbedarf) bzw. 0,5 Stellen (wesentlich erhöhter Förderbedarf) je Kind zur Verfügung. Eine zusätzliche Qualifikation als Heilpädagoge oder Heilpädagogin, ein vergleichbarer Berufsabschluss bzw. der Abschluss eines anerkannten Zertifikatskurses zum Facherzieher oder zur Facherzieherin für Integration ist Voraussetzung für die Tätigkeit. Zu den wesentlichen Rahmenbedingungen und Qualitätsstandards für die Betreuung von Kindern mit Behinderungen in Integrationsgruppen gehören:  gemeinsame Lernangebote für Kinder mit und ohne Behinderung,  Kooperation mit Eltern, regelmäßige Elterngespräche über Entwicklungsverläufe,  Betreuung von Kindern unterschiedlichster Behinderungen und Schweregrade,  Beratung des pädagogischen Personals durch Therapeut(inn)en und Psycholog(inn)en der Kinder- und Jugendambulanzen,  Therapie in Kleingruppen, Einzeltherapie,  Dokumentation der Entwicklungsverläufe, Aufstellen von individuellen Förderplänen,  Hilfen beim Übergang vom Kindergarten zur Schule. Für die Absicherung der Qualität der Arbeit in der Kita ist der jeweilige freie Träger verantwortlich, der die Einrichtung betreibt. Er hat dazu mit dem Land Berlin eine 28

Rahmen- und Qualitätsvereinbarung abgeschlossen. Die Arbeit mit Kindern mit Behinderung kann nur auf Grundlage einer entsprechenden pädagogischen Konzeption der Kita erfolgen. Durch regelmäßige interne und externe Evaluationen wird der Qualitätsentwicklungsprozess begleitet. Bewährt hat sich die Zusammenarbeit zwischen den Kinder- und Jugendambulanzen (Kreuzberg: SPZ Zentrum für Kindesentwicklung, Friedrichshain: SPZ Integral), den klinikgebundenen SPZ (z. B. Vivantes Am Friedrichshain) und den Kindertagesstätten, um den spezifischen Bedarfen des Kindes, der Familie und der Kindergruppe immer besser gerecht zu werden. Hervorzuheben ist auch das Engagement einiger ambulant tätiger Therapeutinnen und Therapeuten, die enge Kontakte zu einzelnen Kindertagesstätten pflegen. Jugend- und Gesundheitsamt bemühen sich um eine gute Kooperation untereinander, mit Kitas und Gesundheits- und therapeutischen Einrichtungen. Ziel ist dabei u. a., Amtswege und bürokratische Hürden für betroffene Familien zu reduzieren. Kinder in Kindertagesstätten des Bezirks Im Jahr 2012 konnten alle Kinder mit Behinderungen mit einem Kitaplatz versorgt werden. Im Einzelfall hat die Suche und Vermittlung der passenden Einrichtung aber mehrere Wochen gedauert.

Tabelle 3.1-1:

Kinder in Kindertagesstätten am 30.06.2013, FriedrichshainKreuzberg Bezirk

Geburtsjahrgang 2006

2007

2008

2009

2010

2011

2012

2013

2.241

2.399

2.571

2.663

2.759

2.930

3.112

1.468

222

2.311

2.451

2.448

2.292

1.612

376

0

11.712

77

154

105

67

47

16

0

0

466

34,7

6,7

4,3

2,7

2,1

1,0

0,0

0,0

4,0

14

Einwohner insgesamt davon Kinder in Kitas davon Kinder mit Behinderung Anteil in %

Stand: 30.06.2013, Quelle: Jugendamt Friedrichshain-Kreuzberg

Der Gesamtanteil der Kinder mit Behinderungen im Bezirk hat seit 2007 kontinuierlich abgenommen. Das betrifft vor allem Kinder mit einer leichteren Behinderung und Entwicklungsverzögerung. Der Anteil von Kindern mit schwerwiegender Behinderung 14

Jahrgang 2006: Schulrücksteller

29

hingegen ist nahezu konstant geblieben. Die Ursachen für diese Entwicklungen werden vom zuständigen Fachdienst des Jugendamtes in Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsamt (Kinder- und Jugendgesundheitsdienst) herausgearbeitet.

Tabelle 3.1-2:

Kinder mit Behinderung in Kindertagesstätten, Entwicklung 12/2007 bis 06/2013, Friedrichshain-Kreuzberg Monat/Jahr 12/2007 12/2008 12/2009 12/2010 12/2011 12/2012 06/2013 Veränderung

Kinder mit Behinderung in Kitas (in %)

470

429

349

401

401

395

389

-17 %

(5,5)

(4,6)

(3,4)

(3,8)

(3,6)

(3,5)

(3,4)

Typ A 15

421

374

302

343

339

328

319

- 24 %

Typ B

49

55

47

58

62

67

70

+ 43 %

Stand: 30.06.2013, Quelle: Jugendamt Friedrichshain-Kreuzberg

Der folgenden Übersicht kann man die regionale Verteilung von Kindern mit Behinderungen im Bezirk Friedrichshain/Kreuzberg entnehmen.

Tabelle 3.1-3: BR

Kinder in Kindertagesstätten mit und ohne Behinderung nach Bezirksregionen, Friedrichshain-Kreuzberg

Kinder in Kitas

darunter

Anteil

darunter

Kinder mit Behinderung

in %

Typ A

Typ B

I

1.851

105

5,7

84

21

II

2.473

59

2,4

42

17

III

888

23

2,6

18

5

IV

1.065

31

2,9

26

5

V

925

46

5,0

41

5

VI

1.268

37

2,9

34

3

VII

859

39

4,5

33

6

VIII

2.161

49

2,3

41

8

Bezirk

11.490

389

3,4

319

70

Stand: 30.06.2013, Quelle: Jugendamt Friedrichshain-Kreuzberg

Überdurchschnittlich hohe Anteile an Kindern mit Behinderungen in Kitas finden sich in der Kreuzberger Bezirksregion I „Südliche Friedrichstadt“ sowie in den beiden

15

Typ A: erhöhter Förderbedarf – Typ B: wesentlich erhöhter Förderbedarf

30

Friedrichshainer Bezirksregionen V „Karl-Marx-Allee Nord“ und VII „Karl-Marx-Allee Süd“. Herausforderungen, Handlungsempfehlungen Im Vergleich zum Bereich der schulischen Bildung (vgl. 3.1.2) kann die Kindertagesbetreuung im Vorschulalter im Land Berlin für Kinder mit Behinderungen als gut aufgestellt gelten. Allerdings wirkt sich der Fachkräftemangel im Erzieherbereich natürlich auch auf die Integrationseinrichtungen aus. Als problematisch erweist sich ebenfalls die sehr hohe Platzauslastung. Der Anspruch der Eltern ist es, ihre Kinder möglichst in Wohnortnähe betreuen zu lassen. Damit kann eine durchschnittlich gute Platzsituation in Kindertagesstätten auf Ebene des Gesamtbezirks verdecken, dass es in den Sozialräumen zu einem Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage kommen kann. Außerdem belastet die hohe Platzauslastung auch die räumliche Situation vieler Kindertagesstätten. Die für Kleingruppen- und Therapieangebote erforderlichen zusätzlichen Raumkapazitäten sind aufgrund der enorm angestiegenen Kinderzahlen im Bezirk oft mit zusätzlichen Kindergruppen belegt. Der Ausbau von Tagesbetreuungsangeboten wird daher auch in den nächsten Jahren durch das Jugendamt und die Kitaträger mit hoher Priorität verfolgt. 3.1.2 Inklusive Schule in Friedrichshain-Kreuzberg Zuständigkeit und Handlungsspielräume Im Bereich der Rahmenbedingungen für ein inklusives Schulwesen besitzt der Bezirk nur bedingten Handlungsspielraum. Die unmittelbare Zuständigkeit des Schulamtes erstreckt sich vielmehr auf die Verwaltung, Erhaltung und Entwicklung der Schulgebäude. Damit ist der Bezirk zuständig für die baulichen Rahmenbedingungen der Inklusion im Schulbereich. Dies betrifft nicht nur den barrierefreien Zugang, sondern auch die Anpassung der räumlichen Gegebenheiten in der Schule an die Zahl der Schülerinnen und Schüler und die Bedürfnisse von Lehrkräften, dem Erziehungspersonal sowie den Schülerinnen und Schülern mit und ohne Behinderungen. Zuständig für die inhaltliche Entwicklung der Schulen zu inklusiven Schulen ist die regionale Schulaufsicht, welche als Landesbehörde bei der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft angesiedelt ist. Die Ausgestaltung dieses Entwicklungsprozesses erfolgt im Benehmen zwischen dem Schulamt und der regionalen Schulaufsicht unter Beachtung der jeweiligen Rahmenbedingungen. Dabei ist es auch hier die Aufgabe des Schulamtes, ein adäquates Schulplatzangebot sicherzustellen. Die Vergabe von Schulplätzen für Kinder mit Behinderungen hingegen wird bei der Senatsverwaltung koordiniert.

31

Derzeit werden im Rahmen einer Arbeitsgruppe, an welcher ebenfalls die bezirklichen Schulämter beteiligt werden sollen, die Musterraumprogramme für Berliner Schulen im Hinblick auf die Anforderungen einer inklusiven Schule weiterentwickelt. Erreichtes Im Bezirk sind derzeit Schwerpunktschulen in Planung. In Kreuzberg und in Friedrichshain werden Schwerpunktschulen geplant für Schüler und Schülerinnen mit Körper- und Sinnesbehinderungen und Autismus. Auch für Schülerinnen und Schüler mit Mehrfachbehinderungen in den Förderstufen 1 und 2, welche einen besonders hohen Unterstützungsbedarf haben, wird aktuell eine Schwerpunktschule geplant. Im Ortsteil Kreuzberg wurde mit dem Schuljahr 2012/2013 die NiederlausitzGrundschule (Regelschule) mit der Paul-Dohrmann-Schule (Grundschule und Förderzentrum „Lernen“) zur inklusiven „Rosa-Parks-Grundschule“ fusioniert. Das Schulamt begleitete diesen Weg, der formal in einer Neugründung dieser neuen Grundschule mündete. Im Ortsteil Friedrichshain werden die Bernhard-Rose-Schule (Förderzentrum für Kinder mit Sprachentwicklungsstörung) und die Blumen-Schule (Regelschule) zu einer inklusiven Schule zusammengelegt. Diese Schulen sind die ersten Schulen, die sich im Bezirk auf den Weg der Inklusion begeben haben. Weitere Schulen werden folgen. Eine Barrierefreiheit nach § 4 des Gesetzes zur Gleichstellung behinderter Menschen und eine rollstuhlgerechte Ausstattung sind nach Einschätzung des Bezirkes mit Einschränkungen an fünf Schulstandorten des Bezirks gegeben. Von der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft werden 47 Schulen im Bezirk (einschl. privater Schulen) als „behindertengerecht“ eingestuft – ohne Angabe über die zugrunde liegenden Merkmale. 16 Herausforderungen Die Gestaltung der Schulen als inklusive Schulen ist ein Prozess, den der Bezirk – wie beschrieben – vor allem im Bereich der baulichen Rahmenbedingungen direkt beeinflussen kann und muss. Die Verantwortung für den Personalbedarf und die inhaltlichen Konzepte hingegen liegt bei der zuständigen Senatsverwaltung. Diese kann den Prozess der Fusionierung zu einer inklusiven Schule auch durch eine begleitende Schulentwicklungsberatung befördern. Diese Begleitung kann nicht nur bzgl. der inhaltlichen Schwerpunktsetzung und Gestaltung des Schulalltages sinnvoll sein. Schülerinnen und Schüler müssen sich neu einstellen – ein neuer Standort und neue Klassenzusammensetzungen fordern Offenheit und Flexibilität. Gleiches gilt für Eltern, die sich an neue Routinen und eine möglicherweise andere Alltagsplanung

16

Vgl. URL: http://www.berlin.de/sen/bildung/schulverzeichnis_und_portraets/anwendung/, Zugriff am: 30.09.2013

32

gewöhnen müssen. Nicht zuletzt ist das pädagogische Personal von der Leitung bis zu den Sekretariaten und Hausmeisterdienstleistenden gefragt, wenn es gilt, einen solchen Prozess erfolgreich zu gestalten. Die Entstehung der „Rosa-Parks-Schule“ kann diesbezüglich als gutes Beispiel angeführt werden. Eine weitere Herausforderung besteht in dem vielerorts maroden Zustand der bezirklichen Schulgebäude. Inklusion stellt somit neben inhaltlicher Neuorientierung in der Praxis – und vor allem in Friedrichshain-Kreuzberg – vor allem hohe Anforderungen an die Verbesserung der baulichen und räumlichen Strukturen. Mangels ausreichender Ressourcen können bauliche Rahmenbedingungen hierfür nur schrittweise angepasst werden. Die Finanzmittel des Bezirks reichen nicht aus, um Schulgebäude vollständig barrierefrei anzupassen, da der Hauptteil der Eigenmittel für notwendige Sicherungs- und Sanierungsarbeiten aufgewendet werden muss. Dennoch gibt es auch hier Erfolge vorzuweisen. So wurde in der „ModersohnGrundschule“ mit Förder- und Bezirksmitteln eine Lernwerkstatt für Schülerinnen und Schüler mit und ohne Behinderungen eingerichtet. Diese umfasst zwei ehemalige Klassenräume und beinhaltet mehrere Lerninseln. Auch wenn der Raum selbst bislang nicht barrierefrei erreichbar ist, so wurde der Anbau eines Fahrstuhls am Gebäude geprüft. Das Schulamt bemüht sich um finanzielle Förderung für den Anbau des Aufzugs. Sobald diese gesichert ist, wird die Lernwerkstatt auch barrierefrei zugänglich sein. Handlungsempfehlungen und Perspektiven Der Weg zur inklusiven Schule wird im Bezirk weiter gegangen. Sonderpädagogische Förderzentren sollen künftig mit Regelschulen stärker kooperieren oder fusionieren und zu inklusiven Schulen mit verschiedenen Förderschwerpunkten in den zu gründenden Lerngruppen entwickelt werden. Für diesen Prozess wird es im Schulamt als notwendig erachtet, die bezirklichen Schulgebäude dahingehend zu qualifizieren, dass der Weg der Inklusion erfolgreich begangen werden kann. Adäquate und inklusive schulische Bildungsangebote benötigen barrierefreie Schulen. Diese müssen hierfür nicht nur barrierefrei umgebaut werden. Der vielfach mangelhafte bauliche Zustand der Schulgebäude erfordert darüber hinaus eine grundsätzliche Sanierung. Diese sollten effizient geplant und aus einem Guss umgesetzt werden. Das Beispiel der Lernwerkstatt in der „Modersohn-Schule“ zeigt, dass es bei Umbaumaßnahmen in Schulgebäuden im Hinblick auf bessere Rahmenbedingungen für Inklusion einer weitgehenden Finanzplanung bedarf. Denn ein Kursraum ist erst dann barrierefrei, wenn er auch vollständig barrierefrei erreichbar ist. Dies schließt die sanitären Anlagen ein.

33

Die dafür benötigten Finanzmittel können nicht allein aus dem Bezirkshaushalt erbracht werden. Angezeigt scheint hier die Auflage eines finanziellen Sonderprogramms auf Landesebene. Vorstellbar wäre auch die Aufnahme in städtebauliche und weitere Förderprogramme des Bundes und der Länder im Hinblick auf eine inklusive Gestaltung von Sozialräumen. Angesichts der angespannten Haushaltslage ist es aus Sicht des Schulamtes erforderlich, dass die Entwicklung zur inklusiven Schule sowohl auf Landesebene als auch innerbezirklich als Prozess verstanden wird, der eine Kooperation verschiedenster Akteurinnen und Akteure fordert. Gewünscht wird eine fachübergreifende Koordinierung für diese Entwicklung, wie sie etwa bei den städtebaulichen Förderprogrammen (Städtebaulicher Denkmalschutz, Stadtumbau Ost) oder dem BundLänder Programm „Soziale Stadt“ erfolgreich wahrgenommen wird. Förderkulissen im Bezirk sollten nach Möglichkeit auf ihre Wirksamkeit in Bezug auf dieses (und andere) zentrale Anliegen hin geprüft und besser miteinander verzahnt werden. Exkurs: Inklusive Schule im Land Berlin 17 Mit seinem im Jahr 2011 vorgelegten „Gesamtkonzept Inklusive Schule“ verfolgt der Senat von Berlin u. a. das Ziel einer Umsteuerung der sonderpädagogischen Förderung in Berlin. Damit wird u. a. eine Erhöhung des Anteils der inklusiven Beschulung von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf in den Grund- und weiterführenden Schulen und eine Reduzierung der Anzahl von Förderzentren unter Berücksichtigung der Gewährleistung des Elternwahlrechts verbunden. In den Bezirken sollen ferner inklusive Schwerpunktschulen im Bereich der Grundschulen und weiterführenden Schulen eingerichtet werden, um bessere Voraussetzungen der inklusiven Beschulung von Schülerinnen und Schüler mit schweren Behinderungen zu schaffen. Da die Vorlage des Gesamtkonzeptes viel Kritik erfahren hat und auch in Konsultationsrunden kein Konsens hergestellt werden konnte, wurde durch die Senatorin im Jahr 2011 der Beirat „Inklusive Schule in Berlin“ einberufen. Dieser legte im Frühjahr 2013 eine Empfehlung zur Umsetzung des Gesamtkonzepts „Inklusive Schule in Berlin“ vor. Die Empfehlungen des Beirats werden zur Zeit auf ihre Umsetzungsmöglichkeiten zum gegenwärtigen Zeitpunkt und in der Zukunft geprüft. Der Bezirk teilt die Schlussfolgerungen des Beirats 18 und unterstreicht, dass für die Umsetzung einen Inklusionskonzeptes die erforderlichen Ressourcen für die innere

17

Das Gesamtkonzept und die Empfehlungen des Beirats sind online verfügbar. Vgl. URL: http://www.berlin.de/sen/bildung/bildungspolitik/inklusive-schule/, Zugriff am: 30.09.2013

18

Vgl. die Beantwortung der Schriftlichen Anfrage SA/125/IV der BVV Friedrichshain-Kreuzberg vom 28.05.2013. URL: http://www.berlin.de/ba-friedrichshain-kreuzberg/bvvonline/allris.net.asp, Zugriff am: 30.09.2013

34

und äußere Gestaltung bereitgestellt werden müssen. Problematisch erscheint indes die Empfehlung, auf Ausnahmeregelungen zu verzichten, solange nicht auch die personellen, sächlichen oder organisatorischen Voraussetzungen geschaffen wurden. 3.1.3 Offene Kinder und Jugendarbeit Die Kinder- und Jugendfreizeiteinrichtungen im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg bieten ein vielfältiges Angebot für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene. In jeder der acht Regionen des Bezirks befindet sich mindestens eine Freizeiteinrichtung für Kinder und eine für Jugendliche. In beiden Ortsteilen gibt es außerdem ein Mädchenzentrum. 19 Grundsätzlich richten sich Angebote der Kinder- und Jugendarbeit an alle Kinder, Jugendlichen und junge Erwachsenen – ohne Bezugnahme auf deren soziale Situation, ethnische oder kulturelle Zugehörigkeit, sexuelle Orientierung, Bildung oder einer Art der Behinderung. Dieser hohe Anspruch an die Offenheit der Angebote stellt hohe Anforderungen an die Teams. Die Orientierung am Grundsatz der Selbstbestimmung und Mitgestaltung durch die Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen stellt die Angebote vor besondere Herausforderungen und zeigt Grenzen auf. Die offene Kinder- und Jugendarbeit steht damit vor der gleichen Frage, die an die Gesamtgesellschaft gerichtet ist: „Wie ist Inklusion möglich?“ Die Einrichtungen der Kinder- und Jugendarbeit im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, die durch das Jugendamt gefördert werden, stellen sich dieser Frage. Sie arbeiten mit dem Ziel einer inklusiven Gestaltung all ihrer Angebote. Dabei gilt es, die Differenz von „normal“ und „behindert“ aufzulösen und grundsätzlich von einer Verschiedenheit von Gruppen auszugehen. Teams der offenen Kinder- und Jugendarbeit, die den inklusiven Gedanken leben, konfrontieren sich in ihrer Arbeit mit den wichtigen Leitfragen:  Wie offen sind wir für verschiedene Lebensformen?  Fühlen sich alle Kinder wohl?  Werden alle Kinder gleichermaßen gefördert?  Werden Unterschiede als Chancen für Spielen und Lernen wahrgenommen? Allerdings kann zusätzliches Personal, das als Ansprechmöglichkeit für die speziellen Bedürfnisse der jungen Menschen mit Behinderung zur Verfügung steht, von den

19

Ein Überblick über die Einrichtungen findet sich auf der Website: http://www.berlin.de/bafriedrichshain-kreuzberg/verwaltung/org/jugendamt/freizeiteinrichtungen.html, Zugriff am: 30.09.2013

35

meisten Einrichtungen noch nicht finanziert werden. Über das Stadtgebiet verteilt gibt es einige integrative Freizeitangebote freier Träger. Das sind z. B.  Integrationsprojekte, die offene Jugendarbeit für junge Menschen mit und ohne Behinderung anbieten,  Discoveranstaltungen in Jugendfreizeitheimen, die vor allem von jungen Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung als Ersatz für die kommerziellen Diskotheken besucht werden, die aber selbstverständlich auch Menschen ohne Behinderung offen stehen,  integrative Kursangebote unter dem Motto „Jugend im Museum“. 3.1.4 Musikschule Zuständigkeit Beim Fachbereich „Musikschule“ liegt die Zuständigkeit für die Vermittlung musikalischer Inhalte für die Allgemeinbevölkerung. Die Angebote erstrecken sich auf die Bereiche instrumentaler und vokaler theoretischer und praktischer Unterricht. Dies erfolgt in der Regel durch individuelle Betreuung des pädagogischen Personals: der Einzelunterricht macht etwa 90 % des gesamten Unterrichtsangebots aus. Die Angebote der Musikschulen im Bezirk sind stark nachgefragt. Im Schnitt befinden sich 2.000 Interessierte für Kurse auf den Wartelisten. Von ca. 3.500 Schülerinnen und Schüler pro Jahr haben ca. 30 Kinder eine offensichtliche Behinderung. Zehn dieser Kinder werden in Integrationsgruppen beschult. Erreichtes Im Bereich der baulichen Voraussetzungen ist der Standort Mariannenplatz partiell barrierefrei. Die Zweigstelle Friedrichshain in der Zellestraße ist nach Umbaumaßnahmen im Bereich des Saales barrierefrei. Die Musikschule hat einen eigenen Fachbereich „Musik für Menschen mit Behinderungen“, welcher einmalig in Berlin ist. Die Arbeit mit Kindern mit Behinderung fand insbesondere durch das Engagement des Bereiches der musikalischen Früherziehung Eingang in die Musikschule. Betreut wird dieser Fachbereich durch eine Lehrkraft mit Zusatzqualifikation für Kinder mit Autismus. Herausforderungen Die Standorte Mariannenplatz und Cellestraße sind zwar teilweise barrierefrei, allerdings betrifft dies nicht alle Etagen. Neben den baulichen Gegebenheiten, die in erster Linie am finanziellen Rahmen für Umbaumaßnahmen scheitern, wird seitens des Fachbereichs ein Mangel an Kapazitäten für eine gezielte musikalische und vokale Förderung von Menschen mit Behinderungen gesehen. 36

Als erhebliche Barriere für die Wahrnehmung der Angebote der Musikschule gilt die Entgeltpflichtigkeit der Angebote. Die Internetpräsenz der Musikschule 20 ist ansprechend und gut sortiert gestaltet, aber bislang nicht barrierefrei. Handlungsempfehlungen und Perspektiven Der Fachbereich wünscht sich, dass Angebote für Menschen mit Behinderungen ausgebaut werden. Dafür werden auch entsprechende personelle Kapazitäten gefordert. Je nach Art der Behinderung werden dafür spezialisierte Fachkräfte benötigt. Einer intensiveren Zusammenarbeit mit Institutionen für Menschen mit Behinderungen steht der Fachbereich offen gegenüber. Es besteht eine Zusammenarbeit mit dem „Gehörlosen-Kindertheater“ im Bethanien. 3.1.5 Volkshochschule Zuständigkeit und Handlungsspielräume Die Zuständigkeit für den Bereich Erwachsenenbildung liegt in der Bezirksverwaltung im Amt für Weiterbildung und Kultur, Fachbereich „Volkshochschule“. Angebote der Volkshochschule im Bezirk richten sich an Jugendliche und Erwachsene ab 15 Jahren, werden aber erfahrungsgemäß am stärksten von Erwachsenen nachgefragt. Menschen mit Behinderungen nutzen regelmäßig die Angebote. Erreichtes Von den beiden Standorten der VHS ist der Standort in der Frankfurter Allee barrierefrei zu erreichen. Auf dem Gelände des Standortes Kreuzberg (Wassertorstraße) befindet sich jedoch ein Pavillon, der barrierefrei erreichbar ist und ebenfalls über behindertengerechte Toiletten verfügt. Die Angebote der Volkshochschule sind im Internet barrierefrei eingestellt. Herausforderungen Aufgrund der Anforderungen des Denkmalschutzes wird der Standort in der Wassertorstraße im Ortsteil Kreuzberg laut Auskunft des Fachbereiches nicht barrierefrei gestaltet werden können. Aufgrund der Einschränkungen von Menschen mit körperlichen Behinderungen sind insbesondere die Sportkurse an der bezirklichen VHS nur eingeschränkt für Menschen mit Behinderungen zugänglich.

20

URL: http://ms-fk.de/Musikschule/index.php, Zugriff am: 30.09.2013

37

Bemängelt wird vom Fachbereich, dass es keine bzw. nur mangelhafte Fortbildungsangebote für die Lehrkräfte der VHS im Bereich Inklusion gibt. Dies liegt nicht nur an finanziellen Engpässen. Bemerkt wird darüber hinaus ein Mangel an qualifiziertem Fachpersonal für die Ausbildung der Volkshochschuldozentinnen und -dozenten. Das Thema „Inklusion“ ist ein noch recht junges Konzept für die kommunale Erwachsenenbildung. Auf dem XII. Deutschen Volkshochschultag vom Mai 2011 verabschiedeten die Deutschen Volkshochschulen ein neues Grundsatzprogramm, welches Inklusion als eines der Leitbilder der Erwachsenenbildung formuliert. Handlungsempfehlungen und Perspektiven Wie in anderen Bereichen des Verwaltungshandelns gilt auch hier, dass Möglichkeiten zur Umsetzung von Inklusion an den Stellen, wo sie sehr voraussetzungsvoll sind, an knappen öffentlichen Kassen zu scheitern drohen. Vor diesem Hintergrund werden Schritte zu mehr Inklusion in der Erwachsenenbildung oft dort erfolgreich begangen, wo die Kommune mit Partnerinnen und Partner aus dem Bereich der freien Träger der Behindertenhilfe neue Kooperationen eingeht. Anfang 2013 fand im Berliner Bezirk Spandau eine Fortbildungsveranstaltung „Inklusive Erwachsenenpädagogik – eine Einführung für Dozent(inn)en in der Erwachsenenbildung“ statt. Die Veranstaltung wurde organisiert vom Evangelischen Johannesstift in Zusammenarbeit mit der VHS Spandau. Die Fortbildungsreihe ist offen für Lehrkräfte aus allen Berliner Bezirken und wird vom Fachbereich VHS des Amtes für Weiterbildung und Kultur als modellhaft bewertet. Nach Möglichkeit sollte diese Form der Auseinandersetzung mit den Rahmenbedingungen für Inklusion in der Erwachsenenbildung intensiviert und auch im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg angeboten werden. Vor diesem Hintergrund ist ebenfalls das in Zusammenarbeit der Aktion Mensch und Berliner Volkshochschulen ins Leben gerufene Modellprojekt „Berliner Erwachsenenbildung inklusiv“ einzuordnen. Das Berliner Aktionsbündnis „Erwachsenenbildung inklusiv“ bietet auf der Homepage www.erw-in.de Weiterbildungsmöglichkeiten für Menschen mit Behinderungen an (Zugriff am 30.09.2013). Diese gemeinsamen Kurse sind ein guter Anfang, um Volkshochschulen fit für Inklusion zu machen. Der Bereich Volkshochschule des Bezirksamtes Friedrichshain-Kreuzberg hat 2013 die Kooperationserklärung unterschrieben. Zu beachten ist dabei jedoch, dass Angebote für Menschen mit Behinderungen nicht isoliert angeboten werden. Inklusion in der Volkshochschule setzt voraus, dass nach Möglichkeit alle Angebote für alle Interessentinnen und Interessenten gleichermaßen nutzbar sind. Dies wird im Bezirk erkannt. Die Voraussetzungen dafür zu schaffen ist eine wesentliche Herausforderung der kommenden Jahre, der sich der Fachbereich offensiv stellt.

38

3.1.6 Öffentliche Bibliotheken Zuständigkeit Die Aufgaben des Fachbereichs Bibliotheken (Amt für Weiterbildung und Kultur) liegen in der Informationsvermittlung, der Bereitstellung von Medien und Büchern sowie in der Förderung von Sprach-, Lese- und Medienkompetenz für alle Bürgerinnen und Bürger des Bezirks. Die Bibliotheken stellen dazu Medien unterschiedlicher Arten bereit und bieten Dienstleistungen sowie Veranstaltungen an, die allen Menschen mit und ohne Behinderungen zur Verfügung stehen. Erreichtes Das bezirkliche Bibliotheksnetz besteht aus fünf öffentlich zugänglichen Standorten und einer Schulbibliothek in der Carl-von-Ossietzky-Oberschule. In den Jahren 2010/2011 erfolgten Baumaßnahmen, um zwei Standorte u. a. barrierefrei zu gestalten. Die Bezirkszentralbibliothek erhielt in einem umgebauten ehemaligen Schulgebäude in der Frankfurter Allee ihren neuen Standort. In der Mittelpunktbibliothek Adalbertstr. wurde der Eingangsbereich so umgebaut und erweitert, dass ein barrierefreier Zugang geschaffen werden konnte. Der Standort Oranienstraße und die Schulbibliothek sind ebenfalls barrierefrei. Ein Informationsflyer über die Angebote der Bezirksbibliotheken in leichter Sprache steht ab September 2013 zur Verfügung. Darüber hinaus sind die technischen Rahmenbedingungen in den vergangenen Jahren grundlegend modernisiert worden und werden auch weiterhin an die Bedürfnisse der Kundinnen und Kunden angepasst. Die Selbstverbuchung der Ausleihe wird überwiegend positiv aufgenommen. Die Geräte sind höhenverstellbar, sodass die Ausleihe auch für Menschen mit einer körperlichen Einschränkung möglich ist. Für Menschen mit einer Sehbehinderung wird eine kontrastreichere Darstellung des Bildschirms umgesetzt. Für blinde Benutzerinnen und Benutzer wird eine Umsetzung mit Sprachausgabe angestrebt. Ergänzend zu den Selbstverbuchungsautomaten wird in den Eingangbereichen der Bibliotheken Personal eingesetzt, welches allen Bibliotheksnutzern bei Problemen oder Fragen helfen. Großdruck- und Hörbücher für Menschen mit Sehbehinderung und für ältere Menschen sind verfügbar. Regelmäßig werden auch Weiter- und Fortbildungsveranstaltungen für die Bedarfe der Kundschaft mit Behinderung ausgerichtet.

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Herausforderungen Die Bibliotheken in der Dudenstraße und in der Glogauer Straße sind für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen (Rollstuhl) und Familien mit Kinderwagen aufgrund zahlreicher Stufen/Treppen nicht bzw. nur mit Hilfen erreichbar. Da die Gebäude den Richtlinien des Denkmalschutzes unterliegen, ist ein Umbau nicht ohne weiteres möglich. Der Standort Glogauer Straße ist diesbezüglich als besonders mangelhaft einzuschätzen. In der Dudenstraße wird mithilfe einer mobilen Rampe der Zugang über den Hintereingang ermöglicht. Handlungsempfehlungen und Perspektiven Der Fachbereich erkennt, dass sich Inklusion nicht in den baulichen Rahmenbedingungen erschöpft. Ebenso wichtig ist ein wertschätzender, offener und kommunikativer Umgang der Mitarbeitenden mit Benutzerinnen und Benutzern mit Behinderung. Vor diesem Hintergrund werden im Fachbereich (etwa) Fortbildungen im Hinblick auf die Kommunikation in leichter Sprache geplant. Die Angebote an entleihbaren Medien werden ständig aktualisiert und auf ihre Eignung für Menschen mit Sinnesbehinderungen hin geprüft, z. B. Hörbücher und ebooks. Auch das barrierefreie Internet wird ständig modifiziert und verbessert. Im Fachbereich werden auch die Entwicklungen in Bezug auf Inklusion an Kitas und Schulen aufmerksam beobachtet und die Angebote der Sprach- und Leseförderung kontinuierlich darauf abgestimmt. Ab Herbst 2013 wird in Kooperation mit Lebenshilfe Berlin in der Bezirkszentralbibliothek ein neues Angebot aufgebaut: Ein Sonderbestand an Büchern in leichter Sprache soll aufgebaut und ein Leseclub initiiert werden, der von Lebenshilfe Berlin betreut wird.

3.2

Arbeit und Beschäftigung

3.2.1 Integrationsamt und Berliner Integrationsfachdienste Integrationsamt Das Integrationsamt wirkt im Hinblick auf die Integration von Menschen mit schwerer Behinderung ins Berufsleben. Die Aufgaben der Integrationsämter sind festgelegt im Sozialgesetzbuch IX, Teil 2 Schwerbehindertenrecht. Sie sind zuständig für  die begleitende Hilfe im Arbeitsleben für Menschen mit schwerer Behinderung,  den besonderen Kündigungsschutz für Menschen mit schwerer Behinderung,  die Erhebung und Verwendung der Ausgleichsabgabe, 40

 Seminare und Öffentlichkeitsarbeit für das betriebliche Integrationsteam. Die Integrationsämter arbeiten eng zusammen mit Rehabilitationsträgern, Arbeitgeberverbänden, Gewerkschaften und Behindertenverbänden sowie mit dem betrieblichen Integrationsteam. Erreichbarkeit Integrationsamt Landesamt für Gesundheit und Soziales Berlin – Integrationsamt Turmstr. 21, 10559 Berlin Tel.: 0 30/9 02 29-3304 Fax: 0 30/9 02 29-3399 Homepage: http://www.berlin.de/lageso/arbeit/index.html (Zugriff am: 30.09.2013) Bezirksübergreifende Angebote der Berliner Integrationsfachdienste (IFD) Vermittlung für Arbeitsuchende: Die Integrationsfachdienste (IFD) werden tätig für Menschen mit schwerer Behinderung (GdB ab 50) und diesen gleichgestellten Menschen mit Behinderung sowie für Rehabilitandinnen und Rehabilitanden. Sie sind somit auch zuständig für Menschen mit Behinderung, die nicht schwerbehindert sind. Zum Personenkreis gehören ferner Schulabgängerinnen und Schulabgänger mit schwerer Behinderung und Menschen mit schwerer Behinderung, die nach zielgerichteter Vorbereitung durch eine Werkstatt für Menschen mit Behinderungen am Arbeitsleben auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt teilhaben wollen. Der Hauptauftrag der IFD besteht somit darin, benachteiligten Menschen die Teilhabe auf dem Arbeitsmarkt dergestalt zu ermöglichen, dass die individuellen Besonderheiten der Person und die Belange des Betriebes in Einklang stehen. Bislang haben Integrationsfachdienste Menschen mit Behinderung nicht nur bei Problemen am Arbeitsplatz, sondern bereits bei der Suche nach einer geeigneten Arbeits- oder Ausbildungsstelle unterstützt. 21 Diese Vermittlung für Arbeitsuchende mit schwerer Behinderung und diesen Gleichgestellte ist mit Wirkung zum 01.01.2013 entfallen. Nach wie vor unverändert wird die Vermittlung für arbeitsuchende Rehabilitandinnen und Rehabilitanden bei den Integrationsfachdiensten angeboten. Mit der Kostenübernahmeerklärung können die zuständigen Reha-Träger (Agentur für Arbeit, Deutsche Rentenversicherung und andere) diese Vermittlungshilfe per Einzelbeauftragung weiterhin nutzen.

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Vgl. Berliner Ratgeber für Menschen mit Behinderung, 12. Jahrgang, 2012/2013, S. 16. Online: http://www.berlin.de/lageso/behinderung/publikationen/index.html, Zugriff am: 30.09.2013

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Übergänge Schule-Arbeit: Angebote für junge Menschen „Initiative Inklusion“: Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarf (integriert beschult) erhalten ab der 9. Klasse Unterstützung zur beruflichen Orientierung und bei der Praktikumsakquisition. Während der 10. Klasse können ihnen ggf. auch berufliche Perspektiven aufgezeigt werden. Zugang haben alle Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischen Förderschwerpunkten (körperlich-motorische Entwicklung, Hören, Sehen, geistige Entwicklung, Autismus), welche ein Förderzentrum oder eine Integrierte Sekundarschule (ISS) besuchen. Zu diesem bis Mitte 2014 laufenden Modelprojekt wird eine Verlängerung angestrebt. Kontakt: Projektkoordination Initiative Inklusion – Handlungsfeld I, Frau AnneMarie Wagner, c/o Agentur für Arbeit Mitte, Charlottenstraße 87-90, 10969 Berlin, Tel. 0163.47 96 832, E-Mail: [email protected] „Job 4000“: Junge Menschen (u25 und ü25) mit Behinderungen können von den IFD Unterstützung bei der Integration in den Allgemeinen Arbeitsmarkt erhalten. Vorrangiges Ziel ist die Vermittlung in eine betriebliche Ausbildung. Voraussetzungen für die Aufnahme in das Programm sind 1) eine anerkannte Schwerbehinderung oder Gleichstellung sowie 2) ein fehlender beruflicher Abschluss. Betroffene werden zur Aufnahme einer betrieblichen Ausbildung oder einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung unterstützt und begleitet. Das Programm läuft vorerst bis Ende 2013. Eine Verlängerung in das Jahr 2014 hinein wird derzeit geprüft. Kontakt: Koordinierungsstelle Job4000, c/o IFD Mitte, Alt-Moabit 96a, 10559 Berlin, Tel. 499 188-0, E-Mail: [email protected] Angebote zur Berufsbegleitung für Arbeitnehmer/innen mit schwerer Behinderung und Gleichgestellte In der Berufsbegleitung der IFD werden Beschäftigte mit schwerer Behinderung und diesen Gleichgestellte und deren Arbeitgeberinnen oder Arbeitgeber sowie Schwerbehindertenvertretungen, Personal- und Betriebsräte mit dem Ziel unterstützt, bestehende Arbeitsverhältnisse dauerhaft zu sichern. Die Zuständigkeit richtet sich nach der bezirklichen Lage des konkreten Arbeitsortes. Individuelle Lösungswege werden u. a. in vertraulichen Gesprächen, mit Arbeitsplatzbegehungen und Hilfen zu erforderlichen Anträgen entwickelt. Beraten wird von finanziellen Ausgleichen für Arbeitgeber/innen bis zu innerbetrieblich möglichen Umsetzarbeitsplätzen. Der IFD übernimmt die Koordinierung notwendiger Maßnahmen. Falls zum Erhalt des Arbeitsplatzes erforderlich, kann der IFD Beschäftigten mit schwerer Behinderung direkt am Arbeitsplatz ein Training berufspraktischer Fähigkeiten anbieten (JobCoaching). 42

Wenn der Verlust des bestehenden Arbeitsplatzes sich nicht abwenden lässt, kann der IFD – solange wie das bisherige Arbeitsverhältnis noch fortbesteht – bei der Suche nach einer neuen Beschäftigung unterstützen. 22 Auch Berufsbegleitung im Rahmen von Unterstützter Beschäftigung nach § 38a SGB IX im Anschluss an Phase I InbeQ (individuelle betriebliche Qualifizierung) wird bei den IFD angeboten. Einzelfallunabhängige Beratungsangebote für Arbeitgebende Beratung zur Schaffung von Arbeitsplätzen für Menschen mit Behinderung bietet die Arbeitsgruppe Aufklärung-Schulung-Bildung (AG ASB) an. Sie sensibilisiert speziell kleine und mittelständische Unternehmen in Berlin zur Thematik „Behinderung und Beschäftigung“. Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen werden gewonnen, neue Arbeitsund Ausbildungsplätze für Menschen mit schwerer Behinderung zu schaffen, indem umfassend über die zur Verfügung stehenden Förderleistungen informiert wird. Kontakt für die Bezirke Friedrichshain-Kreuzberg und Mitte: Herr Murru, Tel. 499 188-35, E-Mail: [email protected] Die IFD bieten für Arbeitgebende ferner Präventionsberatungen zu speziellen Erkrankungen, die häufig zu Behinderung führen an. Zu folgenden Erkrankungen haben sich einzelne IFD mit Informationsangeboten spezialisiert: Psychische Erkrankungen (IFD Mitte und IFD Ost), Kognitive Einschränkungen (IFD West), Autismus (IFD Nord), Epilepsie (IFD Süd), Sehbehinderung (IFD Südwest). Offene Sprechstunde Alle IFDs bieten neben der Erreichbarkeit per Telefon und E-Mail auch die offene Sprechstunde für persönliche Erstberatungen jeweils donnerstags zwischen 15 Uhr und 18 Uhr. Auf Antrag an das Versorgungsamt können Behinderungen mit GdB anerkannt werden. 23 Bei einem GdB von 30 oder 40 kann eine Gleichstellung bei der zuständigen Agentur für Arbeit beantragt werden. Ansprechpartner/in in der Agentur für Arbeit Mitte sind Herr Pollakowski (Tel. 5555 99-1526) und Frau Klamt (Tel. 5555 99-1508).

22

Information: www.berlin.de/lageso/arbeit/ifd/index.html (Zugriff am: 30.09.2013)

23

Information: www.berlin.de/lageso/behinderung/antrag/index.html (Zugriff am: 30.09.2013)

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Erreichbarkeiten Friedrichshain-Kreuzberg, Mitte IFD Mitte, Alt Moabit 96 a, 10559 Berlin 49 91 88-0, E-Mail: [email protected], www.ifd-mitte.de Berlinweit zuständige IFD

IFD fhM, Charlottenburger Straße 140,

für Existenzgründer und Selbstständige mit Behinderung:

13086 Berlin

Enterability, Muskauer Straße 24, 10997 Berlin

48 49 59-0, E-Mail: [email protected],

611 34 29, E-Mail: [email protected],

www.wib-ev.de

www.berlin.enterability.de

für hörbehinderte Menschen:

3.2.2 Jobcenter Friedrichshain-Kreuzberg Zuständigkeit Die Aufgaben der Grundsicherung für Arbeitsuchende werden in Jobcentern wahrgenommen. Im Regelfall bilden die Träger im Gebiet jedes kommunalen Trägers zur einheitlichen Durchführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende eine gemeinsame Einrichtung (gE). Diese Zusammenarbeit von Agentur für Arbeit und kommunalem Träger ist verfassungsrechtlich abgesichert und gewährleistet eine bürgerfreundliche Leistungsgewährung „aus einer Hand“. In gemeinsamer Trägerschaft werden die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - (SGB II) erbracht. Erreichtes Seit 13.05.2013 gibt es im Jobcenter Friedrichshain-Kreuzberg ein neu gebildetes Team für Rehabilitanden und Menschen mit einer Schwerbehinderung – „Reha-SB“. Das Team besteht aus drei Fallmanager/innen und zehn Arbeitsvermittler/innen. Es bündelt die Kompetenzen im Haus und wird auch für die bislang nicht zu einem speziellen Team zugeordneten Kundinnen und Kunden mit einer Schwerbehinderung (ab 50 % GdB) bzw. Gleichstellung zuständig sein. Ferner existiert mit der an das Jobcenter angegliederten Jobassistenz in räumlicher Nähe eine Beratungsstelle, welche als barrierefrei zertifiziert wurde und regen Zuspruch erfährt. Die Jobassistenz hat den Auftrag, eine kostenfreie Bildungsberatung sowie Beratung zur Integration in Beschäftigung für Menschen aller Altersgruppen anzubieten. In diesem Zusammenhang führt seit 2010 die amtierende bezirkliche Behindertenbeauftragte eine Beratung für Menschen mit Behinderungen durch. Seit Juli 2013 wird dieses Angebot durch eine gemeinsame Beratung der Dienstkräfte des neuen Reha-SB-Teams und der Behindertenbeauftragten qualitativ aufgewertet. Die Beratung findet alle zwei Wochen statt. 44

Zwischen den Vermittlungsfachkräften im Jobcenter Berlin Friedrichshain-Kreuzberg und dem gemeinsamen Arbeitgeberservice der Bundesagentur für Arbeit gibt es darüber hinaus vielfältige Kooperationen. So wurde vom 03.12.2012 bis zum 07.12.2012 eine Aktionswoche für Menschen mit Behinderung durchgeführt, in der schwerpunktmäßig auch Kundinnen und Kunden des Jobcenters Berlin FriedrichshainKreuzberg einbezogen wurden. Für Gehörlose gibt es im Internet barrierefrei Informationen zur Terminvereinbarung auch mit Dolmetscherangebot. Gebärdendolmetschleistungen werden über die Bundesagentur für Arbeit vermittelt. Ein barrierefreier Zugang zum Jobcenter ist bedingt gegeben. Es gibt einen Aufzug mit Sprachausgabe, allerdings ist die Lautstärke der Ansage nicht durchdringend genug, damit im Eingangsbereich sofort der richtige der beiden Aufzüge „erhört“ werden kann. Behindertenfreundliche Toiletten, welche mit Euro-Schlüssel zu öffnen sind, existieren. Vor dem Haus stehen Behindertenparkplätze zur Verfügung. Herausforderungen Das Team Reha-SB kann viele Bedarfe von Menschen mit Behinderungen auffangen und wird Arbeitsuchenden mit schwerer Behinderung eine zielgenauere und intensivere Betreuung und Beratung zeitnah anbieten. Es hat aber nicht die umfassende Verantwortung für die Eingliederung der Menschen mit Behinderung ins Erwerbsleben. Hier sind nach wie vor die Integrationsfachdienste und das Integrationsamt gefragt. Die Personalknappheit ist bei den Angeboten jedoch spürbar. Somit steht zu erwarten, dass Informations- und Beratungsangebote für Menschen mit Behinderungen auch in Zukunft nicht in dem Umfang zur Verfügung stehen, wie es die Behindertenrechtskonvention für eine vollständige Inklusion verlangt. In diesem Zusammenhang muss ebenfalls erwähnt werden, dass die Bereitschaft seitens der Arbeitgebenden, Menschen mit einer Schwerbehinderung einzustellen, nicht ausreichend weit verbreitet ist. Hier sind starke Vorbehalte zur Leistungsfähigkeit von Menschen mit Schwerbehinderung vorhanden. Neben den finanziellen und sächlichen Anreizen, welche das Integrationsamt bietet, sind Maßnahmen zur Bewusstseinsbildung in Zusammenarbeit mit den Unternehmerverbänden notwendig. Die Entscheidung, ob jemand zur Arbeitserprobung oder zum Verbleib in eine Werkstatt für Menschen mit Behinderung einmündet, trifft nicht das Jobcenter, sondern der Reha-Bereich der Agentur für Arbeit. Handlungsempfehlungen und Perspektiven In einem derartig sensiblen Bereich wie der Begleitung von Empfängerinnen und Empfängern von Grundsicherung in eine möglichst geregelte Erwerbstätigkeit ist es

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kaum zu vermeiden, dass persönliche Vorstellungen der betroffenen Person nicht deckungsgleich mit den gesetzlichen Regelungen sind, die das Jobcenter umsetzt. Es ist daher auch nicht realistisch, dass künftig jeder Mensch mit Behinderung exakt die Förderung erhält, die sie oder er für sich bzw. sein Kind als richtig erachtet. Entscheidend in so einem potenziell konfliktträchtigen Prozess ist daher ein empathischer und kommunikativer Umgang zwischen Kundinnen bzw. Kunden und Mitarbeitenden des Jobcenters. Dabei liegt die Verantwortung des Jobcenters darin, die Beschäftigten im Umgang mit Kundinnen und Kunden mit Behinderung zu schulen – was auch in speziellen Workshops und Seminaren geschehen ist. Ein empathischer Umgang erfordert ebenfalls die Fähigkeit zur Selbstreflexion der Mitarbeitenden über die strukturelle Besonderheit der Beratungssituation. Die „kommunikative Ordnung“ einer Behörde wird häufig von Außenstehenden nicht verstanden. Hier ist Inklusion als Haltung in einem ganz besonderen Ausmaß gefragt, denn das Verhältnis zwischen JobcenterBeschäftigten und den Kundinnen und Kunden ist keineswegs ein paritätisches. Wahrnehmungen und Erfahrungen von Macht und Unterordnung können die Beratungssituation in eine Schieflage bringen. Persönliche Einstellungen, Verletzungen aus der Kommunikation mit Kundinnen und Kunden oder persönliche Vorurteile können in der Beratung zu Missverständnissen und Frustration führen. Dies verlangt von Mitarbeitenden des Jobcenters eine sehr hohe Bereitschaft zur Perspektivenübernahme. Ein Großteil der Kundinnen und Kunden mit einer Behinderung hat eine seelische Behinderung. Somit kann sich Inklusion nicht auf das Schaffen von räumlicher Barrierefreiheit beschränken. Gefragt sind vor diesen Hintergrund vielmehr Handlungskonzepte zum Umgang mit psychisch Kranken und mit suchtkranken Menschen. Dies kann – neben der Frage des persönlichen Umganges – auch die Gestaltung der Wartebereiche betreffen (Distanz der Sitzgelegenheiten zueinander, Versorgung mit Trinkwasser etc.). Inklusion stellt eine Behörde wie das Jobcenter, die täglichen Kontakt mit Menschen mit unterschiedlichsten Behinderungen (körperlich, geistig, seelisch) hat, vor enorme Herausforderungen. Die Erwartungen der Bevölkerung, kooperierender Behörden und freier Träger an das Jobcenter sind besonders hoch. Menschen mit unterschiedlichsten Biografien, mit und ohne Behinderungen und mitunter sehr konkreten Vorstellungen über das ihnen Zustehende müssen im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben optimal betreut werden. Das Jobcenter Friedrichshain-Kreuzberg ist diesbezüglich auf einem guten Weg. Es ist allerdings fraglich, inwiefern eine Behörde unter den hier nur bruchstückhaft skizzierten Rahmenbedingungen des Handelns Inklusion ohne äußere Unterstützung verwirklichen kann.

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3.2.3 Werkstätten für Menschen mit Behinderung Allgemeines Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) sind überbetriebliche Einrichtungen zur Teilhabe von Menschen mit Behinderung am Arbeitsleben. Sie werden von freien gemeinnützigen Trägern betrieben und unterliegen nicht der Planungs- und Entscheidungshoheit des Bezirkes. Werkstätten für behinderte Menschen bieten Personen, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht, noch nicht oder noch nicht wieder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig werden können, eine angemessene berufliche Bildung, einen Arbeitsplatz oder Gelegenheit zur Ausübung einer geeigneten Tätigkeit. Die Aufgaben der Werkstätten für behinderte Menschen sind im Sozialgesetzbuch 9 (SGB IX) (§ 136) und in der Werkstättenverordnung (WVO) definiert. Die Zielsetzung besteht darin, Menschen mit Behinderungen ins Arbeitsleben einzugliedern, ihnen die Möglichkeit zu bieten, ihre Leistungs- oder Erwerbsfähigkeit zu erhalten, zu entwickeln, zu erhöhen oder wiederzugewinnen und dabei ihre Persönlichkeit weiterzuentwickeln. Sie fördert den Übergang geeigneter Personen in den allgemeinen Arbeitsmarkt. Die Werkstätten für behinderte Menschen müssen die Voraussetzungen dafür schaffen, dass sie Menschen mit Behinderungen aus ihrem Einzugsbereich aufnehmen können, um eine Rehabilitation in Wohnortnähe zu gewährleisten. Den Werkstätten sind Förderbereiche zugeordnet. Sie bilden einen eigenständigen Zweig mit spezifischen Inhalten und Lernzielen. Menschen mit komplexen Behinderungen, welche den Anforderungen der Werkstatt noch nicht, vorübergehend nicht bzw. nicht mehr entsprechen können, haben somit die Möglichkeit, in die Gesamtaktivität der Werkstatt einbezogen zu werden. Übergeordnetes Ziel ist die Überleitung in den Berufsbildungs- oder Arbeitsbereich der Werkstatt. Angebote im Bezirk Im Bezirk gibt es folgende Standorte von Werkstätten für Menschen mit Behinderungen (Arbeits- und Förderbereich):  Einrichtungen der Mosaik - Werkstätten für Behinderte gGmbH (ca. 216 Plätze): Fördergruppe Kreuzberg, Kohlfurter Straße 10, 10999 Berlin Fördergruppe Kreuzberg, Paul Lincke-Ufer 42, 10999 Berlin Betriebsstätte Kreuzberg, Paul Lincke-Ufer 42-43, 10999 Berlin

 Einrichtung der Union sozialer Einrichtungen gGmbH (114 Plätze): Ehemalige Blindenanstalt, Oranienstr. 26, 10999 Berlin

 Einrichtung der VIA Werkstätten (30 Plätze):

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Standort Kreuzberg (Garten- und Landschaftsbau), Methfesselstraße 10-12, 10965 Berlin

 Einrichtung der Nordberliner Werkgemeinschaft und Thikwa e. V. (40 Plätze) Zweigwerkstatt Theater Thikwa und Theaterwerkstatt, Fidicinstr. 60, 10965 Berlin

Darüber hinaus grenzt die Werkstatt des Trägers Integral e. V. in der HermannBlankenstein-Straße 49, 10249 Berlin unmittelbar an den im Ortsteil Friedrichshain. Diese Werkstatt gehört sozialräumlich jedoch zum Bezirk Pankow. Im Berufsbildungs- und Arbeitsbereich stehen 300 Plätze und im Förderbereich 21 Plätze zur Verfügung. Werkstätten für behinderte Menschen unterliegen nicht dem Wohnortprinzip. Für Menschen mit Behinderungen aus Friedrichshain-Kreuzerg kommen damit alle Berliner Werkstätten in Frage. Fachliche Einschätzung Werkstätten stellen für einen bestimmten Kreis von Menschen mit Behinderungen die einzige Alternative zur Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt dar. Daher ist es unabdingbar, in den Werkstätten ein breite Palette differenter Arbeitsmöglichkeiten anzubieten (vom Theater spielen bis zur Arbeit auf Bauernhöfen), um den individuellen Bedürfnissen und Fähigkeiten der Menschen mit Behinderung zu entsprechen. 3.2.4 Zuverdienstangebote Leistungsspektrum Arbeitsangebote im Zuverdienst richten sich an Frauen und Männer mit psychischen Beeinträchtigungen. Sie sind fester Bestandteil innerhalb der sozialpsychiatrischen Versorgung im Land Berlin und Bestandteil des regionalisierten psychosozialen Versorgungsangebotes im Bezirk. Die Zielgruppe des Zuverdienstes sind Menschen mit seelischer Behinderung im Sinne des § 53 SGB XII und Menschen, welche aufgrund ihrer seelischen Behinderung/Beeinträchtigung dauerhaft oder vorübergehend erwerbsgemindert sind. Im Zuverdienst handelt es sich nicht um Arbeitsverhältnisse im rechtlichen Sinne, sondern um wohnortnahe Beschäftigungsmöglichkeiten, welche niedrigschwellig, ohne Leistungsdruck und in abgestuften Schwierigkeitsgraden zur Verfügung stehen. Die Beschäftigung orientiert sich am individuellen Bedarf der/des Betroffenen und berücksichtigt Grundbedürfnisse der sozialen Teilhabe und sinnstiftender Tätigkeit. Im Hinblick auf die Barrierefreiheit, speziell in Bezug auf Menschen mit psychischen Handicaps, bieten Zuverdienstprojekte Vorbildcharakter. Viele Betroffene erleben durch Krisen und Klinikaufenthalte Brüche und Verluste in ihren Lebenszusammenhängen. Im Zuverdienst ist man darauf eingestellt. Die Aufnahmebedingungen sind unkompliziert. Betroffene wenden sich meistens direkt an die Einrichtung, ohne An48

trags- oder Gutachter-Prozeduren, und oft können sie – bei vorhandenen Kapazitäten – nach einem Probetag mit der Arbeit beginnen. Die Nutzerinnen und Nutzer der psychiatrischen Zuverdienstprojekte erhalten nach Möglichkeit eine Aufwandsentschädigung entsprechend des individuellen Leistungsvermögens. Diese dient primär der Motivation und stellt eine materielle Anerkennung dar. Sie darf keinesfalls die Höhe eines sozialversicherungspflichtigen Entgelts erreichen. Der Lebensunterhalt der Nutzerinnen und Nutzer muss durch andere Einkünfte gesichert sein. Angebote Eine Übersicht über Zuverdienstangebote im Land Berlin bietet der Träger Pinel e. V. auf seiner Homepage unter http://www.pinel-online.de/index.php?id=648 (Zugriff am: 30.09.2013) Im Bezirk existieren derzeit folgende Zuverdienstangebote:  Zuverdienst der ajb gGmbH (45 Plätze, 128 Nutzer/innen im Jahr 2012): Alfred Döblin Bibliothek im Vivantes Klinikum Am Urban, Dieffenbachstr. 1, 10967 Berlin, Tel.: 130 22 31 56 Alfred Döblin Bibliothek im Vivantes Klinikum im Friedrichshain, Landsberger Allee 49, 10249 Berlin, Tel.: 130 22 31 56 Büroreinigung, Bürodienstleistungen, Botendienste, Kottbusser Damm 79, 10967 Berlin, Tel.: 50 56 68 42 Wäscherei am Moritzplatz, Oranienstr. 54, 10969 Berlin, Tel.: 61 65 93 02 Funkenflug Werkstatt für Kunst, Prinzessinnenstr. 16, 10969 Berlin, Tel.: 61 65 87 82

 Zuverdienst von Lebenswelten e. V. (20 Arbeitsplätze, 50 Nutzer/innen im Jahr 2012) Zuverdienst Lettershop (Bearbeitung von Postsendungen, Computergestützte Bürotätigkeiten, Papierverarbeitung, Reinigungstätigkeiten, Botengänge), Ebertystr. 54, 10249 Berlin, Tel. 427 56 07

Weitere Angebote sind nötig und in Planung. Fachliche Einschätzung Zuverdienstangebote sind unverzichtbare Bausteine für ein inklusives Gemeinwesen. Sie richten sich an Menschen, welche aufgrund ihrer persönlichen Situation nicht am Erwerbsleben teilhaben können. Sie stellen sicher, dass auch Menschen, die keiner regulären Erwerbstätigkeit nachgehen können – dies schließt das Arbeiten in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung ein – die Möglichkeit haben, über Beschäftigungsangebote eine Tagesstruktur und verlässliche soziale Kontakte zu erhalten. Zuverdienst bietet chronisch Kranken und wenig belastbaren Menschen die Möglichkeit der Dauerbeschäftigung in einem geschützten Rahmen. Es wird ein wesentlich

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geringeres Leistungsvermögen als in einer WfbM verlangt. Für viele vor allem nicht berentete Nutzerinnen und Nutzer bietet der Zuverdienst auch eine Belastungserprobung nach einer längeren Krankheitsphase und einen Übergang in weiterführende Maßnahmen oder Beschäftigungsmöglichkeiten. Die zuvor genannten bezirklichen Zuverdienstangebote werden über Zuwendungen aus dem Budget des Psychiatrie-Entwicklungsprogrammes finanziert. Im Jahr 2012 lag der durchschnittliche Preis für einen Zuverdienstarbeitsvertrag in Berlin bei 144 €. In diesen Kosten sind das Personal des Trägers, die Mietkosten, Sachmittel, die Aufwandsentschädigungen und sonstige Verwaltungskosten zu einem Großteil enthalten. Ein Arbeitsplatz in einer WfbM kostet den Sozialhilfeträger dahingegen zwischen 750 € und 1.750 €. Damit ist ein einzelner Zuverdienstarbeitsplatz sehr günstig. Zugleich besteht ein signifikanter Bedarf an Zuverdienstarbeitsplätzen, der nicht gedeckt werden kann. Einem Ausbau der Angebote im Bezirk steht trotz hervorragender Kosten-Nutzen-Relation eine leider „gedeckelte“ Finanzierung gegenüber. Bezirk und Träger des Zuverdienstes sind sich darüber einig, dass Anstrengungen zur Erhaltung und zum Ausbau der Zuverdienstarbeitsplätze im Bezirk gebündelt werden müssen. Dies betrifft einerseits die Frage der Finanzierung dieser Angebote zur sozialen Inklusion der Menschen mit seelischer Behinderung – es betrifft andererseits aber auch den Aspekt der Verbindungen zwischen Beschäftigungsförderung im Zuverdienst und Arbeitsmarktförderinstrumenten im Bereich des SGB II. Durch die Instrumentenreform im Bereich der Förderung von Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung sind Übergangsmöglichkeiten vom Zuverdienst in eine stärker erwerbsorientierte Beschäftigung (MAE) deutlich schwieriger geworden. Daraus resultieren deutliche Einschränkungen im Hinblick auf eine soziale Inklusion von Menschen mit seelischer Behinderung. 3.2.5 Schwerbehinderte Beschäftigte und Gesundheitsmanagement Zuständigkeit Menschen mit einer anerkannten schweren Behinderung und diesen Gleichgestellten stehen Nachteilsausgleiche zu. Damit sollen partiell Beeinträchtigungen kompensiert werden, welche sie in Beruf und Gesellschaft aufgrund ihrer körperlichen und seelischen Behinderung möglicherweise in Kauf nehmen müssen. Dazu gehören z. B.:  „Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben“ (z. B. Hilfsmittel, besonderes Mobiliar, Minderleistungsausgleich, Arbeitsassistenz)  Besonderer Kündigungsschutz  Zusatzurlaub (ab 50 GdB)  Früherer Renteneintritt (ab 50 GdB)  Steuerfreibeträge 50

 Förderung der Beschäftigung durch besondere Pflichten der Arbeitgeber Dieser Nachteilsausgleich wird u. a. durch die betriebliche Schwerbehindertenvertretung gemäß „Schwerbehindertengesetz“ (SGB IX) geregelt. Die Schwerbehindertenvertretung ist die Interessenvertretung für schwerbehinderte und von Behinderungen bedrohte Menschen gegenüber dem Arbeitgeber. Sie trägt dafür Sorge, dass die gesetzlichen Grundlagen des SGB IX und andere geltende Vorschriften sowie Dienstvereinbarungen eingehalten werden (z. B. die VV-Integration behinderter Menschen, AGG, Tarifverträge etc.). Erreichtes Nach § 71 Abs. I SGB IX sind in Unternehmen mit jahresdurchschnittlich monatlich mindestens 20 Arbeitsplätzen auf mindestens 5 % dieser Arbeitsplätze Menschen mit schwerer Behinderung zu beschäftigen. Im Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg arbeiten aktuell 245 Menschen mit einer schweren Behinderung. Dies entspricht ca. 13 % des gesamten Personalbestands. Damit erfüllt die Bezirksverwaltung diesen Pflichtanteil. Das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg überschreitet insofern den Durchschnitt der Beschäftigung von Menschen mit schwerer Behinderung im Land Berlin (5,5 %) und die entsprechende Quote für die rein öffentlichen Unternehmen (7,7 %). 24 Die Ursachen hierfür dürften jedoch – angesichts des sehr begrenzten Einstellungskorridors – nicht nur in einer konsequenten Förderung der Beschäftigung von Menschen mit schwerer Behinderung liegen, sondern zu einem Großteil der demografischen Struktur der Belegschaft geschuldet sein. Aktuell befinden sich zudem noch ca. 50 laufende Anträge auf Schwerbehinderung im Antrags- bzw. Widerspruchsverfahren bei der Schwerbehindertenvertretung. Für die Belange der Beschäftigten mit schwerer Behinderung im Bezirksamt existiert eine Personalstelle, welche für die Freistellung der Schwerbehindertenvertretung genutzt wird. Die Stelleninhaberin arbeitet intensiv mit dem betrieblichen Gesundheitsmanagement (0,5 Personalstelle) und dem Arbeitgeberbeauftragen (0,5 Personalstelle) für die Menschen mit schwerer Behinderung nicht nur daran, dass Beschäftigte mit schwerer Behinderung des Bezirksamtes die ihnen zustehenden Nachteilsausgleiche erhalten. Die Schnittstelle zwischen diesen Bereichen ist ebenfalls von Bedeutung für die Prävention vermeidbarer Behinderungen als Folge des Alterns. Ein wichtiger Bestandteil beinhaltet insbesondere die Tätigkeit im Betrieblichen Eingliederungsmanagement.

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Quelle: Bundesagentur für Arbeit (2012), Schwerbehinderte Menschen in Beschäftigung Land Berlin 2011. Berlin: Bundesagentur für Arbeit – Statistik.

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Im Jahr 2012 wurden bspw. 30 Verfahren des betrieblichen Eingliederungsmanagements mit Integrationsteams aus Arbeitgebenden, Beschäftigtenvertretungen und Beschäftigten erfolgreich durchgeführt. Um die Arbeit des Integrationsteams stetig zu optimieren, nehmen die feststehenden Teilnehmenden des Integrationsteams an einer Supervision teil. Die Grundlage für diese Arbeit bietet neben der Dienstvereinbarung zum Betrieblichen Gesundheitsmanagement in der Berliner Verwaltung (DV Gesundheit) das bezirkseigene Konzept zum Gesundheitsorientierten Führen und dem Betrieblichen Eingliederungsmanagement. Ein „Klassiker“ ist mittlerweile die jährliche Dampferfahrt für Beschäftigte mit schwerer Behinderung in Berlin, welche von der Hauptschwerbehindertenvertretung geplant und den Schwerbehindertenvertretungen der einzelnen Bezirksämter mitorganisiert und begleitet wird. Beschäftigte mit schwerer Behinderung werden dafür in der Regel von der Arbeit freigestellt. Darüber hinaus existiert eine Dienstvereinbarung zwischen dem Senat und den Bezirksämtern über betriebliche Maßnahmen der Gesundheitsförderung und Prävention und die Gewährung von Dienstbefreiungen hierfür. Im Rahmen von Qualifizierungsstandards werden Führungskräfte der Bezirksverwaltung in Inhouse-Schulungen darin trainiert, die Arbeitsbedürfnisse der Beschäftigten mit schwerer Behinderung zu erkennen, ihr eigenes Verhalten zu reflektieren und das Miteinander von Kolleginnen und Kollegen mit und ohne schwere Behinderung zu verbessern. Herausforderungen Nachteilsausgleiche für Menschen mit Behinderungen führen in der Praxis mitunter dazu, Beschäftigte, die nicht behindert sind, dies als „Vorteilsgewährung“ missverstehen – dies passiert wiederholt bei einer höchsten ergonomischen Ansprüchen genügenden Anschaffung von Büromobiliar. Dadurch kann eine Kultur der Missgunst entstehen, welche dazu führen könnte, dass von einer Behinderung bedrohte oder Beschäftigte mit Behinderung zögern, sich als schwerbehindert anerkennen zu lassen, um Nachteilsausgleiche in Anspruch zu nehmen. Zu den Nachteilsausgleichen am Arbeitsplatz gehört die Bewilligung von entsprechendem Mobiliar. Anträge hierzu bearbeitete bisher das Integrationsamt (Landesamt für Gesundheit und Soziales, vgl. Kap. 3.2.1), welches die Kosten trug. Seit Juli 2013 werden Anträge zur Finanzierung vom Integrationsamt jedoch an die Rentenversicherungsträger und ggf. Arbeitsagenturen weitergeleitet. Es gibt noch einige Unklarheiten bzgl. der Zuständigkeiten. Dies und ein hoher bürokratischer Aufwand bei der Antragstellung durch die Beschäftigten mit schwerer Behinderung führen zu erheblicher Frustration bis hin zur Aufgabe des Antrages. Derzeit (Stand: Oktober 2013) liegen die Bearbeitungszeiten für die Anträge zwischen 3-6 Monaten. 52

Die betriebliche Gesundheitsprävention steht vor der Herausforderung, mit einem jährlichen Budget von etwa 23.000 € Maßnahmen des Gesundheits- und Personalmanagements für alle ca. 1.940 Beschäftigten der Bezirksverwaltung finanzieren zu müssen. Angesichts der hohen Quote an Beschäftigten mit schwerer Behinderung, der hohen Zahl an im Verfahren der Anerkennung sich befindenden Beschäftigten und der demografischen Überalterung der Bezirksverwaltung ist dies zu wenig. Handlungsempfehlungen und Perspektiven Angesichts der knappen finanziellen Ausstattung für Maßnahmen der Gesundheitsförderung für alle Beschäftigten sind die Ämter und Abteilungen angehalten, eigene Konzepte für den Nachteilsausgleich Beschäftigter mit schwerer Behinderung zu entwickeln. An ebendieser Stelle ist insbesondere ein transparenter und sensibler Umgang der Dienststelle gefragt. Speziell die Führungskräfte sind gefordert, sich mit dem Thema „Schwerbehinderung“ aktiv auseinanderzusetzen. Für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist Aufklärung und Diskussion darüber nötig, dass für den Fall einer Schwerbehinderung etwa Minderleistungsanträge gestellt werden können. Schwerbehinderte oder von einer drohenden Behinderung betroffene Beschäftigte müssen auf die Beratungsangebote der Schwerbehindertenvertretung aufmerksam gemacht werden. Hierzu gehört es auch, Wege eines wertschätzenden Umgangs mit Beschäftigten mit schwerer Behinderung zu finden. Dafür ist es erforderlich, dass sich Führungskräfte mit den persönlichen Bedürfnissen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auseinandersetzen. In vielen Fällen sind es kleine Schritte, die zu großer Entspannung führen können. So könnten etwa individuelle Arbeitszeitregelungen getroffen werden. Diabetiker bspw. kommen morgens „schwer in Schwung“ und brauchen entsprechend mehr Zeit. Wenn die Dienststelle hier bei der Arbeitszeitgestaltung in Bezug auf die Gleitzeitregelung entgegenkommt, kann dies für beide Seiten nur von Nutzen sein. Im Falle eingetretener schwerer Behinderung sollten die Führungskräfte von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern über die individuellen Besonderheiten aufgeklärt werden. Zugleich sind sie in der Pflicht, Nachteilsausgleiche gegenüber den anderen Beschäftigten zu vertreten. Ein Schwerbehindertenausweis sagt nichts aus über die berufliche Leistungsfähigkeit eines Menschen sondern bezieht sich auf die Auswirkungen einer Behinderung auf alle Lebensbereiche. Ein Nachteilsausgleich hierfür ist keine Bevorzugung, sondern eine Entlastung für erhebliche Beeinträchtigungen in der Gestaltung des Arbeitsalltags. Prävention ist vornehmlich erforderlich im Hinblick auf die Qualität des Mobiliars: So sollten individuell anpassbare Tische für alle Mitarbeitenden Standard sein, um Rückenleiden vorzubeugen. Das gleiche gilt für Bürostühle. Sinnvoll wäre eine Stan-

53

dard- oder Mindestausstattung für jeden Fachbereich. Die dafür benötigten Anschaffungskosten sind bei der Haushaltsplanaufstellung dezentral zu veranschlagen. Die Fürsorge für die Beschäftigten erstreckt sich auch auf die Beförderung sportlicher Betätigung. Zur Förderung der Gesundheit der Beschäftigten – ob schwerbehindert oder nicht – werden durch das betriebliche Gesundheitsmanagement Kooperationsvereinbarungen mit kommerziellen Anbietern in die Diskussion gebracht. Dadurch könnten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Genuss von reduzierten Preisen kommen. Wenn die Dienststelle entsprechende Überlegungen unterstützt, könnten auch Modelle einer Dienstbefreiung für außerbetriebliche Sportrangebote sinnvoll sein (etwa 1 h pro Woche). Neben dem hohen Anteil an Rücken- und Gelenkleiden sind es aber insbesondere auch psychische Erkrankungen, die zunehmend zu einer Schwerbehinderung führen. Auch hier gilt, dass ein wichtiger Schritt zur Integration von Menschen mit Behinderungen in die Berufstätigkeit in der Entwicklung einer informierten Haltung zum Thema Behinderung durch Führungskräfte sowie Kolleginnen und Kollegen liegt. Die Statistik zeigt, dass mit zunehmendem Alter das Risiko einer schweren Behinderung steigt. Präventionsmaßnahmen für alle Beschäftigte und Nachteilsausgleiche für Menschen mit schwerer Behinderung sollten somit auch im Interesse des Arbeitgebers liegen. Sie sollten im Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg transparent und in einem Klima der Akzeptanz und Wertschätzung weiterentwickelt werden. Hierfür sind ebenfalls an zentraler Stelle entsprechende personelle und finanzielle Kapazitäten zu schaffen.

3.3

Wohnen

3.3.1 Sozialer Wohnungsbau und Mietenentwicklung Zuständigkeit Aufgabe des Bezirkes (Wohnungsamt) ist die Koordinierung und Verwaltung des Wohnungsbestandes im sozialen Wohnungsbau, die Bearbeitung von Anträgen auf einen Wohnberechtigungsschein und die Mitarbeit bei der Koordinierung der barrierefreien Wohnungen. Die Problematik des Wohnens im Bezirk (nicht nur) für Mieterinnen und Mieter, welche auf staatliche Transferleistungen angewiesen sind, ist in den vergangen Jahren mehrfach Gegenstand von BVV-Drucksachen, Erörterungen im Bezirksamt und darüber hinausweisenden Fachgesprächen und/oder Informationsveranstaltungen gewesen. Auch wenn der Sachlage an dieser Stelle keine neuen Erkenntnisse hinzugefügt werden können, soll die damit verbundene Problematik in Kürze erörtert werden.

54

Zur Problematik des sozialen Wohnungsbaus 25 Durch das Land Berlin wurde der soziale (Miet-)Wohnungsbau auf der Grundlage und nach den Vorgaben des Wohnungsbindungsgesetzes im sogenannten 1. Förderweg gefördert. Ziel war es, insbesondere für finanziell schwache Bevölkerungsschichten günstigen Wohnraum zu schaffen. Das Land Berlin hat den Bau subventioniert und nach der Fertigstellung dafür Aufwendungshilfen aus öffentlichen Mitteln bereitgestellt, um die Diskrepanz zwischen der sogenannten Kostenmiete und der „Mietermiete“ auszugleichen. Die Förderung sollte eine ausreichende Wohnungsversorgung aller Bevölkerungsschichten entsprechend den unterschiedlichen Wohnbedürfnissen ermöglichen und diese namentlich für diejenigen Wohnungssuchenden sicherstellen, welche hierzu selbst nicht in der Lage sind (§ 1 Abs. 2 Satz 2 II. WoBauG). Zur Entlastung des Berliner Haushalts wurde im Februar 2003 der Ausstieg aus der Anschlussförderung rückwirkend zum 01. Januar 2003 beschlossen (sog. Wegfall der Anschlussförderung). Betroffen sind Wohnungen und Immobilienfonds, bei denen die Grundförderung am oder nach dem 31.12.2002 endete. Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg hat ca. 145.000 Wohneinheiten. Davon sind etwa 21.700 im Besitz der städtischen Wohnungsbaugesellschaften. 13.621 Wohneinheiten gehören zum Sozialen Wohnungsbau. Bis zum April 2012 sind vom Senat 6.763 Sozial-Wohnungen vom Besetzungsrecht (WBS mit besonderem Wohnbedarf) freigestellt gewesen. 26 Im Wohnungsamt wird darauf hingewiesen, dass der Gesamtbestand der verbliebenen und mit Belegungsrechten versehenen Wohneinheiten sich weiter reduzieren wird. Es kann von einer jährlichen Abnahme um etwa 8 % ausgegangen werden. Zur Mietentwicklung auf dem Berliner Wohnungsmarkt Die Auswirkungen des Wegfalls der Anschlussförderung im sozialen Wohnungsbau und damit eines Wegfalls der Belegungsbindung sind deswegen besonders dramatisch, weil zur gleichen Zeit eine Verknappung des Angebotes an freiem Wohnraum in Gesamt Berlin zu verzeichnen ist. Dies geht mit einer allgemeinen Steigerung der Netto-Kaltmieten einher. Die Ursache hierfür liegt zum einen in der zunehmenden Zahl der Bevölkerung. Die reale Bevölkerungsentwicklung im Land Berlin übersteigt die Schätzung der Bevölkerungsentwicklung in der oberen Variante der damaligen Bevölkerungsprognose. Die Bevölkerung Berlins wird laut aktueller Bevölkerungsprognose des Senats bis 2030 um weitere 7 % zunehmen.

25

Dieser Abschnitt basiert auf Informationen, die dem Verfasser vom Wohnungsamt zur Verfügung gestellt worden sind.

26

Quelle: Vermerk aus dem Wohnungsamt vom 23.03.2012

55

Zum anderen hat der Senat lange Zeit die Auffassung vertreten, dass Berlin ein ausreichendes Angebot an Wohnungen für Haushalte mit niedrigen und mittleren Einkommen habe und verkaufte rund die Hälfte der landeseigenen Wohnungen. Durch den Verkauf der „Gemeinnützigen Siedlungs- und Wohnungsbaugesellschaft mbH (GSW)“ im Jahr 2004 etwa gingen allein 65.000 Wohnungen in Privatbesitz über. Nachdem der Wohnungsmarkt in Berlin von 2007 bis zum Jahr 2010 in der Tat vor allem von hohen Leerständen und geringer Nachfrage geprägt war, stieg die Nachfrage nach Wohnraum seit 2010 wieder an. Dies macht sich deutlich an der Entwicklung der Mieten: Zwischen 1999 und 2010 stieg die ortsübliche Vergleichsmiete netto/kalt von 4,00 €/m2 auf 5,21 €/m2. Dies entspricht einer Steigerung um insgesamt 30 %. Bei den Angebotsmieten liegt Friedrichshain-Kreuzberg mit einem Median von 8,61 €/m2 an zweiter Stelle nach Charlottenburg-Wilmersdorf. Die Hälfte der Wohnungsangebote im Bezirk liegt zwischen 7,55 €/m2 und 10,00 €/m2. Innerhalb des Bezirks erreichen weite Teile von Friedrichshain-Kreuzberg ein überdurchschnittliches und partiell sogar stark überdurchschnittliches Niveau der Angebotsmieten. 27 Handlungsempfehlungen und Perspektiven Mit dem Wegfall der Anschlussförderung dürfen die Eigentümer/innen die Miete über die ortsübliche Vergleichsmiete für nichtpreisgebundenen Wohnraum nach dem Berliner Mietspiegel hinaus bis zur Höhe der vollen Kostenmieten anheben. Dies ist gemäß den Regelungen des Wohnungsbindungsgesetzes zur Kostenmiete (§§ 8 ff. WoBindG) zulässig. Da die Verfügungsberechtigten nicht an die Regelungen des BGB gebunden sind, kann die Miete schlagartig bis zur Kostenmiete erhöht werden. Diese beträgt häufig zwischen 13,00 € und 15,00 € netto kalt/m². Die davon betroffenen Mieter sind überwiegend berechtigt, d. h., mit einem WBS in diese Wohnungen eingezogen. Solche Mieterhöhungen sind von den Mietern wirtschaftlich nicht zu verkraften. Es bleibt den Mietern oft nur die Möglichkeit, die Wohnung zu kündigen. Das Bezirksamt hat sich auf der Grundlage eines BVV Beschluss beim Senat dafür eingesetzt, dass es für Menschen mit Behinderungen in den Mietausgleichsvorschriften zur Abfederung von Härtefällen eine grundsätzliche Anerkennung der Behinderung als besondere Härte geben sollte (DS/0095/IV). Das Bezirksamt ist nicht der Meinung, dass die ablehnende Antwort der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung die Situation von Menschen, welche auf einen Rollstuhl angewiesen sind, auf dem Wohnungsmarkt objektiv wiedergibt. Das Bezirksamt wird die Senatsverwaltung weiter auf die Probleme und die Folgekosten aufmerksam machen und einen verantwortungsvollen Umgang mit den speziell für Menschen mit Behinderung geförderten Sozialwohnungen einfordern.

27

Vgl. IBB Wohnungsmarktbarometer 2012

56

Die amtierende Stadträtin für Gesundheit forderte in einem Schreiben an Senator Müller (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt) diesen im Mai 2012 zur Erarbeitung eines Inklusionskonzeptes für den Wohnungsbau auf. Zugleich regte sie an, Menschen mit Behinderungen ebenfalls in die Erarbeitung des in der Koalitionsvereinbarung angekündigten Stadtentwicklungsplanes Wohnen („StEP Wohnen“) einzubeziehen. 3.3.2 Rollstuhlgerechtes Wohnen Angebot Rollstuhlgerechte Wohnungen sind nach der DIN-Norm 18025/1840-2 errichtete Wohnungen, die den Bedürfnissen der Rollstuhlfahrenden insbesondere bei der Ausstattung im Küchen- und Sanitärbereich angepasst sind. Rollstuhlbenutzerwohnungen sind in erster Linie für Menschen mit derartig schweren körperlichen Behinderungen gedacht, dass technische und bauliche Hilfen notwendig sind, um ihnen ein weitgehend selbstständiges Leben zu ermöglichen. RBWohnungen wurden hauptsächlich im Rahmen des geförderten Wohnungsbaues errichtet. Zur Anmietung einer RB-Wohnung ist (häufig) ein Wohnberechtigungsschein, in dem die Zugehörigkeit zum Personenkreis „Rollstuhlfahrer/in“ bestätigt ist, erforderlich. Vom Wohnungsamt Friedrichshain-Kreuzberg wurden 2012 insgesamt rd. 4230 Wohnberechtigungsscheine ausgestellt. Davon waren 29 Wohnberechtigungsscheine für Rollstuhlfahrende: 1 WBS bezog sich auf ...

Einzelpersonen

22 WBS bezogen sich auf ...

2-Personen-Haushalt

4 WBS bezogen sich auf ...

3-Personen-Haushalt

0 WBS bezogen sich auf ...

4-Personen-Haushalt

2 WBS bezog sich auf ...

mehr als 5-Personen-Haushalt

Rollstuhlgerechte Wohnangebote können auf der Informationsseite des Landesamtes für Gesundheit und Soziales eingesehen werden (www.rb-wohnungen.de, Zugriff am: 30.09.2013). Die dort gespeicherten Daten werden von den Wohnungsanbieter/innen freiwillig an das LaGeSo gesandt. Es besteht keine Meldepflicht, sodass die aufgeführten Wohnungen nur einen Bruchteil des Bestandes wiedergeben. Eine Überprüfung der Daten und eine zentrale Vermittlung erfolgt nicht. Fachliche Einschätzung Ein Wohnberechtigungsschein für Rollstuhlfahrende wird erteilt, wenn in einer Familie eine Person auf die ständige Nutzung des Rollstuhles auch innerhalb der Woh-

57

nung angewiesen ist. Im Wohnungsamt wird von einem wesentlich höherem Bedarf an barrierefreiem Wohnraum ausgegangen. So verzeichnen – bedingt durch die steigende Lebenserwartung der Bevölkerung bei gleichzeitiger Abnahme des Mobilitätsvermögens – die Beratungsstellen für Menschen mit Behinderungen, die Beauftragte für Menschen mit Behinderungen und andere Beratungsstellen eine kontinuierliche Nachfrage an barrierefreiem Wohnraum. Diese Nachfrage kann kaum befriedigt werden, da im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg als Innenstadtbezirk nur selten große Wohnungsbauvorhaben realisiert werden. Wenn Neubauvorhaben realisiert werden, wird der entstehende Wohnraum in vielen Fällen als Eigentumswohnung angeboten. Viele Wohnungen, die speziell für Rollstuhlfahrende und Menschen mit Behinderung gefördert wurden, sind vom Wegfall der Anschlussförderung im sozialen Wohnungsbau betroffen. Nach dem Ausstieg des Landes aus der Förderung durch Aufwandszuschüsse durften die Eigentümer rechtlich einwandfrei die Miete bis zur Kostenmiete erhöhen. Diese beträgt oft mehr als 15,00 € je m² netto kalt. In vielen Fällen wurden die Fördernehmer/innen insolvent und im Insolvenzverfahren wurden die Gebäude verkauft. Es folgte die Umwandlung in Eigentumswohnungen (Feilnerhöfe) und Nutzung als Ferienwohnung (Kochstr.) bei vorangegangener Vertreibung der Mieterinnen und Mieter durch Forderung der Kostenmiete. Von den 2.246 Wohneinheiten, die im Bezirk vom Wegfall der Anschlussförderung betroffen sind, entfallen 182 auf Wohnungen, die für Senioren gefördert wurden und 46 auf Wohnungen, die für Rollstuhlfahrende gefördert wurden. Das bedeutet, dass 23 % der öffentlich geförderten Seniorenwohnungen und 30 % der ehemals vorhandenen Rollstuhlfahrer/innenwohnungen vom Wegfall der Anschlussförderung betroffen sind. Dieser Wohnraum verfügt somit nicht mehr über eine Mietpreisbindung und ist auch von der Belegungsbindung (Vermietung nur an Rollstuhlfahrende) befreit. Somit kann davon ausgegangen werden, dass diese Wohnungen über kurz oder lang nicht mehr dem ursprünglich angedachten Nutzerkreis zu Verfügung stehen werden. 3.3.3 Betreutes Wohnen für Menschen mit Behinderungen Entsprechend dem hohen Anteil, den geistige und seelische Behinderungen an allen Behinderungen ausmachen – sowohl im Bezirk als auch bezogen auf Berlin – kann sich die Darstellung des Handlungsfeldes Wohnen nicht auf die Verfügbarkeit von rollstuhlgerechten Wohnungen beschränken. Der Blick muss auch auf die Wohnsituation der Menschen mit Behinderungen gelenkt werden, die Anspruch auf Leistungen nach § 55 Abs. 1 Zf. 6 SGB IX (betreutes Wohnen) haben. Dabei wird gemäß Berliner Rahmenvertrag gemäß § 79 Absatz 1 SGB XII für Hilfen in Einrichtungen einschließlich Diensten im Bereich Soziales (- BRV -) bzgl. der Zielgruppe der Menschen mit Behinderungen unterschieden in Angebote für Menschen 58

mit geistigen, körperlichen und/oder mehrfachen Behinderungen und Angebote für Menschen mit seelischen Behinderungen. Wohnformen für Menschen mit geistigen, körperlichen und/oder mehrfachen Behinderungen im Bezirk 28  Betreutes Einzelwohnen für Menschen mit geistiger, körperlicher und/oder mehrfacher Behinderung Das Betreute Einzelwohnen in einer eigenen, den individuellen Bedürfnissen entsprechenden Wohnung, stellt für Menschen mit Behinderung die der Normalität am stärksten entsprechende Wohnform dar.

Anbieter

Plätze

Arbeiterwohlfahrt City gGmbH, 10247 Berlin

25

Bastille - Gemeinsam sind wir stark - e.V., 10247 Berlin

30

Einhorn e. V., 10243 Berlin

8

Fortschritte e. V., 10247 Berlin

10

Lebenswege Betreutes Einzelwohnen gGmbH, 10243 Berlin

60

Lebenswege Wohnprojekte gGmbH, 10243 Berlin

60

Sinneswandel gGesellschaft zur Förderung gehörloser und hörgeschädigter Men- 50 schen in Berlin mbH, 10969 Berlin Spastikerhilfe Berlin eG, 10969 Berlin

90

Unionhilfswerk Sozialeinrichtungen gGmbH, 10249 Berlin

90

 Wohngemeinschaften für Menschen mit geistiger, körperlicher und/oder mehrfacher Behinderung, Leistungstypen I, II, III Orientiert am Normalisierungsprinzip sollen Wohngemeinschaften für Menschen mit Behinderung eine Wohnmöglichkeit bieten, in denen sie die erforderlichen Hilfen erhalten, um möglichst weitgehend selbst bestimmt leben zu können.

Anbieter

Plätze

aktion weitblick - betreutes wohnen – gGmbH, 10963 Berlin, 10961 Berlin

16

Arbeiterwohlfahrt City gemeinnützige Gesellschaft mbH, 10969 Berlin, 10963 Berlin, 26 10249 Berlin Bastille - gemeinsam sind wir stark - e.V., 10247 Berlin

28

15

Grundlage: Liste „alle LT aktuelle Preise“ von SenGesSoz, Abteilung Soziales, Stand: 26.03.2013. Es kann keine Gewähr für die Richtigkeit der aus dieser Liste abgelesenen Anbieter/Plätze übernommen werden. Zu beachten ist, dass die Plätze in Wohnangeboten für Menschen mit geistiger, körperlicher oder mehrfacher Behinderung nicht nach dem Wohnortprinzip vergeben werden, d. h., keiner regionalen Angebotssteuerung unterliegen.

59

Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft - Landesverband Berlin e.V. – prowo e.V., 5 10963 Berlin EJF gemeinnützige AG, 10969 Berlin

11

Lebenshilfe gGmbH, 10969 Berlin, 10961 Berlin, 10965 Berlin, 10249 Berlin

42

Lebenswege, 10247 Berlin

7

Sinneswandel - Gemeinnützige Gesellschaft zur Förderung gehörloser und hörge- 11 schädigter Menschen in Berlin mbH, 10969 Berlin Spastikerhilfe Berlin eG, 10247 Berlin

4

Unionhilfswerk, 10997 Berlin

12

Zukunftssicherung Berlin e.V., 10963 Berlin

10

 Betreutes Wohnen im Heim (Wohnheime) für Menschen mit geistiger, körperlicher und/oder mehrfacher Behinderung (mit externer und interner Tagesstruktur) Wohnheime stellen ein stationäres Betreuungsangebot dar, das im Rahmen einer primär pädagogisch begründeten Förderung lebenspraktische Fähigkeiten und Fertigkeiten bzw. deren Stabilisierung und Erhalt vermittelt.

Anbieter

Plätze

leben lernen gGmbH, 10245 Berlin

98

Lebenshilfe gGmbH, 10965 Berlin

18

Spastikerhilfe Berlin eG, 10965 Berlin

6

Wohnformen für Menschen mit seelischen Behinderungen im Bezirk 29  Therapeutisch betreutes Einzelwohnen für seelisch Behinderte Im therapeutisch betreuten Einzelwohnen werden Menschen mit seelischer Behinderung in ihrem individuellen Wohnumfeld (in eigener oder vom Träger zur Verfügung gestellten Wohnung) betreut. Therapeutisch betreutes Einzelwohnen kann in folgenden Wohnformen stattfinden:  Einzelwohnen  Wohnen in einer Partnerschaft, dabei können einer der beiden Partner oder beide der Betreuung bedürfen  Wohnen in einer Wohngemeinschaft mit anderen Menschen, die nicht von derselben Einrichtung betreut werden

Anbieter

Plätze

ADV gGmbH, 10559 Berlin

10

Diakonisches Werk Berlin Stadtmitte e.V., 10961 Berlin

4

29

Grundlage: Liste „Projekte Stand 2013“, SenGesSoz, Abteilung Gesundheit, Stand: 01.08.2013

60

DRK Berlin Süd-West Behindertenhilfe gGmbH, 10997 Berlin

20

Impulse Berlin, 10997 Berlin

20

IBZ Integratives Beratungszentrum, 12159 Berlin

20

KommRum e.V., 12159 Berlin

37

Lebenswelten e. V., 10117 Berlin

5

Pinel gGmbH, 10719 Berlin

20

PROWO e.V., 10967 Berlin

6

Stiftung SPI, 10317 Berlin

25

Vita e. V., 14052 Berlin

75

Vista gGmbH, 10969 Berlin

22

 Therapeutisch betreute Wohngemeinschaften für seelisch Behinderte Therapeutisch betreute Wohngemeinschaften nutzen zur Hilfeleistung das Zusammenleben von mehreren Menschen mit Behinderung als methodisches Prinzip. Therapeutisch betreutes Wohnen in einer Wohngemeinschaft findet in einer vom Leistungserbringer (Träger) angemieteten Wohnung statt.

Anbieter

Plätze

Diakonisches Werk Berlin Stadtmitte e.V., 10997 Berlin

20

kommrum e.V., 10249 Berlin, 10969 Berlin

16

Stiftung SPI, 10247 Berlin

13

VITA e.V. Berlin, 10961 Berlin

6

 Verbünde von therapeutisch betreutem Wohnen für Menschen mit seelischer Behinderung Der Verbund therapeutisch betreuter Wohnformen ermöglicht – unabhängig von der individuellen Wohnform der Menschen mit seelischer Behinderung – einen flexiblen und bedarfsgerechten Einsatz der Betreuungsleistung des Trägers. Der Verbund stellt die Verknüpfung von verschiedenen Wohnsituationen mit Betreuung innerhalb einer definierten Region (z. B. eines Bezirkes) dar.

Anbieter

Plätze

ajb GmbH, 10967 Berlin

29

Hiram Haus e.V., 10999 Berlin

9

Lebenswelten e.V., 10249 Berlin

45

MeG - betreutes Wohnen gGmbH, 10559 Berlin

15

prowo e.V., 10997 Berlin

69

Unionhilfswerk Sozialeinrichtungen gGmbH, 10249 Berlin

12

61

 Therapeutisch betreute Übergangsheime für Menschen mit seelischer Behinderung Das therapeutisch betreute Übergangsheim bildet aufgrund seiner besonderen rehabilitativen Ausrichtung das einzige stationäre Angebot und bietet einen besonderen, geschützten und strukturierten Rahmen.

Anbieter

Plätze

Unionhilfswerk Sozialeinrichtungen gGmbH, 10999 Berlin

32

Fachliche Einschätzung Für die Auswahl des passenden Leistungsangebotes benötigt das Fallmanagement der Eingliederungshilfe, über den festgestellten Hilfebedarf hinaus, differenzierte und breit gefächerte Informationen zu Wünschen, persönlichen Voraussetzungen und Lebensumfeld des Leistungsberechtigten. Die geografische Lage kann dabei insofern von Bedeutung sein, wenn durch eine wohnortnahe Versorgung mit einer passgenauen Leistung Beförderungskosten reduziert werden können. Die Entwicklung des Angebots an Wohnraum im Bezirk und der Angebotsmieten (Kap. 3.3.1) stellt die Anbieterseite von Leistungen des betreuten Wohnens zunehmend vor Herausforderungen. Es gibt zunehmend Probleme, Wohnraum für die Zielgruppe anzumieten. Insbesondere im Hinblick auf das Prinzip der regionalisierten Versorgung/Wohnortprinzip sind Menschen mit psychischen Erkrankungen in doppelter Weise von der Wohnungsknappheit im Bezirk betroffen: zum einen, weil preiswerter Wohnraum knapp wird und zum anderen aufgrund ihrer mit der Behinderung einhergehenden Persönlichkeitseigenschaften, welche sie zu einer für Vermieter/innen in der Regel nicht bevorzugt behandelten Mietergruppe machen. In der Konsequenz führt der Mangel an bezahlbarem Wohnraum auch dazu, dass die Nutzerinnen und Nutzer der therapeutischen Angebote häufig länger in der therapeutischen Umgebung verbleiben, weil zum Auszug eine Wohnung fehlt und damit der Zugang zu den therapeutischen Angeboten „verstopft“ wird. Für Wohnangebote für den Personenkreis der Menschen mit geistiger oder körperlicher Behinderung kann das Fallmanagement grundsätzlich alle im Land Berlin existenten Leistungsangebote in Betracht ziehen. Die an dieser Stelle aufgeführten Angebote stellen damit nur eine Orientierung zu den Angeboten dar, die beim Vorrang einer wohnortnahen Versorgung für Menschen aus Friedrichshain-Kreuzberg zur Verfügung stehen. Für Wohnangebote für den Personenkreis der Menschen mit seelischer Behinderung erfolgt die Koordination und Erbringung der notwendigen Leistungen grundsätzlich innerhalb des Wohnbezirks im Rahmen der regionalisierten psychiatrischen Pflicht-

62

versorgung als Grundprinzip. Die Auswahl des Leistungsträgers im Einzelfall findet im Steuerungsgremium Psychiatrie des Bezirks statt. Handlungsempfehlungen und Perspektiven Die ordnungsrechtlichen Anforderungen an die Leistungserbringer für die betreuten Wohnformen sind im Wohnteilhabegesetz (WTG) des Landes Berlin und den dazugehörigen Verordnungen geregelt. Zuständige Behörde ist die Heimaufsicht beim Landesamt für Gesundheit und Soziales. Bei der Ausgestaltung der Wohnangebote kommt dem Bezirk vor allem bei Angeboten für den Personenkreis der Menschen mit seelischer Behinderung eine fachlich beratende Funktion zu. Angebotserweiterungen bzw. neue Angebote müssen dem Bezirk zur Stellungnahme vorgelegt werden. Im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg wird hierzu in der Regel der Psychiatriebeirat (§ 3 Abs. 4 GDG) angehört. Den Trägern der psychiatrischen Pflichtversorgung wird im Rahmen der Gremien der Psychosozialen Arbeitsgemeinschaft (PSAG) Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Die fachliche Stellungnahme gegenüber der Senatsverwaltung für Gesundheit erfolgt durch die Psychiatriekoordination. Kritisch ist anzumerken, dass die Stellungnahme des Bezirks offenbar kaum Einfluss auf die Entscheidung der zuständigen Senatsverwaltung hat, ob einer Angebotserweiterung bzw. einem neuen Angebot zugestimmt wird. Hier fordert der Bezirk mehr Transparenz ein. Entscheidungen, insbesondere wenn sie von bezirklichen Stellungnahmen abweichen, sollten dem Bezirk gegenüber unaufgefordert begründet werden. Angebote zum betreuten Wohnen für Menschen mit geistigen und mehrfachen Behinderungen im Land Berlin wurden in einer Studie der Katholischen Hochschule für Sozialwesen überprüft. Trotz der insgesamt guten Ausgangslage konstatiert die Studie Handlungsbedarf. Dazu zählen u. a. folgende Aspekte: 30  Entwicklung einer Gesamtplanung für das Land Berlin  Erarbeitung von Instrumenten und Konzepten für individuellere und sozialraumorientierte Formen des Wohnens  Umsetzung von sozialraumorientierten Strategien zur Verbesserung der sozialen Einbindung von Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung in das Gemeinwesen  Verbesserung der Zugänglichkeit von stadtteilbezogenen allgemeinen Angeboten für Menschen mit Behinderung  Strukturelle und konzeptionelle Öffnung der Behindertenhilfe in den Sozialraum  Verstärkte Einbeziehung bürgerschaftlichen Engagements 30

Vgl. URL: http://www.khsb-berlin.de/index.php?id=1476, Zugriff am: 30.09.2013

63

 Interkulturelle Öffnung von Einrichtungen und Diensten  Entwicklung von Finanzierungsmodellen zur Realisierung sozialraumorientierter Arbeit mit Menschen mit Behinderung  Systematische Mitwirkung von Vertretern der Behindertenhilfe an regionalen Planungen  Realisierung der Partizipation von Menschen mit geistiger Behinderung in Gremien der Behindertenhilfe und der Kommunen i. S. politischer Teilhabe  Unterstützung der Bildung von bezirklichen Selbstvertretungsgruppen für Menschen mit geistiger Behinderung bzw. Lernschwierigkeiten Es sollte überprüft werden, inwiefern diese Schlussfolgerungen auch für die Angebotsentwicklung für Menschen mit seelischen Behinderungen zutreffen. Der Bezirk setzt sich dahingehend dafür ein, dass das Berliner PsychiatrieEntwicklungsprogramm aus dem Jahr 1996 überprüft und ggf. überarbeitet wird. Im Zuge der bezirklichen Psychiatrieplanung werden diese Fragen ebenfalls eine Rolle spielen.

3.4

Sport und Kultur

3.4.1 Freizeitsport im Bezirk Zuständigkeit und Handlungsspielräume Beim Schul- und Sportamt liegt die Verantwortung für 75 bezirkliche Schulturnhallen und 22 bezirkseigene Sportstätten. Neben einer intensiven Vergabekoordination, welche alle Interessen des Vereins- und Breitensport weitestgehend berücksichtigt, gehören die Pflege und Instandhaltung der Sportstätten zu den Hauptaufgaben des Bereiches. Eine direkte bezirkliche Zuständigkeit für Freizeitangebote für Menschen mit Behinderungen ist nicht gegeben. Allerdings engagiert sich das Bezirksamt hier für eine gute Zusammenarbeit mit Verbänden und Vereinen zur Förderung des Behindertensports. Erreichtes Auf der Internetseite des Behinderten-Sportverbandes Berlin 31 werden zahlreiche Sportarten mit den anbietenden Vereinen aufgelistet. Aktuell (Zugriff: 30.09.2013) sind auf dieser Seite für den Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg insgesamt 80 einzelne Sportangebote für Menschen mit Behinderungen hinterlegt (davon 47 Angebote für den Ortsteil Friedrichshain und 33 Einträge für den Ortsteil Kreuzberg).

31

URL: www.bsberlin.de, Zugriff am: 30.09.2013

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Das Bezirksamt hat im Jahr 2012 den Sportanlagenentwicklungsplan mit einer Aufstellung der bezirklichen Sportanlagen veröffentlicht. Von den 15 ungedeckten Sportanlagen im Vermögen des Bezirks (Fachbereich Sport) sind nahezu alle barrierefrei erreichbar. Das Willy-Kressmann-Stadion ist nur über einen Umweg oder Treppen erreichbar. Von den neun gedeckten Sportanlagen (Sporthallen) sind fünf nicht bzw. nur bedingt barrierefrei erreichbar – hier versperren Stufen Menschen, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind, den Zutritt. Das „Haus des Sports“ (Böcklerstr. 1) wurde im Jahr 2012 nach umfangreichen Sanierungen eröffnet. Das Haus verfügt jetzt neben Geschäfts- und Sitzungsräumen für die dort untergebrachten Sportvereine auch über einen Mehrzweckraum mit Tischen und Stühlen für 54 Personen sowie einen attraktiven Sportraum. Von den vier Schwimmbädern im Bezirk gehören drei Schwimmbäder den Berliner Bäderbetrieben (Holzmaktstr., Spreewaldbad, Prinzenbad). Alle drei Bäder sind barrierefrei erreichbar und benutzbar. Das durch einen Sportverein betriebene Baerwaldbad ist nicht barrierefrei erreichbar. Ein Umbau dieses Bades für eine barrierefreie Erreichbarkeit würde signifikante Umbaukosten benötigen. Das Schulbad in der Kohlfurter Str. ist ein Therapie- und Bewegungsbad und verfügt, neben der barrierefreien Erreichbarkeit, auch über geschultes Personal. Mit dem Gehörlosensportverband, welcher seinen Sitz in der Friedrichstr. 12 hat, besteht eine intensive und vertrauensvolle Zusammenarbeit. Dies führt dazu, dass herausragende Sportveranstaltungen in Friedrichshain-Kreuzberg stattfinden. Im Oktober 2010 haben in der Sporthalle der Fanny-Hensel-Grundschule die Berliner Meisterschaften im Behinderten-Tischtennis stattgefunden. Am 1.10.2011 haben die Deutschen Gehörlosenmeisterschaften im Volleyball in der Margarete-von-WitzlebenSchule stattgefunden. Das Deutsche GehörlosenSportfest im Basketball wurde im Juni 2012 in der gleichen Halle ausgerichtet. Dem Behinderten-Sportverband Berlin wird an 40 Sonnabenden und Sonntagen im Jahr die neue Sporthalle der Hausburggrundschule für Rollstuhltanz und RollstuhlCheerleading überlassen. Seit sieben Jahren stellt das Sportamt der Behindertenbeauftragten des Bezirks im Sommer einen Sportplatz zur Verfügung. In Kooperation mit freien Trägern wird jährlich ein Fußballturnier für Menschen mit Lernschwierigkeiten organisiert, welches seit zwei Jahren durch ein Sportfest ergänzt wird. Der Behinderten-Sportverein Kreuzberg hat seit Jahren regelmäßige Trainingszeiten für Gymnastik in der Gymnastikhalle Urbanstraße und für Badminton in der Turnhalle der Heinrich-Zille-Grundschule. Ein besonderes Angebot für Behindertensport wurde in Zusammenarbeit mit dem Sportverein Pfefferwerk e. V. realisiert. In der im Jahr 2012 nach Sanierungen neu

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eröffneten barrierefreien „Mariannen-Arena“ bietet der Verein sein ausgezeichnetes Sportangebot „Wheelsoccer – Rollstuhlfußball mit Kindern“ an. 32 Diese Halle wird vom Bezirksamt schwerpunktmäßig für den Kinder- und Behindertensport vorgehalten. Ein Angebot zur Information über Angebote des Behindertensports liegt mit der „Informationsstelle für den Sport behinderter Menschen“ vor. Die Infostelle ist eine Einrichtung der Senatsverwaltung für Inneres und Sport, der Freien Universität Berlin und des Deutschen Olympischen Sportbundes. Auf der Website finden sich zahlreiche Informationen zu Sportvereinen und informative Broschüren. 33 Herausforderungen Friedrichshain-Kreuzberg erweist sich im Berliner Vergleich als am schlechtesten mit Sportplätzen ausgestattet. Was die Verfügbarkeit von Sporthallen betrifft, steht der Bezirk auf dem vorletzten Platz. Auch hier besteht dringend Verbesserungsbedarf, welcher jedoch schwierig zu realisieren ist, da in der Innenstadt wenig Raum zur Verfügung steht. Bei der Erreichbarkeit vieler Schulturnhallen stellt es sich als großes Problem heraus, dass die meisten Gebäude um die Jahrhundertwende 19./20. Jahrhundert errichtet wurden. Durch Auflagen des Denkmalschutzes sind die Gebäude meist für Menschen mit Behinderung nicht barrierefrei zu gestalten. Eine entsprechende Umgestaltung ist in den meisten Fällen mit einem hohen finanziellen Aufwand verbunden. Auch bauliche Lösungen erweisen sich nicht immer als praxisgerecht: So wurden im gepflasterten Zugangsweg der im Jahr 2013 neu eröffneten „Mariannen-Arena“ Schienen eingesetzt, um Rollstuhlfahrenden den Zugang zu erleichtern. Diese Schienen sind nicht verstellbar. Aus diesem Grund sind sie lediglich für einen bestimmten Typ von Rollstuhl mit entsprechenden Reifenabstand passierbar. Als weiteres negatives Beispiel ist der Lift am Kurt-Ritter-Sportplatz zu nennen. Dieser neu angebaute Lift hatte nur eine sehr geringe Höhe zu überwinden und wurde daher nicht entsprechend genutzt. Die Instandhaltung erfolgte darauf nicht konsequent und die Anlage wurde mittlerweile abgebaut. Auch am Beispiel des Haus des Sports lässt sich ein ambivalentes Fazit ziehen: Zum einen wurden hohe Mittel in eine Sanierung des Objektes investiert. Dennoch ist ein völlig barrierefreier Zugang in das Haus nicht gegeben. Lediglich die Stufen zum Gymnastikraum können mit mobilen Rampen überwunden werden.

32

Vgl. URL: www.pfeffersport.de, Zugriff am: 30.09.2013

33

Vgl. URL: http://userpage.fu-berlin.de/~infobspo/index.html, Zugriff am: 30.09.2013

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Handlungsempfehlungen und Perspektiven Einige Barrieren beim Zugang zu Sportanlagen könnten gesenkt werden, indem mobile Rampen genutzt werden. Allerdings müssen diese Rampen je nach Veranstaltung organisiert werden und können – meist aus Platzgründen – nicht vor Ort gelagert werden. Darüber hinaus reichen diese auch nicht in allen Fällen für eine barrierefreie Erreichbarkeit aus. An den Einrichtungen, welche besonders prädestiniert für eine breite und inklusive Nutzung sind, scheint es sinnvoll, über entsprechende bauliche Nacharbeiten zur barrierefreien Erreichbarkeit nachzudenken. Die Fortschreibung des Sportanlagenentwicklungsplanes sollte um eine Betrachtung zur barrierefreien Erreichbarkeit der bezirklichen Sportanlagen ergänzt werden. 3.4.2 Kunst und Kultur Zuständigkeit Der Fachbereich Kultur und Geschichte des Bezirksamtes Friedrichshain-Kreuzberg ist eine spartenübergreifende kommunale Kulturinstitution. Er präsentiert ein eigenständiges, kontinuierliches Kulturangebot in seinen Einrichtungen „alte feuerwache“ und Galerie im Turm im Ortsteil Friedrichshain sowie Ballhaus Naunynstraße, Friedrichshain-Kreuzberg Museum und Kunstraum Kreuzberg/Bethanien im Ortsteil Kreuzberg. Die Vermittlung von Kontakten, Information und Beratung von Kunstschaffenden, Besucherinnen bzw. Besuchern, Presse und Institutionen sind nachgefragte Leistungen – über ein Ausschreibungsverfahren mit Juryentscheid trifft das Kulturamt transparente Förderentscheidungen für Projekte von Kunstschaffenden, Initiativen und Vereinen, deren Lebens- und/oder Arbeitsschwerpunkt in Friedrichshain-Kreuzberg liegt. Erreichtes Dem Leitbild des Amtes für Weiterbildung und Kultur ist zu entnehmen, dass kommunale Weiterbildungs- und Kulturarbeit niedrigschwelligen Zugang zu Bildung und Kultur bieten soll. Durch Förderung kultureller Eigenproduktivität soll Partizipation ermöglicht und Ressourcen der Adressaten gestärkt werden. Mit dem Stichwort „Diversity als Chance“ widmet sich das Kulturamt dabei vorrangig der Pflege kultureller Vielfalt im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. Der Fachbereich erkennt, dass Menschen, welche sich in diesem reichhaltigen Anregungsfeld professionell mit Kultur befassen, oftmals unter prekären Bedingungen leben. Dies prägt das Selbstverständnis des Fachbereiches: „Der Fachbereich Kultur und Geschichte hat den neuen Formen kultureller Mischung und Durchdringung eine besondere Aufmerksamkeit

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entgegenzubringen und differenzierte Förderempfehlungen zu entwickeln. Die Herausbildung von Diversity-Kompetenzen in der Mitarbeiterschaft schafft dafür Voraussetzungen.“ 34 Aus diesem lässt sich der Anspruch des Fachbereiches ableiten, Barrierefreiheit und Inklusion nicht nur für die Rezeption von Kunst und Kultur zu berücksichtigen, sondern auch das künstlerisch-kulturelle Engagement von Menschen mit Behinderungen in besonderer Weise zu fördern. Ein gelungenes Beispiel dafür ist die Unterstützung der Veranstaltungsreihe „Handiclapped“ des Vereins Kultur barrierefrei. In den Livekonzerten treten jeweils zwei Bands auf, die aus Musikern und Musikerinnen mit und ohne Behinderung bestehen. Gäste sind (bislang) zum größten Teil Menschen mit Behinderung, und ihre Freundinnen und Freunde, Familie und/oder Betreuer/innen. „Handiclapped“ findet in Berlin seit fünf Jahren zweimal monatlich statt, darunter regelmäßig in der „alten feuerwache“. Die Abende werden gut besucht. Etwa 50 bis 80 Gäste erfreuen sich an der Musik in der Regel von 18.00 bis 20.30 Uhr. Die Zeit ist bewusst gewählt worden, damit ebenfalls Menschen, die in Einrichtungen wohnen, die Konzerte besuchen können. 35 Im Kunstraum Kreuzberg/Bethanien fand 2012 und 2013 das Ausstellungsprojekt „Gebärde Zeichen Kunst. Gehörlose Kultur/Hörende Kultur“ statt. In der Ausstellung wurden Kunstformen vorgestellt, die sich im Spannungsfeld zwischen gehörloser und hörender Kultur bewegen. Gezeigt wurden Werke von Kunstschaffenden, die von unterschiedlichen Sprach- und Kommunikationssystemen ausgehen und bewusst mit den Differenzen, Ähnlichkeiten und spezifischen Eigenheiten arbeiten. Vertreten waren Werke, die sich mit Klang, Musik, Lautsprache, Gebärdensprache, Zeichen, Schriftsprache und den ihr inhärenten künstlerischen Potenzialen beschäftigten. „Gebärde Zeichen Kunst“ ist die weltweit erste Ausstellung, welche Kunstwerke präsentiert, die in den Schnittstellen zwischen gehörloser und hörender Kultur Gestalt annehmen. Der Fachbereich Kultur und Geschichte unterstützt ferner die Theatergruppe des Vereins „Bastille e. V. – gemeinsam sind wir stark“. Menschen mit Lernbehinderungen erarbeiten sich über mehrere Monate unter pädagogischer Anleitung ein Theaterstück, erschaffen Kostüme und Requisiten. Jeweils im Sommer wird an zwei Abenden das Ergebnis in der „alten feuerwache“ präsentiert. Herausforderungen Was die barrierefreie Erreichbarkeit der zuvor genannten öffentlichen FriedrichshainKreuzberger Kunst- und Kultureinrichtungen betrifft, so sind diese mit Ausnahmen für 34

Vgl. URL: http://www.kulturamt-friedrichshain-kreuzberg.de/profil.php, Zugriff am: 30.09.2013

35

Vgl. URL: http://handiclapped-berlin.de/, Zugriff am: 30.09.2013

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Menschen mit Behinderungen zugänglich. Im Ballhaus Naunynstraße sind die Sanitäranlagen aktuell nicht barrierefrei, werden aber 2014 entsprechend umgebaut. Gemäß den Vorgaben des Denkmalschutzes werden nicht alle Stufen rückgebaut werden können, sodass hier mit Rampen gearbeitet werden muss. Das Friedrichshain-Kreuzberg Museum, die Galerie im Turm und der Kunstraum Kreuzberg/Bethanien sind in Bezug auf die Überwindung der Stufen an den Eingängen barrierefrei. Das Theater in der „alten feuerwache“ ist über einen Aufzug zugänglich. Für Rollstuhlfahrende gibt es jedoch Schwierigkeiten im Zugang. Die Tür ist nicht immer geöffnet und es wird Assistenz beim Eintritt benötigt. Im Kunstraum Kreuzberg/Bethanien wurde eine schwere Eingangstür ausgetauscht gegen eine Glastür, sodass Menschen mit Behinderung nun gesehen werden können. Auch hier ist jedoch Assistenz erforderlich. Der Zugang soll durch eine auf Sitzhöhe angebrachte Klingel erleichtert werden. Der Fachbereich achtet darauf, dass bei der Bewilligung bezirklicher Zuschüsse für Kunst- und Kultureinrichtungen bzw. -veranstaltungen barrierefreie Erreichbarkeit der Angebote gegeben ist. Internetangebote sind nicht durchweg barrierefrei gestaltet. Hiervon sind besonders ältere Websites betroffen. In Ausstellungen werden reine Audioinformationen in der Regel visuell umgesetzt. Untertitel sind in verschiedenen Sprachen auswählbar. So kann der gesprochene Text über das Lesen vermittelt werden. Das größte Problem stellt sich jedoch aus Sicht des Fachbereiches für die Kunstwahrnehmung für Menschen mit Sehbehinderung ein, da viele Kunstgegenstände nicht berührt werden dürfen. Handlungsempfehlungen und Perspektiven In Bezug auf die Förderung von Kunst und Kultur erkennt der Fachbereich zahlreiche besondere Herausforderungen bzgl. Inklusion. Dies gilt nicht nur für die Möglichkeit der Rezeption, sondern auch im Hinblick auf die Förderung der künstlerischkulturellen Betätigung von Menschen mit Behinderungen. Diesbezüglich ist davon auszugehen, dass auch in Zukunft – sofern finanzielle Mittel dafür zur Verfügung stehen – weitere Angebote gemacht werden. Einschränkend ist anzumerken, dass diese speziellen Angebote bislang temporär waren. Wünschenswert wäre ein Konzept für ein regelhaftes inklusives Angebot für Menschen mit und ohne Behinderungen. Ggf. könnte hierzu eine der Einrichtungen des Bezirks modellhaft entsprechend weiterentwickelt werden. Der Fachbereich sieht darüber hinaus besonderen Handlungsbedarf bei der Vermittlung des Themas „Behinderung“ für Menschen ohne Behinderung. Inklusion wird hiermit als zweiseitiges Konzept verstanden: die Ermöglichung der Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am kulturellen und künstlerischem Leben erfordert es

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auch, dass sich „Mainstream-Kunst und -Kultur“ öffnen für die Kreativität von Menschen mit Behinderungen – seien es seelische und geistige Behinderungen, Mobilitätseinschränkungen oder Sinnesbehinderungen. Im Fachbereich Kunst und Kultur bestehen dahingehende Überlegungen, Kunstgegenstände für Menschen mit Sehbehinderungen zugänglich zu machen. Das „Ertasten“ von Kunst ist in Museen in der Regel ausgeschlossen. Hier sind gänzlich neue Konzepte für ein inklusives Kunst- und Kulturerleben gefragt.

3.5

Gesundheit und Soziales

3.5.1 Gremien der psychosozialen Versorgung Um die Belange von Menschen mit seelischen Behinderungen zu vertreten, existieren auf Bezirksebene verschiedene Gremien und Arbeitsgruppen. Die Psychosoziale Arbeitsgemeinschaft (PSAG) Friedrichshain-Kreuzberg ist ein selbstorganisiertes Gremium für alle an der psychosozialen Versorgung von Friedrichshain-Kreuzberger Bürgerinnen und Bürgern beteiligten Personen, Behörden, Institutionen und Verbände sowie Betroffenen und Angehörigen. Die gesetzliche Grundlage ist § 7 des Gesetzes für psychisch kranke Menschen (PsychKG). Die PSAG ist ein unabhängiges Gremium. Dieses setzt sich aus Bürgerinnen und Bürgern, Behörden, Institutionen, Verbänden, Betroffenen und Angehörigen zusammen, welche an der psychosozialen Versorgung im Bezirk beteiligt sind. Hierbei zielt die PSAG auf eine verbesserte Koordination sowie Netzwerkarbeit zwischen allen Beteiligten der psychosozialen Versorgung. Ein weiteres Ziel ist die Sicherstellung einer gemeindenahen psychosozialen Versorgung sowie die Qualitätsverbesserung (vgl. PsychKG 1994, § 7). Die PSAG tagt als Plenum. Die PSAG kann ständige oder zeitliche befristete Fach-Arbeitsgruppen (AG) zu spezifischen Problembereichen einrichten, um ihren Aufgaben gem. § 1 GO PSAG nachzukommen. In diesen AGen sind i. d. R. Träger, Fachabteilungen des Bezirksamtes und Kliniken vertreten. Die Arbeitsgruppen tagen in eigener Zeitabstimmung. Sie berichten regelmäßig in dem PSAG-Plenum über relevante Entwicklungen. Im Bezirk sind dies gegenwärtig sechs Facharbeitsgruppen. In Berlin erfolgt die Vergabe von Leistungen der Eingliederungshilfe gemäß den §§ 53 und 54 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) für Menschen mit seelischer Behinderung unter Einbeziehung der Steuerungsgremien Psychiatrie (SGP) in den zwölf Bezirken. Das SGP setzt sich aus der Psychiatriekoordinatorin und jeweils einer/einem Vertreter/in des Fallmanagements, des sozialpsychiatrischen Dienstes und der Leistungserbringer aus der Pflichtversorgung zusammen (vgl. Rahmengeschäftsordnung-SGP 2012, Abschn. 4). Das Steuerungsgremium Psychiatrie kann bereichsbezogen in Steuerungsgremium Allgemeine Psychiatrie und Steuerungs70

gremium Sucht differenziert werden. Im SGP geht es um die Steuerung und Koordination von Hilfsangeboten durch fachbezogene Empfehlungen. Dabei werden über den individuellen Bedarf des Betroffenen und mögliche bedarfsorientierte Maßnahmen der Eingliederungshilfe (z. B. TWG, BEW, Einzelfallhilfe etc.) beraten sowie über freie und belegte Plätze der Leistungsträger. Die Leitung liegt bei der bezirklichen Psychiatriekoordination und beinhaltet die Vorbereitung, die Durchführung, die Moderation und die Dokumentation der Arbeit der SGP. Das SGP-Sucht wird i. d. R. von dem/der Suchthilfekoordinator/in geleitet, in Friedrichshain-Kreuzberg derzeit von der amtierenden Psychiatriekoordinatorin. Aus einer AG der PSAG hat sich im Jahr 2003 der Gerontopsychiatrisch-Geriatrische Verbund – Netzwerk für ältere Menschen in Friedrichshain-Kreuzberg (GGV) als eigenständiger Verbund von mehr als 30 Einrichtungen aus den Bereichen Pflege, Altenhilfe, Geriatrie, Gerontopsychiatrie, Klinik und Verwaltung etabliert. In jedem Bezirk existiert ein derartiger Verbund, welcher sich jeweils eine Geschäftsordnung gibt. Die Organisationsstruktur ist nicht einheitlich geregelt. In Friedrichshain-Kreuzberg wird im PSAG-Plenum über Aktivitäten des GGV berichtet, einige Mitglieder des GGV sind zugleich Mitglieder im PSAG-Plenum. Zudem gibt es den Psychiatriebeirat als beratendes Gremium des für Gesundheit zuständigen Mitgliedes des Bezirksamtes. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen sind im § 3 Abs. 4 des Gesundheitsdienst-Gesetzes (GDG) geregelt: „Der Psychiatriebeirat berät das für das Gesundheitswesen zuständige Mitglied des Bezirksamtes in allen Fragen der Strukturentwicklung und psychosozialen Versorgung und ist vor grundsätzlichen Planungs- und Strukturentscheidungen zu hören“ (§ 3 Abs. 4 GDG). Die Psychiatriekoordination besitzt kein Stimmrecht und ist für die Geschäftsführung verantwortlich. Der Psychiatriebeirat besteht aus fachkundigen und stimmberechtigten Mitgliedern, welche von dem/der Stadtrat/Stadträtin für eine Legislaturperiode ernannt werden. 3.5.2 Beratungsstelle für hörbehinderte Kinder und Jugendliche Zuständigkeit Die Beratungsstelle für hörbehinderte Kinder und Jugendliche ist eine Einrichtung des Gesundheitsamtes Friedrichshain-Kreuzberg. Sie bildet mit der Beratungsstelle für sehbehinderte Menschen im Bezirk Mitte und der Beratungsstelle für sprachbehinderte Menschen im Bezirk Reinickendorf das „Berliner Zentrum für sinnesbehinderte Menschen“ und stellt ein bezirksübergreifendes Angebot dar. Die Beratungsstelle bietet an ihren derzeit zwei Standorten (Friedrichshain und Neukölln) für Kinder und Jugendliche eine umfassende kostenlose Untersuchung, Beratung und Betreuung bei Vorliegen oder Verdacht auf eine Hörstörung an. Dazu steht

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betroffenen Kindern und ihren Familien in der Beratungsstelle ein interdisziplinäres Team aus Fachärzte/ärztinnen für Phoniatrie/Pädaudiologie und HNO, Audiologieassistent(inn)en, Pädagog(inn)en für Hörgeschädigte, Logopäd(inn)en, Psychologe/ Psychologin, Sozialarbeiter/innen, Arzthelfer/innen und Verwaltungsangestellten zur Verfügung. Für die Inanspruchnahme werden weder eine ärztliche Überweisung noch die Vorlage einer Krankenversicherungskarte benötigt. Erreichtes In der Beratungsstelle werden Familien mit hörgeschädigten Kindern und Jugendlichen umfassend pädaudiologisch, pädagogisch und sozialrechtlich beraten und betreut. Basis dafür ist eine hochspezialisierte Hördiagnostik bei Kindern und Jugendlichen. Dabei umfasst das Leistungsspektrum der Beratungsstelle HNO-ärztliche Untersuchungen sowie fachärztliche Stellungnahmen, altersentsprechende Hörprüfverfahren, das Einleiten der Hörgeräteversorgung und regelmäßige Nachuntersuchungen, eine psychologische und logopädische Diagnostik und Beratung sowie eine interdisziplinäre Diagnostik bei Verdacht auf Vorliegen einer auditiven Verarbeitungsund Wahrnehmungsstörung. Bei Feststellung einer Hörstörung erfolgt eine eingehende pädagogische Beratung der Familien zu allen Fragen des Umganges mit dem hörgeschädigten Kind und mit der damit zumeist verbundenen Kommunikationsbehinderung des Kindes. Dies umfasst auch die Beratung zum Kitabesuch und zur Beschulung des Kindes. Sowohl Kita als auch Schule werden bei Bedarf durch spezielles pädagogisches Personal für Hörgeschädigte vor Ort beraten. Den Familien wird in der Beratungsstelle eine Frühbetreuung im Sinne einer sinnesspezifischen Frühförderung angeboten. Über die pädaudiologische und pädagogische Beratung und Betreuung hinaus erfolgt eine eingehende sozialrechtliche Beratung und Unterstützung bei der Beantragung sozialer Hilfen, z. B. bei der Beantragung des Schwerbehindertenausweises, des Landespflegegeldes oder eines Integrationsstatus. Ein besonderer Schwerpunkt der Arbeit der Beratungsstelle ist die Betreuung der Kinder gehörloser Familien. In einem regelmäßigen Turnus erfolgt neben der pädaudiologischen Untersuchung eine logopädische Begutachtung der Kinder, eine hörgeschädigtenpädagogische sowie eine sozialrechtliche Beratung und Unterstützung der Familien. Wenn fachkundige Übersetzungen in die Gebärdensprache dabei notwendig sind, werden diese durch das Gesundheitsamt finanziert. Herausforderungen Eine signifikante Herausforderung wird in der Betreuung von Kindern mit Hörbehinderung und ungeklärtem Aufenthaltsstatus gesehen. Dabei kann in der Beratungs72

stelle in der Regel die gesamte Hördiagnostik und Beratung geleistet werden, die Einleitung notwendiger Therapien und einer Versorgung mit Hörhilfen ist schwierig, äußerst zeitaufwendig und teilweise unmöglich. Ein hoher Anteil der die Beratungsstelle in Anspruch nehmenden Familien ist nichtdeutscher Herkunft und stammt aus einem fremden Kulturkreis. Das notwendige Einstellen auf die kulturellen Besonderheiten der Klienten, die Kenntnis und die Berücksichtigung völlig differenter Regeln der Kommunikation in den jeweiligen Kulturkreisen, aber auch sprachliche Barrieren stellen in der täglichen Beratung eine große Herausforderung dar. Eine fachliche Schwierigkeit besteht darin, sich der Stigmatisierung von Behinderung zu stellen. Die Nichtakzeptanz der Hörstörung führt dann häufig zunächst zu einer Ablehnung der notwendigen Hörhilfen und zumeist erst nach Eintritt eines nicht mehr zu übersehenden Entwicklungsrückstandes im Bereich der Sprache zu einer regelmäßigen Versorgung. Diese Stigmatisierung von Behinderung scheint auch milieuoder kulturspezifisch aufzutreten. Ob es sich hierbei in der Tat um ethnisch variierende Stigmatisierungen handelt oder ob diese vielmehr in Abhängigkeit vom soziokulturellen Milieu – und damit ethnisch unabhängig – zu sehen sind, bedarf jedoch weiterer Klärung (vgl. hierzu auch Kap. 4.1). Zuletzt sind die derzeitige und vom Senat vorgesehene Stellenausstattung und der im Rahmen des bezirklichen Stellenabbaues geplante Personalabbau nicht geeignet, beide Standorte der Beratungsstelle umfänglich in ihrer Interdisziplinarität und auch in Urlaubs- oder Krankheitszeiten aufrechtzuerhalten. Hier gilt es, ein Konzept für eine effektive, das gesamte fachliche Profil der Beratungsstelle erhaltende, Aufgabenerbringung zu finden und so dieses innerhalb des Öffentlichen Gesundheitsdienstes einzigartige Angebot zu erhalten. Handlungsempfehlungen und Perspektiven Die Beratungsstelle erfüllt innerhalb des Öffentlichen Gesundheitsdienstes eine wichtige Funktion hinsichtlich der Diagnose von Hörstörungen und der Beratung und Betreuung von Familien mit Kindern mit Hörbehinderung. Dieses breite, interdisziplinär angelegte Profil der Beratungsstelle muss erhalten bleiben. Dies schließt die Bereitstellung ausreichender Mittel für Sprachmittlerdienste, insbesondere im bereich Gebärdensprache, ein. Daneben besteht in Berlin ein dringender Bedarf an einem Programm zur sinnesspezifischen Frühförderung für hörgeschädigte Kinder. Berlin ist das einzige Bundesland, welches eine derartige Frühförderung bislang nicht regelhaft für alle betroffenen Kinder anbietet. Eine entsprechende Stellungnahme wurde in Zusammenarbeit der Beratungsstelle mit zahlreichen Akteuren aus Praxis (Förderzentren, Kindergärten), Klinik, Wissenschaft und Forschung (Charité, Humboldt Universität) und freien Trä-

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gern erarbeitet und liegt als Konsensuspapier den Senatsverwaltungen für Gesundheit und für Familie, Jugend und Bildung vor. Erreichbarkeit Standort Friedrichshain

Standort Neukölln

Koppenstr. 38-40, 10243 Berlin

Paster-Behrens-Str. 81, 12359 Berlin

Telefon: 90298-2824

Telefon: 6097-2500

E-Mail: [email protected]

E-Mail: [email protected]

Sprechzeiten nach telefonischer Vereinbarung!

3.5.3 Prävention, Gesundheitsförderung und Gesundheitshilfe für Erwachsene Zuständigkeit Der Fachbereich Prävention, Gesundheitsförderung und Gesundheitshilfe für Erwachsene im Gesundheitsamt Friedrichshain-Kreuzberg ist einerseits Psychosoziale Beratungsstelle für die Bürgerinnen und Bürger mit Diagnostik, sozialpädagogischer und ärztlich-psychotherapeutisch orientierter Beratung, Hilfevermittlung und nachgehender Gesundheitshilfe. Andererseits werden fachdienstliche Aufgaben für das Bezirksamt wahrgenommen (insbesondere für das Sozialamt Stellungnahmen zur Notwendigkeit und zum Umfang von (Teilhabe-)Leistungen nach dem SGB XII gefertigt) und es wird an der Planung, Qualitätssicherung und Weiterentwicklung der gemeindepsychiatrischen Versorgungsstruktur mitgewirkt. Mit dem Sozialpsychiatrischen Dienst nimmt der Fachbereich darüber hinaus hoheitliche Aufgaben entsprechend dem Berliner Gesetz für psychisch Kranke (PsychKG) wahr. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beraten und intervenieren in der Kooperation mit anderen Einrichtungen und Ämtern (z. B. dem Jugendamt im Falle psychisch kranker Eltern), der Polizei (im Umgang mit verhaltensauffälligen Personen) und Gerichten (Psychiatrische Gutachten z. B. zur Frage der Notwendigkeit einer gesetzlichen Betreuung). Gesetzliche Grundlage für die grundsätzliche subsidiäre Aufgabenwahrnehmung des Fachbereichs ist das Berliner Gesetz über den öffentlichen Gesundheitsdienst (insbesondere § 1, Abs. 3, Satz 3). Der Fachbereich gliedert sich in den Schwerpunkt Sozialpsychiatrischer Dienst mit ca. 4.500 beratenen und betreuten Personen/Jahr sowie den Schwerpunkt Soziale Beratung für behinderte, chronisch erkrankte und alte Menschen mit etwa 1.000 beratenen Personen/Jahr, was zusammen etwa 2 % der erwachsenen Bevölkerung des Bezirks entspricht. Der Fachbereich unterhält aus Gründen der Sozialraumorientierung und Bürgernähe zwei Standorte im Bezirk mit jeweils regionalen Versorgungsgebieten.

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Zielgruppe und Klientel Zielgruppe sind vorrangig Menschen mit Behinderung einschließlich psychisch Kranker, Abhängigkeitskranker sowie von Behinderung bedrohte oder durch psychische Erkrankungen oder Abhängigkeitserkrankungen gefährdete Menschen (§ 8, Abs. 2, Satz 4, 5, 6, Abs. 4 SGB XII). Ebenso werden alte Menschen mit sozialen Problemen beraten. Etwa 40 % der Klientel hat einen Migrationshintergrund, sodass in etwa der Anteil an der Gesamtbevölkerung repräsentiert ist. Im Schwerpunkt Soziale Beratung für behinderte, chronisch erkrankte und alte Menschen beträgt der Anteil der Menschen mit einer Krebsdiagnose etwa 25 % Die Beratungsstelle verzeichnet eine Zunahme von chronisch Kranken, die nicht gesetzlich versichert sind und aus den neuen EU-Ländern stammen. Mitarbeitende und Angebot im Schwerpunkt Soziale Beratung für behinderte, chronisch erkrankte und alte Menschen Es werden eine Fachärztin für Allgemeinmedizin und öffentliches Gesundheitswesen, 4 Sozialarbeiter/innen mit 3,6 VÄK sowie 1 Verwaltungsfachkraft beschäftigt. Das Angebot im Schwerpunkt Soziale Beratung für behinderte, chronisch erkrankte und alte Menschen richtet sich an Menschen mit primär körperlicher Beeinträchtigung, d. h. ohne wesentliche psychische Komorbidität:  Sozialpädagogische Beratung für volljährige Betroffene und deren Bezugspersonen über die Möglichkeiten behindertengerechten Wohnens und dessen Finanzierungsmöglichkeiten, über Eingliederungshilfe für behinderte und an Krebs erkrankte Menschen, z. B. ambulante, stationäre oder sonstige ärztliche Maßnahmen zur Verhütung, Beseitigung oder Milderung einer Beeinträchtigung oder deren Auswirkungen in Hinblick auf die Teilhabe,  Beratung zu weiteren Leistungen nach dem SGB XII und II, u. a. Hilfe zum Lebensunterhalt, Krankenhilfe, Hilfe zur Pflege, Telefonhilfe, Rundfunk- und Fernsehgebührenbefreiung, einmalige Beihilfen,  Beratung über das Schwerbehindertengesetz und Antragstellung zum Erhalt eines Schwerbehindertenausweises, Beratung und Antragsaufnahme über Kurmöglichkeiten bei Krebserkrankung und/oder Behinderung sowie Vermittlung von Selbsthilfegruppen,  Beratung und Vermittlung zur Aufnahme in ein Hospiz sowie palliative Behandlung und Vermittlung von Home-Care-Ärzten, Vermittlung von finanziellen Unterstützungen aus den Härtefonds der deutschen Krebshilfe und der Berliner Krebsgesellschaft sowie anderen Stiftungen,

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 Information über Möglichkeiten der häuslichen Pflegeversorgung über die Pflegekassen-Leistung gemäß Sozialgesetzbuch (SGB) XI, SGB XII und II sowie dem Berliner Pflegegesetz,  Vermittlung v. Tagespflege, stationären Pflegeeinrichtungen, Selbsthilfegruppen für pflegende Angehörige,  Beratung zu Hilfen f. die Berufausbildung o. eine sonstige Tätigkeit bei gesundheitl. Einschränkungen. Erreichtes Trotz struktureller Veränderungen konnte eine gleichbleibende Menge Klientinnen und Klienten beraten und betreut werden. Bewährt hat sich die Fachbereichseinheit, da manche Klienten sowohl im sozialpsychiatrischen Dienst als auch in der Beratung für behinderte, chronisch erkrankte und alte Menschen mit jeweils eigenen Anliegen betreut wurden, partiell auch im allgemeinen Sozialdienst des Sozialamtes, der in Friedrichshain-Kreuzberg 2010 abgeschafft wurde. Auch dort wurden pflegebedürftige, d. h., auch dem Personenkreis des Gesundheitsamtes zugehörige Personen betreut bzw. begutachtet, die nun neu zum Fachbereich hinzugekommen sind. Besonderes Merkmal des Fachbereichs bleibt – in Abgrenzung zu anderen Beratungsstellen des Bezirks – das multiprofessionelle Team aus sozialpädagogischen, ärztlichen und psychologischen Fachkräften. Neben Sprechstunden und Terminvergaben werden auch Hausbesuchen für mobilitätseingeschränkte, pflegebedürftige oder unmotivierte und nicht terminfähige Klientinnen und Klienten durchgeführt. Herausforderungen Aufgrund von Personalknappheit im Bezirksamt wurde im Jahr 2013 die Beratungsstelle „Soziale Beratung für behinderte, chronisch erkrankte und alte Menschen“ am Standort Urbanstraße 24 gebündelt und zusammengeführt. Der Standort Koppenstraße 38/40 wurde geschlossen. Dort findet allerdings weiterhin die psychosoziale Beratung durch den Sozialpsychiatrischen Dienst statt. Es wird künftig eine erhöhte Nutzung von Sprachmittlerdiensten erforderlich sein. Lösungen für Problemlagen von Bürgerinnen und Bürgern erfordern zunehmend mehr Personalzeit. Dies hängt auch damit zusammen, dass andere Institutionen kritischer prüfen und bürokratischer werden – z. B. aus Angst vor eine Rechungsprüfung – und deshalb differenziertere und mehrfache Stellungnahmen des Gesundheitsamtes erwarten, wenn pragmatische Lösungen nicht den vorgesehen Möglichkeiten entsprechen. So wird beispielsweise erwartet, dass ALG/Grundsicherungsempfänger für größere Anschaffungen ansparen, was Planungsvermögen und Disziplin voraussetzt, die viele psychisch kranke Menschen nicht haben. Einmalige Beihilfen sind grundsätzlich nicht mehr vorgesehen, sodass es extrem zeitaufwendig ist, Lösungen für die Situa76

tion zu finden, um eine Überschuldung mit absehbarem Wohnungsverlust zu verhindern (z. T. Stiftungsmittel). Oft kommt – da auch andere Institutionen unter Personalknappheit leiden und nur das Nötigste leisten – die vorgesehene Koordinierungsarbeit vom Zeitaufwand her einer Klient(inn)enbetreuung gleich, da auch bei Institutionen Aufklärungs- und Motivationsarbeit zu leisten ist, um eine angemessene Versorgung der Hilfebedürftigen organisieren zu können. Es sind oft mehrere Hausbesuche notwendig. Dies ist in der Gesamtpersonalausstattung – im Vergleich zu anderen Institutionen – unzureichend berücksichtigt. Handlungsempfehlungen und Perspektiven Vorrangiges Handlungsziel ist der Erhalt der Beratungsangebote für die Bevölkerung. Voraussetzung dafür ist es, dass kein weiterer Personalbbau vorgenommen wird. Die Beschäftigten arbeiten aufgrund der knappen Personalsituation unter hoher Belastung. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen für soziale Hilfen für Menschen mit Behinderungen werden teilweise als gut eingeschätzt, was den Einsatz personeller Hilfen (Eingliederungshilfe) betrifft. Die Möglichkeiten für krankheitsbedingten Mehrbedarf oder einmalige Hilfen, welche dann nicht aussichtslos als Darlehen gewährt werden, sind gering. Die notwendigen Ressourcen in den Verwaltungen müssen existieren, damit alle gesetzlichen Rahmenvorgaben adäquat umgesetzt werden können. Als Hauptproblem für die Durchsetzung der Inklusion im Wohnalltag wird die Schwierigkeit gesehen, für alte Menschen, verhaltensauffällige Menschen und Niedrigeinkommensbezieher bezahlbaren und barrierefreien Wohnraum im Bezirk zu finden. Hilfreich für die Erfassung der Angebote wäre eine zentrale Schnittstelle auf Verwaltungsebene, die systematisch Angebote erfasst und diese in einer öffentlich zugänglichen Datenbank zur Verfügung stellt. Die existierende Übersicht auf der Seite des Landesamtes für Gesundheit und Soziales (www.rb-wohnungen.de, Zugriff am: 30.09.2013) beruht auf einer selbst motivierten und eigenverantwortlichen Meldung durch die Vermietenden und stellt insofern nur einen Ausschnitt der möglichen Angebote dar. Die Personalausstattung ist zur Aufrechterhaltung der Leistungserbringung im bisherigen Umfang durch neue und jüngere Beschäftigte, welche ebenfalls fachlich zeitgemäßen Input einbringen, zu verbessern. Es ist kaum möglich ist, zum aktuellen TV-L ohne Sonderregelung für Ärzte geeignete Fachärzte mit auch psychotherapeutischer Qualifikation zu gewinnen. Es mangelt an sozialpädagogischem Personal, dass die Ausbildung und Berufssozialisation in

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den letzten zehn Jahren erfahren hat, therapeutische Zusatzqualifikationen besitzt oder über Berufserfahrung in der intensiven Betreuung (z. B. Eingliederungshilfe) verfügt. Erreichbarkeiten:  Soziale Beratung für behinderte, chronisch erkrankte und alte Menschen Urbanstr. 24, 10967 Berlin Erdgeschoss – rollstuhlgerechter Zugang über den Seiteneingang zum Flachbau Telefon: 90298-8359 E-Mail: [email protected] Offene Sprechstunde: Dienstags von 9.00 Uhr bis 12.00 Uhr sowie nach Vereinbarung

 Sozialpsychiatrischer Dienst Standort Kreuzberg

Standort Friedrichshain

Urbanstr. 24, 10967 Berlin

Koppenstr. 38-40, 10243 Berlin

3. Obergeschoss (Aufzug vorhanden), rollstuhlgerechter Zugang über den Seiteneingang zum Flachbau

2. Obergeschoss (Aufzug an der Außenseite des Gebäudes)

Telefon: 90298 - 8400

E-Mail: [email protected]

Telefon: 90298 - 2770

E-Mail: [email protected] Offene Sprechstunde an beiden Standorten: Dienstags von 9.00-12.00 Uhr Donnerstags von 16.00-18.00 Uhr sowie nach Vereinbarung

3.5.4 Eingliederungshilfe für erwachsene Menschen mit Behinderung 36 Zuständigkeit Die Leistungsgewährung der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung ist rechtlich im Sozialgesetzbuch (SGB XII und SGB IX) verankert. Wesentliche Zielsetzung der Eingliederungshilfe ist es, Menschen mit Behinderung die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu ermöglichen und sie in die Gesellschaft einzugliedern. Zuständig für die Gewährung von Eingliederungshilfe für Erwachsene ist das Sozialamt als Träger der Sozialhilfe. Für Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren ist das Jugendamt zuständig (vgl. 3.5.4). Für Erwachsene unter 27 Jahren ist das Jugendamt zuständig, wenn die/der Leistungsberechtigte noch Leistungen der Jugendhilfe erhält. 36

Vgl. hierzu auch: Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales (2010), Handbuch für das Fallmanagement in der Eingliederungshilfe nach SGB XII (Sozialämter). Berlin: SenIAS.

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Der Eingliederungshilfe ist derart zu gestalten, dass Menschen mit Behinderung ein weitestgehend selbstbestimmtes Leben in eigener Verantwortung realisieren können. Einer qualifizierten Beratung sowie der Beachtung des Wunsch- und Wahlrechtes der/s Leistungsberechtigten kommt dabei ein besonderer Stellenwert zu, um die individuell erforderliche Hilfe passgenau und zielorientiert auszurichten. Die Zahl der Leistungsempfänger/innen der Eingliederungshilfe für Erwachsene im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg liegt bei ca. 1.800 Personen. Darunter sind etwa 400 Suchtkranke, die Anspruch auf soziale Betreuung im Zuge von Polamidonsubstitution haben, ca. 400 Fälle mit Einzelfallhilfe für psychisch kranke Menschen, ca. 50 mit Einzelfallhilfe für Menschen mit körperlicher und geistiger Behinderung und ca. 450 Personen in Werkstätten für Menschen mit Behinderung. Das System der Hilfen für Menschen mit seelischer Behinderung ist im Unterschied zu den übrigen Hilfesystemen in Berlin durch besondere Steuerungsformen des Angebots an Hilfen (Steuerungsgremien auf bezirklicher Ebene) geprägt. Systeme, wie das bezirkliche Steuerungsgremium Psychiatrie und die bezirkliche Psychiatriekoordination, nehmen u. a. die Aufgabe wahr, diese Abstimmung und stetige Anpassung der Leistungen nach Art und Umfang sicherzustellen. Fallmanagement Im Jahr 2006 haben die bezirklichen Sozialämter von Berlin damit begonnen, Fallmanagement in der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung einzuführen. Eine gemeinsam zwischen den Bezirksämtern von Berlin, der Senatsverwaltung für Finanzen und der für den Bereich Soziales zuständigen Senatsfachverwaltung abgeschlossene erste Zielvereinbarung gab den hierfür notwendigen Impuls. Die Reform der Eingliederungshilfe mit der Einführung des Fallmanagements wird als deutliche Verbesserung im Prozess der Hilfen gewertet. Das Grundprinzip der neuen Arbeitsmethode ist ein integriertes Eingliederungshilfe-Verfahren. Es orientiert sich am individuellen Hilfebedarf des Menschen mit Behinderung und steuert die Leistungen unter ziel- und wirkungsorientierten Gesichtspunkten aktiv und qualitativ hochwertig (einzelfallorientierte Leistungssteuerung). Das Fallmanagement trägt die Gesamtverantwortung für den jeweiligen Einzelfall, d. h. neben der Verantwortung für die Leistungen der Eingliederungshilfe auch die Verantwortung für die Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt bzw. Grundsicherung und der Hilfe zur Pflege nach SGB XII sowie der Gewährung von Leistungen nach dem Landespflegegeldgesetz, soweit diesbezügliche Rechtsansprüche des Menschen mit Behinderung bestehen. Die vielfältigen und anspruchsvollen Anforderungen an eine(n) Fallmanager/in des bezirklichen Geschäftsbereiches Soziales erfordern eine umfassende Basisqualifizierung. Das entsprechende Konzept hat die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit

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und Soziales erarbeitet und die Verwaltungsakademie Berlin (VAk) mit der Durchführung des Qualifizierungsprogramms betraut. Persönliches Budget als Instrument der Eingliederungshilfe Leistungsberechtigte (Behinderte oder von Behinderung bedrohte Menschen) haben seit dem 1. Januar 2008 einen Rechtsanspruch auf Leistungen in Form eines persönlichen Budgets. Angesichts der hohen Bedeutung, der dem Ziel einer Unterstützung zur eigenständigen Lebensführung in der Eingliederungshilfe beigemessen wird, ist dies zu begrüßen. Dass das trägerübergreifende persönliche Budget berlinweit eingeführt wurde, ist u. a. dem Engagement des Bezirks zu verdanken: In den Jahren 2004 bis 2007 wurde das persönliche Budget hier im Rahmen eines Modellprojektes erprobt. Dabei wurde deutlich, dass diese Form der Hilfegewährung nur dann erfolgreich sein kann, wenn es in der Verwaltung einen breiten Konsens und ein – ebenfalls politisches – Bekenntnis dazu gibt. Aufgrund der Erfahrungen aus der Pilotphase kann das Modell des persönlichen Bugdets im Bezirk als sehr gut umgesetzt gelten. Als positiv wird die Verbindlichkeit der Zusammenarbeit bei der Einleitung einer Hilfemaßnahme für Menschen mit seelischer Behinderung im Rahmen des Steuerungsgremiums Psychiatrie im Bezirk dargestellt. Auch die Zusammenarbeit in den bezirklichen Gremien der Psychosozialen Arbeitsgemeinschaft kann als erfolgreich bewertet werden. Mit den Steuerungsgremien und den PSAG-Gremien existiert eine Struktur, die neben der konkreten Steuerung der Hilfen zudem inhaltliche Entwicklungen bei den Angeboten der regionalen psychiatrischen Pflichtversorgung befördern kann. Herausforderungen Optimierungsbedarf im Eingliederungshilfeverfahren für Menschen mit seelischen Behinderungen wird hinsichtlich der Zusammenarbeit mit dem begutachtenden Dienst des Gesundheitsamtes gesehen. Dies betrifft auch die zum Teil lange Dauer der Erstbegutachtungen zur Zugehörigkeit zum Personenkreis, die wiederholt seitens der Leistungserbringenden kritisiert wird. Die Abstimmungen diesbezüglich laufen. Im Psychiatriebeirat des Bezirks wurde im Juni 2013 von beiden Ämtern der Stand der Dinge bei der Erarbeitung einer Kooperationsvereinbarung zwischen den Verwaltungsbereichen Soziales und Gesundheit berichtet. Der Abschluss dieser Vereinbarung für den Bezirk wird von beiden Ämtern als unproblematisch eingeschätzt. Die angespannte Personalsituation erweist sich aufgrund des nicht optimalen Verhältnisses zwischen Fallmanagement und Klientel oftmals als hinderlich für ein optimales Hilfeverfahren. Leider ist die Verteilung der Fälle im Bezirk nicht optimal. Während ein Verhältnis von 1:75 (Fallmanager/in zu Hilfeempfänger/innen) als Zielgröße im Rahmen der Balan80

ced Scorecard angestrebt wird, beträgt das Verhältnis in Friedrichshain-Kreuzberg etwa 1:95. Schnittstellen zur Hilfe zur Pflege Der Hilfe zur Pflege geht die Eingliederungshilfe für erwachsene Menschen mit Behinderung als weitergehende Hilfeart grundsätzlich vor. Solange noch Fortschritte in der selbstständigen Lebensführung des Menschen mit Behinderung möglich sind, wird grundsätzlich nicht Hilfe zur Pflege, sondern Eingliederungshilfe gewährt. Daher umfasst die Eingliederungshilfe in vollstationären Einrichtungen der Behindertenhilfe die erforderlichen Pflegeleistungen. Auch schwerste Pflegebedürftigkeit oder ein hohes Alter schließen Leistungen der Eingliederungshilfe neben den Leistungen der Pflege nicht aus, soweit die Ziele der Eingliederungshilfe noch erreichbar sind. Die Überschneidungen zwischen beiden Bereichen werden in den kommenden Jahren zunehmen. Dies hängt nicht nur mit der demografischen Alterung der Gesellschaft zusammen sondern auch mit der zu erwartenden Zunahme an Demenzerkrankungen. Durch die allgemein gestiegene Lebenserwartung werden gleichfalls mehr Menschen mit Behinderung ein hohes Lebensalter erreichen, sodass der Unterstützungsbedarf für diese auch im Bereich der Pflege zunehmen wird. Hier ist mit steigenden Ausgaben zu rechnen. Handlungsempfehlungen und Perspektiven Zwischen November 2011 und März 2013 fand in allen Berliner Bezirken eine Kund(innen)befragung im Fallmanagement der Eingliederungshilfe statt. Im Auftrag der damaligen Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales Berlin wurde die Befragung durch die Katholische Hochschule für Sozialwesen Berlin, Studiengang Heilpädagogik (Prof. Dr. Burtscher, Prof. Dr. Fischer) durchgeführt. Die Befragung erfolgte im Rahmen von Fragebögen, welche schriftlich von den Leistungsberechtigten ausgefüllt wurden. Die Empfehlungen der Autorinnen und Autoren der Studie im Hinblick auf das bezirkliche Fallmanagement sind nachfolgend zusammengefasst:  Bei zukünftigen Qualifizierungsmaßnahmen sollte die Frage nach der Beteiligung von Leistungsberechtigten im Beratungsprozess stärker reflektiert werden, z. B.: Wie können Leistungsberechtigte bei Entscheidungen besser einbezogen werden? Wie lassen sich Wünsche und Bedarfe erheben und berücksichtigen? Wie lässt sich in dieser Hinsicht die Beratungskompetenz weiterentwickeln?  Auch die Zusammenarbeit mit Leistungsberechtigten mit sogenannter geistiger Behinderung sollte in zukünftigen Qualifizierungsmaßnahmen stärker berücksichtigt werden.  Empfohlen wird ferner, dass die Fallmanager/innen deutlicher ihre Aufgaben gegenüber dem Leistungsberechtigten benennen. Ein Informationsblatt in all-

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gemein gut verständlicher und in leichter Sprache könnte manche Erwartung klären und Missverständnissen vorbeugen.  Der persönliche Kontakt und ausreichend Zeit während der Beratung erscheinen für viele Befragte wichtig. Daher wurde empfohlen, die Kontakthäufigkeit und die Dauer der gemeinsamen Beratungszeit zu überprüfen.  Einige Befragte wünschen sich eine verbesserte Erreichbarkeit. Es gehört zu den Aufgaben des Fallmanagements, die Wünsche und Erfordernisse des betroffenen Personenkreises regelmäßig zu erfragen und darauf basierend festzulegen, welche Veränderungen im Fallmanagement durchgeführt werden können, um die Ziele besser erreichen zu können. 3.5.5 Hilfen für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen Zuständigkeit Kinder und Jugendliche, welche körperlich, geistig oder seelisch behindert sind oder von einer solchen Behinderung bedroht sind, können Leistungen der Eingliederungshilfe erhalten. Dabei wird der Einzelfall geprüft. Hilfen sind möglich in ambulanter Form, in Tageseinrichtungen für Kinder oder in weiteren teilstationären Einrichtungen, durch geeignete Pflegepersonen und in Einrichtungen über Tag und Nacht sowie in sonstigen Wohnformen. Die körperlich/geistigen Behinderungen nach §§ 53/54 SGB XII werden im Fallmanagement des Jugendamtes nach Anfangsbuchstaben des Nachnamens des Kindes bearbeitet. Die Zuständigkeit für die seelischen Behinderungen bei Kindern und Jugendlichen nach § 35a SGB VIII liegt in den Regionalen Sozialen Diensten. Hier richten sich die zuständigen Ansprechpersonen danach, in welcher Region des Bezirks die Eltern des Kindes wohnen. 37 Unabhängig von einem Bedarf an Eingliederungshilfe können Eltern von Kindern mit Behinderung auch Hilfen zur Erziehung nach § 27 ff. SGB VIII in Anspruch nehmen. Die Bewilligung der Eingliederungshilfe für Kinder und Jugendliche mit Behinderung wird nach den Grundsätzen des Fallmanagements erbracht. Fallmanagement für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen Kinder und Jugendliche mit Behinderungen haben Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe nach §§ 53 ff. SGB XII. Das Fallmanagement des Jugendamtes ist zuständig für Kinder und Jugendliche bis zum 18. Lebensjahr mit einer geistigen und/oder körperlichen Behinderung.

37

Regionaler sozialpädagogischer Dienst des Jugendamtes Friedrichshain-Kreuzberg: http://www.berlin.de/ba-friedrichshain-kreuzberg/verwaltung/org/jugendamt/rsd.html, Zugriff am: 30.09.2013

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Die Leistungen der Eingliederungshilfe umfassen:  Beratung und Unterstützung von Familien mit Kindern, welche eine Behinderung aufweisen und den Umgang damit im Alltag,  allgemeine Beratung zu Leistungsansprüchen nach dem SGB IX, XI und XII,  Gewährung von ambulanten und stationären Eingliederungshilfen nach dem SGBXII und von Pflegegeld nach dem Landespflegegeldgesetz,  Beratung zum persönlichen Budget nach § 57 SGB XII,  Hilfen beim Stellen von Anträgen auf u. a. Eingliederungshilfe, Pflegegeld und Schwerbehindertenausweis,  Vermittlung von Hilfs- und Beratungsangeboten zu behinderungsspezifischen Problemen Persönliches Budget als Instrument der Eingliederungshilfe Seit dem Jahr 2008 besteht bundesweit einen Rechtsanspruch auf das persönliche Budget als Teilhabeleistung für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen (§ 159 Abs. V SGB IX). Mit der Einführung des persönlichen Budgets verbanden sich Hoffnungen auf eine stärkere Unterstützung der Selbstbestimmung in den Familien mit Kindern mit Behinderung. Das im SGB IX enthaltene zentrale Ziel bei der Gewährung eines persönlichen Budgets ist die Ermöglichung eines möglichst selbstbestimmten Lebens für den Budgetnehmer. Dieser erhält die finanziellen Mittel, um selbst die nötigen Leistungen „einzukaufen“ 38 . Als Leistung der Kinder- und Jugendhilfe ist das persönliche Budget eine Eingliederungshilfeleistung für Kinder und Jugendliche, welche von einer seelischen Behinderung betroffen oder bedroht sind. 39 Ein persönliches Budget im Sinne des SGB IX kann Eingliederungshilfeleistungen im Sinne des § 35a SGB VIII und Leistungen anderer Rehabilitationsträger umfassen, nicht aber andere SGB VIII-Leistungen (z. B. Erziehungshilfe). Das persönliche Budget als Leistung der Kinder- und Jugendhilfe ist im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg in der Verantwortung des Regionalen Sozialpädagogischen Dienstes (RSD) organisiert. Das persönliche Budget für Kinder und Jugendliche mit

38

Vgl. Bundesarbeitsgemeinschaft der Jugendämter (2009), Diskussionspapier: Das persönliche Budget in der Kinder- und Jugendhilfe. Mainz: Bundesarbeitsgemeinschaft Landesjugendämter c/o Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung. Online: http://www.bagljae.de, Zugriff am: 30.09.2013

39

Vgl. Schindler, Gila (2012), Persönliches Budget als Leistung der Kinder- und Jugendhilfe – oder: Nur Mut zum Unbekannten! In: Forum D 4/2012, S. 2.

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körperlichen oder geistigen Behinderungen wird durch das Fallmanagement nach den Vorschriften des SGB XII erbracht. Eine Besonderheit des persönlichen Budgets als Leistung des Sozialhilfeträgers für Kinder und Jugendliche liegt darin, dass die Budgetnehmer entweder zum Arbeitgebenden werden oder selbst einen Träger mit der Erbringung der Leistung beauftragen. Damit sind hohe Ansprüche an die Budgetnehmer verbunden. Sie müssen die Gelder, die sie auf ihr persönliches Konto übertragen bekommen, selbstständig verwalten und schließlich den Nachweis erbringen, dass diese zweckgebunden eingesetzt werden. Damit ist eine große Verantwortung und ein hoher administrativer Aufwand verbunden. Ferner sind Kinder und Jugendliche, welche die eigentlichen Budgetnehmer sind, bis zum Erreichen der Volljährigkeit dem Sorgerecht Ihrer Eltern oder anderer Personen unterstellt. Somit ist in der Praxis bei Entscheidungen über das persönliche Budget stets die Zustimmung oder Genehmigung der gesetzlichen Vertreter, im Regelfall also der Eltern, erforderlich. Für die betreffenden Familien kann die Inanspruchnahme eines persönlichen Budgets jedoch größere Flexibilität und individuellere Hilfen ermöglichen. Bei Eingliederungshilfen für junge Volljährige (§ 35a i. V. mit § 41 SGB VIII) kann das persönliche Budget insbesondere geeignet sein, die Führung eines selbstbestimmten Lebens zu erleichtern. 40 Ob das persönliche Budget bei Minderjährigen in Betracht kommt, muss sorgfältig geprüft, begründet und das Ergebnis aktenkundig gemacht werden. Gruppenangebote der Eingliederungshilfe für Kinder- und Jugendliche In jedem Handlungsfeld der Inklusion von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen – sei es in der vorschulischen Kindertagesbetreuung, der Schule, der offenen Kinder- und Jugendarbeit oder der Eingliederungshilfe – steht eine zentrale Frage im Mittelpunkt: Wie sind Hilfen zu gestalten, damit sie einerseits dem individuellen Entwicklungs- und Unterstützungsbedarf eines Kindes oder Jugendlichen mit einer Behinderung gerecht werden, andererseits jedoch zugleich nicht dazu führen, dass sich Hilfeempfangende als anders, abweichend, nicht „normal“ wahrnehmen? Dies ist die Kernfrage gelingender Inklusion, welche auf den Spagat zwischen individueller Förderung aufgrund einer Behinderung und gesellschaftlicher Teilhabe mit Menschen mit und ohne Behinderung hinweist. Die gesetzlichen Vorgaben etwa zur Eingliederungshilfe setzen die Prüfung des Bedarfes des einzelnen Menschen voraus, was es erschwert, Gruppenangebote zu etablieren. Dennoch werden zunehmend solche integrativen Gruppen eingerichtet. So hat das Fallmanagement des Jugendamtes Friedrichshain-Kreuzberg seit 2008 eine für Berlin neue Eingliederungshilfeart in Form von vier sozialen Gruppen – darunter eine

40

Vgl. Bundesarbeitsgemeinschaft der Jugendämter, a. a. O.

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bilinguale Gruppe – etabliert. Ab dem Jahr 2013 wird zudem im Rahmen eines FuAProjektes mit dem Träger „Jugendwohnen im Kiez“ im Familienzentrum Adalbertstraße eine integrative Sportgruppe aufgebaut. Wünschenswert wäre es, wenn derartige Angebote bspw. auch im Bereich des vereinsgebundenden Freizeit- und Leistungssports installiert werden könnten. Da Sportvereine in der Regel leistungsorientiert arbeiten, sind solche integrativen Angebote in der Praxis schwer einzurichten. Spezielle, integrative Angebote für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen, die gewisse Einschränkungen bei der Leistungsorientierung machen, könnten wiederum von den Kindern und Jugendlichen selbst als „nicht echte“ Sportgruppen wahrgenommen werden. In diesem Spannungsfeld bewegen sich alle integrativen Angebote. Angebote der Frühförderung (Jug KBE) Angebote der Frühförderung und Sozialpädiatrie orientieren sich an den individuellen Erfordernissen der Kinder mit Behinderung und berücksichtigen das Alter des Kindes ebenso wie Art und Grad der Behinderung. Derartige Leistungen werden von entsprechenden Fachleuten erarbeitet und von differenten Trägern angeboten. Informationen darüber erteilen der Kinder- und Jugendgesundheitsdienst und der Kinderund Jugendpsychiatrische Dienst des Gesundheitsamtes.

Kinder und Jugendgesundheitsdienst: Standort Kreuzberg

Standort Friedrichshain

Urbanstr. 24, 10967 Berlin

Koppenstr. 38-40, 10243 Berlin

Telefon: 90298-7342

Telefon: 90298-2813

Kinderschutzkoordinatorin im Gesundheitsamt (Frau Ewig): Telefon: 90298-7321

Kinder- und Jugendpsychiatrischer Dienst: Urbanstr. 24, 10967 Berlin (Hofgebäude) Telefon: 90298-7321 (Termine nach Vereinbarung)

Daneben nehmen auch die Kinder- und Jugendambulanzen/Sozialpädiatrischen Zentren (KJA/SPZ) freier Träger Aufgaben der Frühförderung wahr. Die KJA/SPZ freier Träger bieten durch interdisziplinäre Teams pädagogisch-psychologische und medizinisch-therapeutische Hilfen für Kinder mit Behinderung und deren Eltern schon vor Eintritt in Krippe und Kindergarten, in der Kindertagesstätte (Kita) selbst sowie beim Übergang von der Kindertagesstätte in die Schule an.

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KJA/SPZ in Friedrichshain-Kreuzberg KJA/SPZ Friedrichshain-Mitte

SPZ Kreuzberg

Träger: Integral e.V.

Träger: Zentrum für Kindesentwicklung

Fürstenwalder Straße 30, 10243 Berlin

Ritterstraße 3, 10969 Berlin

Telefon: 030 42 26 4 -50

Telefon: 030 69 81 41 -0

3.5.6 Stadtteil- und Seniorenangebote Zuständigkeit Im Amt für Soziales Friedrichshain-Kreuzberg liegt die Zuständigkeit für die sozialräumliche Steuerung von insgesamt ca. 21 Einrichtungen und Angeboten sowie die Kooperation mit weiteren Stadtteilangeboten im Bereich der Stadtteil- und Seniorenarbeit. Hierzu gehören Nachbarschaftseinrichtungen, Stadtteilzentren und Begegnungsstätten. Eine Übersicht über die Angebote findet sich auf der Homepage des Fachbereiches Stadtteil- und Seniorenangebote. 41 Erreichtes Im Ergebnis einer Organisationsentwicklung im Sozialamt ist der Bereich der Stadtteil- und Seniorenangebote im Jahr 2013 neu aufgestellt worden. Damit einhergehend erfolgte ein Paradigmenwechsel in der Gestaltung der Stadtteilarbeit, welcher gegenwärtig zu weiteren Umstrukturierungen und inhaltlicher Weiterentwicklung führt. Seniorenfreizeiteinrichtungen wurden zunehmend für verschiedene Generationen und Kulturen geöffnet. Diese Öffnung wird auch durch den Begriff der „Begegnungsstätten“ sichtbar. Die Angebote sollen ferner stärker im Hinblick auf inklusive Öffnung hin entwickelt und sozialräumlich gesteuert werden. Mit dem Begegnungszentrum des Trägers Integral e. V., das u. a. über Zuwendungen des Sozialamtes und des Landesamtes für Gesundheit und Soziales finanziert wird, existiert im Bezirk ein berlinweites Ausnahmeprojekt für Menschen mit und ohne Behinderungen. Das Begegnungszentrum existiert seit 20 Jahren im Ortsteil Friedrichshain und richtet sich mit seinen Angeboten im Bereich Freizeit und Kultur und Unterstützung an Besucherinnen und Besucher aus allen Berliner Bezirken. Seit September 2012 existiert im „Inti-Haus“ (Friedrichstr. 1) ein neues Angebot der Beratung und Selbsthilfe für Menschen mit Behinderung von „MINA – Leben in Vielfalt e. V.“. Die „Beratungs- und Kontaktstelle für Menschen mit Behinderung und deren Angehörige“ richtet sich insbesondere an Kinder und Jugendliche mit Behinderungen und deren Mütter und Väter mit Migrationshintergrund. Unterstützung wird

41

URL: http://tinyurl.com/ncau53l (gekürzter Link verweist auf http://www.berlin.de), Zugriff am: 30.09.2013

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gegeben in allen Angelegenheiten – von der Anerkennung einer schweren Behinderung bis hin zu Hilfe und Unterstützung in alltagspraktischen Lebensfragen. Sprachkompetenz besteht in türkisch und arabisch. Das Sozialamt unterstützt die Beratung durch eine monatliche Zuwendung. Im Hinblick auf die barrierefreie Erreichbarkeit wurden Erfolge erzielt bzgl. der barrierefreien Erreichbarkeit des Nachbarschaftshauses Urbanstraße (NHU e. V.), was eine Begegnung von Menschen mit und ohne Behinderung ermöglicht. Das Gebäude des AWO Begegnungszentrum Adalbertstraße ist aktuell nur über eine außen angebrachte Rampe barrierefrei erreichbar. Planungen zum Umbau des Gebäudes berücksichtigen den Einbau eines Fahrstuhles und die Optimierung der sanitären Anlagen. Die kommunalen Begegnungsstätten (ehemalige Seniorenfreizeiteinrichtungen) sind barrierefrei zugänglich. Die Seniorenfreizeitstätte der DRK in Friedrichshain ist zur Zeit nicht barrierefrei zugänglich. Sie wird für ihre Nutzerinnen und Nutzer und weitere ältere Menschen jedoch im neuen Stadtteilzentrum, welches im Frühjahr 2014 in Friedrichshain Nord öffnet, einen barrierefreien Ort bieten können Herausforderungen Die Öffnung von Begegnungsstätten/Seniorenfreizeitstätten hin zu generationsübergreifenden Begegnungsstätten war in Kreuzberg bereits erfolgreich, in Friedrichshain konnte dieser Ansatz zum Teil jedoch aus verschiedenen Gründen noch nicht vollständig umgesetzt werden. Die Öffnung der Angebote setzt immer auch die Bereitschaft der angestammten Besucherinnen und Besucher voraus, sich aktiv mit neuen Entwicklungen auseinanderzusetzen. In diesem sensiblen Prozess sind hohe Erwartungen auch an das Personal der Einrichtungen geknüpft. Diese auf dem Weg einer Öffnung der Angebote zu unterstützen und, wenn nötig, strukturelle Veränderungen umzusetzen, ist eine Herausforderung, welcher sich der Fachbereich stellt. Bei der Schaffung von räumlicher Barrierefreiheit bestehen – wie dies auch in anderen Handlungsfeldern deutlich geworden ist – Hindernisse nicht nur in der Frage der finanziellen Machbarkeit. Viele Gebäude sind in einem schlechten Zustand. Umbaumaßnahmen zur Schaffung von Barrierefreiheit sind daher nicht selten an anstehende, größere Sanierungsarbeiten gekoppelt bzw. setzen diese erst voraus. Die Nutzbarkeit der Angebote und Einrichtungen des Fachbereiches Stadtteil- und Seniorenarbeit soll inklusiv sein. Auch wenn der inhaltliche Fokus aufgrund der Zielgruppen des Sozialamtes bei Erwachsenen und älteren Menschen liegt, werden Menschen mit Behinderungen derzeit kaum erreicht. Vorhandene positive Beispiele, wie z. B. inklusive Veranstaltungen und Feste in Begegnungsstätten sollen für die Planung in anderen Bezirksregionen genutzt werden

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Handlungsempfehlungen und Perspektiven Die Finanzierung der Stadtteil- und Seniorenangebote über Zuwendungen wird aufgrund der positiven Erfahrungen aus anderen Fachgebieten auch im Sozialamt künftig auf Leistungsverträge umgestellt. Damit einhergeht eine konkretere Zielsetzung sowie die stärkere sozialräumliche Verankerung der Angebote und eine Öffnung von Zugangswegen. Dies betrifft inhaltliche Aspekte, kann allerdings auch räumliche Aspekte berücksichtigen, da der Bereich Stadtteil- und Seniorenangebote als Schnittstelle zum Quartiersmanagement fungiert und für die mögliche Nutzung von Drittmitteln zuständig ist. Im Ortsteil Friedrichshain wird in Zusammenarbeit des Sozialamtes mit unterschiedlichen freien Trägern ein neues Stadtteilzentrum aufgebaut werden. Dieses Stadtteilzentrum soll von Anfang an inklusiv gestaltet werden und sich mit seinen Angeboten ebenfalls gezielt an Menschen mit Behinderungen richten. Um die Anforderungen an dieses Projekt im Hinblick auf die verschiedenen Zielgruppen adäquat zu erfassen und in die Angebotsplanung zu integrieren, laufen aktuell intensive Abstimmungsprozesse. Ein wesentliches Ziel ist die Vernetzung und Bündelung der Angebote. Im Hinblick auf die inklusive Öffnung ist es geplant, dass die Einrichtungen standardmäßig auf die Eignung ihrer Angebote für Menschen mit und ohne Behinderung geprüft werden. Die Begegnungsstätte von Integral e. V. soll künftig stärker für Begegnungen von Menschen mit und ohne Behinderung ausgebaut werden. Die Sportangebote in Einrichtungen der Stadtteil- und Seniorenarbeit sollten auch für Menschen mit Behinderungen geöffnet werden. Eine Umstellung auf Leistungsverträge bietet hier gleichfalls die Chance, die Anforderungen transparent zu formulieren und zur Grundlage von Qualitätsrichtlinien zu machen. Die Angebote der Senioren- und Stadtteilarbeit sollen künftig auch als Bestandteile der Hilfeplanung im Eingliederungshilfeverfahren betrachtet werden. Menschen, die Anspruch auf Eingliederungshilfe haben, sollten standardmäßig über soziale Angebote in der Nachbarschaft informiert werden. Hier wäre es wünschenswert, auch den Kontakt mit den bezirklichen Kontakt- und Beratungsstellen für psychisch Kranke, den Suchtberatungsstellen und den Zuverdienstangeboten herzustellen. Generationenübergreifende und inklusive Angebotssteuerung könnte ferner bedeuten, auch den Austausch mit Angeboten der Jugend- und Familienhilfe und den Gesundheitsangeboten zu suchen.

88

3.6

Öffentlicher Raum

3.6.1 Barrierefreier Zugang zu Grünflächen Zuständigkeit Beim Fachbereich Grünflächen des Tiefbau- und Landschaftsplanungsamtes liegt die Zuständigkeit für die Unterhaltung der öffentlichen Grünflächen, die Pflege der Bäume, die Neueinrichtung von Grünanlagen, die Unterhaltung der Kinderspielplätze sowie die Pflege von Ehrengräbern. In Bezug auf die Berücksichtigung der Belange von Menschen mit Behinderungen wurde im Interview vorrangig auf die Frage der barrierefreien Nutzung öffentlicher Grünflächen eingegangen. Hierzu gehört auch das Aufstellen und die Unterhaltung barrierefreier öffentlicher, behindertengerechter Toilettenanlagen und das Anbringen von Rampen für Mobilitätseingeschränkte im öffentlichen Raum. Erreichtes Bei der Sanierung von Wegen wird im Fachbereich hoher Wert auf eine größtmögliche Annäherung der Bedürfnisse nach ästhetischer Qualität, ökologischer Verträglichkeit und barrierefreier Benutzbarkeit gelegt. So werden nach Möglichkeit ebene Wegebefestigungen (Platten, Asphalt, Tenne) Pflastersteinen vorgezogen. Wegen einer Vielfalt an divergenter Meinungen zur idealen Gestaltung von Grünflächen hat der Fachbereich gute Erfahrungen mit Bürgerbeteiligungsverfahren. Beispielhaft kann das Charette-Verfahren „Böcklerpark für alle!“ zur Verbesserung des Zustandes des Böcklerparks genannt werden. Dieses fand im Frühjahr 2013 statt. Der Fachbereich ist ferner Beförderer und Partner der Initiative „UNSER GÖRLI – einer für alle...“. Dies ist eine mit Mitteln aus dem Programm „Aktionsräume plus“ gefördertes mehrjähriges Verfahren, durch welches eine innovative Parkkoordination im Görlitzer Park etabliert werden soll. Bei aktuellen Baumaßnahmen (aber noch nicht flächendeckend) im Ortsteil Friedrichshain wurden neue Bänke aufgestellt, die sich aufgrund ihrer Form vor allem für ältere Menschen eignen: Durch die besondere Gestaltung der Sitzflächen wird das Aufstehen für mobilitätseingeschränkte Menschen erleichtert. Der Fachbereich plant, diese Bänke künftig im gesamten Bezirk vorrangig zu installieren. Auch in Bezug auf die Einrichtung barrierefreier Spielplätze sind Fortschritte erzielt worden, wobei es hier auch um eine Abwägung der Bedarfe von mobilitätseingeschränkten (Groß-)Eltern und Kindern und den Erfahrungs- und Spielmöglichkeiten für Kinder geht. So wurde z. B. in der Gubener Straße im Ortsteil Friedrichshain ein Spielplatz unter Berücksichtigung von barrierefreien Aspekten eröffnet. Darüber hin-

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aus werden Sanierungsarbeiten an Spielplätzen unter Berücksichtigung von Barrierefreiheit – auch für die Begleitpersonen – geplant. Herausforderungen Die Durchwegungen öffentlicher Grünflächen im Bezirk müssten aus Sicht des Fachbereiches aus Gründen der Barrierefreiheit nach Möglichkeit asphaltiert sein, damit sie nicht nur bei trockener Witterung durch Rollstuhl- und Rollatorenbenutzer/innen befahren werden können. Die vielfach vorhandenen Tennenwege – etwa im Görlitzer Park oder Volkspark Friedrichshain – sind insbesondere bei ungünstiger Witterung bzw. jahreszeitlich schwankend ungünstig, da sie zu Auswaschungen, Schlamm- und Pfützenbildungen führen. Dennoch ist dies bislang nicht nur aus Kostengründen in jeder Grünanlage realisiert. In der Bevölkerung des Bezirks existieren aus ästhetischen und ökologischen Gründen zum Teil erhebliche Widerstände gegen eine Versiegelung aller Wege in Grünanlagen. Über die Nutzung und Gestaltung von Grünanlagen im Bezirk gibt es auch darüber hinaus zum Teil heftige Konflikte in der Bevölkerung. Beispielhaft hierfür ist der Görlitzer Park. Positionen, die Schutzmaßnahmen für die Grünflächen anmahnen – wie etwa eine Umzäunung, nächtliche Schließung des Geländes oder weitreichende Nutzungseinschränkungen – stehen Meinungen gegenüber, die einen uneingeschränkten Zugang der Bevölkerung und keinerlei Einschränkungen bei der Nutzung – etwa durch Grillen – einfordern. Die Konflikthaftigkeit in Fragen der Gestaltung und Pflege der öffentlichen Grünflächen hat im Fachbereich zu einer Etablierung von beispielhaften Verfahren der Bürgerbeteiligung geführt. Handlungsempfehlungen und Perspektiven Aus Sicht des Fachbereiches bestehende Defizite bei der Darstellung der barrierefrei erreichbaren Angebote (insbesondere (behindertengerechte) Spielplätze und öffentliche behindertengerechte Toilettenanlagen) sind erkannt und sollen abgebaut werden. Dass die Behindertentoiletten nur mit einem Euro-Schlüssel geöffnet werden können, wird als ungünstig bewertet. Denn sie schließen einen großen Teil mobilitätseingeschränkter Menschen ohne eine schwere Behinderung – etwa Verunfallte oder ältere Menschen – aus. Aus Sicht des Fachbereiches wäre es zu begrüßen, wenn grundsätzlich alle öffentlichen Toiletten behindertengerecht konstruiert sind. Entsprechende Kontrollen des hygienischen Zustandes müssten dann entsprechend ausgeweitet werden. Eine Hauptaufgabe wird auch in Zukunft in der Sanierung der Wege bestehen. Dabei ist darauf zu achten, dass Parks und Grünanlagen auch von Menschen, die auf Rollstühle oder Rollatoren angewiesen sind, genutzt werden können. Dies gilt der ge-

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samten Infrastruktur im Bereich öffentlicher Grünflächen und betrifft somit auch die Erreichbarkeit öffentlicher Denkmäler. 3.6.2 Öffentliches Straßenland Zuständigkeit Im Hinblick auf Barrierefreiheit im öffentlichen Raum ist das Tiefbauamt zuständig für die Absenkung von Bordsteinen an Straßenkreuzungen und bei Behindertenparkplätzen, die Einrichtung von Fußgängerüberwegen, die Aufstellung von Bänken im öffentlichen Raum und die normgerechte Gestaltung von Gehwegen und Rampen im öffentlichen Straßenland/öffentlichen Raum. Erreichtes Grundsätzlich erfolgen alle Straßenumbauten nach den Grundsätzen für eine behindertengerechte Straßengestaltung auf Grundlage des §7 Berliner Straßengesetzes und der dazugehörigen Ausführungsvorschriften. Die Absenkung von Bordsteinkanten erfolgt im Tiefbauamt auf der Grundlage von Planungen und Vorgaben der Senatsveraltung für Stadtentwicklung. Dafür stehen im Jahr ca. 20.000 € an finanziellen Mitteln für den Bezirk bereit. Die Umrüstung von Kreuzungsbereichen mit den gesetzlich vorgeschriebenen „taktilen Platten“ (Gehwegplatten mit strukturierter Oberfläche zur Kenntlichmachung für blinde und sehbehinderte Menschen) erfolgt je nach finanzieller Möglichkeit. Das Tiefbauamt setzt Personal ein, das nach Hinweisen aus der Bevölkerung kritische Stellen im öffentlichen Straßenland prüft. Nach Aussage des Amtes gehen nur wenige Beschwerden bzw. Meldungen über Barrieren im öffentlichen Straßenland seitens Betroffener oder von Behindertenverbänden ein. Herausforderungen Ein großes Problem stellt der bauliche Zustand von Gehwegen dar. Für die in der Drucksache „Zukunft der Behindertenpolitik im Bezirk“ geforderte klare Prioritätensetzung wird die Verantwortung vor allem bei der Bezirkspolitik gesehen. Grundsätzlich bedarf ein behindertengerechter Aus- und Umbau von Wegen und Kreuzungsbereichen im öffentlichen Straßenland weitaus größerer finanzieller Kapazitäten als aktuell verfügbar. Wenn diesbezüglich keine Prioritäten gesetzt werden, besteht die Gefahr, dass Sanierungen von Gehwegen grundsätzlich hinter die Beseitigung von Schäden auf den Straßen zurücktreten. Als weiteres Problem wird der Aufbruch von Gehwegen durch Bäume gesehen. Ca. 15.000 Bäume im Bezirk verursachen solche Schäden. Die Kosten zur Beseitigung

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der Schäden entsprechen einem Anteil von bis zu 50 % an den jährlichen Gesamtkosten für die Straßenunterhaltung. Aus Kostengründen kann nicht an jedem Behindertenparkplatz eine Bordsteinabsenkung vorgenommen werden (z. B.: Behindertenparkplatz vor dem Bezirksamtsgebäude Frankfurter Allee). Die Kosten für Bordsteinabsenkungen beginnen pro Ecke bei ca. 2.500 €. Die Kosten für die Absenkungen an der dreiarmigen Kreuzung Dudenstraße/Löwenhardtdamm, die 2013 vorgenommen wurden, betrugen ca. 30.000 €. Handlungsempfehlungen und Perspektiven Bei der Ausschreibung von Neubaumaßnahmen im öffentlichen Straßenland müssen geltende DIN-Normen beachtet werden, welche enge Vorgaben bzgl. der barrierefreien Planung machen. Schwieriger ist der Umgang mit defekten Gehwegen oder noch nicht abgesenkten Bordsteinen bzw. der Umbau von Straßenzügen. Entsprechende Umrüstungen setzen einerseits voraus, dass das Tiefbauamt Kenntnis der baulichen Mängel hat und entsprechende Finanzmittel zur Verfügung stehen. Um schneller Kenntnisse von Mängeln im Straßenland zu erhalten, wäre eine leicht handhabbare „Schadensmeldung“ auf der Internetseite des Tiefbauamtes denkbar. Wenn bei Behindertenparkplätzen eine Bordsteinabsenkung nicht vorgenommen werden kann, so ist dies andererseits das Ergebnis einer bewussten Abwägung verschiedener Faktoren und muss stets entsprechend gründlich begründet werden. Eine bewusste Nichtberücksichtigung der Aspekte barrierefreier Gestaltung des öffentlichen Straßenlandes kann dem Amt daher nicht unterstellt werden – auch wenn nicht jede Baumaßnahme den Wünschen Betroffener entsprechend umgesetzt werden kann. Vielmehr ist anzumerken, dass das Tiefbauamt bei allen Entscheidungen die Interessen und Bedarfe aller Bewohnergruppen des Bezirkes berücksichtigen muss. Dadurch sind oft Konflikte vorprogrammiert, da nicht die finanziellen Mittel vorhanden sind, alle berechtigten Forderungen gleichberechtigt und zeitnah umsetzen zu können. Zugleich sieht sich das Tiefbauamt zwischen verschiedenen Interessengruppen und muss auch hier fachliche und finanzielle Auswirkungen berücksichtigen. 3.6.3 Ordnungsrechtliche Aspekte Zuständigkeit In Bezug auf Barrierefreiheit für Menschen mit Behinderungen liegt beim Ordnungsamt Friedrichshain-Kreuzberg die ordnungsrechtliche Zuständigkeit für Behindertenparkplätze, den barrierefreien Zugang zu Gaststätten (wobei diesbezüglich das Stadtentwicklungsamt eine originäre Zuständigkeit besitzt) ebenso wie barrierefreie 92

Kulturveranstaltungen. Weiterhin wird das Amt als Ordnungsbehörde in allen Feldern tätig, welche das wirtschaftliche und private Miteinander im Bezirk zum Gegenstand haben. Die ordnungsrechtlichen Aufgaben und Befugnisse reichen vom Thema Gewerbeanmeldungen über Sondernutzungen öffentlichen Straßenlands, polizeiliche Aufgaben in Bezug auf den ruhenden Verkehr und die Benutzung öffentlicher Wege bis hin zur Durchsetzung des Berliner Grünanlagengesetzes. Insofern wird das Ordnungsamt in zahlreichen Lebensbereichen tätig, die verschiedene Facetten der Barrierefreiheit für Menschen mit und ohne Behinderungen betreffen. Erreichtes Bei den Behindertenparkplätzen wird unterschieden in allgemeine (z. B. bei Einkaufszentren) und personenbezogene. Beide Arten von Parkplätzen werden nur auf Antrag eingerichtet. Im Bezirk existiert eine relativ konstante Zahl von etwa 200 personenbezogenen Behindertenparkplätzen und 150 allgemeinen Behindertenparkplätzen. Letztere vorzuhalten und die Nutzung zu überwachen, ist für die Erleichterung der Lebensführung von Menschen mit Mobilitätseinschränkungen von besonderer Bedeutung. Es ist Aufgabe des Ordnungsamtes, die Parkplätze für Menschen mit Behinderungen im Außendienst zu überwachen. Das Amt übernimmt damit auch polizeiliche Aufgaben. Was die Barrierefreiheit im öffentlichen Straßenland betrifft, hat das Ordnungsamt weitreichende Befugnisse im Hinblick auf die Zulassung von Sondernutzungen. Sondernutzungserlaubnisse werden insbesondere für Schankvorgärten von Gaststättenbetrieben unter Beteiligung der zuständigen Polizeiabschnitte erteilt. In diesem Beteiligungsverfahren prüfte die Polizei die jeweiligen Vorgänge anscheinend nur nach Aktenlage, sodass örtliche Besonderheiten nicht immer berücksichtigt wurden. 42 In vielen Fällen hat diese Praxis dazu geführt, dass Sondernutzungen zu Gehwegverengungen zulasten von Passanten führten oder sich Erlaubnisse für das Herausstellen von Tischen und Stühlen auch auf Gehwegvorstreckungen erstreckte, was insbesondere Kindern das Überqueren von Straßen zur Erreichung von Schulen oder Kinderspielplätzen erschwert. Der Außendienst des Ordnungsamtes verfügt über besondere Ortskenntnisse (etwa über vorhandene Hindernisse für Passanten auf Gehwegen). Deshalb erfolgt auf der Grundlage eines BA-Beschlusses die Erteilung künftig zwar weiterhin unter Beteiligung der Polizei. Zusätzlich wird den Anträgen grundsätzlich eine Einschätzung des Außendienstes des Ordnungsamtes auf der Grundlage der in der Anlage aufgeführten Prüfungskriterien beigefügt. 42

Quelle: BA-Vorlage IV/58/2012

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In diesen Prüfungskriterien setzt das Ordnungsamt Friedrichshain-Kreuzberg enge Grenzen an Sondernutzungen im Hinblick auf möglichst weitgehende Barrierefreiheit von Gehwegen (vgl. Anhang, Prüfkriterien). Dazu gehört das ausdrückliche Ausschließen generalisierter Ausnahmen. Seit 2012 gilt, dass eine Festlegung von „Positivbereichen“, in denen etwa Sondernutzungen auf Gehwegunterstreifen (die zu einer Unterschreitung der Mindestdurchgangsbreiten für Fußgänger führen) nicht mehr stattfinden. Mit dieser „harten“ Linie setzt das Ordnungsamt ein klares Bekenntnis zu Barrierefreiheit. Herausforderungen Durch die enge Auslegung der Grenzen, die an eine die Mindestbreite für Fußgänger unterschreitende Sondernutzung gesetzt werden, setzt sich das Ordnungsamt potenziell der Kritik von Gewerbetreibenden sowie Besucherinnen und Besuchern der gastronomischem Einrichtungen im Bezirk aus. Auch hier zeigt sich – wie dies auch in anderen bezirklichen Handlungsfeldern sichtbar wurde – dass Barrierefreiheit nicht immer reibungsfrei durchsetzbar ist. Die Gewichtung der Belange von Menschen mit Behinderung kann nicht nur zu Konflikten zwischen der Verwaltung und Bürgerinnen und Bürgern führen, sondern ebenfalls Unzufriedenheit innerhalb verschiedener Verwaltungszweige nach sich ziehen. So sind auch bezirkliche Veranstaltungen – wie das Interkulturelle Umwelt- und Gesundheitsfestival – oder bezirkliche Sondernutzungen an die Vorgaben des Ordnungsamtes bzgl. der Barrierefreiheit gebunden. Hier ist von allen Beteiligten Augenmaß und Akzeptanz für die Gewichtung besonderer Interessengruppen – hier: Menschen mit Behinderungen – gefordert. Letzteres wurde deutlich bei der Frage der Aufstellung des Präventions- und des Gesundheitsmobils des Suchthilfeträgers Fixpunkt am Kreuzberger Oranienplatz. Auch hier wurden vom Ordnungsamt aus Sicht der Barrierefreiheit bei der Sondernutzung von öffentlichem Straßenland enge Auflagen gemacht, die es letztlich zu akzeptieren galt. Handlungsempfehlungen und Perspektiven Das Ordnungsamt Friedrichshain-Kreuzberg stellt sich mit einer Vielfalt an Aufgaben und Zuständigkeitsbereichen der Durchsetzung von Regeln, welche das Miteinander in einem derartig dicht besiedelten Bezirk für alle Menschen erleichtern sollen. Um dem gesetzlichen Auftrag – nicht nur in Bezug auf die Barrierefreiheit für Menschen mit Behinderungen – gerecht zu werden, muss der Außendienst in entsprechender Personalstärke erhalten bleiben. Idealerweise wäre er personell erheblich zu verstärken. In Bezug auf die bezirklichen Behindertenparkplätze sind zwei Handlungsziele zu benennen: Die Kontrolle der allgemeinen Behindertenparkplätze ist zu intensivieren. Im Bereich der personenbezogenen Parkplätze kommt es immer wieder zu Miss94

bräuchen durch Angehörige. Hier müssen zukünftig die Mitarbeiter des Ordnungsamtes geschult werden, damit sie falsche Parkausweise (Plagiate o. ä.) erkennen können. Aus Sicht des Amtes ist in Zukunft eine noch bessere Feinabstimmung der Ämter angezeigt, die etwa im Umfeld von Gewerbegenehmigungen tätig werden. Dies betrifft Fragen der Hygienevorgaben ebenso wie die barrierefreie Gestaltung gastronomischer Betriebe bzw. entsprechende bauliche Auflagen. So könnte eine bessere Abstimmung zwischen Bauaufsicht und Ordnungsamt auch bzgl. der Bauauflagen für die Erreichbarkeit durch Menschen mit Behinderungen Ergebnisse bringen (z. B. der Einbau einer Klingel, wenn eine stufenlose Erreichbarkeit baulich nicht möglich ist). In diesem Zusammenhang sind auch an das Ordnungsamt gerichtete Beschwerden bzgl. der Gestaltung von Behindertenparkplätzen zu sehen: Der allgemeine Behindertenparkplatz vor dem Dienstgebäude Frankfurter Allee verfügt nicht über einen abgesenkten Bordstein. Hier ist jedoch zunächst das Tiefbauamt gefragt, welches im Rahmen fachlicher Prioritätensetzungen aktuell keine finanziellen Spielräume hierfür sieht (vgl. hierzu auch 3.6.2).

3.7

Barrierefreie Bezirksverwaltung

3.7.1 Bezirkliche Gebäudeverwaltung Zuständigkeit Die Serviceeinheit Facility Management gliedert sich in die drei Bereiche: IT Service, Hochbauservice und Kaufmännische und technische Immobilien- und Gebäudeverwaltung. Die beiden letztgenannten sind zuständig für die Realisierung von baulichen Erhaltungs- und Umbaumaßnahmen der bezirklichen Bürodienstgebäude. Zuständigkeit besteht ebenfalls für die Gebäude im Fachvermögen des Jugend-, Sozialund Schulamtes. Erreichtes Die barrierefreie Zugänglichkeit zu Verwaltungsgebäuden betrifft sowohl Bürgerinnen und Bürger als auch Beschäftigte mit Behinderung. Aus Sicht des Bereiches ist im Bezirk ein Basisstandard für barrierefreie Erreichbarkeit gewährleistet. In den meisten Dienstgebäuden befinden sich Fahrstühle, die behindertengerecht eingerichtet sind. Fahrstühle für Rollstuhlbenutzende sind entsprechend gekennzeichnet. Im Ortsteil Friedrichshain befinden sich 12 rollstuhlgerechte Aufzüge, im Ortsteil Kreuzberg sind von 11 Aufzügen nur sechs für Rollstuhlnutzende geeignet (z. B. nicht in den BDG Schlesische Straße, Mehringdamm).

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Die Bedientasten sind zusätzlich mit erhaben tastbaren Zahlen versehen. Im Dienstgebäude Frankfurter Allee sind diese allerdings nicht mehr überall vorhanden, sodass ein sehr lückenhafter Eindruck entsteht. Laut Auskunft des Bereiches verfügen die als behindertengerecht gekennzeichneten Aufzüge zusätzlich über eine Sprachausgabe. Herausforderungen Im Hinblick auf die Berücksichtigung von Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen werden von Behindertenverbänden wiederholt erhebliche Defizite in den Gebäuden festgestellt, welche im Bereich ebenfalls bekannt sind. So wird bemängelt, dass die Feuerschutztüren im Dienstgebäude Frankfurter Allee zu schwer zu öffnen seien – für Rollstuhlbenutzende ist dies ohne Assistenz nicht möglich. Auch bzgl. der Behindertentoiletten im Dienstgebäude Yorckstraße wird Kritik geäußert. Da diese nur mit einem Euro-Schlüssel zu öffnen sind, der nur mittels Antrag an das Landesamt für Gesundheit und Soziales kostenpflichtig von einem eingeschränkten Kreis von Menschen mit anerkannter Behinderung erworben werden kann, sind viele mobilitätseingeschränkte Besucherinnen und Besucher nicht in der Lage, die Toilette zu benutzen. Die Empfehlung, den Schlüssel bei Bedarf an der Pforte zu holen, ist kaum praxistauglich. Zur Frage von Leitsystemen in Gebäuden mit Publikumsverkehr Was die Umsetzung der Barrierefreiheit bei Neubaumaßnahmen betrifft, gibt es für den Bereich Hochbau auf der Grundlage geltender DIN-Normen klare Vorgaben. Diese Vorgaben werden durch den Fachbereich bei der Vergabe von Aufträgen an Subauftragnehmer weitergereicht. Was die darüberhinausgehenden Gestaltungen betrifft, so sieht sich die Bezirksverwaltung auch an urheberrechtliche Festlegungen gebunden, etwa wenn bestimmte Farbgebungen durch beauftragte Architekten vorgegeben wurden. Im Jahr 2005 erfolgte eine Konsultation des Behindertenbeirats zur Frage einer besseren optischen Gestaltung von Informationen in den Bezirksgebäuden. Im Ergebnis wurde in beiderseitigem Einvernehmen von einer Beschriftung der Büroräume mit Brailleschrift Abstand genommen. Die farbliche Gestaltung der Türschilder wurde in Abstimmung mit dem Behindertenbeirat auf die aktuelle schwarz-weiße Darstellung geändert. Andere Forderungen des Behindertenbeirates, z. B. nach größerer Schriftgröße, konnten nur zum Teil umgesetzt werden. Der Bereich Facility Management hat in seiner Stellungnahme zur DS/0616/III ausführlich Stellung zur Frage sehbehindertengerechter Markierungen in bezogen. Eine gesetzliche Verpflichtung hierzu besteht überwiegend nicht. Vielmehr existiert eine Vielzahl an Handlungsempfehlungen, welche die Orientierung von Menschen mit 96

Sehbehinderung in Gebäuden erheblich erleichtern können. Diese betreffen zahlreiche Maßnahmen im Bereich optischer Markierungen und baulicher Hilfen. Wenn diese Empfehlungen im Bezirk umgesetzt werden, ist – laut vorsichtiger Kostenschätzung – von einer Gesamtsumme in Höhe von rund 1,7 Mio. € auszugehen. Sanierungs- und Umbaumaßnahmen im Bestand Wie am Beispiel der Planungen für bauliche Voraussetzungen inklusiver Schulen (vgl. 3.1.2) deutlich wurde, sind die bezirkseigenen Gebäude mehrheitlich in einem sanierungsbedürftigen Zustand. Während bei Neubauten – die derzeit kaum noch realisiert werden können – entsprechende DIN-Normen zur Barrierefreiheit beachtet werden müssen, gibt es bei Baumaßnahmen im Bestand Spielräume zur Prioritätensetzung. Rundschreiben der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung legen fest, dass im Rahmen energetischer Sanierungen zugleich ausstehende Maßnahmen zur Herstellung von Barrierefreiheit erfolgen müssen. Die Kosten hierfür sind nicht im Auftrag für die Durchführung energetischer Sanierungen enthalten. Daher wurde ein Konsens darüber erzielt, dass im Zuge energetischer Sanierungen die Herstellung der Barrierefreiheit lediglich planerisch erfolgen müsse und nur im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten umgesetzt werden kann. Damit steigen die Planungskosten, ohne dass die Planung umgesetzt wird. Diese Fragen berühren ebenfalls den Bereich der inklusiven Schulentwicklung im Bezirk. Die baulichen Voraussetzungen hierfür zu schaffen, erfordert aufgrund begrenzter Mittel eine Prioritätensetzung. Alleine in der Bestandssicherung wird derzeit jährlich eine Summe von 22 Mio. € verbaut – mit steigendem Bedarf. Handlungsempfehlungen und Perspektiven Die Frage der Barrierefreiheit in den Gebäuden der öffentlichen Verwaltung sorgt kontinuierlich für Konflikte. Auch wenn ein Basisstandard diesbezüglich erreicht ist – was zu begrüßen ist – so kann Barrierefreiheit im Bereich der Berliner Verwaltung wohl erst dann als umgesetzt gelten, wenn die Richtlinien des Landes Berlin für die Vergabe des Signets „Barrierefrei“ erfüllt sind. 43 Es empfiehlt sich, den Basisstandard der Barrierefreiheit vor allem diesbezüglich zu prüfen. Diese Richtlinien legen fest, dass die Gebäude der öffentlichen Verwaltungen insgesamt barrierefrei zugänglich und nutzbar sein müssen. Das schließt Beschäftigte mit Behinderungen ein. Die Vorgaben beziehen sich damit nicht nur auf Gebäude mit Publikumsverkehr. Je nach Größe des Gebäudes muss eine angemessene Anzahl von barrierefreien Toiletten vorhanden sein. Optische Informations- und Wegeleitsysteme sind frei zugänglich anzubringen und gut lesbar zu gestalten. Eingänge und

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Vgl. URL: http://www.berlin.de/lb/behi/barrierefrei/, Zugriff am: 30.09.2013

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Türen zu wichtigen Zielen sind kontrastreich hervorzuheben und taktil zu beschriften. Der Kundenaufruf in Warteräumen muss in leicht verständlichen und gut hörbaren Ansagen und über deutlich erkennbare und mit ausreichend Information ausgestatteten Anzeigen (z. B. kombinierte Wartenummern mit Raumanzeige) erfolgen. Ferner sind in Gebäuden der Verwaltung für den Erhalt des Signets „barrierefrei“ gesonderte Kriterien für die Einrichtung barrierefrei nutzbarer Toiletten zu beachten. Angesichts der enormen Kosten für die Bestandssicherung im Bereich der bezirklichen Gebäudeverwaltung ist allerdings fraglich, in welcher Höhe Mittel für bauliche Veränderungen zur Verfügung stehen können. Ohne finanzielle Kapazitäten lassen sich für den laufenden Betrieb im Wesentlichen folgende Empfehlungen anbringen: 1. In Abstimmung mit dem Behindertenbeirat, der Behindertenbeauftragten und der Schwerbehindertenvertretung sollten – ggf. mit Unterstützung von Behindertenverbänden – die „größten Baustellen“ bzgl. mangelnder Barrierefreiheit ausfindig gemacht werden. Auch mit beschränkten Mitteln gibt es Möglichkeiten zur Verbesserung der Orientierung und barrierefreien Zugänglichkeit in Bezirksgebäuden. 2. Ohne externe Maßnahmen bleibt lediglich, die Mitarbeitende in den Dienstgebäuden, einschließlich des Auskunftspersonals am Empfang – z. B. in Form eines entsprechenden Rundschreibens – als Ansprechpersonen für die Unterstützung von Bürgerinnen und Bürgern zu benennen. Dies setzt voraus, dass sich die Beschäftigten in ihren Dienstgebäuden gut auskennen, was nicht nur den eigenen Fachbereich betrifft. 3.7.2 Bürgerämter Zuständigkeit Das Amt für Bürgerdienste ist zuständig für Familien-, Melde- und Einbürgerungsangelegenheiten, Wohngeld und Wohnberechtigungen sowie Wahlen. In Bezug auf die Zukunft der Behindertenpolitik wurden im Interview insbesondere Fragen der räumlichen Barrierefreiheit thematisiert. Erreichtes Die Bürgerämter und das Standesamt sind barrierefrei erreichbar. Das nicht barrierefreie Bürgeramt in der Schlesischen Straße wurde im Jahr 2013 geschlossen. In beiden verbleibenden Bürgerämtern wurden gesonderte Anmeldebereiche für Menschen mit Behinderungen installiert. In Vorbereitung der Bundestagswahl 2013 wurde auf der Grundlage einer Empfehlung des Instituts für Menschenrechte und auf Initiative des Amtes für Bürgerdienste eine Landesarbeitsgruppe eingerichtet. Diese befasste sich mit weitreichenden und wegweisenden Erleichterungen für eine Wahlteilnahme von Menschen mit Behinde98

rungen. Die Wahlbenachrichtigungen wurden in einfacher Sprache erstellt und deutlich von informativem Ballast befreit. Sie enthalten in Form von Piktogrammen Informationen über den Stand der Barrierefreiheit der Wahllokale. Zugleich wurde eine barrierefreie Online-Datenbank mit detaillierten Informationen zu Lage und Erreichbarkeit der Wahllokale zur Verfügung gestellt. Diese enthält ebenfalls Informationen über das Umfeld der Wahllokale. Etwa 95 % der bezirklichen Wahllokale sind barrierefrei – ggf. mit Assistenz – erreichbar. Wo Rampen benötigt werden, stellt das Amt für Bürgerdienste diese zur Verfügung. Herausforderungen Versuche, den Anteil an barrierefreien Wahllokalen zu erhöhen, scheitern nicht nur an baulichen Gegebenheiten, sondern auch am Bezirksparlament: So lehnte die Bezirksverordnetenversammlung das Ansinnen ab, ein Autohaus in Friedrichshain als barrierefreies Wahllokal zu nutzen. Dies wurde damit begründet, dass es sich dabei um Schleichwerbung handele. Die Einbürgerungsstelle wird auch in Zukunft nicht barrierefrei erreichbar sein. Angesichts des Auszugs des Bürgeramtes aus dem Objekt wären hierfür barrierefreie Räume vorhanden gewesen. Daher müssen notwendige Unterlagen zur Not per Post zugesendet werden. Die Zeremonie der Einbürgerung findet im Dienstgebäude Yorckstraße statt und ist somit barrierefrei. Bei der Umgestaltung der Bürgerämter im Jahr 2010 wurde die Höhe der Beratungstheken nicht berücksichtigt. Die Theken sind nicht absenkbar. Eine Beratung auf Augenhöhe für Menschen im Rollstuhl ist nicht möglich. Als eine Alternative wurden für Menschen, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind, zusätzliche Anmelderäume bereit gestellt. Der gesonderte Anmeldebereich für Menschen mit Behinderungen ist im Bürgeramt Yorckstraße jedoch nicht als solcher erkennbar. Menschen mit (offenkundig körperlichen) Behinderungen reihen sich daher in die Schlange der Wartenden ein. Die Aufrufsysteme in den Bürgerämtern haben keine Sprachausgabe, sodass blinde Menschen bzw. Menschen mit schwerer Sehbehinderung nicht die notwendige Information erhalten. Handlungsempfehlungen und Perspektiven Im Amt wird die Vorstellung der Einrichtung von zwei bezirklichen Bürgerhäusern als wegweisende Idee verfolgt. Der Zugang soll vollständig barrierefrei sein – gleichermaßen im Sinne wegfallender baulicher und bürokratischer Hürden. Bürgerinnen und Bürger sollen in einer Art zentralem „Front Office“ alle Dienstleistungen der Verwaltung in diesen Bürgerhäusern in Anspruch nehmen bzw. beantragen können.

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Eine derartige Vision würde im Hinblick auf die Barrieren, welche in bezirklichen Gebäuden – wie aufgezeigt – zum Teil nur mit erheblichem, meist dezentralem finanziellen und technischen Aufwand zu beseitigen sind, eine smarte Lösung darstellen. Die Lenkung der Besucherinnen- und Besucher in wenige Gebäude, die dafür umfänglich barrierefrei sind, könnte ggf. Ressourcen sparen. Auch wenn die Frage der Barrierefreiheit für mobilitätseingeschränkte Beschäftigte der Verwaltung davon grundsätzlich unberührt bliebe, könnte darin ein sinnvoller Weg zu mehr Barrierefreiheit liegen – für Menschen mit und ohne Behinderungen gleichermaßen. Das Fehlen von Barrierefreiheit sollte auf der Internetseite vermerkt werden. Bislang wird für das Gebäude Schlesische Straße das Piktogramm „Barrierefrei mit Hilfe“ verwendet. Die Aufrufsysteme in den Bürgerämtern sollten um eine Sprachausgabe ergänzt werden. Die gesonderten Anmeldebereiche für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen oder alte Menschen sollten deutlich als solche gekennzeichnet werden. Missbrauch ist dabei durch klare Regeln vorzubeugen. Das Amt für Bürgerdienste bemüht sich, Barrieren für Menschen mit und ohne Behinderungen abzubauen. Defizite sind erkannt, Potenziale werden genutzt und erste Erfolge wurden erzielt. Dabei steht auch das Amt für Bürgerdienste – wie jede Organisationseinheit der Verwaltung – vor der enormen Herausforderung, Personalabbau, Finanzknappheit und die Wahrnehmung der gesetzlichen Pflichtaufgaben zu koordinieren. 3.7.3 Barrierefreie Information Zuständigkeit Für die Verbreitung von Informationen der Bezirksverwaltung liegt die Verantwortung grundsätzlich – in den Grenzen des Content Management Systems (CMS) von berlin.de – bei den jeweiligen Fachbereichen. Dies betrifft den Web-Auftritt ebenso wie eigene Publikationen. Für den Web-Auftritt des Bezirksamtes Friedrichshain-Kreuzberg und für die Veröffentlichung von Pressemitteilungen ist die Stabsstelle „Presse- und Öffentlichkeitsarbeit“, welche bei der Bürgermeisterin angesiedelt ist, koordinierend zuständig. Das Gleichberechtigungsgebot und Diskriminierungsverbot (u. a. für Menschen mit Behinderungen) ist auf Landesebene geregelt im Landesgleichberechtigungsgesetz (LGBG). Es bildet die Grundlage dafür, nicht nur online Informationen barrierefrei zur Verfügung zu stellen, sondern auch Bescheide und andere Veröffentlichungen der Bezirksverwaltung barrierefrei zu erstellen.

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Die barrierefreie Informationstechnologie der Berliner Verwaltung wird darin konkretisiert. In § 17 LGBG heißt es dazu: „Öffentliche Stellen [...] gestalten ihre Internetauftritte und -angebote sowie die von ihnen zur Verfügung gestellten grafischen Programmoberflächen, die mit Mitteln der Informationstechnik dargestellt werden, [...] technisch so, dass sie von Menschen mit Behinderung grundsätzlich uneingeschränkt genutzt werden können. Die für die Steuerung des landesweiten Einsatzes von Informationstechnik in der Berliner Verwaltung zuständige Senatsverwaltung bestimmt im Einvernehmen mit der für Soziales zuständigen Senatsverwaltung durch Rechtsverordnung nach Maßgabe der technischen, finanziellen und verwaltungsorganisatorischen Möglichkeiten 1. die in den Geltungsbereich der Verordnung einzubeziehenden Gruppen von Menschen mit Behinderung, 2. die anzuwendenden technischen Standards sowie den Zeitpunkt ihrer verbindlichen Anwendung, 3. die zu gestaltenden Bereiche und Arten amtlicher Informationen.“ Auf dieser Grundlage hat der Senat von Berlin am 23. August 2005 die Verwaltungsvorschriften zur Schaffung Barrierefreier Informationstechnik (VVBIT) erlassen. Die Vorschriften besagen, dass alle öffentlich zugänglichen Angebote der Informationstechnik der Berliner Landesbehörden barrierefrei zu gestalten sind. Barrierefrei sind IT-Angebote, wenn sie für alle Nutzerinnen und Nutzer gleichermaßen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich sind. 44 Erreichtes In Bezug auf die barrierefreie Online-Informationsverarbeitung ist grundsätzlich zu unterscheiden zwischen den Web-Seiten der Fachbereiche und dem offiziellen Internetauftritt des Bezirksamtes. 45 Bei den Web-Seiten der einzelnen Fachbereiche gibt es erste Fortschritte bei Gestaltung (Layout und Übersichtlichkeit) sowie Barrierefreiheit. Zum Teil wurden Aussagen hierzu in den Gesprächen mit den Fachbereichs- bzw. Amtsleitungen getroffen, welche sich in den einzelnen Handlungsfeldern dieses Kapitels wiederfinden. Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass in der gesamten Bezirksverwaltung das Bewusstsein für die Bedeutung der Web-Präsenz gestiegen ist. Immer mehr FachbereichsSeiten stellen sich inhaltlich gut sortiert und ansprechend dar. Dabei bedeutet Übersichtlichkeit jedoch nicht automatisch Barrierefreiheit (s. u.).

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Vgl. URL: http://www.berlin.de/sen/inneres/itk/barrierefreiheit.html Zugriff am: 30.09.2013

45

Vgl. URL: http://www.berlin.de/ba-friedrichshain-kreuzberg/, Zugriff am: 30.09.2013

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Das Thema „Diversity“/barrierefreie Öffentlichkeitsarbeit des Bezirksamtes wird in einer Unterarbeitsgruppe der Arbeitsgrupe Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bearbeitet. Auf der Grundlage eines BVV-Beschlusses soll eine Diversity-Leitlinie erarbeitet werden. Diese soll sicherstellen, dass in der Außendarstellung und Öffentlichkeitsarbeit der Verwaltung in Text und Bild darauf geachtet wird, die Vielfalt der hier lebenden Menschen in Bezug auf Alter, Geschlecht, ethnische Herkunft, Behinderung, sexuelle Orientierung, verschiedene Familienmodelle etc. darzustellen. Mit diesem Ziel soll die Richtlinie festschreiben, dass bspw. auf Plakaten, in Prospekten von Ämtern, auf Webseiten des Bezirks etc. wann immer möglich auch Menschen mit Behinderung, Menschen mit Migrationshintergrund, homosexuelle Paare sowie Regenbogenfamilien und Menschen verschiedenen Alters zu sehen sein sollen. 46 Die Behindertenbeauftragte, die Gleichstellungsbeauftragte, die Beauftragte für Integration und Migration sowie der Beauftragte für die Verwaltungsmodernisierung arbeiten gemeinsam mit der AG Öffentlichkeitsarbeit des Bezirkes in der Unter-AG „Leitlinie Diversity“ an der Umsetzung der Leitlinien und setzen erste Schwerpunkte. Dazu zählt bspw. die Etablierung eines Diversity-Controllings – mit der Absicht, neue Veröffentlichungen des Bezirksamtes (Broschüren, Flyer, Plakate, Veröffentlichungen im Web etc.) zukünftig in der AG Öffentlichkeitsarbeit des Bezirksamtes vorzustellen und sie hinsichtlich der Beachtung von Diversity-Kriterien zu überprüfen, bevor diese in den Umlauf gehen. Parallel wird an der weiteren Verbesserung des Internetauftritts des Bezirksamtes gearbeitet. Hier stellt sich der Wechsel der Bezirksamts-Seite in das Content Management-System von „berlin.de“ als Fortschritt dar. Die aktuelle Startseite ist zwar noch nicht barrierefrei, wird aber mit der Umstellung durch das Bearbeitungsprogramm Imperia 9 bis ca. Ende 2014 weitgehend realisiert sein. Über eine Verlinkung auf www.wheelmap.org und www.mobidat.de gibt es jedoch Hinweise zur Barrierefreiheit der Gebäude der Bezirksverwaltung. Die Web-Seiten der Behindertenbeauftragten und die Startseite des Bezirksamtes sind für das Pilotprojekt der barrierefreien Gestaltung unter Berücksichtigung der Diversity-Richtlinie und der zugrundeliegenden Landesvorschriften ausgewählt worden. Die AG Öffentlichkeitsarbeit ist aktuell des Weiteren mit der Erarbeitung einer Vorlage zur Kenntnisnahme an die BVV zum Thema „Leichte und Einfache Sprache in der Verwaltung und Politik“ befasst (Vorlage an die BVV: Ende 2013). Die Wahlbenachrichtigungen des Amtes für Bürgerdienste für die Bundestagswahl 2013 werden erstmals in einfacher Sprache gehalten sein.

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Vgl. DS/0519/IV der BVV Friedrichshain-Kreuzberg, Beschluss vom 30.01.2013

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Herausforderungen Die barrierefreie Gestaltung von Informationen im Internet, in amtlichen Bescheiden, in schriftlichen Publikationen und anderen Veröffentlichungen (Flyer, Plakate, Programme etc.) folgt klaren Regeln. Die entsprechende Überarbeitung eines Schriftstückes, um es online barrierefrei veröffentlichen zu können, erfordert dementsprechend geschulte Anwenderinnen und Anwender. Wenn hierfür keine gesonderten – personellen oder finanziellen – Kapazitäten eingeplant werden können, ist davon auszugehen, dass eine barrierefreie Umsetzung eines nicht barrierefreien Schriftsatzes zusätzliche Zeit in Anspruch nimmt. Barrierefreiheit in der Informationsverarbeitung beginnt zudem mit einer gut strukturierten Zusammenfassung von Inhalten. Diesbezüglich ist neben ersten Erfolgen – beispielhaft können die Startseiten des Jugendamtes und die im Umbau befindliche Seite des Fachbereichs Grünflächen genannt werden – auch noch erheblicher Überarbeitungsbedarf zu konstatieren. 47 In welchen Zeiträumen dieser erfüllt wird, hängt nicht zuletzt davon ab, wann die Umstellung des Imperia-Systems für die Bearbeitung von Websites auf „berlin.de“ erfolgt sein wird. Handlungsempfehlungen und Perspektiven Die wesentlichen Handlungsschwerpunkte zur Sicherstellung der barrierefreien Kommunikation der Bezirksverwaltung mit Bürgerinnen und Bürgern sind  der Umbau der Fachbereichs- und Bezirks-Internetseiten im Hinblick auf bessere Darstellung der Inhalte (Layout und Struktur),  der Ausbau der barrierefreien Online-Auftritte der Fachbereiche und Ämter,  die Unterstützung der Erstellung barrierefreier Dokumente und  die Förderung der Erstellung von Bescheiden und anderen Veröffentlichungen in leichter und einfacher Sprache. Für Pressemitteilungen sollten künftig bereits in der Zuarbeit an die Stabsstelle Presse- und Öffentlichkeitsarbeit einheitliche, barrierefreie Formatierungen vorgegeben werden. In der Bezirksverwaltung bedarf es zudem einer klaren Regelung, wie Barrierefreiheit künftig sichergestellt werden soll. Hier sollte für die Fachbereiche entsprechende zentrale Unterstützung erfolgen. Wenn jegliche Online-Information künftig barrierefrei zur Verfügung zu stellen ist, sollte über die Schaffung zusätzlicher personeller und finanzieller Ressourcen hierfür nachgedacht werden. Die Erstellung eines Videoclips

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Z. B. ist die Startseite der „Planungs- und Koordinierungsstelle Gesundheit“ bislang weder barrierefrei noch übersichtlich gestaltet. Der Umbau der Homepage ist in Planung, die personellen Kapazitäten setzen Grenzen. URL: www.berlin.de/gesundheit-fk, Zugriff am: 30.09.2013

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in Gebärdensprache muss etwa mit 800,- € veranschlagt werden. Soweit die Verantwortung hierfür alleine bei den jeweiligen Fachbereichen liegt, besteht das Risiko, dass Fachbereiche sich von als unzumutbar empfundenen Vorgaben lösen, indem sie künftig weniger Inhalte online stellen. Dies sollte im Sinne der Transparenz des Verwaltungshandelns vermieden werden. Möglicherweise kann hierbei auch die doppelte Nutzung von Intranet und Internet hilfreich sein. Für alle Dokumentationen eines Fachbereiches oder Amtes, die der Öffentlichkeit bestimmt sind, könnten damit Standards im Hinblick auf Barrierefreiheit vorgegeben werden, um Inhalte im Internet zu veröffentlichen. Wenn diese nicht erfüllt werden können, könnte eine Veröffentlichung zumindest verwaltungsintern auf der Intranet-Seite des Bezirksamtes ermöglicht werden. Dies könnte ein Anreiz für Fachbereiche sein, die mit ihrer Arbeit eine erhebliche Außenwirksamkeit haben, barrierefreie Dokumente zügig zu erstellen. Gleichwohl bleibt auch hierbei die Frage der entsprechenden Kapazitäten eine nicht zu vernachlässigende Größe für den Erfolg.

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4

Weitere Handlungsfelder

4.1

Migration und Behinderung

Gemäß Allgemeinem Gleichbehandlungsgesetz (AGG) sind Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen und mit Migrationshintergrund zu verhindern oder zu beseitigen. Eine gesonderte Zuständigkeit speziell für die Belange von Menschen mit Behinderung und Migrationshintergrund in der Bezirksverwaltung gibt es nicht. Besondere Anknüpfungspunkte gibt es zur Tätigkeit der bezirklichen Beauftragten für Integration und Migration. Darüber hinaus ist sicherzustellen, dass alle Leistungen zur Teilhabe und Eingliederung für Menschen mit Behinderung mit Migrationshintergrund ebenso offen sind wie für Menschen ohne Migrationshintergrund. Aufgrund einer Häufung von Sprachbarrieren – insbesondere bei Menschen aus der ersten Einwanderergeneration – ist hierfür insbesondere die sprachliche Verständigung sicherzustellen. Dolmetschleistungen für Hilfebedürftige mit Migrationshintergrund, welche der Amtssprache nicht mächtig sind, müssen im Behördenverkehr niedrigschwellig, neutral und fachadäquat zur Verfügung gestellt werden. Hierfür ist speziell an den Einsatz des Berliner Gemeindedolmetschdienstes gedacht. Finanzielle Mittel für den Einsatz der Sprach- und Kulturmittler müssen in den Haushaltsplanaufstellungen entsprechend einkalkuliert werden. 4.1.1 Erreichtes Nach wie vor existieren Vorurteile und Vorbehalte über den Umgang mit Behinderung in anderen als der herkunftsdeutschen Kultur und Wahrnehmungen, dass Menschen mit Behinderung mit Migrationshintergrund im öffentlichen Hilfesystem nicht „ankommen“. Auf eine schriftliche Anfrage der BVV zur interkulturellen Öffnung der Behindertenhilfe musste das Bezirksamt feststellen, dass es weder Angaben zur Anzahl der Menschen mit Migrationshintergrund, welche in Einrichtungen der Behindertenhilfe betreut werden, noch Angaben zu Personal mit Migrationshintergrund in Einrichtungen der Behindertenhilfe machen konnte. Gleichwohl wurde anhand zahlreicher Beispiele deutlich, dass Menschen mit Behinderung mit Migrationshintergrund stets als Zielgruppe aller Hilfs- und Unterstützungsangebote adressiert werden. Anfang des Jahres 2009 etwa gründete sich im Bezirk das Fachforum „Menschen mit Behinderung und Zuwanderungsgeschichte“. Es handelt sich hierbei um einen Zusammenschluss von Verbänden, Vereinen und Organisationen aus den Bereichen Behindertenarbeit, Migrationsarbeit und angrenzenden Arbeitsfeldern. Die Beauftragte für Migration und Integration und die Beauftragte für Menschen mit Behinderungen des Bezirksamtes gehören zu den Grün-

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dungsmitgliedern und sind seitdem aktive Mitstreiterinnen im Fachforum. Ziel des Fachforums ist es, Verbesserungen in der Entwicklung und Qualitätssicherung der Angebote im Bereich sozialer Dienste für Menschen mit Behinderungen und Zuwanderungsgeschichte zu befördern. Seit August 2010 bietet die Behindertenbeauftragte zweimal im Monat eine Sprechstunde in der Jobassistenz an. Durch die direkte Nachbarschaft und enge Kooperation zwischen Jobcenter und Jobassistenz nehmen viele Jobcenterkunden die Beratungsangebote wahr. Hauptberatungsfelder sind Beratungen zur Erlangung eines Schwerbehindertenausweises, Informationen zu den Angeboten der Integrationsfachdienste und Nachfragen zu Angeboten für Menschen mit speziellen Behinderungen. Die Hälfte der ratsuchenden Personen hat einen Migrationshintergrund. Im Jahr 2010/2011 fand mit Fachkräften der AWO, Schwerpunkt Migration, eine Fortbildungsreihe statt, in der Einrichtungen der Behindertenhilfe des Bezirkes mit ihren spezifischen Angeboten vorgestellt wurden. Ziel war neben der Kenntnisvermittlung auch die Sensibilisierung der Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen für das Thema Behinderung. Gleichzeitig wurden die Mitarbeitenden der Einrichtungen der Behindertenhilfe für das Thema Migration sensibilisiert. Diese Fortbildungsreihe soll – sofern zeitliche Ressourcen wieder verfügbar sind – auch zukünftig von der Beauftragten für Menschen mit Behinderungen organisiert und durchgeführt werden. Die Beauftragte für Migration und Integration und die Beauftragte für Menschen mit Behinderungen führen ferner regelmäßig gemeinsame Beratungen und Veranstaltungen in verschiedenen Migrant/innenvereinen (Kotti-Familiengarten, Akarsu, Nadeshda) durch. Im März 2012 fand eine hausinterne Fortbildungsveranstaltung des Jobcenters Friedrichshain-Kreuzberg zum Thema „Menschen mit Handicap – Informationen und Beratungsmöglichkeiten“ statt, die durch die Behindertenbeauftragte mitgestaltet wurde. Etwa 50 Beschäftigte des Jobcenters nahmen an dieser Veranstaltung teil. Im April/Mai 2012 wurde die Informationsreihe „Leben, Wohnen und Arbeiten mit einer geistigen Behinderung“ für Migrantinnen und Migranten mit Beeinträchtigung bzw. deren Angehörige durchgeführt. In enger Kooperation zwischen der Beauftragten für Menschen mit Behinderungen, der AWO Berlin (Migrant/innensozialdienst) und der AWO-City gGmbH richtete sich diese Tour an eine feste Gruppe von Menschen mit Migrationserfahrung, welche vor Ort Einrichtungen besichtigen und „befragen“ konnten. Begleitet wurde die Veranstaltung von einer qualifizierten Sprachmittlerin. Das Gesundheitsamt erhielt in den Jahren 2009 und 2011 jeweils den Zuschlag beim Wettbewerb „Prozessunterstützende interkulturelle Organisationsentwicklung“ des Integrationsbeauftragten des Berliner Senats. Ziel war eine explizite Betrachtung der Organisationsstruktur des Gesundheitsamtes hinsichtlich möglicher bestehender Zugangsbarrieren für Menschen mit Migrationshintergrund und der Umsetzung einer 106

interkulturellen Öffnung. Im Zuge des Projektes wurde u. a. ein Diversity-Training für die Mitarbeitenden des Gesundheitsamtes mit dem Schwerpunkt „Gesundheits- und Krankheitsverständnis im kulturellen Kontext“ durchgeführt. In der Kooperation mit freien Trägern wirkt das Bezirksamt darauf hin, dass Menschen mit Behinderung mit und ohne Migrationshintergrund im Bezirk über eine adäquate Versorgungs- und Unterstützungsstruktur verfügen. Beispielhaft sei auf die Einrichtung eines Beratungsangebotes durch Mina e. V. in der Friedrichstraße 1 zu Beginn des Jahres 2013 hingewiesen. Grundsätzlich sind die freien Träger im Bezirk angehalten, im Rahmen ihres Aufgabenspektrums die Beschäftigten in angemessener Weise fortzubilden bzw. ihnen die Möglichkeit einer Fortbildung einzuräumen. Die Beschäftigten des Bezirksamtes Friedrichshain-Kreuzberg sind aufgefordert, sich regelmäßig fortzubilden. Dazu gehört auch der Themenschwerpunkt „Interkulturelle Öffnung der Verwaltung“. Einzelne Bereiche, wie z. B. die Abteilung für Familie, Gesundheit und Personal, fordern von ihren Mitarbeitenden die Teilnahme an interkulturellen Fortbildungsangeboten. Angebote der Verwaltungsakademie können dazu ebenso genutzt werden wie Angebote freier Träger/Arbeitsgruppen etc. Zum Abbau sprachlicher Barrieren sind die bezirklichen Einrichtungen der Behindertenhilfe gehalten, Sprachmittlerdienste einzusetzen. 4.1.2 Herausforderungen: Vergleich „Federas 2009“ / Befragung 2012 Die Berücksichtigung der spezifischen, ggf. kulturell geprägten, Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung und Migrationshintergrund ist für freie Träger der Behindertenhilfe bereits aus wirtschaftlichen Gründen notwendig. Schwierig bleibt indes die Erreichbarkeit der Zielgruppe, wenn sie über schlechte Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt. Unklar ist, welchen Einfluss die Familienstrukturen von Menschen mit Migrationserfahrung, die im Bezirk Anspruch auf Hilfe für Menschen mit Behinderung haben, auf die Zugangswege zum Hilfesystem auswirkt. In einer Befragung von 80 Menschen mit Migrationshintergrund und Behinderung, die im Jahr 2009 im Auftrag des Bezirksamtes durch ein externes Institut durchgeführt wurde, 48 gaben die Befragten an, dass die wichtigsten Anlaufstellen im Falle von Unterstützungs- und Hilfsbedarf Hausärzte und Familienangehörige sind. Erhebliche Bedeutung kommt hier auch den diversen Beratungsstellen zu. Dabei fiel auf, dass

48

Die Studie „Zugänge und Einblicke in das Gesundheitssystem von Migranten mit Behinderungen oder gesundheitlichen Einschränkungen“ wurde durch die Federas Beratung AG in Zusammenarbeit mit der bezirklichen Beauftragten für Integration und Migration und der bezirklichen Beauftragten für Menschen mit Behinderungen durchgeführt.

107

nur 10 % der Befragten das Gesundheitsamt – mit der Beratungsstelle für erwachsene Menschen mit Behinderungen – als Anlaufstelle genannt haben. Demgegenüber gaben 40 % der Befragten mit Behinderung und Migrationshintergrund in der aktuellen Befragung (vgl. Kap. 5) das Gesundheitsamt als Beratungsadresse an. Dies ist eine beachtliche Steigerung. Diese dürfte jedoch partiell auch mit der Eingliederung des vormals beim Amt für Soziales angesiedelten allgemeinen Sozialdienstes in das Gesundheitsamt erklärbar sein. Das wichtigste Auswahlkriterium bei der Arztwahl ist sowohl bei Haus- wie Fachärzten der sprachliche Hintergrund, dicht gefolgt vom Praxisumfeld. Bei der Frage nach der Bekanntheit und Inanspruchnahme von bezirklichen Beratungsleistungen konstatierten lediglich 6 % der Befragten, diese zu nutzen. 71 % gaben an, dass sie keine derartigen Angebote kennen. Ein Viertel der Befragten nahm Angebote, obwohl bekannt, nicht in Anspruch. Dies wurde vor allem mit negativen Erfahrungen im Umgang mit den Behörden begründet, wurde aber nicht weiter spezifiziert. Mehr als die Hälfte der befragten Personen fühlten sich im Jahr 2009 bei Behördenbesuchen selten ausreichend oder gut beraten. Im Rahmen unserer Befragung 2013 gab hingegen deutlich mehr als die Mehrheit der Befragten mit Migrationserfahrung an, dass sie sich sehr gut oder gut beraten fühlt. Vorausgesetzt, die Befragten unterscheiden sich nicht wesentlich in ihrer Sozialstruktur, dann zeigt sich hierin eine Verbesserung der Servicequalität im Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg. Die wichtigste Informationsquelle über Hilfs- und Unterstützungsangebote sind „Dritte“, wozu in erster Linie freie Träger gehören. Informationen zu den Angeboten wurden am häufigsten über „Dritte“, d. h. Beratungsangebote freier Träger und Familienangehörige oder Bekannte, eingeholt. Die öffentliche Verwaltung wird als Informationsquelle kaum genutzt. Die weitere Schlüsselfrage, welcher Bedarf nicht abgedeckt ist bzw. welche konkreten Dienstleistungen/Unterstützungsangebote (noch) gewünscht werden, wurde 2009 eindeutig und mit 40 % der Nennungen wie folgt beantwortet: „Dolmetscher, Service und feste Ansprechpartner in Behörden“. An zweiter Stelle lag der Wunsch, für Schwerhörige und Gehörlose „mehr“ zu tun. Erst nach „Rechtsberatung (u. a. wo kann ich welche Ansprüche geltend machen?)“ folgte der Wunsch nach verstärkter medizinischer und therapeutischer Unterstützung. Im Jahr 2013 fehlte es den Befragten mit Migrationserfahrung in Bezug auf Beratung vor allem an Mehrsprachigkeit und Angeboten in einfacher Sprache (ca. 31 %), gefolgt von Beratungsangeboten speziell für Menschen mit Migrationshintergrund. Hieraus wird keine Verbesserung bei den Beratungsangeboten ersichtlich.

108

4.1.3 Handlungsempfehlungen und Perspektiven Im Ergebnis sind auch heute – wie im Abschlussbericht des Federas-Projektes – die gleichen Handlungsziele und Handlungsschritte festzuhalten:  Bekenntnis der Leitungsebenen zur interkulturellen Öffnung der Verwaltung und deren Umsetzung (z. B. entsprechende Prioritätensetzung durch Leitbildentwicklung, Diversity Trainings und Umsetzungskontrolle)  Information über die Angebote des Bezirks an die „richtigen“ Adressaten bringen (z. B. interkultureller Wegweiser durch Leistungsangebote und zu Kontaktstellen, Informationen durch Verwaltung in Kiezbüros, bei Veranstaltungen und in den Medien)  Abbau von Sprachhürden und Verständigungsbarrieren (z. B. regelhafte Inanspruchnahme des Gemeindedolmetscherdienstes, Qualifizierung der Sprachund Kulturmittlerdienste in Bezug auf Behinderungen, Sprachmittlerdienste regulär an Sprechtagen vorhalten, Fortbildungen zur „Arbeit mit Sprachmittlerdiensten “, Sprachmittlerdienste für selten nachgefragte Sprachen ermitteln)  Fehlende Ansprechpersonen/fehlender Service speziell für beeinträchtigte Menschen mit Migrationshintergrund in Behörden bzw. Ämtern (z. B. barrierefreies Leitsystem, barrierefreier Zugang zu Gebäuden, Fortbildungsangebote zu Gesundheits- und Krankheitsverständnissen im kulturellen Kontext)  Interkulturelle Kompetenz mit Schwerpunkt „Gesundheits-/Krankheitsverständnis im kulturellen Kontext“ muss in das Qualifizierungsprogramm für das Fallmanagement in der Eingliederungshilfe einbezogen werden. Entsprechende Fortbildungen für die Fachkräfte des Sozialdienstes und des Leistungsbereichs Pflege werden angeraten. In Berlin haben 27 % der Menschen einen Migrationshintergrund, im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg sind es 38 %. Der Bezirk ist geprägt durch eine multiethnische Vielfalt. Dennoch ist das Wissen über die Sichtweisen, Bedürfnisse, Wertevorstellungen und Familienstrukturen der Einwohnerinnen und Einwohner mit Migrationserfahrung nach wie vor dürftig. Der öffentliche Dienst des Landes Berlin wird zwar zunehmend auch für Beschäftigte mit Migrationshintergrund interessant, dennoch sind Mehrsprachigkeit und kulturelle Vielfalt in der öffentlichen Verwaltung nach wie vor eher die Ausnahme als die Regel. Solange der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund in der Bevölkerung sich nicht adäquat in den Beschäftigtenstrukturen der öffentlichen Verwaltung widerspiegelt, werden Zugangshürden und Kommunikationsschwierigkeiten vor allem für ältere Menschen mit Migrationserfahrung vermutlich an der Tagesordnung bleiben.

109

Nach wie vor kommt daher der Förderung von Kultur- und Sprachmittlung sowie zivilgesellschaftlichen Multiplikatorinnen und Multiplikatoren eine wichtige Rolle bei der Vermittlung und Begleitung von Menschen mit Migrationshintergrund in das öffentliche Hilfesystem zu.

4.2

Menschen mit geistigen Behinderungen

Zuständig für die Eingliederungshilfe für Menschen mit geistigen Behinderungen sind die bezirklichen Sozialämter. Anders als im Bereich der psychiatrischen Pflichtversorgung, welche durch das Berliner Psychiatrie-Entwicklungsprogramm regionalisiert und damit mit einem wohnortnahen Versorgungsauftrag versehen wurde, gibt es für die Eingliederungshilfen für Menschen mit geistigen Behinderungen keine regionalisierte Leistungserbringung. D. h., dass Klientinnen und Klienten prinzipiell jedes für sie in Betracht kommende Angebot in ganz Berlin wahrnehmen können. Die Zuständigkeit des bezirklichen Sozialhilfeträgers ergibt sich aus dem letzten Wohnsitz der Klientin/des Klienten. Abgrenzungsschwierigkeiten existieren bzgl. der Hilfen für Menschen mit Lernbeeinträchtigungen. Menschen, welche ausschließlich lernbehindert sind, haben gem. § 53 Abs. I SGB XII keinen Anspruch auf Eingliederungshilfe. So besteht z. B. mit Eintreten in die Volljährigkeit kein Angebot im Bereich Wohnen. Somit werden in Einzelfällen erwachsene Menschen mit Lernbehinderung in der Regel dem Personenkreis „geistig behindert“ gleichgestellt, um überhaupt Zugang zu von ihnen benötigten Leistungen zu erhalten. 4.2.1 Defizite aus Sicht der Clearingstelle Im Jahr 2007 beauftragte die damalige Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales das Behandlungszentrum für psychisch kranke Menschen mit geistiger Behinderung der Abteilung für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik am ev. Krankenhaus Königin Elisabeth Herzberge in Berlin mit der Einrichtung einer Clearingstelle für Menschen mit geistiger Behinderung. Im Zuge dieses – zeitlich befristeten – Modellprojektes sollte vor allem die Versorgungslage mit ambulanten und stationären Wohnangeboten für Menschen mit geistiger Behinderung, psychischer Störung und/oder problematischen Verhaltensweisen bewertet werden. Das Projekt lief im Jahr 2010 aus. Die folgenden Ausführungen enthalten wesentliche Erkenntnisse aus dem Abschlussbericht der Clearingstelle. 49

49

Vgl. Berliner Clearingstelle für Menschen mit geistigen Behinderungen (2009), Abschlussbericht des Modellprojekts der Berliner Clearingstelle für Menschen mit geistiger Behinderung. Berlin: Ev. Krankenhaus KEH gGmbH. Veröffentlicht im Bethel-Verlag (ISBN 978-3-935972-31-4). URL: http://clearingstelle-berlin.net/index.php?id=7, Zugriff am: 30.09.2013

110

Aktuelle Zahlen gehen davon aus, dass bis zu 30 % aller Menschen mit einer Intelligenzminderung zusätzlich psychische Erkrankungen oder schweres Problemverhalten aufweisen. Das Erkrankungsspektrum umfasst dabei sämtliche Erkrankungsbilder des ICD 10 mit einer Häufung atypischer Psychosen. Die häufigsten Arten des Problemverhaltens bei Menschen mit geistiger Behinderung sind intensive, häufige und dauerhafte Aggression, selbstverletzendes Verhalten, Schädigung oder Zerstörung von Eigentum, sexuelle Gewalt und störendes Verhalten. Nur ein Drittel des Problemverhaltens ist allein der geistigen Behinderung und hierbei möglichen Über- und Unterforderungen im Betreuungsalltag zuzuschreiben. Veränderungen in Häufigkeit oder Schwere von Problemverhalten können häufig auf körperliche Krankheiten oder Funktionsstörungen hinweisen. Aus Sicht der Clearingstelle herrscht in Berlin an vielen Stellen sowohl auf diagnostischer Ebene, als auch bei der praktischen Umsetzung im Alltag Unkenntnis über das Modell einer umfassenden entwicklungsbezogenen bio-psychosozialen Betrachtungsweise. Die Tätigkeit des Modellprojektes hatte empfehlenden Charakter und war zur Neutralitätswahrung verpflichtet. Die Empfehlungen müssen sowohl von Leistungsträgerseite (Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales und bezirkliche Sozialämter) als auch auf der Seite der Leistungserbringer (freie Träger) und in den begleitenden Gremien (z. B. den Arbeitsgruppen der bezirklichen PSAG) diskutiert und auf Wege der Umsetzung geprüft werden. 4.2.2 Herausforderungen, Handlungsempfehlungen, Perspektiven Fehlende Hilfsangebote für Menschen mit Lernbeeinträchtigungen In einem Expertengespräch mit drei Anbietern von betreuten Wohnformen für Menschen mit geistiger, körperlicher und/oder Mehrfachbehinderung sollten spezielle Bedürfnisse von Menschen mit leichten geistigen Behinderungen beleuchtet werden. Das Gespräch fand statt am 20.03.2013. Es waren Vertreter der Träger „Bastille – gemeinsam sind wir stark e. V.“, AWO City gGmbH und Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung e. V. zugegen. Dabei wurde die Problematik fehlender Angebote für intelligenzgeminderte Menschen, die keine zusätzliche psychische Störung aufweisen – und damit nicht in den Regelungskreis der Eingliederungshilfe fallen – unterstrichen. Insbesondere die Praxis, lernbeeinträchtigte Menschen als geistig behindert zu klassifizieren, wird deren Selbstwahrnehmung nicht gerecht. Dies hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass das gesellschaftlich dominante Bild eines Menschen mit Behinderung stark an die Erscheinung von Menschen mit DownSyndrom geknüpft ist. Dieses Behindertenbild nehmen Menschen mit Lernbeeinträchtigungen für sich nicht an.

111

Es wurde betont, dass es gesonderte Wohnangebote speziell für Menschen mit Lernbeeinträchtigungen geben müsse. In einer stationären Pflegeeinrichtung wäre diese Personengruppe nicht gut betreut, da der Fokus in dieser Zielgruppe auf der pädagogischen Betreuung und nicht auf der pflegerischen Versorgung liegen muss. Diese Frage stellt sich nicht nur für (junge) Erwachsene, sondern zunehmend auch für ältere Menschen mit Lernbeeinträchtigungen, bei denen sich im Alter Formen von Demenz entwickeln. Die Leistungserbringer argumentieren, dass Pflegeeinrichtungen für diese Zielgruppe aufgrund des gesonderten sozialen und pädagogischen Förderbedarfes nicht in Frage kommen. Freizeit und Mobilität Hier werden von den Experten drei Aktivitäten genannt: Theater, Kino, Kneipe, wobei der Begriff der „Kneipe“ als negativ besetzt identifiziert wird. Theaterbesuche werden von Menschen mit Lernbeeinträchtigungen weniger gerne durchgeführt, als z. B. Kinobesuche. Sehr beliebt sind hingegen Reisen mit den Mitbewohnern. Im Bereich der Mobilität werden insbesondere Fahrdienste in Anspruch genommen. Dies funktioniert in der Regel reibungslos, bis auf die Tatsache, dass Fahrer oder Fahrerinnen nicht immer in wertschätzender Weise mit den Fahrgästen kommunizieren. Dies ist ebenfalls bei Fahrten im Bereich von Schülerinnen und Schülern mit Lernbeeinträchtigungen aufgefallen. Einschätzung von Beratungsangeboten Beratungsangebote sind wenig bekannt und werden von den Betroffenen und deren Angehörigen wenig genutzt. Der Gang ins Gesundheitsamt wird als Pflicht empfunden, da Ämter Ängste erzeugen. Häufig wurden hier schlechte Erfahrungen gemacht, wodurch Ämterbesuche mit Problemen identifiziert werden. Der Wechsel der sozialen Beratung für erwachsene Menschen vom Sozialamt zum Gesundheitsamt wird kritisch betrachtet: In der Selbstwahrnehmung der Menschen wird die eindeutige Assoziierung mit Krankheit, welche sich durch diese Zuordnung ergibt, als Belastung und Etikettierung empfunden. Nutzerinnen und Nutzer der Wohnangebote für Menschen mit Lernbeeinträchtigungen empfinden den Umgang im Zusammenhang mit persönlichen amtlichen Begutachtungen als vorurteilsbehaftet und nicht auf Augenhöhe. Gewünscht werden mehr Informationen über Beratungs- und Hilfsangebote in einfacher und leichter Sprache. Die geringe Verfügbarkeit solcher Informationen stellt sich aus Expertensicht als eine wesentliche Barriere dar, denen Menschen mit Lernbeeinträchtigungen gegenüber stehen. Darüber hinaus fehlt eine Zusammenstellung differenter Hilfs-, Unterstützungs- und Vernetzungsangebote der Träger. Dies schließt Freizeitaktivitäten ein. Die Website www.kugelfisch-berlin.de (Zugriff am: 30.09.2010) bot lange Zeit eine gute, bezirksübergreifende Übersicht, wird aber aktuell kaum noch aktualisiert. 112

4.3

Gehörlose Menschen

Im Rahmen der Befragung von Menschen mit Behinderung (vgl. Abschnitt 5) konnten gehörlose Menschen nicht berücksichtigt werden. Bereits im Vorfeld wurde im Austausch mit Sinneswandel – Förderung gehörloser und hörgeschädigter Menschen in Berlin gGmbH schnell deutlich, dass ein in Schriftsprache gehaltener Fragebogen für gehörlose Menschen nicht geeignet ist. Aus diesem Grund wurde ein Expertengespräch mit der Geschäftsführerin der Sinneswandel gGmbH unter Beteiligung zweier gehörloser Kolleginnen des Trägers geführt. Das Gespräch wurde durch zwei Gebärdensprachdolmetscherinnen simultan übersetzt und hatte das Ziel, Einblicke in die spezifischen Bedürfnisse gehörloser Menschen in zentrale Lebensbereiche des Alltags zu gewinnen. Die Sinneswandel gGmbH besteht seit Januar 2007. Sie ist als Ausgründung der Gesellschaft zur Förderung der Gehörlosen in Berlin e. V. entstanden und führt die pädagogischen Arbeitsbereiche Betreutes Wohnen, Ergänzende Betreuung und Förderung an der Ernst-Adolf-Eschke-Schule und den Kinder- und Jugendclub weiter. Das Gespräch fokussierte die Themen Wohnen, öffentliche Einrichtungen, Freizeit/Sport und Barrieren im öffentlichen Raum. Wohnen Menschen mit Hörschädigung können sich im unteren Geschossbereich von Mehrfamilienhäusern unsicher fühlen. Die Schwierigkeit Geräusche klar zu hören bzw. zuzuordnen kann etwa zu Ängsten beim Öffnen von Fenstern führen. Aber auch die stärkere Reizüberflutung in Erdgeschosswohnungen wird als Belastung empfunden. Da Menschen mit Hörschädigungen darauf angewiesen sind, ihre Umwelt vor allem über den Sehsinn wahrzunehmen, erzeugen optische Reize eine stärkere Beanspruchung als bei nicht hörgeschädigten Menschen. Eine starke, dauernde optische Reizung ist vergleichbar einer permanenten Lärmexposition für nicht hörgeschädigte Menschen. Im Bereich standardmäßiger Einrichtungen für barrierefreie Wohnungen für Hörgeschädigte werden Licht- und/oder Videoklingeln und optische Brandmelder genannt. Bei der Wohnraumsuche ist eine telefonische Kontaktaufnahme in der Regel ohne Assistenz nicht möglich. Zu Besichtigungen ist eine Begleitung zum Dolmetschen notwendig. Öffentliche Einrichtungen, Freizeit und Sport Der Umgang mit Ämtern und Behörden sowie anderen öffentlichen Einrichtungen ist für die hörgeschädigten Menschen geprägt durch sehr differente Erfahrungen. Während die Jobcenter in der Regel über professionelle Gebärdensprachdolmetscher

113

verfügen, sind Kontakte zu anderen Ämtern oder Behörden mitunter schwierig. In diesem Zusammenhang ist auf die Einschätzung des Amtes für Bürgerdienste hinzuweisen, dass Gebärdensprachdolmetschdienste nicht in Anspruch genommen werden (vgl. 3.7.2). Als besonders schwierig werden Arztbesuche eingeschätzt: Zunächst müssen Arzttermine lange vorher geplant werden. Rückmeldungen mit der Arztpraxis können ohne Assistenz kaum erfolgen. In der Kommunikation mit Ärztin/Arzt ist zudem ein besonders hohes Maß an Vertrauen in die Gebärdendolmetschdienste zu setzen. Hier empfiehlt es sich auch aufgrund der komplexeren medizinischen Fachtermini, andere Dolmetschdienste zur Verfügung zu haben als für die Alltagskommunikation. Da Termine beim Arzt meist mit einer Wartezeit verbunden sind, werden diese Dolmetscher in der Regel auch über die vereinbarte Zeit hinaus benötigt. Grundsätzlich gilt, dass Gehörlose im Umgang mit nicht gehörlosen Menschen – und insbesondere im Austausch mit öffentlichen Einrichtungen – in besonderem Maße auf Vertraulichkeit und Planbarkeit angewiesen sind. Die Notwendigkeit des Gebädendolmetschens setzt hier hohe Anforderungen an die Organisationsfähigkeit von Behördern und Einrichtungen – vom Elternabend in der Schule angefangen, über den Termin bei der Hausärztin bis hin zu Angelegenheiten auf den Ämtern für Bürgerdienste. Die Notwendigkeit einer sehr vorausschauend geplanten alltäglichen Lebensführung wird auch im Freizeitbereich deutlich. Das Aufsuchen eines Kinos oder Museums ist spontan meist nicht möglich. Es bedarf vorab einer Recherche zu Veranstaltungen für Menschen mit Hörschädigung. Da Angebote für Hörgeschädigte nicht in ausreichendem Umfang zur Verfügung stehen, müssen Fahrten in andere Stadtteile/Städte organisiert werden. Im Bereich des Freizeitsports wurden im Gespräch vor allem Vereine genant, die sich gezielt an Menschen mit Hörbeeinträchtigungen richten. In Berlin ist vor allem der Berliner Gehörlosensportverein zu nennen. In Bezug auf den Kulturbereich werden mehr Führungen in Gebärdensprache gewünscht. Barrieren im öffentlichen Raum Die Ansagen in der Berliner U-Bahn, S-Bahn oder den Bussen und an Straßenbahnhaltestellen sind für Hörgeschädigte nicht bemerkbar – dieses Problem haben auch Menschen ohne Hörschädigungen. Hier sind Hinweise auf elektronischen Anzeigen denkbar bzw. werden als wünschenswert erachtet.

114

5

Handlungsfelder aus Sicht von Menschen mit Behinderungen

5.1

Befragung „Leben mit Behinderung in Friedrichshain-Kreuzberg“

5.1.1 Hintergrund und Aufbau der Befragung Die in Teil 3 zusammengefassten Stellungnahmen der Ämter und Organisationseinheiten der Bezirksverwaltung spiegeln Praxiskenntnis über die Belange von Menschen mit Behinderungen wider. Dennoch ist festzuhalten, dass direkte Rückmeldungen von Bürgerinnen und Bürgern mit Behinderung an die Verwaltung eher eine Ausnahme darstellen. So wurde in den Interviews mit den Verwaltungsspitzen ebenfalls deutlich, dass mitunter allgemeine, wenngleich nicht unrichtige Annahmen über Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung dominieren, welche selten durch eigene Erfahrung bzw. direkten Kontakt überprüft werden. Um besser über die Lebenswirklichkeit von Menschen mit Behinderungen in Friedrichshain-Kreuzberg Bescheid zu wissen, wurde deswegen als erster Schritt auf dem Weg zu einer besseren Berücksichtigung deren Belange eine schriftliche Befragung geplant und im Zeitraum von Oktober 2012 (Beginn der Befragung) bis Juni 2013 (Abschluss der Dateneingabe und Beginn der Auswertungen) realisiert. Das Konzept ebendieser Befragung und ein erster Fragebogen wurde bereits im Frühjahr 2012 im Behindertenbeirat Friedrichshain-Kreuzberg vorgestellt und diskutiert. Den Mitgliedern des Behindertenbeirates wurde der fertige Fragebogen zum Testen vorgelegt. Dabei wurde schnell ersichtlich, dass ein schriftlicher, standardisierter Fragebogen zum Selbstausfüllen nicht das Mittel der Wahl ist, um Menschen mit Behinderungen zu ihrer Lebenswirklichkeit zu befragen. Kritik wurde nicht nur an der Methode der fragebogengestützten Erhebung, sondern auch inhaltlich am Fragebogenentwurf geäußert. Dieser wurde als zu lang und für Menschen mit Lernbeeinträchtigungen und geistigen Behinderungen als deutlich zu komplex kritisiert. Im Ergebnis dieses ersten Test-Durchlaufes wurde der Fragebogen im Umfang reduziert und vom Layout vereinfacht. Die wesentliche Änderung jedoch bestand darin, dass im Ergebnis zwei Fragebogenversionen erstellt wurden: eine Version für Menschen mit vorrangig körperlichen Behinderungen und eine demgegenüber gekürzte und in einfacherer Sprache formulierte Version für Menschen mit Lernbeeinträchtigungen, geistigen oder seelischen Behinderungen. 50

50

Die Fragebögen können beim Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg zur weiteren wissenschaftlichen Verwendung abgefordert werden. URL: www.berlin.de/gesundheit-fk, Zugriff am: 30.09.2013

115

Jeder Version wurden Hinweise zum Ausfüllen vorangestellt. Insbesondere wurde deutlich mitgeteilt, dass die Teilnahme an der Befragung freiwillig und absolut anonym ist. Der Einsatz des Fragebogens wurde durch die behördliche Datenschutzbeauftragte des Bezirksamtes Friedrichshain-Kreuzberg von Berlin genehmigt. Da keine Haushaltsmittel für die Durchführung der Befragung zur Verfügung standen, musste diese im regulären Dienstbetrieb durch Personal der Bezirksverwaltung umgesetzt werden. Somit schied eine intensive Befragungspraxis durch Interviewerpersonal aus. Als alternativer Weg, um möglichst viele Menschen mit Behinderungen zum Ausfüllen des Fragebogens zu motivieren, wurde die Kontaktaufnahme mit Multiplikatorinnen und Multiplikatoren gewählt. D. h., es wurden Einrichtungen des Bezirks um Mitarbeit gebeten, die sich mit ihren Angeboten auch an Menschen mit Behinderungen richten. 5.1.2 Stichprobengröße und Methodenkritik Insgesamt wurden 104 Einrichtungen (Freizeit- und Begegnungsstätten, betreute Wohngemeinschaften, Hilfedienste, Kirchgemeinden und Moscheen, Beratungsstellen, Sportvereine) mit einem persönlichen, von der Gesundheits-Stadträtin unterzeichneten Anschreiben von der Befragung informiert. Jedem Brief wurde eine Version beider Fragebögen zur Ansicht beigelegt. Die Adressatinnen und Adressaten wurden gebeten, Möglichkeiten zu finden, wie sie im Umfeld ihrer Einrichtungen Menschen mit Behinderungen von der Befragung informieren und diese zur Mitwirkung gewinnen können. In dem Anschreiben wurde ein Termin angekündigt, zu dem sich das Team des Bezirksamtes wieder bei den Angeschriebenen meldet, um die Anzahl der benötigten Fragebögen zu erfahren. Auf diese Art und Weise wurden insgesamt 969 Fragebögen (darunter 674 ausführliche und 295 einfache) an die Multiplikatoren verschickt. Daneben wurden Fragebögen über die Behindertenbeauftragte oder auf Veranstaltungen verteilt und dort um die Teilnahme an der Befragung geworben. Auf diese Weise konnten weitere 289 lange und 104 kurze Fragebogen an Menschen mit Behinderungen bzw. Kontaktpersonen verteilt werden. Schließlich wurde auch in der Bezirkspresse und im Internet Werbung für die Befragung gemacht. Damit wurden noch einmal 23 Personen erreicht, denen ein Fragebogen persönlich zugesendet wurde. In Zusammenarbeit mit dem Sozialamt wurde abschließend eine zufällig ausgewählte Stichprobe von 107 Empfänger/innen der Einzelfallhilfe angeschrieben und um Mitwirkung an der anonymen Befragung gebeten (siehe Tab. 5.1-1).

116

Tabelle 5.1-1:

Verteilte Fragebögen und Rücklauf

Fragebogenversion

verteilt

davon auswertbarer Rücklauf

Rücklauf in %

kurze Variante

506

88

17 %

lange Variante

986

142

14 %

insgesamt

1.492

230

15 %

Somit gaben uns insgesamt 230 Menschen mit Behinderungen aus dem Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg einen Einblick in ihren Alltag und ihre Lebensführung. Dies entspricht einem Anteil von 15 % aller verteilter Fragebögen. In der Sozialwissenschaft gelten derartige Ausschöpfungsquoten nicht als ungewöhnlich. Höhere Rückläufe werden gemeinhin als besonders hoch bewertet. Die Ausschöpfungsquote anderer im Bezirk durch professionelle Institute durchgeführter Umfragen liegt, trotz erheblich intensiverer persönlicher Assistenz bei der Interviewführung nicht höher. 51 Zudem sind die wenigsten der über 1.400 verteilten Fragebögen persönlich übergeben worden, die meisten wurden als „Pakete“ an die Multiplikatoren übergeben. Somit muss man davon ausgehen, dass nicht jeder von uns ausgeteilte Fragebogen auch persönlich übernommen wurde. Unser oben auf der Grundlage der 1.400 ausgesendeten Fragebögen berechnete Rücklauf dürfte daher die Beteiligungsbereitschaft an dieser Befragung unterschätzen. Einschränkend ist zu bemerken, dass die Befragung in keinster Weise Repräsentativität für die Menschen mit Behinderungen in Friedrichshain-Kreuzberg beanspruchen kann. Dies resultiert nicht nur aus der geringen Fallzahl der Befragten, sondern auch aus der Zusammensetzung der Stichprobe. Es lag in der Methode begründet, dass Menschen in Einrichtungen der Behindertenhilfe bzw. Menschen mit Behinderungen, die guten Kontakt zu Unterstützungsnetzwerken haben, im Rücklauf dominieren. Verzerrrungen gibt es ferner im Hinblick auf das Alter als auch auf die Behinderungsarten. Die Auswertung der Befragung ist damit nur dazu geeignet, flankierende und ggf. weiterführende Einsichten in die Lebensbedingungen der Menschen mit Behinderungen zu gewinnen, welche uns an ihrem Leben teilhaben ließen.

5.2

Erste Ergebnisse der Befragung

Im Folgenden werden erste Ergebnisse der Befragung vorgestellt. Diese Darstellung muss lückenhaft bleiben. Ein ausführlicher Bericht folgt.

51

Die Studie „50 und älter in Friedrichshain-Kreuzberg 2009“ des SFZ e. V. bspw. hatte eine Netto-Ausschöpfungsquote von 16,3 %.

117

Die 230 Befragten waren zu 65 % weiblich und der Altersdurchschnitt zum Zeitpunkt der Erhebung betrug 60 Jahre. Der Anteil der Personen mit Migrationshintergrund beläuft sich auf 25,2 %, wobei der Anteil bei Menschen mit Lernbeeinträchtigungen, geistigen oder seelischen Behinderungen mit 37,7 % deutlich höher liegt als bei den Menschen mit körperlicher Behinderung (17,8 %). Insgesamt leben 57,8 % der Befragten im Ortsteil Kreuzberg und 42,2 % in Friedrichshain. Das Verhältnis ist bei den Befragten mit körperlichen Behinderungen mit 53,7 % (Kreuzberg) zu 46,3 % (Friedrichshain) recht ausgeglichen, während unter den Befragten mit Lernbeeinträchtigungen, geistigen oder seelischen Behinderungen knapp zwei Drittel (66,1 %) Kreuzberger sind. Die Fragebögen enthalten die Fragekomplexe „Wohnen“, „Freizeit“, „Mobilität und öffentlicher Raum“, „Beratung und Unterstützung“, „Gesundheit“, „Arbeit, Beschäftigung und Ehrenamt“ und „Zu Ihrer Person“, wobei Fragen zum Komplex „Mobilität und öffentlicher Raum“ nur im Fragebogen für Menschen mit körperlicher Behinderung enthalten sind. 5.2.1 Wohnen: Licht und Schatten Im Komplex „Wohnen“ wurden Fragen zur Wohnart und zur Zufriedenheit mit der Wohngegend sowie der häuslichen Wohnsituation gestellt. Im Hinblick auf grundlegende Unterschiede zwischen den Befragtengruppen (kurzer vs. langer Fragebogen) fällt dabei zunächst auf, dass unter den Befragten mit Lernbeeinträchtigungen, geistigen und seelischen Behinderungen mit knapp 27 % ein fast doppelt so hoher Anteil angibt, in betreuten Wohnformen zu leben, als dies bei den Befragten mit körperlicher Behinderung der Fall war (vgl. Abb. 5.2-1). Dies hat, wie später gezeigt wird, Auswirkungen auf die Angaben zur Wohnzufriedenheit aber auch im Hinblick auf andere Indikatoren der sozialen Integration. Als störend empfanden alle Befragten prinzipiell, dass Wohnungen bzw. Häuser nicht behindertengerecht gestaltet sind – vor allem in den Antworten der Personen mit körperlicher Behinderung wurde das deutlich (34 % der Antworten). Mit Sorge wird in beiden Gruppen der allgemeine Wohnungsmarkt bzw. die Mietentwicklung betrachtet. Die Befragten mit Lernbeeinträchtigungen, geistigen oder seelischen Behinderungen wurden mit jeweils einer offenen Frage nach besonders negativen sowie besonders positiven Aspekten ihres Wohnumfeldes befragt. Sowohl bei den Mängeln als auch bei den guten Dingen wurden verschiedene Faktoren der allgemeinen Wohnumfeldqualität – wozu infrastrukturelle Gegebenheiten ebenso gezählt wurden wie die konkreten Mietbedingungen (z. B. Baustellen, Lärm, Einkaufsmöglichkeiten, Sauberkeit im Wohnumfeld, starker Straßenverkehr, Miethöhe und andere Aspekte des Mietverhältnisses) – als wichtigste Bereiche genannt, welche das Wohlbefinden im Wohn118

umfeld positiv oder negativ beeinflussen. Dabei zeigten sich weder nennenswerte Unterschiede zwischen den Ortsteilen Kreuzberg und Friedrichshain, noch in Bezug auf die Wohnart der Befragten. Für differenziertere sozialräumliche Analysen war die Stichprobe zu gering.

Befragungsgruppe

Abbildung 5.2-1: Anzahl der Befragten nach Wohnarten

Menschen mit körperlicher Behinderung

Menschen mit Lernbeeinträchtigungen, geistigen, seelischen Behinderungen 0%

20%

40%

60%

80%

100%

anteilige Verteilung eigene Wohnung

betreutes Einzelwohnen

Pflegeeinrichtung

betreute Wohngemeinschaft

Mehrfachantwort: Prozentangaben beziehen sich auf die Anzahl der Antworten

Auch Barrierefreiheit und öffentliche Angebote sowie soziales Umfeld wurden häufig genannt, bei positiven und negativen Dingen gleichermaßen häufig. Bemerkenswert ist, dass der Bereich des sozialen Umfeldes ausschließlich von Personen negativ erwähnt wurden, die in ihrer eigenen Wohnung oder in betreutem Einzelwohnen leben. Für Befragte in betreuten Wohngemeinschaften hingegen stellt das soziale Zusammenleben kein Problemfeld dar. Zwar wurde hier nach Aspekten im Kiez gefragt und nicht nach der direkten Wohnsituation, dennoch ist dies ein Hinweis darauf, dass die soziale Interaktion in und um die betreuten Wohngemeinschaften der Befragten funktioniert. Demgegenüber sind es hauptsächlich ebenfalls die Befragten in betreuten Wohngemeinschaften, welche die Wohnumfeldqualität bei den negativen Dingen hervorheben. Wir vermuten, dass diese den Handlungsdruck auf Träger widerspiegelt, die ihre betreuten Wohngemeinschaften nach Möglichkeit in Objekten mit langfristig günstigen Mietbedingungen einrichten müssen. Möglicherweise gehen damit Verluste der Wohnumfeldqualität einher.

119

5.2.2 Freizeit – je stärker die Behinderung, desto deutlicher die Barrieren In diesem Bereich wurden Freizeitgestaltung sowie die Nutzung von Bildungsangeboten abgefragt. Häufigste Freizeitaktivität ist in beiden Personengruppen das Fernsehen. Zwischen 80 und 84 % der Befragten nutzen in der Regel den Fernseher in ihrer Freizeit. Weiterhin oft genannt wurden mit etwa 50 % das Besuchen von Freund(inn)en, Bekannten oder Verwandten sowie das Lesen. Am seltensten angegeben wurden die Nutzung von Bildungsangeboten und der Besuch von Sportveranstaltungen. Die Personen mit körperlichen Behinderungen wurden befragt, was sie an der Ausübung ihrer gewünschten Freizeitaktivitäten stört. Mit 60 % der Antworten wurden körperliche oder altersbedingte Einschränkungen angegeben, gefolgt von fehlenden finanziellen und zeitlichen Ressourcen, Barrieren und fehlenden Angeboten. Mehr als vier Fünftel dieser Befragtengruppe gab an, dass sie keine Bildungsangebote der Volkshochschule nutzen. Als wichtigste Gründe für die Nichtinanspruchnahme wurden hier wiederum Barrieren und unpassende Angebote genannt, dicht gefolgt von körperlichen oder altersbedingten Einschränkungen. In dieser Gruppe wurde ferner deutlich, wie stark die Einschätzung der persönlichen Mobilitätseinschränkungen mit der Wahrnehmung von Barrieren im Zugang zu Angeboten korreliert. Mit anderen Worten: Je stärker die körperliche Beeinträchtigung einer Person ist, umso häufiger rücken physikalische Zugangsbarrieren einer Inanspruchnahme von Kultur- und Bildungsangeboten in den Fokus. 5.2.3 Mobilität – trotz Verbesserungen ein Drittel unzufrieden In diesem Fragenkomplex wurden die Verkehrsmittelnutzung, die Bewertung der Qualität des öffentlichen Personennahverkehrs und darüber hinausgehende Einschätzungen zur persönlichen Mobilität erfasst. Alle Fragen hierzu wurden jedoch lediglich im Fragebogen für Menschen mit körperlichen Behinderung gestellt. Ein Großteil der Befragten konstatierte zum Thema Mobilität, dass besonders die Barrierefreiheit im öffentlichen Raum bzw. das Angebot des ÖPNV verbessert werden müsse. Weitere genannte Problemgebiete sind Wartung und Pflege des öffentlichen Raums und die Wohnumfeldqualität. Jedoch wurden auch die Verbesserungen der letzten Jahre vor allem in Bezug auf Barrierefreiheit positiv hervorgehoben. Ihre individuelle Mobilität bewerteten etwa zwei Drittel der Befragten mit „sehr gut“, „gut“ oder „zufriedenstellend“. Allerdings schätzen ebenfalls 36 % der Befragten mit körperlicher Behinderung ihre Mobilität als „weniger gut“ bzw. „schlecht“ an. Die Menschen mit den deutlichsten Einschränkungen ihrer persönlichen Mobilität sind vorwiegend weibliche Befragungsteilnehmerinnen. Männer schätzen ihre Mobilität deutlich besser ein. Ob hier eine geschlechterspezifische Verzerrung aufgrund 120

der Selbsteinschätzung vorliegt, bleibt offen. Erwartungsgemäß ist auch das Alter ein wichtiger Faktor: je älter die Person, desto schlechter die persönliche Mobilität dieser Person. Außerdem zeigt sich, wie sehr eine schlechte Mobilität unabhängig vom Alter die allgemeine Zufriedenheit mit dem eigenen Leben mindert. Augenscheinlich geht mit einer körperlichen Einschränkung auch eine beachtliche psychische Belastung einher. 5.2.4 Beratung – Behindertenspezifik und Mehrsprachigkeit gefordert In diesem Abschnitt wurden Fragen zur Nutzung und Bewertung von Beratungs- und Unterstützungsangeboten gestellt. Auch die Unterstützung im privaten Umfeld, z. B. durch Familie oder Freunde, wurde hier berücksichtigt. Wenn die Befragten sich über Beratungsangebote oder Veranstaltungen im Bezirk erkundigen, erfolgt dies mit jeweils ca. 10 % am häufigsten über Fernsehen, Radio oder Tages- und Wochenzeitungen bzw. Kiez-Zeitungen oder kostenlosen Wochenblättern. Am seltensten werden zur Information über Beratungs- und Veranstaltungsangebote die Bürgerämter (3 %) und die Website des Bezirksamtes (2 %) genutzt. Daraus kann nicht geschlussfolgert werden, dass diese beiden Quellen nicht zur Informationsweitergabe genutzt werden sollten – im Gegenteil, hier werden erhebliche Ressourcen zur Verbesserung der Öffentlichkeitsarbeit gesehen. Die Befragten mit Lernbeeinträchtigungen, geistigen oder seelischen Behinderungen informieren sich eher durch Familienangehörige oder mithilfe von Begegnungsstätten, nutzen aber deutlich seltener Tages- oder Wochenzeitungen sowie KiezZeitungen oder Wochenblätter. Insgesamt fühlen sich alle Befragten „mittelmäßig“ bis „gut“ beraten.

Abbildung 5.2-2:: Defizite bei Beratung und Unterstützung

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Anteil der Antworten

35% 30% 25% 20% 15% 10% 5% 0% spezielle Angebote / Leistungen für MmB

Kompetenz / Verständnis / Sensibilität / besserer Umgang

Mehrsprachigkeit / einfache Sprache

Mehr Beratungsstellen / Öffnungszeiten

Sonstiges

Problemfelder Mehrfachantwort: Prozentangaben beziehen sich auf die Anzahl der Antworten

Abbildung 5.2-2 zeigt auf, dass es den Befragten bzgl. Beratung und Unterstützung in erster Linie an Angeboten und Leistungen speziell für Menschen mit Behinderungen fehlt, aber auch an Mehrsprachigkeit bzw. einfacher Sprache. Von Seiten der Beratenden wünschen sich die Befragten zudem mehr Kompetenz, Verständnis, Sensibilität und besseren Umgang. Dies unterstreicht ferner die Aktualität der Handlungsempfehlungen im Abschnitt 4.2 „Migration und Behinderung“. 5.2.5 Gesundheit – „eher schlecht als recht“ Der Bereich „Gesundheit“ beinhaltet u. a. Fragen zum Gesundheitszustand, zur Art der Behinderung und zu eventuellen Beeinträchtigungen im Alltag. Die Mehrheit der Befragten schätzt ihren allgemeinen Gesundheitszustand „zufriedenstellend“ bis „weniger gut“ ein. Die Unterschiede zwischen den Befragungsgruppen sind hier recht gering. Die Personen mit körperlicher Behinderung wurden um eine Einschätzung zur ambulanten medizinischen und pflegerischen Versorgungslage im Bezirk gebeten. Am häufigsten angesprochen wurde in diesem Zusammenhang der Fachkräftemangel, aber auch Barrierefreiheit und ungerechte Versorgung aufgrund des Gesundheitssystems wurden als Problemfelder genannt. Insgesamt wurde die institutionelle Versorgung jedoch am häufigsten mit „gut“ bewertet. 5.2.6 Arbeit und Beschäftigung – Integration durch betreutes Wohnen? Die Teilnehmenden der Befragung wurden in einem weiteren Fragenblock zu Vorhandensein, Art und Umfang von bezahlten und ehrenamtlichen Tätigkeiten, zu ihren Einstellungen diesbezüglich und zu ihren Wünschen im Hinblick auf Arbeit und Be122

schäftigung befragt. Von den Befragten geht eine Mehrheit weder einer bezahlten noch einer ehrenamtlichen Beschäftigung nach, wobei sich bei dieser Frage erwartungsgemäß ein Alterseffekt zeigen lässt: So geben von den tendenziell jüngeren Befragten mit Lernbeeinträchtigung, geistiger oder seelischer Behinderung fast 37 % eine bezahlte oder ehrenamtliche Beschäftigung an – bei den Befragten mit körperlicher Behinderung sind dies nur 24 %. Wenn man die Beschäftigung unter Berücksichtigung der Wohnarten betrachtet, fällt auf, dass unter den Befragten, welche in betreuten Wohngemeinschaften leben, eine Mehrheit einer Beschäftigung nachgeht. Bei den Menschen mit Lernbeeinträchtigung, geistiger oder seelischer Behinderung aus unserer Stichprobe, welche in betreuten Wohnformen leben, gaben dies fast 82 % an. Auch bei den Befragten mit körperlicher Behinderung ist die Beschäftigungsquote derer, die in betreuten Wohnformen leben, höher als die derer, die ohne besondere Betreuung wohnen. Bei aller Vorsicht über die Reichweite dieses Ergebnisses lässt sich damit ein integrativer und inklusiver Anspruch therapeutischer Wohnformen für Menschen mit Behinderungen bekräftigen. Deutlich wird jedoch auch, dass eine körperliche Behinderung offenbar ein stärkeres Risiko für Arbeit und Beschäftigung darstellt, als eine Lernbeeinträchtigung, geistige oder seelische Behinderung.

Abbildung 5.2-3: Anteile der Beschäftigten nach Wohnarten Anteil der Beschäftigten

100% 80% 60% 40% 20% 0% Menschen mit körperlichen Menschen mit Lernbeeinträchtigungen, Behinderungen geistigen, seelischen Behinderungen Befragungsgruppe eigene Wohnung

betreutes Einzelwohnen

betreute Wohngemeinschaft

Mehrfachantworten: Prozentangaben beziehen sich auf die Anzahl der Antworten. Kategorie „Pflegeeinrichtung“ entfällt aufgrund der zu geringen Fallzahl

Der hohe Stellenwert von Arbeit und Beschäftigung für die Lebensführung wird daran deutlich, dass sich über die Hälfte der Befragten als glücklich einschätzen, wenn sie über ihre Arbeit nachdenken. Nur 9 % geben an, unglücklich damit zu sein.

123

Unterschiede zwischen den Befragungsgruppen entstehen bei der Frage nach Wünschen in Bezug auf Arbeit und Beschäftigung. Während die Befragten mit Lernbeeinträchtigung, geistiger oder seelische Behinderung vor allem Wert auf ein besseres Arbeitsklima legen, wünschen sich Befragte mit körperlicher Behinderung in erster Linie berufliche Entwicklungsmöglichkeiten und Inklusion. Behindertengerechte Gestaltung des Arbeitsplatzes ist zudem für beide Gruppen wichtig. Weiterhin genannt wurden die Verbesserung der Einkommenssituation sowie Ausbildungsplätze im Allgemeinen. Menschen mit körperlicher Behinderung wurden darüber hinaus gefragt, ob sich etwas ändern müsste, damit sie sich auf die Weise ehrenamtlich engagieren können, wie sie es sich wünschen. Dabei wurde klar, dass der Gesundheitszustand – d. h. die individuelle Betroffenheit durch die Behinderung – hierfür den Haupthinderungsgrund darstellt. 5.2.7 „Ich als Bürgermeister/in…“ und Zufriedenheit Im letzten Abschnitt wurden demografische Daten, allgemeine Alltagsprobleme und Gesamtzufriedenheit erhoben, und gefragt, was die Befragten verändern wollen würden, wenn sie Bezirksbürgermeisterin oder Bezirksbürgermeister wären. Hinsichtlich der letzten Fragestellung ist den Befragten mit knapp einem Fünftel der Antworten gesellschaftliche Veränderung am wichtigsten. Dies beinhaltet stärkere Gerechtigkeit, Chancengleichheit, Inklusion und sozialen Zusammenhalt. Insbesondere unter den Befragten mit Lernbeeinträchtigung, geistiger oder seelischer Behinderung fielen die Antworten besonders oft in diese Kategorie. Dicht gefolgt auf diese eher globalen Werte wurden Verbesserungen des öffentlichen Raums genannt – speziell in Bezug auf Sicherheit, Ordnung und Sauberkeit, jedoch auch auf Verbesserungen der Wohn- und Mietsituation. Erst an dritter Stelle würden die Befragten die Barrierefreiheit im öffentlichen Raum verbessern, weitere behindertengerechte Sozial-, Bildungs-, Unterstützungs- und Kulturangebote schaffen und mehr finanzielle Unterstützung für Bürgerinnen und Bürger anbieten.

Abbildung 5.2-4: Gesamtzufriedenheit nach Befragtengruppen

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Befragungsgruppe

Menschen mit körperlichen Behinderungen

Menschen mit Lernbeeinträchtigungen, geistigen, seelischen Behinderungen

0%

20%

40%

60%

80%

100%

Anteile der Kategorien Sehr zufrieden

Eher zufrieden

Teils, teils

Eher unzufrieden

Sehr unzufrieden

Einfachantwort: Prozentangaben beziehen sich auf die Anzahl der antwortenden Befragten

Zur Frage für Menschen mit körperlicher Behinderung, ob sie das Gefühl haben, in einem behindertenfreundlichen Bezirk zu leben, antwortete die überwiegende Mehrheit ambivalent: es kommt ihnen dabei auf die konkrete Situation an. Während ein Viertel der befragten Menschen mit Körperbehinderung der Meinung ist, dass der Bezirk überwiegend oder gänzlich behindertenfreundlich sei, sind etwas weniger als ein Fünftel (ca. 17 %) der Meinung, dass dies überwiegend oder ganz und gar nicht der Fall sei. Zwischen den Ortsteilen Friedrichshain und Kreuzberg gibt es diesbezüglich kaum Unterschiede. Unterdessen sollten die Befragten mit Lernbeeinträchtigungen, geistigen oder seelischen Behinderungen grundsätzliche Probleme ihres Alltags benennen. Häufigste Antwort ist mit 28,6 % der eigene Gesundheitszustand bzw. die eigene Behinderung. Ebenfalls leiden die Befragten oft an Hilflosigkeit, Einsamkeit und/oder Traurigkeit (22,9 % der Antworten), unter familiären-, nachbarschaftlichen und/oder anderen sozialen Problemen (15,7 %), haben Probleme mit der Alltagsbewältigung oder mit ihrer finanziellen Lage bzw. Arbeitslosigkeit (jeweils 11,4 %) oder sind unzufrieden mit ihrem Wohnumfeld (4,3 %). Allgemein sind die Befragten mit ihrem Leben „teils, teils“ bis „eher zufrieden“. 16,9 % der Befragten sind sogar „sehr zufrieden“, während lediglich 2,7 % „sehr unzufrieden“ sind. Wie der Abbildung zu entnehmen ist, zeigen sich lediglich geringe Unterschiede der Befragungsgruppen in den mittleren Kategorien (Abb. 5.2-4). Es lässt sich also insgesamt eine positive Tendenz in der Zufriedenheit der Befragten erkennen – auch wenn in beiden Befragtengruppen die eigene Behinderung der dominierende Faktor für Sorgen und Probleme bei der Alltagsgestaltung ist.

125

5.2.8 Eine erste Bilanz Menschen mit Behinderungen – dies wird an den hier skizzierten ersten Ergebnissen unserer Befragung wohl besonders deutlich – unterscheiden sich nicht dermaßen gravierend in ihren Einschätzungen von Menschen, die sich nicht als behindert bezeichnen würden. Es ist keineswegs der Fall, dass stets „Barrierefreiheit“ an erster Stelle bei Problemen genannt wird. Vielmehr zeichnet sich die Alltagswahrnehmung unserer Befragten in beiden Gruppen durch einen hohen Differenzierungsgrad aus. Neben verschiedenen angesprochenen Problemen wird auch auf Erreichtes hingewiesen, wie dies bspw. – trotz weiterer angemahnter Verbesserungen bei der barrierefreien Zugänglichkeit – am Beispiel des öffentlichen Personennahverkehrs deutlich wurde. Auch sind die gesamtgesellschaftlichen, zumindest berlinweit geführten Diskussionen in ihren Einschätzungen sehr präsent und wirken sich auf Lebensführung, Sorgen und Befürchtungen der befragten Menschen aus: Die Entwicklung der Mieten wird als verunsichernd empfunden und Sorgen werden geäußert im Hinblick auf die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Erwartungsgemäß zieht sich durch alle Themenblöcke die Beeinträchtigung der Teilhabe als Ergebnis des eigenen Gesundheitszustands – der eigenen Behinderung. Auch wenn nicht in jeder Frage explizit darauf hingewiesen wird, so zeigen die ersten Auswertungen doch deutlich, dass die Behinderung den Alltag der Befragten dominiert – und zwar im Hinblick auf Sorgen, Ängste und Teilhabebarrieren. Gleichwohl blicken die befragten Menschen mit Behinderungen trotz aller Einschränkungen, welche sie in vielen Bereichen empfinden, eher zufrieden auf ihr Leben als unzufrieden. Zugleich geben aber die meisten auch an, dass sie zwischen beiden Extremen – zufrieden oder unzufrieden – schwanken. Die Behinderung wirkt sich somit offenbar in einem hohen Maß als unmittelbarer Einflussfaktor auf das persönliche Wohlbefinden aus. Geäußerte Schwierigkeiten in den einzelnen Lebensbereichen Wohnen, Freizeit sowie Arbeit und Beschäftigung stellen sich hier als zusätzliche Belastungsfaktoren dar. Erheblicher Handlungsdruck ergibt sich für die Zukunft der Behindertenpolitik im Bereich des Wohnens – sowohl was die eigenen vier Wände betrifft als auch die Gestaltung des unmittelbaren Wohnumfeldes. Die Gruppe der Menschen mit körperlichen Behinderungen äußern erhebliche Defizite ihrer Wohnungen im Hinblick auf die Barrierefreiheit. Gemeinsam mit Vermietern sollte die öffentliche Hand ihr Augenmerk darauf legen, dass barrierefreier Wohnraum zukünftig die Regel wird und nicht eine schwer durchsetzbare Ausnahme bleibt. Die meisten Menschen möchten darüber hinaus möglichst lange im angestammten Wohnumfeld leben bleiben können. Hier sind kreative Lösungen für ein Miteinander der Generationen und der Menschen mit unterschiedlichen finanziellen Möglichkeiten im Bezirk gefragt. Es ist dabei neben den großen kommunalen Wohnungsunternehmen in Zukunft auch stärker das Enga126

gement privater Vermieter angezeigt. Denn mit dem demografischen Wandel geht – wie in Kapitel 2 gezeigt worden ist – eine Zunahme der Behinderungen einher, die im fortgeschrittenen Lebensalter bei der Mehrzahl der Menschen zu erwarten sind.

5.3

Abschließende Beurteilung der Befragung

Unsere Befragung von Menschen mit Behinderungen im Bezirk erreichte lediglich einen kleinen Teil der über 30.000 Menschen mit amtlich anerkannten Behinderungen. Sie ist nicht repräsentativ, erlaubt keine differenzierten sozialräumlichen Analysen und hat überdurchschnittlich viele Menschen im fortgeschrittenen Alter erreicht. Dennoch ist es erfreulich, dass uns über 200 Einwohnerinnen und Einwohner dieses Bezirkes, welche eine Behinderung aufweisen, tiefe Einblicke in ihr Leben gegeben haben. Angesichts der im Rahmen dieses Projektes geleisteten Vorarbeit – insbesondere, was die Erstellung des Fragebogens in zwei Versionen betrifft – wäre es sinnvoll und wünschenswert, dass der Fragebogen nochmals in einer Repräsentativbefragung von Bürgerinnen und Bürgern mit Behinderung in Friedrichshain-Kreuzberg eingesetzt wird. Auch wenn die direkten Kosten für unsere Befragung mit ca. 1.000,- Euro für die kopierten Fragebögen und den Postversand sehr gering ausfallen, sollten künftige Befragungen aus Effizienzgründen professionell unterstützt werden. Wenn die vorhandene Kompetenz des Bezirksamtes bei der Vorbereitung (Erstellung des Fragebogens) und Auswertung der Befragung (Analyse mit Statistik-Software) hierfür genutzt wird, dann kann ein freies Institut ein derartiges Projekt mit den Aufgabenpaketen Durchführung der Befragung, Dateneingabe und -kontrolle und Vorlage eines fertigen Datensatzes inkl. Grundauswertung zu Kosten im niedrigen 5-stelligen Bereich realisieren. Obwohl im Ergebnis also mit niedrigem finanziellem Aufwand ein achtbarer Rücklauf bei dieser Befragung erreicht worden ist – was nicht zuletzt an der Hartnäckigkeit der Mitarbeiterin im Management der Befragung lag – wird es empfohlen, künftig stärker auf externe Unterstützung für die Durchführung einer derartigen Befragung zurückzugreifen.

127

6

„Barrierefreiheit neu denken“ – nächste Schritte

In Kapitel 3 wurden jeweils bezogen auf die ausgewählten verschiedenen Fachbereiche spezifische Handlungsempfehlungen bzw. Handlungsschwerpunkte herausgearbeitet. Diese sollen an dieser Stelle nicht wiederholt werden. Sie behalten ihre Gültigkeit im Rahmen der dezentralen Zuständigkeit. Ergänzend zu diesen Handlungsempfehlungen sollen an dieser Stelle wesentliche, übergreifende und die Bezirksverwaltung als Ganzes betreffende Schlussfolgerungen und Handlungsschwerpunkte dargelegt werden. Diese Schwerpunkte sind nicht als Zusammenfassung, sondern als Ergänzung der dezentralen Empfehlungen für einzelne Fachbereiche bzw. ausgewählte Schwerpunktthemen (Kap. 3-5) zu sehen. Barrierefreie Bezirksverwaltung Um mehr Transparenz im Hinblick auf die bauliche Barrierefreiheit der Bezirksgebäude zu erhalten, sollten die Gebäude der Bezirksverwaltung dahingehend geprüft werden, unter welchen Bedingungen eine Vergabe des Signets „Berlin barrierefrei“ möglich ist. 52 Aktuell steht der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg mit 13 Einrichtungen, die das Signet „Berlin barrierefrei“ führen, auf dem vorletzten Platz. Spitzenreiter sind Neukölln mit 185 Einrichtungen, Lichtenberg mit 100 Einrichtungen und Charlottenburg-Wilmersdorf mit 77 Einrichtungen. Schlusslicht ist Pankow mit vier Einrichtungen. Der Berliner Bezirksdurchschnitt liegt bei 53 Einrichtungen. Das Signet „Berlin barrierefrei“ könnte darüber hinaus im Rahmen einer Informationskampagne des Bezirksamtes an soziale und wirtschaftliche Unternehmen im Bezirk kommuniziert werden. Auch wenn die Richtlinien zur Vergabe des Signets „Berlin barrierefrei“ im Kontrast zu den geschätzten finanziellen Auswirkungen eines Umbaus der Bezirksverwaltung im Hinblick auf Barrierefreiheit stehen, könnte es angezeigt sein, eine transparente Diskussion und eine entsprechende Stellungnahme hinsichtlich des aktuellen und in Zukunft realistisch erreichbaren Standes bzgl. der räumlichen Barrierefreiheit zu erzielen. Bürgerinnen und Bürgern mit und ohne Behinderungen sollte verdeutlicht werden, unter welchem finanziellen Druck die Bezirksverwaltung im Bereich der Gebäudeverwaltung steht. Hier wie auch in zahlreichen anderen Feldern gilt, dass eine offene Abwägung von Interessen und eine fachlich unzweifelhafte Prioritätensetzung erfolgen muss. Diese – von der BVV im Rahmen der dieser Planung zugrundeliegenden Drucksache – geforderte Prioritätensetzung kann nicht im Rahmen dieses

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Vgl. URL: http://www.berlin.de/lb/behi/barrierefrei/, Zugriff am: 30.09.2013

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Berichtes erfolgen. Sie setzt einen entsprechenden Diskussionsprozess im zuständigen Fachbereich und eine entsprechende Positionierung des Bezirksamtes voraus. Zugleich gilt, dass eine Unmöglichkeit der Umsetzung vollständiger Barrierefreiheit nicht davon entbindet, Bürgerinnen und Bürger mit und ohne Behinderung ohne Barrieren zu empfangen. Die Möglichkeit einer modernen, farblich abgehobenen Gestaltung von Ebenen bzw. Fluren und eine deutliche, mehrsprachige oder grafische Ausschilderung in entsprechender Schriftgröße gehören ebenso dazu wie die Vorhaltung guter Sanitäranlagen für Menschen mit und ohne Behinderungen. Die existierenden Ausschilderungen in den Bezirksgebäuden folgen zwar einer sachlichen Logik, sind aber kaum dafür geeignet, die Orientierung in den zum Teil sehr komplexen Gebäuden zu erleichtern. Empfehlungen  Die Gebäude der Bezirksverwaltung sollten dahingehend geprüft werden, unter welchen Bedingungen eine Vergabe des Signets „Berlin barrierefrei“ möglich ist. Das Projekt „Barrierefreies Einkaufen im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg“ 53 sollte weitergeführt und aktualisiert werden.  Bei allen Bau- oder Umbaumaßnahmen an bezirkseigenen Gebäuden sollte sichergestellt werden, dass Interessenvertretungen für Menschen mit Behinderung im Bezirk (Behindertenbeauftragte oder Behindertenbeirat) bereits in der Planung um Stellungnahme gebeten werden.  Eine Unmöglichkeit der Umsetzung vollständiger baulicher Barrierefreiheit im Bestand entbindet die Verwaltung nicht davon, Bürgerinnen und Bürger mit und ohne Behinderung barrierearm zu empfangen. Diesbezüglich sollte vor allem ein entsprechendes Leitsystem zur mehrsprachigen und barrierearmen Orientierung in der Bezirksverwaltung installiert werden. Das Empfangspersonal der Bürodienstgebäude ist entsprechend zu qualifizieren. Demografischer Wandel in der Bezirksverwaltung Die Statistik zeigt, dass mit zunehmendem Alter das Risiko einer schweren Behinderung steigt. Präventionsmaßnahmen für alle Beschäftigte und Nachteilsausgleiche für Menschen mit schwerer Behinderung liegen somit im Interesse des Arbeitgebers. Sie sollten im Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg transparent und in einem Klima der Akzeptanz und Wertschätzung weiterentwickelt werden. Hierfür sind auch an zentraler Stelle entsprechende personelle und monetäre Voraussetzungen zu schaffen.

53

URL: http://www.barrierefreieseinkaufen.de/html/pages/de_index_datenbank.html, Zugriff am: 30.09.2013

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Gesundheitsförderung und Prävention betrifft drei Bereiche: Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention. Während es bei Tertiärprävention um die Abmilderung der Folgen bestehender Erkrankungen geht, sind Ansätze der Sekundärprävention insbesondere im Bereich der Früherkennung gefragt, um das Fortschreiten einer Behinderung zu verhindern. Primärpräventive Ansätze richtet sich an Risikogruppen, Gesunde und Personen ohne Krankheitssymptome und zielt darauf ab, Neuauftreten einer Erkrankung zu verhindern. Empfehlungen  Die Arbeitsbedingungen in der Bezirksverwaltung sind im Sinne einer bestmöglichen betrieblichen Gesundheitsförderung und Prävention zu gestalten.  Die Ausstattung der Büroräume ist ein wichtiger Baustein der Gesundheitsförderung am Arbeitsplatz. Daher sind in der Haushaltsplanaufstellung Mittel für Neuanschaffungen, die modernen ergonomischen Standards entsprechen, vorzusehen.  Das Bezirksamt sollte darauf hinwirken, dass Angebote der betrieblichen Gesundheitsförderung und Prävention alle drei Formen der Prävention – primäre, sekundäre und tertiäre Prävention – zum Ziel haben.  Dafür notwendige personelle und finanzielle Voraussetzungen sind zu schaffen. Bessere Vernetzung der Hilfs- und Unterstützungsangebote An zahlreichen Beispielen dieses Berichtes lässt sich aufzeigen, wie vielfältig die Hilfs- und Unterstützungsangebote für Menschen mit Behinderungen sind. Nur beispielhaft sei auf die differenzierten Hilfsangebote des Bezirks für Menschen mit seelischen Behinderungen und die verzweigten Kooperationsbeziehungen zwischen Leistungserbringern, den Trägern sowie Klientinnen und Klienten hingewiesen. Deutlich wird diese Vielfalt aber ebenfalls an den, im Fokus dieses Berichtes liegenden, verschiedenen Zugängen der einzelnen Verwaltungsbereiche zur Berücksichtigung der Belange von Menschen mit Behinderung. Bereits innerhalb der Bezirksverwaltung zeigt sich also eine breite Palette an Handlungszusammenhängen differentester Zuständigkeiten, welche alle ein und dieselbe, in ihrer Zusammensetzung jedoch sehr heterogene, Zielgruppe zum Gegenstand haben. Daneben existieren im Bezirk unzählige Hilfsangebote in freier Trägerschaft, welche partiell in bezirklicher Verantwortung und partiell in überbezirklicher Verantwortung vorgehalten werden. Auch diese Angebote adressieren verschiedene Altersgruppen und Behinderungsarten. Empfehlungen  Eine Koordination und Steuerung der Hilfs- und Unterstützungsangebote des Bezirksamtes, des Landes und der freien Träger ist notwendig, um die für den 130

individuellen Hilfebedarf des Klienten oder der Klienten angezeigte Maßnahme zu finden und den Hilfesuchenden einen niedrigschwelligen Zugang ins Hilfesystem zu bieten. Fachspezifische Bedarfs- und Bestandsplanungen sowie Zielformulierungen sind Bestandteile einer derartigen Koordination und tragen zur Qualitätssicherung der Hilfeangebote bei.  Nach dem Vorbild der Bezirke Lichtenberg und Neukölln sollte auch für Friedrichshain-Kreuzberg ein Beratungsführer für Menschen mit Behinderung erstellt werden. 54 Sicherung von Sprach- und Kulturmittlung Für eine Beförderung von Inklusion und Barrierefreiheit sind Dienstleistungen des Gemeindedolmetscherdienstes (GDD) und freier Gebärdensprachdolmetscher/innen notwendige Voraussetzungen. Durch den Wegfall des gemeinnützigen Teils des GDD aufgrund der Instrumentenreform der Bundesagentur für Arbeit 55 kann der GDD künftig nur dann kostendeckend arbeiten, wenn die Stundensätze für die Dolmetschdienstleistungen sich an der Qualifikation der Beschäftigten orientieren. In der Bezirksverwaltung existieren jedoch offenbar unterschiedliche Wahrnehmungen darüber, welcher Stundensatz für eine Sprachmittlung gerechtfertigt ist. Empfehlung  Es bedarf einer landeseinheitlichen Regelung, welche Stundensätze für Sprachund Gebärdendolmetschleistungen in Berliner Behörden für eine unbürokratische Inanspruchnahme dieser Dienstleistungen bei der Haushaltsplanaufstellung zu veranschlagen sind. Ent-Stigmatisierung Durch alle Gespräche und durch die Befragung zog sich im Zuge der Bearbeitung als zentraler Komplex die Bedeutung dominierender gesellschaftlicher Bilder von Behinderung. Dieser Komplex wird etwa deutlich an folgenden Fragen: Wann ist ein Mensch behindert? Was bedeutet „Behinderung“? Ist Behinderung eine Krankheit? Menschen mit und ohne Behinderung haben ihre eigenen Zugänge zu diesen Fragen. Wie wir erfahren haben, möchten Menschen mit Lernbeeinträchtigungen etwa nicht zur Gruppe der „geistig Behinderten“ gezählt werden, weil sie sich nicht als „krank“ empfinden. Junge Menschen mit körperlichen Behinderungen teilten uns mit, 54

In den beiden genannten Bezirken hat dies der Träger agens e. V. im Auftrag des Bezirksamtes realisiert. Vgl. URL http://www.agens-berlin.de/agens_im_bezirk.htm, Zugriff am: 30.09.2013

55

Umbau der Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung

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dass sie – in ihren eigenen Worten gesprochen – „auf keinen Fall eine behinderte Frau“ kennenlernen möchten, weil sie sich ja auch selbst nicht als behindert empfinden. Andere Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen möchten nicht in eine Werkstatt für Menschen mit Behinderung „abgeschoben“ werden, wie sie selbst es formulieren. Den „harten Fakten“ – ein Drittel der Friedrichshain-Kreuzberg Bevölkerung hat eine amtlich anerkannte Behinderung – zum Trotz wird mit dem Begriff „Behinderung“ offenbar das Bild eines kranken, ausgegrenzten und atypischen Menschen suggeriert. In besonders traditionell verwurzelten oder stark religiösen Kreisen kann Behinderung als „Strafe Gottes“ begriffen werden. Und in eher aufstiegsorientierten sozialen Milieus kann es vorkommen, dass eine Behinderung als Karrierehemmnis gilt und so lange wie möglich ignoriert wird. In der Folge können Hilfebedarfe nicht erkannt und Hilfsangebote entsprechend nicht oder zu spät nachgefragt werden. Empfehlungen  Es ist angezeigt, Bilder von Behinderung zu thematisieren und Stigmatisierungen vorzubeugen. Im Bezirk existieren genügend gute Beispiele dafür, wie Menschen mit und ohne Behinderungen miteinander leben. Ob dies in der Kita, in der Schule oder im Sportverein ist – wichtig ist es, diese guten Beispiele der gelebten Diversität in die Öffentlichkeit zu tragen.  Es geht darum, das Bild des „defizitären Behinderten“, das sich abgrenzt vom „gesunden Leistungsträger“ zu ersetzen durch ein neues Bild, dass der Vielfalt an Lebensentwürfen, Lebensführungen und objektiven Lebensbedingungen der Menschen gerecht wird. Konstruktiver Austausch mit der Bezirksverordnetenversammlung Mit einer interessierten und aktiven Bezirksverordnetenversammlung (BVV) hat die Bezirksverwaltung einen starken Partner. Zugleich ist die Bezirksverwaltung als ausführendes Organ an die Beschlüsse der BVV gebunden. Seit Beginn der IV. Wahlperiode der BVV Friedrichshain-Kreuzberg hat die BVV die Bezirksverwaltung in bislang mehr als 800 Drucksachen zum Handeln aufgefordert. 56 Diese Drucksachen konkretisieren oder ergänzen die gesetzlichen Grundlagen des Verwaltungshandelns. Nicht immer wird zurückgekoppelt, welche Schlussfolgerungen die BVV aus den Zuarbeiten der Bezirksverwaltung zieht.

56

Vgl. URL: http://www.berlin.de/ba-friedrichshain-kreuzberg/bvv-online/allris.net.asp, Zugriff am: 30.09.2013

132

Empfehlung  Die Bezirksverordnetenversammlung möge den Prozess der Inklusion im Bezirksamt weiterhin kritisch-konstruktiv begleiten.  Die Empfehlungen dieses Berichtes sollten in den Fachausschüssen diskutiert, ggf. konkretisiert und an die Bezirksverwaltung rückgekoppelt werden Beschlussfassungen des politischen Bezirksamtes Ein konkreter Schritt hin zu mehr Inklusion könnte in einem verbindlichen kommunalen Aktionsplan bestehen. Am Beispiel des Nationalen Aktionsplanes der Bundesregierung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention und der auf dessen Grundlage erstellten ersten kommunalen Aktionspläne könnte ein solches Vorhaben auch in Friedrichshain-Kreuzberg durchgeführt werden. Damit können konkrete Handlungsziele mit festgelegtem zeitlichem Horizont getroffen werden. Dies erfordert ein über die Abteilungen abgestimmtes Vorgehen zu den wichtigsten Schwerpunkten der Behindertenpolitik. 57 Empfehlungen  Ein „kommunaler Aktionsplan Inklusion“ setzt eine entsprechende Beschlussfassung im Bezirksamt voraus und erfordert eine abgestimmte Vorgehensweise zwischen den Verwaltungsbereichen.  Die festzulegenden Handlungsfelder und geplanten Handlungsschritte sollten mit entsprechender zeitlicher Festlegung in dezentraler Fachverantwortung aufgestellt werden, denn nur dort besteht der Überblick über die dafür verfügbaren personellen Kapazitäten und die benötigten finanziellen Ressourcen.  Die Kontrolle über die Umsetzung sollte durch die Abteilungsspitzen erfolgen. „Inklusion als Haltung“ – zwischen Anspruch und Wirklichkeit Öffentlicher Dienst ist immer Dienst am Menschen. Barrierefreiheit bezieht sich nicht nur auf die Frage des Zugangs zu Gebäuden und die Orientierung in ihnen, sondern auf einen wertschätzenden, die Vielfalt von Menschen und Kulturen anerkennenden Umgang der Verwaltung mit den Bürgerinnen und Bürgern. Alle Verwaltungszweige sollten darauf hinwirken, dass eine solche Haltung gepflegt wird. Hierzu sind nicht

57

Anregungen und weitere Informationen hierzu können der Web-Site des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales entnommen werden: URL: http://www.gemeinsam-einfach-machen.de, Zugriff am: 30.09.2013

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nur Fortbildungen für Mitarbeitende notwendig. Maßgeblich ist auch die Übernahme einer Vorbildfunktion durch alle Führungskräfte. In fast allen Handlungsfeldern zeigte sich, dass die Verwaltungszweige sowohl gegenwärtig als auch in Zukunft einem stetig steigenden Druck durch neue Vorgaben und Anforderungen ausgesetzt sind. Zugleich muss das Bezirksamt FriedrichshainKreuzberg bis zum Jahr 2016 einen Stellenabbau von 138,7 Vollzeitäquivalenten (VZÄ) realisieren. Dies entspricht einem Abbau von 7,8 % des Personals zum Stand Ende 2011. Grundlage für die Festlegung der Personalzielzahl in den Bezirken durch das Abgeordnetenhaus ist eine Orientierung an der formalen Größe der Bezirksbevölkerung. Somit steht für die Wahrnehmung der gleichen gesetzlichen Aufgaben je Bezirk ein unterschiedlicher Personalbestand zur Verfügung. Das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg nahm mit einer Vorlage zur Kenntnisnahme zur DS/0704/IV der BVV Friedrichshain-Kreuzberg Stellung zu diesem Personallabbau. Es weist darauf hin, „dass zusätzlich zu den hier dargestellten Zwängen und deren Auswirkungen durch die getroffene Stichtagsregelung „22.10.2012“ im Bezirksamt weitere ca. 100 zu diesem Zeitpunkt freie Stellen weggefallen sind. Der BVV wurde im Rahmen der DS/0462/12 berichtet.“ 58 Ferner stellt das Bezirksamt an ebendieser Stelle fest, dass im Vordergrund der Überlegungen aus den Abteilungen die Frage steht, „wie trotz Stellenabbau die Auswirkungen auf die Bürger/innen minimiert werden können. Dazu gehört dann aber auch die Feststellung, wo und in welchem Bereich bisherige Aufgaben und Dienstleistungen zukünftig nur noch anteilig angeboten werden können oder sogar ganz wegfallen müssen. Das Bezirksamtskollegium stimmt darin überein, dass der BVV in der ersten Jahreshälfte 2014 eine Organisations- und Personalentwicklungsstrategie mit der Zielstellung bürgerorientierte Verwaltung vorgelegt werden soll.“ Ein derartig weitreichendes Konzept wie „Inklusion“ erfordert enorme finanzielle und personelle Kapazitäten. Inklusion setzt neben strukturellen Rahmenbedingungen aber auch an den Haltungen aller Beschäftigten an. Diese müssen auf dem Weg zu mehr Inklusion „mitgenommen“ werden. Denn wenn Inklusion in der Wahrnehmung der Beschäftigten lediglich aus einer Gleichzeitigkeit von Personalabbau und Aufgabenzuwachs besteht, dürften die Chancen für den Erfolg dieses Vorhabens gering einzuschätzen sein.

58

Vgl. VzB zur DS/0704/IV

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Anhang Tabelle A-1:

Zusammenfassungen von Behinderungen zur Oberkategorien

Oberkategorie Verlust oder Teilverlust von Gliedmaßen

Funktionseinschränkung von Gliedmaßen

Funktionseinschränkung der Wirbelsäule und des Rumpfes, Deformierung des Brustkorbes

Blindheit und Sehbehinderung

Sprach- oder Sprechstörungen, Taubheit, Schwerhörigkeit, Gleichgewichtsstörungen

Verlust einer Brust oder beider Brüste, Entstellungen u. a.

Beeinträchtigung der Funktion von inneren Organen bzw. Organsystemen

Querschnittlähmung, zerebrale Störungen, geistig-seelische Behinderungen, Suchtkrankheiten

Unterkategorien  eines Armes, eines Beines  beider Arme, beider Beine  eines Armes und eines Beines  von drei oder vier Gliedmaßen  eines Armes, eines Beines  beider Arme, beider Beine  eines Armes und eines Beines  von drei Gliedmaßen  beider Arme und beider Beine  Deformierung des Brustkorbes mit Funktionseinschränkung der Wirbelsäule  Funktionseinschränkung der Wirbelsäule  Funktionseinschränkung der Wirbelsäule und der Gliedmaßen  sonstige Einschränkung der Stützfunktion des Rumpfes  Blindheit oder Verlust beider Augen  hochgradige Sehbehinderung  sonstige Sehbehinderung  Sprach- oder Sprechstörungen  Taubheit  Taubheit kombiniert mit Störungen der Sprachentwicklung und entsprechenden Störungen der geistigen Entwicklung  Schwerhörigkeit, auch kombiniert mit Gleichgewichtsstörungen  Gleichgewichtsstörungen  Kleinwuchs  Entstellung, belästigende oder abstoßende Absonderungen oder Gerüche  Verlust einer oder beider Brüste  von Herz-Kreislauf  von Herz-Kreislauf und einem oder mehreren weiteren inneren Organen  der oberen Atemwege  der oberen Atemwege und eines oder mehrerer weiterer innerer Organe  der tieferen Atemwege und Lungen  der tieferen Atemwege und Lungen sowie eines oder mehrerer weiterer innerer Organe  der Verdauungsorgane, der Verdauungsorgane und eines oder mehrerer weiterer innerer Organe  der Harnorgane, der Harnorgane und eines oder mehrerer weiterer innerer Organe  der Geschlechtsorgane, der Geschlechtsorgane und eines oder mehrerer weiterer innerer Organe  der inneren Sekretion und/oder des Stoffwechsels, der inneren Sekretion und/oder des Stoffwechsels und eines oder mehrerer weiterer innerer Organe  des Blutes und des retikulo-endothelialen Systems Systems und eines oder mehrerer weiterer innerer Organe des Blutes und des retikulo-endothelialen Systems  Querschnittlähmung  hirnorganische Anfälle (auch mit geistig-seelischen Störungen) ohne neurologische Ausfallserscheinungen am Bewe-

135

 

      

sonstige ungenügend bezeichnete Behinderungen

Tabelle A-2:

gungsapparat hirnorganische Anfälle (auch mit geistig-seelischen Störungen) mit neurologischen Ausfallserscheinungen am Bewegungsapparat hirnorganisches Psychosyndrom (Hirnleistungsschwäche, organische Wesensänderung) ohne neurologische Ausfallserscheinungen am Bewegungsapparat, symptomatische Psychosen hirnorganisches Psychosyndrom (Hirnleistungsschwäche, organische Wesensänderung) mit neurologischen Ausfallserscheinungen am Bewegungsapparat Störungen der geistigen Entwicklung (z. B. Lernbehinderung, geistige Behinderung) körperlich nicht begründbare (endogene) Psychosen (Schizophrenie, affektive Psychosen) Neurosen, Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen Suchtkrankheiten nur Behinderungen mit Einzel-GdB unter 25 anderweitig nicht einzuordnende oder ungenügend bezeichnete Behinderungen

Schwerbehinderte Menschen nach Altersgruppen 2005-2011, Berlin

Altersgruppe

Jahr

von … bis unter ... Jahre unter 18

Anzahl Anteil an EW

18 – 25

2005

2007

2009

2011

5.808

5.965

6.055

6.554

59

Anzahl

1,2 % 4.500

5.044

Anteil an EW 25 – 45

Anzahl

29.197

Anzahl

55 – 60

Anzahl

28.798 Anteil an EW

60 – 65

Anzahl Anteil an EW

65 und älter

Anzahl

8,0 % 31.584

14,8 % 40.276

20,6 % 159.619

Anteil an EW Insgesamt

14,6 %

180.534

8,0 % 30.201

14,7 % 37.374

21,7 %

2,7 % 43.047

7,9 % 31.868

45.369

2,9 % 41.401

7,5 %

1,7 % 28.310

2,9 % 39.047

Anteil an EW

1,8 % 29.798

2,7 %

1,3 % 4.815

1,7 % 30.999

35.474

1,2 % 5.100

1,5 %

Anteil an EW 45 – 55

1,2 %

14,3 % 41.249

21,3 % 191.656

20,9 % 191.238

27,6 %

29,1 %

29,6 %

29,4 %

9,3 %

10,0 %

10,2 %

10,1 %

Stand: 31.12.2011, Quelle: Amtliche Schwerbehindertenstatistik, Einwohnermelderegister, eigene Berechnungen

59

Anteil an Bevölkerung der selben Altersgruppe

136

Anlage zu Abschnitt 3.6.3: Prüfkriterien Sondernutzung (gemäß § 11 Berliner Straßengesetz auf Gehwegen) Ziel ist es, mit der Anwendung der Prüfkriterien zur Vermeidung von Konflikten zwischen Anwohnern bzw. Fußgängern und Gewerbetreibende beizutragen. Unter Beachtung von Sicherheitsaspekten (sicheres Passieren von Fußgängern, Erleichterung der Querung von Straßen) und stadtplanerischen sowie allgemeinen Ordnungsprinzipien (Beachtung der sinnvollen, baulichen Gliederung der Gehwege in Laufflächen und Ober- sowie Unterstreifen) erfolgt eine sachgerechte Beschränkung der Nutzungsmöglichkeiten für Gewerbetreibende. Gewerbliche Interessen sollen dabei nicht unberücksichtigt bleiben. Doch bedeutet die Nutzung von Straßenland durch Gewerbetreibende lediglich eine Gewährung von Chancen, ist prinzipiell aber nicht Gegenstand der Gewährung von Rechtsansprüchen. Folgende Kriterien beim Prüfverfahren Sondernutzung (SN) von Gehwegflächen sind dabei unter Beachtung der Rechtsprechung als bedeutsam erkannt worden 60 : 

Generell maßgebliche Mindestmaße: Es ist stets eine Mindestdurchgangsbreite für Fußgänger von 1,50 m zu gewährleisten. Bei höherem Fußgängeraufkommen oder Hindernissen wie Telefonzellen, Haltestellen, Stromkästen o. ä. sind auch größere Mindestbreiten zu prüfen. Die Fläche zum Passieren für Fußgänger muss immer innerhalb der baulich angelegten Laufbahn („breite Platten“) verbleiben. In keinem Fall ist sie in den Gehwegober- oder -unterstreifen zu verlegen. Auf Gehwegen mit einer Breite unter 1,50 m ist keine SN zuzulassen. Bei Gehwegoberstreifen mit einer Breite unter 1 m ist in der Genehmigung die Anordnung bzw. Art des Mobiliars (z. B. Bierzeltgarnitur anstelle von Tischen und Stühlen) dringend zu empfehlen, um etwa auch verhaltensbedingte Veränderungen durch Gäste zu vermeiden. Diese Kriterien gelten auch in baulich nicht veränderten verkehrsberuhigten Bereichen (in denen also straßenverkehrsrechtlich nur 1 Verkehrsweg ohne Unterscheidung zwischen Fahrbahn und Gehweg besteht, aber baulich noch separate Gehwege existieren).



Gehwegunterstreifen: Die Nutzung des Gehwegunterstreifens darf – auch in baulich nicht veränderten verkehrsberuhigten Bereichen – sowohl bei Querparken als auch bei Parken rechts am Fahrbahnrand erst mindestens 1,0 m vom Fahrband-

60

Bei den maßgeblichen Gesichtspunkten muss es sich stets um straßenbezogene handeln. Vgl. VGH Mannheim, U. v. 9.12.1999 – 5 S 2051/98 – NVwZ-RR 2000, 837, darunter sollen gemäß OVG Schleswig, NVwZ 1994, 553 und VGH Kassel, NVwZ 1987, 902 auch solche fallen, die die Aufrechterhaltung des störungsfreien Gemeingebrauchs gewährleisten sollen.

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rand entfernt beginnen. Im Unterstreifen müssen ausreichende Lücken verbleiben, die Fußgängern das Queren ermöglichen. 

Kreuzungen: Im Bereich von Kreuzungen darf im Gehwegunterstreifen keine SN genehmigt werden (5 m Bereich analog Parken StVO).



Gehwegvorstreckungen: Eine Erlaubnis zur SN auf Gehwegvorstreckungen (d. h. auf u. a. zur Querung von Fahrbahnen hergestellten, baulich vorgezogenen Teilen von Gehwegen) wird nicht erteilt.



Nachbargrundstücke: Die SN darf nur vor der jeweiligen Ladeneinheit des Sondernutzers stattfinden.



Individuelle Gegebenheiten (wie z. B. Souterrainnutzung durch andere Anwohner, Engpässe durch Straßenverkauf) sind zu berücksichtigen.



Zwangsläufige Überschreitungen: Wenn die Prüfung vor Ort ergibt, dass die beantragte Fläche bei Nutzung nicht einzuhalten ist und sich durch zur Nutzung erforderliches Verrücken von Tischen und Stühlen Überschreitungen ergeben müssen, die die Verkehrssicherheit gefährden, ist dies durch dementsprechende Reduzierung der beantragten Fläche in der Genehmigung zu berücksichtigen.



Bauliche veränderte verkehrsberuhigte Bereiche: Im verkehrsberuhigten Bereich, der baulich verändert ist (d. h. wenn nicht nur straßenverkehrsrechtlich, sondern auch baulich nur ein Verkehrsweg ohne separate Gehwege existiert), ist stets eine Einzelfallentscheidung zu treffen. Grundsätzliche „Freigaben“ für bestimmte verkehrsberuhigte Bereiche sind nicht zu treffen. Entscheidungen zu möglichen SN orientieren sich insbesondere daran, ob markierte Parkflächen vorhanden sind, die zu berücksichtigen sind.



Sonderregelung in bestimmten Gebieten: Wie bisher schon werden Unterstreifennutzungen nicht zugelassen in den von Fußgängern stark frequentierten Bereichen 

der sog. Friedrichshainer Clearing-Gebiete



in der Bergmannstraße zwischen Marheinekeplatz und Mehringdamm



in der Wiener Straße zwischen Skalitzer Straße und Spreewaldplatz



am Spreewaldplatz.

Eine Festlegung von Positivbereichen, in denen etwa Unterstreifennutzungen unter erleichterten Voraussetzungen ermöglicht werden können, findet nicht (mehr) statt.

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