Zirkus, da kann man sowieso nichts machen!

1 Zirkus, da kann man sowieso nichts machen! (Dr. Bernd Helm) Einleitung: Ich möchte Ihnen heute einen Fallbericht aus dem Bereich Zirkus vorstellen...
Author: Martha Acker
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Zirkus, da kann man sowieso nichts machen! (Dr. Bernd Helm)

Einleitung: Ich möchte Ihnen heute einen Fallbericht aus dem Bereich Zirkus vorstellen um zu zeigen, mit welchen Schwierigkeiten Überprüfungen in diesem Bereich generell verbunden sein können, und wie die Lösung in diesem speziellen Fall möglich war. Ich möchte auch eingehen auf die Notwendigkeit aber auch die Schwierigkeit der Zusammenarbeit der Veterinärbehörden untereinander, ohne die gerade im Bereich Zirkus eine Verbesserung der Haltungsbedingungen der mitgeführten Tiere oft nicht möglich ist. Aus juristischer Sicht ist der beschriebene Vorgang eher unspektakulär, vielleicht ist das aber gerade die Begründung für den relativ schnellen Erfolg. Der Titel meines Vortrags ist natürlich etwas überzogen und nicht ganz ernst gemeint, er könnte ebenso lauten: „Zirkus - nichts wie weg!“ oder „Der Zirkus kommt - hängt die Wäsche ab, holt die Kinder ins Haus, und schließt die Türen zu!!“ Äußerungen oder Reaktionen ähnlichen Inhalts erhält man oft, wenn man sich mit Kollegen über das Thema Zirkus austauscht. Warum ist das eigentlich so? Man kann derzeit von etwa 250 existierenden Wanderzirkusbetrieben in Deutschland ausgehen. Aus diesem Grund ist es leicht nachvollziehbar, dass v. a. kleinere und mittlere Zirkusunternehmen finanziell oft schlecht bis sehr schlecht gestellt sind. Zirkusbetreiber sind häufig Sozialhilfeempfänger, der Zirkus selbst ist dann nur noch die Fassade für deren miserable finanzielle und persönliche Situation. Geld wird mit diesen Unternehmen nicht mehr gemacht. Entsprechend oft fallen in solchen Betrieben Beanstandungen an, entsprechend schwer sind natürlich in diesen Fällen Auflagen zur Verbesserung der Haltung von Tieren umsetzbar, da diese Auflagen teilweise mit geldmäßigen Folgen verbunden sind, die auch in kleinem Umfang von den Betroffenen nicht oder nur sehr schwer zu tragen sind. Zirkusbetreiber und deren Familienmitglieder sind auch heutzutage noch oft schlecht gebildet - Analphabetismus ist weit verbreitet - was ebenfalls den Umgang insbesondere hinsichtlich des Schriftverkehrs, z. B. bei schriftlichen Anordnungen und Ordnungswidrigkeitsverfahren, nicht unbedingt erleichtert. (In diesem Zusammenhang ist es immer wieder für mich erschreckend festzustellen, wie auch heutzutage noch genauso, wie ich das während meiner eigenen Schulzeit erlebt habe, Zirkuskinder jede Woche eine andere Schule besuchen müssen, je nach wechselndem Gastspielort. Der Lernerfolg ist entsprechend schlecht ebenfalls die Perspektive dieser Kinder. Nur größere Zirkusunternehmen sind in der Lage, ihre Kinder in Internate zu schicken oder eine eigene mitreisende Zirkusschule für die Kinder des Unternehmens zu organisieren.) Problematisch ist auch die Tatsache, dass Mitarbeiter in Zirkussen oft unzureichend oder einfach nur auf andere Art sozialisiert sind. Dies hat sicherlich auch zu tun mit der schlechten Bildungssituation und zeigt sich vor allem bei der notwendigen Konfrontation von Beanstandungen, die sich bei einer Überprüfung ergeben können. Bei den Betroffenen ist die Schwelle Probleme und Konflikte auf eher rustikale Art und Weise auszutragen, relativ

2 niedrig festgelegt (Leidtragende dieses Umstands hatten wir in den letzten Jahren auch innerhalb der Veterinärbehörden in Hessen mehrfach zu beklagen). Ein weiterer sehr wichtiger Umstand, der das Arbeiten erschwert und die Motivation von Mitarbeitern der Vet.-Behörden in überschaubaren Grenzen hält, ist, dass Gastspiele i. d. R. nur wenige Tage bis max. eine Woche andauern und der Zirkus danach weiterzieht. Durch diesen ständigen Ortswechsel sind immer wieder andere, voneinander unabhängige Veterinärbehörden für den Vollzug des Tierschutzgesetzes zuständig. Maßnahmen anderer Vet.-Ämter können aus diesem Grund oft nicht eindeutig nachvollzogen werden, bei festgestellten Missständen gestaltet sich die Umsetzung von Auflagen schwierig, sie wird aber nicht unmöglich! Dies wissen natürlich auch die Betroffenen selbst. Viele Zirkusbetreiber nutzen diese Situation aus, um sich den „nervenden“ Veterinärbehörden - teilweise mit Erfolg - zu entziehen, es wird zudem versucht, die Behörden gegeneinander auszuspielen. Trotz aller genannter negativer Begleitumstände muss an dieser Stelle jedoch auch hervor gehoben werden, dass man es vor allem bei großen Zirkusunternehmen bzw. Engagementnummern teilweise mit kompetenten Gesprächspartnern zu tun hat, die bestrebt sind, innerhalb ihrer Möglichkeiten die Haltung der Tiere zu optimieren, manchmal über die Vorgaben hinaus, mit denen ein angenehmes Arbeiten möglich ist und von denen man auch fachlich profitieren kann. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Arbeit mit Zirkussen oft unangenehm ist - viele sind froh, wenn der Zirkus mit allen seinen Problemen bald weiter zieht und Andere sich danach mit diesen auseinandersetzen müssen!

Gesetzliche Grundlagen: Auf welche gesetzlichen Grundlagen können wir uns beziehen, wenn wir Tierhaltungen in Zirkussen überprüfen? Ich möchte diese noch mal v. a. für alle die nennen, die nicht regelmäßig mit dieser Problematik zu tun haben: 1.: § 2 Tierschutzgesetz (wegen grundsätzlicher Bedeutung Inhalt noch einmal wiederholen) Wer ein Tier hält, betreut oder zu betreuen hat, 1. muss das Tier seiner Art und seinen Bedürfnissen entsprechend angemessen ernähren, pflegen und verhaltensgerecht unterbringen, 2. darf die Möglichkeit des Tieres zu artgemäßer Bewegung nicht so einschränken, dass ihm Schmerzen oder vermeidbare Leiden oder Schäden zugefügt werden, 3. muss über die für eine angemessene Ernährung, Pflege und verhaltensgerechte Unterbringung des Tieres erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen. Diese allgemeinen Grundsätze, die für alle Tierhaltungen bestehen, gelten uneingeschränkt auch für Zirkustiere! Um diese grundsätzlichen Vorgaben auch für die besonderen Umstände, die in Zirkussen vorliegen, anwenden zu können, wurden unterschiedliche Gutachten erarbeitet, die den Haltern, also den Zirkusbetreibern und den Überwachungsbehörden zur Verfügung stehen:

3 → Gutachten über Mindestanforderungen an die Haltung von Säugetieren („Säugetiergutachten“) des BMELF Das Gutachten stellt biologisch relevante Mindestanforderungen für Säugetiere nach heutigem Wissens- und Erfahrungsstand dar und konkretisiert die Anforderungen aus § 2 TschG für Tierhalter, die Tiere öffentlich zur Schau stellen oder diese Tiere aus Liebhaberei, Zucht etc. halten. (Cave: Veröffentlichung: 1996!) Zur Beurteilung von Tierhaltungen im Zirkus ist generell das Säugetiergutachten zugrunde zu legen. Nur wenn die gehaltenen Tiere täglich verhaltensgerecht beschäftigt werden bzw. mit ihnen regelmäßig gearbeitet wird, ist eine Unterschreitung der Gehegegrößen gem. dem Säugetiergutachten zu verantworten. Was genau ist mit täglicher verhaltensgerechter Beschäftigung gemeint (abwechslungsreich, fordernd für die Tiere): • Ausbildung • Training • Vorführen in der Manege • Positive Mensch-Tier-Beziehung • Ständig wechselndes Reizspektrum Nur unter diesen Voraussetzungen können die → Leitlinien für die Haltung, Ausbildung und Nutzung von Tieren in Zirkusbetrieben oder ähnlichen Einrichtungen („ZirkusLeitlinien“) des BMVEL angewendet werden. Ausnahmen: Nur in begründeten Einzelfällen kann bei Tieren, mit denen aus gesundheitlichen oder Altersgründen nicht mehr gearbeitet wird, die Haltung unter den bisherigen Haltungsbedingungen toleriert werden, d. h. nur in diesen Fällen müssen die höheren Anforderungen des Säugetiergutachtens nicht angewendet werden. Dies bedeutet also für die Praxis, dass man zunächst auf die Zirkus-Leitlinien zurückgreifen wird, für Tiere mit denen nicht gearbeitet wird gilt das Säugetiergutachten, bei allen anderen Säugetierarten, die in keinem der beiden Gutachten aufgeführt sind, gilt § 2 TschG - zur entgültigen Beurteilung der Haltungsbedingungen sollten in diesen Fällen Einzelgutachten von Sachverständigen eingeholt werden. Neben den genannten Gutachten stehen noch folgende Haltungsgutachten für weitere Tiergruppen zur Verfügung: → Gutachten über Mindestanforderungen an die Haltung von Reptilien des BML → Gutachten über Mindestanforderungen an die Haltung von Papageien des BML → Gutachten über Mindestanforderungen an die Haltung von Straußenvögel des BML → „Tierschutz-Hundeverordnung“ Über die genannten Vorgaben zur Haltung hinaus, gilt ein Erlaubnisvorbehalt für das gewerbsmäßige zur Schau stellen von Wirbeltieren.

4 2. § 11 Tierschutzgesetz: Voraussetzungen für die Erstellung einer Erlaubnis: • • •

Nachweis entsprechender Sachkunde bei den verantwortlichen Personen, Haltungseinrichtungen müssen den Anforderungen von § 2 TschG genügen, Zuverlässigkeit der verantwortlichen Personen

Neben den gesetzlichen und gutachterlichen Vorgaben zur Haltung von Tieren, sind wir in Hessen in der glücklichen Lage, uns der sog. Hessische Zirkusdatei bedienen zu können. Diese zentrale Datei - von Frau Martin initiiert und von den Veterinärbehörden durch deren Überprüfungsergebnisse gespeist - enthält aktuelle und relevante Informationen zu konkreten Zirkus-Unternehmen bzgl. Erlaubnis, Tierbestand, festgestellten Beanstandungen bei früheren Überprüfungen, laufende oder abgeschlossene Verfahren, Anordnungen etc. Wenn also die Überprüfung eines Zirkus ansteht, genügt ein Anruf oder eine E-Mail an das Büro der LBT, der Mitarbeiterin von Frau Martin, und man hat alle vorhandenen Daten zur Verfügung, kann sich entsprechend für die Überprüfung vorbereiten und ist in der Lage, auf die aktuelle Situation gezielter einzugehen und ggf. eigene Maßnahmen mit denen anderer Behörden zu koordinieren. Die Zirkusdatei lebt natürlich von den Rückmeldungen aus den einzelnen Ämtern. Daher hier noch einmal mein Appell: bitte nach jeder Überprüfung eines Zirkus die relevanten Daten weiterleiten. Kollegen, die zukünftig Überprüfungen durchführen müssen, werden es dann bei Ihrer Arbeit leichter haben, letztlich kommt es den gehaltenen Zirkustieren zugute.

Konkreter Fall: Doch nun zum konkreten Fall: Der Zirkus A. gab am 10.05. bis 11.05.05 ein Gastspiel in Biedenkopf. Der Aufenthaltsort wurde uns telefonisch von der Betreiberin mitgeteilt. Zu dieser Meldung ist sie nach Tierschutzgesetz verpflichtet (§ 16 Abs. 1a). Zu bemerken ist hierzu, dass in den wenigsten Fällen dieser Verpflichtung nachgekommen wird und das Vet.-Amt erst durch die Plakatierung vom bevorstehenden Aufenthalt eines Zirkusunternehmens in seinem Zuständigkeitsbereich erfährt. Die Erfahrung zeigt aber, dass es sich bei Zirkussen, die ihr Gastspiel selbst anmelden, um Betriebe der besseren Art handelt. Am 09.05.05 wurde der Zirkus von mir überprüft. Zum Zeitpunkt der Überprüfung waren die verantwortlichen Personen nicht anwesend, schriftliche Unterlagen konnten nicht vorgelegt werden - weder die Tierschutzrechtliche Erlaubnis noch das Tierbestandsbuch, in dem der Bestand der gehaltenen Tiere sowie die Vermerke über durchgeführte Überprüfungen der Behörden eingetragen werden. Die Ehefrau des Betreibers war anwesend und konnte Auskunft geben. Folgendes wurde vorgefunden: Tierbestand: 19 Pferde wurden in Boxen in einem Tierzelt zusammen mit 2 Ziegen gehalten; 3 Hunde waren in einem provisorischen Zwinger untergebracht; 14 Lamas befanden sich in einem Außengehege mit Zugang zum Transportwagen;

5 4 Kamele in einem Auslauf; 1 Stachelschwein, 7 Tauben sowie 2 Rhesusaffen wurden zusammen in voneinander abgetrennten Abteilungen eines Transport- bzw. Käfigwagens gehalten. Die Haltungsbedingungen der gehaltenen Tiere, mit Ausnahme der Rhesusaffen, waren bis auf kleine Ausnahmen akzeptabel, ich möchte mich aus diesem Grund im Folgenden auf die Haltung der Affen beschränken. Haltungsbedingungen der Rhesusaffen: Innengehege (Transportwagen), Maße: 4,0 m x 2,0 m, eine Längsseite war vollständig aufgeklappt und durch ein Gitter verschlossen; „Außenveranda“, Maße 0,5 m x 2,0 m; Strukturelemente: Kletterbaum, ein (obligatorischer) Autoreifen und eine Schlafbox, Holzspäne als Einstreumaterial; darüber hinaus war ein Außengehege nicht aufgebaut, Material zum Aufbau war nicht vorhanden. Pflege- und Ernährungszustand der Affen waren soweit beurteilbar zufriedenstellend. Zur Problematik des Außengeheges angesprochen, gab die Betreiberin an, dass es dem Zirkus aus finanziellen Gründen nicht möglich sei, dieses zu erstellen.

Vorgaben des Säugetiergutachtens hinsichtlich Haltungsbedingungen von Rhesusaffen: Innenraum mind. 10 m2, Außengehege mit einer Mindestfläche von 25 m2; das Außengehege wird als ein zentrales Element der Tierhaltung gefordert (Vergrößerung der Fläche zur Fortbewegung und sozialen Aktivitäten, Verbesserung der Klimasituation (Tiergesundheit!) sowie des Reizangebotes, Möglichkeit der verbesserten Beschäftigung, Ermöglichen von sinnvollem Kontakt zum Publikum und für die Beobachtung durch Publikum (erhöht somit auch die Attraktivität des Zirkus). Die schriftlichen Unterlagen - Tierschutzrechtliche Erlaubnis und Tierbestandsbuch, wurden am Tag nach der Überprüfung von der Ehefrau des Betreibers persönlich im Amt vorgelegt. (dies ist auch eher die Ausnahme, i. d. R. läuft man den Unterlagen hinterher). Bei der Durchsicht des Tierbestandsbuch bestätigte sich, dass der Zirkusbetreiber mehrfach, zuletzt im Main-Kinzig-Kreis 3 Monate vorher, auf das fehlende Außengehege direkt angesprochen und auf die Notwendigkeit dieser Haltungseinrichtung hingewiesen wurde. Von der Betreiberin wurde jedoch auch damals schon signalisiert, dass keine Bereitschaft bestehe sich ein solches Außengehege anzuschaffen. Das eigentlich überraschende und ärgerliche war jedoch, dass die Tierschutzrechtliche Erlaubnis erst am 01.02.2005 neu ausgestellt wurde - also erst 3 Monate vor der durchgeführten Überprüfung, sie war mittlerweile rechtskräftig und enthielt in den Nebenbestimmungen detailliert alle Vorgaben gemäß der genannten Gutachten zur Haltung der versch. Tiere, speziell auch der Affen. Tatsache war also, dass die Genehmigungsbehörde die Erlaubnis ausstellte, obwohl seit Jahren bekannt war - u. a. durch Eintragungen im Tierbestandsbuch durch unterschiedliche Überwachungsbehörden - dass die Haltungsbedingungen speziell der Rhesusaffen nicht im entferntesten dem Säugetiergutachten entsprachen, bei gleichzeitig bekannter Ablehnung dieser Vorgaben durch den Betreiber. Nach Kontaktaufnahme mit der Erlaubnisbehörde wurde mir vom zuständigen Amtstierarzt angegeben zur Zeit der Erstellung der Erlaubnis vom Zirkusbetreiber unter Druck gesetzt worden zu sein, da dieser die Erlaubnis für die neue Gastspielsaison unbedingt benötigte. Daraufhin wurde die Erlaubnis kurzfristig erteilt, ohne die Umsetzung der Vorgaben durch den Betreiber abzuwarten.

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Genau hier muss Kritik, auch gegenüber Kollegen, erlaubt sein: Wenn ein Antrag zur Erlaubnis gem. § 11 TschG bei einer Behörde gestellt wird, gibt das TschG und somit die zuständige Behörde die Bedingungen vor, die zur Erteilung der Erlaubnis führen, die Bedingungen können sicher nicht vom Antragsteller vorgegeben werden. Gerade im Falle der Erstellung einer Erlaubnis, also wenn das Zirkusunternehmen längere Zeit vor Ort ist, kann man als Tierschutzbehörde direkt und nachhaltig Einfluss nehmen auf eine Tierhaltung. Vor Erteilung der Erlaubnis also prüft die Veterinärbehörde, ob die jeweiligen örtlichen Verhältnisse eine dem § 2 des TschG entsprechende Tierhaltung erlauben. Nicht vergessen werden sollte in diesem Zusammenhang schließlich, dass eine Erlaubnis erst nach Umsetzung aller genannten Voraussetzungen erteilt werden darf, dies ist der zuständigen Behörde vom TschG strikt vorgegeben (§ 11 Abs. 2 TschG). Zusammengefasst ergab sich also die Situation, dass eine detaillierte Erlaubnis erstellt wurde, die betroffene Tierhaltung jedoch in einem entscheidenden Punkt davon nicht profitierte. Um es deutlicher zu formulieren: Die unangenehme Arbeit der Einforderung elementarer Haltungsbedingungen wurde von der Erlaubnisbehörde auf die Überwachungsbehörden an den jeweiligen Gastspielorten übertragen!

Möglichkeiten der Einflussnahme auf die Haltungsbedingungen der Rhesusaffen: Möglichkeit 1: Um das Ziel der Verbesserung der Haltungsumstände der Rhesusaffen zu erreichen, wurde zunächst in Erwägung gezogen ein Ordnungswidrigkeitsverfahren einzuleiten, aufgrund einer Zuwiderhandlung einer mit einer Erlaubnis verbundenen vollziehbaren Anordnung (§18 Abs.1 Ziff. 20 TschG). Verbunden werden sollte das Verfahren mit der Nebenfolge der Einziehung der beiden Affen und ihre Unterbringung in eine entsprechende Aufnahmestation (§§ 66 I Nr. 5, 22 ff. OWiG) Wie sich nachfolgend herausstellte, war die Annahme, auf diesem Weg das Problem lösen zu können, naiv. Mit Hilfe dem Büro der LBT, eine Mitarbeiterin von Frau Martin, wurde eine Aufnahmestation gesucht. Bei zwei Stationen wurde konkret angefragt: 1. Wildtier- und Artenschutzstation „Hohe Warte“ in Sachsenhagen. 2. Stifting-AAP (AAP Sanctuary for Exotic Animals) in Almere, Niederlande. Beiden Einrichtungen war eine Unterbringung der Tiere bis auf weiteres nicht möglich. Somit war das Druckmittel der Wegnahme der Tiere bzw. deren Einziehung unbrauchbar - zumal die Betreiberin nach Androhung der Wegnahme mir von sich aus sogar anbot, die Tiere freiwillig abgeben zu wollen. Ihr war offenbar die Unmöglichkeit der anderweitigen Unterbringung ihrer Affen bekannt. Dies zeigt, dass die Androhung einer Maßnahme ohne vorherige Abklärung der Möglichkeiten zumindest taktisch unklug ist. Nicht zu unterschätzen ist auch, dass mit der Wegnahme der Affen ein erheblicher finanzieller Aufwand verbunden gewesen wäre: die Tiere müssen vor dem Einfangen betäubt und fachgerecht verladen und transportiert werden. Erläuterung: Die Stiftung AAP arbeitet an der Aufnahme und Rehabilitation von Primaten. Tiere die zu AAP kommen sind oft sowohl körperlich als auch seelisch aufgrund langwieriger

7 Haltungsdefizite, in schlechter Verfassung. Nach Quarantänezeit, medizinischer Untersuchung und Behandlung werden die Tiere aufwändig mit hoher Erfolgsquote resozialisiert und können dann erfolgreich in eine Gruppe integriert werden. Die Warteliste für Neuzugänge ist natürlich sehr lang, neue Tiere müssen u. a. in vorhandene Gruppen passen. Möglichkeit 2: Als zweite Möglichkeit der Einflussnahme wurde dann beschlossen ein Ordnungswidrigkeitsverfahren mit oben beschriebenem Inhalt und der Androhung eines Bußgeldes einzuleiten, jedoch mit der Maßgabe, das Verfahren wieder einzustellen, im Falle einer zeitnahen Nachrüstung des Außengeheges für die beiden Rhesusaffen durch den Betreiber, gemäß der Auflagen in der Tierschutzrechtlichen Erlaubnis. Da der Zirkus nachdem er in Biedenkopf war, erneut ein Gastspiel im Kreis Marburg gab, wurde am 19.05.05 der Anhörbogen mit Übergabebescheinigung persönlich dem Betreiber in Kirchhain übergeben. Der Betreiber war über die Einleitung des Ordnungswidrigkeitsverfahrens alles andere als erfreut und wehrte sich verbal zunächst heftig gegen das Verfahren und die Forderungen. Über Handy stand er mit mir mehrfach in Verbindung und hielt mich, nachdem die erste Erregung abgeklungen war, hinsichtlich der Entwicklung des Verfahrens aus seiner Sicht auf dem Laufenden. Zunächst wurde von Zirkusseite abermals begründet, warum das geforderte Außengehege nicht nachgerüstet werde könne: aus finanziellen Gründen, aufgrund der Gefährdung des Publikums, der Gefahr des Entweichens der Tiere, zu großem technischen Aufwands, etc. Finanzielle Sorgen müssen natürlich ernst genommen werden, die Summe von etwa € 3000.-, die vom Betreiber zur Installierung des Außengeheges genannt wurde, ist sicherlich realistisch und für ein mittleres Zirkusunternehmen nicht einfach aufzubringen. Neben der Bekräftigung der Forderungen von meiner Seite und dem wiederholten Aufzeigen der Konsequenzen für den Betreiber im Falle des Abschlusses des Verfahrens, wurde gleichzeitig versucht, verschiedene, unterschiedlich realistische Vorschläge zur Umsetzung zu machen. Tatsächlich konnte der Zirkusbetreiber von der letzten Variante überzeugt werden, verbunden mit der Erwartung, dass nach der Umrüstung des Transportwagens mit einem Außengehege, sich die Beanstandungen durch Kollegen hinsichtlich der Affenhaltung bei allen zukünftigen Gastspielen schlagartig reduzieren würden.

Lösungsvorschlag: Über die gesamte Länge des Transportwagens - 9 bis 10 m - wird ein an der Außenwand fixierter ausklappbarer Außenkäfig der Breite 1,50 m angebracht, die Höhe entspricht m. o. w. der Höhe des Innengeheges, das Außengehege wird zum Boden abgestützt. Die Konstruktion lässt einen schnellen und einfachen Aufbau nach Ankunft am neuen Gastspielort zu, aufgrund des Klappmechanismus. Zum Schutz des Publikums wird in entsprechendem Abstand zum Transportwagen ein Zaun gezogen. Neben dem Außengehege werden alle vorhandenen Abteilungen des Transportwagens den beiden Affen dauernd zugänglich gemacht. Insgesamt bedeutet dies zusätzliche Flächen von etwa 9 m2 im Innengehege und etwa 15m2 im Außengehege - insgesamt also etwa 24 m2 mehr Fläche für die beiden Rhesusaffen. Sie werden zu Recht anmerken, dass das Außengehege nicht der geforderten Fläche des Säugetiergutachtens entspricht. Dies ist richtig. Aber unter den gegeben Umständen musste kurzfristig eine realistische Lösung gefunden werden, in erster Linie für die gehaltenen Affen, daneben aber auch für die Zirkusbetreiber. Der Betreiber stimmte meinem Vorschlag v. a.

8 deswegen zu, weil er aus finanziellen Erwägungen akzeptiert werden konnte und weil der Betreiber ein hohes Maß an Eigenleistung einbringen konnte. Ein Festhalten an der vorgegebene Fläche des Gutachtens bis auf den letzten Meter hätte letztlich nur zur endgültigen Verweigerung durch den Betreiber und der Festsetzung eines Bußgeldes geführt, für die betroffenen Affen hätte sich jedoch nichts geändert. Das Außengehege wurde bei einem Hersteller in Hattingen gebaut und verzinkt, der Zirkusbetreiber selbst führte alle anfallenden Schweißarbeiten durch. Am 20.07.2005, also gerade 3 Monate nach Übergabe der Anhörung an den Betreiber, ereichte mich ein Brief des Zirkus, in dem die Nachrüstung des Transportwagens mit dem Außengehege mitgeteilt wurde. In diesem Brief wurden 2 Bilder mitgesandt, die den Erfolg dokumentierten. Das Ordnungswidrigkeitsverfahren wurde daraufhin eingestellt. Sehr geholfen bei der Durchsetzung der Forderungen hat die unkomplizierte Zusammenarbeit mit dem Vet.-Amt des Nachbarkreises, speziell mit Herrn B.. Der Zirkus weilte während des o. a. Zeitraums mehrfach im Kreis Frankenberg, Informationen konnten so in beiden Richtungen ausgetauscht werden, und der Druck auf den Betreiber wurde auf diese Art und Weise aufrechterhalten. Nochmals vielen Dank hierfür! Diese Form der Zusammenarbeit scheint nicht selbstverständlich zu sein, von Vet.-Ämtern aus anderen Landkreisen, in denen der Zirkus ebenfalls spielte (außerhalb Hessens), wurden trotz mündlicher Zusage keine Informationen über den aktuellen Zustand der Tierhaltungen weitergegeben.

Fazit: Die in diesem Fall gefundene Lösung hat keine Allgemeingültigkeit und kann nur bei Vorliegen gleicher oder ähnlicher Voraussetzungen übernommen werden. Sie zeigt aber, dass man bei entsprechender Hartnäckigkeit, der Unterstützung durch Kollegen, einer gewissen Mindestbereitschaft der Betroffenen und der Bereitschaft ungewöhnliche Wege zu gehen zum Ziel, d. h. in erster Linie zur Verbesserung der Situation für die Tiere, gelangen kann. Der Fall zeigt darüber hinaus auch, dass nicht alle Zirkusse schlecht sind, und nicht alle Vet.-Behörden das leisten, was von Ihnen erwartet wird. Nochmals die Bitte an alle potentiellen Genehmigungsbehörden: Tierschutzrechtliche Erlaubnisse dürfen erst dann erteilt werden, wenn alle Haltungsmissstände abgestellt sind!! Bei konsequenter Umsetzung dieser Forderung wäre der geschilderte Fall kein Fall gewesen! Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!

Anschrift des Verfassers: Dr. Bernd Helm Landrat des Landkreises Marburg-Biedenkopf Fachbereich Veterinärwesen und Verbraucherschutz Bismarckstraße 16b 35037 Marburg Tel.: 06421/ 405-5113 E-Mail: [email protected]

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