YOKOTEN. Magazin für Operational Excellence und Best Practice Sharing

Heft 05/2014 3. Jahrgang www.yokoten.de 7,50 EUR YOKOTEN Magazin für Operational Excellence und Best Practice Sharing Gambro Dialysatoren GmbH Erfol...
Author: Sophie Fuhrmann
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Heft 05/2014 3. Jahrgang www.yokoten.de 7,50 EUR

YOKOTEN Magazin für Operational Excellence und Best Practice Sharing

Gambro Dialysatoren GmbH Erfolg ist planbar - Mit TPM zum World Class Unternehmen Seite 11

Audi Ingolstadt

KATA-Serie

Lean-Perfektionismus durch stabile Produktion

Der KATA-Coach – Rollen des Leaders

Seite 18

Seite 21

Vor- und nachgedacht von Prof. Dr. Constantin May Gegen den Strom

200 Millionen Euro sparen müsse, weil die Kosten für eine nachhaltige Sanierung auf 263 Millionen Euro beziffert werden. Ist das "Die hohe Kunst des Sanierens"? Oder: "Wie man ein schlecht laufendes Unternehmen schlechter macht, um aus den roten Zahlen zu kommen".

Manchmal, in ruhigen Minuten bei einem Glas guten Weines, denke ich mir: Hätte ich doch den Irrsinn, der um uns herum passiert, früher verdeutlicht. So war beispielsweise die Explosion der Stromkosten durch die Förderung erneuerbarer Energien für mich und für viele Andere absehbar, aber niemand wollte es hören. Die Medien und die öffentliche Meinung ließen keinen Widerspruch zu. Es ist kaum zu begreifen: Gut 19 Milliarden Euro haben die deutschen Verbraucher vergangenes Jahr für Strom aus "grünen" Energien bezahlt, der am Markt nur zwei Milliarden Euro wert war. Über 17 Milliarden Euro wurden also zu viel bezahlt. Und der Irrsinn scheint endlos: Strom aus Wind und Sonne ist nicht nur aberwitzig teuer, es gibt mittlerweile auch so viel davon, dass ein Großteil in unseren Nachbarländern entsorgt werden muss. Allein im vergangenen Jahr wurden 33 TWh "Öko"-Strom am deutschen Bedarf

Sinnvoll oder nicht? Mit alternativen Energien wird Stromüberschuss produziert, den die Endverbraucher teuer bezahlen.

vorbeiproduziert - bezahlen mussten ihn die deutschen Verbraucher trotzdem.

Zum Fall Karstadt haben Lars Vollmer und Andreas Syska einen schönen Beitrag geschrieben, den Sie lesen sollten unter http://lars-vollmer.com/ blog/karstadt-%E2%80%93-leuchtendesvorbild-f %C3%BCr-restrukturierung (s. QR-Code unten). Manchmal ist es wohl angebracht, gegen den Strom zu schwimmen. In diesem Geiste ist auch der Artikel zu Industrie 4.0 in diesem Heft (S. 24 ff) entstanden.

Aber nicht nur in der Politik läuft einiges schief, auch bei vielen Managementpraktiken stellt sich die Sinnfrage. So konnte ich kürzlich lesen, dass Karstadt mehr als

TPM-/Lean-Begriffe unter der Lupe PDCA Als Urheber des PDCA-Zyklus gilt William Edwards Deming, der jedoch selbst darauf hinwies, dass Walter A. Shewhart diesen Zyklus als erster beschrieben hat. PDCA ist ein Problemlösungs- oder Entwicklungsprozess, der iterativ in vier Phasen erfolgt. PDCA steht für: Plan – Do – Check – Act. In der ersten Phase (P) geht es um das Erkennen von Verbesserungspotenzial, die Definition eines Zielzustandes und das Auswählen einer Vorgehensweise. In Phase zwei (D) werden die gemeinsam ausgearbeiteten Schritte umgesetzt – meist mit einfachen Mitteln. Phase drei (C) dient der Reflektion. Die Ergebnisse werden sorgfältig betrachtet. War die Vorgehensweise erfolgreich, dann wird sie als Standard zur Umsetzung auf breiter Basis definiert. Wenn nicht, dann wird nach einer anderen Lösung gesucht. In Phase vier (A) wird der neue Standard angewandt. Falsch wäre es, sich auf erzielten Standards auszuruhen. Die Herausforderung liegt darin, immer wieder mit neuen PDCA-Zyklen Verbesserungen anstoßen. Der Kreislauf von Planen, Umsetzen, Überprüfen und Handeln sollte immer in Bewegung bleiben und immer am Gemba, dem Ort des Geschehens, durch die Mitarbeiter/Werker durchgeführt werden.

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 Editorial

Liebe Leserinnen, liebe Leser, wir hoffen, sie hatten eine schöne Ferienzeit – trotz des nicht optimalen Sommerwetters. Sicher waren Sie adaptiv genug, um Ihren Urlaub zu genießen – sei es durch Flucht in wärmere Gefilde oder einfach nur durch passende Kleidung und entsprechende Aktivitäten. Lesen Sie in dieser Yokoten-Ausgabe wie die Gambro Dialysatoren GmbH in Hechingen mit TPM und vereinter Kraft ihre Produktionskapazitäten optimal einsetzt. Lassen Sie sich inspirieren von Fachartikeln über Fehlerquellen im Leanprozess, Geistes-Haltung oder Industrie 4.0. Außerdem berichten wir von der ersten European Lean Educator Conference, wo die vielen Facetten von Lean, besonders die Entwicklung von Menschen, betrachtet wurden. Wenn man sich längere Zeit mit TPM und Lean beschäftigt, dessen Kernpunkt ja der Einsatz des "Gesunden Menschenverstandes" ist, dann kommt man nicht umhin, sich über Dinge, die um uns herum passieren, Gedanken zu machen. Man möchte am liebsten alle dazu anregen, die Welt auf einfache Art und Weise, Tag für Tag, etwas besser zu machen. Geht es Ihnen auch so? Dann schreiben Sie mir Ihre Ideen unter [email protected].

Prof. Dr. Constantin May Herausgeber Yokoten

Herzlichst Ihr

Veranstaltungstipp: 4. KATA-Praktikertag

Foto Titelseite: Gambro Dialysatoren GmbH

Dabei sein, wo innovatives Wissen zur Wissensvermittlung entsteht

Menschen entwickeln, Prozesse verbessern – das zentrale Thema beim KATA-Praktikertag. Nach der Veröffentlichung von Mike Rothers Buch "Die KATA des Weltmarktführers" haben sich weltweit zahlreiche Unternehmen auf den "KATA-Weg" gemacht. Mit der Anwendung von Verbesserungs- und Coaching-KATA verfolgen sie das Ziel, kontinuierliche Verbesserungen zum selbstverständlichen Bestandteil des Tagesgeschäftes zu machen und gleichzeitig das Potenzial ihrer Mitarbeiter zu entfalten. Der KATA-Praktikertag bietet einmal pro Jahr eine Plattform zum hochwertigen Erfahrungsaustausch unter erfolgreichen Anwendern der Verbesserungs- und Coaching-KATA.

Details zum Programm und Anmeldung unter: www.cetpm.de/KPT

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Inhalt 05 Heft

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| YOKOTEN Magazin 2014

Praxisbericht: Gambro Dialysatoren GmbH Erfolg ist planbar: Mit TPM zum World Class Unternehmen

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Vor- und nachgedacht von Prof. Dr. C. May 

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TPM-/Lean-Begriffe unter der Lupe

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Editorial

06 Serie: Fabrik der Zukunft  Der Mensch in der Fabrik von morgen

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Fachartikel: Operational Excellence Warum manche Veränderungsprozesse nicht so erfolgreich sind wie andere

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Praxisbericht: Erfolg ist planbar   Gambro Dialysatoren GmbH: Mit TPM zum World Class Unternehmen

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Serie: GEISTES-HALTUNG  Lean oder Kosmetik? Die Haltung macht den Unterschied

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Buch-Tipp: Das Gegenteil von Lean  Wie man mit Geschick und Ausdauer ein Unternehmen kaputt macht

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Serie: Fabrik der Zukunft  

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Fachartikel: Industrie 4.0

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Der Mensch in der Fabrik von morgen

Lean-Praxis: Audi Ingolstadt  Lean-Perfektionismus durch stabile Produktion

Traumgebilde statt Traumhochzeit?

Lean-Praxis: Audi Ingolstadt  

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Vorschau & Impressum  

Lean-Perfektionismus durch stabile Produktion

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Serie: Der KATA-Coach Rollen des Leaders

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Fachartikel: Industrie 4.0 Traumgebilde statt Traumhochzeit?

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News: ELEC 2014  Lean LERNEN und LEAN lernen

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News: TPM-Prozessbegleiter  Bindeglied zwischen Führung und Ausführung

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Serie  Fabrik der Zukunft

Halb Wesen und halb Überding Der Mensch in der Fabrik von morgen Die Fabrik der Zukunft wird ein flüchtiges Objekt sein. Der Sonderfall wird zum Normalfall werden. Deswegen müssen Flexibilität und Wandlungsfähigkeit in die Fabrik eingebaut sein. Dazu gehört natürlich, dass diese Fabrik permanent umgebaut wird. Das bedeutet für die Mitarbeiter, dass sie nicht im System, sondern am System arbeiten müssen. von Prof. Dr. Andreas Syska In der Fabrik der Zukunft werden RoutineTätigkeiten, wie das physische Bewegen von Materialien oder das Erledigen von Produktionsaufträgen, automatisiert sein. Was nicht unbedingt den Einsatz von Robotern oder IT bedeuten muss, schließlich sind Standards und selbststeuernde Regelkreise ja auch hilfreich. Man wird die Kreativität der Menschen nutzen, um dieses System permanent neu zu konfigurieren. Die Mitarbeiter wiederum werden verinnerlichen müssen, dass dies ihre eigentliche Aufgabe geworden ist. Und sie werden zu verkraften haben, dass das stabile Umfeld verloren ist. Neue Karrieremodelle Im Jahr 2030 wird es hierzulande sieben Millionen zusätzliche Menschen im Alter von 60 bis 80 Jahren geben. Was aus meiner Sicht derzeit ziemlich einseitig aus dem Blickwinkel einer weiteren Belastung der Sozialkassen diskutiert wird, bietet andererseits eine sehr große Chance,

Erfahrungswissen im Unternehmen zu halten. Statt diese Personen – wie heute üblich – in den Ruhestand zu drängen, wird es zahlreiche Angebote für diejenigen geben, die arbeiten wollen und es auch können. Die heute oftmals noch vorhandene Vorstellung, dass Arbeit etwas grundsätzlich Schlechtes sei, wovor man den Menschen schützen müsse und wovon er möglichst wenig haben sollte, wird überwunden sein. In der Fabrik der Zukunft arbeitet jeder so lange, wie er kann und will. Es wird normal sein, dass der 57-jährige Geschäftsführer im Jahr 2030 folgenden Karriereplan schmiedet: Er würde gerne in einem Jahr diese Position verlassen und danach ein einzelnes Werk leiten, etwa fünf Jahre lang, um anschließend das Engineering in diesem Werk zu übernehmen. Danach – im Alter von 67 – würde er Projekte leiten, zunächst komplexe Projekte, dann immer einfa-

Der Autor Die Faszination für Produktion begleitet Prof. Dr. Andreas Syska über sein gesamtes Berufsleben. Nach Maschinenbaustudium und Promotion an der RWTH Aachen wechselte er zur Robert Bosch GmbH und war dort zuletzt als Produktionsleiter tätig. Nach einer Station bei Arthur D. Little hat er sich als Berater selbstständig gemacht. Seit 1997 ist er Professor für Produktionsmanagement an der Hochschule Niederrhein in Mönchengladbach und gibt seinen Studenten und Industriepartnern ein größtmögliches Stück seiner Begeisterung weiter.

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chere, etwa bis zum Alter von 72 Jahren. Der nächste Karriereschritt könnte darin bestehen, interne Schulungen durchzuführen, etwa bis zum 75. Lebensjahr. Seine darauf folgende Rolle wäre die des Mentors, oder er würde repräsentative Aufgaben wahrnehmen – beides möglicherweise nicht mehr in Vollzeit. Was dann mit 78 käme, würde man sehen. Das sind schließlich noch 20 Jahre hin. Es ist zu erwarten, dass wir sowohl organisatorisch als auch mental und von den gesetzlichen Rahmenbedingungen her im Jahr 2030 darauf vorbereitet sein werden. Die Arbeit in der Fabrik von morgen Die industrielle Arbeit der Zukunft wird in vier Typen einzuteilen sein. Kriterium für die Zuordnung zu den Gruppen wird die räumliche und zeitliche Autonomie sein: • Räumliche und zeitliche Autonomie: Sie wird derzeit häufig gleichgesetzt mit der Zukunft der Arbeit insgesamt. Die Ikone ist der mit Laptop ausgestattete Wissensdienstleister, der seine Reiseberichte in der Freizeitzone einer Metropole verfasst – oder für die Fabrik von morgen Produktionsdaten auswertet. • Räumliche, aber keine zeitliche Autonomie: Über sie wird verfügen, wer

Grafik © lagom - Fotolia.com Die Grenze für den Ausstieg aus dem Arbeitsleben wird künftig fließend sein. In Modellen wie Altersteilzeit wird man das Know-how erfahrener Mitarbeiter weiter nutzen.

Online-Dienstleistungen, wie etwa Fernwartung, erbringt und dabei nicht an eine feste Infrastruktur gebunden ist. • Zeitliche, aber keine räumliche Autonomie: Sie gilt für Arbeit, die an einen festen Ort gebunden ist, weil dort die für die jeweilige Verrichtung notwendige Infrastruktur, wie IT oder Werkzeuge, vorhanden ist, die aber – im Rahmen der Terminvorstellungen des Kunden – zu beliebigen Zeiten erbracht werden kann. • Weder zeitliche noch räumliche Autonomie: Das deckt sich mit dem klassischen Verständnis von Arbeit in der Präsenzkultur, und dies wird auch zukünftig Merkmal der industriellen Arbeit am Ort der Wertschöpfung sein, deren Eigenschaft nun einmal ist, dass sie taktgebunden in Fabriken erfolgt. Der fabrikgerechte Mitarbeiter Der Wunsch vieler Mitarbeiter, über den Renteneintritt hinaus weiter tätig zu sein, führt zu einem höheren Altersdurchschnitt der Belegschaft. Mit zunehmendem Lebensalter verändern sich aber die Wahrnehmung, die Funktion der Augen, der Ohren, die Haptik. Derzeit sehen wir interessante Ansätze für altersgerechte Arbeitsplätze, die selbstverständlich als Mehrgenerationen-Arbeitsplätze ausgestaltet sind. Denn es hat ja überhaupt keinen Sinn, in Fabriken Reservate für "Graumelierte" zu schaffen. Deshalb wird im Jahr 2030 der Einsatz von Assistenzsystemen in der Produktion weit verbreitet sein.

Das Spektrum reicht dabei von Textilien, die über leitfähiges Material den Herzschlag und die Atemfrequenz messen und bei Überschreitung von Grenzwerten ein Warnsignal senden oder durch integrierte LEDs muskuläre Verspannungen lösen, über implantierte Chips, die Informationen über den Belastungs- und Gesundheitszustand des Fabrikarbeiters liefern, bis hin zu Exoskeletten. Letztere unterstützen die muskuläre Arbeit des Mitarbeiters und ermöglichen ihm, größere Lasten zu heben. Dabei erfolgt die Steuerung über Nervenimpulse. Mit den zu erwartenden Fortschritten auf dem Gebiet der Supraleitung können zukünftig starke Magnetfelder erzeugt und ganze Maschinen leicht durch die Fabrik bewegt werden – und dies per Gesten- bzw. Gedankensteuerung. Natürlich werden auch wahrnehmungsverstärkende Systeme zum Einsatz kommen – Neuro-Enhancer, welche die Aufmerksamkeit und Denkfähigkeit der Mitarbeiter verbessern. Mittels subkutan implantierter Systeme werden sie dem Gehirn in geeigneten Dosen nach Bedarf zur Verfügung gestellt. Nicht die Fabrik wird sich an den Mitarbeiter anpassen, sondern der Mitarbeiter an die Fabrik. In Zukunft wird es den fabrikgerechten Mitarbeiter geben. Wir würden uns wünschen, es wäre andersherum, sprich: am Ende stünde eine mitarbeitergerechte Fabrik, doch dazu wird es nicht kommen. Und zwar, weil der Kunde bestimmte Vorstellungen vom Produkt hat. Diese Vorstellungen münden in die Gestaltung eines Produktionssystems, bestehend aus Maschine, Material und Mensch.

In der Geschichte der Industrie war es stets so, dass das Produktionssystem die Anforderungen an das Material und an den technischen Prozess bestimmte. Es formulierte die Ansprüche an den Menschen: Was hat dieser wann und wo zu leisten? Und das soll jetzt alles anders werden? Wer mag daran glauben? Ich nicht. Und wenn der Weg zum fabrikgerechten Mitarbeiter konsequent weitergegangen wird, ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Sportwissenschaft ihren Beitrag leisten wird. Körperliches Training zur Entwicklung der geforderten Fähigkeiten, Heatmaps zur Analyse von Bewegungen und Mentaltraining werden gängige Instrumente sein. Der Mitarbeiter des Jahres 2030 ist nicht nur ein fabrikgerechtes, sondern auch ein hybrides Wesen. Biologische und mechanische Systeme vernetzen sich untereinander und mit der IT. Damit wird der Mensch auf eine Art und Weise mit dem Internet verbunden sein, wie es in vorangegangenen Folgen dieser Serie bereits beschrieben wurde. Darüber hinaus ist es nur logisch, dass er mittels gezielter gentechnischer Veränderungen die für Fabrikarbeit notwendigen Erbinformationen erhält. Dies alles wird nicht nur technisch möglich, sondern auch gesellschaftlich akzeptiert sein. Nicht, dass ich mir das wünsche, aber der Mensch hat immer gemacht, was die Technik erlaubte. Er hat dabei ethische und moralische Grenzen stets so weit hinausgeschoben, bis das, worauf er Lust hatte, normal geworden war. Warum sollte dies in der Fabrik der Zukunft anders sein?

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Fachartikel  Operational Excellence

Neun häufige Fehler Warum manche Veränderungsprozesse nicht so erfolgreich sind wie andere In nahezu allen größeren Unternehmen gibt es heute in irgendeiner Form einen langfristigen Veränderungsprozess, genannt: TPM, Lean, Kaizen, KVP oder CIP. In manchen Unternehmen läuft der Prozess gut, in manchen mäßig und in manchen existiert er eigentlich nur auf dem Papier. Was aber macht den Unterschied zwischen erfolgreichen Prozessen und solchen, die wiederkehrend mit Plakat-Aktionen auf sich aufmerksam machen müssen und die eigentlich nur im Management-Handbuch zu finden sind?

von Dr. Richard Glahn Mit diesem Beitrag möchte ich auf neun häufig zu findende Fehler aufmerksam machen. Damit ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess nachhaltig so richtig gut läuft, darf meiner Erfahrung nach kein einziger dieser Fehler begangen werden. Erster Fehler: Zu wenig Konsequenz im Management Um einen langfristigen Veränderungsprozess zunächst zu etablieren und dann am Laufen zu halten, gibt es in vielen Unternehmen eine eigenständige Abteilung, oft unter so vielsagender Bezeichnung wie "Operational Excellence" oder "Wertschöpfungsmanagement". Leider ist vielmals zu beobachten, dass das Management des Unternehmens dieser Abteilung bei entscheidenden Themen die Rückendeckung schuldig bleibt. Besonders wichtig ist die Rückendeckung, wenn Mittelmanager oder Leiter von "Satelliten-Standorten" sich zum Thema Veränderung nicht bewegen wollen, und den Mitarbeitern vor Ort nicht den notwendigen Freiraum zum Verbessern einräumen wollen. Insbesondere in familiengeführten Unternehmen wird dann nicht konsequent gehandelt und

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somit schrittweise der gesamte Veränderungsprozess gefährdet. In Aktiengesellschaften hingegen wird manchmal zu rasch agiert und unwillige Führungskräfte werden kurzerhand aus ihren Positionen entfernt. Vielleicht ist ja ein konsequenter Mittelweg der richtige, beispielsweise durch rechtzeitiges und fokussiertes Coaching solcher Führungskräfte, die sich manchmal einfach noch nicht ganz aus ihrer Sachbearbeiterkarriere gelöst haben und Hilfe benötigen, um sich zu richtigen Führungskräften zu entwickeln – zu Führungskräften, die das Tagesgeschäft und dessen Verbesserung den Mitarbeitern überlassen und die sich selbst auf strategische Fragen und Personalentwicklung konzentrieren. Zweiter Fehler: Keine eindeutige Leitung für den KVP In manchen Unternehmen gibt es keine KVP-Abteilung, wie im ersten Punkt angesprochen. Dann liegt es auf der Hand, dass eine Vielzahl von Problemen ungehört, undiskutiert und ungelöst bleibt und dass diese Probleme in der Folge eine Eigendynamik entwickeln – denn

niemand ist da, der die Lösung dieser Probleme koordiniert. Ich spreche hier nicht von Prozessproblemen, sondern von der gesamten Politik, die ein Veränderungsprozess auslöst. Die Folge ist oft, dass der Veränderungsprozess versandet, weil er nach einiger Zeit des Nicht-Lösens der politischen Probleme entweder nicht mehr ernst genommen wird oder aber, weil er wegen der durch den Prozess erzeugten Unruhe massiv torpediert wird. Es bedarf also unbedingt eines politischen Dreh- und Angelpunktes im Veränderungsprozess. Dritter Fehler: Führungskräfte aus der KVP-Verantwortung nehmen In manchen Unternehmen wird eine gewisse Anzahl von Mitarbeitern für den Veränderungsprozess ausgebildet, mit dem Ziel, letztlich in allen größeren Abteilungen jeweils mindestens einen KVP-Multiplikator sitzen zu haben. Die Ausbildung dieser Multiplikatoren in Methoden und Moderationstechniken macht sie zu fähigen Helfern – zu mehr aber nicht. Trotzdem verhalten sich in vielen Unternehmen Abteilungsleiter und auch die Leiter von "Satelliten-Standorten" so, als wären sie mit dem Abschluss der

Operational Excellence Fachartikel

Ausbildung ihrer Helfer außen vor. Dabei sollten Führungskräfte aller Ebenen realisieren, dass sie selbst es sind, die in der Verantwortung stehen, einen erfolgreichen Veränderungsprozess zu etablieren, denn nur sie sind in der Position, den Mitarbeitern Zeit für Verbesserung zur Verfügung zu stellen und alle Mitarbeiter wirksam zum Mitmachen aufzufordern oder besser noch: zu motivieren. Hier fehlt zuweilen eine klare Aussage der Unternehmensleitung, dass die Verantwortung für den Veränderungsprozess in den jeweiligen Unternehmensbereichen den entsprechenden Führungskräften zukommt. Lässt man es zu, dass den Multiplikatoren diese Verantwortung übertragen wird und dass die Führungskräfte sich aus der Verantwortung ziehen, versandet der Prozess, weil sich die Multiplikatoren an dieser Verantwortung die Zähne ausbeißen. Vierter Fehler: Fokussierung auf Methoden Methoden sind aus meiner Sicht lediglich Mittel zum Zweck – und oftmals sind sie auch noch problemlos gegeneinander austauschbar, denn alle etablierten Methoden erfüllen irgendwie ihren Zweck. Anstatt die Mittel in den Fokus eines Veränderungsprozesses zu rücken, sollten meiner Erfahrung nach diejenigen in den Fokus gerückt werden, die den Erfolg herbeiführen sollen: die Mitarbeiter. Damit Mitarbeiter motiviert sind, Veränderung mit zu gestalten und das Ergebnis anzunehmen, müssen sie für sich einen Vorteil in der Veränderung sehen. Das ist dann der Fall, wenn man sie an Ideenfindung, Problemlösung und Umsetzung aktiv beteiligt.

Rücken Sie in Ihrem Veränderungsprozess nicht die Methoden, sondern die Menschen in den Vordergrund. Lassen Sie die Mitarbeiter selbst gestalten. Geben Sie Ihren Mitarbeitern die Möglichkeit, für sich einen Nutzen aus ihrer Beteiligung an Verbesserungen zu entdecken. Der Nutzen für den Mitarbeiter sollte auch bei jedweder interner Kommunikation zum Thema im Vordergrund stehen. Fünfter Fehler: Spezialisten, die den Mitarbeitern Lösungen vorsetzen Sehr beliebt ist auch, nach der Erkenntnis, dass man KVP-Kompetenz im eigenen Haus aufbauen muss, Verbesserungsspezialisten auszubilden und diesen dann Aufträge zu erteilen, was wo verbessert werden soll. Dabei ist längst bekannt, dass Vorgaben oder Lösungen, die gefühlt "von außen" (von diesen Spezialisten) kommen, mit Skepsis begegnet wird. Mit den Worten eines guten Bekannten ausgedrückt: „Sich verändern ist cool, verändert werden brutal sch....“. So nehmen es die Mitarbeiter wahr. Auch die viel beschworene Nachhaltigkeit wird nicht durch Lösungen erzielt, die gefühlt "von außen" vorgegeben werden. Vielmehr erwächst Nachhaltigkeit daraus, dass die Mitarbeiter an der Ideenfindung, an der Lösungsfindung und an der Umsetzung aktiv beteiligt sind. Erst wenn es wirklich die eigenen Probleme sind, die bearbeitet werden, und erst wenn die Lösung aktiv und weitgehend hierarchiefrei mitbestimmt werden kann, wird Veränderung seitens der operativ tätigen Mitarbeiter wirklich begrüßt – und führt dann sogar zu einer spürbaren Motivationssteigerung. Meiner Erfahrung nach darf man den Mitarbeitern in allen drei Phasen (Ideen, Lösungen, Umsetzung) ruhigen Gewissens vertrauen, denn sie

kennen die täglichen Abläufe am besten; sie sind sozusagen die "Bescheidwisser". Alles, was den Mitarbeitern fehlt, ist jemand, der ihnen hilft, ihre Gedanken zu strukturieren. Wäre es daher nicht sinnvoll, anstelle von Spezialisten, welche die Welt für andere neu erfinden, Multiplikatoren auszubilden, deren Aufgabe es ist, die Mitarbeiter bei deren Lösungsfindung neutral zu begleiten, sozusagen als Moderatoren der Ideen und Erfahrungen der Belegschaft? Sechster Fehler: Zu wenige Aktionen, keine Breitenwirkung Beim zweiten Punkt wurde angesprochen, dass es nicht in jedem Unternehmen eine zentrale Koordination der KVP-Aktivitäten gibt. Jedoch können auch Unternehmen, die sich für das Thema "Operational Excellence" eine eigene Abteilung leisten, oft auf kaum mehr als ein halbes Dutzend Mitarbeiter dieser Abteilung blicken. Wenn für diese paar Mitarbeiter dann noch hinzu kommt, dass – wie es in großen Unternehmen oft der Fall ist – Verbesserungsaufträge mit einer Vielzahl von beteiligten Personen mühsam vordiskutiert werden müssen und die Ergebnisse dann vielleicht auch noch haarklein zu dokumentieren sind, dann bleibt meist nicht mehr viel Zeit für wirklich viele Verbesserungsaktionen. Entsprechend entsteht eigentlich gar keine Breitenwirkung – geschweige denn eine Dynamik, die zu einem Wandel in der Arbeits- und Führungskultur im gesamten Unternehmen führen könnte. Vielleicht wäre es mit Blick auf die gewünschte Breitenwirkung besser, anstelle von ein paar Vollzeit-Spezialisten ein "Heer" von nebenberuflichen Helfern auszubilden, welche dann – je nach

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Fachartikel  Operational Excellence

Ausbildung – abteilungsintern oder abteilungsübergreifend aktiv sind. (Erfahrungsgemäß kommen auf einen abteilungsübergreifenden Workshop vier bis zehn abteilungsinterne Workshops, je nach Unternehmensgröße und -struktur.) Solche nebenberuflichen Multiplikatoren wenden für die Tätigkeit als Verbesserungsbegleiter auf das Gesamtjahr betrachtet meist weniger als fünf Prozent ihrer Arbeitszeit auf – lernen jedoch immens viel über das Unternehmen und schleifen bei jeder KVP-Moderation ihre (Gesprächs-)Führungskompetenzen. Bei passenden Vorgaben durch die Unternehmensleitung und mit guter Unterstützung der weiteren Führungskräfte kann beispielsweise ein Unternehmen mit 500 Mitarbeitern dank der Verteilung der KVP-Arbeitslast auf viele Schultern leicht auf über 100 Workshops pro Jahr kommen – wenn jeder der Helfer nur zwei bis drei kleinere Workshops pro Jahr leitet. Siebter Fehler: Kosteneinsparung als Zielsetzung Zahlreiche Veränderungsprozesse werden mit dem Ziel aufgesetzt, Kosten einzusparen. Denkt man dieses Ziel zu Ende, dann landet man bei Fragen wie „Wie viel haben wir verringert?“ oder gar „Wie viel sind wir geschrumpft?“. Wenn ich mit Unternehmensleitern spreche, bestätigen diese regelmäßig, dass sie mit ihrem Unternehmen viel lieber wachsen würden als zu schrumpfen. Warum formulieren wir dann nicht gleich Fragen wie „Wie viel sind wir gewachsen?“ oder „Wie viel haben wir die Leistung für den Kunden erhöht?“ Orientierung am Kunden und nicht am Controlling heißt die Devise.

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Achter Fehler: Nur punktuelle und keine systemische Verbesserung In den meisten Unternehmen werden – schon weil nicht ausreichend Multiplikatoren ausgebildet sind – nur an wahrnehmbaren Schlüsselstellen Verbesserungsaktionen durchgeführt. Meist sind dies dann auch noch Themen, die von der Unternehmensleitung vorgegeben werden. Im dümmsten Fall handelt es sich um Themen, die dem Einsparen von Kosten dienen, also um Themen, die bei den betroffenen Mitarbeitern Angst auslösen, anstatt die Bereitschaft mitzuwirken. Aber nicht nur das: Mit dem punktuellen Verbessern ist man zudem meist noch viel zu langsam, denn die Umwelt stellt uns rascher neue Herausforderungen, als wir sie mit unseren paar Verbesserungen beheben können. Wäre es daher nicht besser, an allen Stellen des gesamten Unternehmens regelmäßig Verbesserungsaktivitäten durchzuführen und so alle kleineren und größeren Engpässe in allen Abteilungen und an allen Schnittstellen aufzulösen? Auf diese Weise entwickelt sich das Unternehmen nicht nur an einzelnen Punkten, sondern insgesamt. Und: Der Wettbewerbsvorteil "Geschwindigkeit" kann für alle Leistungen des Unternehmens am Markt angeboten werden. In der Folge erhöht sich die Nachfrage und das Unternehmen wächst.

tungen vollbringen, entwickeln sich auch die Zahlen in die gewünschte Richtung. Entsprechend kann man sich die Frage stellen, ob man den Menschen nicht etwas mehr Vertrauen schenken möchte – auch damit diese Menschen sich schrittweise selbst etwas mehr zutrauen. Und wenn das Volumen an Kennzahlen und Misstrauen zurückgefahren wurde und die Menschen dann viel leisten, dann vergessen Sie bitte nicht, diese Leistung wertzuschätzen. Wie heißt es so schön: „Wer Leistungen nicht belohnt, erhält keine belohnenswerten Leistungen“. Wertschätzung ist die schönste – und kostengünstigste – Art, Leistungen zu belohnen. Und trotzdem scheint das Aussprechen eines "Danke" oder "Klasse!" sich für viele Führungskräfte so anzufühlen, als würden sie dabei an einen elektrischen Zaun fassen.

Neunter Fehler: Zu viele Kennzahlen, zu wenig Vertrauen und Wertschätzung In vielen Unternehmen scheint König Kennzahl zu regieren. In diesen Unternehmen folgen die Menschen den Zahlen. Meiner Erfahrung nach ist es jedoch so, dass die Zahlen den Menschen folgen, denn: Erst wenn die Menschen gute Leis-

Der Autor Dr. Richard Glahn ist freiberuflicher Trainer und CETPM-Referent. Kontakt: [email protected]

Erfolg ist planbar  Fachartikel

Baxter-Standort Gambro Dialysatoren GmbH Erfolg ist planbar - Mit TPM zum World Class Unternehmen Vor zehn Jahren begann man bei der Gambro Dialysatoren GmbH, heute ein Standort der Baxter International Inc., mit TPM. Die Erfolgsstory umfasst Kostensenkungen, halbierte Reklamationsrate, gesteigerte Effizienz und erweiterte Kapazitäten. Ein Highlight ist der "Schnellstart" einer neuen Fabrik mit hoher OEE durch gute Vorarbeit. Dafür wurde das Unternehmen vom JIPM (Japan Institute of Plant Maintenance) 2013 ausgezeichnet mit dem Advanced Special Award for TPM Achievement.

von Sabine Leikep Als Unternehmen der Medizintechnik hatte der Baxter-Standort ohnehin schon einen hohen Qualitätsstandard. Aufgrund der wachsenden Nachfrage war die Produktionskapazität immer zu knapp. Mit dieser Ausgangsbasis entschloss man sich, kontinuierliche Verbesserung zum Programm zu machen. Über die Vorgehensweise sprachen wir mit Till Goldammer, Manager Product & Process Office, und Bernd Geider, WCM Coordinator, Gambro Dialysatoren GmbH, Hechingen. „Wir mussten erst eine Vision schaffen, denn jeder Verbesserungsprozess braucht

Motivation“ erinnert sich Till Goldammer an die Anfänge von TPM in seinem Unternehmen. So sei als Ziel definiert worden, den wachsenden Markt optimal zu bedienen und die Therapien bezahlbar zu gestalten. Lohn- und Rohstoffkosten steigen, Energiekosten explodieren. Die Chance liegt in einer Wachstumsmöglichkeit durch Know-how und gute Qualität als Wettbewerbsvorteil. Durch das Ausmerzen von Verlusten und die Steigerung der OEE können zusätzliche Produktionsmengen bei reduzierten Kosten realisiert werden. So ist auch beim Aufbau neuer Produk-

tionskapazitäten Effizienz gefragt, um schnell einen hohen Produktionsausstoß zu realisieren. Unter dem Motto "TPM im Sinne von Total People Motivation" legt der BaxterStandort in Hechingen Wert darauf, die Mitarbeiter früh einzubinden. Dies gelingt anhand geeigneter Einarbeitungsprogramme und einer speziellen im Laufe der Zeit entwickelten Führungsstruktur. Das TPM-Programm der Gambro Dialysatoren GmbH ist, wie es auch vom CETPM gelehrt wird, nach dem klassichen TPMModell mit acht Säulen aufgebaut. Mit

Abb. 1: Frühzeitige Optimierung von Ergonomie und Arbeitsabläufen durch Simulation am Kartonmodell: Im Team werden Verbesserungen erarbeitet.

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Fachartikel  Erfolg ist planbar

Abb. 2: Auf den Standpunkt kommt es an: Seit der Einführung von TPM werden nur noch transparente Maschinen installiert und der optimale Standpunkt für Wartungsarbeiten ist mit Footprints markiert.

den Jahren wurde auf Basis von TPM ein ganzheitliches Produktionssystem geschaffen. Jede TPM Säule (Pillar) stellt ein Team mit jeweils einem Teamleiter (Pillar Leiter). Diese Teams sind in einer Matrixstruktur vernetzt. Somit können Ziele in der Organisation schnell umgesetzt werden. Die Kommunikation zwischen den Säulen findet regelmäßig einmal im Monat in einem Steuerkreis statt. Zudem werden die Kennzahlen regelmäßig vor Ort (Gemba) nachverfolgt. World Class Manufacturing (WCM) ist der Name für das werkseigene Verbesserungsprogramm. Es steht für Sicherheit, Qualität, Liefertreue und Kosteneffizienz. Im sensiblen Bereich der Medizintechnik stehen generell Produktsicherheit und Qualität an erster Stelle. Deshalb liefen auch schon vor Einführung von WCM viele Projekte zur Qualitätsverbesserung und natürlich die Zertifizierung nach

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ISO 13485, GMP und den QSR der FDA. Diese Gesetze und Normen regulieren Änderungen und erschweren Verbesserungen durch die Mitarbeiter. „Diesen Widerspruch aufzulösen war eine große Herausforderung“, sagt Bernd Geider. Schließlich sei es gelungen, den KVP im Qualitätsmanagementsystem zu integrieren, indem Regeln eingehalten werden und dennoch Raum für Verbesserungen bleibt. TPM ist zum essentiellen Baustein der Qualitätspolitik geworden. Qualität beginnt im Kopf Früher seien Projekte nicht kulturell getrieben sondern projektbezogen abgelaufen, Verbesserungszirkel seien nicht im Produktionssystem integriert gewesen. Seit Einführung von TPM sei der Fokus auf "Null Fehler" gerichtet. Und zwar nicht nur gegenüber dem Endkunden, sondern auch in internen Prozessen, die bisher im Qualitätsmanagement nicht ausreichend

berücksichtigt waren. „Qualität beginnt im Kopf der Menschen“, betont Bernd Geider. Begeistert erzählt er beim Werksrundgang von Verbesserungsprojekten an den Linien. Zum Beispiel ist es gelungen, durch einfache technische Vorrichtungen an einer Waage rund 1500 Bewegungen pro Schicht zu eliminieren. „Wir realisieren die intelligente Fabrik mit einer intelligenten Belegschaft und noch nicht durch eine Hightech-Strategie wie Industrie 4.0“, betont Till Goldammer. „Die Menschen benötigen Spielraum, um ihr Umfeld zu verbessern, denn sie wissen am besten, was sie tun können“. Deshalb könne man den Verbesserungsprozess als Pyramide betrachten: Jedes Level löst die Probleme möglichst selbständig und gibt ungelöste Probleme an das nächste Level weiter. Die Führungskräfte seien Coaches für ihre Mitarbeiter. Mit "Train the Trainer" Programmen werden sie dazu befähigt.

Erfolg ist planbar  Fachartikel

Bereits bei der Rekrutierung achte man darauf, Teamplayer mit Sozialkompetenz zu gewinnen. Das notwendige TechnikKnow-how könne dann nachträglich vermittelt werden. Eine Führungskraft sei kein technischer Experte, sondern habe die Aufgabe, zu moderieren, zu hinterfragen und zu coachen. In einer jüngst in Betrieb gegangenen Fabrik am Standort Hechingen wurde auf eine Führungsebene verzichtet. Man strebt einen Veränderungsprozess in Richtung "Lernende Organisation" an. „Der Aufbau einer organischen Struktur benötigt Zeit zum Wachsen“, sagt Till Goldammer. Er sieht TPM nicht als Projekt, sondern vergleicht es mit dem Sport: „Es ist ungünstig, wenn man zuviel trainiert bzw. fordert und ebenso, wenn man aufhört zu trainieren“. Mit dieser Erkenntnis bemühe man sich im Unternehmen um eine Balance. „Eine konsistente Firmenkultur ist ein wesentlicher Garant für Erfolg“. Am Baxter-Standort in Hechingen sollen die Mitarbeiter herausfinden, wie es geht. Und die Führungskräfte sollen dafür eine offene Struktur schaffen.

Alle Fotos in diesem Beitrag: © Gambro Dialysatoren GmbH

Das Unternehmen Gambro ist ein weltweit tätiger Medizintechnikkonzern, führend in der Entwicklung, Herstellung und Bereitstellung von Produkten und Therapien für die Nieren- und Leberdialyse, Behandlung der Myelomniere und andere extrakorporale Therapien für Patienten mit akuten und chronischen Erkrankungen. Gambro AB (einschließlich aller mittelbaren und unmittelbaren Tochtergesellschaften) gehört zu Baxter International Inc. Der Standort in Hechingen arbeitet in mehreren Schichten 365 Tage im Jahr rund um die Uhr, um die hohe Nachfrage an Dialysatoren (künstlichen Nieren) befriedigen zu können. Es werden drei Generationen von Dialysatoren gefertigt und weltweit vertrieben. Mehr Infos: www.gambro.com

Abb. 3: Die Mitarbeiter stellten den japanischen Auditoren vor Ort in der Produktion ihre innovativen Konzepte und Ergebnisse vor.

Zertifizierung als Meilenstein Seit 2006 bemüht sich das Unternehmen um eine Zertifizierung durch das JIPM. Anvisiert wurde mittelfristig der Advanced Special Award for TPM. Der Wunsch nach einer internationalen Auditierung war ein Motivationsfaktor für diesen Weg. „Wir wollten uns auch mit der ursprünglich japanischen Idee konfrontieren und unseren Blickwinkel über die kulturelle Ebene besser reflektieren“, sagt Till Goldammer. „Japanische Auditoren schaffen durch ihre konsequente Herangehensweise eine spezielle Herausforderung“. Drei Jahre nach Beginn der TPM-Aktivitäten, 2007, erhielt der Baxter-Standort Hechingen den ersten Award, den "Award for TPM Excellence". Damals sagte der japanische Auditor: „Die Reise fängt erst an“. Mit dem Special Award for TPM Achievement wurde das Unternehmen 2010 ausgezeichnet, bevor es 2013 als erstes Unternehmen der Medizinbranche den "Advanced Special Award for TPM Excellence" in Empfang nahm. Maßgeblich für die jüngste Auszeichnung war das beispielhafte Early Phase Ma-

nagement (Anlaufüberwachung) bei der Planung einer neuen Fabrik, die inzwischen am Standort Hechingen in Betrieb genommen wurde. Hier war der Gedanke "Quality first" schon dabei, bevor die Anlagen aufgebaut wurden. Dies wurde von den JIPM-Auditoren sehr positiv bewertet. Die Auditoren bekamen im Vorfeld eine Fabrik aus Kartonmodellen zu sehen, bei der erste Verbesserungs-Potenziale entdeckt und umgesetzt wurden. Aufgrund der guten Vorarbeit startete die neue Fabrik sofort mit hoher OEE und mit sehr niedriger Ausschussrate. Nach 12 Monaten erreichte die neue Fabrik eine OEE größer als 85 Prozent. Die Arbeitsstandards waren klar definiert. Till Goldammer führt den Erfolg darauf zurück, dass man mit einer Mannschaft gestartet sei, die wusste was zu tun ist. Zur Zeit befindet sich das Unternehmen durch den Verkauf an die Baxter International Inc. in der Integration. Das erfolgreiche Verbesserungsprogramm am Baxter-Standort Hechingen gilt heute schon als Benchmark und wird in das Produktionssystem des Konzerns eingegliedert.

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Serie  GEISTES-HALTUNG

Lean oder Kosmetik? Die Haltung macht den Unterschied Die Entwicklung des Geistes schärft das Bewusstsein, den Wahrnehmungshorizont und damit die Fähigkeit das Richtige, Wesentliche zu erkennen. Die Entwicklung der Haltung steigert den menschlichen Handlungshorizont. Haltung (Rückgrat) bestärkt den Mut zur Realität, um die richtigen Dinge zu tun und die falschen zu lassen (vgl. Yokoten 06/2012). Es stellt sich die Frage, warum dieses Potenzialfeld nach zwei Jahrzehnten Lean immer noch brach liegt (vgl. Yokoten 01/2013). Mit dem Zugangs-Tor zur Erschließung des Potenzials beschäftigten wir uns in Yokoten 02/2014. In der letzten Yokoten-Ausgabe (04/2014) ging es um die konkreten Aspekte und "hard facts", die darüber entscheiden, wie nachhaltig erfolgreich Ihr Lean-Projekt ist. Heute vertiefen wir das Thema Haltung mit Beispielen aus der Praxis.

von Roger Dannenhauer Ein Lean-Manager und begeisterter Leser des YOKOTEN Magazins sagte zu mir: „Was Sie da schreiben dürfte ich bei mir im Unternehmen noch nicht einmal aussprechen“. Meine Antwort: „Genau deshalb schreibe ich es ja – weil Sie es nicht aussprechen dürfen, spreche ich es für Sie aus. Sie können dann Ihrer Führungsspitze einfach YOKOTEN auf den Schreibtisch legen“. Die Haltung verursacht die Wirkung 2003 wurde mir bewusst, dass Menschen, die Teil eines Systems sind, nur begrenzt das System verändern können, welches sie selbst erfolgreich gemacht hat. Deshalb brauchen Systeme (Unternehmen) neutrale Beobachter und Impulsgeber. In der Regel sind dies Berater, Trainer, Coaches. Nur sind diese leider schnell Teil des Systems, sobald sie in einem System oder mit einer Methode erfolgreich sind. Und diese Dienstleister dürfen meist nur das tun, was das System (welches sie verändern sollen) ihnen gestattet – ein Widerspruch in

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sich. Daraus entstand der Ansatz, dass es viel schneller und wirkungsvoller ist, wenn Führungsspitzen ihren Geist (Wahrnehmungshorizont) und ihre Haltung (Handlungshorizont) entwickeln – von der "Angepasstheit" zurück zum natürlichen Zustand. Je erfolgreicher jemand ist, je weiter oben in der Hierarchie, desto wichtiger wird dieser Schritt. Der Effekt ist ungefähr so, wie das Lösen einer Handbremse. Die Rolle des externen Impulsgebers ist dabei aber nicht die eines Beraters (Dienstleisters) – sondern eher die Rolle dessen, der Tabus auf den Tisch bringt, die das Unternehmen nicht

angeht. Notfalls macht er sich sogar unbeliebt. Wer macht diesen Job in Ihrem Unternehmen? Mit Sicherheit nicht nette Dienstleister, die mit PowerPoint, Kennzahlen, wissenschaftlichen Studien und Workshops beschäftigt sind und sich besser aus den "internen Problemen" raushalten. Aus 10 Jahren Transformationspraxis wage ich zu sagen: Nicht einmal die obere Führungsspitze (Geschäftsleitung, Vorstand) oder diejenigen, die für die Entwicklung der Organisation oder des Personals verantwortlich sind, bringen die "echten Potenziale" auf den Tisch. Nicht bewusst, sondern aus einem

Der Autor Roger Dannenhauer arbeitet seit 1979 an der Entwicklung neuer Wege zur Initiierung und Prägung konstruktiver Geistes-Haltung und Kultur (Wirkung) in der Wirtschaft. Als Transformations-Coach und Projektleiter unterstützt er seit zehn Jahren Unternehmen bei der Entwicklung von Identität, Leadership, Kultur und Wirksamkeit.

Quelle Grafik: „TURN AROUND. Wenn Projekte kopfstehen und klassisches Projektmanagement versagt“ von Roger Dannenhauer, Torsten J. Koerting und Michael Merkwitza

systemgeprägten (=limitierten) Wahrnehmungs- und Handlungshorizont. Und genau dies trainieren Führungsspitzen in einem Transformationsprojekt: Eine weitere und tiefere Wahrnehmung der Wirkungszusammenhänge (incl. Bewusstsein) und wie man eine wesentlich höhere Energie zum Gestalten entwickelt, um Unzulänglichkeiten zu verändern, an die sie sich bereits gewöhnt haben oder an denen sie gar resignieren. Beispiel: Der Lean-Manager eines mittelständischen Unternehmens hatte im Prozess der Entwicklung seiner Haltung einen Termin mit der Hauptgesellschafterin und hatte den Mut zu sagen: „Ein Problem in unserem Unternehmen ist, dass unsere Führungskräfte sich sehr bemühen, Ihnen zu gefallen. Ich werde aber nicht dafür bezahlt, Ihnen zu gefallen“. Die Haltung ist dabei eine rein menschliche Angelegenheit und hat mit Lean-Methodik zunächst nichts zu tun. Sie verursacht allerdings die Wirkung, ob und wie schnell die Lean-Methodik sich entfaltet. Denn Lean soll ja die Quellen der sinnlosen Dinge im Unternehmen schonungslos an die Oberfläche spülen, um sie an der Ursache zu lösen. Wie soll das aber gehen, wenn Berater, Coaches und Führungskräfte dem Vorstand oder der Geschäftsleitung gefallen müssen (um befördert zu werden oder um Aufträge zu bekommen)? Das dritte Beispiel für Haltung begegnete mir auf dem PM-Camp München, einer Veranstaltung zum Thema Projektmanagement. Ein Referent berichtete über

Abb. 1: Wahrnehmungshorizont und Geistes-Haltung bestimmen unsere Handlungen und Ergebnisse

das Filmprojekt "Augenhöhe", in dem es darum geht, Unternehmen zu finden, in denen eine Kultur konstruktiver GeistesHaltung lebendig ist – und dort im realen, normalen Alltag entsteht der Kino-Film (der frei verfügbar sein wird). Der Referent berichtete über die Anfrage eines Konzerns: „Wir wollen da mitmachen, weil wir seit Jahren ein solches KulturProjekt betreiben“. Der Referent besuchte also diesen Konzern, um mit Führungskräften und Mitarbeitern zu sprechen. Schnell stellte sich heraus: Der Konzern hatte Basketballkörbe, Tisch-Kicker etc. aufgestellt, ansonsten hatte sich nichts verändert. Der Konzern wurde für die Teilnahme am Film nicht nominiert, weil es darum geht, Unternehmen zu zeigen, die Augenhöhe authentisch leben und nicht darum, dem Image-Marketing destruk-

tiver Unternehmen zu dienen. Hier gibt es gleich zwei wichtige Erkenntnisse zum Thema: Erstens: Haltung ist nicht käuflich und sie mündet in einer Wirkung. Zweitens: Wenn wir zwei Unternehmen sehen, in denen dieselben Basketballkörbe hängen, mit derselben Marketingbroschüre "Der Mensch im Mittelpunkt" oder "Aus Liebe zur Umwelt"; wenn ein Unternehmen ein Werte-Kulturprojekt macht oder eben Lean: Die Wirkung, die daraus entsteht, kann so unterschiedlich sein wie Tag und Nacht. Denn sie entsteht nicht aus der Methode "Lean" oder "Basketball", sondern aus der Haltung der Menschen in der Führungsspitze, die das System prägt – jeden Tag in jeder Handlung und Entscheidung.

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Serie  GEISTES-HALTUNG

Wie lean ist Ihr Unternehmen? Beantworten Sie für sich folgende Fragen. So finden Sie heraus, zu wie viel Prozent in etwa echte Lean-Ansätze da sind. Und Sie erkennen, wo Handlungsbedarf ist.

Trifft zu (Kosmetik) in Prozent

Trifft nicht zu (Lean) in Prozent

Unsere Kultur enthält viel Politik und wir müssen Themen geschickt verkaufen. Es ist schwierig, die echten Potenziale anzusprechen oder gar zu lösen.

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Unsere Führung ist getrieben vom Tagesgeschäft. Sie steht unter Druck und agiert mehr, als sie proaktiv gestaltet.

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Der primäre und wahre Zweck der Lean-Initiative ist Kostensenkung (die Kernkompetenz unserer Berater).

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Wir müssen uns rechtfertigen, weil die anderen Bereiche (oder z.B. Controlling) Lean nicht verstehen.

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Unser Leitspruch ist "Der Mensch im Mittelpunkt". Im Mittelpunkt stehen aber die Methoden und nicht wie es den Menschen geht.

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Wir haben vor kurzem entdeckt, dass wir uns mehr mit dem Thema Mensch beschäftigen müssen und berücksichtigen nun "menschliche Methoden".

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In Präsentationen stehen zunehmend Weisheitssprüche (Hinweis: Weisheit ist eine Erfahrungsebene, kein angelesenes Wissen).

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Wir sind innovativ und folgen den aktuellen Trends. Wir haben in Workshops Werte ausgearbeitet und eine Soll-Kultur definiert.

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Wir entwickeln gerade eine Wertschätzungskultur (eine Methode, damit sich alle wertgeschätzt fühlen).

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Wir haben eine Druck- und Angstkultur. In unserem Unternehmen herrschen Sarkasmus und Zynismus.

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Die Prozentsätze, die Sie hier angegeben haben, spiegeln zunächst nur Ihre Wahrnehmung. Sie können versuchen, herauszufinden wie Kollegen und Vorgesetzte diesen Aspekt sehen. Abb. 2: Dieser nicht wissenschaftliche Fragebogen zeigt mögliche Tendenzen oder gibt Anhaltspunkte, um herauszufinden, ob und wo möglicherweise "Basketballkörbe" in Ihrem Unternehmen hängen. Damit wissen Sie, wo Sie echtes Lean machen und wo ggf. Kosmetik (muda).

Methode steht nicht für Wirkung Was nutzt eine wundervolle Methode wie die Coachingkata in einem Konzern, in dem der Geist des "Mac-Excel-Taylorismus" herrscht und die Haltung einer Fahne im Wind gleicht. Ob Basketballkörbe oder Coachingkata: Die Methode ist immer neutral. Die Wirkung entsteht aus der Haltung hinter den Methoden, in eine destruktive (kontraproduktive) oder konstruktive (förderliche) Richtung. Wie Sie nun wissen, geht es beim Thema "Haltung" darum, Themen auszusprechen, die niemand ausspricht, weil sie mög-

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licherweise konfrontierend sind. Führungsspitzen, die sich damit schwer tun, haben Probleme, ein echtes Lean-Projekt zu führen – dessen Kern es ja ist, die Quellen der sinnlosen Dinge im Unternehmen schonungslos an die Oberfläche zu spülen, um sie an der Ursache zu lösen. Viele Ursachen liegen leider bei der Führungsebene. Um diese Konfrontation zu vermeiden, initiieren Führungsspitzen oft Projekte, die Lösungen woanders suchen. Mir ist klar, dass dies recht pauschal und hart klingt – aber es ist eine Tendenz, die ich

in 10-jähriger guter Zusammenarbeit mit Führungsspitzen erfahren habe. Am Ende sind diese dankbar, wenn sie in MetaSkills trainiert sind, um solche Potenziale ganz leicht lösen zu können. Haltung kommt immer von Herzen (nicht aus dem Kopf), deshalb ist Haltung ein "hard fact" und hat eine starke Wirkung.

Das Gegenteil von Lean  Buch-Tipp

Das Gegenteil von Operational Excellence Wie man mit Geschick und Ausdauer ein Unternehmen kaputt macht Als Leanexperte hat Richard Glahn bereits einige Bücher über die erfolgreiche Initiierung und Aufrechterhaltung einer Leankultur geschrieben. Mit seinem jüngsten Buch nimmt er einen außergewöhnlichen Blickwinkel ein.

hinzu gekauften mittelständischen Unternehmens innerhalb weniger Jahre zunichte machen – eine Geschichte, die auf ungewöhnliche Art zum Nachdenken über Verbesserungspotenzial im eigenen Unternehmen anregt.

In dem Roman „Wie man mit Geschick und Ausdauer ein Unternehmen kaputt macht“ wird dargestellt, wie ein ungeschicktes Management-Team und die überbordende Bürokratie eines Konzerns die ausgeprägte Leankultur eines

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Fachartikel  Stabile Produktion bei Audi

Lean-Perfektionismus durch stabile Produktion AUDI AG: Ingolstadt - Stabile Produktion und Auftragsreihenfolge (IN-SPUR) Wie kann sichergestellt werden, dass jeder Kunde sein hochindividualisiertes Fahrzeug möglichst schnell und pünktlich zum bestätigten Liefertermin erhält? Dies ist eine der wichtigsten Fragen der modernen Automobilindustrie. Eine Antwort auf diese Frage strebt die AUDI AG täglich auf dem Weg zu höherer Kundenzufriedenheit an. von Sergey Mityagin Die deutschen Automobilhersteller sind aufgrund veränderter globaler Rahmenbedingungen einem immer größer werdenden Wettbewerbsdruck ausgesetzt. Die konventionelle Differenzierung über Qualität und Kosten wird inzwischen als Selbstverständlichkeit vorausgesetzt. Vielmehr liegt die Herausforderung darin, den wachsenden und zunehmend individuelleren Kundenansprüchen durch entsprechende Strategien im Produktionsund Logistikprozess entgegenzutreten. Eine dieser Strategien ist das Produktionssteuerungskonzept nach stabiler Auftragsreihenfolge. Das Konzept dient nicht nur als rein operatives Steuerungssystem, sondern auch als ManagementPhilosophie für das Erreichen eines Gesamtoptimums über alle Produktionsbereiche. Dabei rückt die Stabilisierung der Produktion in den Fokus der Betrachtung. Für eine quantitative Bewertung stehen unter anderem Messgrößen wie Durchlaufzeit und Reihenfolgengüte zur Verfügung. Die so generierte Transparenz, sowohl über den Verbleib einzelner Karosserien, als auch über den Gesamtprozess, macht Optimierungspotenzial unmittelbar sichtbar. Zudem wird durch schnellere und effektivere Prozesse eine Erhöhung der Prozesssicherheit erreicht. Die direkten Auswirkungen dieses Aspekts

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auf die erfolgsrelevanten Kennzahlen eines Produktionsbereiches resultieren in einer gesteigerten Prozessdisziplin und folglich in einer verbesserten Qualität des gesamten Produktionsablaufes. Durch die stabile Auftragsreihenfolge gelingen ein verbesserter Produktmix und eine optimierte Kapazitätsplanung. Die so erzielte Glättung der Produktion bedeutet eine Beruhigung des Gesamtprozesses, da die Mitarbeiter einer gleichmäßigen Belastung ausgesetzt bzw. über anstehende Belastungsspitzen vorab informiert sind. Mit dem Erreichen des Kernziels des Auftragsreihenfolgekonzeptes können die im momentanen Fertigungsprozess auftretenden Schwankungen bei der Fertigstellung eines Kundenauftrages behoben werden. Zudem ist eine äußerst präzise Voraussage und Kürzung der Durchlaufzeit möglich. Als einer der führenden Automobilhersteller setzt die AUDI AG auf eine Produktionssteuerung nach den Prinzipien einer stabilen Auftragsreihenfolge. Diese Philosophie der Fabriksteuerung ist für Audi ein Grundpfeiler bei der Produktion modernster Automobile mit dem Ziel, ein Best-Practice-Hersteller in der Branche zu sein. Um die spezifischen Kundenanforderungen zu erfüllen, hat die AUDI AG die stabile Produktion in seine Un-

ternehmensstrategie aufgenommen und durch das Projekt "Ingolstadt - Stabile Produktion und Auftragsreihenfolge" (IN-SPUR) initialisiert. Der Standort Ingolstadt ist somit Vorreiter für die stabile Produktion im Audi-Konzern. Das Auftragssteuerungskonzept SPUR lässt sich nicht nur als Teil der Produktionslogistik einordnen, sondern ist ein zentrales Element bei der Umsetzung eines Lean Production-Konzeptes. Das lässt sich anhand des Audi-Produktionssystems (APS) verdeutlichen: Premiumautomobile in großer Modellvarianz zu wettbewerbsfähigen Preisen anzubieten, ist nur möglich durch die konsequente Einhaltung von Standards und stabilen Prozessen. Das APS als wesentlicher Baustein der Audi-Produktionsstrategie liefert die Basis für eine wertschöpfungsorientierte, synchrone Produktion. Ziele sind dabei die Erhöhung der Qualität und der Termintreue bei gleichzeitiger Reduzierung der Kosten. SPUR ist die Umsetzung des Grundlagenelements "Geglättete Produktion" im APS, um eine wertschöpfungsorientierte, synchrone und reihenfolgetreue Produktion zu realisieren. Das Konzept SPUR lässt sich zusammenfassend als ein Auftragssteuerungs-

Foto: © AUDI AG Abb. 1: Montage Audi A4, Standort Ingolstadt.

• Einplanung einer für alle Fertigungsbereiche verbindlichen und unveränderbaren Auftragsreihenfolge auf Basis von übermittelten Kundenaufträgen • Festlegung der Sollreihenfolge von Aufträgen, die der Montagesequenz der Karosserien entspricht • Einmalige Zuordnung eines Auftrages zu einer Karosserie vor Karosseriebaustart • Steuerung der Karosserien durch die Produktion, so dass die eingeplante Reihenfolge durch alle Gewerke bis zum Einlauf in die Montage eingehalten wird oder bei nicht vermeidbaren Abweichungen wiederhergestellt werden kann Folgendes Beispiel dient zur anschaulichen Erklärung der stabilen Produktion und Auftragsreihenfolge. Dazu wird von einer gewünschten Kundenauslieferung (auf Basis des Kundenwunschtermins) mit in der Abbbildung 2 dargestellten SollReihenfolge (1, 2, 3, 4, 5) ausgegangen.

Die Kundenaufträge werden bereits circa vier Wochen vor Montageeinlauf an das Werk übergeben. Änderungswünsche von den Kunden können bis wenige Tage vor Montageeinlauf berücksichtigt werden. Daraufhin wird die endgültige Auftragsreihenfolge festgelegt und es sind keine Auftragsänderungen mehr möglich. Im Laufe des Produktionsprozesses kann die geplante Reihenfolge aus organisatorischen oder prozessualen Gründen (Farbblockbildung in der Lackiererei, Prüfprozesse, unterschiedliche Verfügbarkeiten der Arbeitsstationen) verwirbelt werden. Bei einer Verwirbelung wird die Soll-Reihenfolge der Fahrzeuge in einem Prozessabschnitt nicht eingehalten. In der Abbildung 2 wird die Karosserie 2

von den Karosserien 3 und 4 überholt, da sie beispielsweise aufgrund eines AuditProzesses ausgeschleust wurde. Aus der vereinfachten Darstellung in der Abbildung 3 (Seite 20) ist zu erkennen, dass sich die Karosserien 1 und 2 schon in der Lackiererei befinden. Dicht dahinter folgen die Karosserien 3 und 4 im Karosseriebau. Mit derselben Reihenfolge (1, 2, 3, 4) durchlaufen die Karosserien im Anschluss die Endmontage. Die strikte Einhaltung der Soll-Reihenfolge entspricht dem Konzept SPUR. Im Projekt IN-SPUR wird eine strukturierte Vorgehensweise verfolgt. Zuerst werden die gesamten Auftrags- und Fahrzeugflüsse analysiert. Als Ergebnis steht die Identifikation und Gewichtung aller

Grafik: © BLSG AG

konzept beschreiben, das die Planung und Steuerung der Aufträge durch die Fabrik mit folgenden Merkmalen umfasst:

Abb. 2: Verwirbelung der geplanten Auftragsreihenfolge.

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Grafik: © BLSG AG

Fachartikel  Stabile Produktion bei Audi

Abb. 3: Prinzipdarstellung des Produktionsprozesses.

Verwirbelungspunkte im Produktionsprozess und deren wahrer Ursachen. Im nächsten Schritt werden Maßnahmen zur Eliminierung bzw. Verringerung des Einflusses der Verwirbelungen definiert und als Entscheidungsgrundlage nach Kosten und Nutzen bewertet. Den Abschluss des Vorgehens bildet die Umsetzung der entschiedenen Maßnahmen, durch die eine erfolgreiche Realisierung zur Einhaltung der geplanten Soll-Reihenfolge erfolgt. Die Maßnahmenpakete umfassen folgende Bereiche: • Reihenfolgeorientierte Steuerung aller zentralen und dezentralen Karossenspeicher • SPUR-konforme Qualitätsprüfungen • SPUR-konformer Auftragseinplanungsprozess • SPUR-konforme Sperrprozessregelung • Monitoring und Reporting der Stabilitätskennzahlen auf "Taktebene" Welche Vorteile bringt IN-SPUR für das Audi-Werk Ingolstadt? In erster Linie entsteht ein quantitativer Nutzen: mittelfristige Erhöhung der Ausbringungs-

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menge, Einsparung von Produktions- und Logistikflächen sowie Erhöhung der Termintreue für Kunden. Beispiele für zusätzlichen qualitativen Nutzen sind eine bessere Planbarkeit der Produktionsund Logistikabläufe sowie eine höhere Transparenz im Karossenfluss. Weiterhin ergeben sich durch IN-SPUR Vorteile für die Materialversorgungsprozesse vom Lieferanten sowie die Distributions- und Vertriebsprozesse. Infolgedessen ermöglichen die Vorteile der stabilen Produktion eine Einsparung in Produktion, Einkauf, Logistik und Distribution. Die Reihenfolgengüte wird durch die sogenannte SPUR-Stabilität gemessen. Im Laufe des Projektes konnte diese bisher um signifikante 20 Prozent erhöht werden. Eine weitere Steigerung um 20 Prozent ist bis zum Abschluss des Pro-

jektes im Jahr 2015 geplant. Somit dient das Konzept SPUR einerseits als Enabler für innovative Projekte, wie das Neue Logistik Konzept (NLK) des Volkswagen Konzerns sowie für die "Fabrik 2020" und schafft andererseits die Voraussetzungen für die Stabilität eines weltweiten Lieferantennetzwerkes. In den vergangenen Jahren hat die AUDI AG die Bemühungen intensiviert, das Unternehmen nach schlanken Gesichtspunkten zu entwickeln. Ein wertschöpfungsorientiertes Produktionssystem mit festen Fertigstellungsterminen, definierter Fertigungsreihenfolge und einer synchronen Produktion nach dem SPURPrinzip unterstützt den eigenen Anspruch, erfolgreichster Premiumhersteller der Welt zu sein.

Der Autor Sergey Mityagin ist bei der Unternehmensberatung BLSG AG tätig. Im Rahmen des Projekts IN-SPUR arbeitet er an der Optimierung von Produktions- und Logistikprozessen nach Lean-Gesichtspunkten und unterstützt die Ausarbeitung sowie die Umsetzung von Sollkonzepten beim Kunden. Kontakt: [email protected]

Der KATA-Coach  Serie

Serie: Die Verbesserungskata Teil 10: Der KATA-Coach – Rollen des Leaders Will ein Unternehmen im Wettbewerb bestehen und sich von Mitbewerbern abheben, um die Kunden zu überzeugen, dann ist tägliche Verbesserung in allen Unternehmensbereichen obligatorisch, ebenso eine gemeinsame Zielausrichtung aller Beteiligten. Der Soll-Wertstrom stellt das Bindeglied für die einheitliche Ausrichtung aller Bereiche dar – Ableitung und Erreichung der Ziele liegt jedoch in der Verantwortung der jeweiligen Führungskräfte.

von Sabine Leikep und Marco Kamberg In den letzten Beiträgen der KATA-Serie haben wir uns mit Frageroutine, Coaching und der Coachingkata auseinandergesetzt. Dieses Mal werden wir den Coach näher betrachten, der im Kontext mit der täglichen Verbesserung jedoch mehr Aufgaben hat als "nur" das Coaching. Erfolgreiche, tägliche Verbesserung ist ohne "gute" Verbesserer nicht möglich. Isolierte, punktuelle Verbesserung macht ohne übergeordnete Zielsetzung und bereichsübergreifende Verbesserung in Richtung des Ziels keinen Sinn. Aus diesem Grund sind Prozessverbesserung und Mitarbeiterentwicklung unweigerlich miteinander verbunden. Die Coachingkata stellt genau hier das passende Bindeglied zwischen Mitarbeiterentwicklung und Ziel-Erreichung dar. Das Ziel wird im Rahmen der Verbesserungsaktivitäten in drei Phasen verbessert: 1. Richtung verstehen 2. PDCAs in Richtung des Ziel-Zustandes 3. Stabilisierung im Alltag Durch die regelmäßigen Coachings stellt der Leader sicher, dass seine Mitarbeiter regelmäßig an ihrem jeweiligen Ziel arbeiten, dabei an den "richtigen Themen"

Abb. 1 Phasen der Verbesserung

verbessern und sich persönlich daran weiterentwickeln. Coachings kann er jedoch erst dann durchführen, wenn der Ist-Zustand bekannt, der Ziel-Zustand definiert und die Verbesserungstafel vorhanden ist – in der Phase der PDCAs in Richtung des Ziel-Zustandes. Sobald der Ziel-Zustand erreicht wurde, muss der neue, veränderte Prozess so im Tagesgeschäft etabliert

werden, dass er Zyklus für Zyklus entsprechend dem neuen Standard abläuft. Unterschiedliche Rollen des Coaches Verbesserung muss täglich stattfinden und Bestandteil des Führungsalltags sein. Die einzelnen Bereiche sind nicht nur inhaltlich (Erreichung eines bestimmten Ziels, wie z.B. Anlieferung des Materials

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Abb. 2 Die Rollen des Leaders wechseln und orientieren sich an der jeweils aktuellen Situation

in montagegerechten Behältern direkt am Verbauort), sondern auch zeitlich voneinander abhängig. Die einzelnen Verbesserer arbeiten unter Anwendung der Verbesserungskata auf die Erreichung der Ziele hin. Dabei legen sie ihre Kreativität in die Ausarbeitung der einzelnen Inhalte, die notwendig sind, um das Ziel zu erreichen. Während die Inhalte der Verbesserungsaktivitäten in der Verantwortung des Verbesserers liegen (da er den Prozess am besten kennt), liegt die Verantwortung für die Erreichung des Ziels und die zielgerichtete Entwicklung der dafür benötigten Fähigkeiten des Verbesserers bei der jeweiligen Führungskraft. Der Leader muss dafür sorgen, dass der Verbesserer Erfolg bei seinen Verbesserungsaktivitäten hat, dafür benötigt er Sicherheit in der Anwendung der KATA. Deshalb muss er dafür sorgen, dass der Verbesserer täglich einen Anwendungsfall (sprich ein Problem) hat, an dem er die Verbesserungskata anwenden kann. Der Leader muss auf die "richtige" Anwendung der KATA achten und bei Bedarf die "Leitplanken" (=Verbesserungskorridor) aufzeigen. Andererseits sollte er

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neue Denkimpulse setzen, um die Kreativität des Verbesserers zu aktivieren. Es ist wichtig, dass dieser sich regelmäßig in der Lernzone aufhält. Dafür sorgen die regelmäßigen Coachings (insbesondere zu Beginn). Je nach Phase der Ziel-Zustands-Bearbeitung (siehe oben), sowie abhängig von Persönlichkeit und Fähigkeitsstand des Verbesserers, erfordert das "zum Erfolg bringen" des Verbesserers jedoch auch die spezifische Wahl eines alternativen Führungsstils. Coach, Trainer und Leader Um den Spagat zwischen Erreichen der definierten Ziele und der zielgerichteten Entwicklung der Fähigkeiten des Verbesserers zu bewältigen, wechselt der Leader zwischen verschiedenen Rollen: Coach (Anwendung der Frageroutine), Trainer und Führungskraft (s. Abb. 2). Um eine Person mittels Fragen führen zu können, sprich zu coachen, ist es notwendig, dass der Verbesserer weiß, was "technisch" mit den Fragen gemeint ist. Aus diesem Grund stellt die Verbesse-

rungstafel die Grundlage für das Coaching dar. In seiner Rolle als Coach stabilisiert der Leader die vorhandenen Fähigkeiten des Verbesserers im Alltag – so dass er sie regelmäßig auf einem "hohen" Niveau anwendet. Er führt den Verbesserer rein über Fragen und trainiert somit dessen Eigenständigkeit. Um zu gewährleisten, dass der Verbesserer in die "richtige" Richtung verbessert, ausreichend Freiraum für die Verbesserungsaktivitäten (z.B. Kapazität, Prioritäten und unterstützende Ressourcen) hat und auch Sinn in den Verbesserungsaktivitäten sieht, ist das Einnehmen der Führungsrolle unabdingbar. Der Leader muss in dieser Rolle die Ziele samt dem verbleibenden Zeithorizont ständig im Auge behalten, das Zusammenspiel mit anderen Verbesserungsaktivitäten koordinieren und den Verbesserer bei guten Leistungen loben. Auch die Unterstützung des Verbesserers beim Abschluss eines Ziel-Zustandes in Form von Unterstützung beim Informieren der Mitarbeiter und dem Durchsetzen von Entscheidungen gehört zum Inhalt dieser Rolle. Damit stellt der Leader sicher, dass

Der KATA-Coach  Serie

der Prozess vor Ort so gelebt wird, wie er sollte (z.B. dass dem definierten Standard gefolgt wird). Um das Profil des Leaders zu vervollständigen, ist die letzte Rolle – die des Trainers – besonders wichtig. Sofern die Fähigkeiten, kontinuierlich zu verbessern, beim Mitarbeiter (noch) nicht vorhanden sind, müssen diese zielgerichtet entwickelt werden. In der Trainer-Rolle entwickelt der Leader die einzelnen Fähigkeiten der Verbesserungskata. Dass der Leader die Trainer-Rolle einnimmt ist deshalb so wichtig, weil der Verbesserer auf diese Weise ein positives Beispiel – sozusagen

ein Vorbild – hat. Somit wird u.a. die Hemmschwelle verringert und das "Das geht-bei-uns-doch-nicht-Mindset" wird reduziert. Rollen des Leaders und die LeanTools Durch die drei Rollen des Coaches ist erkennbar, dass die Arbeit mit Verbesserungs- und Coachingkata mit den Lean-Tools, Zielentfaltungsprozess und Shopfloor-Management eng verzahnt ist. In seiner Rolle als Coach ist der Leader zuständig dafür, dass aus dem übergeordneten Ziel-Zustand (= Challenge = Soll-Wertstrom) die nächsten

Ziele abgeleitet werden. Dies ist häufig eng mit der Erreichung der persönlichen Zielvereinbarung und damit mit dem variablen Gehalt verbunden. Andererseits werden abgeschlossene Ziel-Zustände im Rahmen der "Stabilisierung im Alltag" ins tägliche Shopfloor-Management integriert. Auf diese Weise werden Probleme entlang der Führungskaskade gezielt kommuniziert und die Ursachen schnell zum verantwortlichen Verursacher eskaliert – man kann auch sagen, der Leader "managed Stabilität".

Die KATA-Community wächst Austausch unter Experten und gemeinsame KATA-Forschung Begeisterung und Experimentierfreude sind Merkmale der Menschen, die sich mit der KATA beschäftigen. Gemeinsam die KATA leben und wissenschaftlich vorgehen in experimentellen Schritten - davon profitieren alle und es entsteht ein Netzwerk der Verbesserungskultur.

Sie treffen sich auf organisierten Veranstaltungen und in Internet-Communities – die "KATA-Botschafter". Und sie arbeiten daran, dass Menschen in Unternehmen und Organisationen lernen, auf Veränderungen zu reagieren und eigenständig zu verbessern. Die KATA wurde auf der ersten Europäischen Lean Educator Conference thematisiert (s. auch Seite 28 ff) und sie wird das Kernthema des KATA-Praktikertages im November sein (s. Seite 3). Zur Vertiefung und Weiterentwicklung des KATA-Wissens schreibt Mike Rother

fortlaufend das KATA-Handbuch, das er kostenlos zum Download zur Verfügung stellt. Das Handbuch wurde von Prof. Dr. Constantin May ins Deutsche übersetzt und ist kostenlos zum Download verfügbar unter www.cetpm.de/kata-infocenter

Verbesserungs-KATA Handbuch von Mike Rother Deutsche Fassung von Constantin May Version 5.0, basierend auf der englischen Version 20.0a

Vorwort Einleitung Über die Verbesserungs-KATA I. Erste Schritte Richtlinien zum Üben Rollen und Strukturen für die tägliche Praxis II. DIE VERBESSERUNGS-KATA Die Richtung verstehen Den Ist-Zustand erfassen Den nächsten Ziel-Zustand festlegen PDCA in Richtung Ziel-Zustand III. DIE COACHING-KATA Coaching-KATA Teil 1: Richtlinien für Coaches Coaching-KATA Teil 2: Anleitung für den Coaching-Zyklus Anhang:

Nützliche Formulare

KATA-Handbuch kostenlos zum Download verfügbar

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Fachartikel  Industrie 4.0

Industrie 4.0 Traumgebilde statt Traumhochzeit? Es vergeht derzeit kaum ein Tag, an dem nicht Werbung für Veranstaltungen oder für Produkte mit dem Label "Industrie 4.0" im Postfach landet. Kürzlich kam sogar von SAP eine E-Mail, in der darauf hingewiesen wurde, dass man sich in Zeiten von Industrie 4.0 auf die "Höchstanforderungen der Logistik 4.0" vorbereiten solle. Selbst "Führung 4.0" als Anforderung für erfolgreiche Industrie 4.0 wurde schon in Vorträgen thematisiert. Was steckt dahinter?

von Prof. Dr. Constantin May und Prof. Dr. Andreas Syska

Kommt mit Industrie 4.0 bald Fruchtjoghurt 4.0? Die Medien widmen dem Thema große Aufmerksamkeit. Die allgegenwärtige Präsenz des Themas bestärkt Dienstleister und Forschungseinrichtungen darin, ihr Portfolio entsprechend auszurichten – ein selbstverstärkender Effekt, und ein neuer Hype ist geboren. Die "Hochzeit" zwischen Produktion und IT wird sogar als "Vierte Industrielle Revolution" bezeichnet. Dies ist die erste Revolution, die schon im Vorfeld erkannt wird. Ansonsten wusste man bisher immer erst im historischen Rückblick, wann eine Revolution stattgefunden hatte. Es gibt konkrete Hinweise, dass deutsche Unternehmen eigene Stabsabteilungen zum Thema Industrie 4.0 einrichten. Doch die Erfahrung lehrt uns, dass solche Hypes über kurz oder lang Enttäuschung verursachen und im Sande verlaufen. Von den öffentlichen Fördermitteln haben dann einige wenige Projektträger profitiert, ohne dass eine nachhaltige Unterstützung der Industrie feststellbar wäre. In diesem Artikel möchten wir – nach einer kurzen thematischen Einführung – den Sinn von Industrie 4.0 kritisch hinterfragen und auf die wirklich wichtigen

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Fragestellungen der Produktion der Zukunft hinweisen. Industrie 4.0 - was ist das eigentlich? Industrie 4.0 beabsichtigt, die deutsche Industrie in die Lage zu versetzen, für die Zukunft der Industrieproduktion gerüstet zu sein. Diese Zukunft soll gekennzeichnet sein durch • eine starke Individualisierung der Produkte unter den Bedingungen einer hoch flexibilisierten (Großserien-) Produktion, • die weitgehende Integration von Kunden und Geschäftspartnern in Geschäfts- und Wertschöpfungsprozesse, sowie • die Koppelung von Produktion und hochwertigen Dienstleistungen. "4.0" im Begriff soll darauf hindeuten, dass die Industrie nach der Mechanisierung, der Elektrifizierung und der Informatisierung an der Schwelle zu einer vierten industriellen Revolution steht (vgl. http://www.bmbf.de/pubRD/Umsetzungsempfehlungen_Industrie4_0.pdf).

Es ist sozusagen die Prognose eines industriellen Umbruchs – vergleichbar mit der Erfindung der Dampfmaschine. Ein gewagter Anspruch … Betrachten wir das Konzept einmal konkreter: Das Ende 2011 von zwei Bundesministerien ausgeschriebene und mit 400 Mio. Euro ausgestattete Förderprogramm "Industrie 4.0" kreierte einen zunächst fast inhaltsleeren Begriff, der nun von den Beteiligten (oder besser Begünstigten) nach und nach mit Inhalten gefüllt wird. Der Kern von Industrie 4.0 besteht darin, den oben genannten Herausforderungen der industriellen Produktion durch zwei Ansätze zu begegnen: die Integration von sogenannten CyberPhysischen-Systemen (CPS) in Fertigung und Distribution sowie den Einsatz des sogenannten "Internets der Dinge" und "Internets der Dienste" in industriellen Prozessen. Man erhofft sich „... die Erschließung von Potenzialen aus einer feingranularen und differenzierten Verfolgung von Abläufen im Detail und kumulativen Effekten im Globalen, die vorher nicht erfassbar waren“ (http://www. pt-it.pt-dlr.de/de/3069.php).

Mensch oder Maschine? Wird die "Hochzeit" zwischen Produktion und IT gelingen? Foto © Manuel Peter (Er ist Student der Hochschule Ansbach und wurde für dieses Bild auf der Photokina 2014 ausgezeichnet in der Katergorie "Young Talents" mit Themenschwerpunkt Computer Generated Imaging

Cyber-Physische-Systeme beinhalten eingebettete Systeme, Produktions-, Logistik-, Engineering-, Koordinationsund Managementprozesse sowie Internetdienste, die mittels Sensoren unmittelbar physikalische Daten erfassen und mittels Aktoren auf physikalische Vorgänge einwirken, mittels digitaler Netze untereinander verbunden sind, weltweit verfügbare Daten und Dienste nutzen und über multimodale MenschMaschine-Schnittstellen verfügen. CPS sollen offene soziotechnische Systeme sein und eine Reihe neuartiger Funktionen, Dienste und Eigenschaften ermöglichen. Die Idee vom "Internet der Dinge" basiert auf der Vorstellung, dass künftig alle Produkte und Gegenstände mit einer eindeutigen Internet-Adresse versehen sind (wie z.B. Notebooks, Tablets und Mobiltelefone) und über Internet-Technologie miteinander kommunizieren. Diese Idee ist nicht neu. Bereits 2006 präsentierte

die METRO AG auf der CeBIT ihren neuen Future Store. Auf der Basis von RFID (Radio Frequency Identification, Funkerkennung) sollte ein innovatives Einkaufserlebnis samt vielzitiertem intelligenten Kühlschrank die wundervolle Zukunft sein. Frau Merkel und viele andere waren begeistert, heute ist das Projekt als gescheitert anzusehen. Um den einstigen Hype RFID ist es ruhig geworden. Sehen wir uns die Ausführungen der Umsetzungsempfehlungen für das sogenannte Zukunftsprojekt Industrie 4.0 einmal etwas genauer an (http://www.bmbf.de/ pubRD/Umsetzungsempfehlungen_Industrie4_0.pdf): • Die sogenannte "Smar t Factor y" soll individuelle Kundenwünsche berücksichtigen und selbst Einzelstücke rentabel produzieren können. Ja, geht das bislang denn nicht? "www.mymuesli.com" ist nur ein Beispiel dafür. Und wir dachten immer,

dass die "Losgröße eins" über LeanAnsätze realisiert werden kann … • Geschäfts- und Engineering-Prozesse sollen dynamisch gestaltet sein, d.h. die Produktion kann kurzfristig verändert werden und flexibel auf Störungen und Ausfälle, zum Beispiel von Zulieferern, reagieren. Nun, das ist das Alltagsgeschäft eines jeden Produktionsverantwortlichen! • Und das Beste: Die flexible Arbeitsorganisation soll Mitarbeitern ermöglichen, Beruf und Privatleben sowie Weiterbildung stärker in Einklang zu bringen, um die Work-Life-Balance zu verbessern. Jetzt verstehen wir langsam, warum Industrie 4.0 eine so hohe Aufmerksamkeit erzeugt. Was für ein verlockendes Versprechen – wer kann da schon Nein sagen?

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Fachartikel  Industrie 4.0

Warum Industrie 4.0 auf einem fundamentalen Denkfehler beruht Dieser Ansatz der vollständig IT-vernetzten Produktion ist in den 1980erJahren unter dem Namen CIM (Computer Integrated Manufacturing) versucht worden – und gescheitert. Gewiss: Die Technologie ist heute eine ganz andere – aber die Denkweise ist die gleiche, und sie ist falsch. Es ist ein Irrtum zu glauben, dass das komplexe (meist sogar chaotische) und soziale System namens Fabrik sich mit IT steuern ließe. Wieso droht man heute in die gleiche Falle zu tappen wie damals? Nun, es sind erregende Allmachtsfantasien, welche die Befürworter von Industrie 4.0 heute aktiv werden lassen. So sprach man bereits in einer frühen Phase von Industrie 4.0 davon, dass der Mensch zum Dirigenten der Wertschöpfungskette werde. (Es sind die üblichen Begleitmelodien von Neuerungen: „Alles wird besser, und die Menschen werden glücklich, Nebenwirkungen gibt es keine.“) Damit meinen die Betreffenden sich selber und freuen sich darauf, technische Systeme zu konfigurieren. Für den Mitarbeiter in der Produktion bedeutet dies: Wenn die Vorhersagen eintreffen, wonach sich das Material seinen Weg eigenständig durch die Produktion bahnt, dispositive Entscheidungen trifft und Ressourcen anfordert, so werden nicht nur Betriebsmittel, sondern auch Mitarbeiter zu Objekten. Es ist der Mensch vor Ort in der Fabrik, der sich an die Vorstellung gewöhnen muss, dass das Werkstück bestimmt, was er wann und wo zu tun hat. Die Aufgaben der Vorgesetzten übernimmt dann das Material, das bearbeitet werden möchte – ein seltsames Verständnis von Dirigententum …

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Einige Protagonisten von Industrie 4.0 haben keine Erinnerung an das Scheitern von CIM. Weder an den Hype (der damals noch nicht so hieß) noch an die Probleme bei der Umsetzung, geschweige denn an das Ende von CIM. Es wurde still begraben, und im Nachhinein wollte keiner mehr etwas damit zu tun gehabt haben. Eine Aufarbeitung der Gründe für das Scheitern von CIM hat nie stattgefunden. (Wir wissen spätestens seit Kaizen und KATA, dass auf diese Weise kein Lerneffekt entsteht). Es gibt heute, 30 Jahre später, leider keinen Erfahrungsschatz, aus dem diejenigen, die damals noch zur Schule gingen, nun schöpfen könnten. Und so werden die gleichen Fehler nochmals gemacht. Alte Hasen haben bei Industrie 4.0 ihr Déjà-vu. Der Name Industrie 4.0 – eine Anmaßung? Welch eine Anmaßung steckt allein schon in dem Begriff. Er steht ja mittlerweile für die Zukunft der Fabrik. Es stimmt: Industrie 4.0 wird mit einigen Lösungen ausgewählte Teilbereiche der Fabrik prägen, aber auch nicht mehr. Cyber-Physische-Systeme (CPS), die dafür sorgen, dass sich das Werkstück eigenständig seinen Weg durch die Produktion bahnt, weil es seine Produktinformationen bereits in sich trägt – eine tolle Idee und gleichzeitig das Synonym für Industrie 4.0, zumindest zu Beginn des Hypes. Nun, wir haben uns dabei immer gefragt, wie dies beispielsweise in der Prozessindustrie funktionieren soll. Wie kann man in Erfrischungsgetränken oder in technischen Gasen Produktinformationen unterbringen? In den Molekülen etwa? Und welchen Sinn hat es, in einer Produktion mit verketteten Anlagen, die den Weg des Produkts und die Prozessschritte vorgeben, eben diesen Produkten die Möglichkeit zu geben, über Alternativen "nachzudenken". Nein, die Produktion insgesamt konnte sich hier

nicht angesprochen fühlen. All dies, was Industrie 4.0 zunächst ausmachte, war geeignet für die Stückfertigung in Einzel- und Kleinserien, die große Anteile an Verrichtungsorientierung und folglich einen ungerichteten Materialfluss haben. Dies ist exakt der Ausschnitt der Produktion, in dem immer schon Computerlösungen ausprobiert wurden – in den 1960er-Jahren die ersten Vorstufen von PPS-Systemen, mit ihren Optimierungs- und Priorisierungsalgorithmen, in den 1980ern CIM. Man wird den Eindruck nicht los, dass genau hier die IT immer wieder versucht, Fuß zu fassen, um Lösungen anzubieten, die nur für den soeben angegebenen Kreis von Unternehmen einen Sinn haben. Bis heute haben PPS-/ERP-Systeme die DNA der Einzel- und Kleinserienfertigung in sich – Anpassungen auf andere Produktionstypen sind oftmals mühsam und im Ergebnis unbefriedigend. Das haben die Protagonisten von Industrie 4.0 erkannt: Der CPS-Ansatz greift zu kurz. Damit würde Industrie 4.0 nicht aus der Nische herauskommen. Deswegen wird seit gut eineinhalb Jahren damit begonnen, die Inhalte zu verändern. Und so erhält heute alles, was auch nur irgendwie mit Produktion und IT zu tun hat, das Etikett "Industrie 4.0". Das ist nicht notwendig, denn mit dem Begriff "Digitale Fabrik" gibt es dieses Etikett schon seit Jahren. In dem Blog des Fraunhofer Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO kann der Industrie-4.0-Interessierte lesen: „Unsere Kick-Off-Veranstaltung am 2. Juli 2013 hat gezeigt, dass das Thema ’Industrie 4.0’ gerade richtig Fahrt aufnimmt. Die über 80 Teilnehmer waren motiviert, dem Begriff ’Industrie 4.0’ Inhalte zu geben …“ (http://blog.iao. fraunhofer.de/industrie-40-die-produktionsarbeit-der-zukunft-nimmt-gestalt-an/). Mit anderen Worten: Industrie 4.0 – Begriff sucht Inhalt!

Industrie 4.0  Fachartikel

Und dies führt zu ganz absurden Auswirkungen. Industrie 4.0 erfüllt alle Voraussetzungen, um berechtigterweise als Hype bezeichnet zu werden. Ist der Gipfel der überzogenen Erwartungen erreicht, dann beginnt der Abstieg in das Tal der Enttäuschungen. Warum Industrie 4.0 bei vielen so gut ankommt Es ist verständlich, dass Industrie 4.0 bei vielen Begeisterung hervorruft. Nach all den Jahren des Sich-Beschäftigens mit Kaizen und KATA, mit Shopfloormanagement, Kommunikation und Coaching hat man mit Industrie 4.0 endlich wieder ein echtes Ingenieurthema. Maschinenelemente, Hardware und Software werden miteinander verbunden. Hier darf ein Ingenieur wieder Ingenieur sein. Was für eine Erleichterung für viele nach all den Jahren des "Kaizen- und-KataKrams", mit dem man sich nie so recht anfreunden konnte. Warum Industrie 4.0 ein Spiel mit dem Feuer ist Und nun schlägt die Stunde der IT-Vertriebsprofis: Durch das Schlagwort Industrie 4.0 angezogen wie Motten vom Licht, melden sie sich lautstark zu Wort. Sie wissen – genau wie alle anderen – noch gar nicht so genau, was Industrie 4.0 ist, sie wissen aber schon ganz genau, dass man hierfür Cloud-Lösungen braucht. Und noch etwas wissen diese Personen: dass ihre Cloud-Lösung genau die richtige ist. Solche Aussagen haben keinen großen Wert. Den Vertriebler eines Softwarehauses zu fragen, ob Industrie 4.0 seine Produkte benötige, ist genauso erhellend, als würde man einen Friseur fragen, ob man einen Haarschnitt braucht. Den Nachweis, dass Industrie 4.0 ohne Cloud nicht geht, bleiben diese Vertriebsprofis schuldig – sie wiederholen

den Satz aber wie ein Mantra, bis ihn jeder glaubt. Industrie 4.0 und die Cloud bedeuten aber nicht weniger, als dass alle Daten über Produkttechnologien und Produktionsverfahren sowie sämtliche Bewegungsdaten, aus denen man Rückschlüsse auf die Produktivität, Qualität und Flexibilität produzierender Unternehmen ziehen kann – also alles, was den Wettbewerbsvorteil eines Unternehmens ausmacht – in OnlineDatenspeichern aufbewahrt werden soll, von denen wir spätestens seit Edward Snowden wissen, wie unsicher sie sind. Wenn also nach der Vorstellung der Cloud-Anhänger alle deutschen Industrieunternehmen ihre Daten auf diese Art speichern, dann liegen alle, aber auch wirklich alle Geheimnisse des Wettbewerbsvorsprungs und des Wohlstands einer weltweit führenden Industrienation in diesen Datenspeichern. Naiv zu glauben, dass dies keine Begehrlichkeiten weckt. Schließlich müsste man nicht mehr eine Vielzahl von unternehmenseigenen Firewalls überwinden, sondern nur noch eine Handvoll Clouds anzapfen. So würde Industriespionage natürlich richtig Spaß machen! Industrie 4.0 – Was wird bleiben? Keine Frage, die Industrie wird, nein, muss sich durch die Entwicklungen der Informationstechnologie und durch die zunehmende Vernetzung deutlich verändern. Aber es sind große Zweifel angebracht, ob die im Zusammenhang mit Industrie 4.0 oft erwähnten Cyber-Physischen-Systeme (CPS) und das "Internet der Dinge" hier die maßgeblichen Treiber sein werden, wie dies aus Sicht der Industrie-4.0-Befürworter dargestellt wird. Um die Idee von Industrie 4.0 Realität werden zu lassen, bräuchte es auch einheitliche IT-Standards. Diese wird es vermutlich nie geben, denn nur ein geschlossenes System ist ein lukratives System (siehe http://www.netzpiloten.

de/kaffeekapselkopierschutz-als-gefahrfur-das-internet-der-dinge/). Schon allein deswegen wird Industrie 4.0 scheitern. Unsere Prognose: Einzelne technische Lösungen werden sich in den Fabriken wiederfinden, dort, wo sie nützlich sind. Sie werden ihren Platz in der Produktion gefunden haben, wenn schon längst niemand mehr von Industrie 4.0 spricht und die Karawane weitergezogen ist – auf dem Weg zum nächsten Hype. Denn der Traum von einer vernetzten, angeblich "smarten" Fabrik, in der sich die Fertigungsaufträge anhand von "Big Data" selbst durch die Fabrik steuern und die Werkstücke selbst entscheiden, wo sie als nächstes bearbeitet werden möchten, ist utopisch und widerspricht allen Erkenntnissen, die wir in den letzten Jahrzehnten aus CIM, Lean und TPM gewonnen haben. Unbestritten ist, dass es die Zielsetzung aller Unternehmen sein muss, sich ständig zu verbessern und an die sich immer schneller ändernden Rahmenbedingungen anzupassen. Jede Abweichung vom Zielzustand sollte Anlass sein, sich mit den aufgetretenen Problemen zu beschäftigen und diese dauerhaft zu lösen. Wie kann ein "intelligentes" Werkstück oder eine Software dies bewältigen? Die Lösung sind und bleiben einfache, robuste Regelkreise, weg von der Layoutund Arbeitsplatzplanung am PC hin zu Card-Board-Engineering, weg vom Software-Leitstand hin zum HeijunkaBoard und Shopfloormanagement statt Überwachung vom Schreibtisch aus. Das Geheimnis erfolgreicher Unternehmen lautet "Mensch vor Technik". Der Schlüssel zum nachhaltigen Erfolg liegt bei den Mitarbeitern, deren Fähigkeiten, Wissen und Können.

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News  ELEC 2014

Lean LERNEN und LEAN lernen Erste European Lean Educator Conference (ELEC) setzt neue Maßstäbe Wie lehrt man "lean" und wie lernt man es? Um diese vielschichtige Fragestellung ging es bei der ersten Lean Educator Conference, die im September 2014 in Stuttgart stattfand. Über 100 Lean-Trainer, Forscher und praktische Anwender trafen sich, um zu diskutieren, wie man Lean-Inhalte "lean" vermittelt. Durch den interdisziplinären und internationalen Austausch entstanden wertvolle Synergieeffekte. Mike Rother sprach von der "Next Generation Lean Thinking", die hier bereits spürbar war. von Sabine Leikep Inspiriert durch seine Teilnahme an der amerikanischen Lean Educator Conference als Referent hatte Prof. Dr. Constantin May von der Hochschule Ansbach die Europäische Lean Educator Conference (ELEC) ins Leben gerufen. „Das Vermitteln von Lean-Wissen und die Entwicklung von Menschen sind die zentralen Punkte, wenn es darum geht, Unternehmen und Organisationen voranzubringen“, betont er. Lean-Konferenzen, die sich an Anwender, Produktionsleiter und Geschäftsführer richten, gäbe es schon genügend. Der Knackpunkt, nämlich das Wissensnetzwerk zur Verbreitung und Weiterentwicklung der Lean-Philosophie, sei mit der ELEC erstmals konkret thematisiert worden. „Es war eine fantastische Atmosphäre, um das Lean-Netzwerk auf internationaler Basis auszubauen“ freut sich der Initiator. „In den fachlich teilweise sehr anspruchsvollen Beiträgen habe ich viele Dinge gehört, über die ich noch einige Zeit nachdenken werde“. Er freut sich auch über zahlreiche Einladungen in Lehrfabriken aus dem internationalen Umfeld. Die über 100 Teilnehmer der Konferenz kamen aus 18 Ländern. Mit dabei waren Lean-Pioniere wie Peter Ward, der die Idee hatte, mit der amerikanischen Lean Educator Conference ein Lean-Netzwerk

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Abb. 1: John Shook im Dialog mit den Teilnehmern der ELEC 2014, die aus 18 Ländern angereist waren.

zu schaffen; oder John Shook und Mike Rother, die mit Publikationen und Forschungsarbeit zur Entwicklung der Leanphilosophie beitragen. Es herrschte eine rege Kommunikation und die Anwesenden nutzten begeistert die Gelegenheit, sich mit Kollegen aus anderen Ländern und Branchen auszutauschen. Lean Education - ein vielschichtiges Themenfeld John Shook erklärte die vier Themenfelder der Konferenz: Lean lehren, der Lernprozess an sich, Forschung und Lean in Bildungseinrichtungen im Sinne von Lean Administration. Er fordert eine Vertiefung des Wissens in diesen Bereichen und betont, dass zum Beispiel an der Universität Michigan die Nachfrage nach Kursen über Lean Manufacturing

die Kapazität um 50 % überschreite. Die technische Perfektion sei jedoch nur die halbe Miete, betont er. Es sei wichtig, dass die Führungskräfte die soziale Komponente ausbalancieren. Sie hätten hauptsächlich zwei Aufgaben: Erstens müssen sie alle Beteiligten dazu bringen, dass sie selbst Verantwortung übernehmen und Probleme lösen. Zweitens sollten sie sicherstellen, dass die Arbeit aller Personen darauf ausgerichtet ist, Werte zu generieren und das Unternehmen erfolgreich zu machen. Die Tools herauszupicken reiche nicht aus. „Eine bestimmte Denkweise steht hinter den Tools und dem System“, so seine Botschaft. Giorgio Possio und Sigfrido Pilone berichteten, wie sie an der Universität Turin kreativ die Studenten für Lean gewinnen.

Abb. 2: Impressionen von der ELEC 2014: Prof. May und Peter Ward initiierten und moderierten die Konferenz (oben links). Mike Rother reflektierte die Art der Wissensvermittlung (oben rechts). Im Workshop "Beyond Lean" versuchten die Teilnehmer, den Dingen auf den Grund zu gehen (oben mitte). Eine Führung durch das Porsche-Museum rundete das Programm ab (unten).

Ihr Motto: Lernen ohne Langeweile. Dazu werden zum Beispiel Schulprozesse unter Einsatz der KATA von Studenten optimiert, wobei die Lehrenden die Rolle des Coaches einnehmen. Das praktische Anpacken von Herausforderungen sei bei Studenten und Professoren sehr gut angekommen. Auf Spiele zum Vermitteln der Leanphilosophie setzt Joakim Hillberg aus Schweden. „Mit Power Point bekommt man die Menschen nicht an Bord“ so seine Überzeugung. Es sei wichtig, Fähigkeiten durch Praktizieren zu entwickeln. Schon Taiichi Ohno habe erkannt, dass Training sehr wichtig ist. Joakim Hillberg erklärte, wie ein Spiel aufgebaut sein muss, damit der Lern- und Trainingseffekt eintritt. Wichtig sei es, Unterschiede der Kulturen, der Management-Level und der Branchen zu berücksichtigen. Der Spielleiter dürfe keine Lösungen vorgeben, sondern sollte Fragen stellen, um Inhalte zu vermitteln und Emotionen zu stimulieren. Zum Schluss solle man gemeinsam die Lerneffekte des Spiels auf die Realität übertragen. Mit dem Rollout von Lean in komplexen Organisationen beschäftigt sich Arnaldo

Camuffo von der Bocconi University in Mailand. Er machte deutlich, dass das Verbessern von Prozessen und die Entwicklung der Menschen parallel laufen müssen, um eine Lean Transformation zu erreichen. Dieser Meinung ist auch Thilo Schwarz (www.lernzone.com), der den Kulturwandel aus verschiedenen Richtungen betrachtet. Zum einen müssten sich die Menschen adaptiv und innovativ verhalten. Zum anderen sollte eine herausfordernde und inspirierende Vision vorhanden sein. Die drei Voraussetzungen für die Selbstmotivation seien, dass Menschen fähig sind, etwas zu tun, es tun wollen und auch die Erlaubnis haben, es zu tun. Er sieht in der KATA die Möglichkeit, ein Managementmuster anzuwenden, um Verhaltensmuster bei den Mitarbeitern zu entwickeln. Auch an der Universität Rosenheim hat Lean Einzug gehalten. Prof. Dr. Ralph Kriechbaum berichtete, wie Studenten im Rahmen der Lean-Vorlesungen durch Prozessoptimierung die Wartezeit an den Schaltern für die Essensausgabe in der Cafeteria verkürzten. Dieses Beispiel machte deutlich, dass persönliche Betroffenheit immer ein hoher Motivationsfaktor ist, um etwas zu verbessern.

„Komplexität bietet Chancen und hat ihren Preis“ so die Erkenntnis von Teemu Toivonen aus Finnland. Er sieht bei der Evolution von Lean die Herausforderung darin, ein gemeinsames Verständnis zu entwickeln. Den Wandel von konkurrierenden Systemen zu Vernetzung, Austausch und Zusammenarbeit forderte Patrick D. Cowden in seinem Vortrag "Beyond Leadership". Es ginge um eine Neuordnung der Regeln, um mit weniger Einsatz von Ressourcen mehr für Mensch und Umwelt zu erreichen. Abschließend appellierte Mike Rother, die "Next Generation Lean Thinking" zu unterstützen. Es gehe darum, Menschen zu entwickeln – unabhängig mit welcher Methode. Viele Wege führten zum Ergebnis. Wichtig sei es, dass sogenannte "MetaSkills" entwickelt würden, um auf veränderte Situationen, die nicht vorhersehbar sind, reagieren zu können. Es müsse sich eine wissenschaftliche Vorgehensweise etablieren. Auch John Shook forderte: „Hören Sie nicht auf, zu experimentieren“. Die nächste ELEC findet im September 2015 in Stockholm statt. Für 2016 laufen bereits die Planungen für die ELEC in U.K.

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News  TPM-Prozessbegleiter

Bindeglied zwischen Führung und Ausführung Neue Ausbildung zum TPM-Prozessbegleiter schließt Lücke Das TPM-Ausbildungsprogramm der CETPM-Akademie ist breit aufgestellt: Der Kompaktkurs gibt Geschäftsführern einen Überblick, der Intensivkurs vermittelt Mitarbeitern die Methoden, und der TPM Instruktorkurs richtet sich an Leiter, Koordinatoren und TPM-Manager, die planerische Aufgaben wahrnehmen. Im Dialog mit den Kursteilnehmern stellte sich heraus, dass das Bindeglied zwischen Führung und Ausführung häufig fehlt. Diese Lücke wird nun durch die viertägige Ausbildung zum TPM-Prozessbegleiter geschlossen.

Der neue Kurs richtet sich an Teamleiter, Meister oder Techniker, welche die Ziele kommunizieren und ihr Team zur Umsetzung motivieren sollen. „Bisher haben oft TPM-Instruktoren die Teamleiter geschult, damit die TPMKaskade in Gang kommt“ erzählt Alexander Grombach, Managing Partner der CETPM GmbH. „Doch dabei lässt es sich nicht vermeiden, dass Lücken und Missverständnisse entstehen“. Mit der Ausbildung zum TPM-Prozessbegleiter würde der "Stille-Post-Effekt" vermieden

und die oft führungsunerfahrenen Fachgebietsleiter lernten, wie man auf Menschen zugeht und diese motiviert. Sie müssten lernen, wie man die richtigen Fragen stellt, ohne Lösungen vorzugeben, betont er. Ziel sei es, dass sie nicht mehr als "Problem-Feuerwehr" tätig sind, sondern sich zu Moderatoren und Motivatoren entwickeln. Die erste Gelegenheit, dieses Ausbildungsprogramm wahrzunehmen, bietet sich vom 10. bis 13. November 2014.

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 Vorschau & Impressum

Vorschau

Impressum:

Das erwartet Sie im Heft 06/2014

Herausgeber Prof. Dr. Constantin May

Verlag: CETPM GmbH Institut an der Hochschule Ansbach Steinweg 5 D-91567 Herrieden Tel.: +49 (0) 9825 2038-100 Fax: +49 (0) 9825 2038-111 Internet: www.yokoten.de E-Mail: [email protected]

Redaktion Sabine Leikep E-Mail: [email protected]

Layout Just-in-Time im Straßenbau – Prozesse erfolgreich optimiert Warum gibt es auf den Straßen "ewige Baustellen"? Vielleicht, weil dort der LeanGedanke noch nicht Einzug gehalten hat. Das kann sich ändern, denn der Lean-Experte Stefan Volz entwickelte aus seiner praktischen Erfahrung heraus ein Software- und Telematiksystem zur Planung und Steuerung von Prozessen. Erste Straßenbauprojekte mit verkürzten Durchlaufzeiten wurden erfolgreich durchgeführt.

Wolfgang Schlötterer

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Anzeigenschluss: SCRUM bei Leanprojekten Ursprünglich als ProjektmanagementMethode für IT-Projekte entwickelt, wird SCRUM immer mehr in klassischen Projekten außerhalb der IT angewandt. Jochen Wenz beleuchtet die Grundlagen und Vorzüge der Methode, aber auch mögliche Hindernisse bei der Anwendung in Leanprojekten. Lean ist System-Transformation Als Teilnehmer der ersten Europäischen Lean Educator Conference sieht sich Roger Dannenhauer in seiner Erkenntnis bestärkt, dass Lean nur funktioniert, wenn im gesamten Unternehmen eine entsprechende Geistes-Haltung dahinter steht und Meta Skills gebildet werden.

15. Februar, 15. April, 15. Juni, 15. August, 15. Oktober, 15. Dezember Anlieferung der Druckdatei jeweils zwei Wochen vor Drucklegung. Gültige Anzeigenpreisliste und Mediadaten: www.cetpm.de/mediadaten

Abonnentenservice [email protected] ISSN 2193-4835 Erscheinungsweise: 6 x jährlich Einzelheft: 7,50 EUR inkl. MwSt. Jahresabo: 40,00 EUR inkl. MwSt. und Versand innerhalb Deutschlands

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