Wozu brauchen wir Museen?

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Author: Hans Kappel
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Handlungsfeld 9 Modul 3

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Wozu brauchen wir Museen? Im Zuge der finanziellen „Schräglage“ vieler unserer öffentlichen Haushalte wird immer wieder die Frage erhoben, ob Kulturfinanzierung und Kulturförderung als freiwillige Leistung nicht erheblich gekürzt oder gar ganz gestrichen werden könnte! Viele öffentliche Institutionen haben schon seit Jahren ihre Zuschüsse an kulturelle Einrichtungen auf einem bestimmten Niveau „eingefroren“. Erhöhungen der Budgets, die die Inflationsrate zumindest ausgleichen würden, passieren faktisch gar nicht mehr. Neben Theatern und Opernhäusern steht vor allem die reiche Museumslandschaft unseres Landes immer wieder auf dem Prüfstand. Es ist daher durchaus legitim, die Frage zu stellen, welche Aufgaben Museen in unserer Gesellschaft erfüllen.

Ursprung des Museums: Die ersten „Kunstsammlungen“ Allen späteren Entwicklungen liegt der Sammeltrieb des Menschen zugrunde. In sämtlichen Hochkulturen haben Menschen Dinge zusammengetragen, die ihnen wichtig und wertvoll waren. Auch religiöse Gründe spielen hierbei eine Rolle. So dürfen die Weihegaben an die Tempel des Altertums, wie z.B. in Delphi, als Vor-Form der Kunstsammlungen angesehen werden. Bereits die Könige von Pergamon und die Ptolemäer in Ägypten legten Kunstsammlungen und Gemäldegalerien nach historischen Gesichtspunkten an. Im Rom der Kaiserzeit, als die Stadt „Zentrum“ der Welt war, wurden unermessliche Kunstschätze in Tempeln, öffentlichen Bauten

Ansicht der Alten Nationalgalerie in Berlin, erbaut 1867–76 von Heinrich Strack nach Plänen von August Stüler

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Doppelseite des Würzburger Heiltumsbuches von 1493 mit Objekten aus dem Würzburger Heiltum, Würzburger Domschatz

und den Palästen und Villen des Kaiserhauses und der vornehmen Familien zusammengetragen. Diese Sammlungen dienten zunächst und vor allem dazu, die politische Größe, den Führungsanspruch und den Reichtum Roms mittels der Kunst zu untermauern.

In Deutschland erfreuten sich bis in das 18. Jahrhundert Kunst- und Wunderkammern an Fürstenhöfen großer Beliebtheit. Gesammelt wurden darin Kunstwerke, Uhren, mechanische Apparate, Naturalien und Kuriositäten, die ein Abbild der gesamten Welt und Schöpfung sowie deren Beherrschung durch den Menschen sein sollten.

Für den barocken Schlossbau waren Gemäldegalerien, in denen man bei schlechtem Wetter lustwandeln und die ausgestellten Bilder betrachten konnte, ein unverzichtbares Erfordernis.

Der Ursprung der Kunstsammlungen in unseren Breiten hat seine Wurzeln jedoch in den Kirchenund Reliquienschätzen des Mittelalters, eine Herkunft, die vielfach vergessen wird. Deren Entstehung war selbstverständlich nicht von künstlerischen Gesichtspunkten geleitet, sondern von religiösen. Neben ihrer kultischen Nutzung wurden die Objekte jedoch ebenso schon wegen ihres materiellen Wertes geschätzt und außerhalb des Gottesdienstes vor allem hochgestellten Personen gezeigt. Eigene Heiltumsbücher, die die Stücke detailliert beschrieben, waren ebenfalls im Umlauf. Man kann solche Heiltumsbücher als die Vorläufer der modernen Bestandskataloge von Museen ansehen. Seit dem 14. Jahrhundert entwickelten sich parallel an den Fürstenhöfen, vor allem in Frankreich, weltliche Schatzkammern. Bei diesen stand noch vor dem Kunstwert der einzelnen Stücke deren Materialwert im Vordergrund. Mit der italienischen Renaissance und deren künstlerischen und literarischen Rückbesinnung auf die Antike kamen seit dem 15. Jahrhundert auch Sammlungen von antiken Kunstwerken, sogenannte „Antiquarien, in Mode.

Große (Gemälde-)Galerie in Schloss Weissenstein in Pommersfelden von 1714

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Ansicht des Alten Museums in Berlin nach einer Zeichnung von Schinkel, um 1830, Führer Museumsinsel (Wikipedia)

3. Die ersten „Museumsbauten“ 1755 wurde im Schlosspark von Sanssouci die erste Bildergalerie als selbständiges Gebäude errichtet. Diese war allerdings nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich. Bereits 4 Jahre später, 1759, wurde in einem Privatpalast in London das heute noch bestehende British Museum eröffnet. Im Zuge der französischen Revolution erklärte man sämtlichen königlichen Kunstbesitz zum Nationaleigentum und öffnete daraufhin in Paris 1793 die Große Galerie des ehem. königlichen Palastes, des Louvre, für die Öffentlichkeit.

Der erste eigentliche Museumsbau in Europa ist das 1779 eröffnete Museum Fridericianum auf der Wilhelmshöhe in Kassel. Nach den Napoleonischen Befreiungskriegen wurde das Alte Museum im Lustgarten in Berlin, gegenüber dem königlichen Schloss errichtet. Es konnte am 3. August 1830 feierlich eröffnet werden und war von Karl Friedrich Schinkel geplant. Es bildete den Ausgangspunkt der Entwicklung der Museumsinsel, die heute zum Weltkulturerbe der Menschheit gehört.

Der Begriff „Museum“ geht auf das griechische Wort „museion“ zurück. Damit ist die den „Musen geweihte Stätte“ oder – im Humanismus – auch die „Forschungsstätte“ des Gelehrten gemeint. So klar aber auch die Wurzel des Begriffes ist, so mannigfaltig sind im Laufe der Geschichte jedoch die Bedeutungen des Begriffes gewesen. Bis zum heutigen Tag ist die Bezeichnung „Museum“ in Deutschland nicht geschützt, und genauso sind der Auftrag und die Aufgaben der Museen nicht gesetzlich geregelt. Der Internationale Museumsrat (ICOM) in seinen Statuten eine Definition vorgelegt: Ein Museum ist „eine gemeinnützige, ständige, der Öffentlichkeit zugängliche Einrichtung im Dienst der Gesellschaft und ihrer Entwicklung, die zu Studien-, Bildungs- und Unterhaltungszwecken materielle Zeugnisse von Menschen und ihrer Umwelt beschafft, bewahrt, erforscht, bekannt macht und ausstellt .“ Meyers Lexikon 1928 setzte andere Akzente: MUSEUM ( vom griech. musa, „Muse“), ein den Musen – übertragen der Kunst und der Wissenschaft – geweihter Raum. Besonderes Ausstellungsgebäude für Kunstgegenstände und andere Sammlungen, so schon im Altertum z.B. das des Ptolemäus Soter (323 – 285 v. Chr.).

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4. Museumsarten Den einen Typus des Museums schlechthin gibt es nicht. Vor allem in den letzten Jahrzehnten hat sich die Museumslandschaft sehr stark aufgefächert. Bereits in den mittelalterlichen Sammlungen lassen sich schon verschiedene Schwerpunkte unterscheiden, nach denen gesammelt wurde. Deshalb sollen hier verschiedene Museumsarten vorgestellt werden: > Kunstmuseum – präsentiert

Ergebnisse

künstlerischer Tätigkeit > Kulturgeschichtsmuseum – präsentiert Teilbe-

reiche menschlichen Seins und Schaffens auf dem Hintergrund einer historischen Perspektive > Geschichtsmuseum – zeigt

Entwicklung von Staaten, Regionen oder Orten in zeitlicher Abfolge

> Naturkundemuseum – zeigt

Objekte aus der Natur und die Folgen des menschlichen Einflusses auf die Natur

betreten. Dort waren dann Meisterwerke der Kunst, in einer immer gleichen Aufstellung versammelt, die Ewigkeitsanspruch hatte. Die Betrachtung der Werke sollte den Besucher erfreuen und gleichzeitig natürlich über die eigene Kultur und deren „überlegene“ Leistungen belehren.

6. Die „klassischen“ Aufgaben des Museums Die oben zitierte Definition des Museums der ICOM benennt die eigentlichen Aufgaben, die zu einem Großteil dem Besucher und oft auch den politisch Verantwortlichen, die über deren finanzielle Ausstattung zu befinden haben, unbekannt sind. Die Arbeit der Museen vollzieht sich größtenteils fern der Öffentlichkeit. Es ist nur die berühmte Spitze des Eisberges, die an der Oberfläche wahrgenommen wird: die Ausstellungstätigkeit.

> Technisch - wissenschaftliches Museum –

stellt Technik und die exakten Naturwissenschaften dar > Sondermuseum – spezialisiert auf fachlichen,

örtlichen, zeitlichen Bereich oder eine besondere Organisationsform (z.B. Blindenmuseum, Freilichtmuseum, Firmen- oder Kindermuseum) Den meisten Zeitgenossen dürfte der Bildungswert der aufgeführten Museumsarten, mit Ausnahme der Kunstmuseen, einleuchtend sein. Dennoch wird sich die Antwort auf die Titelfrage auf das Kunstmuseum - sei es der Malerei, der Plastik oder auch der zeitgenössischen Kunst gewidmet - beziehen. Was hier gesagt wird, gilt in vergleichbarer Weise für alle Museen.

5. „Erfreuen und Belehren“ – Museen früher Die Museumsbauten des 19. und frühen 20. Jahrhunderts wirkten oftmals nicht wie einladende Gebäude für Menschen, sondern eher wie der Sitz von Göttern. Betrachten Sie nur die beiden oben abgebildeten Museumstempel in Berlin! Deren Architektur war jedoch nur adäquater Ausdruck des Selbstverständnisses damaliger Museen: sie wollten Kunst in einer „weihevollen“ Atmosphäre präsentieren. Museen wurden in festlicher Kleidung und gemessenen Schrittes

SAMMELN Die erste Aufgabe ist das zielgerichtete Sammeln von Objekten und dient der Erweiterung, Zusammenführung und Ergänzung bestehender Sammlungsbereiche. Solch eine Sammeltätigkeit dient vor allem der Erhaltung von Kulturgut für die Nachwelt. Bei vielen Zeitgenossen trifft diese Tätigkeit jedoch auf Unverständnis, da sie sich eben weitgehend fern der Öffentlichkeit vollzieht. Zahlreichen Museen wurden aufgrund der Einsparungen der öffentlichen Haushalte in den letzten Jahren ihre Ankaufsetats gekürzt oder ganz gestrichen. Die Schäden dieser Politik werden erst in Jahrzehnten festzustellen sein. Museen können ohne Ankaufsetats nämlich bestehende Sammlungslücken nicht mehr schließen oder ihre Sammlungen fortschreiben. Dies gilt vor allem bei Museen für zeitgenössische Kunst. Dann können allerdings die verantwortlichen Politiker nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden. Politiker „denken“ leider oftmals nur in Legislaturperioden, Museumsleute müssen aber ihre Arbeit und deren Wirksamkeit auf Jahrzehnte und länger auslegen. In der Stadt Würzburg kam in den 90er Jahren der irrwitzige Gedanke auf, Depotbestände des damals noch städtischen Mainfränkischen Seite 4 von 9

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Museums zu verkaufen, um Depotkosten zu sparen. Der Vorschlag wurde Gott sei Dank ad acta gelegt. Eine ähnliche Geisteshaltung ist auch bei dem neuen Musée d´art moderne Grand-Duc Jean in Luxemburg zu beobachten: der renommierte Architekt I.M. Pei musste aus Kostengründen das Museum ohne Depoträume planen! Museen sind „Schatzhäuser“ unserer Zivilisation

BEWAHREN Objekte vor dem Verfall zu schützen und damit für kommende Generationen zu erhalten ist eine weitere wichtige Aufgabe. Das Bewahren umfasst dabei sowohl das Vorbeugen, Konservieren und Restaurieren der Objekte als deren sachgerechte Behandlung. Deren Voraussetzung sind optimale konservatorische Bedingungen in Bezug auf Klima, Luftreinheit und Lichtschutz in den Schauräumen und Depots sowie die Sicherheit der Gebäude. Große Museen besitzen aus diesen Gründen eigene Werkstätten zur Konservierung und Restaurierung, mittlere Häuser in der Regel „nur“ einen hauseigenen Restaurator. Solche Restaurierungs-Werkstätten dienen nicht nur der Bearbeitung museumseigener Objekte, sondern auch der Weiterentwicklung der angewandten Techniken und Methoden. Restaurierung und Konservierung involviert heute ein Vielzahl von Fachgebieten und Spezialdisziplinen. Objekte, die noch vor einigen Jahren unrettbar dem Verfall anheim gegeben schienen, können nach heutigem Stand der Wissenschaft für künftige Generationen erhalten werden. Während in der Vergangenheit der möglichst neuwertige Charakter eines Objektes Ziel einer Restaurierung war, steht heute der möglichst geringe Eingriff in die Substanz eines Objektes und dessen materielle Unversehrtheit im Vordergrund. Museen sind der „Jungbrunnen“ unserer Zivilisation

FORSCHEN Forschung im Museum beinhaltet die wissenschaftliche Bearbeitung von Objekten, Objektgruppen und -zusammenhängen.

Die gewonnenen Erkenntnisse werden dann dokumentiert und öffentlich zugänglich gemacht, oftmals sogar schon im Internet, wie z.B. die Gemäldebestände der Staatlichen Museen zu Berlin. Erster Schritt zur Erforschung ist die Inventarisierung eines Objektes und der Nachweis dessen Herkunft (Provenienz). In den letzten Jahren trat vor allem die Bedeutung der Provenienzforschung, die sich der Herkunft, der Geschichte und dem Verbleib von Kunstwerken widmet, verstärkt in den Blickpunkt des öffentlichen Interesses. Auslöser waren die zahlreichen Restitutionsansprüche von Personen, die während der nationalsozialistischen Diktatur enteignet oder anderweitig um ihren Kunstbesitz gebracht wurden. Gerade der Provenienzforschung kommt daher, vor allem im heutigen Deutschland, hohe moralische Priorität zu, um dem im damals begangenen Unrecht einen Schlusspunkt zu setzen. Museen sind „Gehirne“ unserer Zivilisation

ZEIGEN Erst an letzter Stelle der Aufgaben steht das „Zeigen“, das in der Öffentlichkeit meistens als die wichtigste Aufgabe angesehen wird. Das Zeigen von Objekten vollzieht sich in der Regel auf zwei Arten: in der Dauerausstellung und in Wechselausstellungen. Daneben gibt es aber an großen Museen auch noch sog. Studiensammlungen, die vor allem Wissenschaftlern offen stehen. Dort werden dann empfindliche Objekte (z.B. Stoffe oder Graphiken) verwahrt. Mit der Präsentation von Kunstwerken kommen Museen ihrem Bildungsauftrag nach, der aber heutzutage auch durch eine Vielzahl von museumspädagogischen Aktionen, nicht nur für Kinder, ausgeführt wird. Nahezu in allen Museen leiden die eingerichteten Dauerausstellungen heute unter einem Besucherschwund. Unsere Kultur ist von einer gewissen Schnelllebigkeit geprägt, moderne Menschen brauchen in einer unübersichtlich gewordenen Welt immer wieder neue Impulse. Museen können daher oft nur noch durch Wechselausstellungen Besucher in ihre Räume „locken“. Für die Konzeption von WechselSeite 5 von 9

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Besucherschlange an der Neuen Nationalgalerie in Berlin während der MoMA-Ausstellung, http://www.speexx.de/)

ausstellungen werden jedoch oft Energien gebunden, die für die ersten drei Aufgaben gebraucht würden. Besonders fragwürdig bleiben „Mega-Events“, ich verwende hier bewusst nicht das Wort „Ausstellung“ wie „Das MoMA in Berlin“ vom 20.Februar bis 19.September 2004 in der Neuen Nationalgalerie. Die Ausstellung erreichte einen Besucherrekord von 1,2 Millionen bei stundenlangen Wartezeiten. Für diese Ausstellung wurde die eigene Sammlung der Neuen Nationalgalerie mit Werken der klassischen Moderne in die Depots geräumt. Ob bei Besucherzahlen von über 11 000 an einem Tag noch eine Auseinandersetzung mit den Werken möglich war, geschweige denn deren konservatorische Sicherheit gewährleistet wurde, bleibt fraglich. Ein Mitarbeiter der Neuen Nationalgalerie wurde in der Presse mit den Worten „Es war die Hölle!“ zitiert. Museen sind „Schaukästen“ unserer Zivilisation

Restaurants und Cafès, oft von gehobenem Niveau, gehören mittlerweile schon beinahe zur „Grundausstattung“ eines Museums.

MEHRWERT KUNST Nutzen Sie Kunst für Ihre Kommunikation! Wir haben für Unternehmen Angebote zur Kundenbindung, Networking, Mitarbeitermotivation sowie Unterhaltung zusammengestellt. Besuche im Museum sollen heute auch dem Zusammenkommen mit Freunden, dem Kennenlernen von Menschen, dem kulinarischen Genuss und natürlich dem Kunstgenuss dienen. Sämtliche Punkte werden entschieden unter den Faktoren „Spaß“ und sinnvoller Freizeitgestaltung in gepflegtem Ambiente gesehen. Dass dies nicht nur für den privaten, sondern auch für den Unternehmens-Bereich gilt, zeigt folgendes Angebot des Städel:

7. Museen als Orte sinnvoller Freizeitgestaltung Wer sich das vierteljährlich erscheinende Programm des Frankfurter Museums „Das Städel“ zur Hand nimmt, wird feststellen, dass dort Führungen und Veranstaltungen für alle Altersgruppen angeboten werden: Für Kinder („Kinder führen Kinder“), Studenten („Studentenfutter“), für junge Erwachsene („Artafterwork“) und für Senioren („Kunstgenuss“). Gleichzeitig weist der Prospekt auf das Café-Restaurant „Holbein´s“ im Anbau des Museums, sowie auf die hauseigenen Veranstaltungsräume von über 500 m2 hin.

Blick in das Cafe-Restaurant Holbein´s im Städel in Frankfurt, aus „art“10/2005, S.96)

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8. Museen als Orte der Geschmacksbildung Kaum jemand weiß, dass sich in unmittelbarer Nachbarschaft des Frankfurter Städelmuseums in der Dürerstraße die Städelschule befindet. Sie wurde 1817 mit dem Museum von Johann Friedrich Städel gestiftet. Die Städelschule ist eine der führenden und innovativsten Kunstakademien des Landes. Intention der gemeinsamen Stiftung war, die Schüler und Studenten der Städelschule an den Kunstwerken des Städelmuseums zu schulen und deren ästhetisches Empfinden (weiter) zu entwickeln. Dieser Stiftungszweck ist nach wie vor gültig. Anregungen aus Museen und deren Sammlungen beeinflussen bis heute Designer und Modemacher auf der ganzen Welt. So ist z.B. der Erfolg der Londoner Modeszene mit der Stoff-

sammlung des Victoria & Albert Museums und seiner Abteilung „Fashion, Jewellery and Accessories“ dieser Stiftung zu verdanken. Ähnliches gilt natürlich für jeden privaten Museumsbesucher: auch er kann sein ästhetisches Gespür beim Besuch entwickeln und schulen.

9. Museen als „Kathedralen der Moderne“ und Wirtschaftsfaktor Museen sind gelegentlich als die „Kathedralen der Moderne“ bezeichnet worden, das soll heißen: während im Mittelalter gotische Kathedralen die Stadtbilder prägten, so sind dies seit den 60er Jahren vor allem die prestigeträchtigen Neubauten von Museen. In der Architektur wurden nun Formen für Museen bemüht, die früher beim Kirchenbau üblich waren. Ein Gedanke, der nur zum Teil richtig ist, da ja schon seit dem 19. Jahrhundert Museumsbauten wie Häuser der Gottheit, eben Tempel, geplant und gebaut wurden. Vor allem seit den 80er Jahren ist in der Architektur der Museumsbau auch in Deutschland ein wichtiges Thema. In der Museumsarchitektur wurden Leistungen erzielt, die prägend waren für die Entwicklung der Architektur im allgemeinen. Erwähnt sei hier nur der Maßstäbe setzende Bau der Neuen Staatsgalerie in Stuttgart von James Stirling aus dem Jahre 1984. Ohne die Bauaufgabe der Museen wäre die Entwicklung der Architektur vermutlich anders, aber wesentlich eintöniger verlaufen. Gleichzeitig dienen Museumsbauten auch der stadtplanerischen Entwicklung und Re-Aktivierung von Stadtvierteln und ganzen Städten. Aufgrund des Sprunges, den Bilbao in Spanien durch den Neubau der Dependance des Guggenheim Museums von Frank O. Gehry aus dem Jahre 1997 ( jährlich 850000 Besucher) gemacht hat, ist hier der Begriff „Bilbao-Effekt“ geprägt worden. Ein Effekt, der übrigens

Herrenanzug von 1968 aus der Sammlung des Victoria & Albert Museums in London, 400 Years of Fashion

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zur Hebung der Lebensqualität in Frankfurt in den letzten 25 Jahren beigetragen hat.

11. Museen als Repräsentationsräume einer Nation In Frankreich gehört es zum Selbstverständnis der „Grande Nation“, dass deren Präsidenten sich als Bauherren repräsentativer Gebäude hervortun. So sei an das Centre Pompidou in Paris von Renzo Piano erinnert, das 1977 eingeweiht werden konnte. Ansicht der Neuen Staatsgalerie in Stuttgart, James Stirling, 1984

auch in Schwäbisch Hall mit der Kunsthalle Würth des dänischen Architekten Henning Larsen von 2001 eingetreten ist. Museen setzen demnach stadtbildprägende Akzente, ziehen Kulturtouristen und eine neue Wohnbevölkerung in ihrem Umfeld an.

10. Museen als „weicher Standortfaktor“ „Kunst und Kultur sind unverzichtbarer Bestandteil jeder gesellschaftlichen Entwicklung: Als Standortfaktor für die Wirtschaft gewinnt Kultur mehr und mehr an Gewicht. (www.kupo.blog.de)

Gut ausgebildete und verdienende Arbeitskräfte suchen nach einem Lebens- und Freizeitraum von entsprechender Qualität. Am prägnantesten kann dies in Frankfurt beobachtet werden: gegenüber den glitzernden Hochhäusern der Bankenmetropole zieht sich dort in Sachsenhausen am Main das Frankfurter Museumsufer entlang. Hier findet sich eine Dichte von Museen wie sie sonst wohl auf der Welt kaum mehr wieder zu finden ist. Die Welt des Kommerzes und des Geldes erhält in der emotional aufgeladenen Welt der Kunst und Museen einen Gegenpart. Ein Konzept, das wesentlich

Erst mit der Wiedervereinigung Deutschlands 1990 sind auch in unserem Land solche nationalen Bauaufgaben wieder stärker in den Blickpunkt gerückt. Im Bereich der Museen gehört mit Sicherheit die Berliner Museumsinsel und deren „Masterplan 2012“ dazu. Nach der Umsetzung dieses Plans wird die Berliner Museumsinsel durch ihre Architektur und die Qualität ihrer Sammlungen einzigartig in der Welt sein. Sie repräsentiert heute schon neben den Regierungsgebäuden in Berlin-Mitte das kulturelle Erbe unserer Nation. Der Blick auf dieses Erbe kann dazu beitragen, ihre Identität als Nation zu begreifen, ihr gemeinsames Erbe zu verstehen und eine Form von nationaler „Leitkultur“ zu entwickeln. Gerade in Deutschland ist in den letzten Jahren manches wieder aus der kulturellen „Schmuddelecke“ hervorgeholt worden, das bisher als verpönt galt. Dazu gehört unter anderem auch die Kunst des 19. Jahrhunderts, die bisher als „biedermeierlich“ und „altväterlich“ abgetan wurde.

Museumsinsel Berlin, Masterplan (http://www.museumsinsel-berlin.de/)

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Hinweise Mein Beitrag zu „Wissen Werte Welt verstehen“ enthält sehr bewusst einen subjektiven Unterton, der zum Widerspruch, im Sinne einer Auseinandersetzung, anregen soll. Sie sind der Widerhall einer 15-jährigen beruflichen wie dienstlichen Beschäftigung mit dem Thema und erheben daher keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Als Theologe, der auch kulturwissenschaftlich tätig ist, bin ich nach wie vor der Meinung: „Nicht vom Brot allein lebt der Mensch,“ (Mt 4,4), sondern eben auch von dem, was Museen uns geben können. Zur Erweiterung und detaillierten Suche bedienen Sie sich aus dem folgenden Fundus.

James J. Sheehan, Geschichte der deutschen Kunstmuseen. Von der fürstlichen Wunderkammer zur modernen Sammlung, Verlag C.H. Beck, München 2002, € 34,90 Sheehan schildert detailliert und äußerst kenntnisreich die Entwicklung des Kunstmuseums seit dem frühen 19.Jahrhundert. Hannelore Schubert, Moderner Museumsbau. Deutschland. Österreich. Schweiz, Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1986, nur noch antiquarisch erhältlich. Das Werk informiert ausgiebig durch Fotos, sowie Grund- und Aufrisse über die wichtigsten Neubauprojekte vor 1986.

Literatur

Internet

Zur Kernfrage des Seminars gibt es noch keine zusammenfassende Literatur, zu den einleitenden Punkten jedoch schon:

Einen guten Einblick in die Arbeit und den Auftrag von Museen geben deren Internetseiten, z. B. des Städelmuseums in Frankfurt verwiesen: www.staedelmuseum.de

Krzysztof Pomian, Der Ursprung des Museums. Vom Sammeln, Wagenbach, Berlin 1998, Taschenbuch, € 8,90, Eine intelligente, kurz gefasste und gut lesbare Einführung zur Entstehung von (Kunst-) Sammlungen.

Zur Geschichte der Museumsinsel in Berlin, der einzelnen Häuser und ihrer Sammlungen sowie zum Masterplan 2012 gibt folgende Seite Auskunft: www.museumsinsel-berlin.de

Der Autor Jürgen Emmert ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Kunstreferat der Diözese Würzburg

Nicht nur für Portugal-Reisende: José Saramago (Nobelpreis für Literatur 1998), Die Portugiesische Reise, Hamburg 2003, S. 86 f.: „Der Reisende kann jetzt schon sagen, dass dieses hier eines der schönsten Museen ist, die er je gesehen hat. Andere haben vielleicht größere Sammlungen, besonders berühmte Einzelstücke oder Ornamente von feinerer Herkunft: Das Museu de Alberto Sampajo aber hält ein perfektes Gleichgewicht zwischen seinen Ausstellungsstücken und deren räumlicher und architektonischer Umgebung. Die Zurückgezogenheit und die ungleichmäßige Form des Kreuzganges im Kloster der Nossa Senhora da Oliveira fesseln den Reisenden, am liebsten würde er ewig hier bleiben und sich ausgiebig die Kapitelle und Spitzbögen ansehen, und da es überall sowohl schlichte als auch handwerklich ausgereifte Figuren zu sehen gibt, die alle durchweg wunderschön sind, läuft der Reisende Gefahr, zu erstarren und sich keinen Schritt mehr fortzubewegen.“

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