Wohin sollen wir gehen? Joh 6,66-69

Predigt vom 3. Juli 2016 Pfr. Philipp Widler Evang. Tägerwilen-Gottlieben Wohin sollen wir gehen? – Joh 6,66-69 Einleitung Die Schweiz ist an der E...
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Predigt vom 3. Juli 2016

Pfr. Philipp Widler

Evang. Tägerwilen-Gottlieben

Wohin sollen wir gehen? – Joh 6,66-69 Einleitung Die Schweiz ist an der EM ausgeschieden. Nichts Neues eigentlich. Und doch sind zwei Dinge neu gewesen: Einerseits hätten sie das Weiterkommen verdient gehabt. Und andererseits gibt es dieses Mal immerhin ein tolles Wort, um den Abschied von den Schweizern aus dem Turnier zu beschreiben: „Schwexit“. Mit dem Brexit ist eine ganze Flut an „Exits“ über uns hereingebrochen. Wer in einer Sitzung raus muss, weil er ein Telefon bekommt, macht den Telexit, am Morgen stehen wir nicht mehr auf, sondern machen den Bettxit und wer bei der Predigt einschläft, macht den Prexit. Diese Wortspielerei kann man auch auf den heutigen Predigttext anwenden. Da ist nämlich die Rede davon, wie viele Jünger von Jesus den „Jexit“ gemacht haben, sprich sich entschieden haben, Jesus nicht mehr weiter nachzufolgen. Ich lese aus Johannes 6, die Verse 66 bis 68. [Jh 6,66-68: 66 Von da an wandten sich viele seiner Jünger von ihm ab und folgten ihm nicht mehr nach. 67 Da fragte Jesus die Zwölf: »Werdet ihr auch weggehen?« 68 Simon Petrus antwortete: »Herr, zu wem sollten wir gehen? Nur du hast Worte, die ewiges Leben schenken. 69 Wir glauben und haben erkannt, dass du der Heilige Gottes bist.«]

1. Jesus macht sich keine „Jexit“-Sorgen Ich lese nochmals Vers 66: [Jh 6,66: 66 Von da an wandten sich viele seiner Jünger von ihm ab und folgten ihm nicht mehr nach]. Claude Longchamps rückt seine Fliege zurecht und verkündet dann düster die neusten Zahlen: „Jesus, deine Umfragewerte sind im Keller.“ Der Publicitymanager springt von seinem Stuhl auf und fängt hektisch an, auf dem Flipchart herumzukritzeln: „Wir müssen sofort eine Werbekampagne starten. Und vielleicht wäre ein Auftritt in der Schweizer Illustrierten von Vorteil?“ Da entgegnet der Pressechef: „Moment, Moment, zuerst müssen wir mal eine Pressemitteilung rauslassen und die kritischen Aussagen ein bisschen abdämpfen. Deine letzten Aussagen sind ungeschickt gewesen, damit hast du viele Leute verärgert.“ Jesus nickt bedrückt und sagt leise: „Zum Glück habe ich euch. Ich wüsste nicht, was ich sonst tun würde.“ Jesus hat mit seinen klaren und herausfordernden Worten viele von seinen Nachfolgern verärgert, was zu einem massiven „Jexit“ geführt hat. Aber das Gedankenspiel, das ich gerade geschildert habe, ist eben gerade nicht die Reaktion von Jesus gewesen. Viele würden so reagieren. Wir beobachten das gerne kritisch bei Politikern, aber ehrlicherweise würden wir wahrscheinlich sehr ähnlich reagieren. Es gibt wenige Menschen, die gar nichts auf Beliebtheit geben. Jesus ist ein solcher Mensch gewesen. Er hat den „Jexit“ sicher wahrgenommen und ich bin sicher, dass es ihn auch bewegt hat. Aber es hat ihn nicht dazu bewegt, seine Aussagen abzumildern oder gar abzuändern. Er hat gewusst: Sein Auftrag ist nicht, beliebt zu sein oder zu sagen, was die Menschen hören wollen, sondern das Wort von Gott zu predigen. Das rettet und erlöst, aber es erregt eben auch Anstoss. Das heisst: Er hat nichts falsch gemacht, dass ihm viele jetzt den Rücken zukehren. 1

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Und im Gegensatz zu vielen andere richtet er sich nicht an diejenigen, die gehen. Er fragt sie nicht: „Warum geht ihr? Was muss ich anders machen?“ Stattdessen fragt er diejenigen, die noch da sind: [Jh 6,67: 67 Da fragte Jesus die Zwölf: »Werdet ihr auch weggehen?«]. Jesus lässt ihnen die Freiheit. Er lässt ihnen offen, ob sie auch gehen wollen. Offensichtlich sind die zwölf Jünger ja noch da, sonst könnte er sie ja gar nicht befragen. So gesehen ist die Frage eigentlich: Habt ihr euren Plan, zu gehen, einfach noch nicht umgesetzt oder was hält euch bei mir?

2. Der „Jexit“ ist keine Alternative! Petrus und die anderen 11 Jünger haben nicht vor auch zu gehen. Der Jexit ist für sie keine Option. Ich lese nochmals Vers 68: [Joh 6,68: Simon Petrus antwortete: »Herr, zu wem sollten wir gehen? Nur du hast Worte, die ewiges Leben schenken.]. Es geht hier um die Frage von der Nachfolge oder mit anderen Worten: „wem folge ich nach?“ Man kann woanders hingehen und immer noch ein Nachfolger von Jesus sein. Der Weggang von den anderen Jüngern ist ja nicht ein geographischer Vorgang, sondern ein innerlicher: Sie sind nicht einfach mal kurz ausgetreten, sie haben sich bewusst von Jesus abgewendet, eben einen echten Jexit vollzogen. Doch die Frage ist: Wohin respektive zu wem sind sie dann gegangen? Petrus zeigt es mit seiner Aussage: Die Frage ist nicht „Jesus nachfolgen Ja oder Nein“, sondern wem folgt man nach? Jeder Mensch ist ein Nachfolger. Es gibt immer Philosophien, Wahrheiten, Glaubenssätze, Menschen, an denen wir unser Leben ausrichten. Viele Menschen haben das Gefühl, sie seien frei, doch gerade z.B. die Werbeindustrie zeigt uns ja gut, wie wir Menschen uns beeinflussen lassen. Oder glauben Sie, es würden jährlich alleine in der Schweiz über 5 Milliarden Franken für Werbung ausgegeben, wenn man damit niemanden beeinflussen könnte? Es ist die Frage, die sich jeder Mensch stellen muss: Wem folge ich nach? Wem gebe ich die Erlaubnis, meine Überzeugungen und Entscheidungen zu prägen? Jesus nicht nachzufolgen, ist nicht nur eine Entscheidung gegen ihn, sondern auch die Entscheidung, sich von anderen lenken zu lassen. Je weniger bewusst man so eine Entscheidung fällt, desto mehr wird man unbewusst gelenkt. Die Werbung als Beispiel habe ich schon genannt. Sie führt uns gerne dazu, dass wir einem unrealistischen Idealbild nachfolgen: Ich brauche dies und jenes um glücklich zu sein oder ich muss so und so schlank, hübsch, fit, erfolgreich sein. Oder wir folgen Menschen nach, die ein bestimmtes Idealbild geprägt haben: Wenn du dieses oder jenes nicht erreichst oder nicht kannst, dann bist du nichts. Aber warum sollte man denn ausgerechnet Jesus nachfolgen? Petrus formuliert es so: „Du hast Worte des ewigen Lebens.“ Mit dem „du hast“ rückt Jesus als Person ins Zentrum. In der Nachfolge von Jesus geht es nicht um eine schöne Tradition oder um eine besonders Lebensphilosophie, sondern um eine Beziehung. Jesus „hat“ die Worte vom ewigen Leben. Das heisst: Nur wer bei ihm ist, hat auch Anteil daran. Viele Leute geben heute an, dass sie den weisen Worten von Jesus folgen, dass sie sein Vorbild inspirierend finden. Tatsächlich folgt man so aber nur einer selbstgemachten Vorstellung von Jesus respektive dem, was andere aus der Botschaft von Jesus gemacht haben. Jesus nachfolgen können wir nur, wenn wir „bei ihm sind“, d.h. wenn wir seine Führung und Hilfe suchen im Gebet und wir uns von seinem Wort in der Bibel prägen lassen. 2

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In der Bibel lernen wir, wer wir sind und wie wir von Gott angenommen sind. „Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein“. Wir haben so viele andere Stimmen um uns herum, wenn wir da der Stimme von Gott nie Raum geben, um zu uns zu reden, dann werden wir automatisch irgendwann diesen anderen Stimmen nachfolgen. Deshalb ist es für unser eigenes Wohl entscheidend, dass wir Zeiten vom Gebet und vom Bibellesen haben, damit er zu uns reden kann. Warum nicht z.B. anfangen eine bestimme Tätigkeit wie das Zähneputzen, mit einem inneren Gebet zu verbinden. Oder eine Mahlzeit z.B. das Frühstück immer mit dem Lesen von einem kleinen Bibelabschnitt verbinden? Nur so bekommen wir Anteil an den „Worten des ewigen Lebens“. Natürlich ist in dieser Bezeichnung die Perspektive auf ein Leben über den Tod hinaus drin. Durch seinen Tod am Kreuz und seine Auferstehung hat Jesus den Weg zu diesem ewigen Leben frei gemacht für alle, die dieses Geschenk annehmen und sich Jesus anvertrauen. Sie dürfen mit der Zuversicht leben, dass der Schmerz und das Leid und all die kleinen und grossen Ungerechtigkeiten, die unser irdisches Leben prägen, nicht das letzte Wort haben. Das ist nicht einfach eine Vertröstung. Im Gegenteil, gerade dieses Bewusstsein kann im Hier und Jetzt Hoffnung und Trost spenden. Schon alleine deshalb haben diese „Worte des ewigen Lebens“ schon viel mit unserem Leben im Heute zu tun. Aber für Petrus ist es sicher um mehr gegangen als das ewige Leben und die Hoffnung darauf. Ja, er hat in Jesus auch Orientierung und Halt gefunden auch für das Leben diesseits vom Tod. Dieses ewige Leben wartet nicht einfach irgendwo, eines Tages auf uns, sondern es fliesst in unser Leben jetzt schon hinein. Wenn wir Jesus nicht nachfolgen, dann jemand anderem. Aber meint dieser es wirklich gut mit uns? Viele Leute dienen heute Philosophien oder Ideen, für die sie letztlich nur Mittel zum Zweck sind. Bei Jesus dagegen findet sich echte und tiefe Liebe, Annahme, Vergebung und einen Sinn für unser Dasein, der dem entspricht, wofür wir geschaffen worden sind. Das verändert unseren Umgang: Mit uns selbst und mit unserem Nächsten. Warum sind dann viele Jünger davongelaufen? Weil Jesus absolut radikal ist. Weil es bedeutet, allen anderen Ideen und Philosophien die Nachfolge zu kündigen und gleichzeitig die Illusion aufzugeben, dass wir unabhängig und frei sind und selber über unseren Weg bestimmen können. Nichts von dem machen wir gerne. Wir hängen an der Vorstellung, selbstbestimmt zu sein, das gehört zu unserer sündigen Natur dazu. Aber Jesus nachzufolgen bedeutet auch, darauf zu vertrauen, dass hinter dieser schmerzhaften Selbstaufgabe und diesem Verzicht auf unsere vermeintliche Freiheit ein Leben liegt, das viel tiefer und erfüllender ist. Diese Tiefe haben die 12 Jünger gespürt oder zumindest erahnt, als sie sich hier zu Jesus bekennt haben. Diese Tiefe hat seither viele Millionen Menschen Jesus nachfolgen lassen. Und so auch mich. Als Jugendlicher habe ich eine sehr schwierige Familiensituation erlebt. Daneben habe ich sowieso als Jugendlicher meinen Platz in der Welt gesucht. An wem orientiere ich mich? Meine Eltern sind kein Fixpunkt gewesen und als Aussenseiter ist es auch schwierig gewesen, in Freunden eine Orientierung zu finden. In dieser Zeit habe ich in der Jugendarbeit Jesus und seine „Worte vom ewigen Leben“ kennenlernen dürfen. Und sie haben mich an den Punkt gebracht, wo auch ich gesagt habe: „Wohin soll ich gehen, du hast Worte vom ewigen Leben.“ Ich bin trotzdem immer wieder anderen nachgefolgt, habe gezweifelt, habe mich verwirren lassen. Und doch bin ich immer wieder an den Punkt gekommen, an dem ich meine Nachfolge bestätigt habe. Und über die letzten gut 15 3

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Jahre habe ich in so vielen Situationen Gottes Führung, Liebe und Trost erlebt, dass ich mehr denn je sagen muss: „Wohin soll ich gehen, du hast Worte des ewigen Lebens.“ Auf welcher Grundlage bauen wir unser Leben? Aus dem Vertrauen und Hören auf Gott? Lassen wir uns von Jesus auffordern zu einer radikalen Nachfolge? Oder lassen wir uns leiten, von dem was andere uns sagen oder was wir vermeintlich selber denken, was das Beste ist?

3. Vorsicht: Ansteckungsgefahr! Ich lese nochmals Vers 69: [Joh 6,69: Wir glauben und haben erkannt, dass du der Heilige Gottes bist.«]. Petrus sagt hier in aller Deutlichkeit, dass Jesus der von Gott gesandte Retter ist. Das ist aber keine intellektuelle Erkenntnis gewesen, sondern das Resultat von ihrem gemeinsamen Weg. Petrus sagt: „Wir glauben und haben erkannt“. Grammatikalisch korrekt müsste man eigentlich übersetzen: „Wir haben angefangen zu glauben und zu erkennen und glauben und erkennen noch immer weiter, dass du der Heilige Gottes bist.“ Das heisst: Das Ganze ist ein Prozess, der auch nicht einfach irgendwann fertig ist. Glauben und Erkennen sind fortlaufend Teil vom Weg mit Jesus. Glauben kann zwei Sachen bedeuten: 1. Ich glaube, dass du die Wahrheit sagst oder 2. Ich vertraue dir. Wenn es darum geht, an Jesus zu glauben, dann geht es immer hauptsächlich um das zweite. Alles fängt damit an, Jesus zu vertrauen. Und auch erkennen bedeutet mehr als nur „mir ist ein Licht aufgegangen“. Hier geht es vielmehr auch um ein „kennenlernen“, um ein sich gegenseitig „erkennen“ auf einer sehr tiefen, persönlichen Ebene. Es ist wahrscheinlich kein Zufall, dass „glauben“ vor „erkennen“ kommt. Das ist wie in jeder Beziehung. Am Anfang steht der Schritt vom Vertrauen und dann kommt nach und nach das „Erkennen“ vom anderen, das wiederum das Vertrauen stärkt usw. Es fängt damit an, dass wir Jesus ganz einfach und simpel sagen: „Ich vertraue dir. Ich möchte dir nachfolgen.“ Und dann anfangen den Weg mit ihm zu gehen, indem wir versuchen mehr und mehr über ihn und was er gesagt hat, zu lernen. Das ist auch der Unterschied zu den Jexit-Jüngern. Sie haben sich entschieden, nicht auf Jesus zu vertrauen und dementsprechend hat auch kein „Erkennen“ von ihm mehr stattfinden können. Womit wir wieder bei der Frage sind: Hätte Jesus nicht etwas tun müssen, damit sie nicht davonlaufen? Eigentlich hat er das. Aber ganz anders als wir es erwarten. Statt den Jexit-Jüngern nachzulaufen, zu ergründen was schief gelaufen ist, konzentriert er sich auf diejenigen, die geblieben sind. Er fragt sie in aller Freiheit: „Werdet ihr auch weggehen?“ Jesus zwingt niemanden in seine Nachfolge. Und doch verspüren die 12 Jünger einen inneren Zwang nämlich, dass es für Sie keine Alternative mehr gibt zu einer Nachfolge von Jesus, weil sie bei ihm eine Qualität von Leben kennengelernt haben, die es nirgendwo sonst gibt. Und genau aus dieser tiefen Überzeugung und Beziehung zu Jesus ist eine Bewegung entstanden, die die Welt für immer verändert hat und Millionen in die Nachfolge von Jesus gerufen hat. Ich glaube fest daran, dass wir auch heute noch den Auftrag haben Menschen in die Nachfolge von Jesus zu rufen. Aber nicht weil wir die beste Philosophie, die schönsten Rituale oder das durchdachteste Glaubenssystem haben, sondern weil wir eine Beziehung zum lebendigen Gott anbieten können, die dem Leben eine einmalige Tiefe und Perspektive geben kann. Auch heute noch laufen viele vor Jesus davon oder wollen von vornherein nichts mit ihm zu tun haben. Und viele Kirchen rennen heute diesen Menschen nach und versuchen herauszufinden, was alles schief 4

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gelaufen ist. Ich glaube aber: Die erste Aufgabe gilt uns. Wir müssen Jesus die Frage beantworten: „Werdet ihr auch weggehen?“ Und wenn nicht, wenn auch wir sagen können „Herr, zu wem sollten wir gehen? Nur du hast Worte, die ewiges Leben schenken“, dann werden wir sehen, wie durch unser Vertrauen auf Jesus wir auch immer mehr von ihm lernen und ihn mehr und mehr erkennen. Und ich bin überzeugt, dass ein solches Leben auch ansteckend sein wird für andere. Amen

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