Wissenschaftliche Bewertung osteopathischer Verfahren

Wissenschaftliche Bewertung osteopathischer Verfahren I Definition Frage 1: Die Aussage ist nicht zutreffend, wenngleich es unterschiedliche Definiti...
Author: Dörte Tiedeman
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Wissenschaftliche Bewertung osteopathischer Verfahren

I Definition Frage 1: Die Aussage ist nicht zutreffend, wenngleich es unterschiedliche Definitionen der ärztlichen osteopathischen Medizin und der nicht-ärztlichen Osteopathie gibt. Die ärztliche osteopathische Medizin ist sowohl in den USA und Kanada gleichberechtigt neben der ärztlich allopathischen Medizin definiert, wobei osteopatisch ausgebildete Ärzte den Grad eines Doctor of Osteopathic Medicine D.O. erwerben, die allopathisch ausgebildeten Ärzte den eines Medical Doctor M.D. Beide können alle fachärztlichen Weiterbildungen absolvieren. Insbesondere im Sanitätsdienst der US-Army sind mehr D.O. als M.D. oder solche mit beiden Ausbildungen vertreten. Frankreich hat 2006 ein entsprechendes Gesetz erlassen, welche Qualifikationen osteopathisch qualifizierte Ärzte haben müssen und welche Qualifikationen nicht-ärztliche Osteopathen benötigen. In diesem Gesetz wird auch geregelt, welche Leistungen die nicht-ärztlichen Osteopathen erbringen dürfen und welche im Unterschied zu den Ärzten nicht erbracht werden dürfen. In England ist es sehr ähnlich, in der Schweiz inzwischen auch, also in beiden Ländern existieren eigenständige Heilberufe Osteopath. Weltweit ist die Situation ähnlich. Das European Register of Osteopathic Physicians (EROP) hat die ärztliche Osteopathische Medizin klar definiert (www.erop.org). Das European Register of Professional Osteopath (ERPO) hat dies für die nicht-ärztlichen Osteopathen, welche heilberuflich ohne Heilpraktikerzulassung ihren Beruf ausüben dürfen, ebenfalls definiert (www.erpo.org). Osteopathische Behandlungsverfahren sind ebenfalls definiert, wobei es hinsichtlich der parietalen Osteopathie (hier Manuelle Medizin genannt) Überschneidungen und Unschärfen gibt, siehe die ganzen muskulären Techniken. Frage 2: Ja, das ist ein Problem, denn zumindest in Deutschland, Österreich und der Schweiz gibt es entsprechend klare Begrifflichkeiten. Die Manuelle Medizin befasst sich im Rahmen der üblichen diagnostischen und therapeutischen Verfahren mit reversiblen Funktionsstörungen am Haltungs- und Bewegungssystem. Sie benutzt dabei alle manuellen diagnostischen und therapeutischen Techniken an der Wirbelsäule und an den Extremitätengelenken, die zur Auffindung und Behandlung dieser Störungen dienen. In Deutschland war der Begriff „Chirotherapie“ Synonym der internationalen Bezeichnung „Manuelle Medizin“, heute schon mit Übergängen zur Muskulo-Skeletalen Medizin. (Grundbegriffe der Manuellen Medizin, Hrsg. H.Baumgartner, J. Dvorak, T. Graf-Bau-mann, B.Terrier, Springer-Verlag Heidelberg 1993)

Ob nun die Manuelle Medizin aus der Osteopathie kommt oder umgekehrt, ist ein nicht zielführender Streit um die Henne und das Ei.

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Der ursprünglichen Entwicklung der Osteopathie liegt eine spezielle Philosophie zugrunde, insbesondere, was die Aktivierung der Selbstheilungskräfte betrifft. Lässt man diese Philosophie außer Acht und befasst sich mit den Untersuchungs- und Behandlungstechniken der Osteopathie, so können allopathische Verfahren sinnvoll und wirksam mit denen der Osteopathie verbunden werden. Das trifft vor allem für die muskulären und fascialen Behandlungsmethoden zu, aber auch für die viscerale Osteopathie, während bei der cranio-sacralen Osteopathie unsererseits Bedenken bezüglich der Wirkungstheorie und der wissenschaftlichen Evidenz bestehen. Die „Chiropraktik“ ist die durch Heilpraktiker ausgeübte Form der Chirotherapie, wobei leider in den Gebührenordnungen für Ärzte der Begriff „chiropraktischer Eingriff“ auftaucht. „Manualtherapie“ ist kein offizieller Begriff, sondern eine Umgangsform mit dem offiziellen Begriff Manuelle Medizin. Zu beachten ist allerdings, dass in den Empfehlungen der Spitzenverbände der GKV die sog. Zulassungserweiterungen für Physiotherapeuten u.a. eine spezielle Qualifikation für die Erbringung von Leistungen der „Manuellen Therapie“ fordern. Frage 3: Diese Frage ist nicht ohne weiteres zu beantworten. Ein Grund dürfte das o.g. Zitat von der Henne und dem Ei sein. Wesentlich sachlicher argumentiert bedeutet die Manuelle Medizin eine Zusatzqualifikation, die sich in erster Linie auf das muskulo-skeletale System bezieht (unter Einbindung der funktions- und neuroanatomischen Strukturen auch innerer Organe). Die Osteopathie ist eine auf einer Gesamtphilosophie basierende Medizin, die natürlich auch auf der Anatomie, Physiologie usw. basiert wie die allopathische Medizin. Frage 4: Nein, ich stimme dieser Auffassung (noch) nicht zu. Bestimmte osteopathische Techniken, wie sie heute von der Gründungsgesellschaft DGOM (Deutsche Gesellschaft für Osteopathische Medizin) gelehrt werden und von den anderen Seminaren der Deutschen Gesellschaft für Manuelle Medizin (ÄMM und MWE) in deren Curricula übernommen wurden, können Erweiterungen der Manuellen Medizin bedeuten, wobei manche davon bereits jetzt Gegenstand der Weiterbildung zur Zusatzbezeichnung Manuelle Medizin sind. Ich halte es aber für unsinnig, davon zu sprechen, dass die Osteopathie per se als Bestandteil und Erweiterung der Manuellen Medizin anzusehen ist, denn dann müsste man auch deren Philosophie übernehmen und nicht nur bestimmte wirksame Untersuchungs- und Behandlungstechniken. Sicher gibt es auch in Deutschland Ärzte, welche eine Osteopathische Medizin im ganzheitlichen Sinn ausüben und dabei regen Zulauf von Patienten/innen und Erfolge haben. Dies war auch der Grund, warum die DGOM einen Indikationskatalog erarbeitet, diesen über drei Jahre evaluiert und revidiert, auf dessen Basis analoge Abrechnungsziffern als Empfehlungen erarbeitet und diese mit einer ganzen Reihe von PKVen vereinbart hat. Seit 2007 ist indirekt auch die Deutsche BKK daran beteiligt. Frage 5: Zunächst bedeutet AAO nicht American Association of Osteopathy“, sondern „American Academy of Osteopathy“, welche die akademischen Strukturen der US-Amerikanischen

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Osteopathischen Medizin repräsentiert, während die AOA das osteopathische Pendant zur AMA ist. Insofern ist die AAO keine Schule, sondern eine akademische Vereinigung der verschiedenen osteopathischen universitären Colleges. Wie schon oben ausgeführt, beruht auch das Studium der Osteopathischen Medizin auf den gleichen Grundlagen wie das der Allopathischen Medizin, aber ergänzt um eine spezielle Philosophie. Die Auffassung, es handele sich um eine von der „naturwissenschaftlich basierten westlichen Medizin zu unterscheidende osteopathische Medizin“ wäre zu oberflächlich. Spezielle osteopathische Verfahren und deren Begründungen (Hypothesen) erfüllen derzeit nicht die Voraussetzungen einer Evidence based Medicine z.B. die cranio-sacrale Osteopathie. Nun erfüllen natürlich auch nicht wenige Verfahren unserer sog. Westlichen Medizin nicht die Kriterien einer EbM, aber zumeist denen einer Good clinical Practice, was auch für die osteopathische Medizin zutrifft. II Wirksamkeit und Sicherheit osteopathischer Verfahren Frage 6: Ich stimme dieser Beurteilung der Gutachter zu, da ich selbst eine entsprechende Untersuchung für die WHO durchgeführt und die Literatur zusammengestellt habe. (The legal status of manual therapies worldwide, WHO 2006, revised edition 2008)

Frage 7: Ich stimme dieser Beurteilung der Gutacher zu, wobei der Einsatz der Osteopathischen Medizin im Säuglings-, Kindes- und Jugendalter noch wenig dokumentiert ist, aber zumindest interessante Case reports publiziert wurden z.B. zu unklaren kindlichen Schmerzsyndromen (muskulär und abdominal). Für die Fibromyalgie hat die Deutsche Gesellschaft zum Studium des Schmerzes (DGSS) soeben einen Leitlinienentwurf vorgelegt, in dem nur periphere Aussagen zur Wirksamkeit osteopathischer muskulärer Verfahren gemacht wurden, die man aber der manuellen Therapie zugeordnet hat. Frage 8: Ich stimme dieser Beurteilung zu. Frage 9: Teilweise JA. Nimmt man aus der parietalen Osteopathie die in der ärztlichen Manuellen Medizin bekannten Manipulationstechniken an der HWS und den Kopfgelenken, so ist die Risikosituation hinlänglich bekannt (Dissektionsverletzungen hirnversorgender Halsgefässe). Nun wenden osteopathisch tätige Mediziner diese Techniken i.d.R. nicht an, weshalb sie diejenigen der cranio-sacralen Osteopathie bevorzugen. In den USA muss der osteopathische Arzt eine spezielle Zusatzqualifikation erwerben, wenn er „manipulative techniques“ einsetzen will. Hinsichtlich der cranio-sacralen Techniken sind leichte bis schwerwiegende psychsomatische Reaktionen dokumentiert worden, von vorrübergehenden vegetativen Reaktionen bis hin zu schweren anhaltenden Depressionen. Wissenschaftlich Untersuchungen dazu kenne ich nicht. Von der visceralen Osteopathie sind derzeit keine spezifischen Risiken bekannt.

- 4– Allerdings wird bei den genitalen und analen Untersuchungs- und Behandlungsverfahren eine entsprechende Aufklärung und Sorgfalt besonders betont. Frage 10: Die Publikationslage sowohl hinsichtlich der nationalen als auch der internationalen Literatur ermöglicht keine andere Aussage, insofern stimme ich diesen Feststellungen zu. Frage 11: Keine bekannt. Frage 12: Ich stimme zu, kenne aber die spezifischen Gefahren der Physikalischen Medizin nicht gut genug, hingegen die der Manuellen Medizin aufgrund eigener und anderer Studien und diversen Publikationen darüber sehr gut. Frage 13: Ich stimme zu. Die DGOM hat von Anfang an verlangt, dass ein Arzt erst dann die osteopathische Fortbildung abschließend absolvieren kann, wenn er eine abgeschlossen Facharztweiterbildung und die Zusatzbezeichnung Manuelle Medizin erworben hat. Außerdem verlangt das Diplom Osteopathische Medizin D.O.M.TN einen drei-jährigen Nachweis, an bestimmten Qualitätssicherungsmaßnahmen teilgenommen zu haben, sonst verfällt es, was wiederum bedeutet, dass der/die Arzt/in aus dem Register genommen wird, welches den Krankenversicherungen zur Verfügung gestellt wird. Hinsichtlich der Delegation osteopathischer Leistungen an nicht-ärztliche osteopathisch tätige Berufe vertritt die DGOM die Auffassung, dass lediglich besimmte osteopathische Untersuchungs- und Behandlungstechniken an Physiotherapeuten vermittelt werden können, welche diese im Rahmen einer ärztlichen Verordnung beim Patienten einsetzen und selbständig abrechnen dürfen. Dazu ist dann kein Heilpraktiker-Status erforderlich. Das wurde u.a. 2005 durch die DGOM so mit der ständigen Konferenz der Ländergesund-heitsminister besprochen. Frage 14: Grundsätzlich JA, aber auch der delegierende Arzt muss eine osteopathische Qualifikation haben. Frage 15: Eine Umfrage der ständigen Konferenz der Ländergesundheitsminister im Vorfeld unseres Gespräches 2005 bei den Länderministerien hat eindeutig ergeben, dass Osteopathie als Heilkunde zu betrachten ist und nur wie oben beschrieben teilweise von entsprechend qualifizierten Ärzten an entsprechend qualifizierte Physiotherapeuten delegierbar ist. Diese Unterlagen können hier eingesehen werden. Allerdings gelten in anderen Ländern, wie unter Frage 1 beschrieben, andere Voraussetzun-gen. -

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Frage 16: Siehe Antwort auf die Frage 13.

Teningen, den 25.03.2008

Prof.Dr. Toni Graf-Baumann Hauptgeschäftsführer Deutsche Gesellschaft für Muskulo-Skeletale Medizin (DGMSM) Geschäftsführer Deutsche Gesellschaft zum Studium des Schmerzes, Deutsche Schmerzgesellschaft (DGSS/DSG) Akademischer Beirat Deutsche Akademie für Angewandte Sportmedizin (DAASM) Member FIFA Sportsmedical Committee, Chairman FIFA Doping Control Sub-Committee Vorsitzender des Stiftungsrates der Athenaeum-Stiftung Dr. Dietrich Götze Chefredakteur des Hessischen Ärzteblattes (Landesärztekammer Hessen) Schillerstr. 14 D-79331 Teningen T 07641-92240 F 07641-922410 M 01 71 17 50 350 [email protected]