Wirtschaft und Arbeitsmarkt

1 Wirtschaft und Arbeitsmarkt 1.1 Saarländische Wirtschaft von der Konjunkturschwäche im Euroraum besonders betroffen Die saarländische Wirtscha...
Author: Helga Stieber
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1

Wirtschaft und Arbeitsmarkt

1.1

Saarländische Wirtschaft von der Konjunkturschwäche im Euroraum besonders betroffen

Die saarländische Wirtschaft konnte im jüngsten Wirtschaftsaufschwung besonders profitieren. Allerdings dürfte sie wegen ihrer starken Orientierung auf Exporte von Industriegütern in den Euroraum von der Rezession in einigen europäischen Ländern in Mitleidenschaft gezogen werden. Seit vergangenem Jahr ist das internationale Umfeld der deutschen und der saarländischen Wirtschaft instabiler geworden. Zwar ist in den USA, China und einigen Schwellenländern das Wirtschaftswachstum noch hoch. Doch gerade in den für die deutsche und die saarländische Wirtschaft entscheidenden Ländern Europas wachsen die Risiken. Die allgemeine Verunsicherung als Folge der europäischen Finanz- und Schuldenkrise und die strikte Sparpolitik trieben die südeuropäischen Mitgliedsländer des Euroraums in eine tiefe Rezession, die dort für das ganze Jahr 2012 prägend sein dürfte. In Frankreich, dem wichtigsten ausländischen Handelspartner für Deutschland und für das Saarland, ist seit Mitte 2011 die Arbeitslosigkeit gestiegen. Wegen der restriktiven Haushaltspolitik des Staates und der schwachen Reallohnentwicklung dürfte auch in diesem Jahr das Wirtschaftswachstum dort eher schwach ausfallen.1

Aufschwung in Deutschland gebremst Vor diesem Hintergrund ist es überraschend, wie stark sich in Deutschland die Wirtschaftsentwicklung des vergangenen Jahres darstellt. Im Jahr 2011 wuchs das reale Bruttoinlandsprodukt bundesweit um 3,0 %. Angesichts der abgeschwächten Konjunktur im Euroraum ist für das Jahr 2012 in Deutschland allerdings mit einer Abschwächung des Wirtschaftswachstums zu rechnen. So prognostizieren die mit der Gemeinschaftsdiagnose für die Bundesregierung beauftragten Wirtschaftsforschungsinstitute für 2012 ein Wachstum des realen Bruttoinlandsprodukts von 0,9 %. Für den weiteren Jahresverlauf und für 2013 rechnen sie dabei mit einem Anstieg des Wachstums trotz weiterhin schwacher Exporte2. Das makroökonomische Konsortium aus dem IMK, einem französischen und einem österreichischen Partnerinstitut prognostiziert für dieses Jahr in Deutschland nur ein reales Plus von 0,3 %.3

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Wirtschaft und Arbeitsmarkt

1.1 Euroraum: Saar-Wirtschaft besonders betroffen

Wirtschaft und Arbeitsmarkt

1.1 Euroraum: Saar-Wirtschaft besonders betroffen

Hintergrund dieser Prognosen sind der Abschluss des Aufholprozesses nach der Großen Rezession des Jahres 2009, die gebremsten Exporte durch die Rezession in mehreren Ländern des Euroraums sowie gestiegene Energiepreise. Zu den stabilisierenden Faktoren der deutschen Konjunktur zählen vergleichsweise gute Wachstumsaussichten in den USA und in Schwellenländern, die niedrigen Zinsen, außerdem die im Inland derzeit noch zunehmende Beschäftigung im Erwerbssektor, die zusätzliche Arbeitnehmereinkommen schafft. Bei letzterer ist jedoch zu beachten, dass von instabilen und schlecht entlohnten Beschäftigungsverhältnissen nur eine geringe Stärkung der privaten Nachfrage und damit der Binnenkonjunktur ausgeht, da niedrige Löhne (trotz großem Bedarf) nur entsprechend niedrige Konsumausgaben nach sich ziehen und die Unsicherheit von Arbeitsplätzen im prekären Bereich eher ein Motiv für Angstsparen ist. Eine Stütze der Binnenkonjunktur dürfte die Tarifpolitik sein, die dieses Jahr bei den tarifgebundenen Beschäftigten vermutlich für einen leichten Reallohnzuwachs sorgt. Die Finanzpolitik trägt in Deutschland seit Auslaufen der Konjunkturprogramme nicht mehr wesentlich zur Stärkung der Binnennachfrage bei, da sie zunehmend unter den Regeln der Schuldenbremse agiert. Dadurch drosselt sie das Angebot an öffentlichen Dienstleistungen und staatlicher Infrastruktur, obwohl äußerst fraglich ist, ob der Bedarf bereits gedeckt ist.

Saarländische Wirtschaft relativ konjunkturanfällig Das Saarland hat einen überdurchschnittlichen Anteil von exportorientierten und relativ konjunkturanfälligen Industriesektoren, insbesondere die Automobilindustrie, die Stahlproduktion und den Maschinenbau. Dadurch hat das Saarland im wirtschaftlichen Aufschwung überdurchschnittliche Wachstumsraten, leidet aber unter einem Abschwung meistens stärker als andere Regionen (vgl. Grafik 1). So war das Saarland von der Großen Rezession des Jahres 2009 mit einem realen Produktionseinbruch von 7,4 % deutlich stärker betroffen als der Durchschnitt der deutschen Bundesländer (-5,1 %). In den Aufschwung-Jahren 2010 und 2011 lag dagegen die reale Wachstumsrate im Saarland mit Werten von 4,7 bzw. 4,1 % deutlich höher als im gesamtdeutschen Durchschnitt (3,7 bzw. 3,0 %).

Insbesondere im Verarbeitenden Gewerbe war 2011 die Entwicklung im Saarland dynamischer als im deutschen Durchschnitt (vgl. Tabelle 1). Der Umsatz wuchs im Saarland nominal um 15 %, verglichen mit deutschlandweit knapp 11 %. Betrachtet man die im Saarland dominierenden Industriesektoren, ist zu erkennen, dass die Zunahme von Umsatz und Beschäftigung im Fahrzeugbau, im Maschinenbau und in der Roheisen- und Stahlerzeu-

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Grafik 1

Änderungsraten des realen Bruttoinlandprodukts in % 6 4 2 0 -2 -4 Deutschland

-6

Saarland

-8 1992

1994

1996

1998

2000

2002

2004

Quellen: Arbeitskreis VGR der Länder, Statistisches Bundesamt

2006

2008

2010

Arbeitskammer

gung etwas höher lag als bundesweit, während bei der Herstellung von Metallerzeugnissen der Zuwachs etwas niedriger war. Für die Bauwirtschaft war 2011 nach den vorangegangenen Umsatzrückgängen ein Jahr der Erholung. In der saarländischen Bauwirtschaft gab es 2011 eine nominale Umsatzsteigerung von 4,5 %, verglichen mit 12,5 % auf Bundesebene. Der Einzelhandelsumsatz (ohne Kfz) stieg im Saarland im Jahr 2011 nominal um 2,8 %, preisbereinigt nur um 1,6 % (Bund: +2,6 bzw. +0,9 %). Trotz insgesamt gestiegener Beschäftigung und dadurch zusätzlichen Arbeitnehmereinkommen hatte der Einzelhandel also kaum Umsatzzuwachs, was Rückschlüsse darauf zulässt, dass viele der neuen Arbeitsplätze unsicher und schlecht bezahlt sind.

Ob und inwieweit es gelingt, das jüngste Wachstum auch in größeren Wohlstand für die Bevölkerung umzusetzen, hängt davon ab, ob an den Einkommenszuwächsen auch alle Gesellschaftsmitglieder teilhaben, ob neu geschaffene Arbeitsplätze die Perspektive Guter Arbeit bieten und ob das Lebensumfeld der Menschen durch eine leistungsfähige öffentliche Infrastruktur und eine gute Umweltqualität intakt ist.

181

Wirtschaft und Arbeitsmarkt

1.1 Euroraum: Saar-Wirtschaft besonders betroffen

17.986 17.112 15.882

Kraftwagen und Kraftwagenteile

Maschinenbau

Metallerzeugung und -bearbeitung

6.138 4.195 2.712 1.831 1.734 1.243

Nahrungs- und Futtermittel

Gummi- und Kunststoffwaren

Glas, Keramik, Verarb. v. Steinen u. Erden

Elektrische Ausrüstungen

Reparatur u. Instandh. v. Masch. u. Ausrüstungen

DV-Geräte, elektron. u. optische Erzeugnisse

Quelle: Statistisches Bundesamt, Statistisches Landesamt Saarland Neue Wirtschaftszweigsystematik WZ 2008

8.391

Metallerzeugnisse

11.484

83.116

Verarbeitendes Gewerbe insgesamt

Roheisen, Stahl, Ferrolegierungen

Saar

Beschäftigte

210

324

334

311

1.116

1.141

1.781

4.080

5.251

3.691

9.714

25.908

Saar

in Mio. Euro

Umsatz

3,8

6,1

-2,7

-4,9

4,1

1,3

2,7

2,7

3,7

5,5

10,2

4,7

Saar

4,4

-1,6

5,0

2,1

5,1

1,8

5,2

1,1

2,8

3,0

2,6

3,0

Bund

Beschäftigte

Geleistete Arbeitsstunden Umsatz

5,4

8,1

-4,0

-2,6

7,0

1,2

3,9

6,0

6,6

9,1

8,1

5,9

Saar

4,6

-1,2

5,3

3,5

5,8

1,1

7,0

2,3

4,4

6,4

5,9

4,3

Bund

8,6

63,5

-3,2

16,8

15,8

3,0

9,1

24,6

23,5

18,6

13,1

15,1

Saar

2,4

9,7

11,0

8,3

11,5

9,2

14,6

21,9

23,7

14,8

10,7

10,9

Bund

Änderungsraten gegenüber dem Vorjahr in %

Betriebe ab 50 Beschäftigte

Entwicklung im Verarbeitenden Gewerbe im Jahr 2011

Wirtschaftszweig

Tabelle 1

-4,3

.

13,7

.

.

.

13,5

11,5

11,0

15,2

8,0

10,1

Bund

Arbeitskammer

18,6

.

6,3

.

.

.

14,8

18,9

19,7

20,7

10,6

15,0

Saar

Auftragseingang

Wirtschaft und Arbeitsmarkt

1.1 Euroraum: Saar-Wirtschaft besonders betroffen

182

Rezession im Euroraum dürfte das Saarland treffen Die starke Exportorientierung macht die Wirtschaft des Saarlandes anfällig für die Folgen von Krisen, von denen derzeit viele Handelspartner im Ausland betroffen sind. Die krisengeschüttelte Euro-Zone hat an den Exporten des Saarlandes einen Anteil von etwa 48 %, während ihr Anteil an den deutschen Exporten insgesamt nur bei etwa 40 % liegt. Somit dürfte das Saarland von der aktuellen Konjunkturabschwächung im Euroraum stärker betroffen sein als die meisten anderen Bundesländer. Deshalb ist damit zu rechnen, dass das Wirtschaftswachstum im Saarland in diesem Jahr etwas niedriger ausfällt als im Bundesdurchschnitt. Damit dürften im Saarland die am meisten exportorientierten Indus­ triebranchen am stärksten von der Abschwächung der wirtschaftlichen Dynamik betroffen sein. Dazu gehören die größten Branchen des Verarbeitenden Gewerbes: – der Bau von Kraftwagen und Kraftwagenteilen mit einem Jahresumsatz von 9,7 Mrd. Euro und einer Exportquote von 55 %, – die Erzeugung von Roheisen und Stahl mit einem Umsatz von 4,1 Mrd. Euro und einer Exportquote von 52 %, – der Maschinenbau mit einem Umsatz von 3,7 Mrd. Euro und einer Exportquote von 55 %, – die Herstellung von Metallerzeugnissen mit einem Umsatz von 1,8 Mrd. Euro und einer Exportquote von 33 % und – die Herstellung von Gummi- und Kunststoffwaren mit einem Umsatz von 1,1 Mrd. Euro und einer Exportquote von 62 %.4 Indirekt betroffen werden auch die ihnen zuarbeitenden unternehmensnahen Dienstleister sowie die Bauwirtschaft sein. Mit einer stabilen Umsatzentwicklung zu rechnen ist dagegen in den sich an die inländischen Konsumenten richtenden Branchen, insbesondere vielen Dienstleistungssektoren und dem Einzelhandel. Mittelfristig stellt sich die Frage, ob ein Wachstumskonzept, das auf der kontinuierlichen Schaffung von Exportüberschüssen und damit auf der wachsenden Verschuldung ausländischer Volkswirtschaften aufbaut, nachhaltig sein kann. Diese Frage trifft die deutsche Wirtschaft allgemein, aber die stark exportorientierte saarländische Wirtschaft im Besonderen. Eine Volkswirtschaft wie Deutschland, die kontinuierlich mehr produziert als sie selbst verbraucht, sollte mittelfristig die Binnennachfrage stärken und auf hohem Niveau stabilisieren, um nicht anhaltend unter ihren Verhältnissen zu leben. Mit einer Stärkung der Binnennachfrage kann sie die Möglichkeiten zur Realisierung eines höheren Lebensstandards für ihre Einwohner­ innen und Einwohner erschließen, für andere Volkswirtschaften Absatz-

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Wirtschaft und Arbeitsmarkt

1.1 Euroraum: Saar-Wirtschaft besonders betroffen

Wirtschaft und Arbeitsmarkt

1.1 Euroraum: Saar-Wirtschaft besonders betroffen

märkte schaffen und dadurch chronischen Handelsbilanzungleichgewichten sowie deren Entladung in Schuldenkrisen vorbeugen.

1

Vgl. IMK (Düsseldorf), OFCE (Paris), WIFO (Wien): Fiskalpakt belastet Euroraum, Gemeinsame Diagnose des Makro-Konsortiums, IMK-Report 71, März 2012, S. 5.

2

Vgl. Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose: Deutsche Konjunktur im Aufwind – Europäische Schuldenkrise schwelt weiter, Gemeinschaftsdiagnose Frühjahr 2012, München 19. April 2012.

3

Vgl. IMK, OFCE, WIFO, a. a. O., S. 7.

4

Quelle der Daten: Statistisches Amt des Saarlandes: Statistische Berichte E I 1 – m 12/2011 Verarbeitendes Gewerbe sowie Bergbau und Gewinnung von Steinen und Erden im Dezember 2011, Tabelle 5.

184

1.2

Beschäftigungsaufbau weiterhin mit erheblichen Qualitätsproblemen

Der anhaltende wirtschaftliche Aufschwung hinterlässt deutliche Spuren in der Beschäftigtenentwicklung. Am aktuellen Rand liegt die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten um 7.200 höher als im Vorjahr. Trotz aller Erfolge beim Beschäftigungsaufbau: Die Qualität vieler Arbeitsplätze ist nicht gut. Nach dem tiefen Fall der Wirtschaft im Jahr 2009 ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Jahr 2011 im Saarland zum zweiten Mal in Folge deutlich gewachsen, um 4,1 % gegenüber dem Vorjahr, übertroffen nur von BadenWürttemberg. Damit konnte im Jahr 2011 die Wirtschaftsleistung des Jahres 2008 wieder erreicht werden. Die Zeichen stehen zwar weiterhin auf Aufschwung. Trotz der guten Perspektiven ist die Situation aber unübersichtlich. Alle vorliegenden Prognosen gehen für das laufende Jahr von einer Eintrübung der Konjunktur aus und rechnen nur noch mit einem Wachstum von 0,8 bis 1,0 %. Es gibt erhebliche Risiken für die weitere konjunkturelle Entwicklung: Die Finanzkrise und ihren Auswirkungen auf die Exportnachfrage in Deutschland ist längst nicht ausgestanden. Verschärfte Sparprogramme der öffentlichen Haushalte bremsen die Nachfrage im In- und Ausland. Im Saarland selbst sind mit der Verlegung der Zentralen von Praktiker und Peugeot Deutschland viele Arbeitsplätze weggefallen. Dagegen will ZF-Getriebe bis zum Jahresende 1.000 neue Arbeitsplätze schaffen. Die gute Wirtschaftsentwicklung hat im Jahr 2011 wieder zu einem Wachstum der Erwerbstätigkeit im Saarland geführt. Knapp 516.000 Erwerbstätige weist die Statistik aus. Der Höchststand aus dem Vorkrisenjahr 2008 wird um mehr als 5.000 überschritten.

Zunehmende Spaltung am Arbeitsmarkt Allerdings hat das aktuelle Beschäftigungswachstum die langfristigen Trends der Spaltung am Arbeitsmarkt nicht wesentlich entschärft:

 Atypische, zum Teil prekäre Beschäftigungen haben zugenommen, das klassische unbefristete sozialversicherungspflichtige Vollzeitarbeitsverhältnis ist langfristig weiter auf dem Rückzug.

 Insbesondere die Leiharbeit ist, obwohl sie bislang gesamtwirtschaftlich nur einen kleinen Anteil ausmacht, bis zur Jahresmitte 2011 auf einen Rekordwert gewachsen und erst danach leicht gesunken.

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Wirtschaft und Arbeitsmarkt

1.2 Beschäftigungsaufbau weiterhin mit erheblichen Qualitätsproblemen

Wirtschaft und Arbeitsmarkt

1.2 Beschäftigungsaufbau weiterhin mit erheblichen Qualitätsproblemen

 Eine neue Form der sehr prekären Beschäftigung ist in den letzten Monaten in den Blick von Gewerkschaften, Betriebsräten und Öffentlichkeit gerückt: Der steigende und zum Teil missbräuchliche Einsatz von Werkverträgen. Inzwischen taucht diese Art von Beschäftigung, die in der Regel durch extrem niedrige Bezahlung, überlange Arbeitszeiten und schlechte Arbeitsbedingungen gekennzeichnet ist, auch verstärkt im Handel und sogar in der Metallindustrie auf. In der Bau- und in der Schlachtindustrie kennt man solche Beschäftigungsformen schon länger.

 Sozialversicherungspflichtige Teilzeitarbeitsverhältnisse nehmen seit Jahrzehnten über alle Konjunkturphasen hinweg kontinuierlich zu.

 Die Zahl der ausschließlich geringfügig entlohnten Beschäftigten stagniert dagegen, aber die Zahl der Minijobber im Nebenjob wächst ungebremst weiter.

Grafik 1

Strukturwandel der Beschäftigungsformen im Saarland Veränderungen 1990 – 2011 (in 1.000) 44,0

Erwerbstätige insgesamt 5,5

Selbstständige Arbeitnehmer Vollzeit 1)

-37,5 41,6

Arbeitnehmer Teilzeit 2)

40,1

Geringfügig Beschäftigte u.ä. -9,4

Beamte

-5,5

Auszubildende

9,1

Leiharbeitnehmer -50 1)

2)

-40

-30

-20

-10

0

10

20

30

40

50

Sozialversicherungspflichtig beschäftigt; ohne Auszubildende und Leiharbeitnehmer Sozialversicherungspflichtig beschäftigt

Quelle: Arbeitskreis Erwerbstätigenrechnung des Bundes und der Länder, Statistik der Bundesagentur für Arbeit, eigene Berechnungen.

Arbeitskammer

186

Grafik 2

Beschäftigungsentwicklung nach Wirtschaftsbereichen Veränderungen März 2012 im Vergleich zum Vorjahrjahresmonat in % 3,8 4,5

Land -, Forstwirtschaft -5,9

Bergbau, Energie u. Wasser

0,7 2,5 2,2 2,8 2,2 1,6 2,3

Verarbeitendes Gewerbe Baugewerbe Handel Verkehr und Lagerei

Westdeutschland

Gastgewerbe

4,6 3,3 3,6

Information/Kommunikation -1,7

Finanz -/Versicherungsdienstl.

0,7 2,4

Wirtschaftliche Dienstl. darunter Arbeitnehmerüberlassung

-12,0

4,3

0,3 -0,4

Öffentl. Verwaltung.

0,1 3,3 2,6 2,7 2,8

Erziehung/Unterricht Gesundheit, Sozialwesen

1,2 1,1 2,0 2,5

sonst. Dienstleistungen Insgesamt -14

4,5

2,6 2,1

Saarland

-12

-10

-8

-6

-4

Zugrunde liegende Werte für März 2012 sind hochgerechnete Werte der Statistik der Bundesagentur für Arbeit. Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit

-2

0

2

4

6

Arbeitskammer

Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte: +8.700 Der anhaltende wirtschaftliche Aufschwung hat zu einem deutlichen Zuwachs der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung geführt. Zwischen Juni 2010 und Juni 2011 – das ist der letzte Zeitraum, für den differenzierte und vollständige Daten vorliegen – ist die Zahl der Beschäftigten um rund 8.700 auf 358.000 angestiegen.

 Der Anstieg verteilt sich fast gleichmäßig auf Männer und Frauen.

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Wirtschaft und Arbeitsmarkt

1.2 Beschäftigungsaufbau weiterhin mit erheblichen Qualitätsproblemen

Wirtschaft und Arbeitsmarkt

1.2 Beschäftigungsaufbau weiterhin mit erheblichen Qualitätsproblemen

 Wenig vom Aufschwung konnten die Personen ohne abgeschlossene Berufsausbildung profitieren. 3.500 Personen mit abgeschlossener Berufausbildung sind mehr eingestellt (+1,7 %). Einen Beschäftigungszuwachs mit +460 konnten Personen mit akademischer Ausbildung (Hochschule, Fachhochschule) erzielen. Interessant: Der Zuwachs kommt ausschließlich den Frauen zugute.

 Die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Vollzeitarbeitsplätze ist um rund 4.100 gestiegen. Etwas stärker gewachsen ist die sozialversicherungspflichtige Teilzeitbeschäftigung mit einem Plus von 4.400.

Am aktuellen Rand (März 2012) sind nach den vorläufigen Daten der Bundesagentur für Arbeit 364.000 Personen im Saarland sozialversicherungspflichtig beschäftigt, 7.200 mehr als ein Jahr zuvor. Das Plus ist mit 2,0 % gegenüber dem Vorjahresmonat etwas niedriger im Vergleich zu Westdeutschland (+2,5 %).

Fast ein Drittel der zusätzlichen Arbeitsplätze entstand im Verarbeitenden Gewerbe (+2.400). Das Beschäftigungsniveau liegt zwar noch niedriger als vor der Krise, aber ein großer Teil der in der Krise abgebauten Arbeitsplätze ist wieder zurückgewonnen worden. Ein Blick in die Industriestatistik zeigt, dass die beschäftigungsstärksten Branchen im letzten Jahr deutliche Beschäftigungsgewinne verbuchen konnten: Kfz-Industrie +10,2 %, Maschinenbau +5,5 %, Stahlindustrie +3,7 %, Herstellung von Metallerzeugnissen +2,7 %.

Leiharbeit sinkt nach neuem Höchststand Knapp zwei Drittel der zusätzlichen Arbeitsplätze ist im Dienstleistungssektor entstanden, plus 4.500. Mit 2,0 % ist das Wachstum etwas schwächer im Vergleich zu Westdeutschland. In der Leiharbeit wurde mit 11.600 Beschäftigten im Sommer 2011 ein neuer Rekordwert erreicht. Seither geht die Zahl zurück und liegt zuletzt bei unter 10.000. Die Ursache ist unklar. Vielleicht geht es ja noch billiger mit Werkverträgen. Deutliche Beschäftigungsgewinne weist die Branche „Verkehr und Lagerei“ aus (+4,5 %), Folge auch der anhaltend guten Konjunktur im saarländischen Verarbeitenden Gewerbe. Der Handel profitiert nur mäßig vom Aufschwung (+1,6 %). Die Beschäftigungszuwächse im Gesundheits- und Sozialwesen setzen sich fort (+2,7 %). Bildung und Erziehung kann deutlich

188

zulegen. Die Branche Finanzdienstleistungen muss dagegen sogar leichte Beschäftigungseinbußen hinnehmen.

Viele in prekärer Beschäftigung Trotz aller Erfolge bei der Beschäftigtenentwicklung im Saarland: Die Qualität der Arbeitsplätze ist häufig nicht gut: Rund ein Drittel aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist im Saarland inzwischen in prekären Arbeitsverhältnissen beschäftigt. Im Bundesvergleich trifft dies insbesondere für Vollzeitbeschäftigte mit Niedriglöhnen (definiert nach OECD-Standard als weniger als zwei Drittel des mittleren Lohns), geringfügig Beschäftigte sowie Leiharbeitnehmer zu.

Grafik 3

Prekär Beschäftigte im Saarland und Westdeutschland Anteil an allen Arbeitnehmer/innen in % Vollzeit-Niedriglöhner 1)

Minijobber (ausschließlich) 3)

Befristet 4)

Minijobber (Nebenjob) 3) Saarland Leiharbeitnehmer 2)

Westdeutschland

Ein-Euro-Jobber 5) 0

5

10

15

20

25

Anteil an sozialversicherungspflichtig Vollzeitbeschäftigten 2010 (ohne Auszubildende); Quelle: Entgeltstatistik der Bundesagentur für Arbeit 2) WGR 782, 783; Juni 2011; bezogen auf Arbeitnehmer VGR-ETR 2010 3) Juni 2011, bezogen auf Arbeitnehmer VGR 2010 4) 2010, bezogen auf abhängige Erwerbstätige (ohne Auszubildende); Quelle: Mikrozensus 2010 5) Jahresdurchschnitt 2011, bezogen auf Arbeitnehmer VGR 2010; 1)

Quellen: Statistik der Bundesagentur für Arbeit, VGR-Erwerbstätigenrechnung des Bundes und der Länder; eigene Berechnungen

189

Arbeitskammer

Wirtschaft und Arbeitsmarkt

1.2 Beschäftigungsaufbau weiterhin mit erheblichen Qualitätsproblemen

Wirtschaft und Arbeitsmarkt

1.2 Beschäftigungsaufbau weiterhin mit erheblichen Qualitätsproblemen

Im Saarland arbeiten mehr als 22 % aller Vollzeitbeschäftigten (ohne Auszubildende) zu Niedriglöhnen, d.h. sie verdienen brutto weniger als zwei Drittel des mittleren westdeutschen Lohns. Betroffen sind vor allem Beschäftigte im Dienstleistungsbereich, Gastgewerbe (83 % aller Beschäftigten) und Leiharbeit (80 %). Im letzten Jahrzehnt nahm sowohl im Saarland als in Westdeutschland die Niedriglohnbeschäftigung kontinuierlich zu. Die wichtigsten Gründe: Kostensenkungsprogramme in den Unternehmen und politische Entscheidungen zur Ausweitung eines Niedriglohnsektors (z. B. Zumutbarkeit, Hartz-Gesetze). Die Gefahr, zu Niedriglöhnen arbeiten zu müssen, ist nicht gleichmäßig verteilt. Rund 39 % aller vollzeitbeschäftigten Frauen arbeiten im Saarland zu Niedriglöhnen, bei den Männern sind es nur 13 % (jeweils ohne Auszubildende). Überdurchschnittlich betroffen von Niedriglöhnen sind auch Jüngere unter 25 Jahren sowie gering Qualifizierte ohne beruflichen Ausbildungsabschluss.

Grafik 4

Niedriglohnbezieher im Saarland nach Personengruppen 2010 in % Gesamt

22,2

Männlich

13,8

Weiblich

38,5

unter 25 Jahre

52,2

25 bis unter unter 50 Jahre

21,3

50 Jahre und älter

16,3

Deutsche

21,5

Ausländer

29,1

Fach- und Hochschulabschluss

5,2

mit Berufsausbildung

17,3

ohne Berufsausbildung

31,9 0

10

20

30

Auf Basis der westdeutschen Niedriglohnschwelle, 31.12.2010.; Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit: Entwicklung der monatlichen Bruttoarbeitsentgelte von sozialversicherungspflichtig Vollzeitbeschäftigten (ohne Auszubildende); teilweise vorläufig

40

50

60

Arbeitskammer

190

1.3

Arbeitslosigkeit – Aufschwung nimmt nicht alle mit

Mit 33.500 Arbeitslosen liegt die Arbeitslosenzahl in einem Mai zuletzt so niedrig wie vor 30 Jahren. Die Unterbeschäftigung bewegt sich aber immer noch bei über 50.000. Der Aufschwung nimmt auch nicht alle mit. Die Zahl der älteren Arbeitslosen sinkt nur langsam. Langzeitarbeitslosigkeit verharrt trotz leichter Rückgänge auf einem Niveau von mehr als 11.700. Der Einsatz von arbeitsmarktpolitischen Instrumenten ist aufgrund von Sparmaßnahmen deutlich gesunken, trägt aber immer noch wesentlich zur Senkung des Niveaus der Arbeitslosigkeit bei. Der wirtschaftliche Aufschwung hat sich – wenn auch leicht schwächer – im Jahr 2012 im Saarland fortgesetzt. Er schlägt sich nieder in einer weiteren deutlichen Reduzierung der Arbeitslosenzahlen. 33.500 Menschen waren zuletzt, im Mai 2012, im Saarland als Arbeitslose registriert. Niedriger war die Arbeitslosenzahl zuletzt in einem Mai im Jahr 1981. Die Arbeitslosenquote liegt mit 6,6 % um 0,9 Prozentpunkte höher im Vergleich zu Westdeutschland. In der Rangfolge der West-Bundesländer belegt das Saarland einen Mittelplatz. Gegenüber dem April 2011 ist die Arbeitslosigkeit um knapp 600 Personen (-1,7 %) gesunken. Damit ist der Rückgang der Arbeitslosigkeit zuletzt deutlich schwächer geworden. Fehlende konjunkturelle Impulse sowohl aus dem Inland als auch aus dem Ausland schlagen sich jetzt zeitverzögert am Arbeitsmarkt nieder. Hinzu kommen die negativen Auswirkungen von Standortverlagerungen von Unternehmenszentralen aus dem Saarland sowie Unternehmensinsolvenzen auf den Arbeitsmarkt. Nicht alle profitieren aber gleich von der sinkenden Arbeitslosigkeit: Die Zahl der arbeitslosen Frauen sank deutlich stärker als die der Männer. Die Arbeitslosigkeit Jüngerer ist überdurchschnittlich gestiegen, während die Arbeitslosigkeit Älterer und die Zahl der Langzeitarbeitslosen nur durchschnittlich zurückging. Die Spaltung am Arbeitsmarkt ist sehr tief. Inzwischen werden nur noch knapp 30 % aller Arbeitslosen direkt von den Arbeitsagenturen betreut: Das sind die eher kürzere Zeit Arbeitslosen, die Jüngeren und besser Qualifizierten, also die besser Vermittelbaren (= Rechtskreis SGB III). Der größte Teil aller Arbeitslosen, sieben von zehn, wird von den Arbeitsgemeinschaften aus Arbeitsagentur und Kommunen bzw. den optierenden Kreisen St. Wendel, Saarlouis und dem Saarpfalz-Kreis betreut und hat deutlich schlechtere Arbeitsmarktchancen. Besonders schwierig ist die Situation für Personen, die schon längere Zeit arbeitslos sind. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen1

191

Wirtschaft und Arbeitsmarkt

1.3 Arbeitslosigkeit – Aufschwung nimmt nicht alle mit

Wirtschaft und Arbeitsmarkt

1.3 Arbeitslosigkeit – Aufschwung nimmt nicht alle mit

im Saarland steigt in den letzten Monaten sogar und lag bei knapp 11.800 im Mai 2012. Wichtig ist: Die offiziell ausgewiesene Zahl von 34.000 Arbeitslosen verschleiert, dass das tatsächliche Arbeitsplatzdefizit im Saarland sehr viel größer ist. Die Unterbeschäftigung – sie umfasst neben den ausgewiesenen Arbeitslosen auch die nicht als arbeitslos gezählten Teilnehmer arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen – lag zuletzt im Saarland bei 50.000 Personen. Infolge der aktuellen Sparmaßnahmen in der Arbeitsmarktpolitik hat es bei den wichtigsten Instrumenten einen deutlichen Rückgang der Teilnehmerzahlen im letzten Jahr gegeben. Bei der „Aktivierung und berufliche Eingliederung“ sank die Teilnehmerzahl um 45 % gegenüber 2010, bei der beruflichen Weiterbildung um mehr als ein Viertel, bei den Ein-Euro-Jobs um knapp ein Fünftel sowie bei der Förderung der Selbstständigkeit um 10 %.

Grafik 1

Arbeitslose im Saarland: Veränderungen nach Personengruppen Veränderung Mai 2012/2011 in % Arbeitslose ins.

-1,7

Männer

-0,4

Frauen

-3,0 17,5

Unter 25 55 und älter

-2,4

Ausländer

3,8

Langzeitarbeitslose

-1,4

SGB III

6,0

SGB II

-4,5

ohne Berufsausbildung

-2,4

mit Berufsausbildung

-5,5

mit Fachhoch-, Hochschulausbildung

-2,4 -20

Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit

-10

0

10

20

Arbeitskammer

192

Grafik 2

Teilnehmer in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen je 100 Arbeitslose 9,4

Ein-Euro-Jobs 4,7 4,4

Aktivierung und berufliche Eingliederung

6,0 4,6

Weiterbildung

5,5 4,3

Förderung Selbstständigkeit

Saarland Westdeutschland

5,1 0

2

4

6

8

10

Durchschnitt Januar-Dezember 2011 Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit; eigene Berechnungen

Arbeitskammer

Ein deutlicher Einschnitt, der in vielen Fällen wenig sinnvoll ist. Noch sind im Saarland mehr als 34.000 Menschen arbeitslos, davon mehr als 11.700 langzeitarbeitslos. Von letzteren haben rund zwei Drittel keine abgeschlossene Berufsausbildung. Für diese Personen ist die Situation am Arbeitsmarkt besonders schwierig. Dem häufig befürchteten Arbeitskräftemangel wird man kaum mit einer weiter abgespeckten Arbeitsmarkt- und Weiterbildungspolitik begegnen können. Die inzwischen 1.300 Teilnehmer in dem neuen Instrument Bürgerarbeit leisten keinen vollwertigen Ausgleich. Trotz des Rückfahrens der Arbeitsmarktpolitik: Auch im laufenden Jahr ist das Niveau der Arbeitslosigkeit im Saarland durch den Einsatz arbeitsmarktpolitischer Instrumente nach unten gedrückt worden (Maßnahmeteilnehmer gelten nicht als arbeitslos). Insbesondere der Einsatz von Ein-Euro-Jobs ist im Saarland immer noch höher als in Westdeutschland. Auf 100 Arbeitslose kamen im Saarland noch einmal 9,4 Ein-Euro-Jobber, in Westdeutschland sind es nur 4,7 (Januar bis Dezember 2011). Bei anderen Instrumenten wie Berufliche Weiterbildung, Aktivierung und berufliche Eingliederung

193

Wirtschaft und Arbeitsmarkt

1.3 Arbeitslosigkeit – Aufschwung nimmt nicht alle mit

Wirtschaft und Arbeitsmarkt

1.3 Arbeitslosigkeit – Aufschwung nimmt nicht alle mit

sowie Förderung der Selbstständigkeit liegt das Saarland mit den Teilnehmerzahlen inzwischen deutlich niedriger als Westdeutschland. Das Abkühlen der Konjunktur macht sich auch bei den gemeldeten Stellen bemerkbar. Rund 11.500 ungeförderte Stellen sind seit Januar 2012 bei der Arbeitsagentur Saarland gemeldet worden, 4,5 % weniger als im Vorjahreszeitraum. Auf 100 Arbeitslose kam im Saarland im Mai 2012 ein Bestand von 17,7 offenen sozialversicherungspflichtigen Stellen (Westdeutschland 19,4), ein Jahr zuvor waren es nur 13,6.

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Langzeitarbeitslos ist, wer länger als 12 Monate arbeitslos ist. Zu beachten ist aber, dass neben dem Ausscheiden aus der Arbeitslosigkeit wegen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit auch die Teilnahme an Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik sowie Krankheit über 6 Wochen die Arbeitslosigkeit beendet. Bei erneuter Arbeitslosigkeit beginnt dann die Berechnung der Dauer von vorn. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen kann daher nur als grober Indikator für verfestigte Arbeitslosigkeit herangezogen werden und unterschätzt diese in der Tendenz. Vgl. M. Dietz; M. Stops; U. Walwei, 2012: Vollbeschäftigung in Sicht? Zur Lage auf dem Arbeitsmarkt; Aus Politik und Zeitgeschichte, Heft 14-15/2012; Anmerkung 4; S. 23.

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1.4

Die Arbeitsmarktpolitik bleibt für das Saarland wichtig

Angesichts vieler schwer vermittelbarer Langzeitarbeitsloser will die neue saarländische Landesregierung in Zukunft einen eigenen Akzent bei der Arbeitsmarktförderung setzen. 2011 war der Einsatz arbeitsmarkpolitischer Instrumente deutlich rückläufig. Verursacht wurde dies durch die gute Arbeitsmarktlage und die Mittelkürzungen der Bundesregierung bei der Arbeitsmarktförderung insbesondere der Jobcenter. Im Koalitionsvertrag der neuen Landesregierung von CDU und SPD wird im Rahmen der vorgesehenen arbeitsmarktpolitischen Initiativen der öffentlich geförderten Beschäftigung eine wichtige Rolle zugebilligt. Man setzt sich damit inhaltlich von der Bundesregierung ab, die durch drastische Kürzungen bei der Arbeitsmarktförderung und durch die arbeitsmarktpolitische Instrumentenreform die öffentlichen Beschäftigungsförderung an den Rand drängt. Im Koalitionsvertrag der neuen Landesregierung wird die Schaffung eines dauerhaft geförderten öffentlichen Beschäftigungssektors im Saarland in Aussicht gestellt.1 Für ein Landesarbeitsmarktprogramm „Arbeit für das Saarland“ sollen in der Legislaturperiode mindestens 15 Mio. Euro zur Verfügung gestellt werden. Damit plant man trotz der Einsparvorgaben der Schuldenbremse wieder verstärkt Landesmittel für die Arbeitsmarktpolitik einzusetzen. Andere Bundesländer wie z. B. Rheinland-Pfalz und Berlin haben in den vergangenen Jahren vergleichsweise hohe Landesmittelbeträge für arbeitsmarktpolitische Zwecke aufgewandt. Somit stünde das Saarland in diesem Feld nicht alleine da.

Langzeitarbeitslosigkeit bleibt drängendes Problem Die Landesmittelansätze für arbeitsmarktpolitische Zwecke waren im Haushalt in den vergangenen Jahren deutlich reduziert worden. Arbeitsmarktpolitik wurde weitgehend nur noch mit ESF-Mitteln finanziert. Angesichts der schwierigen Lage vieler nicht vermittelbarer Langzeitarbeitsloser und gleichzeitiger drastischer Kürzungen bei den Mitteln der Jobcenter, hat man sich nun zurecht dazu entschlossen, seitens des Landes initiativ zu werden. Im Februar des laufenden Jahres waren im Saarland 11.500 Frauen und Männer als langzeitarbeitslos registriert. Viele von ihnen haben gesundheitliche Einschränkungen bzw. sind ohne Berufsabschluss. 55 Jahre und älter waren knapp 2.900 Langzeitarbeitslose. Zudem wurden 1.450 Ältere nach §53a SGB II nicht mehr als arbeitslos gezählt, da sie nach Vollendung

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1.4 Die Arbeitsmarktpolitik bleibt für das Saarland wichtig

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1.4 Die Arbeitsmarktpolitik bleibt für das Saarland wichtig

des 58. Lebensjahres ein Jahr lang im Leistungsbezug verharrten ohne ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsangebot zu erhalten. Im November 2011 hatte der Saarland-Sozialgipfel, in dem auch die Arbeitskammer und der DGB mitwirken, mit einer „Brücke für Solidarität“ öffentlichkeitswirksam für die Belange schwervermittelbarer Arbeitsloser geworben. Arbeitsministerin Monika Bachmann hatte sich darauf hin dazu entschlossen, einmalig für 2012 zusätzliche Landesmittel in Höhe von rund 1,5 Mio. Euro für die Langzeitarbeitslosenförderung zur Verfügung zu stellen.2 Damit reagierte man einerseits auf Mittelkürzungen des Bundes und andererseits auf die bereits ausgeschöpften Finanzmittel im Operationellen Programm des Europäischen Sozialfonds für das Saarland. Das Zusammenwirken dieser Mittelengpässe hat bei den arbeitsmarktpolitischen Trägern eine sehr schwierige Lage entstehen lassen. Die Infrastruktur zur Förderung Langzeitarbeitsloser wird dadurch gefährdet.

Weniger öffentliche Beschäftigungsförderung Bei der Zahl vormals Arbeitsloser, die sich in Maßnahmen der Beschäftigungsförderung befinden, blieb der ganz große Einbruch nur aufgrund der zeitlich befristeten Bürgerarbeit, die bis Ende der ESF-Förderperiode im Jahr 2013 läuft, aus. Die saarländischen Grundsicherungsträger (Jobcenter) waren bei der Akquirierung von Mitteln aus dem Bundes-ESF-Programm der Bürgerarbeit sehr erfolgreich, so dass im Dezember 2011 sich schon mehr als 800 Frauen und Männer in der Beschäftigungsphase der Bürgerarbeit befanden. Der Beschäftigungsphase geht eine halbjährige Aktivierungsphase voraus, in der intensiv versucht werden soll, eine Vermittlung der ausgesuchten Personen in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu erreichen. Wie Grafik 1 zeigt, stehen dem Zuwachs bei der Bürgerarbeit in hohem Maße wegfallende Arbeitsgelegenheiten und in ihrer Zahl stark rückläufige Maßnahmen mit Beschäftigungszuschuss gegenüber. So sank die Zahl der Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandspauschale (Ein-Euro-Job) von Dezember 2010 bis Dezember 2011 um mehr als 1.300. Von der Arbeitskammer war in der Vergangenheit die übermäßige Nutzung dieser Variante der Beschäftigungsförderung aus qualitativen Gründen kritisiert worden. Dabei wurde allerdings betont, dass Alternativen der Beschäftigungsförderung nach wie vor erforderlich sind. Die 2011 von der Bundesregierung beschlossene Instrumentenreform engt die Handlungsmöglichkeiten bei der Beschäftigungsförderung massiv ein, da die Entgeltvariante der Arbeitsgelegenheiten, bei der es sich im Unterschied zum „Ein-Euro-Job“ um eine sozialversicherungspflichtige Be-

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schäftigung handelt, und der Beschäftigungszuschuss nach §16e SGB II für absehbar nicht vermittelbare Arbeitslose abgeschafft wurden. Arbeitsbe­ schaffungsmaßnahmen(ABM) waren bereits vorher für den Bereich des SGB II weggefallen und stehen nun auch nicht mehr im SGB-III-Rechtskreis zur Verfügung.

Neues Instrument der Beschäftigungsförderung Als neues Instrument der Beschäftigungsförderung gibt es nun die „Förderung von Arbeitsverhältnissen“(FAV) nach dem neugefassten §16e SGB II. Die Förderung ist allerdings auf zwei Jahre innerhalb eines Fünfjahreszeitraums begrenzt. Das Budget ist gedeckelt und eine begleitende Maßnahmekostenpauschale und Qualifizierungsanteile in der Maßnahme sind nicht vorgesehen. Diesbezüglich wird auf eine mögliche ergänzende Nutzung der Maßnahmen zur Aktivierung nach §45 SGB III verwiesen. Konzeptionell gehen die FAV von einer Minderleistung des zu vermittelnden Arbeitslosen aus und übernehmen bis zu maximal 75 % des berücksichtigungsfähigen Arbeitsentgelts. Eine tarifliche oder ortsübliche Entlohnung ist keine Voraussetzung für die Förderung.

Grafik 1

Geförderte Beschäftigung im Saarland

Beschäftigungszuschuss

1

96 202

2011 2010

906

2009 803 Bürgerarbeit

129 188 315 2.864

0

0

0

00 5.

50 4.

00 4.

50 0

0

0

00 3.

50 2.

00 0 2.

50 0 1.

1.

00 0

4.183 4.685

50 0

0

Ein-Euro-Jobs

3.

AGH Entgeltvariante

1

Jeweils im Dezember

Quelle: Bundesagentur für Arbeit

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Arbeitskammer

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1.4 Die Arbeitsmarktpolitik bleibt für das Saarland wichtig

Es wäre zu prüfen, in welchem Maße das Instrument FAV bei dem saarländischen Programm zur Beschäftigungsförderung genutzt werden kann. Denn als Alternative stehen den Jobcentern in Zukunft nur noch Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandspauschale zur Verfügung. Der Koalitionsvertrag von CDU und SPD strebt zum Aufbau eines „sozialen Arbeitsmarktes“ den Aktiv-Passiv-Transfer an. Dieser hat zum Inhalt, dass durch die Beschäftigung eingesparte passive Leistungen der Kommunen und des Bundes in Eingliederungsmittel der aktiven Arbeitsmarktpolitik umgeschichtet werden können. Nötig ist dazu eine gesetzliche Änderung auf Bundesebene, für die man sich im Bundesrat einsetzen will. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages legte im November 2011 eine Ausarbeitung vor, in der es um Möglichkeiten des Aktiv-Passiv-Transfers im Bereich des SGB II ging.3 Dabei kommt man u. a. zu dem Ergebnis, dass der AktivPassiv-Transfer auch im Rahmen einer Experimentierklausel, wie sie bei der Schaffung der kommunalen Option im SGB II genutzt wurde, eingeführt werden könnte. Damit würde dem Grundsatz „Arbeit fördern statt Arbeitslosigkeit bezahlen“ mehr Nachdruck verliehen.

2011 geringerer Einsatz arbeitsmarktpolitischer Instrumente Im vergangenen Jahr wurden im Saarland fast alle arbeitsmarktpolitischen Instrumente deutlich seltener eingesetzt als noch im Jahr 2010. In der Tabelle 1 sind die wichtigsten Instrumente der Arbeitsförderung zusammengestellt. Die relativ stärksten Rückgänge gab es beim Beschäftigungszuschuss (-74,6 %), bei den Maßnahmen zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung (-44,5 %) und beim Einstiegsgeld des SGB II (-43,8 %). Das Einstiegsgeld ist eine Förderleistung für Hartz-IV-Empfänger im Hinblick auf die Aufnahme einer selbstständigen oder sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit. Auch die Förderung der beruflichen Weiterbildung wurde mit jahresdurchschnittlich 1.570 Teilnehmerinnen und Teilnehmern nach knapp 2.150 im Vorjahr (-26,8 %) deutlich reduziert. Bei der Weiterbildung behinderter Menschen waren die Fördereinschränkungen geringer ausgeprägt (-8,7 %). Das quantitativ wichtigste Instrument war 2011 die Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung (Ein-Euro-Job). Die Zahl der Geförderten sank jedoch von mehr 4.200 im Jahr 2010 auf im Jahresdurchschnitt 3.230 um knapp ein Viertel (-23,2 %). Einen gewissen Ausgleich schuf das neue Instrument Bürgerarbeit. Der Bestand der Teilnehmer lag im Jahresdurchschnitt bei knapp 390.

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Tabelle 1

Teilnehmer/innen in ausgewählten arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen im Saarland (Jahresdurchschnittsbestände) Jahresdurchschnitt 2011

Jahresdurchschnitt 2010

Veränderung 2011/ 2010 in Prozent

1.572

2.147

-26,8

252

276

-8,7

1.510

2.721

-44,5

Eingliederungszuschüsse an Arbeitgeber

951

1.211

-21,5

Eingliederungszuschüsse für Schwerbehinderte

136

138

-1,4

171

304

-43,8

1.386

1.501

-7,7

Förderung der beruflichen Weiterbildung Weiterbildung behinderter Menschen Maßnahmen zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung

Einstiegsgeld Gründungszuschuss bei Existenzgründung Beschäftigungszuschuss

133

524

-74,6

Entgeltsicherung für Ältere

232

192

20,8

3.232

4.210

-23,2

105

130

-19,2

Ein-Euro-Jobs Arbeitsgelegenheiten Entgeltvariante Bürgerarbeit

386

-

-

Berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen

805

957

-15,9

1.463

1.560

-6,2

217

255

-14,9

Berufsausbildung Benachteiligter Einstiegsqualifizierung Quelle: Bundesagentur für Arbeit, eigene Berechnungen.

Arbeitskammer

Stärker genutzt wurde 2011 die Entgeltsicherung für Ältere (+20,8 %). Bei der Entgeltsicherung wird das Einkommen aus einer neuen schlechter bezahlten Tätigkeit befristet aufgestockt, so dass im Vergleich zu einer früheren Beschäftigung der Einkommensverlust weniger hoch ausfällt. Voraussetzung für die Leistung ist das vollendete 50. Lebensjahr und ein Mindestanspruch auf Arbeitslosengeld von mindestens 120 Tagen bei Aufnahme der neuen Tätigkeit. Ein wichtiges Förderinstrument war 2011 der Gründungszuschuss für Existenzgründerinnen und -gründer. Knapp 1.400 Personen wurden im Monatsdurchschnitt saarlandweit gefördert. Der Rückgang der Förderung war bei dieser Pflichtleistung der Arbeitsmarktpolitik gering (-7,7 %). Im Dezember 2011 ist der Gründungszuschuss in eine Ermessensleistung umgewandelt worden. Die Förderphasen wurden neu gestaltet, so dass Existenzgründer

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weniger unterstützt werden. Nach einer Anfangsförderung von einem halben Jahr in Höhe des Arbeitslosengeldanspruchs plus 300 Euro im Monat wird in der zweiten Phase von neun Monaten nur noch mit einem Betrag von 300 Euro gefördert. Das Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hat dem Gründungszuschuss, wie er in der Vergangenheit gewährt wurde, ein gutes Zeugnis ausgestellt.4 Die viel diskutierten Mitnahmeeffekte der Förderung seien überbewertet. Die massive Einschränkung der Existenzgründungsförderung durch die Bundesregierung ist auf diesem Hintergrund nicht zu rechtfertigen.

Neue Förderperiode des ESF ab 2014 Die aktuelle Förderperiode des Europäischen Sozialfonds (ESF) läuft bis Ende 2013. Für arbeitsmarktpolitische Zwecke stehen dem Saarland seit 2007 bis 2013 rund 86,5 Mio. Euro an ESF-Mitteln zur Verfügung. Es ist davon auszugehen, dass angesichts der relativ günstigen Arbeitsmarktentwicklung in der neuen Förderperiode 2014 – 2020 die Mittelausstattung deutlich niedriger sein wird. Der Verordnungsentwurf der EU-Kommission sieht für den ESF in der neuen Periode vier thematische Ziele vor. Es sind dies die Förderung der Beschäftigung und der Mobilität der Arbeitskräfte, Investitionen in Bildung, Kompetenzen und lebenslanges Lernen, die Förderung der sozialen Eingliederung und die Bekämpfung der Armut, sowie die Verbesserung der institutionellen Kapazitäten. Letzteres Ziel der Verbesserung der öffentlichen Verwaltung ist für Deutschland weniger relevant. Mindestens 20 % der ESF-Gelder sind für das Ziel der Förderung der sozialen Eingliederung und der Bekämpfung der Armut einzusetzen. Die Mittel des operationellen Programms sollen auf eine begrenzte Anzahl von „Investitionsprioritäten“ konzentriert werden. Aus Sicht der Arbeitskammer ist die Verankerung der Armutsbekämpfung in der ESF-Verordnung zu begrüßen. Die aktive Eingliederung von Arbeitsmarktproblemgruppen könnte dazu im Saarland einen bedeutsamen Beitrag liefern. Bei der Beschäftigungsförderung ist auch in der neuen Förderperiode ein Schwerpunkt bei der Eingliederung Jugendlicher ins Erwerbsleben zu setzen. Zielgruppe sollten vor allem diejenigen sein, die Probleme haben, zu einem Ausbildungsabschluss zu gelangen. Die erfolgreiche Arbeit der ESFgeförderten Koordinierungsstelle „Frau und Beruf“ im Saarpfalz-Kreis sollte fortgeführt und landesweit ausgeweitet werden.

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Bei der Förderung Beschäftigter, wie sie aktuell im Rahmen des Programms „Lernziel Produktivität“ erfolgt, sollte ein zielgruppenorientierter Ansatz gewählt werden. In Einklang mit dem in der ESF-Verordnung genannten Unterziel „Aktives und gesundes Altern“ wären ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu qualifizieren, um dadurch Fachkräftepotenziale zu sichern. Auch die Nachqualifizierung von Personen mit Migrationshintergrund, die bereits über relevante Teilqualifikationen verfügen, wäre ein sinnvoller Ansatz.

1

Vgl. Koalitionsvertrag für die 15. Legislaturperiode des Landtags des Saarlandes (2012-2017), S.19 f.

2

Vgl. „Land stockt Hilfen für Langzeitarbeitslose auf“. In: Saarbrücker Zeitung vom 29.11.2011.

3

Vgl. Lohmann, A., Niespor, M.: Zum Transfer passiver in aktive Leistungen im Rechtskreis des SGB II. Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestags Ausarbeitung WD 6/WD 4 – 3000178/11.

4

Vgl. Caliendo, M. u. a.: Gründungszuschuss für Arbeitslose – Bislang solider Nachfolger der früheren Programme. In: IAB-Kurzbericht 2/2012.

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