Markenführung

Wir stellen vor: NoA® – Neuroversum of Archetypes Von Uta Spiegel und Maren K. Jens

Ein Weg aus der Kommunikationskrise: Motivbasierte, archetypische Markenführung in Zeiten hoffnungslos verstopfter Wahrnehmungskanäle. Oder: «Liebe Marke, erzähl’ uns doch bitte endlich eine Geschichte, die uns interessiert!»

Hintergrund Seit Jahren erfordern Marktsättigung und eine zunehmende Gleichstellung von Produktleistungen wesentliche Veränderungen in der strategischen Markenführung und Markenkommunikation. Der Konsument akzeptiert immer weniger die traditionellen Formen des Push-Marketings. Für ihn besteht, bis auf wenige Ausnahmen, Markenaustauschbarkeit und wachsende Gleichgültigkeit bis hin zur Skepsis gegenüber Werbebotschaften. Zusätzlich erleben wir einen elementaren Wandel der Kommunikationswelt: Mediendemokratie und Multioptionalität machen es zunehmend schwerer, die Menschen überhaupt zu erreichen. Wahrnehmungs- und Kommunikationskanäle sind verstopft. Der Mensch schenkt seine Aufmerksamkeit nur den Dingen, die ihn wirklich interessieren, oder ihn intuitiv auf einer tieferen psychologischen Ebene ansprechen. Um aus diesem Markeneinerlei aus- und durch die Wahrnehmungsschwelle hindurchzubrechen, bedarf es veränderter Ansätze der Markenführung. Marken müssen Kunden in ihren innersten Motiven erreichen, um so dem (austauschbaren) Produkt eine sinnhafte Verpackung und klare Rolle im Leben der Menschen zu geben.

NoA® – Neuroversum of Archetypes

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Inhaltliche Tiefe und kommunikative Relevanz für Marken



Verortung von Motiven und Archetypen beim Konsumenten – methodisch validiert



Gesicherte Umsetzbarkeit des gesamten Markenmanagement-Prozesses von der quantitativen Analyse des Status quo bis zur archetypischen Kreation



Ganzheitliche, sinnhafte Markenführung in hoher Qualität

Die Ansprache erfolgt dabei im Idealfall so, dass sie für das menschliche Gehirn besonders einfach, nahezu automatisch zu dekodieren und abzuspeichern ist. Dies geschieht nach Erkenntnissen der psychologischen Forschung immer dann, wenn Informationen in emotional relevante Geschichten und Symbole verpackt sind. Archetypen und archetypische Geschichten faszinieren den Menschen von jeher und bieten genau das, was das menschliche Gehirn am besten versteht und erinnert: universell emotional bedeutsame Inhalte, welche das Leben in all seinen Facetten widerspiegeln und dadurch begreifbar machen.

Der Ursprung des Konzepts des Archetypus findet sich in der Psychologie bei Carl Gustav Jung (1875–1961). Dieser entdeckte, dass in Geschichten, Mythen und Träumen kulturübergreifend ähnliche Symbole und Figuren auftauchen. Diese «Urbilder», entstammen laut C. G. Jung dem kollektiven Unbewussten und verdeutlichen menschliche Vorstellungsmuster, die durch ein bestimmtes Set an Werten und Motiven determiniert sind. Sie beeinflussen unbewusst das menschliche Verhalten. Dabei gibt es nur eine begrenzte Anzahl Archetypen (z. B. den Krieger, den Beschützer, den Wanderer), aber eine unbegrenzte Anzahl von Symbolen, Bildern und Geschichten, die ein archetypisches Thema verdeutlichen können. Und genau das macht den tiefenpsychologischen Ansatz für das Marketing so interessant. Grundüberzeugung ist hier, dass Marken in unserer modernen Welt Geschichten erzählen können, welche für menschliche Lebensstrategien tatsächlich einen Wert haben. Mark und Pearson («The Hero and the Outlaw», 2001), die den archetypischen Ansatz auf das Marketing übertragen und die bisher ausführlichste Untersuchung zum Thema archetypische Werbung durchgeführt haben, identifizieren 12 Archetypen, die im Marketing ihre Anwendung finden. Archetypen ergänzen motiv-theoretische Ansätze der Marketingpraxis um die bisher fehlende Anwendbarkeit. Die zur Zeit vielversprechendsten Ansätze der Markenführung beziehen sich alle auf menschliche Motive und die neuropsychologische Forschung. Der Grund, warum Archetypen es schaffen, als Brücke zu einer emotional relevanten Kommunikation zu fungieren, liegt in ihrer intuitiven Verständlichkeit und Symbolhaftigkeit. So verkörpert zum Beispiel der Herrscher den enormen Willen, Führung und Verantwortung zu übernehmen. Die Motive, die primär durch diesen Archetyp befriedigt werden, sind das Bedürfnis nach Autonomie und Macht. Gleichzeitig inspiriert uns der Herrscher-Archetyp zu vielfältigen Assoziationen: Bilder, Worte, Romanfiguren, Hollywoodfilme. Diese lassen sich in der Markenkommunikation nutzen und eröffnen ganz neue Möglichkeiten der Markendarstellung. Der Entdecker-Archetyp dagegen verspürt permanent den Drang, Neues zu entdecken. Für ihn sind Freiheit und Abwechslung wichtige Antriebskräfte seines Daseins. Sofort kommen uns andere Bilder in den Kopf. Oder,

letztes Beispiel, der Fürsorgende: Für ihn liegt die Erfüllung darin, sich um andere zu kümmern. Wichtige Treiber für ihn sind Liebe und Stabilität. Auch mit diesem Typus kann jeder Mensch, je nach Lebensphase und Persönlichkeit, sofort etwas anfangen.

Die Idee für ein neues Markenführungstool Tatsächlich gibt es sowohl in der psychologischempirischen als auch in der neuropsychologischen Forschung zunehmend die übereinkommende Erkenntnis dreier grosser Motivsysteme, die das menschliche Handeln prägen: Das Sicherheitssystem, das Autonomiesystem und das Erregungssystem (Bischof, 2001; Gray, 2000; Häusel, 2003; Panksepp, 1998). Leider gibt es aber bis heute keinen wissenschaftlich fundierten Ansatz, der versucht, das Modell der Archetypen mit dem aktuellen Erkenntnisstand der neuropsychologischen Motivforschung zu verknüpfen, um gezielte archetypische Markenstrategien und Markengeschichten zu inszenieren, die Motive intuitiv ansprechen und befriedigen. Bei der Entwicklung des Markenführungstools ‘Neuroversum of Archetypes’ haben wir es uns zur Aufgabe gemacht, das Motivsystem des Menschen empirisch zu fundieren und es mit der Welt der Archetypen zu verknüpfen. Ziel war, ein Messinstrument zu entwickeln, das für eine archetypische Markenführung praktisch anwendbar ist.

‘Neuroversum of Archetypes’ = NoA® Das ‘Neuroversum of Archetypes’ integriert die Grundidee einer Motivlandkarte mit dem Ansatz der Archetypentheorie und stellt damit ein äusserst innovatives Instrument zum archetypischen Markenmanagement dar. Dieses Verfahren ermöglicht, menschliche Motivsysteme, die von Marken angesprochen werden, zu beschreiben und darzustellen, inwieweit eine Marke bereits archetypische Muster in sich trägt. Sehr schnell wird deutlich, wie sich eine Marke im Vergleich zum Wettbewerb und im Hinblick auf ihre Besitzstände positionieren muss, um das eigene Motivsystem stärker archetypisch zu gestalten und somit eine tiefere und intuitive Relevanz für die

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Wahrnehmung des Menschen zu erhalten. Das NoA® zeigt uns deutlich, an welchen «Motivschrauben» wir drehen können, um eine Marke bedeutsamer und somit attraktiver zu machen. Mehrere Vorteile gegenüber bestehenden Verfahren sind: 1. Das NoA® arbeitet mit einer fundierten und replizierbaren menschlichen Motivlandkarte, die in empirischen Studien validiert wurde (N = 2500). 2. Das NoA® bietet als erstes Verfahren eine klare Verortung der Archetypen im menschlichen Motivsystem. 3. Das NoA® ermöglicht die Einmessung jeder Marke und ihres Wettbewerbs und offenbart das bestehende Motivsystem einer Marke sowie ihre Verknüpfung mit den Archetypen. Auf einen Blick wird deutlich, welches die Motive sind, aufgrund derer eine Marke gekauft wird. 4. Das NoA® ist mittels Onlinebefragungen jederzeit leicht und effizient durchführbar. 5. Die Erhebungsart setzt sich dabei sowohl aus einer direkten (expliziten) wie einer indirekten (impliziten) Messung zusammen, so dass sich Daten über die bewusste und unbewusste Wahrnehmung von Markenbildern und Archetypen ergeben.

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Methodisches Vorgehen Schritt 1: Entwicklung des Motivraums Um den menschlichen Motivraum zu erfassen, wurden in einem ersten Schritt die Ähnlichkeit und Unähnlichkeit von Motiven in einer für die deutsche Allgemeinbevölkerung repräsentativen Onlinebefragung empirisch berechnet. Dazu wurden Kernmotive identifiziert, die gemäss dem aktuellen Stand der psychologischen Forschung als gesichert angesehen werden können (Atkinson, 1964; Heckhausen, 1989; McClelland, Atkinson et al., 1953; Maslow, 1970; Rheinberg, 2006). Ausgewählte Motive sind z. B. Neugier, Zugehörigkeit, Macht und Kontrolle. In der Befragung wurden die Teilnehmer gebeten, einzuschätzen, wie ähnlich oder unähnlich jeweils zwei Motive aus ihrer Sicht sind. Dabei wurden die Motivpaare für jeden Vergleich zufällig ausgewählt. Diese Ähnlichkeitsmasse wurde – über alle Teilnehmer gemittelt – genutzt, um eine «Landkarte» der Motive zu erstellen, die diese Ähnlichkeiten in Form von räumlicher Nähe darstellt, das sogenannte Neuroversum (siehe Abbildung 1).

Schritt 2: Verortung von Archetypen In einem nächsten Schritt ging es darum, die 12 Archetypen mit den Motiven zu verknüpfen. Hierfür wurde die Motivstruktur jedes Archetyps erfasst, um diese in der Motivlandkarte sichtbar zu machen. Dazu wurde eine weitere Onlinebefragung, repräsentativ für die deutsche Allgemeinbevölkerung, durchgeführt. Den Teilnehmern wurde der Archetyp mit einer verbalen Beschreibung zur Beurteilung vorgelegt. Zum Beispiel:

Anhand der gemittelten Ähnlichkeitsmasse lassen sich die Archetypen nun in der Motivlandkarte positionieren, und es ergibt sich eine Archetypenlandkarte – das ‘Neuroversum of Archetypes’ (siehe Abbildung 2).

Der Herrscher … übernimmt die Verantwortung für sein Volk. … übernimmt gern die Führung und sagt, wo es langgeht. … kann die Fähigkeiten von Menschen gut mit den zu erledigenden Aufgaben in Übereinstimmung bringen. … versucht, Situationen zum Wohl aller zu managen. … macht Ressourcen nutzbar, sowohl menschliche wie auch materielle. Da diese Urbilder nicht bewusst im Alltag präsent sind, kann man davon ausgehen, dass sie durch explizite, bewusste Erhebungsverfahren nur unzureichend erfasst werden können. Daher wurden zwei unterschiedliche Erhebungsmethoden zur Erfassung der Motivstruktur der Archetypen verwendet: 1. Direkte Messung: Die Teilnehmer geben an, wie ähnlich oder unähnlich ein Archetyp (Herrscher) und jeweils ein Motiv (Macht) sind. 2. Indirekte Messung: Die Teilnehmer sollen spontan und unter Zeitdruck entscheiden, ob ein Motiv zu einem Archetyp passt oder nicht. Durch die Vorgabe, möglichst schnell zu reagieren, soll gewährleistet werden, dass intuitiv und nicht reflektiert entschieden wird. Bei diesen intuitiven Entscheidungen kommen unbewusste Prozesse deutlicher zum Tragen. Für beide Messungen wurde den Teilnehmern zufällig jeweils ein Archetyp zugewiesen.

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Schritt 3: Motivsysteme von Marken und deren Ähnlichkeit zu archetypischen Motivsystemen Nun liegt mit dem ‘Neuroversum of Archetypes’ ein Instrument vor, mit dessen Hilfe die Motivstruktur von Marken und die Passung zu Archetypen dargestellt werden kann. Marken, die hinsichtlich ihres Motivsystems erfasst werden sollen, werden nun in einer Befragung von Teilnehmern ebenso bewertet wie die Archetypen. Diese Ergebnisse fliessen dann in das ‘Neuroversum of Archetypes’ ein, so dass sich prägnante und offensichtliche Ergebnisse zeigen: a) Das Motivsystem einer Marke (und ihrer Wettbewerbsmarken), wie es in den Köpfen der Verbraucher vorhanden ist. b) Die Ähnlichkeit bzw. Korrelation der Motivsysteme der Marken mit den 12 archetypischen Motivsystemen. c) Die Überlappung von treibenden Motiven einer Marke mit treibenden Motiven eines Archetyps. d) Mögliche Positionierungsfelder im Neuroversum und archetypische Strategien zur zukünftigen Stärkung einer Marke

Im ‘Neuroversum of Archetypes’ können somit Handlungsoptionen identifiziert und Handlungsempfehlungen für ein strategisches archetypisches Markenmanagement abgeleitet werden.

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Fazit Mit dem ’Neuroversum of Archetypes’ wurde ein integriertes Modell entwickelt, das Archetypen mit menschlichen Motiven verknüpft, Marken im menschlichen Motivraum positioniert und dabei Übereinstimmungen und Differenzen in ihrer Motivstruktur zu archetypischen Motivsystemen aufzeigen kann. Das ‘Neuroversum of Archetypes’ schärft durch die Anwendung der archetypischen Psychologie die intrinsische Bedeutung von Marken und Produkten und hilft, eine Markenidentität zu schaffen, die dem Kunden den Sinn hinter der Marke vermittelt und ihn zu Loyalität inspiriert (siehe auch Mark & Pearson, 2001, S. 12). Die Archetypen bieten dabei direkte Umsetzungsideen und Erlebniswelten für die Markenkommunikation. Das von uns entwickelte Tool ‘Neuroversum of Archetypes’ kann Marken eine archetypische Bedeutung geben und somit eine strategische Lösung für einen einzigartigen, relevanten und intuitiv wirksamen Markenauftritt bereitstellen.

Die Autorinnen Uta Spiegel studierte in Heidelberg und Hamburg allgemeine Sprachwissenschaften, Philosophie und Musikwissenschaft mit Abschluss zum M.A. 1995 begann sie gemeinsam mit ihrem Bruder, das vom Vater gegründete Institut neu auszurichten. Heute ist das Spiegel Institut Mannheim als internationales Marktforschungs- und Beratungsinstitut auf den Gebieten der Marktpsychologie und Anthropotechnik vorrangig für die Automobilindustrie tätig. Uta Spiegels methodische Schwerpunkte liegen in der Marktpsychologie, insbesondere der strategischen Markenführung und in der kundenintegrierten Produktentwicklung. Maren K. Jens ist Teil des Management-Teams der 18-köpfigen Marken-Strategieeinheit der S&F-Gruppe und studierte Diplom-Psychologie & Marketing an der WWU Münster. Sie ist die «Mutter» und Promotorin eines neu entwickelten Brand-Management-Tools, das die Lehre von den Archetypen mit den Erkenntnissen des Neuromarketings verbindet. Neben ihrem langjährigen Interessenschwerpunkt der psychologischen Markenführung ist Frau Jens in ihrer Arbeitspraxis leitende Strategin für viele internationale Marken. Sie gestaltet ausserdem Vorträge und Praxisseminare für Studenten und Young Professionals. Ihre Karriere begann sie in der internationalen Marktforschung, wechselte dann ins globale Planning der Grey-Gruppe und arbeitet heute vorrangig daran, Marketing & Werbung zu «evolutionieren».

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