Hartmut Weyel Predigt am 22.2.2004

„Wir sind Narren um Christi willen“ 1.Kor. 4,9-13

Einleitung: Alle reden in diesen Tagen von Karneval – wir nicht! Oder muss man im Gottesdienst einer Gemeinde, die in dieser Welt lebt, nicht doch davon reden? Welche Meinung man auch immer zu Karneval vertreten mag, mir ist dieser Satz des Apostels Paulus nach gegangen, der lautet: „Wir sind Narren um Christi willen.“ Natürlich hat diese Aussage nichts mit Karneval zu tun. Sie hat etwas mit unserem Christsein zu tun. Und da frage ich mich: Kann ich mich mit dieser Feststellung identifizieren? Fühle ich mich als Narr um Christi willen? Paulus schreibt diesen Satz um das Jahr 55 n.Chr. in seinem ersten Brief an die Gemeinde in Korinth in Griechenland, die etwa 5 Jahre vorher, also um 50 n.Chr. durch ihn gegründet worden war. Paulus hatte aus der Gemeinde Ko rinth einen Brief mit besorgniserregenden Anfragen erhalten. Außerdem waren ihm auf mündlichem Weg ziemlich schlechte Nachrichten aus der Gemeinde zugegangen. Fünf Jahre hatten ausgereicht, um aus einer reichbegabten und lebendigen Gemeinde eine krisengeschüttelte und zerstrittene Gemeinde werden zu lassen. Der Kern der Probleme lag darin, dass eine Anzahl von Gemeindegliedern meinte, wegen besonderer Geistesgaben und Erkenntnisse wären sie allen anderen und selbst dem Apostel Paulus weit überlegen. Sie zweifelten nicht nur seinen Dienst an, sondern bauten regelrecht eine Konfrontation zu Paulus auf. Jemand mit dichterischer Begabung hat diese Situation, die Paulus in 1.Kor. 4 berichtet, so geschildert: Der Apostel Paulus – liebe Gemeinde – hatte zu seiner Zeit viele Feinde, die haben – wer hätte das gedacht! – ihn mehr als einmal ausgelacht. „Der Paulus?“ – Sie wiegten nur wissend den Kopf – „Ein Apostel? Der Paulus? Ein armseliger Tropf!“ „Der hetzt ja bloß da am Mittelmeer rum, hat nicht mal das rechte Evangelium!“ Und mancher Redner hat drin sich gefallen, so wie der Apostel Paulus zu „lallen“. Sie sagten: „Von Paulus Gerede, da ham wir genug. Er ist doch ein Narr nur. Doch wir sind klug! Wir sind die Starken, doch der Paulus ist schwach!“ Und sie sandten ihm unflätige Briefe nach: „Wir lassen uns das selbst von Paulus nicht rauben: wir sind die Leut mit dem richtigen Glauben!“ Sie rümpften die Nasen, ihr Blick fromm, aber starr: „Ein Apostel der Paulus? Ach was, bloß ein Narr!“ So sah sich der Paulus – und fast über Nacht – von Christen verraten, verspottet, verlacht. Mit Ketten gebunden war er im Gefängnis, er lebte in Hunger und Durst und Bedrängnis. Auch kannte er nicht den Ort seiner Wohnung. Für seine Arbeit – keine Belohnung! Ein Schauspiel für Welt und Menschen und Engel –

Und dazu aus Korinth noch der „Brüder“ Gequengel! Ich kann das verstehn; Als Dummkopf zu gelten, ist wahrlich nicht schön. Doch scheint mir, der Paulus, der dacht sich im Stillen: Ich bin halt ein Narr – um Christi willen. Da haben wir den Satz: „Ich bin ein Narr um Christi willlen.“ Er klingt fast nach Selbstmitleid. Aber beim genaueren Hinsehen spürt man den leisen ironischen Unterton: Ja wir, die Apostel sind schwach, ihr aber, die charismatischen Über flieger, ihr seid stark. Wir sind verachtet, ihr aber, die Alleskönner, werdet be wundert. Ihr seid kluge, angesehene Christen. Wir dagegen sind Narren um Christi willen! Ob die Gegenspieler damals gemerkt haben, dass Paulus mit dieser Ironie treffend beschrieben hat, was Christsein im tiefsten Grunde ist? Nämlich: Nar retei oder – mit einem anderen Ausdruck – Torheit! Natürlich werden jetzt alle Christen mit Vernunft und Verstand, mit Bildung und Anstand protestieren und sich durchaus nicht mit dieser Aussage einver standen erklären. Ich auch nicht! Aber Vorsicht! Wir geraten sehr schnell auf die Seite der Gegner von Paulus, die sich ja auch als Christen sooo weise, sooo vernünftig, sooo klug, sooo voller Erkenntnis und Charisma vorkamen. Und dann argumentieren wir so: Das Christentum ist doch eine anerkannte und ehrenwerte Religion! Sogar die weitaus größte und verbreitetste! Mit dem christlichen Vorzeichen machen Leute sogar Politik und gewinnen damit Wäh ler. Unter christlichem Namen werden diakonische und soziale Werke unterhal ten, Spenden für Hungernde in der Dritten Welt gesammelt, usw., usw. Das ist doch alles vernünftig und keine Narretei! Oder? Und gibt es nicht auch eine hochwissenschaftliche christliche Theologie?! Intel ligente Leute, Professoren, Doktoren betreiben sie! Millionen kluger Bücher über die Bibel, über christliches Gedankengut und Themen des Glaubens sind geschrieben worden. Sie stehen in Bibliotheken und Universitäten und sind hochgeachtet. Das alles ist doch vernünftig und keine Narretei! Oder? Selbst Naturwissenschaftler, Philosophen und Sozialwissenschaftler an erkennen den Wert des christlichen Glaubens. Für viele gibt es mehr vernünf tige Gründe, die für den Glauben an Gott sprechen als dagegen. Das ist doch was! Darauf sind wir doch stolz! Oder? Und wie sehr ist erst christliche Musik, wie etwa die des Johann Sebastian Bach, oder christliche Kunst, wie etwa die der italienischen Renaissance, ge achtet und geehrt. Millionen Menschen gehen Jahr für Jahr in die Konzerte und stehen in Schlangen vor den Museen. Das ist doch alles keine Narretei oder Torheit! Oder? Deshalb geht es uns ganz heftig gegen den Strich unseres bürgerlichen, wohl temperierten Christentums, wenn behauptet wird, Christen seien Narren und Christsein sei Torheit. Jesus von Nazareth war doch schließlich auch kein Narr! Das behauptet kein ernst zu nehmender Mensch. Andererseits: Wenn man es sich einmal richtig überlegt, muss man dann nicht tatsächlich zu der Auffassung kommen, dass der Glaube an Christus Narretei ist. Denn ist das nicht Narretei,  dass Gott seinen unschuldigen Sohn am Kreuz sterben lässt, während die Schuldigen am Leben bleiben dürfen,





dass uns Menschen unverdient Freispruch gewährt wird, statt den verdienten Schuldspruch zu bekommen, dass Gott Gande vor Recht ergehen lässt und Liebe vor Macht setzt?

Ist nicht z.B. die ganze Bergpredigt Narretei, über die die Menschen den Kopf schütteln müssten und es teilweise ja auch tun? Ist es nicht Narretei,  wenn dort gesagt wird, dass die Nachfolger von Jesus ihre Feinde lieben sollen statt sie zu hassen,  dass sie jemandem auch die linke Wange hin halten sollen, wenn man sie auf die rechte geschlagen hat,  dass sie dem, der ihnen Böses antut, keinen Widerstand leisten sollen, son dern das Böse mit Gutem überwinden sollen? Ist es nicht Narretei,  zuerst nach dem Reich Gottes zu trachten und dann Gott für alles andere sorgen zu lassen? Ist es nicht Narretei,  dass denen, die sanftmütig keine Gewalt anwenden, das Erbe des Landes versprochen wird,  dass die Nachfolger von Jesus nicht mehr danach handeln sollen: „Wie du mir, so ich dir! Sondern: „Wie Gott mir, so ich dir!“,  dass die Ersten die Letzten und die Letzten die Ersten sein werden,  dass der Christ, wenn er schwach ist, stark ist,  dass Gott zulässt, dass es den Gottlosen oft besser geht als den Glau benden? Ja, es muss einem Manches am Christsein als Narretei erscheinen. Und doch bekennt sich Paulus, übrigens ein hoch gebildeter Theologe, zum Narrsein um Christi willen. Wie kommt er dazu? Die Antwort ergibt sich aus einem einfachen Tatbestand: Er lebt, was er glaubt! Paulus glaubt dem Evangelium, dem Wort vom Kreuz, und lebt das im Alltag aus. Das bringt ihm die Schwierigkeiten. Deshalb greift man ihn an, selbst Mitchristen aus der Gemeinde tun das. Es ist schon merkwürdig: Eigentlich müsste es umgekehrt sein: Ein Narr ist, wer nicht lebt, was er glaubt. Aber so ist es nun mal: Als Narr gilt jeder, der nicht tut, was alle tun. Als Narr gilt der, der sich nicht an die Spielregeln hält, der sich nicht anpasst, der nach anderem Gesetzen lebt, als die meisten. So, wie an den mittelalterlichen fürstlichen Höfen - oder heute in der Karnevals zeit -, lässt man Narren ein paar Mal gewähren. Einmal im Jahr dürfen sie sagen, was sonst kaum gedacht wird. Aber dann ist es genug. Sie sind sozu sagen die Alibis der Gesellschaft. Anschließend geht man wieder zur Tagesord nung über. Aber Paulus flippt nicht für ein paar Tage mal aus, sondern er lebt Tag für Tag, was er glaubt. Solange Christen nur einmal im Jahr, an Weihnachten oder bei besonderen Festen, sich ihre Narrenfreiheit nehmen und in die Kirche gehen, sagt kaum jemand etwas. Wenn sie aber tagaus tagein ihren Glauben an Chris tus leben, fallen sie aus der Rolle. Darauf reagiert die ach so vernünftige christ liche oder unchristliche Welt gereizt oder sogar mit ätzenden Angriffen. Man er klärt sie zu Narren. Wenn Christen wirklich um Christi willen zu Narren werden, weil sie dem Wort vom Kreuz vertrauen und folgen (und nicht aus eigener Narretei), dann entlar ven sie damit alle anderen Wege der Erlösung, der Rechtfertigung, der Sinnge bung, der Lebensgestaltung, als Irrwege. Dann werden die vorhandenen Leitbilder (vgl. „deutsche Leitkultur“) ihrer Macht beraubt. Dann wird die Weisheit der Welt, diese tiefen Gedanken über die

Welt, die Menschen, den Kosmos, die Natur, die Geschichte, als unzuständig für das Heil der Menschen erklärt. Die Weisheit der Welt kann zwar für das Wohl der Menschen eine Bedeutung haben, aber für seine Lebensrichtung, seine eigentliche Bestimmung, für sein ewiges Leben hat Gott diese Weisheit als Torheit entlarvt (1.Kor. 1,20). Martin Luther King, der baptistische Pastor und Führer der schwarzen Befrei ung in den USA, ist, ähnlich wie Paulus, auch von Christen als Narr und Tor be handelt worden. Er erzählt: „Als ich nach Memphis kam, wurde mir von den Drohungen erzählt und davon, was mir einige unserer kranken weißen Brüder zufügen wollten. Gut, ich weiß nicht, was jetzt geschehen wird. Schwierige Tage liegen vor uns. Aber mich trifft das nicht. Denn ich habe auf dem Berg gestanden, mir soll es recht sein. Wie jedermann, so würde auch ich gern ein langes Leben leben. Lange zu leben ist schon etwas. Doch das berührt mich im Augenblick wenig. Ich möchte den Willen Gottes erfüllen.“ Der Christ lebt zwar mitten in der Welt und ist mit ihr solidarisch, aber er steht gleichzeitig außerhalb von ihr, weil er nicht von der Welt ist. Deshalb geht er nicht konform mit falschen Menschenbildern und Lebensrichtungen. Wer ein Narr um Christi willen ist, der sieht sogar den Spieß umgedreht. Er sieht mit Gottes Augen die wirkliche Narreteien in dieser Welt. Er sieht, dass es eine Narretei ist,  wie wir Menschen die gute Schöpfung Gottes vielfach zur Katastrophenwelt verkommen lassen.  wie trotz ausreichender Nahrung auf der Welt Millionen Menschen verhungern,  wie in unserer westlichen Wohlstandswelt Berge von Nahrungsmitteln ver nichtet und auf Müllhalten geworfen werden,  wie trotz millionenfacher Armut Milliarden in militärische Rüstung und Kriege gesteckt werden, usw., usw. Wer ein Narr um Christi willen ist, fragt sich, wer wirklich ein Narr ist. Nicht umsonst hat Jesus den reichen Kornbauern einen Narr genannt. Ich komme an den Anfang meiner Predigt zurück – zum Karneval. Wie immer man auch zu Karneval stehen mag, eine Narretei an Karneval scheint mir besonders bedenklich zu sein: Bevor am Aschermittwoch alles vorbei ist, so in formiert der Kölner StadtAnzeiger „wird noch einmal ausgiebig gefeiert. Und dabei muss dann der Nubbel dran glauben – der Sündenbock für alle lässli chen Sünden während der tollen Tage.“ „Unter lautem Wehklagen, im fahlen Schein einiger Kerzen, wird er vor die Kneipe getragen, ein Pastor hält die Grabrede. Seine Gemeinde bestätigt ihm immer wieder das vernichtende Urteil: ‚Der Nubbel wor dat Schuld‘. Und dann geht er in Flammen auf, der bedauerns werte Lappenkerl.“ „Er ist alles Schuld. Irgendwie praktisch“, stellt der Zeitungsbericht am Ende ironisch fest. Auch hier fragt sich, was die wirkliche Narretei ist: Das Wort vom Kreuz, an dem Christus unsere Schuld gesühnt hat und wir Vergebung erfahren können? Oder der Kult mit dem Nubbel, der das Wort vom Kreuz auf den Kopf stellt. Ich halte es mit dem Bekenntnis zu Jesus Christus, der für uns von Gott ge macht ist zur Weisheit, zur Gerechtigkeit, zur Heiligung und zur Erlösung (1.Kor. 1,30). Dafür lohnt es sich, ein Narr um Christi willen zu sein.