Wimmer, Sprachkritik Wilhelm Fink Verlag

1 Lösungen Heringer/ Wimmer, Sprachkritik ©Wilhelm Fink Verlag 2 Heringer/ Wimmer, Sprachkritik ©Wilhelm Fink Verlag 3 Inhalt Vorwort ...........
Author: Ludo Roth
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Lösungen

Heringer/ Wimmer, Sprachkritik ©Wilhelm Fink Verlag

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Inhalt Vorwort ................................................................................................ 5 1. Was ist Sprachkritik? .................................................................... 7 2.

Kritisieren und Bewerten ........................................................ 12

3.

Sprachbilder und language myths ........................................ 14

4.

Sprachkritik und Empirie ....................................................... 17

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Sprachkritische Schlagwörter ............................................... 20

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Kommunikative Ethik ............................................................. 25

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Domänen der Sprachkritik ..................................................... 28

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Weltproduktion: Die Welt vom Hörensagen ....................... 33

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Politische Sprachkritik ............................................................. 35

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Sprachkritische Diskurse in der Gesellschaft ...................... 37

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Der sprachkritisch gebildete Sprecher .................................. 41

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Sprachkritik und Deutschunterricht ..................................... 43

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Lösungen | Vorwort

Vorwort Alle möchten Lösungen. Leider gibt es für die meisten Probleme und Aufgaben keine Lösungen. Gute Lösungen finden sich in der Mathematik. Die Mathematik ist ein wohldefiniertes System, in dem man Lösungen per logischem Schluss gewinnen kann. Solche Lösungen sind empirisch trivial. Sprache aber ist kein wohldefiniertes System, wenngleich uns das manche glauben machen möchten. Mit unseren Aufgaben hat es denn auch was ganz Anderes auf sich. Sie sind gar nicht so gedacht, als könnten sie im landläufigen Sinn gelöst werden. Didaktisch geht es darum, Fähigkeiten zu erwerben, anzuwenden und zu pflegen. Darum sind diese Lösungen hier auch keine Lösungen im klassischen Sinn: Manche können als Beispiele für mögliche Lösungen gesehen werden, andere führen einfach nur noch weiter. Und für manche trauen wir uns gar nicht, Ihre Lösungen vorwegzunehmen. Insofern wäre es schön, Sie würden sie als Anregungen nehmen, sich weiter kritisch zu beschäftigen: mit unseren Vorschlägen und mit Sprache und Sprechen allgemein. Der Weg ist das Ziel. Heringer Wimmer

Im Mai 2015

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1. Seite 35 | Aufgaben und Lösungen

Aufgaben und Lösungen 1. Wustmanns „Sprachdummheiten“ wurde nun auch von Google gescannt (https://archive.org/details/allerhandsprach04wustgoog). Etwas verbessert schaut der Scan so aus. Täglich muß man in Zeitungen von überfü{)rten Tanten unb überfül^rten Seiten lefen, das foö heißen: von Perfonen, die in das ober ienes ÄrankenhauS ober nacä^ ihrem Tobe in die geimat zum ^Begräbnis gebracht worben sinb. Wie kann sich nur das ©pradigefül^I so verirren! Können Sie den Text redigieren?

Besser lesen können Sie gewiss den Text auf der nächsten Seite. Oder?

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1. Seite 35 | Aufgaben und Lösungen

Aufgaben und Lösungen 2. Hier bitte die Scanvorlage zu Aufgabe 1. Setzen Sie den Text mit einer eigenen Argumentation fort.

Sprachkritiker dieser Couleur berufen sich oft auf das Sprachgefühl, aber auf das eigene natürlich, das unfehlbar ist. Wenn diese Sprecher tatsächlich ein anderes hätten, könnte das ja auch ganz sensibel sein. Sicherlich könnte es gut sein, man würde unterscheiden zwischen übergeführt und überführt. Aber so geht es in der Sprache nicht her: Man unterscheidet, was man unterscheiden muss. Was man nicht braucht, braucht man nicht. Das ist das kommunikative Sparsamkeitsgesetz.

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1. Seite 35 | Aufgaben und Lösungen

Aufgaben und Lösungen 3. Ulrich Püschel in der DUDEN-Stilfibel: „Sich um gutes Deutsch zu bemühen, heißt, Formulierungsalternativen auszuprobieren“ (Püschel 2000, 25). Nicht nur Wustmann, auch andere Kritiker sind Stattmenschen, stellen Alternativen gegenüber und erklären eine zur besseren. Könnten Sie sich Kontexte vorstellen, in denen die verpönte Alternative passen würde? statt so:

besser so:

Gibt es eine manifeste Symptomatik für verdichtungsorientierte Migrationsprozesse? Sie bedürfen hierzu einer Bestätigung. Absätze sind fortlaufend benummert. Die Behörde wird das einer Prüfung unterziehen. Die durch den Verkauf der im Kochunterricht der Hauswirtschaftsschule hergestellten Speisen erzielten Einnahmen sind gering.

Gibt es deutliche Anzeichen für eine Zuwanderung in Ballungsgebiete? Sie benötigen hierzu eine Bestätigung. Absätze sind fortlaufend nummeriert. Die Behörde wird das prüfen. Die Einnahmen aus dem Verkauf der Speisen, die im Kochunterricht der Hauswirtschaftsschule zubereitet wurden, sind gering.

Was soll eigentlich vermieden werden? Gute Termini in (1)? Der verbale Genitiv in (2)? Benummerte Absätze wurden nummeriert. Verständlichkeitsfördernd sind erweiterte Adjektivphrasen nicht. Aber wer sie liebt!

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1. Seite 36 | Aufgaben und Lösungen

Aufgaben und Lösungen 4. 1984 klagte eine Frau vor dem Arbeitsgericht: In ihrem Arbeitszeugnis solle in „... aufgrund ihres integeren Verhaltens“ das Adjektiv korrekt dekliniert werden. Was hatte sie sich wohl gedacht?

Nun, sie hatte sich gedacht, dass Adjektive auf –er das Morphem in den flektierten Formen erhalten müssen. Die grammatische Regel des Deutschen, die wirklich gilt, besagt, dass das Schwa vor –l und vor –r getilgt werden kann. sensibel — sensibles, heiter — heitres/ heiteres Aber nicht: leger — *legres, weil kein Schwa, sondern betontes e.

Viktor Weichbold (2012) meint in seiner herben Mauthner-Kritik, „Die Sprache ist untauglich für Erkenntnis“ hebe sich selbst auf, weil sie eben in genau der Sprache formuliert sei, die sie für untauglich erklärt. 5. Hatte Mauthner nicht Recht mit der Ansicht, Sprachkritik sei ein Holzfeuer im hölzernen Ofen? Kannte er den Unterschied zwischen Langue und Parole?

Ob er die Unterscheidung kannte, ist natürlich nicht bekannt. Er dürfte aber gewusst haben, dass Weichbolds Argument nicht sticht. Denn es ist eine wichtige Eigenschaft der Sprachen, dass man über Sprachen reden kann. Wie weit das allerdings geht, ist eher ungewiss. Auf jeden Fall ist Mauthners schönes Bild bedenkenswert.

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1. Seite 36 | Aufgaben und Lösungen

Aufgaben und Lösungen

Die zehn Gebote auf dem Rückendeckel der 3. Dativ-Folge 1. Lese nicht irgendein Buch, sondern lies dieses Buch! 2. Setze Kommas, nicht, einfach, irgendwo! 3. Verrate mir nicht, an was du denkst. Sag mir lieber, woran du denkst! 4. Verzichte auf Mithilfe, Hilfe genügt! 5. Lass die Finger von Chip’s und Snack’s! 6. Mensch, ärgere dich nicht wegen mir, ärgere dich lieber meinetwegen. 7. Sei nicht geschockt. Sei schockiert! 8. Hör auf, Sinn zu machen! 9. Fürchte die kahle Glatze, die tote Leiche und die lautlose Stille! 10. Erbarme dich des Genitivs, bevor dir die Fälle davonschwimmen!

6. Kommentieren Sie die Gebote kritisch:

 Worum geht es jeweils in dem Gebot?  Ist der Ratschlag begründet? Wie?  Inwiefern ist der Ratschlag nicht begründet?

Altes lies, gib usw. sind teilweise in die schwache, reguläre Flexion übergegangen. Das ist eine generelle Entwicklung des Deutschen. Die älteren Formen klingen darum leicht archaisierend in manchen Ohren und stilistisch gehoben, weil Sprecher, die sie kennen, offenbar belesener sind. Den Plural Chip‘s braucht wohl wirklich nicht. Aber die Apostroph-Sache wird von Sprachkritikern generell kritisiert. Sie kann aber sinnvoll zur Differenzierung sein:

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2. Seite 52 | Aufgaben und Lösungen

Aufgaben und Lösungen 1. Begründungen von Bewertungen fußen auf Argumentation. Darum muss, wer wertet, auch die Schlusslizenz angeben. Dieser Satz ist grammatisch falsch, weil er nicht den grammatischen Regeln des Deutschen entspricht. Wenn ein Satz nicht den grammatischen Regeln des Deutschen entspricht, dann ist er grammatisch falsch. Das wäre trivial. Auf jeden Fall müsste es rekursiv weitergehen: Ein Satz entspricht nicht den grammatischen Regeln des Deutschen, wenn ... Setzen Sie das vernünftig fort. Erproben Sie diverse Möglichkeiten.

Eigentlich nur: Wenn die jeweilige Regel empirisch ermittelt wurde. Das ist allerdings schwierig, weil man so nicht zu eindeutigen Ergebnissen kommt. Ersatzweise: Was dem fiktiven Konsens der Sprecher entspricht. Ersatzweise: Was als Möglichkeit nicht anzuerkennen ist, weil nur wenige Sprecher es so machen. Ersatzweise: Was als Möglichkeit nicht anzuerkennen ist, weil diese Sprecher es selbst als fehlerhaft anerkennen würden. (Sehr problematisch, weil normative Vorstellungen internalisiert sind.) Sie sehen: Insgesamt ist ein solches Verdikt kaum zu halten. 2. Setzen Sie diese Begründungen fort. Formulieren Sie die Standards. Dieser Text ist besonders schön, ... Dieser Ausdruck ist ein Klischee, ...

Hier muss man wohl unterscheiden, wie andere das forstsetzen würden und wie man selbst. Trivial: ... weil er mir gefällt; ... weil die Fügung/ das Bild so häufig gebraucht wird/ ausgelutscht ist. Zum schönen Text vielleicht: ... weil er gut klingt, ... weil er schöne Bilder enthält. Zum Klischee fällt uns nichts ein. Heringer/ Wimmer, Sprachkritik ©Wilhelm Fink Verlag

2. Seite 52 | Aufgaben und Lösungen

Aufgaben und Lösungen 3. Zur Antwort des RS-Lehrlings. Was sollen die Rechtschreibfehler?

Er wollte den Kritiker ironisch vorführen. 4 „Hier werden Sie geholfen“ und „Unsere Flaschen sind unkaputtbar“ werden als Beispiele für Sprachverhunzung verbraucht. Was glauben Sie: Können die Werbler kein grammatisches Deutsch? Was ist hiermit beabsichtigt? Was ist der kommunikative Sinn?

Der Sinn ist allgemein bekannt: Die Werbler wollen 1. Aufmerksamkeit erregen. Und zitierbar werden. 2. Sich sprachlich als originell darstellen. 5. Zwei Rezensionen zu Kaminer: Russendisko (Amazon) Witzige Stellen sind seltsamerweise Mangelware. Es gibt lediglich mäßig komische und aneinandergereihte Anekdoten, in denen sich die Wiederholungen wiederholen und wiederholen ... Kaminer gibt herrlich und auf witzige Weise Einblick in die Welt von Russen in Berlin und deren Sicht auf uns Deutsche. Dabei ist er wunderbar selbstironisch und hintergründig, erzählt viele teils merkwürdige, teils anrührende Episoden ... Ist das erstaunlich? Wie kommt so etwas zustande?

Klar, es kommt zustande, weil wir es mit verkleideten Geschmacksurteilen zu tun haben. Die Verkleidung besteht vor allem auch darin, dass die Urteile mit weiteren Aussagen begründet erscheinen. Diese allerdings könnten teilweise überprüft werden. Allerdings, wie sie zu bewerten wären, wenn sie gültig wären, ist eine andere Frage. 6. Und nochmal Amazon. Ein Pseudonym bemerkt mit Fehlschluss? Javier Marias Buch „Mein Herz so weiß“ ist von unglaublicher Sprachgewalt ... Sollte das Pseudonym das Original gelesen haben?

Ein ganz übler, üblicher Fehlschluss! Leser glauben, sie lesen das Original. Heringer/ Wimmer, Sprachkritik ©Wilhelm Fink Verlag

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3. Seite 71| Aufgaben undLösungen

Aufgaben und Lösungen Was gehört in die Kompositionsfuge der Substantivkomposita? Heißt es Verbandmull oder Verbandsmull, Adventmarkt oder Adventsmarkt? Das war eine Frage, die seit Wustmann beschäftigt und so oder so beantwortet werden sollte. 1. Prüfen Sie die vorgeführten Wörter in Wustmann 1911, 69-80 darauf,  was Ihre Intuition Ihnen jeweils sagt,  welche der inkriminierten Beispiele heute etabliert sind. Linguistisch ist das Fugenzeichen besonders interessant, weil auch Linguisten keine gültige Regel formulieren konnten.

Die funktionale Grundidee war, das Fugenzeichen markiere die Stelle, wo die Wörter zusammentreffen. Damit erleichtere es Verständnis und Lektüre. Die Sprecher scheinen das aber nicht immer zu brauchen. Es gibt heutzutage für viele Fälle eine sichere Beurteilung durch Sprecher. Aber eben keine sichere Regel. Das hat zu tun mit regionalen und historischen Varietäten. Zum Beispiel: Bahnhofgaststätte und Bahnhofsgaststätte. Recht gute Regeln scheint es für Suffixe zu geben, die man auch Lerner lehren kann. -ung, -schaft: Leistungsgesellschaft *Leistunggesellschaft Leistungsgesellschaftsidee *Leistunggesellschaftsidee *Leistungsgesellschaftidee *Leistunggesellschaftidee

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3. Seite 71 | Aufgaben und Lösungen

Aufgaben und Lösungen 2. Was halten Sie von den Verteilungen aus dem Atlas zur deutschen Alltagssprache (http://www.atlas-alltagssprache.de/runde-3/f01a-d/)?  Können Sie eine plausible linguistische These über die Verteilung formulieren? Achten Sie auf Übergänge und Inseln.  Könnten Sie an eine semantische Differenzierung denken?

Hier geht es wesentlich um konkurrierende Fugenzeichen und darum, ob und wie sie semantisch auszudeuten sind. Es gibt die Idee, in Fugenzeichen sei keinerlei Bedeutung zu erkennen. Historisch aber ist klar: s-Fugen gehen auf vorangestellte Genitive zurück: Lebenszeichen < des Lebens Zeichen. Oft geht es auch darum, wie die Bedeutung des Kompositums am besten zu erklären sei. Da sind Erstglieder einschlägig, die formal pluralisch sind und auch als solche zu verstehen. So wird argumentiert, Eiersalat sei ja gewöhnlich nicht aus einem Ei gemacht. (Hierzu auch Karl Valentins berühmter Sketch zu Semmelnknödeln). Im Fall von Rinder/ Rindsbraten sind beide Varianten in diesem Sinn plausibel. Der Rest ist Übernahme und Tradition. Sinnigerweise findet sich Rindbraten nur in einsamen Ausreißern, die wohl anders zu erklären wären. Heringer/ Wimmer, Sprachkritik ©Wilhelm Fink Verlag

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Vertiefende Aufgaben

3. Seite 72| Aufgaben und Lösungen

Aufgaben und Lösungen

Bemerkenswert und wohl nur historisch erklärbar (vielleicht aber auch mit Silbenphonologie) ist der Kontrast: *Rindbraten vs. Rindfleisch. Die Verwendung eines Wortes gewinnt ihren Sinn erst im Kontext. Darum kann man Wörter isoliert nicht vernünftig kritisieren. 3. Bringen Sie die deklarierten Unwörter in Kontexte, in denen sie schwer kritisierbar wären. 1997 Wohlstandsmüll, 2001 Gotteskrieger, 2002 Ich-AG, 1995 Diätenanpassung Beispiel: Wir dürfen dem harten Kapitalismus nicht zu viel Raum lassen. Lebensqualität und Bildung sollten wir als Humankapital anerkennen.

Bei den zitierten Wörtern müssen wir davon ausgehen, dass gar nicht die Wörter kritisiert werden. Wenn Sie recherchieren, finden Sie eigentlich nur Verwendungen, die ok sind und genau sagen, was zu sagen ist.

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4. Seite 73 | Aufgaben und Lösungen

Aufgaben und Lösungen

Wie gut ist Ihr Deutsch? Testen Sie sich selbst. Wenn Sie gebildet sind und das Buch bis hierhin akribisch gelesen haben, sollten Sie den Test mit Bravour bestehen. Das Jahr 2014 war ok. Ein Höhepunkt war meine Hochzeit □√ diesen Jahres. □√ dieses Jahres. □√ dieses Jahr.

Am liebsten lese ich im Original Gedichte □√Walthers von der Vogelweide. □ Walther von der Vogelweide. □√Walther von der Vogelweides.

Gib mir bitte ein Stück □√ Brot. □√ des Brotes. □√ vom Brot.

Unsere Kinder lieben das Chaos. Nein, eher □ die Chaos. □√ die Chaosse. □ die Chaossen.

Erinnerst du dich an den Tag, □√ an dem es geschah? □√ zu dem es geschah? □√ wo es geschah?

Volker war ein Bruder □√vom Präsident. □ des Präsidents. □√des Präsidenten.

Ich habe frisch eingekauft. In der Vorratskammer steht □√ die neue Nutella. □√ das neue Nutella. □ der neue Nutella.

Wär ich ein Fischlein, □ schwimmte ich zu dir. □√ schwämme ich zu dir. □√ schwömme ich zu dir.

Was geht? Was eher nicht?

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4. Seite 89 | Aufgaben und Lösungen

Aufgaben und Lösungen 1. Erproben Sie die Abstrichmethode in drei Schritten. Was kommt überraschend als Skelett heraus? Vor einer linguistisch begründeten kritischen Bewertung und Beurteilung der kommunikativen und kognitiven Leistung von Sprache, Sprachnormen und Sprachgebrauch machen die Konzepte der „Reflexion über Sprache“ nämlich grundsätzlich Halt. (Kilian/Niehr/Schiewe 2010, 103) Üblich ist bei Sprachkritikern:  fehlerhafte Bedeutungsanalyse,  schlichte Übernahme irgendeiner Wörterbuchangabe,  Reanalyse von etablierten Wortbildungen. 2. Suchen Sie je ein Beispiel dafür in sprachkritischer Literatur.

Eigenarbeit, bitte. 3. Sprachkritiker berufen sich oft auf Regeln. Was halten Sie von den Regeln aus Sick 2002, 49, 92, 197; Sick 2006, 227? Recherchieren Sie in linguistischer Literatur.

Zum Beispiel: Zu Worte vs. Wörter wird im Buch das Entscheidende gesagt. Besonders lehrreich ist Sicks Fazit „Wörter bestehen aus Buchstaben, Worte aus Gedanken.“ Falsch und falsch. Zum Problem diesen Jahres: Heringer, Deutsche Grammatik und Wortbildung, 2014, 126. Es kommt auf die Analogie an, die man sieht. 4. Der würde-Konjunktiv wird öfter inkriminiert. Wie beurteilen Sie die Karte des Sprachatlasses zur Alltagsprache? http://www.philhist.uni-augsburg.de/lehrstuehle/germanistik/ sprachwissenschaft/ada/runde_3/f08e/

Die Karte zeigt mancherlei regionale Varianten. Welche als standardsprachlich zu setzen wäre, bedarf der Argumentation.

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4. Seite 90 | Aufgaben und Lösungen

Aufgaben und Lösungen Kritisch zu einer gängigen Form der Sprachkritik wird Folgendes vorgebracht:

□ Subjektive Ausrichtung, zumeist ohne empirische Belege 10?□ Missachtung linguistischer Erkenntnisse zu Struktur 8?

und

Wandel der Sprache

10?

□ Normative Ausrichtung mit oft als eindeutig verstandenen richtig-falsch-Urteilen

4?

□ Angst vor Sprachverfall und entsprechend die Sprachpflege

als Ziel 5. Für wie gravierend halten Sie diese Monita. Vergeben Sie Punkte zwischen 1 und 10. 6. Schreiben Sie eine Glosse zu Nutella. Verwenden Sie dazu die Grammis-Adresse: http://hypermedia.ids-mannheim.de/call/public/fragen.ansicht? v_kat=27&v_id=1 Lassen Sie ich anregen durch Sick: http://www.spiegel.de/kultur/zwiebelfisch/zwiebelfisch-krieg-dergeschlechter-a-290172.html

Neulich im Supermarkt rief die Kassiererin ihrer Kollegin zu: „Ist die Nutella schon da?“ – „Ach nein, die kommt doch immer zu spät.“ . . .

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5. Seite 108 | Aufgaben und Lösungen

Aufgaben und Lösungen Spielen Sie hier mit der Verständlichkeit Ihrer eigenen Texte. http://www.leichtlesbar.ch/html/fleschformel.html Schön leicht ist der folgende Text als Liste, obwohl er bei Flesch nicht so gut abschneidet. Warum wohl? Tag Kind Uhr Welt Land Wort Hand Auge Frage Seite Prozent Herz Gott Stadt Vater Bild Ende Haus Teil Arbeit Volk Staat Sinn Art Stunde Gesellschaft Liebe Geschichte Kopf Million Sache Natur Werk Woche Recht Kunst Partei

Wesentlich leichter der auch nicht so ganz sinnvolle Text: Tag sein Kind. wollen Uhr tun Welt. modern Land sieben. Wort stecken Hand. sehen Auge bescheiden. Frage erwachsen Seite. antun Prozent erfahren. Herz albern Gott. verlassen Stadt auftun. Vater zugeben Bild. abtun Ende dünken. Haus gefallen Teil. vergessen Arbeit erhalten. Volk vertreten Staat. enthalten

Beides ist dem Algorithmus und den Verständlichkeitskriterien geschuldet. Allgemein wird angenommen, lange Sätze seien schwerer zu verstehen als kurze. Eine plausible Annahme, die aber noch nicht die Satzstruktur berücksichtigt. Wenn es sich um eine fortsetzende Aufzählung handelt, dürfte man kaum Verstehensprobleme bekommen. Der Algorithmus beachtet nun schlicht die Satzzeichen, insbesondere Schlusspunkte als Satzgrenzen. Die beiden Texte enthalten nur sehr frequente Wörter, der erste wird aber wie ein langer, ein sehr langer Satz ausgewertet, der zweite scheint demnach gegliedert.

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5. Seite 109 | Aufgaben und Lösungen

Aufgaben und Lösungen 1. Welches sind im Gegensatz zu diesem Text die Grundüberzeugungen linguistischer Lexikographen? Verfertigen Sie eine Zusammenstellung. Verzagen muß man dennoch angesichts der kritiklosen Übernahme von verschiedenen Wörtern und Wendungen aus den Niederungen der Umgangssprache durch die Redaktionen der Wörterbücher. Nach einer Wartezeit von angeblich sieben Jahren erhalten in der „Instanz der deutschen Sprache“, dem Dudenverlag, die neuen Wortschöpfungen ihre sprachliche Weihe und erscheinen im bekanntesten Nachschlagewerk der deutschen Sprache allenfalls mit einem von vielen Lesern kaum beachteten Zusatz „ugs“, statt berechtigterweise in einer Sprechsünderkartei. (Ulrich Werner)

Lexikographen müssen und wollen den Wortschatz vollständig und ohne Wertung dokumentieren. (wie weit das gelingt, ist eine andere Frage. Sind nicht Epitheta wie ugs. verdeckt wertend? Wie wären sie empirisch zu begründen? Was den Duden und die Instanz betrifft, so handelt es sich um eine Werbungsidee, die auf die Vorurteile von Sprechern baut, es müsse doch eine solche Instanz geben, und die Vorurteile stützt.

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5. Seite 110 | Aufgaben und Lösungen

Aufgaben und Lösungen 2. Hier drei Texte von und zu Altbundeskanzler Kohl. Finden Sie das Urteil begründet? Sagen Sie ein paar Sätze dazu. Wenn der Staat Geld bereitstellt für Bürger, die neue Firmen, etwa zur Entwicklung moderner Technologien, gründen wollen, drückt das Kohl so aus: „Es geht um die Stärkung der Unternehmenssubstanz und um die Bereitstellung von Risikokapital für innovative Existenzgründungen – vor allem auf den technologieintensiven Wachstumsfeldern.“ Stichwort: mündige Bürger. „Sie begreifen, daß unsere offene freiheitliche Gesellschaft“, so Kohl, „kreative Vielfalt braucht, weil sie vitale Stärke aus dem Wettbewerb frei sich entfaltender Kräfte bezieht.“ Vermutlich wollte der Kanzler sagen: Sich regen bringt Segen. Aber das wäre ihm wohl zu unbedeutend vorgekommen. Dementsprechend wird er behandelt. „Wir haben“, so referierte er nach der US-Invasion in Grenada, „mit unseren amerikanischen Freunden intensiv gesprochen. Wir haben auch unsere Auffassung offen zum Ausdruck gebracht. Wir haben sie gebeten, uns über die weitere Entwicklung in Grenada intensiv zu unterrichten.“ Das zweimal, kurz hintereinander verwendete Wort intensiv hat fast beschwörenden Charakter – und es deutet darauf hin, daß auch hier Empfindungen Inhalte ersetzen, daß er im übrigen von den Freunden schlicht abgespeist worden ist. (SPIEGEL 49/1984)

Die Reformulierungen sind alle polemisch und würden nicht annähernd das Gleiche leisten. Gegen den verquasten Stil (der teilweise auch zum Politkerjagon gehört) müsste man andere Argumente vorbrigen.

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5. Seite 110 | Aufgaben und Lösungen

Aufgaben und Lösungen 3. Was hat sich Werner dabei gedacht, als er dies zum Sprachmüll warf? ich persönlich, ich würde sagen, wissen um, x-mal weniger, weil ich habe Hunger

Bei dem ein oder anderen haben wir keine Idee. Bei ich persönlich sei persönlich wohl überflüssig. Ich würde sagen sei ein Anglizismus und vielleicht auch das alte Zuviel-würde-eine-Bürde. Wissen um haben Sprachkritiker schon lange auf dem Kieker. Wahrscheinlich: Es sei ungenau. weil in Spitzenstellung des Nebensatzes entspricht nicht der normativen Grammatik. Welchen Sinn es hat, wurde von Linguisten gezeigt. Zum Beispiel von Rudi Keller. 4. Auch dies soll Sprachmüll sein. Was wird hier wohl bemängelt? genehmigungs-, mehrheits-, zukunfts-, regierungs-, markt-, publikations-, revisions-, transfer-, zitier-, streich-, waffen-, partei-, steuer-, schuld-, sessel-, absatz-, allesfähig

Wir vermuten, ein so produktives Halbsuffix wird als inflationär und damit als nichtssagendes Allerweltsteil gesehen. 5. So wie hier sollen viele Nester ausgeräuchert werden, vielleicht nach Eike Christian Hirsch alle auf: -mäßig, -technisch, -seitig, -günstig, -gerecht. Dem würde dann auch das geliebte geschlechtergerecht zum Opfer fallen. Suchen Sie je zehn Adjektive, die damit verloren gingen.

Sie könnten in einem rückläufigen Wörterbuch suchen.

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5. Seite 110 | Aufgaben und Lösungen

Aufgaben und Lösungen

Deutsch wird im Internet versteigert Dortmund (rpo). Die deutsche Sprache soll im Internet versteigert werden. Startgebot der symbolischen Auktion bei „Ebay“ ist ein Euro. Mit der Aktion will der „Verein Deutsche Sprache“ (VDS) nach eigenen Angaben an das Verantwortungsgefühl für die Muttersprache appellieren. Nachdem die Deutschen sich um ihre Sprache selber nicht mehr kümmerten, wollten es vielleicht andere gerne tun. „Der Tag der Erstklassiges, hoch entwickeltes Sprachsystem mit dem Markennamen „Deutsch“: rund 1500 Jahre alt, mit ungefähr 450 000 Wörtern, sehr nützlich vor allem durch seine weite Verbreitung hauptsächlich in Europa. (...) Das Teil hat allerdings durch fahrlässigen Gebrauch vor allem in letzter Zeit einigermaßen gelitten, weist ziemlich viele Anglizismen auf, und ist im Ausland wahrscheinlich mehr beliebt als im deutschsprachigen Raum. Muttersprachen ist für uns willkommener Anlass, auf die Schludrigkeit im Umgang mit der deutschen Sprache hinzuweisen.“ Die Versteigerung begann am 14. Februar um 1 Uhr morgens. Zwei Tage später hatte allerdings noch kein Bieter Interesse gezeigt. Alsbald waren dann 20,51 Euro geboten. Kurz vor Auktionsende hat die „Deutsche Sprache“ immerhin schon einen Wert von 261,00 Euro. 6. Was soll das? Scheint Ihnen das Ganze konsistent?

Eher ein Gag, um Aufmerksamkeit zu wecken für diesen VDS-Laden. Denn nach den Lobeshymnen im Text auf Gelb kann es ja nicht ganz passend für die VDSler sein, dass so wenig geboten wurde. Haben die potentiellen Bieter das durchschaut? Waren sie nicht blöd genug, um hier mitzubieten?

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6. Seite 121 | Aufgaben und Lösungen

Aufgaben und Lösungen Der Witwe eines Kettenrauchers wurde Schadensersatz von 23,6 Milliarden Dollar zugesprochen. Der US-Tabakkonzern RJ Reynolds sollte diese Summe an Cynthia Robinson zahlen, wegen des Todes ihres an Lungenkrebs gestorbenen Ehemanns. Die Geschworenen urteilten, dass Reynolds absichtlich die Gesundheitsgefahren seines Produktes verheimlicht habe. Das Unternehmen habe nicht deutlich gemacht, dass Nikotin süchtig mache und Zigaretten giftige Stoffe enthielten. 1. Muss man sagen, was allen bekannt ist. Wie wird verheimlichen hier verstanden?

Ja, das scheint uns ulkig amerikanisch. Wir verstehen es nicht ganz. Vor nunmehr mehr als 60 Jahren wussten wir schon alles als Kinder: Seht ihr die Toten dort im Tal? Es sind die Raucher von Reval. 2. Zu viel gesagt? Wozu dient das hier? Sie wären französischer Bauer im Zweiten Weltkrieg, der Juden versteckt hält, um sie vor Nazis zu schützen. Auf die Frage eines SSOffiziers „Haben Sie Judengesindel gesehen?“ lügen Sie: „Nein, leider habe ich niemanden von diesem Juden-Pack gesehen.“

Weiße Lügen sind seit je ein Problemfall für das moralische Lügenverbot. Die generelle Lösung scheint es nicht zu geben. Edathy behauptet, Ziercke habe Hartmann über die Ermittlungen gegen Edathy informiert und fortwährend Wertungen zukommen lassen. Hartmann stritt ab, Informationen über Ermittlungen gehabt zu haben: „Ich habe nichts verraten, weil ich nichts zu verraten hatte.“ 3. Lügt einer? Wer? Was passt in der Darstellung nicht als Nachweis?

Hier kommt es immer genau auf die Formulierung an. So könnte Hartmann das, was er gesagt hat, einfach nicht als ein Verraten sehen. Zum andern haben wir es im Ganzen mit einem Bericht zu tun. Vielleicht insinuiert der Schreiber, das sei irgendwas gelogen. Heringer/ Wimmer, Sprachkritik ©Wilhelm Fink Verlag

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6. Seite 122 | Aufgaben und Lösungen

Aufgaben und Lösungen 4. Hat einer recht? Oder zwei zu zwei? Nachdem Verteidigungsminister Guttenberg (CSU) und Schneiderhan unterschiedliche Darstellungen über ein Gespräch am 25. November und die Zahl der Teilnehmer gegeben haben, stützt jetzt ein wichtiger Zeuge den Minister. Brigadegeneral Peter Braunstein bestätigt, dass er an der Unterredung teilgenommen hat – so, wie es Guttenberg am Donnerstag vor dem Ausschuss ausgesagt hatte. Schneiderhan und der ebenfalls in der Affäre gefeuerte Staatssekretär Wichert hatten am 18. März das Gegenteil behauptet.

Das Gegenteil wovon? 5. Alles ok, wenn beide gelogen haben? Was wird zählen, falls Lewinsky widerruft? Clinton unter Eid: Ich hatte keine sexuelle Beziehung mit Miss Lewinsky. Ich forderte nie jemanden auf zu lügen. Widerruft Monica Lewinsky ihre im Jones-Verfahren unter Eid gemachte Aussage, sie habe keine sexuellen Beziehungen mit Clinton gehabt, hätte sich der Präsident des Meineids schuldig gemacht.

Ja, wenn das so einfach wäre. Die Lewinsky kann nicht darüber entscheiden, was wahr ist. Erstaunlich, dass der Berichtende das nicht weiß. Manipuliert er oder ist er einfach doof?

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6. Seite 122 | Aufgaben und Lösungen

Aufgaben und Lösungen Sicher ist nur: Wer behauptet, er habe in seinem Leben noch nie gelogen, der lügt mindestens zum zweiten Mal. Dies bestätigen Untersuchungen einer Psychologinnengruppe an der University of Virginia. Sie fanden heraus, dass bei jedem vierten oder fünften Kontakt zwischen zwei Menschen gelogen wird. Die Lüge ist also ein geradezu banales Alltagsereignis. 6. Hätten Sie eine Idee, wie man das herausfinden kann? Welches Lügenkonzept könnte dem zugrunde liegen?

Wir glauben das naive Lügenkonzept, nach dem zum Beispiel höfliches imageschonendes Verhalten, Komplimente, Verhüllendes (das der Adressat erkennt und erkennen soll) und vieles Andere als Lüge gelten soll.

Lügendetektor mit kurzen Beinen Mit dem Lügendetektor lässt sich nach Auffassung von Experten testen, ob jemand lügt oder nicht. Das Gerät misst unwillkürliche körperliche Reaktionen, die auf besondere Erregungszustände hindeuten. Die Methode sei untauglich. Wenn beispielsweise bei einer Aussage der Befragte rot werde und sich seine Gesichtstemperatur erhöhe, habe er möglicherweise gelogen. Aber vielleicht schäme er sich nur. 7. Haben Sie weitere Ideen, was da alles schiefgehen könnte?

Es gibt zahllose Möglichkeiten. Allein die Eichung solcher Geräte kann nur über Testlügen geschehen. Wie das im Ernstfall ist, weiß man eher nicht. Was wäre, wenn der Delinquent nur glaubt, er lüge? Test positiv, aber gelogen wurde nicht.

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7. Seite 134 | Aufgaben und Lösungen

Aufgaben und Lösungen (1) Ein Unfallbeteiligter, der sich nach einem Unfall im Straßenverkehr vom Unfallort entfernt, bevor er 1. zugunsten der anderen Unfallbeteiligten und der Geschädigten die Feststellung seiner Person, seines Fahrzeugs und der Art seiner Beteiligung durch seine Anwesenheit und durch die Angabe, dass er an dem Unfall beteiligt ist, ermöglicht hat oder 2. eine nach den Umständen angemessene Zeit gewartet hat, ohne dass jemand bereit war, die Feststellungen zu treffen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. . (5) Unfallbeteiligter ist jeder, dessen Verhalten nach den Umständen zur Verursachung des Unfalls beigetragen haben kann. (StGB §142: Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort)

1. An welchen Stellen braucht man weiterführende Klärungen? Wieso zugunsten Anderer? Wozu eine solche Begründung? Was wenn derjenige glaubt, nicht beteiligt zu sein? Was ist eine den Umständen angemessene Zeit? Worin bestehen die Umstände? Was wenn der Unfallbeteiligte keine Zeit hat? Und so weiter.

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7. Seite 135 | Aufgaben und Lösungen

Aufgaben und Lösungen 2. Könnte Sie den Paragraphen geschlechtergerecht formulieren?

Vielleicht so: (1) Eine Unfallbeteiligte/Ein Unfallbeteiligter, die/der sich nach einem Unfall im Straßenverkehr vom Unfallort entfernt, bevor sie/er 1. zugunsten der anderen Unfallbeteiligten und der Geschädigten die Feststellung ihrer/seiner Person, ihres/seines Fahrzeugs und der Art ihrer/seiner Beteiligung durch ihre/seine Anwesenheit und durch die Angabe, dass sie/er an dem Unfall beteiligt ist, ermöglicht hat oder 2. eine nach den Umständen angemessene Zeit gewartet hat, ohne dass jemand bereit war, die Feststellungen zu treffen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. . (5) Unfallbeteiligte sind alle, deren Verhalten nach den Umständen zur Verursachung des Unfalls beigetragen haben kann. (StGB §142: Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort)

Am Anfang ist es etwas clumsy. Im letzten Absatz stellt sich aber die Frage, ob das individuierende jeder durch alle ersetzt werden kann.

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7. Seite 135 | Aufgaben und Lösungen

Aufgaben und Lösungen 3. Unterstreichen Sie in diesen Rezensionen darstellende Ausdrücke und wertende in anderer Farbe. Das Buch liefert zu allen Thesen jeweils einige kurze Beispiele und bleibt seinem wissenschaftlichen und dennoch verständlichen Sprachstil bis zum Schluss treu. Ich habe das Buch für meine Uni-Abschlussarbeit (ein paar Monate her) benötigt und war froh es zu haben. Die Gliederung ist schlüssig und führt Stück für Stück zum Ergebnis. Auch die Beispiele sind sinnvoll, verständlich und realitätsnah beschrieben. Sie helfen die aufgeführten Theorien besser zu begreifen und es sich bildlich einzuprägen. Die Sprache ist zwar wissenschaftlich, aber nicht überflüssig aufgeladen. Alles in allem ein sehr gutes Werk. Dieses Buch ist ein Klassiker hinsichtlich der interkulturellen Kommunikation. Es ist auch als einführend in dieses Themas sehr geeignet. B bietet sehr leichte und verständliche Definitionen, die für einen Anfang geeignet sind. Jeder, der sich für dieses Thema interessiert, sollte es im Regal haben. Mit dem Arbeitsbuch hat A eine didaktisch gut aufbereitete Überblicksdarstellung vorgelegt, die anhand zahlreicher Beispiele aus dem interkulturellen Alltag auf anschauliche Weise in die Grundlagen der interkulturellen Kommunikation einführt. Bedauerlich ist allerdings die teilweise sehr knappe Darstellung der Modelle und Theorien, die an manchen Stellen zu Sinnverkürzungen und Unverständlichkeiten führt. Gerade für Einsteiger in dieses Thema sollten die Grundlagen in ihrer ganzen Bedeutungsdimension dargelegt werden, da diese ja das Fundament für darauf aufbauendes Wissen sind. Dass die Darstellung weitgehend auf einem relativ elementaren Niveau verbleibt, ohne jedoch die Komplexität des Gegenstands allzu stark zu vernachlässigen, macht die Besonderheit dieses Arbeitsbuchs aus.

5. Wieso sind Anspielungen keine Plagiate? Ziehen Sie das Wissen der Adressaten in Betracht und die Erwartung des Autors.

Bei Anspielungen baut der Sprecher darauf, dass der Hörer den Bezugstext kennt. Es liegt keine Täuschungsabsicht vor. Wenn der Hörer den Bezug nicht rafft, versteht er nicht. Dann haben beide Pech gehabt.

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Aufgaben und Lösungen 7. Sprachkritiker machen sich Manches zu eigen. Wo das zum Plagiat wird, kann man schwerlich genau sagen. Aber sich mit fremden Federn schmücken und wie mausrig ausschauen, das gelingt manchem Sprachkritiker. Hier sind Sprachkritikersentenzen zusammengebastelt aus zweien von Karl Kraus. Kreuzen Sie die Originale an. Es genügt nicht, keine Gedanken zu haben. Man muss auch unfähig sein, sie auszudrücken. Es genügt nicht, keine Gedanken zu haben; man muss auch fähig sein, sie nicht auszudrücken. Es genügt nicht, keine klaren Gedanken zu haben; man muss auch imstande sein, sich unklar auszudrücken.

●√Es genügt nicht, keinen Gedanken zu haben: man muss ihn auch ausdrücken können. Es genügt nicht, sich keine Gedanken zu machen, man muss auch unfähig sein, sie auszudrücken.

●√Keinen Gedanken haben und ihn ausdrücken können – das macht den Journalisten.

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Aufgaben und Lösungen 8. Wo haben wir es mit einer Lüge oder Täuschung zu tun? ja

nein kann sein



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Kalle behauptet, dass er gut verdient, und glaubt das auch. Aber er verdient eigentlich schlecht. Carla hat Kalle ein Buch geliehen. Sie möchte es wiederhaben. Kalle erinnert sich gut, aber sagt: Du hast mir gar nichts geliehen. Kalle sagt zu Carla: Morgen wird es warm. Es friert aber doch. Carla hat Kalle ein Buch geliehen. Sie möchte es wiederhaben. Kalle sagt: Du hast mir gar nichts geliehen. Kalle verdient gut und weiß das auch. Carla möchte Geld vom ihm geliehen haben. Darauf: „Du, ich verdien so wenig!“ Carla hat Kalle ein Buch geliehen. Sie möchte es wiederhaben. Kalle sagt: Ich hab kein Buch von dir. Kalle sagt zu Carla: Ich werde heute Abend zur Stelle sein. Carla glaubt ihm. Er kommt aber nicht.

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8. Seite 160 | Aufgaben und Lösungen

Aufgaben und Lösungen 1. Worauf geht der Ausschnitt zurück? Auf die Formulierung unten? Nur eins, fürchtet Ex Behördenleiter Gauck, habe diese seltsame Allianz wohl nicht im Blick: Über die maßlosen Attacken auf die Birthler Behörde würden sich vor allem frühere Stasi-Offiziere freuen. (SP 3.07.2006) Ex Behördenleiter Gauck sagte: „Nur eins, fürchte ich, hat diese seltsame Allianz wohl nicht im Blick: Über die maßlosen Attacken auf die Birthler Behörde würden sich vor allem frühere StasiOffiziere freuen.“

Nach klassischer Lehre würde die Rückführung so klappen. 2. Welche Möglichkeiten sehen Sie noch?

In journalistischen Texten ist öfter unsicher, ob der Konjunktiv nicht vom Journalisten stammt, dass er sozusagen kommentiert, wie er den Wahrheitsgehalt sieht. Dann wäre der Basistext: Ex Behördenleiter Gauck sagte: „Nur eins, fürchte ich, hat diese seltsame Allianz wohl nicht im Blick: Über die maßlosen Attacken auf die Birthler Behörde werden sich vor allem frühere Stasi-Offiziere freuen.“ Das schafft für Leser, die das kennen, ziemlich Unsicherheit.

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8. Seite 160 | Aufgaben und Lösungen

Aufgaben und Lösungen 3. Zur gleichen Verhandlung eine vergleichende Analyse-Aufgabe.  Auf was wird jeweils fokussiert? Was steht im Mittelpunkt?  Welcher Textsorte kann man die Texte zuordnen? Welchem Sprachregister? Oberst Knott freigesprochen Der frühere Grenzschutz-Fluglehrer Oberst Erwin Knorr ist am Donnerstag nach achttägiger Hauptverhandlung vom Bonner Landgericht von dem Vorwurf der „Körperverletzung im Amt“ in fünf Fällen freigesprochen worden. Dem ehemaligen Kommandeur der Bundesgrenzschutz-Fliegergruppe in BonnHangelar war vorgeworfen worden, Flugschüler bei Flügen während der Hubschrauberausbildung misshandelt zu haben. Das Gericht folgte mit seinem Urteil den gleichlautenden Anträgen von Staatsanwaltschaft und Verteidigung. Das Verfahren hatte Aufsehen erregt, weil es vor dem politischen Hintergrund der Kontroverse zwischen der Gewerkschaft der Polizei und dem Bundesgrenzschutz spielte.

Freispruch – weil „eine Fliegerschule kein Damenkränzchen ist“ Die Flieger-Uhr von Grenzschutz-Oberst Erwin Knorr (52) zeigt genau 12 Uhr mittags. „Freispruch!“ verkündet Richter Quirini. Der drahtige Oberst Knorr, der 300 Piloten und Bordwarte ausgebildet und, wie die Gewerkschaft der Polizei behauptete, angeblich geschlagen hatte, ist „in vollem Umfang rehabilitiert“. Der Vorsitzende nennt ihn einen „untadeligen Offizier und brillanten Flieger“. Und er spricht von „hasserfüllten Tiraden“ eines Zeugen. Oberst Erwin Knorr sitzt schweigend auf der Anklagebank. Er muss anschließend viele Hände schütteln. Jeder will ihm gratulieren. Richter Quirini zum Schluss: „Eine Fliegerschule ist, verdammt nochmal, kein Damenkränzchen.“

Im ersten Text steht das Verfahren im Mittelpunkt, das Urteil am Anfang, dann die Vorgeschichte und die Intrige. Im zweiten Text wird vor allem auf die Person fokussiert. Im ersten Text liegt ein klassischer Bericht vor. Der zweite Text hat starke Züge einer Erzählung.

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9. Seite 171 | Aufgaben und Lösungen

Aufgaben und Lösungen 1. Nach der deutschen Niederlage wurde das Datum 7. Mai 1945 zur Stunde Null erklärt. Was sollte damit ausgedrückt werden (links ankreuzen), und was traf nicht unbedingt zu (rechts ankreuzen)?

●□ Neuanfang



□ Bruch mit der Tradition □ Neues Personal ●□ Bruch mit dem Faschismus □ Bedauern über Niederlage ●□ Aufbau und Wiedergeburt □ Geistiger Wandel ●□ Absoluter Neubeginn

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„Der Führer hat erklärt, daß die Juden ihre Rolle in Europa ausgespielt haben, und daher haben sie ihre Rolle ausgespielt.“ 2. Woran erinnert Sie das? Haben Sie die Schöpfungsgeschichte im Ohr? Recherchieren Sie zu Performativen.

Hitler spricht wie der liebe Gott: Es werde Licht und es ward Licht. Dies ist ein performativer Akt, in dem bewirkt wird, was gesagt wird. Ein typischer performativer Akt ist: Ich taufe dich auf den Namen ... Vom Pfarrer gesprochen. 3. Nazis in den okkupierten Niederlanden: Purismus invers. Wieso? „Bei der schulmäßigen Pflege der deutschen Sprache werden Entlehnungen unvermeidlich sein. Sie sind aber eine Bereicherung, soweit sie sich dem germanischen Sprachtypus fügen.“

Sprachkritiker sehen in Fremdwörtern meist gerade keine Bereicherung. Sie haben die Idee, dass damit Genuines ausgerottet wird. Logozid sozusagen. Die Nazis waren hingegen absolute Pragmatiker. Mit Sprachkritik hatten sie nichts am Hut. Dagegen aber mit Zensur und Sprachkontrolle.

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9. Seite 172 | Aufgaben und Lösungen

Aufgaben und Lösungen 4. Entnazifizierung war eine wichtige Sache nach der Nazi-Zeit. Entwerfen Sie einen Wörterbucheintrag zum Stichwort.

Einen aufgeklärten Entwurf finden Sie in 5. Was wird bezweckt mit der Forderung, die deutsche Sprache als Staatssprache ins Grundgesetz aufzunehmen?

Wir können nur sehen:  Bedienung nationalistischer Interessen  Puristische Idee, so könne man das Deutsche rein halten von fremdsprachlichen Einsprengseln. 6. Was finden Sie in den antifaschistischen Sprachkritiken? □ Sprachverfallsthese

□ □ □ □ □

Adressierung einer bestimmten Leserschaft Die Formulierung spezifischer „Feindbilder“ Schriftsprachstandard als Maßstab Orientierung an Literaturklassikern Orientierung am eigenen Sprachgefühl

8. Was halten Sie davon? Kinder vor Missbrauch zu schützen hat nichts mit Zensur zu tun.

Es kommt drauf an, wie man sie schützt. Als moralische Keule sollte das Argument nicht genutzt werden. 9. Was halten Sie davon? Verboten in Deutschland: Das Buch „Das Reich als Aufgabe“ von Friedrich Schmidt. Verboten wegen Volksverhetzung.

Wir nehmen an, dass dies vom Gehalt und von der Gesetzeslage her gerechtfertigt ist. Es bleibt aber die generelle Frage der Meinungsfreiheit und ihrer Grenzen. Vor allem aber die Argumentation über die Grenzen.

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10. Seite 188 | Aufgaben und Lösungen

Aufgaben und Lösungen In Google trends finden Sie für Deutschland folgende Zählungen von Suchanfragen zu Maut: München: 100, Chemnitz: 85, Dresden: 79, Augsburg: 76, Ulm: 76, Nürnberg: 74, Regensburg: 73, Stuttgart: 72, Bayreuth: 72, Würzburg: 67 1. Was könnten Sie daraus schließen?

Erst einmal: Größere Städte, mehr Suchanfragen. Für weitere Schlüsse braucht man also relative Werte. Danach wird aber in Dresden mehr gesucht als etwa in Würzburg. Daraus kann man natürlich nicht auf Zustimmung, Ablehnung, genuines Interesse schließen. Plausibel wäre ein dialektale Frage. Das würde erklären, warum Münchner relativ seltner suchen als Dresdner. Zum mutmaßlichen Mörder: Der mutmaßliche Mörder des italienischen Modeschöpfers Gianni Versace wurde gestern gefasst. Auf der Suche nach dem Mörder der elfjährigen Christina hat die Polizei die erste Spur. 2. Nach geforderter Rede sind Sie hier vielleicht aufs Glatteis gerutscht. Im zweiten Beispiel: Woher weiß man, dass es ein Mann war?

Im ersten Beispiel scheint uns das mutmaßlich politisch korrekt und auch in unserem Sinn akzeptabel verwendet. Allerdings: Das zweite Beispiel krankt daran, dass nach offizieller Lehre es erst einen Mörder gibt, wenn es einen Mord gibt, und einen Mord gibt es erst, wenn er per Urteil rechtskräftig festgestellt ist. Das aber zeigt, dass die Befolgung einer solchen Regel rein normativ ist und nicht unseren Gewohnheiten und dem üblichen Sprachgebrauch entspricht. Dem zweiten Beispiel liegt entweder ein generischer Gebrauch zugrunde oder ein sexusspezifischer, dem das Vorurteil zugrunde liegt, Mörder seien Männer. Heringer/ Wimmer, Sprachkritik ©Wilhelm Fink Verlag

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10. Seite 188 | Aufgaben und Lösungen

Aufgaben und Lösungen 3. Aber dann: Wo bleibt das mutmaßlich hier weg und warum? „Sie ist eine eiskalte Mörderin“, sagte der Vorsitzende Richter. Die Polizei hat die Spur des flüchtigen Mörders Dieter Zurwehme im Grenzgebiet gefunden. Im ersten Beispiel könnte der Richter dies nach der Urteilsverkündung gesagt haben und wäre damit dem geforderten Sprachgebrauch gefolgt. Ob das Urteil allerdings rechtskräftig war, wissen wir nicht. Im zweiten Beispiel kommt es darauf, ob D. W. verurteilt war und etwa ausgebrochen ist. Sonst trifft die Lösung zu Aufgabe 2 hier zu. Allerdings immer mit der Kautele, in welchem Register und in welchem Grad der Öffentlichkeit hier gesprochen wird.

Ein Problem korrekter Wiedergabe scheint uns auch vermeintlich. Im Spiegel 49, 2014, 20 können Sie lesen: Akten werden großflächig geschwärzt – aus Angst, dass echte oder vermeintliche Staatsgeheimnisse an die Öffentlichkeit kommen könnten. 4. Von wem stammt wohl das vermeintliche? Und gehört es zur Angst der Geheimdienstler?

Das vermeintlich ist hier eine (gerechtfertigte) Wertung. Sonst wären die Geheimdienstler nicht sehr rational. Öfter können Sie Argumente finden wie: Viele Frauen fühlten sich beispielsweise von der Berufsbezeichnung Arzt nicht berücksichtigt. 5. Wie viele? Was glauben Sie? Wer hat Evidenz woher?

Na ja. Das wissen Sie selbst. Versuchen Sie mal: Einige/ Manche/ Geschulte/ Angespitzte

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10. Seite 189 | Aufgaben und Lösungen

Aufgaben und Lösungen 6. Hier sehen Sie übliche Ratschläge für geschlechtergerechte Formulierungen. Welche würden Sie akzeptieren, welche nicht? Warum? Hätten Sie noch bessere Ideen? Nicht

sondern

Jeder, der den Nachweis erbracht hat, Alle, die den Nachweis erbracht darf ... haben, dürfen ... Wer den Nachweis erbracht hat, darf ... Der Lehrling im Einzelhandel muss ... Die Lehrlinge müssen ... Alle Lehrlinge im Einzelhandel müssen ... Der Chef, der Leiter, der Lehrer Die Lehrkraft, die Führungskräfte, das Leitungsteam, die Leitungsperson, die Person, welche die Gruppe leitet, ... Die Absolventen des Kurses sind Das Absolvieren des Kurses berechtigt ... berechtigt ... USW. USW.

Wir möchten die Lösung Ihnen überlassen. 7. Welche Reformulierung fänden Sie am besten für „Landwirte leisten einen wesentlichen Beitrag zu ...“? Welche passen weniger? In der Landwirtschaft tätige Personen leisten ... Die in der Landwirtschaft Tätigen leisten ... Die Landwirtschaft Betreibenden leisten ... Die in der Landwirtschaft Beschäftigten leisten ... Landwirtschaftlich Tätige leisten ...

Das ist auch eine stilistische Frage, die Sie nach ihren Stilvorstellungen entscheiden. Aber es gibt auch ein sachliches Argument, das offenbar hier ignoriert wird. Denn Landwirte sind ja eher die Betreiber/ Betreiberinnen und weniger die Beschäftigten.

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10. Seite 190 | Aufgaben und Lösungen

8. Was halten Sie von dieser Argumentation? Unsichtbare Männer – eine Kritik an der Gender-Sprachkritik In den meisten Fällen müssen sich Männer damit abfinden, dass Maskulina beide Geschlechter im gleichen Maße erfassen. Wer etwa fragt, wie viele Studentinnen an einer Universität studieren, erhält die Zahl der dort immatrikulierten Frauen. Wer hingegen die Anzahl der Männer an jener Universität wissen will, muss die umständliche Formulierung wählen: Wie viele männliche Studenten studieren an dieser Universität? Wenn wir wissen, dass in einer Grundschule 200 Schüler von 18 Lehrerinnen unterrichtet werden, dann kennen wir das Geschlecht der Lehrkräfte, das der einzelnen Kinder aber nicht.

Das stimmt wohl, aber so arg relevant dürfte es faktisch nicht sein. 9. Formulieren Sie diesen Paragraphen geschlechtergerecht. Was müssten Sie alles ändern? Gelten die Lichtzeichen nur für zu Fuß Gehende oder nur für Rad Fahrende, wird das durch das Sinnbild „Fußgänger“ oder „Radverkehr“ angezeigt. Für zu Fuß Gehende ist die Farbfolge Grün-Rot-Grün; für Rad Fahrende kann sie so sein. Wechselt Grün auf Rot, während zu Fuß Gehende die Fahrbahn überschreiten, haben sie ihren Weg zügig fortzusetzen.

Eines ist die Formulierung, vor allem in Komposita und dergleichen. Falls Fußgänger Singular ist, müsste es auch moviert vorkommen. Aber dann bitte auch sexusneutrale Ikone, wie bei der Diskussion um das Ampelweibchen dann doch noch nicht gelungen. Die neue Rechtschreibung hat in manchen Fällen das etymologische Prinzip verstärkt. So wird Stängel als Ableitung von Stange deklariert. Die Frage ist: Wie weit will man in der etymologischen Tiefe gehen? Dürfen auch falsche Etymologien zugrunde gelegt werden? 10. Recherchieren Sie: Was hat es mit solchen Schreibungen auf sich: Quäntchen, behände ...

Sie sind etymologisierend und schon mal etymologisch falsch wie Quäntchen, das nicht auf Quantum zurückgeht.

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11. Seite 203 | Aufgaben und Lösungen

1. Als was stilisieren sich diese Partnersucher? Oldtimer, Baujahr 45, Sportmodell, solide gelaufen, jedoch einige kleine Kratzer im Lack, zweifelsfrei Liebhaberstück für humorvollen Fahrer (ab 176 cm [ ... ])

Gebraucht aber noch gut erhalten, M, 46, 1,70. Jeder Zentimeter Zärtlichkeit, Kreativität und Poesie. Sucht F mit Spaß an Rockmusik, Kunst, Kultur, Zweisamkeit

Müder Stier (21/ 190/ 76) sucht die Torera, die ihn wieder auf Touren bringt. Notfalls mit dem roten Tuch. Bild wäre (s)tierisch gut! [ ... ]

Einsamer Wolf sucht schlankes Reh zum Durchstreifen der DiscoWälder. Jagdrevier [ ... ] Bild wäre nett. [ ... ]

In der zweiten Anzeige ist die Metapher nicht durchgehalten. Bei den anderen ist klar: Auto, Stier (uii!), Wolf (auch nicht schlecht). 2. Spielen Sie vor Gericht. Was könnten Sie aus folgenden Auffälligkeiten eines Erpresserbriefs schließen? Kaundaun, lequidieren, opservieren, Foot Bereich, subzessiv, Exisdenz, Rubrick, Versant, Standart

Kann kein Englisch, tut sich schwer mit Fremdwörtern, macht einen gängigen Schreibfehler. Eine juristisch wichtige Frage: Soll ein Täter eindeutig bestimmt werden oder ausgeschlossen werden? Vorgehensweise ist meistens der Vergleich: Objekttext und Korpus von Vergleichstexten des „Täters“. 3. Wie lang müsste der Objekttext sein und wie viel Vergleichstext bräuchte man?

Hierfür ist kein Maß bekannt. Sicher ist aber: Verlässliche Ergebnisse wären nur bei wesentlich größeren Korpora zu gewinnen. 4. Überlegen Sie: Wie weit könnte die Grundidee der Autorbestimmung reichen? Vergeben Sie Punkte für die Wichtigkeit der Einwände (von 1 bis 10 = sehr wichtig).

Die Einschätzung liegt bei Ihnen. Für uns war wichtig, auf diese Imponderabilien hinzuweisen.

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11. Seite 204 | Aufgaben und Lösungen

5. Menschen werden auch mit Hotwords stilisiert. Mit der Verwendung eines einzigen Wortes werden sie erfasst. Skizzieren Sie: Was ist ein Asylant.

Hier nur etwas aus dem semantischen Umfeld: abgeschobene Asylanten, anerkannte Asylanten, Arbeitslose Alkoholiker - Drogensüchtige - Asylanten ... Drückeberger, Asylanten ... Asylwerber, Asylanten ... Dealer, Asylanten ... ein Bleiberecht, Asylanten ... faul, Asylanten ... in Pappkartons, Asylanten ... Sozialamt, Asylanten ... und ausländische ... Mitbürger, Asylanten [oder] Wirtschaftsflüchtlinge, Asylanten [und] Kriegsflüchtlinge, Asylanten schneller abschieben, Einwanderer [und] Asylanten und ..., farbige Asylanten, Juden Zigeuner ... und Asylanten Wenn Sie historisch interessiert sind: Was war ein Sympathisant? 6. Öfter wird von Wissenschaftlern Solidarität mit der deutschen Sprache gefordert, sie mögen auf Deutsch statt auf Englisch publizieren. Was ist an einer solchen Forderung windschief? Schreiben Sie eine kurze Argumentation.

Wissenschaftler schreiben nicht für die deutsche Sprache, sondern für die Wissenschaftlergemeinde. Sie wollen gelesen werden und sie wollen an bestimmte Diskussionen anknüpfen. Danach wählen sie im Idealfall die Sprache aus, wenn auch bei uns selten Japanisch oder Chinesisch. Manche reden so, als schaffe meine Sprache meine Identität, andere sagen sie identifizierten sich mit unserer Sprache. 7. Warum sind solche Redeweisen nicht sehr sinnvoll?

Zu meiner Identität gehört viel mehr, insbesondre, was den Sprachanteil betrifft, dass ich noch einige andere Sprachen spreche. Man weiß nicht so genau, wie das geht sich mit einer Sprache identifizieren. Sie einfach sprechen? Oder sie so sprechen wie jene sich einbilden?

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12. Seite 217 | Aufgaben und Lösungen

1. Stellen Sie eine Liste inkriminierter Fremdwörter zusammen.

 Was ist jeweils damit gemeint?  Was wäre ein deutsches Äquivalent?  Bringen Sie jeweils die alternativen Pärchen in Kontexte und zeigen Sie so, wie weit die Äquivalenz geht.

Sie finden zur Anregung eine in Sick 2006, 92-95. Und nur mal die mit A aus (http://de.wikimannia.org/ Fremdw%C3%B6rter_%28Liste%29) Schauen Sie auch auf die Erklärungen. Actionfilm = Krawallfilm[1] After-Work-Party = Feierabendfete[1] Aftershave = Rasierwasser[1] Airbag = Prallkissen[1] Aircondition = Klimaanlage[1] Airport = Flughafen Appeasement = wohlwollende Stillhaltepolitik, Konfliktvermeidungsstrategie Autopoiesis = Der Prozess der Selbsterschaffung und -erhaltung eines Systems

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12. Seite 218 | Aufgaben und Lösungen

2. Wie würden Sie dieses Zitat im Unterricht verwenden? Spiegel 26, 1963 berichtet von einer Tagung in Berlin. Steiner glaubte erkannt zu haben, daß die deutsche Sprache mit dem Ende der Hitler-Jahre vollends „zugrunde gegangen“ und [...] nicht wieder zum Leben erwacht sei. Diese Sprache, so fand der ex-österreichische Germanist, [...] „schärft nicht mehr den Gedanken, sie verwässert ihn“, dokumentiere lediglich eine „Erstarrung des Geistes“ und bewirke einen „unvermeidbaren Sinn für Plattheit und Heuchelei“. „Macht man aus Wörtern [...] Überbringer von Terror und Falschheit, dann geschieht etwas mit den Wörtern. Etwas von den Lügen und dem Sadismus wird sich dann im Kern der Sprache festfressen.“

Was verstehst du nicht in diesem Text? Gib für Sätze, die du verstehst, eigene Formulierungen. Was ist widersprüchlich in dem Text? Welche Behauptungen sind schlicht falsch, wenn man sie normal versteht?

3. Überlegen Sie zu diesem Album:  Was könnte man teilen?  Was ist problematisch?  Was ist schlicht Unsinn?  Und wo findet sich ein undifferenzierter Gebrauch von Sprache? Wer die Sprache beherrscht, beherrscht die Menschen. Sprache und Denken sind eins. (Karl Kraus) [Die Alltagssprache] ist in sich problematisch, da die Sprachlichkeit des so genannten Faktischen selbst nicht begriffen wird. (Helmut Arntzen) Sprache und Sprechen haben etwas mit der Gesinnung zu tun. (Karl Korn)

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Unsinn Problematisch Ok.

Ok.

12. Seite 218 | Aufgaben und Lösungen

Gemeinhin werden den migrantischen Deutschvarietäten folgende Eigenschaften zugeschrieben:  Artikelauslassung  Kopula-Ausfall  Einheitsgenus: Femininum  Flexionsvermeidung: Infinitivische Ausdrucksweise 4. Welche dieser Eigenschaften erkennen Sie in den Textbeispielen auf den Seiten 213 und 214?

Auf jeden Fall: Artikelauslassung Flexionsvermeidung In einem Klassiker light wurde „Habitus“ nicht durch seine deutsche Entsprechung „Gehabe“ ersetzt, sondern durch das völlig unpassende „Kleidung“. 5. Wie können Sie die Bedeutung von Habitus gewinnen und erklären?

Wir würden gleich zu (http://corpora.ids-mannheim.de/ ccdb/) gehen und fänden etwa: Habitus [...] Gestik und Mimik Habitus [...] wirkt er eher Kleidung Sprache und Habitus einen bürgerlichen [...] Habitus in ... Sprache [und ...] Habitus in Habitus und Auftreten intellektuellen [...] Habitus seinem ganzen [...] Habitus her ... staatsmännischem Habitus äußeren [...] Habitus 6. Eine Lehrerin bemerkt: „Klassiker light erleichtert den Zugang zu klassischen Texten und weckt Lesevergnügen, was sich positiv auf den Unterricht auswirkt.“

Skizze Frage: Was ist vergnüglich? Wie zeigt sich, könnte sich zeigen, dass der Zugang zum echten Text so erleichtert wird? USW.

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