Wieviel Individualität erträgt die Gesellschaft?

Wieviel Individualität erträgt die Gesellschaft? Tagung „Bei uns fällt niemand durchs Netz“ 20.11.08 Winterthur Dr. med. Toni Berthel stv. Aerztliche...
Author: Wilhelm Kerner
3 downloads 0 Views 993KB Size
Wieviel Individualität erträgt die Gesellschaft? Tagung „Bei uns fällt niemand durchs Netz“ 20.11.08 Winterthur

Dr. med. Toni Berthel stv. Aerztlicher Direktor integrierte Psychiatrie Winterthur, ipw Co-Leiter integrierte Suchthilfe Winterthur Schweizerische Gesellschaft für Suchtmedizin SSAM

1

Grundhaltung?? • „Unser Ziel muss eine Gesellschaft sein, die den Rausch einmal genauso ächtet wie den Kannibalismus.“ (Helmut Kohl 18.8.1992)

2

Grundhaltung??

Adoleszenz Adoleszenz

Norm? – Turbulenz? – Störung? 3

1 • Gesund alt werden ist primär ein Wunsch von älter werdenden Menschen • Für Jugendliche steht das Erleben, das Erlebnis, die starken Gefühle im Zentrum. Gesundheitsvorsorge kommt erst später.

4

2 • Früherkennung darf nicht zu einem kollektiven Disziplinierungsinstrument werden Wie können wir sicherstellen, dass Gesundheitserziehung nicht als paternalistisches Unterwerfungsritual missbraucht wird?

5

3 • Eine Gesellschaft braucht für ihre Weiterentwicklung die Rebellion und die Grenzüberschreitungen der Jugend • Der Jugendliche braucht für seine Identitätsentwicklung und seine Sozialisation die Auseinandersetzung mit der Gesellschaft und ihren Instanzen. Gleichzeitig muss er Grenzen suchen um sie zu kennen. 6

4 • Das Verhindern von Störungsentwicklungen und Krankheiten ist wichtig! • Doch das Fehlen von Störung oder Krankheit bedeutet noch lange nicht Wohlbefinden und Zufriedenheit.

7

Spannungsfeld • Unterstützen von Entwicklung • Unterstützen von Gesundheit • Verhindern von Störungsentwicklung • Lindern von Leiden

• Diziplinierung und Anpassung • Von der Sozialversicherung zur Verpflichtung zur Gesundheit • Ruhe und Ordnung als Basis für ein prosperierendes Staats- und Wirtschaftssystem 8

• Früherkennung und Doppelmoral

9

Botellon

10

Oktoberfest - München

11

• Früherkennung und Eigenständigkeit

12

13

14

Vom Querdenker zum Querulanten

Kreativ - Querdenker – Querkopf – Querulant

15

• Jugend als Wirtschaftsfaktor • Früherkennung und Moral

16

17

• Früherkennung und Stigmatisierung

18

Ein Symptom ist noch keine Störung Unspezifische Symptome • Körperbild • Konzentrationsschwierigkeiten • Soziale Aengste • Stimmungszusammenbrüche • Stehlen • Abmagerung • Schüchternheit • Selbstverletzung • Verzweiflung • Fremdenangst • Aggressionsdurchbrüche • Alkohol-/Drogenkonsum • Erziehungsschwierig • Autoritätsprobleme • Rückzug • Risikosuche

Störungen • Lernstörung • Soziale Phobie • Persönlichkeitsstörung • Transsexualismus • Essstörung • Psychose • Depression • Angststörung • Sucht • Delinquenz • Beziehungsstörung • Etc.

19

Früherkennung und Zeitgeist

• Was gesund und ungesund ist, was Gesundheit bedeutet, wie Gesundheit interpretiert wird, hängt vom vom Zeitgeist ab.

20

Alte Texte • Hygiene des Geschlechtslebens: (Max Gruber, 5.Auflage, 1912)

– Während kaum irgend etwas Sicheres von schädlichen Folgen der Enthaltsamkeit vom Beischlaf für Menschen mit gesundem Nervensystem bekannt ist, steht es fest, dass geschlechtliche Unmässigkeit sehr häufig schadet. Besonders leidet beim Manne das Nervensystem darunter, was leicht begreiflich ist, wenn man die heftige Erregung bedenkt, unter welcher sich der Beischlaf vollzieht. Schon deshalb darf also auch in der Ehe der Geschlechtstrieb nicht zügellos befriedigt werden.

• Mohamed

– Einmal wöchentlich

• Martin Luther

– „Alle Wochen zwier, schadet weder ihr noch mir, macht im Jahr hundertundvier“ 21

• Wenn wir Früherkennung und Frühintervention sinnvoll praktizieren wollen, müssen wir einen, über gesellschaftliche Kosten hinaus gehenden Diskurs, führen.

22

• Ist Früherkennung: Früherkennung von etwas? Oder • Ist Früherkennung ein allgemeines Prinzip?

23

Früherkennung • • • • •

Cannabis Schizophrenie Hautkrebs Probleme im Schulalltag Nachhaltige Energiezukunft • Brustkrebs • Osteoporose • Soziale Probleme, Konflikte, Störungen

• • • • • • • • • •

Früherkennung VioXX Demenz Übertragbare Krankheiten Psych. Störungsentwicklungen Computerwürmer Emerging Risks in der Versicherungswirtschaft Grüner Star Disability management Prostatakrebs Unternehmenskrisen 24

Forderung Damit Jugendliche sich gesund entwickeln können ist die Gesellschaft, die Politik, aber auch die Wirtschaft in der Pflicht, Rahmenbedingungen zu schaffen in denen eine Entwicklung möglich ist und Jugendliche Perspektiven haben (Beruf, Freizeit, Gesellschaft, etc.). Dazu gehören auch Beschäftigungsmöglichkeiten im ersten Arbeitsmarkt. 25

Welcher Zugang bewährt sich? • Paternalistisch • Paternalistisch • Fremdbestimmung

Information geschwisterlich Autonomie

• Autonomieentwicklung • Partnerschaft

26

• Die Phänomene, die wir in der Adoleszenz beobachten, gründen in der unendlichen Plastizität, die die Adoleszenz darstellt und die in der Interaktion zwischen entwicklungsbereitem Individuum und sich entwickelnder, verändernder Gesellschaft ihre Energie erhält. Wir werden auch in Zukunft bei Adoleszenten und im gesellschaftlichen Raum Adoleszenz neuartige Phänomene sehen. All das was neu entsteht, all das war gärt, all das was aufbricht kommt in den Lebensraum Jugend und trifft dort auf einen fruchtbaren Boden in dem farbige, schrille, potente, ängstigende aber auch zukunftsweisende Pflanzen keimen, Wurzeln schlagen und wachsen werden. (Berthel 2001) 27

28

Grundhaltung?? • Erwachsen werden, heisst fähig werden, Herausforderungen, die durch das Leben an uns gestellt werden, zu meistern. Der selbst verantwortete, selbst gestaltete und kontrollierte Umgang mit Substanzen oder Angeboten gehört dazu. Unsere freiheitliche und humanistische Tradition verbietet es, den Konsum von Substanzen oder gezeigte Verhaltensweisen, mit denen man sich selber und anderen keinen oder kaum Schaden zufügt, zu behandeln oder zu bestrafen. Auch im Umgang mit Adoleszenten müssen wir diesen Umständen Rechnung tragen. 29

Positive Aspekte von FE/FI Früherkennung und Frühintervention • Ist unbestritten als

– Politische Option – Public health Strategie – Logik der Gesundheitsförderung

• Kann

– Leid verhindern – Kosten reduzieren – Probleme reduzieren

• soll

– Zu mehr Ruhe im öffentlichen Raum führen – Zu mehr Ordnung im öffentlichen Raum führen 30

Wir müssen die Entwicklungsphänomene, die im Jugendalter normal sind (sowohl beim Jugendlichen, wie auch bei seiner Interaktion mit der Umwelt und der Mitwelt), kennen und wir dürfen sie nicht pathologisieren.

31

Adoleszenz, Hirnreifung und Impulskontrolle • Jugendliche – zeigen • Schwierigkeiten sich zu kontrollieren • Mangelnde Selbstdisziplin • Verminderte Fähigkeit zu planen und sich zu steuern

– Suchen • Spannung, Erregung, Risiko • Risiko

– Sie können • Psychoaktive Substanzen konsumieren • Die Kontrolle über ihr Verhalten verlieren • Abhängig werden 32

These 4 Damit FE/FI nicht zu einem „wenig nachhaltigen Projektaktivismus“ wird, braucht es für Jugendliche mit grosser Problemlast ressourcenangepasste Arbeitstätigkeiten im ersten Arbeitsmarkt

33

• Der Tag beginnt mit einer Dosis Speed, um ganz wach zu werden, und dem Glas Wasser mit einer grossen Dosis Vitamin C, zusätzlich etwas Aluminiumhydroxid, sofern der Magen wegen Ueberlastung drücken sollte, und ein schleimlösendes Mittel, um die Bronchien freizukriegen. Dazu eine Tablette mit Verdauungsenzym zur Anregung des Darmes. Das genügt, um nach dem Frühstück das Labor zu besuchen. Die Lektüre der Post und der eingetroffenen Publikationen mag verstimmen. Bevor sich depressive Gedanken einstellen, eine genügende Dosis Morphin oder Heroin, zusätzlich ein Anabolikum, das den Appetit für das Mittagessen erfreulich anregt. Der Espresso begleitet die Unterhaltung mit Besuchern. Danach meist ein Glas Rotwein, das der Schläfrigkeit für die Siesta zum Durchbruch verhilft. Beim Erwachen um halb fünf allerdings ist am besten eine Dosis Kokain – gegen Abend kein Speed! -, damit die nun folgende geistige Arbeit gut in Gang kommt. Das sind die kreativsten Stunden. Ist die Arbeit gut vorangekommen, braucht es für den Abend keine weitere Hilfe. Will sich das zur Entspannung nötige Wohlbefinden nicht einstellen, hilft am besten wieder ein Opiat. Dann Gäste, Kino, Theater oder Lektüre bis es Zeit ist, mit einem rasch wirkenden, gut ausscheidbaren Barbiturat die Nachtruhe einzuleiten, nicht ohne die tägliche Dosis von Acidum salicylium zur Vermeidung von Blutgerinseln in den Gefässen und einer Dosis Magnesium gegen das Auftreten von nächtlichen Wadenkrämpfen. (Paul Parin. Weise34 Pharma-Greise; in Kursbuch)

35