Wie wird man eigentlich Journalist?

http://www.mediaculture-online.de Autoren: Schwarz, Friedhelm / Hollunder, Gerda / Schwarz, Ruth E. / Umbach, Joachim. Titel: Wie wird man eigentlich...
Author: Frauke Geisler
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Autoren: Schwarz, Friedhelm / Hollunder, Gerda / Schwarz, Ruth E. / Umbach, Joachim. Titel: Wie wird man eigentlich Journalist? Quelle: Claudia Mast (Hrsg.): Handbuch der Journalistenausbildung. Remagen 1996. S. 45-60, S. 72-78, S. 93-101. Verlag: Verlag Rommerskirchen. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Joachim Umbach/Ruth E. Schwarz/Gerda Hollunder/Friedhelm Schwarz

Wie wird man eigentlich Journalist? Vom Sport - Mitarbeiter über den Lokalreporter zu m Mitglied der Chefredaktion - eine Journalistenkarriere, die so heute nicht mehr denkbar wäre......................................................................1 Zeit ist Geld. Journalism us auf die harte Tour - Der Wettbewerb diktiert im Agent urgeschäft Arbeitste m po und Arbeitsweise ..............................................................................................................................9 Radio macht Spaß ...................................................................................................................................................1 4 Digitale Medien erfordern neue Fähigkeiten ...................................................................................................2 0

Vom Sport-Mitarbeiter über den Lokalreporter zum Mitglied der Chefredaktion - eine Journalistenkarriere, die so heute nicht mehr denkbar wäre.

Von Joachim Umbach

Es hat viele Menschen gegeben, die meine Karriere gefördert, mich geprägt, gelenkt oder beeindruckt haben. Und wie es sich gehört, haben einige von ihnen auch einen Namen in der Branche. Einen guten, versteht sich. Da ist zum Beispiel Edgar Fuchs, der lange Zeit zur Chefredaktion der Abendzeitung in München zählte, als Feuerwehr für Hubert Burda 1

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agierte und sich als Ghostwriter von Kati Witt am Doppelaxel versuchte. Er, Edgar Fuchs, hatte das zweifelhafte Vergnügen, Anfang der 60er Jahre mein allererstes Manuskript zu lesen - und zu bearbeiten. Wenn ich mich recht erinnere, hat er dabei etwas gemurmelt: Das wird nie etwas. Oder so ähnlich. Und da ist sicherlich auch Jens Feddersen, der über 30 Jahre Chefredakteur der NRZ, der Neuen Rhein/Ruhr Zeitung, war. Ihm habe ich es da schon etwas leichter gemacht, Vertrauen zu mir zu gewinnen. Die ersten Arbeitsproben, die er mit Bewußtsein von mir gelesen hat, stammten bereits aus einer späteren Periode meines journalistischen Schaffens. Der entscheidende Impuls, überhaupt den Beruf des Journalisten in Erwägung zu ziehen, kam allerdings von meinem Freund Günter. Günter war damals wie ich 15 Jahre jung, Gymnasiast mit eher schlechten Noten, aber großer Neugierde und einer erstaunlichen Geschäftstüchtigkeit. Günter war es schon früh leid, von den elterlichen Zuwendungen abhängig zu sein. Wer sucht, der findet. Und so hatte Günter bald eine Möglichkeit entdeckt, sein Taschengeld aufzubessern. In der Sportredaktion der auflagenstärksten Düsseldorfer Tageszeitung, der Rheinischen Post, telefonierte er Sonntag für Sonntag die Ergebnisse der Amateur-Fußballklassen zusammen - und er rechnete mangels Computer im Kopf die Tabellen aus. Ein schlecht bezahlter Job, aber einer mit Aufstiegschancen. Denn schon nach wenigen Wochen durfte Günter nicht nur telefonieren und rechnen, er wurde als Berichterstatter zu einem Kreisklassen-Verein geschickt. Und: Er durfte 20 bis 30 Druckzeilen darüber schreiben. Gute Freunde machen alles zusammen. Und so kam es, daß ich Günter Sonntag für Sonntag auf den Fußballplatz begleitete. Bald kannte auch ich alle Kreisklassen-Vereine und fast alle Amateur-Kicker. Ein Wissen, das vermarktet werden mußte. Als dann in Sportlerkreisen bekannt wurde, daß die NRZ-Sportredaktion in Düsseldorf jemanden suchte, der genau das - und dann auch noch gegen Geld - tat, was ich seit Monaten umsonst auf mich nahm, griff ich zu. Zunächst zum Telefonhörer. Ich rief jenen Edgar Fuchs an, der damals NRZ-Lokalsportchef in Düsseldorf war. Der freute sich, eine eingearbeitete Kraft gefunden zu haben. Von da an war ich im Geschäft. Im JournalistenGeschäft. Der erste Kontakt mit der Branche ist auch heute noch so denkbar. Viele Tageszeitungen sind nach wie vor an jungen, engagierten Mitarbeitern interessiert. Denn keine 2

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Lokalredaktion kommt ohne fleißige Helfer aus, die kleine Artikel oder Informationen zuliefern. Die Bezahlung ist immer noch relativ schlecht, der persönliche Gewinn ist immer noch groß. Man trifft andere Menschen, man beschäftigt sich mit bisher unbekannten Problemen. Der Mensch lernt diesmal wirklich fürs Leben. Außerdem hat man die einmalige Chance, sich und seine Fähigkeiten auszuprobieren. Denn nicht jeder, der im Deutsch-Unterricht eine gute Note hatte, ist auch ein guter Journalist. Journalist ist auch heute noch zu einem großen Teil ein Talent-Beruf. Die Brisanz eines Vorganges zu erkennen, die Geschichte so rüberzubringen, daß sie den Leser anspricht, originelle, statt abgedroschene Formulierungen zu wählen - all diese Talente werden in der Schule nicht gefordert und gefördert. Ich machte diesen Job als freier Mitarbeiter einige Jahre. Immer mit Begeisterung. Es war ein tolles, den Selbstwert steigerndes Gefühl, als Gymnasiast für so viele Menschen plötzlich wichtig zu sein. Spieler, Trainer, Vereinsvorstände - sie alle kannten mich, sie alle kamen auf mich zu und informierten mich. Erst später wuchs in mir die Erkenntnis, daß die meisten dieser Menschen, die so freundlich zu mir waren, gar nicht mich persönlich meinten, sondern eigentlich in erster Linie meine Funktion als Transporteur der Informationen, die für sie von Interesse waren. Mit 16, 17 oder 18 Jahren ist es wohl noch verzeihlich, wenn man sich durch die Eitelkeit noch so blenden läßt. Damals gefiel ich mir in dieser Rolle. Die für den Beruf des Journalisten unverzichtbare Distanz zu Gesprächspartnern und Themen entwickelte ich - zugegeben - erst später. Wir freuten uns daran, unser Wissen über aktuelle Ergebnisse am Sonntag abend nach getaner Arbeit in den Sportler-Kneipen der Düsseldorfer Altstadt zu verbreiten. Wie hat Eller 04 gespielt? Oder Bilk 13? Ich wußte alles. Und so manches Freibier wurde über die Theke geschoben ... Doch diese Nebenwirkungen prägten mich nur vorübergehend, von bleibender Bedeutung war da schon eher, was die eigentliche Arbeit in der Sportredaktion ausmachte. Wir mußten schnell sein und doch korrekt. Schon damals lernte ich, daß für eine Zeitung nichts schlimmer und ärgerlicher ist als ein falsches Ergebnis, ein falscher Torschütze oder ein falsch geschriebener Name. Die saubere Recherche ist noch wichtiger als die brillante Formulierung.

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Darüber hinaus brachten mir Edgar Fuchs und sein Nachfolger Karl-Georg Happe, heute Sportredakteur bei dpa, schon damals bei, daß der reine Ergebnis-Sportjournalismus auf Dauer nicht ausreicht, um die Leser anzusprechen. Erst Analysen, Hintergründe, Interviews, Wertungen, Meinungen und Reportagen machen die Qualität einer Tageszeitung aus. Der Leser - und das gilt nicht nur für den Sportleser - will nicht allein wissen, wie das Ergebnis aussieht. Er will immer häufiger wissen, wie dieses Ergebnis zustande gekommen ist, welche Faktoren es beeinflußt haben. Und: Vor allem will er wissen, welche Auswirkungen und Folgen es haben wird. Hier liegt überhaupt die große Chance der Tageszeitung gleichgültig ob im Politik-, Wirtschafts-, Lokal- oder Sportteil. Die Tageszeitung ist bei allen Themen, die nicht allein durch die Aktualität bestimmt sind, meist immer noch in der Lage, mehr zu bieten als die Schnellanalytiker der elektronischen Medien. Typisches Beispiel dafür sind die sogenannten Interviews mit Fußballern unmittelbar nach einem Spiel. Nur in Ausnahmefällen kommt dabei etwas heraus, was auch verdient hätte über den Sender zu gehen. Schauen Sie sich zum Vergleich einmal die Sportbetrachtungen einiger Tageszeitungen am Montag an. Sachverstand und Nachdenken schließen sich nicht aus. Tageszeitungsredakteure haben oft immer noch mehr Zeit zum Nachdenken. Daß es ein journalistisches Leben neben dem Sport gab - und gibt, bemerkte ich noch auf dem Gymnasium. Als Redakteur mit Erfahrung hatte ich längst die Chefredaktion der Schülerzeitung "Club" an mich gerissen. Kein Thema wurde von nun an ausgelassen. Zum Schrecken von Lehrern und Eltern. Die "68er" lassen grüßen. Auch bei der NRZ war meine journalistische Weiterentwicklung nicht mehr aufzuhalten. Die damals unter Mitarbeitermangel leidende Lokalredaktion hatte sehr bald mitbekommen, daß da am Wochenende im Sport jemand saß, der durchaus noch andere Interessen hatte. Und so kamen zu den Sonntagsdiensten für den Sport auch noch Wochentermine für das Lokale: politische Diskussionen, Kleinkunst, Vereinsberichte alles, was das kommunale Leben so bietet. Viel Schwarzbrot und nur selten mal ein Stück Sahnetorte. Im Rückblick zeigt sich jedoch, daß gerade diese Zeit für mich sehr wichtig war. Denn zu den Kriterien, die im Sport im Vordergrund standen - also Schnelligkeit und Korrektheit, kamen nun verstärkt qualitative und inhaltliche Elemente hinzu. Der bewußte Einsatz von Sprache, der richtige Gebrauch von Sprachbildern, die Möglichkeit, den Leser 4

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zu interessieren, habe ich in dieser Phase gelernt. Mühsam gelernt. Denn auch ich mußte mir erst erarbeiten, daß es nicht ausreicht, eine Verwaltungsvorlage abzuschreiben, sondern daß man sie erläutern, einordnen, häufig sogar übersetzen muß. Auch ich mußte lernen, daß der allgemeine Sprachgebrauch - und sei er noch so flapsig - eben nicht mit Originalität gleichzusetzen ist. Diese Zeit war hart, weil ans Selbstbewußtsein gehend: schließlich hatte ich das Gefühl, schon alles zu kennen und zu können. Aber sie war wichtig. Es gab private Gründe, die wollten es, daß ich nach der Schule zunächst vom direkten Weg in den Journalismus abgebracht wurde. Statt schon damals ein Volontariat anzustreben, machte ich zunächst eine Ausbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann in der zu jener Zeit noch expandierenden Stahlbranche. Eine Entscheidung, die mir später helfen sollte, im Journalismus Karriere zu machen. Doch geplant war das sicher nicht. Auch während meiner Zeit als "Koofmich" habe ich den Kontakt zur Zeitung, speziell zur NRZ, nicht abreißen lassen. Als Mitarbeiter für alle Fälle blieb ich im Geschäft. Für meine persönliche Entwicklung hatte der Ausflug in die Stahlbranche durchaus positive Aspekte. Im Gegensatz zu allen Redakteuren, die direkt nach dem Abitur ein Volontariat gemacht haben - damals war das noch die Regel -, hatte ich schon das wahre Leben der Arbeitswelt kennengelernt. Ich wußte, welche Sorgen ein Lagerarbeiter, welchen Streß ein Auslieferungsfahrer und welche Hektik ein Telefonverkäufer hat. Wer das alles selbst einmal mitgemacht hat, wird geprägt - fürs Leben. Meine Karriere als Stahlkaufmann lief durchaus vielversprechend an. Hinter dem Titel "Verkaufssachbearbeiter" verbirgt sich eine viel interessantere Tätigkeit als man vermutet. Auch diese Arbeit habe ich mit Begeisterung und Freude gemacht. Für ein plötzliches Ende meines Aufstiegs in der Stahlbranche sorgte die Bundeswehr. Mit 23 Jahren wurde ich spät, für den Staat aber nicht zu spät, eingezogen. Doch was ich zunächst als Rückschlag empfand, erwies sich später als gute Möglichkeit, mein berufliches Leben neu auszurichten, endgültig auszurichten. Denn die Zufälle des Lebens sorgten dafür, daß ich nach einer Grundausbildung als Tastfunker auf der Pressestelle der 7. Panzergrenadier-Division in Unna landete. Damals ein Sammelpunkt von wehrpflichtigen Fußballern und Journalisten. Von Unna aus gestalteten wir maßgeblich 5

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die Zeitschrift "Das Heer", vor allem mit Reportagen über das Leben der Soldaten. Keine Propaganda. Über diese Arbeit konnte ich Kontakt zur Branche, zur Journalisten-Branche, halten. Und so kam es, daß der damals für Personalfragen in der Chefredaktion der NRZ zuständige Arnold Gehlen mir anbot, Redakteur bei der NRZ in Kleve zu werden. Es war damals ein heute nicht mehr vorstellbares Geschäft. Mir wurde meine jahrelange Tätigkeit als freier Mitarbeiter als Volontariat angerechnet. Dafür war ich bereit, die in Kollegenkreisen nicht sonderlich attraktive Arbeit in Kleve zu übernehmen. Ein Düsseldorfer in Kleve - auch für mich war das am Anfang fast unvorstellbar. Aber mittlerweile war ich wild entschlossen, Journalist zu werden. Hauptberuflich. Und Kleve verschaffte mir die Möglichkeit dazu. Drei Jahre blieb ich dort, war neugierig und engagiert, erarbeitete mir so auch in Kleve Anerkennung und Freunde. Echte Freunde. Ich habe die Zeit in Kleve nie bereut. Auch sie war eine Bereicherung meines journalistischen Lebens; auch sie hat mich weitergebracht. Der Hauptgrund: Nirgendwo ist der Redakteur so nah bei seinen Lesern, wie in einer Kleinstadt-Redaktion. Vor allem lernt man mit der Macht des geschriebenen und gedruckten Wortes verantwortungsbewußt umzugehen. Ein Lokalredakteur muß das Leben in seiner Stadt kritisch beobachten. Doch die Kritik muß begründet sein. Der direkte Kontakt mit den politisch Handelnden und den Lesern zwingt zur konsequenten Wahrheit. Heutzutage stelle ich fest, daß die Neigung der jungen Kolleginnen und Kollegen, sich für eine Stelle in einer Kleinstadt-Redaktion zu interessieren, nicht sonderlich ausgeprägt ist. Das hängt sicherlich mit dem Ausbildungsweg zusammen, der durch Abitur, Hochschulstudium, akademischen Abschluß eine andere Erwartungshaltung weckt. Dabei verläuft diese Entwicklung konträr zum allgemeinen Trend im Printbereich. Die Zukunft der Tageszeitung - das ist meine feste Überzeugung liegt im Regionalen und vor allem im Lokalen. Nur in diesem Bereich hat die Tageszeitung gegenüber den elektronischen Medien einen Informationsvorsprung, nur in diesem Sektor kann sie sich entscheidend vom Fernsehen absetzen. Aus diesem Grund brauchen wir in Zukunft vor allem Journalisten, die bereit sind, an die Basis zu gehen. Zum Beispiel nach Kleve. Um es ganz klarzustellen: Die Arbeit in einer Lokalredaktion ist nicht irgendeine minderwertige oder weniger qualifizierte Arbeit. Sie ist in vielen Bereichen viel 6

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anspruchsvoller als zuweilen die Arbeit in einer Nachrichten-Redaktion. Im Lokalen wird noch selbst formuliert und gestaltet, in manchen Zentralressorts ist man nur noch der Häkchen-Macher an den Agentur-Texten. Nicht immer, aber immer öfter ... Nach Kleve kam für mich Düsseldorf. Und nach kurzer Einarbeitungszeit brachte ich es in der Landeshauptstadt zum stellvertretenden Leiter der Stadtausgabe. Eine vielseitige und verantwortungsvolle Aufgabe, die alle Facetten hatte, die dieser Beruf so bietet. So durfte ich auf der einen Seite so manche Karnevalssitzung mitmachen, auf der Seite habe ich während dieser Düsseldorfer Zeit die Welt, naja, Teile der Welt gesehen - zum Beispiel war ich in Vorbereitung der Ausstellung "Polen '80" eine Woche lang in Polen oder zwei Wochen mit dem Schauspielhaus auf Gastspielreise in Israel. Bleibende Eindrücke! Schon in dieser Phase meines Berufslebens wuchs bei mir die Einsicht, die sich jetzt - da ich innerhalb der NRZ-Chefredaktion auch für das Personal zuständig bin - noch verstärkt hat, daß die strikte Vorgabe, daß nur die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter, die oder der auch einen Hochschulabschluß hat, Volontär, und damit Redakteur werden kann, unsinnig ist. Natürlich ist eine möglichst umfassende Bildung in diesem Beruf von Vorteil, aber genauso wichtig sind andere Fähigkeiten: Menschenkenntnis, Kontaktfreude, Neugierde, Interesse an Neuem, Hartnäckigkeit und Gründlichkeit bei der Recherche, das Erkennen von Geschichten, eine verständliche Ausdrucksweise, Originalität bei der Formulierung ... Alles Fähigkeiten, zu denen man nicht unbedingt einen Hochschulabschluß haben muß. Nur etwas Talent. Nach Düsseldorf war die Karriere nicht mehr aufzuhalten. Erst wurde ich Chef der NRZWirtschaftsredaktion (unter anderem auch wegen meiner Arbeit als Groß- und Außenhandelskaufmann) und dann Stellvertreter des Chefredakteurs. Unter anderem, weil man davon ausging, daß ein Groß- und Außenhandelskaufmann mit Geld umgehen kann. Auch wenn sich im Laufe der Jahrzehnte meine Arbeit zum Teil doch dramatisch verändert hat, und mit der gestiegenen Verantwortung so manche Aufgabe hinzugekommen ist, die mit Journalismus nun wirklich nicht mehr viel zu tun hat (wie die Kontrolle von Spesen-Abrechnungen), bin ich unbeirrbar der Ansicht, daß ich den phantastischsten Beruf habe, den es überhaupt gibt. In keiner anderen Profession ist man so gefordert, sich von Tag zu Tag immer wieder mit einem neuen Thema zu beschäftigen. 7

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Das hält geistig fit, das macht Spaß. Und dafür gibt es auch noch Geld. Trotz 36,5Stunden-Woche, Manteltarifvertrag und fortschreitender Technisierung bietet dieser Beruf immer noch mehr Freiheiten als jeder andere. Ich meine nicht die kleinen Freiheiten, die die Verleger den Journalisten immer so gerne unterstellen: zu spät anfangen, zu lange Pausen machen, zu früh gehen. Nein, ich meine die Freiheit, meine Arbeit zu einem Großteil inhaltlich selbst zu bestimmen. Es ist meiner Kreativität vorbehalten, mich mit Ideen für Artikel einzubringen. Und - auch das darf nicht vergessen werden: Ich habe die Freiheit, von Berufs wegen meine Meinung zu sagen. Ja, dieser Beruf ist ungeheuer attraktiv. Und damit meine ich nicht die vielen wunderschönen Reisen, die vor allem Auto-, Reise- und Wirtschaftsredakteure erleben dürfen. Mein Beruf gibt mir täglich neu die Chance, etwas zu machen, das mich mit intellektueller Befriedigung erfüllt. Sicher, es gibt vereinzelt auch Kolleginnen oder Kollegen, die ihre Arbeit als Plage empfinden. Doch das ist nicht die Regel. Die meisten Journalistinnen und Journalisten machen nicht nur einen Job, sie sind engagiert, mit dem Kopf und dem Herzen dabei. Und das ist ein Glück. Vor diesem Hintergrund wundert es mich nicht, daß der Ansturm der Bewerber so groß ist, immer größer wird. Dabei können die Verlage - auch die großen - nur wenige Ausbildungsstellen anbieten. Der Frust bei den Abgewiesenen ist groß, nur wer neben guten Abschlüssen und Talent auch noch Ausdauer mitbringt, schafft es letztlich doch. Dieses Auswahlverfahren mag unmenschlich sein, aber es trennt frühzeitig Spreu von Weizen. Wer Journalismus nur als Modeberuf versteht, wird vorher abspringen. Wer nur die vordergründigen Attraktivitäten dieses Berufes sieht, auch. Nur die Besten kommen durch. Und nur die wollen wir. Und deshalb kann ich jedem, der ernsthaft an diesem Beruf interessiert ist, nur raten, den Einstieg so früh wie möglich zu wagen, spätestens als freier Mitarbeiter während des Studiums. Wer bei einer Tageszeitung als Mitarbeiter bekannt ist, hat viel bessere Chancen als jemand, der hektografierte Bewerbungen durch ganz Deutschland schickt. Ein Studium hilft, das muß man anerkennen. Bei der Vielzahl von Bewerbungen haben die Personalchefs oft keine andere Wahl, als ein abgeschlossenes Studium erst einmal als Kriterium vorauszusetzen. Es bleiben dann immer noch genug übrig, die dieses Kriterium erfüllen. Die Qual der Wahl bleibt. Bei der Entscheidung, welches Studium man anstrebt, sollte das Lustprinzip gelten. Wer sich im Kulturteil zu Hause fühlt, sollte zum Beispiel 8

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Theaterwissenschaften studieren. Wer den Wirtschaftsteil bevorzugt, der sollte sich um Betriebs- oder Volkswirtschaft bemühen. Wer in die Politikredaktion will, Politik oder Geschichte. So grotesk es klingt, für den Berufseinstieg ist relativ uninteressant, welches Studium absolviert worden ist. Hauptsache Studium! Insgesamt ist ein Volontariat bei einer Tageszeitung aus meiner Sicht immer noch die beste Basis für ein Journalistenleben auch wenn man später einmal das Medium wechseln und zum Fernsehen oder Hörfunk will. Nirgendwo bekommt man journalistische Arbeit und Denken so intensiv beigebracht, wie bei einer Tageszeitung. Besonders bei einer regionalen Tageszeitung. Deshalb nur Mut!

Zeit ist Geld. Journalismus auf die harte Tour - Der Wettbewerb diktiert im Agenturgeschäft Arbeitstempo und Arbeitsweise

Von Ruth E. Schwarz

Ich kam im Jahre 1983 zu vwd - Vereinigte Wirtschaftsdienste GmbH - Eschborn. Man suchte für die Zentrale vor den Toren Frankfurts eigentlich einen Redakteur für Finanzmärkte. Als ich dann anfing, saß ich gleich am Ticker und keine drei Monate später bei K/L/M. Aber halt, hier entsteht schon Erklärungsbedarf für einige Slangworte. Das kommt gleich. Meine Form des Einstiegs bei vwd dürfte heute eher die Ausnahme sein; denn ich hatte bereits entsprechende Vorkenntnisse. Der erste Schritt besteht wahrscheinlich derzeit aus einem Praktikum in der Zentrale in Eschborn, bei dem sich sehr schnell zeigt, ob dem Kandidaten oder der Kandidatin das Arbeitstempo und die Arbeitsweise liegen; denn Agenturjournalismus ist in erster Linie eine Frage der Mentalität. Es ist so ähnlich wie bei den Hauptkunden von vwd, den wirklich schnellen Entscheidern an den Finanzmärkten. Sie müssen die richtige Entscheidung realtime treffen, genau in dem Moment, in dem sie unsere Nachricht auf den Tisch oder besser gesagt auf ihr Terminal bekommen. Die Arbeit als Broker ist nicht 9

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für jeden Bankkaufmann ein Traumziel, viele werden andere Arbeitsplätze bevorzugen. So ist es auch im Journalismus, tiefgründige und langfristige Recherche ist ebenso wenig unser Geschäft, wie das Ausspinnen feinsinniger Gedanken und das Konstruieren anspruchvollster Formulierungen. Im Agenturgeschäft ist Journalismus manchmal Knochenarbeit, aber nirgends ist man dichter am Lifegeschehen der Wirtschaft, und nirgends wird schnelles Denken, schnelles Verstehen und noch schnelleres Schreiben gefordert als bei uns. Wer sich im Agenturgeschäft bewährt hat, ist auch fit für alle anderen Aufgaben. Vielleicht ist es notwendig, doch zu erklären, was vwd ist und wie vwd arbeitet. Unsere Ansprechpartner in den Unternehmen kennen unsere Dienstleistungen sehr genau und schätzen sie. Das gleiche gilt auch für unsere Kollegen in den Wirtschaftsredaktionen. Wenn vwd ein Fehler unterläuft, was sehr selten ist; denn für Fehler zahlen unsere Kunden ebenso ungern wie für Verspätungen, ist das dem Manager Magazin schon mal ein paar Zeilen wert. Wer mit vwd auch heute immer noch erstaunlich wenig anfangen kann, das sind die Mitarbeiter von Public Relations-Agenturen, dort gibt es ein großes Informationsdefizit, was sich auch auf die Qualität der Zusammenarbeit niederschlägt. Vwd wurde 1949 mit der Maßgabe gegründet, die deutsche Wirtschaft und die deutsche Presse interessenneutral mit Wirtschaftsnachrichten zu versorgen. Als ich vwdMitarbeiterin wurde, war die Nachrichtenagentur de facto immer noch ein Non-ProfitUnternehmen, das sich je zu einem Drittel im Besitz der dpa - Deutsche Presseagentur -, einem Pool von 27 Zeitungs- und Zeitschriftenverlagen und einer Wirtschaftsholding aus zwölf verschiedenen Wirtschaftsverbänden befand. Der große Umschwung kam im Januar 1994. Dow Jones & Company, Inc., New York, die Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt, und die Verlagsgruppe Handelsblatt GmbH, Düsseldorf, erwarben jeweils ein Drittel der Anteile an vwd. Die neuen Besitzer, von denen zwei bereits mittelbar an vwd beteiligt waren, beabsichtigen, die Position der Vereinigten Wirtschaftsdienste als führende deutsche Agentur für Wirtschafts- und Finanzinformationen zu festigen und weiter auszubauen. Dow Jones ist unter anderem die Herausgeberin des Wall Street Journal und des Wall Street Journal Europe. Vwd ist für die neuen Eigentümer besonders deshalb so interessant, weil damit der Einstieg in den deutschen Markt der Online-Dienste verbunden war. 10

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Das zentrale vwd-Produkt ist der vwd InfoTicker, ein Realtime-Finanz-informationssystem für alle Bereiche der Wirtschaft. Per Kabel oder Satellit und über entsprechende Empfangsanlagen bezieht der Kunde das von ihm selbst zusammengestellte Informationspaket auf seinem eigenen PC unter der Standardsoftware Microsoft Windows. Die Informationen reichen von nach Nationen geordneten Unternehmensnachrichten über Branchen- und Börseninformationen bis hin zu hochspeziellen Meldungen wie den Schweinehälften-Notierungen in Deutschland. Alle Informationen stehen in realtime - also Echtzeit - zur Verfügung, was natürlich gerade bei den sich ständig ändernden Börsen- und Devisenkursen von größter Bedeutung ist. Ein wesentlicher Vorteil des InfoTickers besteht darin, daß zum Beispiel nicht nur der aktuelle Kurs dargestellt wird, sondern daß auch die den Kursverlauf bestimmenden Meldungen abgerufen werden können. Neben den vwd-Kunden aus den Bereichen Industrie, Handel, Versicherung und der Kreditwirtschaft, die den Löwenanteil ausmachen, sind es gerade die großen Medien, die ihre aktuellen Wirtschaftsnachrichten ergänzend zu ihrem eigenen Korrespondentennetz von vwd beziehen. Zu den konventionellen Medien zählen die aktuellen Faxdienste mit Wirtschaftsmeldungen und die über zwanzig Branchen-, Länder- und Themendienste mit ausführlichen Informationen für einzelne Wirtschaftszweige, von Chemie bis Montanindustrie, von Energiewirtschaft bis Umweltmärkte. Diese schriftlichen Dienste erscheinen börsentäglich. Über 20 000 Anwender in Deutschland und im Ausland nutzen die vwd-Dienste. Die Redaktionsstruktur von vwd ist vergleichsweise simpel. Lean-Management, wie es heute heißt. Nach einer Führungsspitze, bestehend aus dem Chefredakteur und vier leitenden Redakteuren, kommen gleich die Ticker-Redaktion und die Redaktion der schriftlichen Dienste. Außer der Zentralredaktion in Eschborn gibt es noch Korrespondentenbüros in neun deutschen Großstädten sowie in Brüssel, New York, London und Paris. Das Düsseldorfer Büro leite ich. Insgesamt hat vwd zur Zeit 170 Mitarbeiter weltweit, wovon 120 in Eschborn arbeiten. Die Ticker-Redaktion besteht aus dem ZNT, dem zentralen Nachrichtentisch, und dem englischen Tisch. Die Bezeichnung "Tisch" ist eine freundliche Untertreibung, es ist ein Großraumbüro, vollgestopft mit Monitoren, in dem es manchmal zugeht wie in einem Hexenkessel, wenn alle Augenblicke

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einer "Flash" durch den Raum brüllt, weil er wieder eine brisante Meldung erhalten hat, die mit höchster Priorität verbreitet werden muß. Alle eingehenden deutschsprachigen Meldungen, das heißt aus den Korrespondentenbüros und von deutschsprachigen Partneragenturen, landen zunächst bei K/L/M. Das war das Kürzel für drei Kollegen, die die Arbeit am Nachrichtentisch nachhaltig geprägt haben. Dort werden die Meldungen redigiert, kodiert und an die TickerKunden und die schriftlichen Dienste weitergesandt. Ein weiteres Team von Redakteuren bearbeitet die Auslandsnachrichten. Der englische Tisch ist für den vwd Commodity News Service verantwortlich. Der setzt sich täglich aus etwa 450 Einzelmeldungen zusammen, die alle Informationen zu den wichtigsten Warenmärkten weltweit umfassen. Täglich gehen in der vwd-Redaktion und den vwd-Büros durchschnittlich 10 000 Informationen ein. Es sind aber nur rund 1400 Meldungen, die in der Wirtschaft und im Markt Entscheidendes bewegen. Es ist nun die Aufgabe der Redakteure, diese Informationsflut zu selektieren, sie aufzuarbeiten und dem Empfänger zur Verfügung zu stellen. Denn den einzelnen vwd-Kunden interessieren meist nicht mehr als 50 bis 60 Meldungen. Hier die richtige Auswahl zu treffen und den Background zu Unternehmen und Branchen spontan parat zu haben, erfordert Erfahrung und ein gutes Gedächtnis. Für die vwd-eigenen Recherchen sind überwiegend die Korrespondentenbüros zuständig. Seit fast zehn Jahren bin ich Korrespondentin in Düsseldorf. Der Einzugsbereich des Büros Düsseldorf umfaßt ganz Nordrhein-Westfalen mit Ausnahme von Bonn, wo es für die überwiegend wirtschaftspolitischen Nachrichten ein eigenes Büro gibt. Im Rhein-RuhrGebiet dominiert die Unternehmensberichterstattung, während zum Beispiel das Frankfurter Büro überwiegend Finanzmeldungen macht. In den zehn Jahren meiner Korrespondententätigkeit hat sich in der Arbeitsweise vieles geändert. Einerseits weil die Konkurrenz zwischen den Nachrichtenagenturen durch den Erwartungsdruck von seiten der Kunden immer größer geworden ist, andererseits weil immer mehr Unternehmen die Notwendigkeit einer Öffnung gegenüber den Medien erkannt haben, und dadurch ganz einfach die Zahl der Berichterstattungen beständig zunahm. Ob jeder Anlaß heutzutage noch eine Pressekonferenz rechtfertigt, darf manchmal bezweifelt werden; wirklich wissen kann man es immer erst, wenn die Pressekonferenz vorbei ist.

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Eine einschneidende Veränderung brachte die immer stärkere Nutzung von Faxgeräten. Heute ist es selbstverständlich, daß alle wichtigen, aber auch viele unwichtige Meldungen die Redaktion und die Außenbüros per Fax erreichen. Vor zehn Jahren war der Postweg noch der übliche. Dadurch hat sich das Arbeitstempo und die Arbeitsweise gravierender verschärft, als man es sich vorstellen mag. Kommt ein wirklich wichtiges Fax an, muß man sofort reagieren, telefonisch einen Flash durchgeben und die Kerninformation aus dem Stand formulieren. Zeit, lange zu überlegen, bleibt kaum. Erfreulicherweise haben es sich die kompetenten Partner in den Pressestellen der Unternehmen angewöhnt, solche Fax-Aktionen soweit möglich vorher anzukündigen. Die Unterschiede zur Arbeit der Kollegen von den Tageszeitungen sind immer größer geworden. Oft ist es unumgänglich, bereits zwei Stunden vor einer Bilanzpressekonferenz, manchmal schon in aller Herrgottsfrühe, präsent zu sein, um den mit der Stoppuhr messenden Kunden die Ergebnisse so früh wie möglich mitzuteilen, und zwar vor der Konkurrenz. Manchmal entscheidet wirklich eine Sekunde darüber, ob der vwd-Kunde hunderttausend Mark mehr oder weniger verdienen kann. Diese Jagd um Sekunden ist jedesmal wieder spannend und nervenzehrend. Für sensible Naturen, die nicht auch einmal eine Niederlage wegstecken können, ist dieser Job sicher nichts. Wer allerdings zu selten auf der Siegerseite ist, scheidet nach den Gesetzen des Marktes unvermeidlich aus. Wenn die wichtigsten Informationen von einer Pressekonferenz raus sind, in der Regel vor beziehungsweise während der Veranstaltung, hat der Agenturjournalist seine hauptsächliche Pflicht bereits getan. Die anschließenden individuellen Gespräche mit den Vorstandsmitgliedern bleiben den Kollegen von Rundfunk, Fernsehen und Tagespresse überlassen. Aufgrund der neuen Insiderregeln für börsennotierte Aktiengesellschaften sind in diesen Gesprächen kaum noch Informationen zu erhalten, die für eine Agenturmeldung geeignet sind. Hier noch einen Vorsprung herauszuholen, bedarf es bester Kontakte zum Unternehmen, die manchmal über viele Jahre aufgebaut werden müssen. Die Sicherheit, fair behandelt zu werden, steht für die Unternehmen an oberster Stelle. "Sensationelle" Enthüllungen verschütten gute Quellen auf Dauer. Zu dieser Fairneß gehört es auch, verabredete Freigabetermine exakt einzuhalten, wobei sich Sperrfristen in den vergangenen fünf Jahren fast vollständig überlebt haben.

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Wer meint, sich auf diese spezielle Art von Journalismus einlassen zu können, kann sich, wenn er über sehr gute Wirtschaftskenntnisse verfügt und alle anderen geforderten Eigenschaften mitbringt, auch durch eine freie Mitarbeit bei vwd bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt der beruflichen Laufbahn ein gutes Sprungbrett in eine Agentur aber auch in jede andere Redaktion verschaffen. Man braucht sich nur umzuhören, welche Topjournalisten nicht alle bei vwd begonnen haben. Und wem es Spaß macht, der bleibt sein Leben lang dabei.

Radio macht Spaß

Von Gerda Hollunder

Besuch bei Info-Radio Berlin kurz vor dem Sendestart im August 1995: Ein Großraumbüro, ringsum Glas, Schreibtische mit Computern, Telefonen. Unter manchen Tischen ein Power-pack an Elektronik, Cassettenrecordern, alles digital natürlich. Auf dem Tisch ein paar Regler. Kopfhörer mit Mikrofon, Head-set genannt. Heute ist ein Austag für die Redaktion, die Technik ist dran, baut an und um. Hektik, gute Laune. In der Etage drunter, mit dem Büro durch eine schön geschwungene Treppe verbunden, die Sendestudios. Glaskästen mit großen, hohen Tischen. Auf ihnen - klar - Computer, Bedienpult. Alles übersichtlich. Alles vernetzt. Jeder mit jedem. Variabel, flexibel. Eine Etage tiefer die "eigentliche" Technik. Der Großrechner (so groß wie meine Standuhr), Strippen wohlsortiert, Displays für allerlei wichtige Anzeigen. Den meisten Platz braucht die Klimaanlage. Bald gehen sie auf Sendung, mit einem Informationsprogramm rund um die Uhr, live für Berlin und Brandenburg. ORB und SFB wollen zeigen, daß das Dampfradio öffentlichrechtlicher Herkunft auf der Höhe der Zeit und ihrer Möglichkeiten ist. Inhaltlich, technisch, organisatorisch, schlank. Es ist 1995. Für die Journalistinnen und Journalisten bricht das

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digitale Zeitalter an, auch für die, die mehr zu tun haben als abwech-selnd Musik, Werbeund Stationsjingles mit Wetter- und Zeitansagen zu mischen. Als ich Ende der sechziger Jahre meine ersten Gehversuche beim Bayerischen Rundfunk in München machte, hatte Neil Armstrong gerade als erster Mensch den Mond betreten, aber mehr als die Hälfte der Amerikaner (und wahrscheinlich weit mehr Europäer) hielten die Fernsehübertragung für eine Studioproduktion aus Hollywood. In der Bundesrepublik gab es insgesamt nicht viel mehr als 20 Hörfunkprogramme, alle öffentlich-rechtlich. Heute sind es zirka 500, Lokalsender mitgezählt. Ein Zehntel davon öffentlich-rechtlich, alle anderen von Werbung lebend, kommerziell. 1968. Ich kam gerade von der Universität, mit frischem Magister in Germanistik und Geschichte. Ich hatte Schulaufsätze und Seminararbeiten geschrieben, meine wenigen Beiträge zur Schülerzeitung sind nicht erwähnenswert. Aber Radio hatte ich gehört, seit Mitte der fünfziger Jahre hatte ich ein eigenes. Das war etwas Besonderes damals. Ich hörte täglich viele Stunden, kannte jeden Sendetyp, den es gab. Hörspiele und Krimis, sehr beliebt der Schulfunk, seine Ausflüge in unbekannte Länder, fremde Kulturen! Aber ich mochte auch die Unterhaltungs- und Quizsendungen, die Ratespiele, die vielen Vorformen der späteren Fernsehshows. Sportreportagen waren herrlich. Herbert Zimmermann vom WDR - ich wohnte damals in Nordrhein-Westfalen - ist mir nicht nur von der Fußballweltmeisterschaft (Tor, Tor, Tor! Tor für Deutschland) geläufig. Und fast alle meine Musikkenntnisse - Schlager, Oper, Operette, Sinfonien, Kammermusik, Lieder, Jazz, die tausend großen und kleinen Stücke - verdanke ich dem Radio, das ich anmachte, sobald ich aus der Schule gekommen war. Mit meinem Vater hörte ich Nachrichten. Da durfte keiner dazwischenreden. Sie waren heilig. Danach gab es dann häufig Diskussionen, je älter ich wurde, desto kontroversen Die Liebe zu den Nachrichten habe ich beibehalten. Eines Tages, während meines Studiums in München, ersparten sie mir die unangenehme Begegnung mit einem Einbrecher. Er hatte schon die restliche Wohnung durchsucht und wollte auch in mein Zimmer kommen. Da hörte er plötzlich ein Radio. Ich hatte, allein zu Hause arbeitend, pünktlich zur vollen Stunde die Nachrichten eingestellt. Er verzog sich lieber. Weil er gefaßt wurde, habe ich die Geschichte erfahren. Mitte der sechziger Jahre kamen die ersten politischen Live-Magazine auf, zuerst beim RIAS, dann beim WDR. Das war wie frischer Wind durch die Redaktionen. Vor allem wir 15

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Jungen fanden live toll. Diese Unmittelbarkeit, diese schnelle Reaktions-Möglichkeit, dieses besondere Gefühl bei Rotlicht, wenn die Stimme alles hinausträgt. Heute würde man das wahrscheinlich den Kick nennen. Damals hatten auch viele vor ihm Angst. Ich kannte gute Journalistinnen und Journalisten, denen bei offenem Mikrofon die Stimme zitterte und versagte. Viele von ihnen kamen ja von der Zeitung, alles, was zu sagen war, wurde geschrieben. Eine Ausbildung für Hörfunk-Journalisten gab es nicht. Talent, Glück, learning bei doing, hineinwachsen. Wieder Glück haben und hilfsbereite, kritikfähige Kolleginnen und Kollegen treffen. So ist es mir ergangen, so ist es vielen meiner Generation ergangen. Dieser Prozeß von trial and error war freilich anstrengend, vermutlich auch für das Publikum. Wir hatten vor allem Inhalte, wußten, was wir senden wollten. Die angemessenen Radioformen, das Wie, mußten wir uns erst erarbeiten. Der Vorwurf an das Radio der siebziger Jahre, wir hätten - in welcher Form auch immer - dort zu gerne und zu viel doziert, pädagogisiert und belehrt, ist sicher nicht ganz falsch. Was wußten wir denn über unser Publikum! Nicht viel mehr als das, was wir aus Briefen erfuhren, was uns Freunde, Bekannte und ein paar Medienkritiker sagten. Medienforschung entwickelte sich erst Mitte der siebziger Jahre, sehr zögernd. Ich machte meine erste Live-Reportage Heiligabend 1968, mittags um kurz nach halb drei. Die live-moderierte Sendung im 1. Programm des Bayerischen Rundfunks hieß "Schöne Bescherung" und sollte sich landesweit und kritisch natürlich mit dem Weihnachtsrummel auseinandersetzen. Zur Sicherheit hatte man dem eher linken Moderator den medienerprobten Pfarrer Sommerauer, er ist vor kurzem gestorben, an die Seite gesetzt. Vier auf Bayern verteilte Reporter sollten je zwei Kurzreportagen in anderthalb Stunden liefern. Ich, einzige Frau im Team, war zu den Armen gegangen, ins Münchener Lehel, ein Abbruch- und Sanierungsviertel damals. Bei der vorbereitenden Suche hatte ich mir ein besonders elendes Haus ausgesucht. Die Haustür, soviel wußte ich, war immer offen. Dort, vor dieser Haustür, habe ich zum erstenmal einen Ü-Wagen gesehen. Niemand hatte mir gesagt, daß es gut sein könnte, vorher mit den Kollegen, die ihn bedienten, abzusprechen, was ich wollte. Vor der Sendung war ich durchs Haus gelaufen und hatte hinter einer Tür vielversprechende, laute Szenen gehört. Aber weil niemand mir gesagt hatte (und ich erst hinterher schlauer war), daß es gut wäre, mich bei

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den Menschen anzumelden, hatte ich es nicht getan - auch weil ich fürchtete, die schöne Streiterei könnte zu früh in falsche Harmonie übergehen. Ich postierte mich also mit Mikro an langem Kabel vor der Tür und wartete auf meinen Aufruf. Zum erstenmal hatte ich Kopfhörer auf. Der Aufruf kam, ich legte los, beschrieb, was ich sah, was ich vorhatte, klingelte, begrüßte das überraschte Ehepaar, hinter dem Kinder neugierig und verstört hervorguckten, ging redend und das Gesehene schildernd in die Wohnung. Zwei Minuten, schätze ich, waren ganz munter. Jetzt wollte ich alles mögliche von meinen Opfern wissen. Sie aber standen da und sagten entweder "Jo" oder "Na" oder "I woaß net" oder gar nichts. Das waren die längsten zwei (?) Minuten meines Lebens, bis die Moderatoren mich erlösten - und die Hörerinnen und Hörer. Ich entschuldigte mich bei dem noch immer starren Paar, wünschte fröhliche Weihnachten und verschwand. Und ging mit langem Kabel zwei Treppen höher. Da wußte ich schon, daß es besser ist, Menschen medial nicht einfach zu überfallen. So klingelte ich diesmal gleich, traf auf eine freundliche ältere Frau, die auch bereit war, die nächste Runde mit mir zu machen. Aber es kam kein Aufruf mehr aus dem Studio. Die Sendung "Schöne Bescherung" ging ohne die Reporterin aus dem Lehel zu Ende. Die ältere Frau war erleichtert. Die Techniker waren freundlich, wollten aber so schnell wie möglich nach Hause. Ich fuhr noch mal ins Funkhaus, aber die Redaktion war längst weg. Da stand ich im großen Foyer, vor mir ein riesiger Weihnachtsbaum. Ich dachte, das war's. Eine Bewerbung als Redakteurin der Sendung "Für die Landfrau" hatte ich hinter mir. Für diese Bewerbung hatte ich meinen ersten Artikel geschrieben, eine regelrechte Prüfung vor dem Mikrofon abgelegt, war von der Redaktion für gut befunden und vorgeschlagen, jedoch wegen mangelnder Bayerisch - Kenntnisse nicht berücksichtigt worden. Dann die Chance als freie Mitarbeiterin. Eine Straßenumfrage, erste Berührung mit einem Aufnahmegerät, zehn Stunden Schnitt für drei Minuten und schließlich die schöne Bescherung. Gerade hatte ich mich ins Radiomachen verliebt, da stand ich allein mit dem Weihnachtsbaum und fühlte mich zurückgestoßen und verlassen.

- Schnitt -

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Dem Radio bin ich treu geblieben. Ob mit Bandmaschine oder digital produziert, ob über die Luft oder über Satellit und Kabel gesendet - für die Empfängerinnen und Empfänger ist es noch immer eine wichtige Verbindung zur Welt. Es ist die Stimme in der Wohnung, die Musik, die einen beflügelt, es gibt Auskunft über Zeit und Wetter, es macht einen heiter und kann einen ärgern. Schon seit langem kann man mit ihm sprechen. Es läßt uns nachts nicht allein. Es weckt uns morgens und sagt uns, daß die Welt noch steht, auch wenn ihr die Beine zittern. Über achtzig Prozent der über Vierzehnjährigen hören täglich Radio, rund drei Stunden lang. Sie hören es zu Hause besonders gern, aber auch bei der Arbeit und im Auto. Sie haben Radios in fast allen Räumen ihrer Wohnungen, manche gehen mit dem RadioWalkman spazieren. Radio ist der Begleiter, das Begleitmedium schlechthin. Natürlich hört niemand immer konzentriert zu. Was nicht interessiert, hat keine Chance, wahrgenommen zu werden. Aber das Zappen, das Programmwechseln trifft mehr das Fernsehen. Die Bindung an das Radioprogramm, das einem "im Prinzip" gefällt, ist noch immer stark. So leben besonders die magazinierten Programme davon, daß die Aufmerksamkeit mal geht, mal kommt, daß das Publikum herausnimmt, was es mag. Wie es wäre, wenn die Fernbedienung zum Radioalltag gehörte - man kann nur spekulieren. Das Radio ist auf lange Zeit aus unserem Leben nicht wegzudenken. Morgens zwischen sieben und neun Uhr ist es sogar dominant, da hat es seine Primetime. Alle Versuche, es mit Frühstücksfernsehen aus dem Feld zu schlagen, sind bislang gescheitert. Auch in den Nachtlücken, die das Fernsehen läßt, wachsen die Marktanteile des Radios. Da ist noch Platz für Experimente. Überhaupt ist das Radio ein durch viele Stadien hindurchgegangenes, sich immer wieder wandelndes Medium. Für die Mehrheit heute sicher vor allem Transporteur von je nach Geschmack sortierter Musik, Rock und Pop, mal älter mal jünger, Schlager, Klassik, jetzt auch Jazz. Die sogenannten Musikfarben werden immer genauer auf immer kleiner werdende Zielgruppen abgestimmt, vorgetestet auf Erfolg wie Zigarettenmarken. Denn die meisten Radioprogramme verdienen ihr Geld mit Werbung - oder aber nicht. Die Ratings müssen stimmen. Um herauszukriegen, wie man das am besten macht, hat die Medienforschung ihre Instrumente verfeinert, auch wenn die Reichweitenmessung noch

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immer per Umfrage und nicht durch technische Geräte wie beim Fernsehen vorgenommen wird. Und dann gibt es daneben auch immer noch das andere, das öffentlich-rechtliche Radio. Zwar guckt man natürlich auch hier schon lange nach angemessener Akzeptanz beim Publikum, zwar werden auch hier die Regeln für massenattraktive Programme angewendet - viel Musik und wenig Wort. Aber da sind auch immer noch die gehaltvolleren Angebote, größere und kleinere Biotope für seriösen und zugleich modernen Radiojournalismus, für die radioeigene Kunst wie das Hörspiel und das Feature, für die besondere Musik. Es gibt immer noch anspruchsvolles Radio für Menschen, die gerne zuhören, die neugierig auf die Welt sind und die gar nicht genug von ihr erfahren können. Diese Art Programme, wie sie zum Beispiel das DeutschlandRadio mit seinen beiden Programmen Deutschlandfunk und DeutschlandRadio Berlin bundesweit anbietet, wie sie auch von den Landesrundfunkanstalten gemacht werden, sind die eigentliche Herausforderung für alle Radiojournalisten, die nicht nur flotte Sprüche mit angenehmer Stimme in den Äther schicken wollen. Diese Radios können spielen, können originell und originär sein, brauchen findige Köpfe, denen es Spaß macht, noch das schwierigste Thema so aufzubereiten, daß sogar Kinder es verstehen und gerne zuhören. So ein Radio wünsche ich mir (und daran arbeite ich), das der beste Mittler zwischen angehäuftem wichtigen Wissen in der Welt und informationsgestreßten Menschen ist, deren Aufmerksamkeit oft aus guten Gründen flüchtig ist. Und so ein Radio braucht besonders fähige Journalistinnen und Journalisten - vielseitig interessierte, breit gebildete, anderen zugewandte Menschen mit Sinn für Kommunikation mehr als für Selbstdarstellung. Neugier ist un-abdingbar für sie, Lust am Spiel mit Formen, Gefühl für das Medium und seine Konzentration auf einen Sinn, den ersten, den der Mensch entwickelt, das Hören. Ehrgeiz gehört dazu, auch die erreichen zu wollen, die nicht sowieso schon interessiert und kundig sind, ein ganz altmodisches Bedürfnis, etwas zur Aufklärung der Gesellschaft beitragen, etwas wirklich zu ihrem Nutzen tun zu wollen. Und es nicht nur bei der Ansicht und dem guten Willen dazu zu belassen, sondern alle Regeln der Kunst zu erlernen, alles Handwerk auch anzuwenden, sich darin zu vervollkommnen, wie es sich für richtige Künstlerinnen und Künstler, Meister ihrer Zunft, gehört.

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Leonardo da Vincis fürs Radio! Wer meine Anfänge bedenkt, wird sehen, warum ich - wie viele - es nicht wurde. Begabung reicht nicht. Was Journalistinnen und Journalisten viel mehr brauchen als Talent und Wissen, ist zu erkennen, worin die Kunst der guten Vermittlung besteht, wie eine wirkungsvolle Dramaturgie von Sendungen und Programmen die Aufmerksamkeit des Publikums wecken und wachhalten kann, wie Argumente gesetzt, welche Sprache gesprochen und wie sie gesprochen werden muß, um zwischen den Ohren etwas zu bewegen. Programme, die auf diese Weise intelligent und gekonnt daherkommen, machen es ihrem Publikum leicht. Und so erreichen sie in Deutschland ein Millionenpublikum, können es noch vergrößern, können etwas bewirken. Was für ein Vergnügen, sich dafür ins Zeug zu legen!

Digitale Medien erfordern neue Fähigkeiten

Von Friedhelm Schwarz

1995 fand in Deutschland zum ersten Mal eine Kongreßmesse zu den Veränderungen und Innovationen in der Kommunikationswirtschaft statt. Es war die kom:m in Düsseldorf. Als Ziel dieser Veranstaltung definierte man den übergreifenden Erfahrungsaustausch zwischen allen Gruppen der Kommunikationswirtschaft, und das sind nicht nur die Medien, Verlage und Agenturen, sondern auch die Hard- und Software-Anbieter und die Netzbetreiber. In acht verschiedenen Foren und in rund 90 Vorträgen wurde die Vielfalt der digitalen Kommunikation dargestellt, ihr Nutzen, ihre Möglichkeiten und ihre Verknüpfung mit anderen Medien beschrieben sowie eine Bestandsaufnahme vorgenommen. Dabei zeigte sich, wie groß die Kluft hinsichtlich des Wissensstands und der Fähigkeit der Mediennutzung zwischen den Protagonisten der neuen elektronischen Medien und den

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Skeptikern beziehungsweise Gegnern wohl sein muß, die diese Veranstaltung weitgehend ignorierten. Offensichtlich bestehen bei vielen Kommunikationsfachleuten große Berührungsängste hinsichtlich des technischen Aspekts der digitalen Kommunikation. Denn das ist das eigentlich andere: Der Produzent von Informationen muß sich auf die technischen Bedingungen seines Mediums einlassen und sie genau kennen. Wie in der Frühzeit des Bleisatzes, als der Journalist einer kleinen Zeitung nicht nur Reporter, sondern auch sein eigener Setzer und Drucker war, werden heute wieder universelle Fähigkeiten gefordert, über die viele nicht mehr verfügen. Als einfaches Resümee der kom:m läßt sich festhalten, daß die Informationsgesellschaft bereits heute durch die Online-Gesellschaft abgelöst wird. Das bedeutet, daß sich die Grenzen zwischen Informationsgebern und -empfängern verwischen und daß Journalisten Dienstleistungen erbringen werden, die sich immer stärker unterscheiden.

Redakteure für Online-Dienste Zu Beginn des Jahres 1995 suchte die 1&1 Telekommunikation GmbH in Montabaur über Stellenanzeigen in großen Tageszeitungen Redakteure/innen für Online-Dienste. Eine solche Stellenbezeichnung mag für Journalisten im Prinzip vertraut klingen, ebenso wie die Beschreibung der Tätigkeiten: "Sie pflegen und betreuen die Inhalte von Btx plus, bereiten redaktionelle Inhalte auf ... und kommunizieren in Foren und Online-Konferenzen mit den Btx-Teilnehmern." Nur den üblichen Anforderungen zu entsprechen, wie es den Anschein hatte, reichte aber mit Sicherheit nicht. Denn dies war wohl das erste Mal, daß für journalistische Arbeitsplätze in den neuen Medien im großen Stil geworben wurde. Natürlich brauchte man vor gut fünfzehn Jahren, als Btx (Bildschirmtext) sich in der ersten euphorischen Phase befand, ebenfalls Journalisten für dieses Medium, gesucht wurde aber in einem viel kleineren Maßstab. Und als dann Mitte der achtziger Jahre die große Depression eintrat, zogen viele für immer einen Schlußstrich unter alles, was mit OnlineDiensten zu tun hatte. Heute hat sich das Blatt gewendet. Btx bekam die Erweiterung Btx plus und wird sich wohl bald nur noch Telekom Online nennen, um auch im Namen zu demonstrieren, daß Btx mit 21

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über 720 000 Teilnehmern einer der größten Online-Dienste der Welt ist. l&1 ist der Vermarktungspartner der Deutschen Telekom für Btx und damit auch für die Informationsund die interaktiven Angebote zuständig. Dafür braucht man Leute, die mit diesen Instrumenten umgehen können. Mitte des Jahres umfaßte das Redaktionsteam für Btx plus sechs Mitarbeiter, und es ist eine weitere Aufstockung geplant. Stefan Brambach, 29, ist einer der Online-Redakteure und seit Januar 1995 bei 1&l. Nach dem Studienabschluß als Biologe hat er mit seinen zusätzlich erworbenen PCKenntnissen bei einem Computer-Verlag als freier Mitarbeiter gearbeitet. Jetzt ist er gemeinsam mit seinen Kollegen für die Planung und Organisation des Btx plus-Angebots zuständig. Gerd Kremer, 27, ist seit April 1995 dabei. Nach seinem Studium der Medientechnik in Stuttgart und dem Abschluß als Diplom-Ingenieur war er zunächst freier Mitarbeiter einer kleinen Firma, die Dienstleistungen im Online-Bereich erbrachte. Die journalistische Arbeit lernte er während des Studiums im Rahmen verschiedener Praktika kennen. Zur Zeit liegt sein Arbeitsschwerpunkt im Screen-Design. Manfred Osthof, 28, gehört seit Juni 1995 zum Team. Er ist Diplom-Kaufmann. Seine Hauptfächer während des BWL-Studiums in Osnabrück waren Wirtschaftsinformatik und Marketing. Auch er sammelte während des Studiums bei verschiedenen Projekten Erfahrungen, die er jetzt im Screen-Design nutzen kann. Etwas weniger PC-lastig ist die Vorbildung von Jutta Buchholz, 30. Mit einem Magister-Abschluß und den Studienschwerpunkten Englisch, Spanisch und Deutsch war ihr Ziel ein Arbeitsplatz in einem Verlag oder einer Redaktion. Jetzt ist sie als Redaktionsassistentin ebenfalls für die Betreuung von Foren und Konferenzen zuständig, außerdem fallen die News des Tages und die redaktionelle Betreuung von Handbüchern in ihren Aufgabenbereich. Die Aussage "Btx plus ist zur Zeit noch eine Baustelle" ist keineswegs abwertend gemeint, sondern beschreibt eher die anstehende Aufgabenfülle. Neue Foren sind zu entwickeln, einzurichten und bekannt zu machen. Gleiches gilt für die OnlineKonferenzen. Während die Foren eine Art elektronischer Pinnwand darstellen, bei der jeder zu einem bestimmten Thema seine Informationen beisteuern oder seine Meinung äußern kann, und diese sich zu einer immer größeren Informationssammlung entwickeln, sind die Online-Konferenzen zeitlich begrenzte Veranstaltungen, bei denen in schriftlicher Form über ein bestimmtes Thema zeitgleich diskutiert wird. 22

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Bei den zur Zeit über 100 Foren gibt es sehr unterschiedliche Angebote, die erprobt werden und sich an den Interessen der Btx-Teilnehmer orientieren oder aber von kommerziellen Anbietern wie zum Beispiel Zeitungs- und Zeitschriftenredaktionen als Ergänzung zum Printbereich ins Leben gerufen werden. Dabei gilt es die unterschiedlichsten medienspezifischen Probleme zu lösen. In den verschiedenen Foren wird zum Beispiel oft eine ganz spezifische Sprache verwendet, die sich einem Außenstehenden erst nach einer gewissen "Einarbeitungszeit" erschließt. Newcomer, die sich völlig unbedarft zu Wort melden, müssen eventuell mit einer schroffen Gegenreaktion rechnen. Das größte Forum ist erstaunlicherweise das der Star Trek Fans mit 57 Seiten Eintragungen. In den Foren gibt es keine Zensur, abgesehen bei gesetzeswidrigen Äußerungen, etwa nationalsozialistischen oder pornographischen Inhalts. Das hat zur Folge, daß sich auch unerwünschte gruppendynamische Prozesse entwickeln, die von dem zuständigen Redakteur so gesteuert werden müssen, daß der Spannungsaufbau zwischen den Teilnehmern nicht zu groß wird. Hierfür ist der Erfahrungsaustausch im Team wichtig; denn festgeschriebene Handlungsanleitungen bestehen nicht, oder vielleicht noch nicht. Die Grundtendenz geht allerdings dahin, daß sich die Redaktion weitgehend zurückhält. Die Teilnehmer sollen die eigentlichen Redakteure sein. Ein großes Problem für die Redaktion, aber auch für einige Teilnehmer ist, daß die Rechtschreibung bei sehr vielen Beiträgen erheblich zu wünschen übrig läßt. Deshalb wird in einigen Foren der beste Beitrag des Monats prämiert, nicht nur unter inhaltlichen, sondern auch unter orthographischen Gesichtspunkten. Ein Grund für den großzügigen Umgang mit der Sprache mag auch im CEPT-Standard liegen, der immer noch die Basis für den Bildschirmtext darstellt. Er hat nichts mit einem modernen Textverarbeitungssystem gemein, sondern bietet den Komfort einer Typenhebelschreibmaschine, und das bedeutet, wenn in einem Text zum Beispiel ein überflüssiger Buchstabe entdeckt wird, kann man ihn zwar löschen, aber nicht den Leerraum entfernen. Natürlich fördert auch der Gebührenzeittakt nicht gerade eine sorgfältige Schreibweise.

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Während bei anderen Online-Diensten die Beherrschung von Englisch eine notwendige Voraussetzung ist, wird beim Btx wohl auch weiterhin ausschließlich in Deutsch kommuniziert werden. Einerseits weil Btx seine Bedeutung nicht aus einer stärkeren Internationalisierung beziehen wird, sondern aus einer stärkeren Regionalisierung, andererseits aber auch, weil Btx eine breite Schicht der Bevölkerung anspricht, die Englisch nicht oder nur unvollkommen beherrscht. Eine Konkurrenzsituation wird weniger zu den Printmedien entstehen, für die Btx eine Ausweitung ihrer Angebote darstellt, als zum kommenden interaktiven Fernsehen. Wenn es eine ausreichende Breitbandverkabelung gibt, dann wird es auch möglich sein, über Btx Videobilder und akustische Signale zu empfangen. Die Tätigkeit eines Redakteurs bei einem OnlineDienst läßt sich wahrscheinlich am ehesten mit der Arbeit eines Rundfunkmoderators vergleichen, der in einer Lifesendung einerseits mit Höreranrufen umgehen muß und gleichzeitig dafür zu sorgen hat, daß die unbeteiligten Zuhörer nicht abschalten.

Pressearbeit im Internet Eine ganz andere Arbeit ist für Journalisten in einer PR-Agentur zu leisten, die sich auf Beiträge im Internet spezialisiert hat. Zunächst ist anzumerken, daß viele junge Journalisten glauben, in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit ein adäquates Aufgabenfeld zu finden. Das mag bei Unternehmenspressestellen, die generell, von einigen traurigen Ausnahmen abgesehen, ein sehr hohes professionelles Niveau haben, zutreffen. Bei PRAgenturen zählt das journalistische Handwerk eher zu den Sekundärfähigkeiten. Karriere macht man in einer Agentur eigentlich nur durchs Verkaufen der für den Kunden mehr oder (leider nur zu oft) minder nützlichen Leistungen. Ein halbes Jahr in einer Drückerkolonne für Fernsehzeitschriften dürfte die journalistische Ausbildung sein, die den Wünschen vieler PR-Agenturen immer noch am nächsten kommt. Ganz anders ist das bei der HSL GmbH in Haan-Gruiten. Hier bieten die beiden Ex-ABCMitarbeiter Dorothea von Ruediger und Jens Maas sowie die Systementwickler Hans und Hartmut Landwehr Öffentlichkeitsarbeit und Werbung im Internet an. Dabei besteht von Kundenseite nicht nur der Wunsch, Informationen zur Verfügung zu stellen, sondern auch weltweit nach bestimmten neuen Informationen zu suchen. "Journalistische Neugier, Ideenreichtum bei der Recherche und die Fähigkeit, sich in einer ständig wandelnden und 24

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erweiternden Informationslandschaft auf die richtige Weise zu bewegen, sind die Fähigkeiten, die heute und erst recht in Zukunft gefragt sind", bestätigt Jens Maas. Es sind offensichtlich gerade die großen Unternehmen, die, ohne daß es die sich zum größten Teil immer noch im Off-Line befindliche Fachöffentlichkeit wahrgenommen hat, emsig Erfahrungen in der weltweiten Publikation von Unternehmensnachrichten sammeln. Siemens ist ebenso mit fremdsprachlichen Informationen im Internet vertreten wie die Deutsche Bank mit einer Presseerklärung, die sogar ein Originaltondokument von Hilmar Kopper enthält. "Statt umfangreiche Prospekte drucken zu lassen, wird mit der virtuellen Öffentlichkeit im Datennetz weltweit eine wesentlich größere Zahl von Mitgliedern einer bestimmten Zielgruppe zu erheblich günstigeren Kosten und auf eindeutig umweltfreundlichere Weise erreicht", so Dorothea von Ruediger.

Multimediale Talente gesucht BBDO Interactive, ein Tochterunternehmen von Deutschlands größter Werbeagentur, BBDO in Düsseldorf, ist ein multimedialer Fullservice-Anbieter, dessen Spektrum von der CD-Rom über Fax-on-demand bis hin zur Internet-Werbung alles abdeckt. Mit über 50 festangestellten Programmierern, Textern und Gestaltern verfügt diese Agentur über die größte Manpower, nicht nur innerhalb Deutschlands, sondern auch innerhalb des weltweiten BBDO-Netzwerks. "One Source - Multi-Channel", lautet die Agentur-Devise. Gemeint ist damit, daß die Informationen, die der Kunde vermitteln will, in eine digitale Form gebracht werden, die mit einem geringen Aufwand den Einsatz in allen gewünschten Medien ermöglicht. Heiko Falk, einer der drei Geschäftsführer, sieht in den Erfahrungen, die in den vergangenen fünfzehn Jahren mit Btx gesammelt werden konnten, eine wertvolle Arbeitsgrundlage. "Im Prinzip hat sich nicht viel geändert. Die alles definierende Größe ist der Bildschirm. Auf ihm muß man kurz und knapp seine Botschaft, möglichst ohne Nebensätze, unterbringen. Auf dem Bildschirm liest niemand gern, und je mehr Seiten man für eine Information braucht, desto stärker nimmt das Interesse ab", so Falk. "Was wir brauchen, sind Mitarbeiter mit der Intellektualität eines ZEIT-Redakteurs und den formalen Fähigkeiten der Journalisten der BILD-Zeitung."

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Einen größeren Unterschied wie zwischen Screen und Print kann es kaum geben. Informationen werden immer mehr vom optischen Reiz leben. Was bei den digitalen Medien eine Zukunft haben wird, exerziert uns das Kino heute bereits vor. Einerseits das Schwelgen in poetischen Bildern und andererseits knappe harte Schnitte wie eine Aneinanderreihung von Video-Clips. Die Generation der "Screenager" sucht den schnellen Reiz und den schnellen Wechsel. Die Zukunft wird also bei kurzen, prägnanten visuellen Informationen liegen und nicht bei langen Texten. Lesen und Lesevergnügen wird von der Informationsbeschaffung völlig abgekoppelt werden. Man kann dies sicher als eine Verarmung in einem gewissen Lebensbereich sehen, weil der Textanteil im Multimedia-Bereich schon heute deutlich sinkt. Andererseits gibt es aber auch neue Formen der Bereicherung. Nachschlagewerke werden durch multimediale Informationen, also bewegte Bilder, Sprache, Töne, viel mehr sinnliche Erfahrungen vermitteln, als ein gedrucktes Lexikon es heute kann. Außerdem lassen sich in einem digitalen Lexikon viel mehr Querverweise und Verzweigungen einbauen, die zu einem neuen Vergnügen am Lernen führen, zu Edutainment. Was ich hier für die Enzyklopädien gesagt habe, wird auch für die Fachzeitschriften gelten. Der Fachzeitschriften-Redakteur wird im Rahmen des Electronic Publishing viel mehr Informationen miteinander verknüpfen können und müssen. Das heißt, er muß nicht nur über ein sehr viel breiteres Fachwissen verfügen, er muß auch viel mehr Medienkenntnisse haben. Wahrscheinlich werden die Redaktionen bald aus interdisziplinären Teams bestehen, der eine schreibt, der andere organisiert den Datenbankteil. Von potentiellen Mitarbeitern wird bei BBDO Interactive nicht nur erwartet, daß sie selbstverständlich die englische Sprache beherrschen, da sie die Grundlage für die weltumspannende digitale Kommunikation darstellt. Sie müssen auch in Abläufen denken und Text, Bild und Ton als komplexe Einheit erfassen können. Eine Ausbildung im Bereich Film, Funk, Fernsehen ist hilfreich, aber nicht Voraussetzung. Autodidakten haben ebenfalls Chancen, wenn sie Talent besitzen. Ob das der Fall ist, läßt sich nach Ansicht von Heiko Falk am besten in der Praxis feststellen. "Wenn wir gute Leute im Rahmen eines Praktikums kennenlernen, lassen wir uns schon etwas einfallen, um sie zu halten."

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Es kann nur vorwärts gehen "Die Online-Dienste sind die Inseln im Ozean des Internet", sagte einer der OnlineRedakteure von 1&1. Welche Dienste mit welchen Leistungen wie schnell die größten Marktanteile erringen werden, ist noch offen. Eine gesicherte Tatsache dürfte jedoch sein, daß die Zahl der privaten Haushalte, die den Zugang zu einer Datenbank haben, schnell und kontinuierlich steigt. Dabei wird man seine verschiedenen Zielgruppen sehr viel genauer kennenlernen und das Angebot auf ihre Wünsche abstellen. Die Zahl der Arbeitsplätze in den digitalen Medien dürfte rasant steigen, während die Arbeitsinhalte sich erst im Arbeitsprozeß selbst entwickeln. Wer in den wachsenden Markt der digitalen Medien einsteigen will, sollte darüber informiert sein, was medientechnisch möglich ist. Er sollte versuchen, herauszufinden, welche speziellen Talente er besitzt, und er sollte die Fähigkeit trainieren, Inhalte auf ihren Kern zu reduzieren, sie mehrdimensional und in Abläufen darzustellen, schnell Neues zu lernen und dies mit vorhandenen Informationen zu verknüpfen. Die Sprache des Global Village ist Englisch, daran führt kein Weg vorbei. Autodidakten haben in den digitalen Medien große Chancen, weil kaum ein Ausbildungsgang die geforderten Fähigkeiten vermittelt oder trainiert. Die Bereitschaft, sich auf eine Zukunft einzulassen, die weder reglementiert aber auch nicht abgesichert ist und die man selbst mitgestalten muß, erfordert viel Selbstvertrauen. Ob der Mitarbeiter in einer Agentur oder einer Redaktion sitzt, ob er sich als Redakteur, Designer oder Moderator bezeichnet, wird nebensächlich sein und nur eine Brücke zu den eigentlichen neuen Tätigkeiten darstellen.

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