Wie das neue Gipfelkreuzauf die Wildspitze kam

Ohren auf Portfolio gute tipps Flüsternder Gletscher Ötztalerisch-Lexikon Das Ötztal von oben Klettern mit den Bacher-Sisters, Biken mit Simon Sc...
Author: Jürgen Kolbe
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Ohren auf

Portfolio

gute tipps

Flüsternder Gletscher Ötztalerisch-Lexikon

Das Ötztal von oben

Klettern mit den Bacher-Sisters, Biken mit Simon Scheiber

Die Wildspitze Zeitschrift für das intensive Erleben des Ötztals

Nummer 2, Oktober 2010

Ihr persönliches Exemplar

Reportage

Wie das neue Gipfelkreuzauf die Wildspitze kam

wildspitze 2010

inhalt

Dieses Heft gehört Ihnen! Liebe Gäste, dies ist die zweite Ausgabe des Ötztal-Magazins „Die Wildspitze“. „Die Wildspitze“ ist ein ungewöhnliches Gästemagazin. Ihre einzige Aufgabe ist es, Sie, unsere Besucherinnen und Besucher, etwas näher an das Ötztal heranzuführen, an diese wunderschöne, eigenwillige Region mit ihren landschaftlichen Reizen und unzähligen Geschichten. Zum Beispiel die Geschichte des neuen Gipfelkreuzes der „Wildspitze“. Unser Reporter Philipp Horak war dabei, als nach 77 Jahren, in denen das alte Kreuz auf dem höchsten Gipfel der Ötztaler Alpen gestanden war, eine Expedition von Vent aus aufbrach, um das neue Kreuz, das inzwischen in Umhausen geschmiedet worden war, auf dem Fundament des alten zu befestigen. Ein nebliger Tag, eine Seilschaft entschlossener Männer, ein Hubschrauberpilot mit dem Gefühl für Millimeterarbeit – ein großes Abenteuer. Dieses Abenteuer werden Sie selbst miterleben, wenn Sie die Reportage auf Seite 00 lesen, und Sie werden das Kreuz der Wildspitze in einem neuen Licht sehen, sobald Sie eine Wanderung oder eine Skitour auf unseren höchsten Gipfel vorhaben. Dafür haben wir die „Wildspitze“: für das intensivere Erleben des Ötztals – so sagt es auch der Untertitel der Zeitschrift.

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Als wir in der vergangenen Wintersaison die Wildspitze zum ersten Mal in die Hotels und Gastonomie des Ötztals lieferten, waren wir noch nicht sicher, wie Sie, die Gäste, die Zeitschrift nützen würden. Inzwischen wissen wir das – viele, viele Reaktionen haben uns bestätigt, dass eine qualitätvolle Publikation wie die „Wildspitze“ gemocht und geschätzt wird. Das Heft wurde sogar äußerst respektvoll behandelt und nach der Lektüre wieder an seinen Platz zurückgelegt. Dazu nur soviel: Dieses Heft ist ein Geschenk von uns Ötztalern an Sie, unsere Besucherinnen und Besucher. Packen Sie die „Wildspitze“ ein, nehmen Sie sie mit, bringen Sie Ihren Freunden zu Hause ein Exemplar mit. Erzählen Sie weiter, dass es diese Zeitschrift gibt, und nehmen Sie „Die Wildspitze“ irgendwann wieder zur Hand, wenn Sie zu Hause sind und an die schönste Zeit des Jahres denken. Das würde uns freuen Oliver Schwarz, Direktor Ötztal Tourismus

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inhalt

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Magische orte

Prominente Gäste verraten ihre Lieblingsplätze im Ötztal

Kunst

Hier spricht der Gletscher. Kalle Laars Klimaprojekt

sprache

Über die Feinheiten des Ötztaler Dialekts. Was heisst zum Beispiel Giggelar?

Klettern

Die Lieblingsrouten von Barbara und Sabine Bacher

dokumente

Zeugnisse der Armut. Der Ötztaler Gedächtnisspeicher

Magische orte

6 Maria Riesch und die Freude, aus dem Nebel auf den Gletscher zu kommen.

ski COLLECTiON

auTumN/wiNTEr 2010 JLiNDEBErG.COm



8 Bernhard Vogel und sein sentimentales Verhältnis zum Stuibenfall

10 Orlando Duque und der Kitzel der Höhe in der Aera 47 12 Lisi Kirchler-Riml und der Urlaub daheim auf der Gampe Thaya

1 5 13 Fragen an Luis Pirpamer reportage 16 Das neue Kreuz. Die abenteuerliche Geschichte, wie die Wildspitze nach 77 Jahren ein neues Gipfelkreuz bekommt

kultur

sport und service

25 Bauernkalender von Markus Roost 28 Architektur. Das bunte Haus

40 Sportklettern mit Barbara

der Regina Pizzinini in Niederthai

3 0 Sprache. Die Feinheiten des Ötztaler Dialekts. Mit Glossar

3 2 Ethnologie. Die Requisiten des Überlebens. Blick in den Ötztaler Gedächtnisspeicher

34 Kunst. Was sagt der Gletscher? Das erstaunliche Projekt von Kalle Laar auf dem Vernagtferner 8 Glaziologie. Aus dem Tagebuch 4 der Ötztalreise 1846 von Erzherzog Johann

und Sabine Bacher

42 Mountain-Biking mit Simon Scheiber

44 Wandern mit Walter Klier 45 Singen mit dem Liederbuch 46 Essen mit Ötztaler Breatlen Portfolio 50 Von oben. Das Ötztal aus der Luft gesehen. Fotos von Philipp HorakMit literarischen Vignetten von Walter Klier

Lesen

70 Lesegeschichte. 90 Grad. 74 Damals/Heute, Impressum

Von David Lama

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Die Freude am immer wieder

Wenn die Sonne über dem Nebel herauskommt: Olympiasiegerin Maria Riesch liebt den Moment, wenn sie hinauf auf den Rettenbachgletscher kommt. Sie kennt diesen Gletscher, seit sie ein kleines Mädchen war. „Für mich war und ist Sölden von Kindesbeinen an der wichtigste Trainingsort im Sommer und Herbst“, sagt Maria Riesch, die bestechendste Slalomfahrerin des letzten Winters, „Seit ich acht oder neun Jahre alt bin, habe ich mehrere Wochen pro Jahr in Sölden und am Rettenbachgletscher verbracht.“ Das Leben von Profiskifahrerinnen bringt ständige Bewegung mit sich, ununterbrochene Reisen von Trainingsort zu Trainingsort, von Rennwochenende zu Rennwochenende. Die Last, schon wieder aufbrechen zu müssen, steht der Freude gegenüber, wieder anzukommen. Sölden ist im Kalender der Maria Riesch auch in diesem Zusammenhang eine besondere Station: nirgends stehen mehr Trainingseinheiten auf dem Programm als auf dem Rettenbachgletscher, wo seit Jahren auch der Weltcupauftakt stattfindet. Maria Riesch: „Dieses Rennen auf dem extrem steilen und anspruchsvollen Hang ist eines der schwersten und spektakulärsten Rennen der Saison.“ Ist es, wenn eine Spitzensportlerin sich auf die neue Saison vorbereitet, eigentlich möglich, die Schönheit der Natur, die sie umgibt, zu geniessen? „Es ist ein unbeschreibliches Gefühl“, sagt Maria Riesch, „bei aufgehender Sonne die Gletscherstraße hinaufzufahren und die beeindruckenden Berge zu bestaunen. Natürlich ist man während des Trainings sehr konzentriert und fokussiert, tordem hat man während der Fahrten mit dem Lift oder der Gondel auch mal ein paar Minuten Zeit,

Sölden, Gletscherstraße Der Weg aus dem Tal hinauf auf den Rettenbachferner, hier hinter den Kulissen des Nebels ein Naturschauspiel

Maria Riesch die Natur zu genießen.“ Das Licht auf dem Gletscher, wenn unten Nebel ist. Das Spiel der Farben, der Reflexionen des Lichts auf dem Eis. Kostbare Momente für einen Menschen, der permanent angehalten ist, sein Bestes zu geben, über sich hinauszuwachsen. „Klar kommt auch sofort das erste Bauchkribbeln und die Vorfreude auf den Weltcupstart“, sagt Maria, „sobald man im Oktober zum estenmal wieder am Ortsschild ,Sölden‘ vorbeifährt.“ Muss nur mehr Nebel im Tal liegen. Und dann geht es die Gletscherstraße hinauf ins Licht.

Maria Riesch, 26, ist die derzeit erfolgreichste Skirennläuferin Deutschlands. In Vancouver gewann sie zwei Goldmedaillen, in der Weltcup-Gesamtwertung belegte sie zweimal den zweiten Platz. Sie gewann 14 WeltcupKonkurrenzen und geht in dieser Saison von neuem auf den Gesamtweltcup los.

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„Eine Konstante meines Lebens“

Seit mehr als 50 Jahren kehrt der deutsche Politiker Bernhard Vogel immer wieder an den Ort zurück, in den er sich als Student verliebt hat: zum Stuibenfall bei Niederthai. Zum ersten Mal wanderte Bernhard Vogel 1954 ins Ötztal. Er marschierte vom Kühtai über die Finstertaler Scharte nach Niederthai, und im Gasthaus Stuibenfall machte er Pause und aß eine Suppe. Damals war Vogel 22 Jahre alt, und seine Karriere als Politiker lag noch weit vor ihm. Als Vogel nach absolviertem Studium an die Uni ging, kehrte er ins Ötztal zurück, er kehrte an den Ort zurück, der ihn bei seinem ersten Besuch verzaubert hatte: Vogel quartierte sich im „Stuibenfall“ ein und begann die Gegend zu erkunden. Er unternahm lange, zum Teil anspruchsvolle Wanderungen, und er begann sich zu Hause zu fühlen. Während seine Karriere immer turbulenter wurde – statt an der Universität wissenschaftlich zu arbeiten, wie er es eigentlich geplant hatte, ging Vogel in die Politik und stieg rasch zum Vorsitzenden der CDU in Reinland-Pfalz auf, gewann die Landtagswahlen und wurde für die nächsten zwölf Jahre Ministerpräsident –, holte er mit seinen jährlichen Urlauben in Niederthai eine Konstante in sein Leben. „Ich habe insgesamt mehr als zwei Jahre in Niederthai verbracht“, sagt Vogel, als er die mehr als 60 Aufenthalte an seinem Lieblingsort zusammenrechnet. „Das war eine willkommene Abwechslung zu meinem Beruf, in dem ich fast täglich an einem anderen Ort sein musste und in der Früh den Schalter nicht fand, um das Licht einzuschalten. Es war genau das, was ich suchte: der Kontrast zum Leben des Politikers.“ Nachdem Vogel 1988 als Ministerpräsi-

Der Stuibenfall, Niederthai Über 150 Meter Höhe über zwei Fallstufen stürzt das Wasser von Tirols mächtigstem Wasserfall in die Tiefe. Ein einmaliges Naturschauspiel.

Bernhard Vogel dent von Rheinland-Pfalz zurückgetreten war, übernahm er 1992 die gleiche Aufgabe in Thüringen – für weitere elf Jahre. Während er auf diesem Posten die Deutsche Wiedervereinigung mit Leben erfüllen musste, kehrte er mit einer Gruppen von Freunden nach Niederthai zurück, um Silvester zu feiern oder kleine Touren zu gehen. Sein Lieblingsweg führte von Niederthai nach Umhausen, und weil er diesen Höhenweg so gern ging, bekam dieser seinen Namen: Dr. Bernhard-Vogel-Weg. Im nächsten Sommer ist der nächste Besuch beim Stuibenfall geplant. Ob er neue Touren gehen wird, weiß Vogel noch nicht: „Die Wanderungen“, sagt er, „werden kürzer und die Gipfel seltener. Häufiger werden nur die Hütten.“ Dr. Bernhard Vogel, 78, regierte als Ministerpräsident die deutschen Bundesländer Rheinland-Pfalz (1976 - 1988) und Thüringen (1992-2003). Er kehrt seit 1954 regelmäßig ins Ötztal zruück – bis jetzt mehr als 60mal.

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„Die Welt von oben sehen“

Der kolumbianische Cliffdiver Orlando Duque springt aus Höhen, für die andere Menschen ein Flugzeug brauchen, ins Wasser. Er liebt die Aera 47 in Oetz. Englands Aristokratie prägte im 19. Jahrhundert den Begriff von den Alpen als „ultimate playground“. Abenteurer und Erholungssuchende des Empires waren begeistert von ihrer Schroffheit, dem Wildwasser und der schieren Wucht der Kulisse. Noch immer suchen Menschen aus ebenen Gefilden die Faszination des Gebirges. Eine Herausforderung, die ihren Bezwingern ein wohl dosiertes Maß an Strapazen und nervlicher Anspannung abverlangt. Die Koordinaten dieses verheißungsvollen Erlebnis-Eldorados sind seit Mai 2010 verortet – in den Landkarten des Ötztals. Sie lauten 47. Längen- und 11. Breitengrad und geben der AREA 47 den Namen. In Anlehnung an Britanniens einstigen Claim lautet der Untertitel des 6,5-Hektar-Parks „The Ultimate Outdoor Playground“. Es ist ein sehr großer Spielplatz, auf dem sich erwachsene Kinder hier an der Mündung der Ötztaler Ache tummeln. Die Gerätschaften, im Fachjargon „Obstacles“ genannt, sind überdimensional, respekt- und teilweise furchteinflößend. Ein Hochseilgarten in 27 Metern Höhe etwa, der seinen Bezwingern alles abverlangt. In derselben Etage: Eine Plattform, aus der Unerschrockene am Kletterseil hängend in die Tiefe stürzen, um dann mit maximaler Beschleunigung zwischen zwei riesigen Brückenpfeilern hin- und herzupendeln. Auch einen See gibt es mitsamt kunstvoll geschwungenen Riesenrutschen, darunter die steilste Europas – sie ist auf dem Bild links zu sehen, diesmal von unten. Von einer 15 Meter hohen Schanze schlagen Skifahrer und ZipflbobPiloten kunstvolle Salti ins Wasser. Haltungs-

Aera 47, High-SpeedRiutsche aus etwas anderer Perspektive Eine Herausforderung für alle, denen ein normaler Köpfer ins Wasser zu wenig spannend ist.

Orlando Duque noten verteilen die anwesenden Schaulustigen per Applaus oder Gelächter. Einer der Stammgäste der AREA 47 ist Orlando Duque. Der Kolumbianer hat neun Weltmeistertitel in der Red Bull Cliff-DivingSerie errungen. Sprich: Das Dasein als olympischer Turmspringer wurde ihm irgendwann zu langweilig. Wer aus derlei Holz geschnitzt ist, beginnt sich erst ab 20 Meter Höhe für den kunstvollen Sturz in die Tiefe zu interessieren. Praktischerweise lässt sich der Sprungturm der AREA 47 auf 27 Meter ausfahren. „Ich war schon an vielen faszinierenden Plätzen dieser Welt. Aber dieser hier ist einzigartig“, schwärmt Duque. Seine Performance anlässlich der AREAEröffnung erntete offene Münder, sein natürlicher Charme Sympathie. Gerade bei seinen Schülern, denen er im Ötztal erste Schritte in die Cliff-Diving-Karriere zeigte. Die beginnen allerdings am 5-Meter-Brett. Orlando Duque, 36, dominiert seit Jahren die Welt des Cliff Diving und ist Inhaber zweier Eintragungen im Guiness-Buch der Rekorde.

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„Die Stimmung aufhellen“

Die frühere Skirennfahrerin Lisi Kirchler-Riml macht mit ihren Kindern gern Urlaub zu Hause – auf der Hütte Gampe Thaya. „Hier“, sagt Elisabeth Riml, die als Lisi Kirchler zur Heldin der anspruchsvollen, österreichischen Skination aufgestiegen war, Siegerin in drei Weltcupabfahrten und einer -kombination, Silbermedaillengewinnerin im Riesenslalom von Bormio 1985, „mache ich Urlaub daheim.“ Die Lisi, wie sie alle nennen, lebt seit vierzehn Jahren in Sölden. Sie ist hier verheiratet, hat drei Kinder und nennt den Alltag daheim ein „Privileg“. Sölden war ein Fixpunkt in ihrem Sportleben, regelmäßig kehrte die österreichische Skinationalmannschaft hierher zurück, um auf dem Gletscher zu trainieren und die Form für die Weltcupsaison zu finden. Die Gampe Thaya ist ein Ort, denn die Lisi magisch findet, weil er „stressfrei“ ist. Die Kinder können herumlaufen, kein Auto wird sie überfahren, weil hier keines fährt. Die Hütte und ihre Atmosphäre, die Küche, die einwandfrei ist, die Beziehung zur Schwägerin Daniela und ihrem Jakob, selbstverständlich und entspannt. Wenn das Frühstück auf dem Tisch steht, der Blick. Es ist das Privileg des Berggängers, im Panorama, in den Linien der Berge, die sich auf der anderen Seite des Tales entfalten, zu versinken. Den Wegen nachzuspüren, die man schon einmal gegangen ist, die Momente zu erinnern, die man genossen hat, die Möglichkeiten zu sortieren, die man sich vielleicht demnächst einmal gönnen möchte. „Manchmal“, sagt die Lisi, „wenn wir faul sind, fahren wir mit dem Auto bis zur Schranke und gehen von dort die 20 Minuten zur

Lisi Kirchler-Riml Hütte. Es ist unglaublich, wie schnell sich die Stimmung verändert, wenn man hier über die Wiesen in die Weite schaut.“ Zum Beispiel nach dem Frühstück sitzenbleiben und schauen. Im Winter ist das schwerer, dann rufen die Ski sehr ungeduldig, dass sie bewegt werden möchten. Im Sommer rufen nur die Kinder: „Mama, gehen wir baden.“ Dann bricht die Familie zum Schwarzsee auf, einem „Platzl“, wie die Lisi sagt – einem weiteren magischen Platz, ganz in der Nähe.

Elisabeth Kirchler-Riml, 47, gewann in ihrer aktiven Zeit als Skirennläuferin drei Weltcupabfahrten und WM-Silber im Riesenslalom Sie lebt seit 14 Jahren in Sölden, verheiratet und Mutter von drei Kindern.

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Hochsölden, vor der Hütte Gampe Thaya Auch für die Einheimischen ein Punkt, um dem Alltag zu entkommen.

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Was haben Ötztal und Afrika gemeinsam, Herr Pirpamer? 13 Fragen an Luis Pirpamer, den langjährigen Obmann der Bergrettung in Vent. Auskünfte über Jeeps, Bergführer, das neue Gipfelkreuz der Wildspitze und den Kilimandscharo

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uncompromising skiwear MEN SlopES ‘N’ RopES Jacket

Was bedeuten Ihnen die Berge? Ein Bergspinner war ich schon immer. Sie übernahmen schon mit 16 Jahren die Ortsstellenleitung der Bergrettung in Vent. Damals lernten Sie doch gerade erst ihren Beruf, das Kochen. Wie ging sich das aus? Man musste eben früh aufstehen. Außerdem war das in den fünfziger Jahren noch nicht so streng bei der Bergrettung. Es gab damals noch keine spezielle Ausbildung für Bergretter. Wenn einer ein Problem hatte, hat man ihn halt vom Berg runtergeholt. Das war nicht immer einfach, denn es gab damals weder Telefon noch Funkgeräte. Wie lange haben Sie den Job gemacht? 47 Jahre. Jetzt macht ihn der Markus, mein Sohn. Wie hat sich Vent in diesen 47 Jahren verändert? Natürlich stark. Meine Familie hatte ja schon seit Generationen das Hotel „Post“, wobei das Hotel „Post“ früher „Gasthof Tappeiner“ hieß. In „Post“ wurde es erst umbenannt, als die Post tatsächlich bis nach Vent hinaufkam. Zuerst kamen die Postler noch zu Fuß, dann mit dem Pferd. Es dauerte lange, bis der Postbus bis zu uns hinauffuhr. Mein Vater hatte noch zwei Ami-Jeeps, mit denen er die Bergsteiger von Sölden nach Vent bringen ließ, und ich konnte mir, als ich 14 war, nichts Besseres vorstellen, als mit diesen Ami-Jeeps zu fahren. Durften Sie? Erst, als ich zwei von den Fahrern dabei erwischte, wie sie im Dienst schnapselten. Das sagte ich dem Vater, und der jagte sie zum Teufel. Dann sagte er: „Jetzt hast den Dreck, jetzt musst du selber fahren.“ Ich tat dann wenigstens so, als wäre ich betroffen . Neben ihren Jobs als Koch, Skilehrer und Bergretter ließen Sie sich dann auch noch zum Bergführer ausbilden. Ja, in den sechziger Jahren. Aber ich bin schon lang vorher als Co bei Mehrtagestouren im Einsatz gewesen. Als Bergführer machten Sie dann Karriere.Karriere, na ja. Ich war zuerst Ortsstellenleiter in Vent, dann Obmann der Sektion Wildspitze, Landeschef der Bergführer und dann acht Jahre lang Präsident des IVBV [der „Internationalen Vereinigung der Bergführerverbände“]. Da konnte ich ein bisschen was dazu beitragen, dass die Bergführer-Ausbildung ihre längst nötige Reform bekam.

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Sölden: Sport Brugger, www.sport-brugger.at; Sporthütte Fiegl, www.sporthuette.at; Sport Riml, www.riml.com Obergurgl: Sport Mode Lohmann, www.lohmann.at Hochgurgl: Intersport Riml, www.hotel-riml.com

philipp horek

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Sie begnügten sich als Bergsteiger nicht mit den Alpen, sondern gingen schon Anfang der sechziger Jahre auf den Kilimandscharo. Was lernten Sie vom höchsten Berg Afrikas? Ich lernte, dass jede Besteigung gut organisiert sein muss. In den sechziger Jahren schafften nur ganz wenige Bergsteiger, die nach Kenia fuhren, den Gipfel. Nicht, weil sie schlechte Bergsteiger waren, sondern weil ihre Vorbereitung für einen so hohen Berg nicht ausreichte. Deshalb boten Sie in Vent ein Kilimandscharo-Package an. Was war denn das für eine Idee? Die Idee bestand darin, dass die Leute, die auf den Kilimandscharo wollten, sich langsam an die Höhe gewöhnen sollten. Vent liegt auf 1900 Meter, und wir gingen dann von hier aus spazieren – auf die Similaunhütte (3606 Meter), den Similaun-Gipfel, den Finail-Spitz und die Wildspitze. Nach einer Woche in Vent kriegten die Teilnehmer dann die offizielle Pirpamer-Erlaubnis, nach Kenia zu fliegen und die fünftägige Besteigung des Kilimandscharo in Angriff zu nehmen. Im September leiteten Sie die Gruppe, die das neue Gipfelkreuz auf die Wildspitze brachte (siehe auch Reportage Seite 000). War’s schwierig? Sehr schwierig. Das Wetter war schlecht, und die Aktion gelang nur durch die Millimeter-Leistung vom Piloten Jörg Schnell und seinem Flughelfer Bernhard Klotz. Ich hab noch nie so ein Fluggefühl erlebt, und das bei Wind und Wetter. Welche Touren empfehlen Sie von Vent aus? Für Anfänger die Tour von Vent auf die Similaunhütte. Dort übernachten. Am zweiten Tag auf den Similaungipfel. Für Fortgeschrittene auf das Brandenburger Haus, dort schlafen, und von dort auf den Fluchtkogel, dann über die Vernagthütte zurück nach Vent. Und Ihre Lieblingstouren? Auf die Weißkugel, die Wildspitze, auch den Similaun und die Überschreitung Hintere Schwärze. Wenn ich am Berg bin, geht’s mir gut. Meine nächste Saison ist also schon geplant – so lange ich gesund und munter bin, werde ich auch am Berg unterwegs sein. Sie sind ja erst 73. Na eben.

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Das neue Kreuz

Reportage. Nach 77 Jahren hat das alte Gipfelkreuz der Wildspitze ausgedient. Unser Reporter ist dabei, als das neue entworfen, geschmiedet und auf den Gipfel gebracht wird. Klingt wie Routine? War ein großes Abenteuer. Von Philipp Horak

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Blick in die Werkstatt des Schmieds Peter Praxmarer in Umhausen. Das neue Gipfelkreuz wird aus Nirosta hergestellt und ist 420 kg schwer. Am Fuss des Kreuzes ist ein Sinnspruch befestigt: „Gelobt sei Gott/Sein sind die Gipfel der Berge“

ch habe das alte Gipfelkreuz der Wildspitze sehr gemocht. Ich möchte sogar sagen, ich bin an ihm gehangen. Das kam so: Als ich im Frühjahr 2009 zum ersten Mal auf der Wildspitze war, wurde mir auf den letzten hundert Metern, die zum Gipfel hinaufführen, schmerzlich bewusst, dass ich Flachländer bin. Das Wetter, einfach perfekt. Blauer Himmel, die Sonne schien kräftig und warm. Die Sicht war großartig. Trotzdem gab es ein Problem. Ich hatte Angst. Der Aufstieg zum Gipfel kam mir plötzlich steil, eng und rutschig vor. Links und rechts zog es hinunter in die Tiefe, und meine Kollegen sagten mir, dass ich über eine kleine Wand hinauf zum Kreuz klettern sollte. Ich wollte ja, aber ich konnte nicht, und hätte mich nicht mein Freund David an ein Seil gehängt und gesichert, und hätte Peter nicht damit gedroht, der ganzen Welt von mir, dem Hosenscheißer zu erzählen, ich hätte keinen Schritt weiter gemacht. Aber dann war ich auf dem Gipfel, und da wartete das große Kreuz auf mich. Flugs hatte ich mich mit dem Seil ans Kreuz gehängt, was mir ein bisschen Sicherheit zurückgab, obwohl es eng war auf dem Gipfel und zugig. Ich machte ein paar Bilder und prägte mir die Landschaft, die ich rundherum sah, ein, um sie genießen zu können, wenn ich wieder in Sicherheit war. So hatte ich das Kreuz in Erinnerung. Mächtig, stark und das einzige Teil auf dem Wildspitze-Gipfel, auf dem sich ein erschöpfter Flachländer ein wenig Sicherheit abholen kann. Das verbindet, und ich wäre bei diesem ersten Besuch auf der Wildspitze niemals auf die Idee gekommen, dass es mit der Ansehnlichkeit des Kreuzes nicht weit her war. Dass der stehende Balken mit Abziehbildern voll geklebt war – na und? Dass die Farbe des majestätischen Trumms unter unzähligen Stürmen und Blitzschlägen gelitten hatte – mir doch egal. Erst als ich

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„Draußen schneite es. In Vent lagen 30 Zentimeter Neuschnee. Auf der Wildspitze waren es 70. Ich hätte viel gewettet, dass das alte Gipfelkreuz noch eine Saison anhängt“ das Kreuz auf den Fotos für das Titelbild der ersten „Wildspitze“, des Magazins, für das ich diesen Aufstieg unternommen hatte, genauer unter die Lupe nahm, fiel mir auf, was die Einheimischen bemäkelten. Das Kreuz sah tatsächlich ein bisschen heruntergekommen aus. Ich mochte es trotzdem. Ein Jahr später besuchte ich den Schmied Peter Praxamer in Umhausen. In der sauberen, aufgeräumten Werkstatt lagen Haufenweise Skizzen. „Die“, sagte der Schmied, „sind für das neue Gipfelkreuz.“ „Aha“, antwortete ich und schaute mir die Pläne an. Darauf war ein breitschultriges, massives Kreuz zu sehen, vier Meter hoch, das von einem eleganten Rahmen in der Form eines gotischen Fensters umgeben war. Ich konnte mir das Kreuz schon gut vorstellen, aber ich hatte ein Frage: „Wir wollt Ihr denn dieses Trumm auf den Gipfel bringen?“ Gewiss, die Antwort war nicht mehr ganz so schwer wie 1933, als das alte Kreuz der Wildspitze in Einzelteilen von Bergführern auf den Gipfel geschleppt worden war, um dort zusammengesetzt zu werden. Schließlich hatte die Technik große Sprünge gemacht, und ich hatte selbst bereits den Luxus eines Helikopterflugs über die höchsten Gipfel des Ötztals genossen – aber wie man auf dem winzigen Gipfelplateau der Wildspitze ein fast halbtonnenschweres Kreuz landen wollte, aufstellen und fixieren, das war mir alles andere als klar. Aber Peter hatte schon eine Vorstellung. „Zuerst“, sagte er – er sagte es im breitesten Ötztalerisch, aber ich gebe es so wieder, wie ich es verstanden habe – „wird das alte Kreuz umgeschnitten. Dann stellen wir das neue auf die alten Stützen, einschrauben, fertig.“ Interessant. Er erzählte das mit der gleichen Selbstverständlichkeit, als müsste er ein etwas größeres Bild in seinem Wohnzimmer aufhängen, dabei war für das Projekt Gipfelkreuz größte fliegerische Präzision gefragt, um das 420-Kilo-Kreuz an Ort und Stelle zu bringen, und dann.... „Peter“, fragte ich, „wie viele Leute brauchst du zum Aufstellen?“ „Acht“, sagte er ohne nachzudenken. Jetzt wurde mir schwindlig. Acht Menschen auf einem Gipfel, der mir mit zwei anderen Bergkameraden schon zu klein gewesen war? Das musste ich sehen. Ende August saß ich in Vent und wartete auf den Beginn der Expedition. Draußen schneite es. Der Sommer hatte sich längst getrollt. In Vent lagen 30 Zentimeter Neuschnee. Auf der Wildspitze waren es 70 Zentimeter. Im Bergsteigerdorf herrschte gedrückte Stimmung. Tags zuvor war eine deutsche Seilschaft vom plötzlichen Wintereinbruch überrascht worden. Eine Bergsteigerin hatte die Nacht auf dem Berg nicht überlebt. „Keine Chance“, murmelte ich, während ich ins Grau des letzten Augusttags hinaus starrte. In diesem Augenblick hätte ich meine Hasselblad darauf gewettet, dass das alte Gipfelkreuz noch eine Saison anhängen würde. „Ist nicht gewiss, Büable“, sagte Luis Pirpamer. Luis (siehe auch Interview auf Seite 00) war zum Leiter der Aktion Gipfelkreuz bestellt worden. Er nennt jeden, der jünger ist als er selbst, „Büable“, was bei einem Alter von 73 Jahren ziemlich viele Mannsbilder in Buben verwandelt. Luis hielt also seine Nase in den Wind und meinte, dass es be-

Plötzlich dann Hektik auf dem kleinen, engen Gipfel der Wildspitze. Der Nebel reisst für einen Moment auf, der Hubschrauber kommt mit dem neuen Kreuz, Einsatzleiter Luis Pirpamer (r.o.) behält die Fäden in der Hand

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Das alte Gipfelkreuz liegt gefällt auf der Seite. Blitze, Sturm und die Wanderer haben es unansehnlich gemacht

stimmt nicht so kalt bleiben werde, vielleicht schlage das Wetter sogar schnell genug um, dass die Aktion wie geplant tags darauf stattfinden könne. „Sixt, Büable“, sagte Luis, als das Wetter tags darauf tatsächlich hielt, was es versprochen hatte. Am Nachmittag brachen wir – acht Buben, angeführt vom Pirpamer Luis – auf die Breslauer Hütte auf, nahmen den Lift von Vent bis auf 2364 Meter und absolvierten einen wunderschönen Abendspaziergang von 500 Höhenmetern im Abendrot der Ötztaler Alpen. Auf der Hütte waren pipifeine Vierbettzimmer reserviert, zum Abendessen gab es Spaghetti und ein bisschen Rotwein, und als ich mich ins Bett legte, wäre ich eigentlich in bester Bettlaune gewesen und hätte bestimmt tief und fest geschlafen.... ...wenn ich nicht, sobald ich meine Augen zugemacht hatte, wieder auf der zugigen Wildspitze gestanden wäre wie ein Jahr zuvor, mit vollen Hosen und dem gefährlichen Nichts links und rechts. Ich wälzte mich im Bett herum, leise und vorsichtig, um die anderen nicht zu stören, aber die ließen sich eh nicht stören – sie brummten und rasselten wie man sich Tiroler Bergführer vorstellt, wenn sie einmal eingeschlafen sind. Als der Wecker um 4 Uhr 45 läutete, hatte ich das Gefühl, keine Minute geschlafen zu haben. Um fünf saßen wir miteinander am Frühstückstisch, und ich lernte meine nächste Lektion: auf der Hütte ist es abends lustiger als in der Früh. Das Werkzeug für die Aktion Gipfelkreuz wurde auf die Rucksäcke aufgeteilt, und wir gingen los. Es war noch nicht hell. Niemand sprach. Lange, regelmäßige Schritte, bedächtiges Tempo. Die Sonne ging auf, und sie offenbarte uns eine üble Überraschung.

Die Wetterprognose war falsch gewesen. Statt wolkenlosem Himmel war es bedeckt und schneite leicht. Die Sicht war schlecht. Der Weg, am Anfang noch angenehm und unbeschwerlich, zog an, wurde steiler und anstrengender. Der Wind blies heftig, der Schnee verwandelte sich in leichten Regen und machte die Ausrüstung feucht und den Weg ein wenig rutschig. Bei der ersten Kletterpassage sicherte mich Luis betont beiläufig – „vielen Dank, Luis“ – „gern geschehen, Büable“ – dann ging es über den Gletscher hinauf in die Nähe des Gipfels. Wo mich ein Jahr zuvor die Panikattacke gebissen hatte, machten wir eine kleine Rast, um das Wetter zu beobachten. Das Wetter sah nicht gut aus. Der Gipfel, der vielleicht noch zwanzig, dreißig Meter entfernt war, tauchte nur für Sekunden auf, wenn der Wind den Nebel zerriss und wegblies. Luis schimpfte wie ein Rohrspatz. Hätte das Wetter verstanden, was er es alles geheißen hatte, wären die Wolken stramm gestanden und abmarschiert, aber die Wolken verstanden kein Tirolerisch. Klar war: bei diesem Nebel konnte kein Helikopter fliegen. Wenn sich das Wetter nicht rasch besserte, mussten wir wieder runter. Während die anderen sich lautstark den Kopf zerbrachen, was jetzt zu tun sei und wie lange wir noch warten würden, hatte ich ein ganz anderes Problem. Die Angst war wieder da. Als hätte sie an derselben Stelle wie im Jahr zuvor auf mich gewartet, hockte sie auf dem schmalen Grat, den es jetzt zu durchklettern galt, um auf den Gipfel zu kommen. Rechts das Nichts. Links die Ewigkeit. Als könnte er Angst wittern, kam Luis auf mich zu und hängte sein Seil bei mir ein. „Du wirst gesichert, Büable“, sagte er, und als ich beim Hinaufsteigen prompt auf einem vereisten Stein ausrutschte und das

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Abriss des alten, Montage des neuen Kreuzes. Wer die Baustelle betrachtet, muss sich vor Augen halten, dass es rundherum steil in den Abgrund zieht

Gleichgewicht verlor, hielt mich das gespannte Seil in der Spur, und Luis, der den Ruck gespürt und Gegenruder gegeben hatte, verlor als echter Gentleman nicht einmal ein Wort darüber. Ich stand also auf dem Gipfel, und als ich unter meiner Taucherglocke von Angst und Benommenheit heraus kroch, entschlüsselte ich das unangenehme Röhren, das mir bisher bloß als zusätzliches Mühsal auf den Kopf gedrückt hatte, als Motorengeräusch der Flex, mit der Peter Praxmarer gerade das alte Gipfelkreuz abschnitt. Verdammt. Wo sollte ich mich jetzt anhalten? Und – schlimmer noch – wohin würde das Gipfelkreuz fallen, das heute, 77 Jahre, nachdem es hier aufgestellt worden war, in Pension geschickt wurde? Ich passte auf jeden Schritt genau auf. Ich passte auf meine Kamera genau auf. Ich passte auf jedes Geräusch genau auf, und trotzdem war ich überrascht, als es plötzlich einen Tumult auf dem Gipfel gab, als sich das Kreuz schneller als erwartet geschlagen gab, kraftlos zur Seite kippte und sich anschickte, in der Tiefe zu verschwinden. Geschrei. Gewimmel. Aaaaachtung. Ein einziges Drahtseil der Vertäuung hielt das Kreuz davon ab, abzurutschen. Es lag am äußersten Rand des Gipfelbalkons und wirkte plötzlich klein und schlaff. Als sich die Aufregung gelegt hatte, verabschiedete ich mich persönlich vom gefällten Kreuz. Aus der Nähe betrachtet sah es alt und geschunden aus. Unzählige Blitze hatten die Spitze zum Schmelzen gebracht. Wind, Schnee, Sturm hatten an den Extremitäten des Kreuzes gezerrt, Teilchen abgebrochen, Rost angesetzt. Wenn ein Stück Metall müde aussehen kann, dann sah dieses Kreuz müde aus. „Okay“, murmelte ich. „Du warst ein guter Freund.“

Luis telefonierte mit Vent. In Vent ein strahlender Herbsttag. Nur die Bergspitzen im Nebel. Es war zehn Uhr. Noch war die Sicht zu schlecht für den Hubschrauber. Der Hubschrauber würde zweimal fliegen müssen. Einmal mit dem schweren Werkzeug, einmal mit dem Kreuz selbst. Wie lange konnten wir warten? Der Nebel zog. Wurde es heller? Nein. Wir tranken Tee. Es war kühl. Irgendwann merkte ich, dass mir die Kälte mehr zu schaffen machte als die Angst – das war ein kleiner Triumph. Außer, dass mir saukalt war. Dann ging es plötzlich schnell. Wie eine große Luftblase unter Wasser tauchte ein Nebelloch auf, und auf einmal war die Welt wieder sichtbar. Diese ungeheuer schönen Berge. Der Himmel, und, tja, der Abgrund. Hektische Telefonate mit der Helikopterbasis. „Gib Gas“, sagte Luis. Als der Hubschrauber aus dem Nebel schoss, warfen sich die meisten Männer auf den Boden, um von den Turbulenzen des Rotors nicht weggeweht zu werden. Ich lag auf dem Bauch und hielt mich an einem Felsen fest, während einer der Fluglotsen mit einem Sprung aus zwei Metern Höhe auf den Gipfel absprang. Er schlitterte ein bisschen, dann stand er da – und lachte. „Geht doch“, sagte sein Lachen. „Oder?“ Fast gleichzeitig zog es wieder zu. Wieder begann das Warten. Es war klar, dass die Aktion heute beendet werden musste, alles andere wäre viel zu kompliziert geworden. Weiße Wand. Weißes Rauschen. Wenn Angst und Langeweile sich verbünden, dann kommt dieses Gefühl heraus. Es war eins. Kleine Sichtfenster, ein paar Sekunden lang. Das war zu wenig. Zwei. Plötzlich wieder das volle Panorama, Postkartenwetter in Pillenform. In Umhausen startete der Helikopter. Die

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reportage

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S au th oer e h c ä Sp l f fS ² V rkau m 0 0 7 it m ih SkiVerlenzen

ga erial im DaS mat nloS tauSchen t koSte Skigebie

Ein Tag auf dem Gipfel geht zu Ende. Die Mannschaft verharrt noch einen Augenblick vor dem neuen Kreuz. Dann wird abgestiegen

Wolken zogen. Zehn Männer wünschten sie dorthin, wo der Pfeffer wächst. Aber sie hüllten den Gipfel ein, bevor der Helikopter da war. Als wir ihn kommen hörten, nur noch weißes Rauschen. Der Hubschrauber drehte Runden im Nebel und wartete, dass es endlich aufreißt. Im Schlepptau musste er das Kreuz haben. Wenn man es nur sehen könnte. Wenn man den Vogel nur sehen könnte. Es ging dann ganz schnell. Der Nebel lichtete sich, der Hubschrauber stand über dem Gipfel. Die Männer formierten sich wie ein Tier mit zwanzig Armen, um das Kreuz entgegenzunehmen, und sie packten das schwere, schwebende Teil, und der Hubschrauber knatterte, und die Maschinen jaulten, um lange Schrauben ins Metall zu jagen, und ein Mann schrie, weil seine Hand zwischen hundert Kilo Stahl und das Fundament gekommen war, er kippte zur Seite, aber niemand küm-

merte sich um ihn, denn in diesem Augenblick begann das neue Kreuz zu sehen, es wankte noch, es brauchte die Kraft der vielen Arme, um nicht abzustürzen, das Jaulen der Maschinen, und dann, plötzlich, von einer Sekunde auf die andere, war es wieder ruhig, der Hubschrauber hob das alte Kreuz vom Gipfel und verschwand im Nebel, und ich konnte hören, wie Simon, dessen Hand eine hässliche Rissquetschwunde zierte, durch die Zähne einatmete, während die Kameraden die Wunde versorgten. Das neue Kreuz. Als sich die Gruppe nach acht Stunden auf dem Gipfel für den Abstieg bereit machte, schaute es mich an, als wäre es schon immer da gewesen. „Bleibst auch noch ein bisschen?“, fragte mich das Kreuz. „Nein“, sagte ich. „Ich gehe lieber.“

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chronik

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cartoon

Aus dem Bunten Bauernkalender der „Wildspitze“ Von Markus Roost

aquadome

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kultur

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KULTUR

Das Pizzinini-Haus in Umhausen als Scharnier zur Welt Seite 40. Sprechen Sie Ötztalerisch? Ein kleines Lexikon Seite 42. Wie lebte es sich damals? Nachrichten aus dem Gedächtnisspeicher Seite 44. Das Flüstern des Vernagtferner am Telefon Seite 46. Die Gletschertour von Erzherzog Johann 1846 Seite 48.

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schlagwort

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Es Weachtle

Sprache. Seit neuestem ist der Ötztalerische Dialekt Kulturerbe der UNESCO. Haben wir das richtig verstanden? Von Horst Christoph

„Die Ötztaler Mundart entspricht dem Verständnis von immateriellem Kulturerbe“ Die Österreichische UNESCO-Kommission hat in ihrer Sitzung am 29. September 2010 beschlossen, die Ötztaler Mundartin das Nationale Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes in Österreich aufzunehmen.

Füeter für Futter war zeitweise im Südbairischen, zu dem das Ötztalerische gezählt wird, gang und gäbe. Belege dazu finden sich vom Zillertal bis Osttirol. Auch das ui für eu oder au in Fuir (Feuer),  ruien (reuen), kuien (kauen) oder schtuibm (stauben) ist eine historisch belegte  Lautform.  Der Grund, warum sich solche Altertümlichkeiten erhalten haben, liegt in der Abgeschiedenheit der Nebentäler, die nicht der Sprachentwicklung der sogenannten Verkehrstäler, etwa des Inntals ausgesetzt waren. So hat sich im Ötztal ein bemerkenswerter, der Mundart Farbe und Klang verleihender Reichtum an Nebensilben erhalten, die im Inntal längst verschwunden sind. Statt kheit (gehabt) sagen die Ötztaler gehoobm, statt kaft (gekauft) heißt es gekchööfet, statt Herbscht (Herbst) Herwescht. Ein schönes Beispiel, wie der alte Klangreichtum auch in neueren Wörtern weiterlebt, ist das Wort „Nochtlompelaslompa“ für Nachttischlampe, das sich in einem Gedicht des Ötztaler Mundartdichters Hans Haid findet.  Um sich mit Menschen von außen zu verständigen, waren die Ötztaler immer schon gezwungen, sich einer allgemein verständlichen Umgangssprache zu bedienen. Sie lebten quasi zweiprachig. Dass sich die beiden Sprachschichten nicht vermischten, lag daran, dass Mundartfremde im Tal

Giggelar

nie den gesellschaftlichern Mehrwert erlangten, um sprachlich als Vorbild zu dienen. Der heimische Dialekt blieb unangefochten die führende Sprachschicht der Einheimischen. Gerade in der Zeit der rasanten wirtschaftlichen Veränderungen der letzten fünfzig Jahren wurde er zur Bestätigung dafür, dass man die Entwicklungen im Griff hatte, dass man sich eigenes bewahrte. Die Mundart bildet eine Art Geheimsprache, in die sich der Ötztaler zurückziehen kann, wenn er abseits vom Touristenvolk, von Radio und Fernsehen unter seinesgleichen bleiben will. Pfarrer und Lehrer, wenn sie mitreden wollten, mussten dieses Idiom erlernen.  Keine Sprache bleibt stehen. Auch die Ötztaler Mundart nicht. Sie vergisst  Wörter, die nicht mehr gebraucht werden und nimmt mit neuen Techniken auch neue Ausdrücke auf.  Diese passt sie aber dann gerne an das heimische Lautbild an. Als im 20. Jahrhundert die Zentrifuge als Gerät zur Milchverarbeitung Einzug hielt, nannte man sie einfach Fuga.  Eine Schatztruhe der alten Dialektwelt bilden Redewendungen, Sprichwörter und Kinderreime. Oder einfach Nonsense-Verse, wie jener vom stumpfen Besen, der im Himmel Zeitung gelesen habe: Ischt amol geweesn a stumpatar Peesn, hot in Himml dööbm Zeitige geleesn.

Grantn

Kleines Ötztaler Glossar

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Wenn es Weachtle wenn nit war, war der Kchüedreckch Puttr.“ Diesen Satz, der eine sprichwörtliche Binsenweisheit verkündet, versteht außerhalb des Ötztals auf Anhieb kaum jemand, nicht einmal ein Tiroler aus dem nahen Innsbruck. Die Übersetzung ins Hochdeutsche – „Wenn das Wörtlein wenn nicht wär`, wär` der Kuhdreck Butter“ – sagt aber viel darüber aus, wie sich die Ötztaler sprachlich mitteilten. Neben der drastischen, aus der Bildwelt der Landwirtschaft herrührenden Metaphorik fällt da das Lautliche auf: Die Kuh ist im Ötztal die Kchüe, so wie der Bub der Büe ist, die Hose die Hösa und die Socken die Sökchen. (Aber Vorsicht, die Socken bezeichnen keine Socken sondern Patschen, also Hausschuhe. Socken werden hier Schtumpfsökchn genannt, wörtlich übersetzt Strumpfsocken).  Nichts an diesen Absonderlichkeiten haben die Ötztaler aus Jux und Tollerei erfunden.. Jede Mundart folgt Gesetzen, die sie seit vielen Jahrhunderten mit ihren Nachbarn verbinden oder von ihnen trennen. Das nur mehr von sehr alten Ötztalern verwendete Wort „tenk“ für links, das auch im Wort „Tenkewatsch“ für Linkshänder oder Tolpatsch auftaucht, kann man ganz selbstverständlich in tirolischen „Sprachinseln“ im Friaul hören. Und das als „mittelgaumig“ bezeichnete Ö und Ü, wie in Kchöern für Korn oder

Oaha, oohn herunter, hinunter Olkachen Johannisbeeren Paija Biene Paisswurm Giftschlange Prüederuntschweschter Geschwister deniidn unten Drischiiwl Türschwelle

Eewesa Hausgang Eebmwaich Neujahr inkchentn einheizen Ergetokch Dienstag Foom Schaum Flanderle Schmetterling Gampe Almhütte gaawacht schlau, gerissen

Paija

greggat klein, schmächtig Giggelar Hahn Gronsar Hörnerschlitten Grantn Preiselbeeren Grüemat Heu der zweiten Mahd Haa Heu der ersten Mahd Hoor Flachs

himelitzn wetterleuchten Kchacha Kirsche Kchnöschpm    Holzschuh, grober Schuh Langes Frühjahr lauter dünnflüssig Marende Jause mutlat mürrisch, unfreundlich

Kchacha

Naale Großmutter Nene Großvater Paal lange Holzschaufel zum Befeuern des Stubenofens Pööfl (minderwertiges) Heu der dritten Mahd Radlpeega einräderiger flacher Schubkarren rearn, plearn weinen

Ruuselen Masern schauern hageln Schelva Schale (von Obst oder Gemüse) Schelvelar Pellkartoffel schnelln mit der Peitsche knallen schöldern sich herumtreiben, strawanzen Schuutza Schaukel schpaisndie Kommunion einnehmen schprentzn kurz aber heftig regnen Schtanker Heuschober schtirklen langsam gehen, trödeln schtuibm stauben Schtuibm Stuibenfall bei Umhausen (dessen „staubende“ Gischt weithin sichtbar ist) suianen ihnen Taija Almhütte a tie einige Tatte Vater tenk link, links Teete Pate Tööta Patin feacht voriges Jahr Waiwats Frau Waihepfintstogk Gründonnerstag

Horst Christoph geboren 1939 in Innsbruck, besuchte in Umhausen die Volksschule, schrieb seine Doktorarbeit über die Mundart von Sölden und machte in Wien Karriere als Kulturjournalist („Die Presse“, „profil“).

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kultur

wildspitze 2010

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Das Loft ist zuhause

Architektur. Ein buntes Haus in Umhausen ist das Brennglas für die internationale Karriere der Architektin Regina Pizzinini. Ötztal-Wien-Luxemburg-Los Angeles – und wie alles mit allem zusammenhängt. Von Horst Christoph Ateliers: eines in LA, eines in der Stadt Luxemburg und eines in Wien. Besonders in Luxemburg gelang den beiden eine Reihe von gleich intimen wie ausgefallenen Behausungen, die der strengen Architektur der Stadt fröhliche Farbtupfer entgegensetzten. Dabei konnten sich die Architekten stets darauf verlassen, dass das, was ihnen gefiel, die Bedürfnisse anderer befriedigte. Das schrie geradezu nach der Gegenprobe. Würde das, was anderen gefiel, auch die eigenen Bedürfnisse befriedigen. Die Nagelprobe sollte dort stattfinden, wo Regina Pizzininis Wurzeln lagen, in Niederthai, das für die Weltläufige inzwischen zum Ruhepol und Kreativtank avanciert war. Hier sollten Erinnerungen spielerisch ernst genommen werden. Die Tradition des Ötztaler Bauernhofs mit seinem gemauerten, verputzten Sockel und dem Holz darüber sollte aufgenommen, aber gehörig durcheinandergewirbelt werden. Die Farben der Landschaft, das Rot der Alpenrosen und das Gelb der Himmelschlüssel, sollten außen wie innen leuchten. Auf- und Abgänge, Räume im Raum und nicht zuletzt Aussichtsfenster wie gerahmte Landschaftsbilder sollten das Haus zur Bühne für ihre Bewohner machen. Und nicht zuletzt sollte der einheimische Baumeister den Bau nach einem Modell selbständig ausführen können. Fast fünfzehn Jahre leben jetzt die Architekten und Bauherren, meist an Wochenenden, in ihrem Ötztaler „Loft“, und immer noch ist Regina stolz auf dessen Verrücktheit. Immerhin heißt einer der Hausberge von Niederthai Narrenkogel. Und nächstes Jahr soll das Haus, an das sich die Dorfbevölkerung inzwischen langsam gewöhnt hat, erweitert werden um ein nicht minder phantastisch-verrücktes Bauwerk. Einen Hexenturm für die inzwischen neunjährige Tochter von Regina Pizzinini und Leon Luxemburg.

Bunter Remix von Tradition Das Haus in Niederthai folgt der Tradition des Ötztaler Bauernhofs mit seinem gemauerten, verputzten Sockel und dem Holz darüber. Diese Tradition wurde aufgenommen, durch die Farben der Landschaft ergänzt und neu definiert.

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digkeit und Weltoffenheit entgegenhielt. Im Vorbeigehen könnte man es glatt Ihre Diplomarbeit bei Lackner brachte die übersehen. Wären da nicht die kräftigen trainierte Bergwanderin mit einem besondeFarben, die durch die Nadelbäume blitzen ren Stück hochalpiner Bauaufgabe in wie die Schwammerln im Bergwald: ein Gelb Verbindung. Sie hatte eine Schutzhütte zu wie ein Nest von Pfifferlingen, ein Rot, als ob entwerfen und tat dies auf eine unkonventiosich da ein Fliegenpilz frech macht. Auf nell kühne Weise, die alles was heute an 1.500 m Seehöhe steht dieses Haus versteckt Bauen im Hochgebirge en vogue ist, um am Rande des 300-Einwohner-Dorfes viele Jahre vorwegnahm. Niederthai im mittleren Ötztal, hoch über Die zweite wichtige Begegnung war die der Talsohle, weit abseits der Bundesstraße. mit ihrem Kommilitonen und künftigen Und doch ist der 90-Quadratmeter-Mini-Bau Berufs- und Lebenspartner einer kleinen Community von Leon Glodt, der sich nach Architekturkennern auf der seinem Herkunftsland als ganzen Welt bekannt. Er findet Architekt den Namen Luxemsich in Abbildungen und burg gab.Gemeinsam gingen Beschreibungen internationaler beide nach Amerika, um an der Architektur-Publikationen, und University of California in Los ist in der Anthologie „Mountain Angeles ihr Masters Degree zu Interiors“ des renommiertenTaabsolvieren. Ihr Mentor wurde schen-Verlags mit einem kein Geringerer als Charles eigenen Kapitel vertreten Regina Pizzinini Seit 15 Jahren lebt die Moore, der mit seinen oft Geplant und realisiert hat Architektin mit ihrem Partner verspielten, nicht selten dieses ungewöhnliche Haus in ihrem Ötztaler Loft. Noch phantastischen, immer aber an eine Einheimische. Regina immer ist sie stolz auf dessen den Bedürfnissen der MenPizzinini stammt aus Niederthai. Verrücktheit. schen orientierten Bauten dem Ihr Vater war ein LandschaftsFunktionalismus der Moderne Absagen maler und Kirchenrestaurator, ihre Mutter erteilte und bald als Entdecker einer Bäuerin auf dem ererbten eigenen Hof, eine postmodernen Architektur gefeiert wurde. selbstbewusste Frau, „emanzipiert“, wie ihre In Moores Atelier konnten Pizzinini und Tochter stolz betont, „lang bevor es diesen Luxemburg viel beachtete eigene Projekte Begriff gegeben hat“. Regina, 1959 geboren, realisieren, voran ein Gästehaus für den fand als Teenager die Enge und AbgeschieRegisseur erfolgreicher Hollywood-Horrorfildenheit ihres Heimatweilers bedrückend. me Roger Corman. Die beiden Europäer Wenn sie am Wochenende von der Internatbegeisterten sich an der von Traditionen schule heimkam, musste sie den Weg vom unbeschwerten Leichtigkeit kalifornischen Talort Umhausen nach Niederthai zu Fuß in Bauens, als dessen oberstes Prinzip ihnen die Angriff nehmen, hoffend, dass sie ein später Fähigkeit erschien, Räume zu schaffen, die Autofahrer unterwegs aufklauben würde. ihren Bewohnern Freude und Lebenslust Beim Architekturstudium in Innsbruck bescherten. wurden zwei Begegnungen für die junge Die Freiheit und Phantasie der amerikaniÖtztalerin prägend. Zunächst war das ihr schen Westcoast wurde allerdings auch zur Lehrer, der Clemens-Holzmeister-Schüler Herausforderung, Ähnliches in Europa zu Josef Lackner, der dem konservativ-kommerversuchen. Auf einmal hatte das Duo drei ziellen Tiroler Architekturdenken Widerstän-

Pizzininis Utopie einer Schutzhütte Dieses Projekt eines modernen Bauwerks in hochalpiner Umgebung entstand in den achtziger Jahren als Diplomarbeit bei Prof. Josef Lackner. Es nahm das zeitgemäße Bauen in den Bergen, wie es derzeit en vogue ist, um viele Jahre vorweg.

Pizzinini begeistert sich an der Tradition des kalifornischen Bauens – Räume zu schaffen, die ihren Bewohnern Freude und Lebenslust bescheren.

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was sagt der gletscher?

Aktionskunst. Der Münchner Künstler und Musiker Kalle Laar installierte auf dem Vernagtferner ein Mikrophon und eine Telefonanlage. Seither kann man den Gletscher anrufen und ihm beim Abfließen zuhören. Ein Gespräch Von Christian Seiler an. Das haben wir dann möglich gemacht. Was ist die Idee dahinter? Aufklärung? Information? Weder noch. Ich bin kein Künstler, der mit erhobenem Zeigefinger herumläuft, und für die Information sind die guten Journalisten zuständig. Ich fand das Thema „Klimaveränderung“ spannend und wollte einen emotionalen Zugang dazu herstellen. Wie gingen Sie konkret vor? Ich kontaktierte die Kommission für Glaziologie in München. Die betreibt auf dem Vernagtferner seit dreißig Jahren eine Messstation. Ich erzählte den Gletscherforschern von meiner Idee, und sie stiegen darauf ein. Sofort? Nein, zwei Tage Bedenkzeit nahmen sie sich schon. Aber seither stehen sie voll hinter

Laar am Ausfluss des Vernagtferner Einer von fünf Gletschern weltweit, dessen Massebilanz genau gemessen werden kann

dem Projekt. Warum machten sie mit? Weil sie seit zwanzig Jahren versucht hatten, der Welt von der Gletscherschmelze zu erzählen. Aber die Welt hatte nicht zugehört, und mein Projekt war eine neue, unübliche Form der Kommunikation. Ich bin sehr froh über die Kooperation. Sie ist für mich das Paradebeispiel einer interdisziplinären Zusammenarbeit. Warum am Vernagtferner? Weil dieser Gletscher etwas ganz Besonderes ist. Er fließt in einem einzigen Bach aus. Das bedeutet, dass man den Abfluss genau messen und eine Massebilanz erstellen kann. Das ist nur bei fünf Gletschern auf der Welt so präzis möglich. Wie funktioniert das Projekt technisch? Wir haben neben dem Abfluss ein Mikrophon montiert, das von einem Solarpaneel mit Strom versorgt wird. Das Mikrophon überträgt die Geräusche zu einem Sender, der nur über die Reflexionen von Funkwellen mit einem Mobilfunkmast in Italien verbunden ist. Dort treten die Geräusche ins Mobilfunknetz ein. Eine Verteilerstation in München macht möglich, dass die Nummer nie besetzt ist – deshalb hat der Vernagtferner auch eine deutsche Nummer. Wie erfährt das Publikum von der Nummer? Ich habe das Projekt oft ausgestellt. Bei jeder Ausstellung gibt es Visitenkarten, auf denen „call me“ steht – und die Rufnummer. Solche Visitenkarten sah ich zum ersten Mal in Japan in Telefonzellen liegen, wo Prostituierte für sich warben. Diese Ästhetik übernahm ich dann. Was kann diese Visitenkarte? Sie besitzt eine Aura. Man steckt sie ein, vergisst sie, findet sie irgendwann wieder. Dann ruft man an – und imaginiert sich an einen Platz, der sehnsuchtsvoll weit weg ist. Und beginnt nachzudenken, was dieses Rauschen im Telefon bedeutet.

Sie wollen wissen, was der Vernagtferner gerade tut? Rufen Sie ihn an: +49 89 3791 4058

Kalle Laar auf dem Vernagtferner Das Geräusch des Gletschers konservieren, um Menschen damit zu berühren

zur person Kalle Laar ist Musiker, Produzent und Sammler von Klängen. Ein Überblick über seine zahlreichen Kunstprojekte findet sich auf www.soundmuseum.com

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Was macht ein Gletscher für Geräusche? Im Sommer rauscht er, im Winter gurgelt er. Ganz still ist er nie. Beruhigende Geräusche also. Ganz im Gegenteil, sehr beunruhigende Geräusche. Denn dass es selbst im Winter noch gurgelt, im Sommer aber richtig rauscht, hat ja einen handfesten Grund: der Gletscher fließt ab. Ein Resultat des Klimawandels. Sie haben neben dem Vernagtferner, einem Gletscher auf der Südseite des Weißkamms in den Ötztaler Alpen, ein Mikrophon installiert, das die Abflussgeräusche des Gletschers aufzeichnet. Mit dem Mikrophon haben Sie eine Telefonanlage verbunden, so dass jeder, der Lust hat, unter einer Münchner Telefonnummer den Gletscher anrufen kann. Was hört er da? Im Sommer Rauschen. Im Winter Gurgeln. Was der Gletscher gerade macht, während er abfließt. Wie kam es zu dieser Kunstaktion? Es war Teil einer Projektreihe namens „Overtures“, bei der es um natürliche Ressourcen geht. Die Idee war, dass sich Künstler, Kuratoren, Technologen, Wissenschaftler, Wirtschafts- und Medienexperten zusammentun, um ihre Kompetenzen zusammenzuführen. Die erste Expedition, an der ich teilnahm, führte uns nach Island. Dort trafen wir uns mit Energiebehörden und Umweltschützern, besichtigten Kraftwerke und führten zahlreiche Gespräche. Wie kamen Sie von Island in die Alpen? Über den Umweg von Venedig. Für die Biennale in Venedig hatte ich die Aktion am Vernagtferner entwickelt. Wie kommt man auf die Idee, einen Gletscher anrufen zu wollen? Wir saßen zusammen und redeten über die schrumpfenden Gletscher, diskutierten, assoziierten. Ein Wort gab das andere, und irgendwann sagte ich: Rufen wir ihn doch

DAS PROJEKT Das Projekt callingtheglacier.com entstand in Zusammenarbeit mit der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik in Wien www.zamg.ac.at, mit der Kommission für Glaziologie, München www.glaziologie.de, dem Kunstprojekt artcircolo www.artcircolo.de und der Plattform Overtures

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Erzherzog Johanns Reise durch das Ötztal 1846

MEHR AUSWAHL und die PERFEKTE BERATUNG

INTERFOTO/picturedesk.com

Wir stiegen wieder dem Eisdamme nach und dann mehr in das Innere des Thales, sahen hinab, dann den alten Weg zu, von der Plattei in das Rofener Thal schnell zurück nach Rofen.

Wenig bekannt ist diese Eiswelt, am wenigsten jene nach den Quellen des Kaunser und Pitzthales, gegen das Oetzthal und Langtaufers, da hat es ausdehnte Eisflächen, welche ncoh kein menschlicher Fuß je betreten hat. Auch die Ferner hier, namentlich der im hinteren Eis war im Vorschieben und hatte die Schlcuht, die vom Hochjoch Ferner kommt, bedeckt; auch da bildete sich eine Stauchung und ein Lacke. Welcher Anblick dieser Welt! Obleich sehr müde konnte ich mich kaum losreißen, um so mehr, als die Luft, welche über das Joch wehte, den Himmel aufzuheitern anfieng und die Eisspitzen nach und ncach sich zeigten. Den Eisdamm schätzte ich auf eine Breite von 1500 Schritten; die Höhe konnte ich nicht schätzen. Soviel zeigten die spuren an der Zwerchwand, dass der Eisdamm noch nicht die Höhe und Ausdehnung erreicht hatte früherer Zeit. Das Wasser, was uns gestern begegnet hatte, war die Folge eines Bruches gewesen. Die Lacke am hinteren Eis und der Eisdamm an der Zwerchwand hatten durch 38 Stunden kein Wasser durchgelassen, daher einen see geschwellt, welcher plötzlich eingebrochen war. Von der Plattei sah ich den rückwärtigen Seeraum leer und den Bach unter dem Eisdamme ungehindert strömen. Einige wollten bemerkt haben, dass der zuerst in Bewegung gekommene Rofenerferner stehe – allein im allgemeinen war der Druck das Schieben, obgleich nicht so sichtbar, noch nicht gewichen. Der Abend näherte sich und mahnte uns zum rückweg. Wir stiegen wieder dem Eisdamme nach und dann mehr in das Innere des Thales, sahen hinab, dann den alten Weg zu, von der Plattei in das Rofener Thal schnell zurück nach Rofen. Dort bei den zwei Höfen hielt ich stille und besah dieselben; diese zwei Höfe, an welche sich die Erinnerung der Zeit Freidrichs mit der leeren Tasche knüpft, der hier einige Zeit mit seinem Freunde Mülliann verborgen war. Auf diesen Höfen kleben vorrechte und er eine Besitzer Henisch brachte eine Urkunde. Allein sie spricht nichts aus, was auf die zeit Friedrichs, sondern ist von der Maultascher und Brandenburgers Zeit. Weiters hebt er einige Stücke einer Rüstung auf. In das zweite tiefer gelegene Haus, das Besitztum meines Führers Nikodemus Klotz, ging ich auch; ich bestellte ihn für den nächsten Tag. Nun gieng es schnell hinaus nach Vent, wo ich acht Uhr anlangte und ins Pfarrhaus zurückkehrte. Der Curat, ein Innsbrucker, ein ordentlciher, freundlicher Geistlicher hatte mich auf den Ferner begleitet. Ich erhielt ein gutes Zimmer und Bett. Zwillingsschwestern von ihm, gute freundliche Leute, warteten auf uns. Ein gutes, reichliches Essen – aber sonderbar! Brennhuhn mit Zwetschken, ein in der Pfanne gebratenes Murmelthier, sehr gut, wenn auch etwas fett, ein Schnitzel mit Zucker und Mandeln, ein Melchermus, dann ein Gebäck aus Milch und Zimmt. Die Leute gaben, was sie hatten und freundlich, das ist genug.

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Klettern mit den Bacher-Sisters Seite 40. Auf dem Mountain-Bike mit Simon Scheiber Seite 42. Wallfahrtswanderung nach Gries Seite 44. Der Ötztaler. Ein Radmarathon in Zahlen und Listen Seite 46. Breatlen: die Geschichte des Ötztaler Urbrots Seite 48

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Barbara Bacher, Sabine Bacher Die Schwestern aus Lengenfeld klettern aus Leidenschaft, aber sie haben das Klettern nicht zum Beruf gemacht. Barbara arbeitet tagsüber im elterlichen Betrieb, wobei sie die Büroarbeit strikt ablehnt. Sie zieht den Aussendienst vor. Wenn Sie also bei der Fahrt durchs Ötztal eine junge Frau beim Dachdekcen beobachten, ist die Chance groß, dass es sich um eine Weltklasse-Kleterrerin handelt. Erst nach absolviertem Tagwerk beginnt das Training in der Kletterhalle. Sabine präferiert im Gegensatz zu Barbara, die Lead klettert, das Bouldern. Gemeinsam gehen die beiden Schwestern jedoch regelmäßig auf den Fels. Rechts sehen Sie ihre Lieblingsrouten

In der Wand Sonnenschein

Klettern. Die Bacher-Sisters haben auf den Felsen und Wänden der ganzen Welt ihr Talent ausprobiert. Hier zeigen sie, wo sie besonders gern einsteigen: gleich vor der Haustür.

Die Bacher-Sisters in Action. Erholung vom Klettern an der Kletterwand immer am Fels

Barbara und Sabine, Babsy und Sabby, die Bacher-Sisters. Das Klettern ist den beiden Schwestern aus Lengenfeld Sinn und Leidenschaft, seit sie als Kinder in die Gruppe des Kletterpioniers Reini Schiestl gerieten und von ihm das ABC von Fels und Kletterwand vermittelt bekamen Man ist versucht, das Talent der beiden Schwestern schon in der Profession des Vaters zu suchen, der eine Dachdeckerei betreibt – den Platz am Dach probierten die Sisters gerne aus, und wer die Parallelität zum Klettern sehen möchte, ist dazu herzlich eingeladen. Barbara und Sabine kletterten sich direkt in den Weltcup, sorgten dort für ausgezeichnete Ergebnisse – und für gute Laune. Die Bacher-Sisters ¬– Barbara belegte bei der Heim-EM in Imst den 8. Platz, Sabine kämpft nach einer Schulterverletzung um den Anschluss an die Weltspitze – gelten als die sonnigsten Gemüter des Weltcupzirkus, entsprechend gern sind sie an den Wettkampforten gesehen. Nach dem frühen Unfalltod von Reini Schiestl übernahmen die Schwestern gemeinsam mit Heiko Wilhelm, der ebenfalls bei Reini in die Lehre gegangen war und in der Zwischenzeit zum Coach der Österreichischen Herren-Nationalmannschaft aufgestiegen ist, Reinis Funktion – dass Heiko mit Babsi Bacher liiert ist, festigt diese Zusammenarbeit zusätzlich. In der Halle der Dachdeckerei wurde ein Boulderraum mit allen Feinheiten eingerichtet, wo die Talente trainieren und an ihren Fertigkeiten feilen. Wenn das Wetter ansprechend ist und keine großen Touren geplant sind, dann brechen die Sisters jedoch in die Nähe auf, wo sie jeden Felsen kennen und sich im täglich veränderten Spiel von Fels und Natur neue Herausforderungen suchen.

„Ich klettere am liebsten in Niederthai, besuche aber die anderen Gebiete im Tal immer wieder gerne. Am liebsten im Herbst wenn’s im Schatten schon kühl, die Luft ist klar ist und in der Sonne nicht zu heiß - also perfekt zum Moven!“ Barbara Bacher

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Unsere Lieblingsrouten Klettern für Menschen mit Spaß an der Herausforderung 1. WeiSSer Riese in Nösslach (Lengenfeld) 2. Rien ne va plus (Niederthai) 3. Halloween in Oberried (Lengenfeld) 4. Le Miracle (Niederthai) 5. EinbanhstraSSe (Tumpen)

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Im Vertrauen

Die schönsten Routen, die ein einheimischer Spitzensportler empfehlen kann.

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TOUR 1: Langtalereckhütte Eine der Toptouren der Region führt tief hinein in die Ötztaler Gletscherwelt, hinauf zur Langtalereckhütte (Karlsruher Hütte). Bereits der Startort Obergurgl befindet sich auf 1910 Metern Meereshöhe. Fahrtechnisch ist der rund 7 Kilometer lange Schotterweg nicht übermäßig anspruchsvoll. Jedoch fordern die permanent hohen Steigungsprozente ihren Tribut. Die Rampe zieht sich zunächst zur Schönwieshütte hinauf (2270 m, Einkehrmöglichkeit). Man umrundet den Schönwieskopf und verliert dabei auf einer kurzen Abfahrt 50 Höhenmeter. In mehreren Stufen klettert der Weg dann weiter zum Ziel an der Langtalereckhütte, und damit zur wohlverdienten Brotzeit. Hier endete einst die Zunge des Gurgler Ferners. Heute hat sich das ewige Eis jedoch in Richtung Hauptkamm zurückgezogen. Der Blick zu den gleißenden Schneefeldern an Kleinleitenspitze und Schalfkogel beeindruckt. Die Abfahrt führt auf dem Anfahrtsweg zurück nach Obergurgl

VENT

1900 m

Ab in die Botanik

OBERGURGL 1930 m

HOCHGURGL 2154 m

Radfahren. Der junge Mountain-Biker Simon Scheiber gibt dem neuen Weltcup-Team Felt-Ötztal-X-Bionic ein einheimisches Gesicht. Das Konzept des Teams: Spitzen-und Breitensport verheiraten. Simon fängt damit an: Hier seine liebsten Touren

ZWIESELSTEIN 1427 m

SÖLDEN 1377 m

Die Straße und der Blick nach links und rechts. Wenn die Athleten des Ötztaler Radmarathons (Seite 000) auf der B 186 Sölden passieren, dann denken sie an die Steigung auf das Kühtai, und irgendwo im Hinterkopf schwingt auch der Respekt vor dem Timmelsjoch mit, das auch irgendwann erledigt werden muss. Wenn Simon Scheiber auf der B 186 radelt, denkt er bloß, dass es jetzt gut ist. Runter von der Straße. Rauf auf den Berg. Mountain-Biking ist eine abenteuerliche Sportart. Gewiss, auch Mountain-Biker brauchen, wie man so sagt, Schmalz in den Muskeln. Aber ihre Sportart ist rauer, abenteuerlicher. Die Routen führen weg von der Straße, weg von den Tankstellen, weg von den Werkstätten. Wenn der Athlet einmal unterwegs ist, taucht er in einen Korridor aus Anstrengung und Wahrnehmung ein, in eine Gegenwelt zum bloßen Vorwärtskommen. Mountain-Biking ist eine Sportart, welche die Herausforderungen des Sports mit den Gegebenheiten der Natur verheiratet. Davon können die Athleten ein Lied singen. Trainingstage sind Tage am Puls der Natur, und die Natur des Trainings öffnet den Geist für die Vorzüge beider Welten. Simon Scheiber, 22, ist gelernter Konditor, doch das ist ihm nicht anzusehen. Er begann bereits als 14jähriger, wettkampfmäßig Mountain-Bike zu fahren,

heuerte beim URC Ötztal an, gab ein Zwischenspiel bei den Sunshine Racers Nals jenseits des Timmelsjochs in Südtirol und fährt seit dieser Saison für das neu gegründete Team Felt-Ötztal-X-Bionic. Dieses Team hat ehrgeizige Pläne. Es möchte einerseits seine Spitzenathleten fit machen für Großereignisse – leuchtend stehen die Olympischen Spiele 2012 in London am Horizont –, andererseits aber auch für eine Verankerung des Teams im Breitensport sorgen. Das Weltcup-Team wird also auch durch eine Mountain-Bike, eine Simon Scheiber beim Training: die Reise zu Olympia beginnt zu Hause.

Straßen- und eine TriathlonMannschaft ergänzt, und als Ziel der Bemühungen steht das Ideal des größten Jedermann-Teams der Welt. Soll heißen: wer immer das Bedürfnis hat, in einem Team Radsport zu betreiben, kann sich um einen Platz im Team Felt-Ötztal-X-Bionic bewerben, am besten auf dessen Website (s.u.). Das Team bemüht sich dann um die optimale Vernetzung von Spitzen- und Hobbyfahrern in aller Welt, um einen optimalen Transfer von Wissen, Trainingstipps und –routen, um eine Diskussionskultur zu den Themen Material,

Leistungsplanung, Erfolgskultur. Simon Scheiber spielt in diesen Überlegungen eine große Rolle. Als Juniorenstaatsmeister gab er mit Spitzenplatzierungen bei Europa- und Weltmeisterschaften bereits eine Anzahlung auf das, was er vor hat, bei den Konkurrenzen der U-23 legte er weitere Talentproben ab, fing sich aber mehrere Verletzungen ein – Mittelhandbruch, Bänderriss im Sprunggelenk -, die ihn etwas zurückwarfen. Aber Simons Team denkt sowieso perspektivisch, setzt auf junge Athleten, hat langfristige Pläne. Simon tummelt sich inzwischen auf seinem eigenen Playground. Er lebt in Sölden, und seine Region wird auch nach Kräften durchpflügt – die besten Trainingstipps in der Spalte ganz rechts. Was ein Mountain-Biker tut, wenn er nicht auf dem Rad sitzt? „Skifahren“, sagt Simon Scheiber. Schließlich muss er dem älteren Bruder Florian, der im Skiweltcup engagiert ist, zeigen, dass er noch mitkommt. Was sonst? „Bergsteigen natürlich.“ Und wenn das Wetter einmal zu schlecht ist für die Berge? „Kartenspielen.“ Die Karten seiner liebsten Touren auf der Seite rechts.

Websites www.felt-oetztal-xbionic.com Die Community-Seite des neuen Ötztal-Teams ist der Eingang in den Gemeinschaftssport

HOCHSÖLDEN 2090 m

TOUR 2: Nisslalm Die Tour ins Sulztal gehört zu den Highlights des Bikereviers rund um Längenfeld. Die Auffahrt folgt ab Längenfeld der Grieser Landstraße hinauf nach Gries. Zahlreiche Serpentinen zu Beginn gestalten die Fahrt kurzweilig, so dass die ersten 500 Höhenmeter wie im Flug vergehen. Etwa zwei Kilometer hinter dem Weiler Gries beginnt der Schotterweg zur Nisslalm hinauf. Nach überqueren der Vögelasbrücke zieht auch die Steigung merklich an. Nach gut 12 Kilometern kann man sein Bike an der 2051 Meter hoch gelegenen Hütte abstellen (Einkehrmöglichkeit). Die Aussicht reicht nach Norden bis in die Stubaier Alpen hinein. Die rasante Abfahrt folgt zunächst dem Anfahrtsweg. An der Vögelasbrücke biegt man jedoch links ab auf den Nederweg, der linksseitig des Fischbachs zurück nach Längenfeld führt.

2 HUBEN

GRIES

1180 m

1569 m

LÄNGENFELD 1180 m

NIEDERTHAI 1550 m

UMHAUSEN 1036 m

TOUR 3: Hochoetz Panorama Die Runde gehört zu den Klassikern im vorderen Ötztal. Allerdings sind die 30 Kilometer und über 1355 Höhenmeter keine Spazierfahrt. Die Auffahrt nach Hochötz führt zu Beginn über die unter Radsportlern berüchtigte Kühtai-Passstraße. Bei Ochsengarten zweigt man ab auf den steilen Schotterweg zur Bielefelder Hütte. Der windungsreiche Anstieg gönnt Bikern keine Atempause. Ständig rotiert die Kette im kleinsten Gang. An der Hütte ist auf 2104 Metern der höchste Punkt der Tour erreicht. Es öffnet sich ein SAUTENS 812 m herrlicher Rundblick ins Ötztal und zum Piburger See. Bevor man sich wieder zu Tale stürzt, ist ein Check der Bremsen ratsam. Denn der Downhill verläuft rasant und teilweise anspruchsvoll. In einem Rutsch vernichtet man immerhin gut 1355 Höhenmeter.

3 OETZ

820 m

OCHSENGARTEN Information Klettersteig Via ferrata Paragliding Startplatz S Paraglide start area Paragliding Landeplatz Paraglide landing area Outdoorparcours

Bahnhof Train station Flughafen Airport Klettergarten Climbing garden

Tirol Therme AQUA DOME Schwimmbad, Badesee Swimming pool, lake Archäologische Fundstelle Archaeological site

Rafting

Museum

Kajaking

Hütte bewirtschaftet

1538 m

ÖTZTAL BAHNHOF 704 m

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kultur

wildspitze 2010

wildspitze 2010

schlagwort

Zum Seelenheil

Und mitten im Ötztal selber gibt es auch noch eine Wallfahrtskirche: im kleinen Gries, der einzigen Siedlung im Sultzal, das von Längenfeld ostwärts in die Stubaier Alpen zieht. 1655 hatte man hier das erste Kirchlein erbaut; über die Gründung der Wallfahrtsstätte berichtet die Chronik der Kaplanei Gries: „Als die Nachparn zu Griess aus guet christlichem Eifer und Befürderung der Ehr Gottes und Seelen Heyls beschlossen ein Capell zu bauen“, kam ein Pilger des Weges, der also sprach: „Sagt euren lieben Nachparn, dass sie khein Kapell, sondern ein Khirchl darin Maria Hilff rasten soll, auferbauen.“ Daraufhin, so heißt es, schritt der unbekannte Wandersmann von hinnen und ward nie mehr gesehen.

Seit dem Anfang des 18. Jahrhunderts wurde die Wallfahrt immer beliebter. 1703 rief man die Muttergottes zur Hilfe gegen die Bayern an, die in Tirol einmarschiert waren, und um 1730 gegen die „hitzige Krankheit“, die in Längenfeld ausgebrochen war. Um diese Zeit kam auch das Gnadenbild hierher, eine Kopie der Lukas-Cranach-Madonna aus der Innsbrucker Pfarrkirche (dem heutigen Dom). Man hatte es, um seine Wirkkraft zu erhöhen, am Original „anriehren lassen“. Der erste Kaplan kam 1727 nach Gries, und er legte bereits das „Mirakelbuch“ an, worin nicht nur die Geschichte der Wallfahrt, sondern auch alle Wunderheilungen und Gebetserhörungen getreulich aufgezeichnet worden sind. So erfährt man, dass Imster Vogelhändler, die auf ihrer Fahrt nach Indien in Seenot gerieten, sich der Grieser Muttergottes „verlobten“ – und prompt gerettet wurden. Das weltentlegene Grieser Kirchlein bot in unsicheren Zeiten bedrohten Heiligtümern von weiter draußen im Land Zuflucht. So verbrachte man während der napoleonischen Kriege die Heilig-Blut-Reliquie aus dem Stift Stams hierher; und 1944, als die alliierten Bombenangriffe auf Innsbruck begonnen hatten, kam kurioserweise für einige Zeit das Original zur Kopie: das Innsbrucker Mariahilf-Bild wurde dem Kaplan Albin Guggenbichler anvertraut, der es in der Rückwand des Ministrantenkastens in der Sakristei versteckte. Niemand im Ort, ja im ganzen Tal wusste davon. Folgte man dem alten Wallfahrtsweg, so wäre man im Prinzip gezwungen, schlicht und einfach auf der Straße von Längenfeld nach Gries zu marschieren. Viel lohnender ist es da auf dem Wanderweg, der aus dem Ort, vorbei am spektakulären Stuibenfall, mit 150 m der höchste in Tirol, über die steile Talstufe hinauf ins liebliche Sulztal und nach Gries führt.

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Die alten Ötztaler waren auch nicht anders als wir. Sie mussten gehen, um ihr Seelenheil zu gewinnen. So gingen sie also. Sie gingen übers Joch nach Schnalstal hinüber, nach Unser Frau. Das letzte Kirchlein im Ötztal, jenes in Vent, ist bis heute dem Patron der Pilger, dem Heiligen Jakob geweiht. Sehr gerne ging man nach St. Ainbet in Obsaurs (oberhalb von Schönwies im Oberinntal), denn sie war bekannt dafür, Frauen ihren Kinderwunsch zu erfüllen. Die große Wallfahrt, die man wohl nur alle heiligen Zeiten unternahm, führte in die Schweiz, nach Einsiedeln. Sie dauerte hin und zurück neun bis elf Tage. Die eigentümlich schwarze Madonna von Einsiedeln findet sich in unseren Kirchen immer noch in zahlreichen Darstellungen. Dass bereits im Mittelalter der eine oder andere Ötztaler, vom extremen Fernweh gepackt, sich auf die Socken machte, um bis nach Santiago de Compostela, an das Ende der damals bekannten Welt zu pilgern, wird wohl vorgekommen sein, aber nicht besonders häufig. Der Jakobsweg ist ja im wesentlichen ein Phänomen der Moderne; selbst der Große Brockhaus von 1970 weiß noch nichts von ihm. Viel wichtiger war vor 500 Jahren gewiss Kaltenbrunn in dem vom Ötztal aus gezählt übernächsten Tal, dem Kaunertal. Diese Wallfahrt hat bis heute nichts von ihrer Anziehungskraft verloren – sodass man jüngst im Zuge der Restaurierungsarbeiten eine eigene kleine Kapelle für die vielen, vielen Kerzen baute, die dort tagein, tagaus entzündet werden als sichtbares Zeichen der Bitte um Gnade, um Hilfe, die eben bis heute jeder auf seine Weise gen Himmel sendet. (Und sei es, dass er, wie die gottfernen Wallfahrer der modernen Zeiten, einfach nur so oft wie möglich auf einen Berg hinaufsteigen muss, weil ihm danach leichter ums Herz ist – etwas, das die christlichen Wallfahrer von früher wohl kaum verstanden hätten.)

© Ötztal Tourismus

Wandern. Die Geschichte des Wallfahrens im Ötztal, das Antlitz der Muttergottes von Gries, und welchen Weg man am besten dorthin einschlägt. Von Walter Klie

Wenn‘s um unser Ötztal geht, dann ist nur eine Bank meine Bank. Aqua Dome | Area 47 | Bezirksmusikfest | Fis-Skiweltcup | Rodel-Weltmeisterschaft | Ötztaler Radmarathon | Musik am Piburgersee | Ötztal-Card | Ötzi-Dorf | Ötztaler Heimatmuseum Gemeinden | Schulen | Vereine | u.v.m. Alle haben einen gemeinsamen Partner: Raiffeisen. www.rki.at

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sport und service

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die härte in zahlen

Radfahren. Der „Ötztaler“ ist der legendäre Radmarathon schlechthin. Im Sommer 2010 fand er zum 30. Mal statt. Wir gratulieren mit Zahlen, Daten, Fakten

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201.175 34,14 km/h

Es hat sich etwas verändert, seit sich am 22. August 1982 154 Sportsleute auf den Weg machten, um vier Pässe und mehr als 5000 Höhenmeter zu absolvieren. Heute sind es mehr als 10.000 Athleten, die meisten von ihnen Freizeitsportler, die den Herausforderungen der Strecke, des Wetters - und der eigenen Grenzen begegnen. Wenn OK-Chef Ernst Lorenzi den Pulk auf die Reise schickt, beginnt sich ein großes, raffiniertes Rad zu drehen. Sportler sporteln, Begleiter begleiten, Versorger versorgen. Jedes Jahr werden dabei zahllose Heldengeschichten geschrieben, und wie heldenhaft es ist, auch vier Stunden nach dem Sieger über die Ziellinie zu rollen, weiss jeder, der einmal die Anstiege aufs Kühtai, den Brenner, den Jaufenpass und das Timmelsjoch erfahren hat - so oder so. Der Ötzaler ist 30 geworden. Wir gratulieren mit einem kleinen Sammelsurium

Seitenzugriffe auf www.oetztaler-radmarathon.com vom 05.02.2010 bis 07.03.2010

Pässe: Kühtai, Brenner, Jaufen, Timmelsjoch

Höchstgeschwindigkeit, Mirko Puglioli, 2004

238km Ötztaler Runde mit 66 Kehren

5500

Höhenmeter

Das Streckenprofil Niedrigster Punkt Innsbruck, höchster Punkt Timmelsjoch. Schablone einer Herausforderung

650 Hinweistafeln wurden 2010 aufgestellt

Timmelsjoch 2509m

Jaufenpass 2090m

Kühtai 2020m

Brenner 1377m

Sölden 1377m

Sölden Ötz 820m

Sterzing 960m

Kematen 700m

St. Leonhard 750m

Innsbruck 600m 0 km

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100

120

140

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238 km

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brot für die Ewigkeit

Essen. Die „Ötztaler Breatlen“ sind die Urform des bäuerlichen Brots. Es schmeckt leicht und würzig, und man kann es lang aufheben. Sehr lang. Sehr, sehr lang

Manchmal gibt Alois KuprianKindern, die ihn besuchen, ein Stück Brot. „Mhm“, sagen die Kinder, und dann stellt ihnen Alois Kuprian eine Frage: „Wie alt, liebe Kinder, glaubt Ihr, war das Brot?“ Die Kinder wundern sich über diese Frage, denn Brot ist ihrer Meinung nach immer frisch. Die „Breatlen“ aber, die ihnen Alois Kuprian zugesteckt hat, sind ein halbes Jahr alt - und sie schmecken noch immer. Die Ötztaler „Breatlen“ sind

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Ursprung und Ausdruck des bäuerlichen Brots. Die Teigfladen wurden von Bauernleuten aus Roggen- und Weizenmehl, Wasser und Brotklee, Hefe, Kümmel und Salz angerührt und im Holzbackofen gebacken. Dieser Backofen stand in der Regel mehreren Familien zur Verfügung, die sich fürs Backen einen genauen Zeitplan verordnen mussten. Das Aufheizen des Ofens dauerte schließlich eine geraume Zeit, und wenn der Ofen noch vom Vorgänger warm

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war, konnte man Zeit und Holz sparen. Backtage waren besondere Tage. Wenn der Backofen in der Dorfmitte stand, etwa in der Nähe des Brunnens, wie das in vielen Dörfern der Fall war, trieben sich in seiner Nähe gern die Kinder herum, vielleicht fiel ja ein frisches Breatle für sie ab - eine außergewöhnliche Delikatesse, zumal das Brot, das man zu Hause aß, viele Wochen, wenn nicht Monate gelagert war. Zum Beispiel in Brotdosen, die

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von der Decke hingen, damit die Mäuse sich nicht am kostbaren Brot schadlos halten konnten. Das „Breatle“, dieses luftige Fladenbrot, war zuerst da – erst dann kamen die weißen und die schwarzen Wecken, die vom Bäcker gebacken wurden.

Erhältlich im Ötzaler Heimat- und Freilichtmuseum, Lehn 24, Längenfeld. Museumstelefon: +43 5253 5540 oder +43 664 9102321, [email protected]

„Ötztaler Breatlen“ Einfaches Rezept für das traditionelle Brot der Ötztaler Bauern. – Roggen und Weizen Brotmehl (je 50%) – Lauwarmes Quellwasser – Brotklee (trigonella Caerulea), wird im Museumsgarten angebaut – schmeckt wie Maggikraut! – Hefe, Kümmel & Salz Das Geheimnis besteht im Backvorgang. Die Breatlen werden im Idealfall im gemauerten Backofen gebacken.

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Von oben

Erst ging der Mensch. Und schaute. Dann fuhr er, und endlich konnte er gar fliegen. Und er begann zu fotografieren. So bekommen wir heute Bilder zu sehen, die kein Gehender je sehen kann. Wir müssen sie uns erst übersetzen, um sie zu verstehen. Luftaufnahmen von Philipp Horak Literarische Vignetten von Walter Klier

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Von oben wird alles plötzlich sehr flach. Ein bisschen wie der Blick von hohen Gipfeln, wenn man die Täler, die mit dem Aufstieg unsichtbar geworden, schon halb vergessen hat. Ein weites, welliges Land: so ähnlich mag es gewesen sein, bevor die Flüsse anfingen, ihre Furchen zu graben.

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Und alle Höhen voller Schnee: die meiste Zeit im Jahr ist es einfach nur weiß dort oben. Da und dort schaut ein Felsen heraus, und da und dort dieses kleine, ferne, ziellos-zielstrebige Gewimmel von unsereins.

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Es muss erst Sommer werden, damit auch noch andere Farben ins Spiel kommen. Dann blüht es zwischen dem Weiß von rostrot bis schwarz, von gelbgrau bis graugrün – und das sind erst die Felsen, der Schutt und Sand aus den Moränen. Für das kleine Geblühe, für die Reklamefarben der Flechten müssten wir schon viel näher kommen.

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Und tief unten Wiesengrün, leintuchgroß, auf allen Seiten von Wildnis bedrängt. Wie hat man hier leben können? fragt man sich. Man konnte. Wir könnten es nicht.

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Man asphaltiert sich so durch. Mit Sprengstoff und Schubraupe, mit Stahlbeton und der größten Beharrlichkeit, auch wenn der Hang von oben rutscht, der Bach von unten frisst, und überhaupt: winters wegen Lawinengefahr gerne gesperrt.

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Auch im Sommer denken wir dauernd an den Winter. Nicht bloß weil dann das meiste Geld verdient wird. Sondern weil wir bei jedem Schritt, den wir im Sommer tun, uns die zwei Meter Schnee vorstellen müssen, die dann wieder, von irgendwo oben, alles verheerend mit 140 Stundenkilometern in die Tiefe donnern können, jederzeit.

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Weiter unten und außen im Tal: da haben gar zwei Felder neben einander Platz, und dazu ein See, dunkel, verschwiegen, wie absichtslos in einen Wald neben das eigentliche Tal gelegt.

1825 kam einer hier durch, der ging durch ganz Österreich zufuß und wurde berühmt, weil er seinen Namen groß in schwarzen Lettern überalhin pinselte, wo es ihm einfiel. Er war der erste; heute kommen Zehn- und Hunderttausende. Und sie alle wollen ein Dach über dem Kopf, Speis und Trank –

und wollen unterhalten sein.

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lesegeschichte

wildspitze 2010

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lesegeschichte

90 Grad Von David Lama

S

chon als ganz Kleiner, als Fünfjähriger, war ich Skitouren gegangen. Ohne Tourenbindung und mit Skiern, auf die der Opa Felle geklebt hatte. Aber sobald das Wettkampfklettern begann, fehlte mir die Zeit, schöne Touren zu gehen. Ich war zwei Jahre mit dem Snowboard auf der Piste unterwegs, aber das wurde mir schnell fad. Irgendwie gefiel mir Skifahren einfach besser. Ein Brett macht Spaß. Zwei Bretter machen doppelt so viel Spaß. Reini hatte mir den Floh ins Ohr gesetzt, wieder mit dem Skifahren anzufangen. Nach dem Training, wenn wir noch ein bisschen quatschten, erzählte er mir von Erstbefahrungen, die er gemacht hatte, von extrem steilen Rinnen, durch die er mit den Skiern hinuntergefahren war, und ich konnte am Glanz seiner Augen ablesen, dass diese Art Ski zu fahren etwas sein würde, was mir auch gefällt. Ich kaufte mir ein neues Paar Ski und eine Saisonkarte, und das Skifahren gefiel mir. Natürlich fuhr ich nur auf der Piste, wenn es unbedingt sein musste. Ich wurde besser, aber es ging mir zu langsam. Beim Regenerationstraining in Obergurgl im Ötztal saß ich abends im Quartier, als die Trainer der spanischen Jugend-Skinationalmannschaft auftauchten. Wir kamen ins Gespräch, und es kann schon sein, dass ich den Mund ein bisschen voll genommen habe. Jedenfalls nahmen sie mich am nächsten Tag mit auf die Piste, um zu schauen, ob ich so gut war, wie ich erzählt hatte. Die Burschen fuhren mir natürlich um die Ohren, und ich nahm sofort alles zurück. Sie zeigten mir ein paar technische Kniffe. Die konnte ich gut brauchen. Klar, ich war auch bisher überall runtergekommen, aber eben so, wie es mir meine Mutter und mein Opa beigebracht hatten, und die beiden sind bei aller Liebe keine Leitsterne beim Skifahren. Ich fuhr wie ein mutiger Anfänger, der es nicht richtig gelernt hat. Also lernte ich. Ich lernte, dass du dich beim Skifahren echt etwas trauen musst. Ich lernte, dass du dem Impuls widerstehen musst, den jeder normale Skifahrer hat, wenn er in Schwierigkeiten kommt: dich zum Hang zu orientieren. Stattdessen musst du hangabwärts schauen, damit du immer Druck am Außenski hast. Bald fuhr ich in echt anspruchsvolles Gelände und genoss neben den Schwüngen, die plötzlich leicht und sicher wurden, auch die Einsamkeit und die Tatsache, dass – neben dem Klettern – plötzlich interessante Herausforderungen auftauchten. Daniel ist ein guter Skifahrer. Gemeinsam probierten wir alles Mögliche aus. Als wir in diesem Winter eine Erstbefahrung in der Axamer Lizum, einem Lieblingsskigebiet der Innsbrucker, unternahmen, wo das Gelände felsig und über 50 Grad steil war, wurde mir bewusst, wie viel Steilwandfahren mit Klettern zu tun hat. Du darfst dir keine Fehler erlauben, weil wenn es dich haut, bist du weg, und zum Teil schleppst du auch ziemlich viel Ausrüstung mit, wenigstens bei den wilderen Sachen. Teilweise hatten wir den Eispickel dabei, den Handbohrer, das Seil sowieso, denn immer wieder enden die genialsten Steilhänge in Felsabbrüchen, über die man abseilen muss, mit den Skiern am Rücken. Wir lernten viel über Lawinen, blieben aber immer auf der sicheren Seite. Wir wollten verstehen, warum eine Lawine unter gewissen Umständen abgeht. Wollten lernen. Erfahrungen sammeln.

„Ein Brett macht Spass. Zwei Bretter machen doppelt soviel Spass“

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lesegeschichte

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MARKENBEKL

Als ich nach einer Expedition nach Patagonien wieder in Österreich ankam, packte ich nicht zuerst das Gepäck aus. Ich schnappte mir meine Ski und ging auf den Berg. Die Eindrücke aus Südamerika waren so stark gewesen, so überwältigend. Jetzt wollte ich gehen, meine Berge wiedersehen, und das Pendel in meinem Inneren wieder auf den Platz einstellen, wo ich zuhause war. Ich fuhr mit der Standseilbahn hinauf. Mein Freund Jorg hatte keine Zeit gehabt. Seit er sich an der Hand verletzt hatte, studierte er plötzlich mit sehr viel mehr Elan. Daniel war froh, wieder einmal seine Freundin zu sehen, wenn er aufwachte, und nicht mich. Also ging ich allein. Es war noch nicht spät, aber schon warm. Ich gab Gas, weil ich kein Problem mit den Lawinen bekommen wollte. Ich sprintete den Berg regelrecht hoch, so dass ich bei der Hälfte des Aufstiegs schon richtig fertig und ausgepowert war und mir nichts so sehr wünschte wie einen Müsliriegel. Aber ich war wieder einmal zu faul gewesen, zu Hause noch einen einzupacken. Ich war ja in Tirol und nicht in Patagonien. Dann kam der Durst. Auch gegen den Durst hatte ich nichts dabei. Aß ich halt Schnee. Bald hatte ich den größten Teil der Tour zurückgelegt. Aber der letzte Hang war so extrem steil, dass ich mit den Tourenski nicht mehr rauf kam. Ich schnallte ab und band die Ski auf meinen Rucksack. Bruchharsch. Der Schnee hatte einen harten Deckel und war darunter weich. Ich sank bei jedem Schritt bis zur Hüfte ein und musste den Schnee mit den Händen wegräumen, bevor ich den nächsten Schritt machen konnte. Das war anstrengend und unangenehm, weil ich zu faul war, die Handschuhe aus dem Rucksack zu holen. Irgendwann revanchierten sich die Finger für meine Nachlässigkeit, indem ich sie nicht mehr richtig spürte. Ich war 50 Meter vor dem Gipfel, als ich mir dachte: Nein. Das macht keinen Spaß. Aber jetzt meldete sich mein Sturschädel: Das macht schon Spaß. Du gehst jetzt weiter. Gegen den Sturschädel konnte ich natürlich nichts ausrichten. Ich kämpfte mich also weiter, und bald stand ich am Gipfel, allein und etwas außer Atem. Keine Menschenseele. Unberührte Natur. Ein Blick hinter die Kulissen der Alpen. Ich hatte zum ersten Mal seit langer Zeit das Gefühl, wirklich für mich zu sein. Auf den acht Kilometern von der Bergstation bis hierher hatte ich keine einzige Spur gesehen. Ich wusste, dass bis zum Stubaital hinüber niemand sein würde. Es war still. Jetzt, wo ich mich selbst nicht mehr gehen und schnaufen hörte, fand ich mich in einer Ruhe und Schönheit wieder, die mir fast unheimlich war und mich plötzlich bis zum Rand mit Glück ausfüllte. Normalerweise bin ich keiner, der am Gipfel sentimental wird. Aber diesmal blieb ich länger stehen als sonst. Endlich wieder ein Gipfel, sagte ich mir. Höchste Zeit, sagte der Sturschädel. Ich schnallte die Ski an und fuhr in langen Schwüngen hinunter, zurück in die Normalität, zurück in das Land, wo es Menschen und Müsliriegel gibt.

EIDUNG

EN!

ZU BESTPREIS

Als Daniel und ich mit dem Reinthaler Peter und dem Fotografen Philipp Horak auf die Wildspitze im Ötztal gegangen waren, um oben Fotos zu machen, fuhren wir anschließend nicht die normale Abfahrt hinunter, sondern querten zur Nordwand. Es war ein Tag mit perfekten Bedingungen. Die Nordwand beginnt flach, wird immer steiler und geht in eine 52 Grad steile Eisflanke über, die hin und wieder Kletterer mit den Steigeisen hinaufgehen. Dieses Stück ist lustig. Du fährst und fährst, mit etwas abgehakten Schwüngen, wie man auf Eis eben fahren muss, und es zieht mächtig hinunter. Am Anfang hast du nicht das Gefühl, dass es steil ist. Aber wenn du in der Mitte der Flanke stehst und unter dir geht es noch einmal 200 Meter hinunter – doch, dann kommt dir der Hang plötzlich sehr steil vor. Ich war an diesem Punkt schon lange vorbei, brachte aber keinen Schwung mehr hin, weil das Eis nicht mehr so griffig wie im oberen Teil war, sondern glatt. Ich musste mich mit den Stöcken nach hinten in den etwas flacheren Teil am Rand manövrieren. Ich schaute und sah, dass das untere Ende der Flanke, wo es flacher wurde, durchgehend weiß war. Das Weiß verhieß guten Schnee, jedenfalls kein weiteres Eis. Daniel stand etwas über mir. Er wartete, was ich tun würde. Ich hatte eine Idee. Ich steckte beide Stöcke ins Eis, hüpfte um 90 Grad um, meine Skispitzen zeigten nach unten und ich beschleunigte schon wie ein Abfangjäger. Nach wenigen Sekunden genialen Speeds auf Eis tauchte ich in eine perfekte Pulverschneewolke ein. Hier konnten wir es richtig tuschen lassen, und als Daniel nachgekommen war und abschwang, waren wir beide außer Atem und Daniel lachte wie verrückt. „Was lachst?“ „Wie du die Ski auf Schuss gestellt hast, hab ich’s nicht mehr gefressen.“ „Und dann?“ „Hab ich die Ski auch auf Schuss gestellt...“

Bildquelle: Ötztal Tourismus

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David Lama, 20, ist Sportkletterer und Alpinist. Lama, der bereits als Siebenjähriger mit dem Klettern begann, gilt als eines der grössten Klettertalente der Welt. Neben dem Weltcupklettern unternimmt Lama Expeditionen in alle Welt. In diesem Winter versucht er, den Cerro Torre in Patagonien zum ersten Mal frei zu klettern. Eben erschien auch David Lamas erstes Buch „High“ im Münchner Verlag Knaus

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Hauptstraße 49 . 6433 Oetz . Telefon und Fax +43 (0) 5252 - 20 178 . www.intersportriml.com

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DAMALS/HEUTE

wildspitze 2010

Vent 1910

Vent 2010

IMPRESSUM Herausgeber: Ötztal Tourismus, 6450 Sölden. Redaktion: Christian Seiler (Ltg.), Peter Reinthaler. Gestaltung: Erik Turek, buero8. Fotograf: Philipp Horak. Fotoredaktion: Valerie Rosenburg. Mitarbeiter: Hansjörg Auer, Horst Christoph, David Lama, Christian Flatz, Peter Iwaniewicz, Walter Klier, Johannes Koeck, Ernst Molden, Roman Polak, Lisa Reinthaler. Illustrationen: Anje Jager, Markus Roost. Anzeigenleitung: Roman Polak, Polak Mediaservice,Stadtplatz 8, Top A 4,A-6460 Imst. Herstellung: Michael Bergmeister. Lithographie: Bull Verlags GmbH. Druck: Druckerei Odysseus, 2325 Himberg. Auflage: 50.000 Exemplare. Offenlegung laut § 25 Mediengesetz: Eigentümer zu 100 Prozent und Herausgeber ist Ötztal Tourismus, Gemeindestraße 4, 6450 Sölden, Tel.: +43 057200. Fax: +43 057200-201 [email protected] www.oetztal.com. Direktor: Mag. Oliver Schwarz. Verleger: CSV Verlags GmbH, 3710 Fahndorf, [email protected]. www.csv.at. Geschäftsführer des Verlags: Christian Seiler. Blattlinie: Information der Öffentlichkeit über Vorzüge, Geschichte und Eigenheiten der Tourismusregion Ötztal.

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