Wie alles begann. Wer sind die Miris?

Wie alles begann … Anfang 2011. Bremen. Über zwei Jahre Recherche zu den Miris und kein Ende in Sicht. Es geht um die Miris, einen mittlerweile bunde...
Author: Gisela Engel
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Wie alles begann … Anfang 2011. Bremen. Über zwei Jahre Recherche zu den Miris und kein Ende in Sicht. Es geht um die Miris, einen mittlerweile bundesweit bekannten arabischen Familienclan, der sich hauptsächlich in Bremen, Berlin und im Ruhrgebiet (Essen) angesiedelt hat. Das reine Aktenstudium ist im Prinzip beendet. Es waren Polizeiakten über die kriminellsten Miris in Bremen. Ein Insiderkontakt hat mir viele Monate lang sämtliche Informationen über den Familienclan geliefert. Schlimme Informationen. Informationen, die Angst machen müssen. Der Straftatenkatalog der Clanmänner reicht vom versuchten Totschlag über räuberische Erpressung, Überfälle, Drogendelikte bis hin zu schweren Körperverletzungen, Beleidigungen, Waffenbesitz … Viele Jahre Gefängnis hat da so manch einer hinter oder auch wieder einmal vor sich, weil er es dann doch irgendwie nicht lassen kann und stetig aktenkundig wird. Aber wer sind die Miris? Wer sind sie wirklich? Was steckt hinter diesen ganzen Straftaten? Wer sind diese Männer, die andere fast totschlagen, rauben oder Drogen dealen? Das alles sind Fragen, die es zunächst zu beantworten gilt.

Wer sind die Miris? Die Familie Miri gehört der Volksgruppe der Mhallami (Mhallamaye, Mhallamiye, Mardelli) an. Die Mhallami sind eigentlich ein Volk ohne Land, über dessen Geschichte und Herkunft unterschiedlich berichtet wird. Ein Großteil der Ur-Mhallami war zunächst wohl in der Türkei beheimatet. Unter dem türkischen Präsidenten Kemal Atatürk werden die Mhallami in den 1920er-Jahren innerhalb der Türkei teils zwangsumgesiedelt. Das bedeutet für die Betroffenen oftmals den Verlust des Lebensraumes und zusätzlich den Verlust des eigentlichen Familiennamens, da es sich die türkische Regierung einfach macht und die Menschen nach den neuen Wohnorten benennt, an denen sie angesiedelt werden. So kommt es auch zu dem heute noch gültigen Familiennamen Miri.

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In der Türkei werden die Mhallami bis heute als Araber bezeichnet und nicht als Türken. Auch die Mhallamie selbst fühlen sich den Arabern zugehörig und wehren sich dagegen, Kurden, Mhallami-Kurden oder Türken genannt zu werden. Mhallami sprechen Arabisch und sind sunnitische Muslime.

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Die meisten Vorfahren der derzeit in Deutschland lebenden Mhallami kommen aus dem Südosten der Türkei, vornehmlich aus den Provinzen Batman und Mardin. Andere Mhallami stammen ursprünglich aus Syrien und dem Libanon. Die Geschichte der Mhallami reicht zurück bis 1800 vor Christus. Viele Mhallami reisen Anfang der 1980er-Jahre als Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem Libanon nach Deutschland ein. Weltweit wird die Anzahl der Mhallami auf 150 000 Menschen geschätzt: circa 60 000 in der Türkei, etwa 50 000 im Libanon und rund 40 000 in Europa. In Deutschland sollen etwa 13 000 Mhallami leben (rund 4000 in Berlin, geschätzte 2600 in Bremen, 4900 in Essen und andere deutschlandweit verteilt). Sichere Zahlen liegen hierzu nicht vor. Lediglich die für Essen genannte Zahl darf als gesicherter Richtwert gelten, da man hier tatsächlich einmal gezählt hat. Zu den Mhallami in Deutschland gehören neben den Miris noch viele andere Familien, die teils aus dem Libanon nach Deutschland flüchteten oder aus der Türkei einreisten. Bereits in den 1920er-Jahren beginnt allerdings die Migrationswelle der Mhallami, um der problematischen Siedlungspolitik Atatürks zu entkommen. Teile der Familie Miri aus der Türkei siedeln deshalb in den 1950erJahren in den Libanon um, weil sie dort bessere Lebensbedingungen für sich und ihre Familien erhoffen. Ihr Werdegang kann als exemplarisch für viele andere Mhallami-Familien mit gleichem oder ähnlichem Schicksal angesehen werden. Im Libanon angekommen, ist man zunächst guter Dinge. Der Vater, Hakim Miri, baut einen kleinen Gemüsehandel auf und kann seine Familie mit dem Erlös gut unterhalten. Es kommen sieben Kinder zur Welt. Bilder aus den 60er- und 70er-Jahren zeigen den Wohlstand, in dem die Familie einige Jahre lang lebt. Die Kinder tragen hübsche Kleider, man fährt einen silbernen Oberklassewagen. Bilder aus einer anderen Zeit. Eine Schwarz-

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weiß-Aufnahme präsentiert einen kleinen Jungen, der frech in die Kamera grinst: Kasim Miri. Wenige Jahre nach dem Entstehen dieser Fotos geraten Teile der im Libanon lebenden Mhallami – und damit auch die Familie von Hakim – in die Wirren des Bürgerkriegs, der zwischen 1970 und 1989 im Libanon herrschte. Als im Libanon lebende »Ausländer« werden die Lebensbedingungen für die Familie in den Folgejahren immer härter. Zunächst hat Hakims Familie Glück im Unglück, denn der für ihren Wohnbezirk in Beirut zuständige Bürgermeister ist gemäßigt und kümmert sich nicht weiter um in seinem Distrikt lebende Mhallami. Das soll sich wenig später jedoch ändern. Nächtliche Hausdurchsuchungen durch immer wieder wechselnde Milizführer gehören bald zum Alltag der Familie. Bomben fallen. Die Kinder von damals erzählen noch heute von Toten auf der Straße, »die da auch manchmal länger lagen«. Eine Schule besuchen die Miri-Kinder in dieser Zeit selten. Manchmal sei die Schule viele Wochen zu gewesen, berichten sie heute. Für Hakim Miri wird es nun immer schwieriger zu arbeiten. Er braucht Passierscheine, um von A nach B zu kommen. Manchmal muss er die Wachposten bestechen. Mehrfach landet der Familienvater im Gefängnis oder wird von israelischen oder unterschiedlichen libanesischen Pos­ ten einfach mal ein paar Stunden festgehalten. Die Familie hat im Libanon keinen Staatszugehörigkeitsstatus. Mit einer Art Fiktionsbescheinigung weisen sie sich aus und sind damit sofort für jedermann erkennbar nicht libanesische Staatsbürger. Ein Mhallami sagt dazu: »Früher konnte man sich einen Pass kaufen. Das haben aber viele nicht gemacht, weil sie dachten: Was soll ich damit? Die dachten, dass sie eh irgendwann zurückgehen würden in die Türkei – irgendwann. In den 70er-Jahren, das war Libanons Blütezeit. Viele kamen halt als Gastarbeiter.« Nicht alle Mhallami-Familien flüchten damals aus dem Libanon. Heute in Deutschland lebende Nachfahren anderer Familien erzählen, dass sie noch viel Verwandtschaft im Libanon haben und diese mittlerweile als voll integrierte Mitglieder der dortigen Gesellschaft leben, inklusive Staatsbürgerschaft. Ein Vertreter einer solchen Familie berichtet, dass seine Familie heute in Beirut die drittgrößte wahlberechtigte Familie in Beirut ist und damit auch über einen gewissen Einfluss verfügt.

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Doch weiter mit der Geschichte der Miris: Ende der 1970er-, Anfang der 1980er-Jahre beschließt Hakim Miri, den Libanon zu verlassen. Er hat von anderen Mhallami gehört, dass man in Deutschland gut leben kann, fernab vom Bürgerkrieg im Libanon. Nachdem die Familie ohne Papiere in Deutschland angekommen ist, bezieht sie mit sieben Kindern eine kleine Wohnung in Niedersachsen. Als Bürgerkriegsflüchtlinge ohne Staatsangehörigkeit erhalten sie finanzielle Unterstützung vom Staat, einen räumlich beschränkten Aufenthalt und ein Arbeitsverbot. Er habe gleich zu Beginn arbeiten wollen, doch man habe ihm jahrelang das Arbeiten verboten, begründet der heute über 70 Jahre alte Familienvater seine viele Jahrzehnte währende Untätigkeit und Abhängigkeit von staatlichen Mitteln. In den folgenden Jahren werden noch fünf weitere Kinder geboren. Keines der Kinder dieser Familie erreicht einen höheren Bildungsabschluss, was zum Teil dadurch bedingt ist, dass mancher bereits früh massive Verhaltensauffälligkeiten zeigt. Auch abgeschlossene Berufsausbildungen kann niemand vorweisen. Hin und wieder beginnt der eine oder andere eine Berufsqualifikation, die dann jedoch schnell wieder abgebrochen wird. Interessant an dieser Stelle ist, dass die Kinder, die mit den Eltern als Flüchtlinge einreisen, demnach also ein Vorleben im Libanon haben, fast alle keinen Bildungsabschluss erreichen. Im Gegensatz dazu beenden alle in Deutschland geborenen Kinder ihre Bildungskarriere zumindest mit einem Hauptschulabschluss. Fünf Söhne dieser Familie entwickeln sich viele Jahre nach ihrer Einreise beziehungsweise ihrer Geburt in Deutschland zu Intensivtätern, die die Bremer und die niedersächsische Polizei inklusive der Justiz langfristig auf Trab halten werden. Andere Söhne treten ebenfalls strafrechtlich in Erscheinung – jedoch nicht mit der Intensität wie die fünf Vorgenannten. Zu den intensiv kriminell aktiven Brüdern gehört auch der einst frech in die Kamera grinsende Junge Kasim Miri. Vater Hakim und seine Frau sind heute alt. Sie haben die Kontrolle über ihre Kinder schon lange verloren. Wenn wieder einmal einer von den Söhnen im Knast landet, ist man in der Familie traurig. Der Vater besucht keines seiner Kinder im Gefängnis, egal, wie lange die Haftstrafe andauert.

Familienbande – von der Wiege bis in den Knast

Die Eltern haben 1994 durch eine Amnestie im Libanon (Altfallregelung für die in den 1950er-Jahren eingereisten Mhallami) rückwirkend die libanesische Staatsbürgerschaft erhalten. In einem Zeitfenster von einem Jahr können damals sogar ausgereiste Mhallami ohne Papiere, die einen bestimmten Zeitraum im Libanon gelebt haben, den ersehnten libanesischen Reisepass erhalten. Diese Chance nutzen die Eltern, um endlich ein Identifikationsdokument zu erhalten. Den im Libanon geborenen Kindern bleibt diese Chance, trotz Geburtsnachweis aus Beirut, aus unterschiedlichen Gründen bis heute verwehrt. Das bedeutet, dass bis auf eine Tochter, die durch Verheiratung die türkische Staatsbürgerschaft erhalten hat, keines der Kinder eine Staatsangehörigkeit besitzt. Auch die später in Deutschland geborenen Kinder werden als Staatenlose geführt und sind bis heute ohne ordentliche Ausweispapiere in Deutschland ansässig.

Familienbande – von der Wiege bis in den Knast Verwandtschaft kann manchmal eine Bürde sein. So auch im Fall der Familie Miri in Bremen. Schätzungsweise 600 Mitglieder dieser weitläufigen Familie leben hier. In einer polizeiinternen Gesamtaufstellung von 2009 listet die Polizei Bremen 66 Namen intensiv strafrechtlich in Erscheinung getretener Miris auf. Namen, die zunächst keine Auskunft darüber geben, welches Ausmaß die kriminelle Energie tatsächlich hat. Ein Blick in die eine oder andere Polizeiakte verrät dann mehr über das, was hinter dem »Schrecken Miri« tatsächlich steckt. Kasim Kasim Miri alias Kesim K., Staatsangehörigkeit nach Aktenlage: türkisch (bis 2012). Die Polizeiakte weist Mitte 2011 mehr als zehn »andere Personalien« und mehrere ED-Behandlungen in den vergangenen Jahren aus. Seine Geburt liegt Anfang der 1970er-Jahre. Als Geburtsort ist xxxxx/Türkei eingetragen – nicht Libanon. Scheinbar hat die Polizei Bremen diese Information ermittelt, denn es findet sich ein entsprechender Hinweis in den Unterlagen, der darauf schließen lässt: KP 7 Verden xxxx05, Ermitt-

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