WHERE IS THE UNCONSCIOUS TODAY? Konferenz auf Deutsch und Englisch
Freitag, 17. März, 20 Uhr Billrothhaus der Gesellschaft der Ärzte in Wien Frankgasse 8, 1090 Wien und Samstag, 18. März 2017, 9:30 – 19 Uhr Sigmund Freud Museum Berggasse 19, 1090 Wien
Im Zentrum dieser internationalen Konferenz steht das Unbewusste mit all seinen Aspekten und Facetten: seine Geschichte, seine Auswirkungen und seine Bedeutung in zeitgenössischen analytischen, soziologischen und ästhetischen Diskursen. Während Freud das Unbewusste im Traum, im Witz und in den Fehlleistungen lokalisierte und mit dem psychischen Mechanismus der Verdrängung in Verbindung brachte, werden in der gegenwärtigen Psychoanalyse auch andere “Prinzenwege” zum Unbewussten eingeschlagen: VertreterInnen der Schulen Bions und Winnicotts sowie der Relationalen Schule siedeln es auf horizontaler Ebene an, die von Lacan geprägten Schulen dagegen interessieren sich für Freuds frühes Modell des Unbewussten und verorten es im Signifikanten des/der AnalysandIn. Zahlreiche unbewusste Prozesse, die uns steuern und limitieren, treten nicht in das Bewusstsein über – ein Phänomen, das auch in anderen Disziplinen als der Psychoanalyse zu einer Auseinandersetzung mit dem Unbewussten geführt hat. Während die einen literarische Texte und künstlerische Werke als privilegierte “Tummelplätze” des Unbewussten verstehen und untersuchen, vertreten andere die Ansicht, es im Gehirn auffinden zu können.
Eine Kooperation des Sigmund Freud Museums und der Gesellschaft der Ärzte in Wien
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PROGRAMM
Freitag, 17. März, 20 Uhr, Billrothhaus der Gesellschaft der Ärzte in Wien, Frankgasse 8, 1090 Wien
Eröffnungsvortrag zur Konferenz auf Englisch
Eli Zaretsky: Freudianism and the Twentieth Century Left Begrüßung: Monika Pessler Moderation: Jeanne Wolff Bernstein
Samstag, 18. März 2017, 9:30 – 19 Uhr im Sigmund Freud Museum, Berggasse 19, 1090 Wien
10:00 – 12:00 Uhr: Panel 1 (Englisch): Giuseppe Civitarese: The Un/Conscious as a Psychoanalytic Function of Personality Bernard Toboul: Language and the Real Moderation: Jeanne Wolff Bernstein
14:00 – 16:00 Uhr: Panel 2 (Deutsch) Jan Lohl: ‘Ich will mein Deutschland wiederhaben‘. Zur psychoanalytischen Sozialpsychologie der Fremdenfeindlichkeit Helmut Dahmer: ‘Jews‘ und ‘Alis‘. Um-Adressierung eines Vorurteils Moderation: Markus Brunner
16:30 – 18:30 Uhr: Panel 3 (Deutsch) August Ruhs: Das Unbewusste zwischen Festplatte und Bildschirm Edith Seifert: Das Unbewusste als 'Missing Link'. Über den 'Gap' zwischen Neurowissenschaft und psychoanalytischer Theorie Moderation: Daniela Finzi
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ERÖFFNUNGSVORTRAG Begrüßung: Monika Pessler, Moderation: Jeanne Wolff Bernstein Freitag, 17. März 20 Uhr
Eli Zaretsky Freudianism and the Twentieth Century Left Mit dem Begriff „politischer Freud“ meine ich die verschiedenen Rückgriffe auf Freud, die im 20. Jahrhundert von VertreterInnen radikaler Bewegungen, politischen Intellektuellen und ReformerInnen unternommen wurden. Ich werde erläutern, dass es drei Phasen in diesem Prozess gab: Verdrängung, Sublimierung und Regression. Erstens wurden Freuds Themen des Vaterkomplexes und der Massenpsychologie dazu verwendet, sowohl die Diktaturen des letzten Jahrhunderts als auch Rassismus, speziell in seiner Urform, dem Lynchmob, zu analysieren (Verdrängung). Zweitens wurde die Freud‘sche Denkweise von der Frankfurter Schule und im Zuge afroamerikanischer und der afrokaribischer Radikalisierungsbewegungen mobilisiert, um den Massenkonsum zu kritisieren (Sublimierung). Letztlich wurde der Freudianismus von der Neuen Linken und der Frauenbewegung der 1970er eingesetzt: Sie verinnerlichten Freuds Ideen und richteten sie gleichzeitig gegen ihn, um eine neue Politik, heutigen Feminismus, Multikulturalismus und die Gleichstellung von Schwulen und Lesben zu definieren (Regression). Wie würde eine vierte Phase heute aussehen?
Prof. Eli Zaretsky, PhD, lehrt seit 1999 Geschichte am Eugene Lang College – New School for Liberal Arts in New York. Seine Forschungen konzentrieren sich auf die Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts, der Theorie und Geschichte des Kapitalismus und der Geschichtsforschung zur Familie. 2005 war er Gastlektor an der Australian National University in Canberra und 1995 Gastforscher am Institut für die Wissenschaften vom Menschen (IWM) in Wien. Er erhielt den Robert J. Stoller Foundation Award für sein Essay „Bisexuality and the Ambivalent Legacy of Psychoanalysis“. Seine Publikationen umfassen Political Freud (Cambridge University Press, 2015), Freuds Jahrhundert: Die Geschichte der Psychoanalyse (Paul Zsolnay Verlag, 2006), Why America Needs a Left (Polity, 2013), und Die Zukunft der Familie (Campus Verlag, 1983). Er ist der Autor zahlreicher Aufsätze, darunter „Psychoanalysis and Jewish History“, Encyclopedia of Jewish History (erscheinend); „From Psychoanalysis to Cybernetics: The Case of Her“, in: American Imago 72 (2015); „Freud’s Theory of Memory”, in: Dimitri Nikulin: Memory (Oxford University Press, 2015); „Narcissism, Personal Life and Identity: The Place of the 1960s in the History of Psychoanalysis”, in: Psychoanalysis, Culture and Society (2008). Seine Werke wurden ins Französische, Russische, Spanische, Polnische, Deutsche und in weitere Sprachen übersetzt.
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PANEL 1 (ENGLISCH) Moderation: Jeanne Wolff Bernstein Samstag, 18. März 2017 10:00 – 12:00 Uhr
Giuseppe Civitarese The Un/Conscious as a Psychoanalytic Function of Personality Ein Konzept des Unbewussten, das die Entwicklung eines neuen Paradigmas in der Psychoanalyse immer stärker beeinflusst, geht auf Wilfred Bion zurück und unterscheidet sich von jenem Sigmund Freuds. Hier wird das Unbewusste als psychoanalytische Funktion der Persönlichkeit gesehen, die das Kind bei der Geburt von der Mutter aufsaugt als eine wachsende Fähigkeit, Erfahrungen eine persönliche Bedeutung zu geben. Denken zu lernen bedeutet, das Reale „träumen“ zu lernen, um daraus eine erfahr-, erkenn- und lebbare Wirklichkeit zu machen. Träume sind der Ort, an denen wir wiederholt versuchen, dem Geist [mind] Inhalt zu geben, oder eher vice versa, den Geist [mind] wieder in den Körper einzugliedern, um einen Prozess in Gang zu setzen, den Donald Winnicott als „Personalisierung“ bezeichnete und der aus der progressiven Integration des Körpers und der Psyche besteht. Wie Thomas H. Odgen sagt, ist Träumen unsere tiefgründigste Art zu denken: Es ist nicht das Ergebnis der Differenzierung zwischen dem bewussten und unbewussten Geist [mind], sondern vielmehr das Gegenteil, erst das Träumen erschafft und erhält diese Differenzierung und begründet jenes zentrale Mittel, durch das wir zu Menschen werden.
Giuseppe Civitarese, MD, PhD, ist Lehranalytiker und Supervisor in der Italienischen Psychoanalytischen Gesellschaft (SPI) und ein Mitglied der Amerikanischen psychoanalytischen Vereinigung (APsaA) und der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung (IPA). Er lebt und ordiniert in Pavia, Italien. Er lehrt in Italien und international und publiziert weitgehend über unterschiedliche Themen, unter anderem über die Theorie des analytischen Bereichs, Bion und die Post-Bion’sche Psychoanalyse und die psychoanalytische Kritik. Zur Zeit ist er der Herausgeber der Rivista di Psicoanalisi, dem offiziellen Journal der Italienischen Psychoanalytischen Gesellschaft. Er publizierte mehrere Bücher, unter anderem The Intimate Room: Theory and Technique of the Analytic Field (Routledge, 2010; The Violence of Emotions: Bion and Post-Bionian Psychoanalysis (Routledge, 2012); The Necessary Dream: New Theories and Techniques of Interpretation in Psychoanalysis (Karnac, 2014); Losing Your Head: Abjection, Aesthetic Conflict and Psychoanalytic Criticism, Lanham, MD 2015; (with A. Ferro) The Analytic Field and its Transformations (Karnac, 2015); Truth and the Unconscious in Psychoanalysis (Routledge, 2016); Trasposizioni. Glossarietto di psicoanalisi [Transpositions: A short Glossary of Psychoanalysis] (Mimesis, im Erscheinen). Civitarese war auch Mitherausgeber von L’ipocondria e il dubbio: L’approccio psicoanalitico [Hypochondria and doubt: the psychoanalytic approach] (FrancoAngeli, 2011; Le parole e i sogni [The words and the dreams] (Alpes Italia, 2015); The W. R. Bion Tradition: Lines of Development – Evolution of Theory and Practice over the Decades (Karnac, 2014); Advances in Psychoanalytic Field Theory: International Field Theory Association Round Table Discussion (Routledge, 2016). Außerdem ist er der Herausgeber von Why Bion? Why Now? Reading 'A Memoir of the Future' (Routledge, 2017, im Erscheinen).
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PANEL 1 (ENGLISCH) Moderation: Jeanne Wolff Bernstein Samstag, 18. März 2017 10:00 – 12:00 Uhr
Bernard Toboul Language and the Real Zu den seltsamen Formen unserer psychischen Phänomene gehört eine innere Teilung, die nach Freud wie ein Fremder in uns herrscht. Genau das nennt Lacan „das Reale“. Vor dem Hintergrund seiner linguistischen Überarbeitung beschrieb Lacan diese Formierungen des Unbewussten als „Wesen der Sprache“. Während der letzten Jahre der kontinuierlichen Weiterentwicklung seines Werkes bewegte sich Lacan über das linguistische Model hinaus und konzipierte das Unbewusste als etwas, das vom Realen ausgeht.
Bernard Toboul ist Psychoanalytiker in Paris, Mitglied der psychoanalytischen ‚Association Space Analytique‘ und der psychoanalytischen Schule ‚Forums du Champ Lacanien‘. *** Jeanne Wolff Bernstein arbeitet als Psychoanalytikerin in Wien. Sie war Präsidentin und Lehranalytikerin am PINC (Psychoanalytic Institute of Northern California) in San Francisco. Sie unterrichtet an der Sigmund Freud Universität in Wien, bei PINC und an der New York University Postdoctoral Program of Psychoanalysis and Psychotherapy in New York. 2008 war sie Fulbright Freud Visiting Lecturer of Psychoanalysis am Sigmund Freud Museum, seit 2013 ist sie Vorsitzende des Beirates der Sigmund Freud Privatstiftung in Wien. Jeanne Wolff Bernstein ist Mitglied des ‚Wiener Arbeitskreises für Psychoanalyse‘ und hat zahlreiche Texte über die Verbindungen zwischen Psychoanalyse, bildende Kunst und Film publiziert. Ihre jüngsten Veröffentlichungen beinhalten “Tattoos/Hysteria” (in: Sukhanova, Ekaterina/Thomashoff, Hans-Otto ed.: Body Image and Identity in Contemporary Societies, Routledge, 2015), “Between the Artist’s Studio and the Psychoanalytic Office: A Comparison of Lucian Freud’s and Sigmund Freud’s Interior Space” (in: Sarnitz, August/ScholzStrasser, Inge ed.: Private Utopia, Cultural Setting of the Interior in the 19th and 20 th century, De Gruyter, 2015). Ihr Aufsatz “Living between two languages, a bi-focal perspective” wurde in Julia Beltsious Sammelband Locating Ourselves: Immigration in the Analytic Encounter (Routledge, 2016) veröffentlicht.
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PANEL 2 (DEUTSCH) Moderation: Markus Brunner Samstag, 18. März 2017 14:00 – 16:00 Uhr
Jan Lohl ‚Ich will mein Deutschland wiederhaben‘. Zur psychoanalytischen Sozialpsychologie der Fremdenfeindlichkeit Fremdenfeindliche Ressentiments, die sich gegen „die Moslems“ und „die Flüchtlinge“ richten, haben eine rasante Verbreitung in der deutschen Mehrheitsgesellschaft gefunden. Diese Ressentiments sind Gegenstand eines Forschungsprojektes, das die Wirkung rechtspopulistischer Propaganda in Deutschland (PEGIDA, AfD) psychoanalytisch und soziologisch untersucht: Welche Repräsentanzen des Eigenen und des Fremden finden sich dort? Was macht ihre affektive Attraktivität aus? Welche Formen zeitgenössischer Subjektivität greift der Rechtspopulismus bewusst und unbewusst auf? Der Vortrag stellt ausgewählte Ergebnisse dieses Projektes vor: Rechtspopulistische Propaganda bearbeitet erstens die melancholischen Konflikte, die mit der neoliberalen Leistungs- und Optimierungsideologie zusammenhängen und in Form von Fremdenfeindlichkeit ‚schiefgeheilt‘ (Sigmund Freud 1921) werden. Zweitens zeigt der Vortrag archaische Männlichkeits- und Sexualitätsentwürfe empirisch auf, die mit der Konstitution von Fremdenfeindlichkeit einhergehen und diese als irrationale Verarbeitung einer Krise des Patriarchats sichtbar werden lassen.
Dr. Jan Lohl, Dipl. Sozialwissenschaftler und Supervisor (DGSv), ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Sigmund-Freud-Institut und Lehrbeauftragter am Institut für Soziologie der Universität Frankfurt. Dort hat er von 2015 bis 2016 die Professur für psychoanalytische Sozialpsychologie vertreten. Zuvor war er am Institut für Soziologie der Universität Hannover tätig und hat zum Thema „Gefühlserbschaft und Rechtsextremismus“ promoviert. Zurzeit habilitiert sich Jan Lohl zur „Sozialgeschichte der Supervision“ und führt ein Forschungsprojekt durch, das die psychische Wirkung rechtspopulistischer Propaganda analysiert. Seine Forschungsschwerpunkte sind psychoanalytische Sozialpsychologie, Psychoanalyse und Sozialforschung, Rechtsextremismus-, Nationalismus- und Antisemitismusforschung. Veröffentlichungen (Auswahl): Gefühlserbschaft und Rechtsextremismus. Eine sozialpsychologische Studie zur Generationengeschichte des Nationalsozialismus (Psychosozial-Verlag, 2010); (zus. mit Brunner, Markus/Burgermeister, Nicole/Schwietring, Marc/Winter, Sebastian) „Psychoanalytische Sozialpsychologie im deutschsprachigen Raum“, in: Freie Assoziation 15 (2012); „‘Morden für das vierte Reich‘. Transgenerationalität und Rechtsextremismus“, in: Lohl, Jan/Moré, Angela (Hg.): Unbewusste Erbschaften des Nationalsozialismus. Psychoanalytische, sozialpsychologische und historische Studien (Psychosozial-Verlag, 2014); „‘Deutsche fordern: Juden raus‘. Antisemitismus nach Auschwitz im Alltagsdiskurs der 1950er Jahre“, in: Busch, Charlotte/Gehrlein, Martin/Uhlig, Tom David: Schiefheilungen. Zeitgenössische Betrachtungen über Antisemitismus (Springer, 2016).
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PANEL 2 (DEUTSCH) Moderation: Markus Brunner Samstag, 18. März 2017 14:00 – 16:00 Uhr
Helmut Dahmer ‘Jews’ und ‘Alis’. Um-Adressierung eines Vorurteils Bei dem, was wir „Antisemitismus“ nennen und (mit Leon Pinsker und Pierre-André Taguieff) besser als „Judo-Phobie“ bezeichnen sollten, handelt es sich um einen speziellen Fall von Xenophobie, der in Europa Epoche gemacht hat. Jahrhundertelang haben hier christianisierte Mehrheiten im Verhältnis zu den in sie eingesprengten jüdischen Minderheiten den Umgang mit „Fremden“ eingeübt. In der Phase zwischen dem Untergang der antiken Kultur und dem Aufkommen der spätmittelalterlichfrühneuzeitlichen Handwerks- und Handelsstädte besorgte das Diaspora-Judentum vor allem den geldvermittelten westöstlichen Fernhandel und schuf damit eine der Voraussetzungen für die spätere kapitalistische Entwicklung. Die Judenfeindschaft, wie sie damals sich herausbildete und als Dispositiv bis heute überlebt, erwuchs aus einer mehrfachen abstraktiven Überforderung der Mehrheit. Das Diaspora-Judentum hatte notgedrungen „Fortschritte in der Geistigkeit“ (Sigmund Freud) gemacht: Als transnationales „Volk ohne Land“ hatte es gelernt, überall und nirgends zuhause zu sein. Als „Volksklasse“ (Abraham Léon) oder „Pariakaste“ (Max Weber) in der feudalen Gesellschaft monetarisierte es den Tauschhandel und trug dadurch zur Auflösung traditionaler Lebensformen bei. Als Religionsgemeinschaft verehrte es den unsichtbaren „Gott des Alten Bundes“, der keiner Menschwerdung bedarf. Der nach dem „Holocaust“ registrierte „Antisemitismus ohne Juden“ hat nach und nach seine historisch-spezifischen Züge eingebüßt. Als generalisierte Xenophobie disponibel geworden, dient er heute der Mehrheit zur Markierung von neuen Hass-Objekten, seien es (muslimische) Zuwanderer, seien es Elends- und Kriegsflüchtlinge.
Prof. Dr. Helmut Dahmer studierte Soziologie und Philosophie bei Helmuth Plessner, Theodor W. Adorno und Jürgen Habermas. In den Jahren 1968–1992 redigierte er die psychoanalytische Monatszeitschrift Psyche. 1984 gehörte er zum Gründungsbeirat des Hamburger Instituts für Sozialforschung. 1974–2002 lehrte er Soziologie an der Technischen Universität Darmstadt. Seit 2002 lebt er als freier Publizist in Wien. Publikationen: Libido und Gesellschaft. Studien über Freud und die Freudsche Linke (Suhrkamp, 1973, 1982; Neuauflage 2013); Pseudonatur und Kritik. Freud, Marx und die Gegenwart (Westfälisches Dampfboot, 1994; Neuauflage 2013); Soziologie nach einem barbarischen Jahrhundert (Facultas, 2001); Divergenzen. Holocaust, Psychoanalyse, Utopia (Westfälisches Dampfboot, 2009); Die unnatürliche Wissenschaft. Soziologische Freud-Lektüren (Westfälisches Dampfboot, 2012); Interventionen (Westfälisches Dampfboot, 2012). *** Dr. Markus Brunner ist Sozialpsychologe und Soziologe. Er lehrt an der ‚Sigmund Freud Privat Universität‘ in Wien und Linz, ist Co-Koordinator des Masterstudienschwerpunktes „Sozialpsychologie und psychosoziale Praxis“ und befindet sich am ‚Seminar für Gruppenanalyse Zürich‘ in Weiterbildung. Er ist u.a. Vorstandsmitglied der ‚Gesellschaft für psychoanalytische Sozialpsychologie‘, Mitglied des Koordinationsteams der ‚AG Politische Psychologie‘, Mitherausgeber der Zeitschriften Freie Assoziation und Psychologie und Gesellschaftskritik und forscht und publiziert im Bereich der Psychoanalyse, psychoanalytischen Sozialpsychologie und kritischen Gesellschaftstheorie. Seine Themenschwerpunkte sind die Nationalismus-, NS- und Antisemitismusforschung, Traumatheorien und -diskurse und psychoanalytische Konzeptdiskussionen. Sporadisch schreibt er auch zu Kulturindustrie, ästhetischer Theorie und moderner Kunst, v.a. Performancekunst, Film und seit Neuerem Comics.
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PANEL 3 (DEUTSCH) Moderation: Daniela Finzi Samstag, 18. März 2017 16:30 – 18:30 Uhr
August Ruhs Das Unbewusste zwischen Festplatte und Bildschirm Der Topos des Unbewussten als relevantes Konstituens menschlichen Seelenlebens und die Annahme unbewusster Vorgänge als wirkmächtige Determinanten unseres Verhaltens haben erst sehr spät und dabei nur sporadisch Eingang in die Wissenschaften vom Menschen gefunden. Der Diskurs und die Dispositive, die Freud darüber errichtete und die zu einem spezifisch freudschen Unbewussten geführt haben, haben sich auch intensiv mit der Frage nach Bau und Lage dieser Instanz beschäftigt. Vorhergehende Annahmen über einen psychophysischen Parallelismus wurden von Freud sehr bald als Irrwege betrachtet und nicht weiter verfolgt, so dass ihn schließlich eine streng psychologische Konzeption zu einem sprachlogisch verfassten Unbewussten führte, das sich als Reservoir abgewehrter und vom Bewusstsein ferngehaltener seelischer Akte und Repräsentanzen erwies. Dessen Verortungsfrage wurde durch die Herausarbeitung von Systemen mit jeweiligen spezifischen Eigenschaften innerhalb eines modellhaften psychischen Apparats gelöst, welcher fernab von anatomischen Lokalisationen, biochemischen Prozessen und physiologischen Vorgängen auf der Grundlage neuronaler Vernetzungen zu denken wäre. Muss man angesichts der möglichen Relationen zwischen den Systemen eine Zweiortigkeit bzw. eine doppelte Niederschrift annehmen oder handelt es sich beim Übergang von einem System in das andere um ein Wechselspiel von Zustandsänderungen? Diese freudsche Frage wurde später von der strukturalen Psychoanalyse wieder aufgegriffen, wobei Lacan eine unterschiedliche Auffassung sowohl gegenüber Freud als auch gegenüber Laplanche und Leclaire vertrat. Mit dem Aufkommen der so genannten modernen Neurowissenschaften und der am Gegenstandsbereich des „mind“ orientierten Neuropsychoanalyse wird auch die Thematik des Unbewussten neu verhandelt. In diesem Zusammenhang wird einerseits mit einem Unbewussten operiert, welches weitgehend der Kategorie des Vorbewussten entspricht, andererseits werden Positionen wiederbesetzt, die dem von der traditionellen Psychoanalyse aufgegebenen psychophysischen Parallelismus entsprechen. Dabei schiebt sich ein prozedurales und entsubjektiviertes Unbewusstes in den Vordergrund, welchem im Körperrealen jenseits bewusstseinsfähiger Repräsentanzen und verhaltensbestimmender Phantasmen nachgespürt wird. Übertragen auf die Begrifflichkeit eines zerebralen Computers stehen vor allem Hardware- und Betriebssystemfragen und nur bedingt eine Arbeit mit und an der Software auf dem wissenschaftlichen Prüfstand.
August Ruhs, Univ.-Prof., Dr.med., Facharzt für Psychiatrie, Neurologie und Psychotherapeutische Medizin, Psychoanalytiker (IPV), Gruppenpsychoanalytiker, Psychodramatiker. Medizinstudium in Graz, 1969 und 1970 Stipendiat an der ‚Menninger Foundation/School of Psychiatry‘ (Topeka/Kansas) und an der ‚Clinique Universitaire Ste.-Anne‘ in Paris. 1976 – 1979 Assistenzarzt an der ‚Hardtwaldklinik II für psychogene Erkrankungen‘ in Zwesten (BRD), anschließend im psychotherapeutischen Ambulatorium der Wiener Gebietskrankenkasse tätig. Ab 1983 an der Wiener ‚Univ.-Klinik für Psychoanalyse und Psychotherapie‘, bis 2011 stellvertretender Vorstand. Lehranalytiker im ‚Wiener Arbeitskreis für Psychoanalyse‘, von 2007 bis 2015 dessen Vorsitzender. Seit 2007 Leiter der psychosozialen Beratungsstelle an der ‚Akademie der bildenden Künste Wien‘. Mitbegründer und Vorsitzender der ‚Neuen Wiener Gruppe/Lacan-Schule‘. Vorstandsmitglied der ‚Sigmund-Freud-Gesellschaft‘. Seit 1992 Mitherausgeber der Zeitschrift texte. psychoanalyse. ästhetik. kulturkritik (Passagen Verlag). Zahlreiche Publikationen aus dem Bereich der klinischen, theoretischen und angewandten Psychoanalyse, u. a. Der Vorhang des Parrhasios. Schriften zur Kulturtheorie der Psychoanalyse (Sonderzahl-Verlag, 2003) und Lacan – Eine Einführung in die strukturale Psychoanalyse (Löcker, 2010). 8
PANEL 3 (DEUTSCH) Moderation: Daniela Finzi Samstag, 18. März 2017 16:30 – 18:30 Uhr
Edith Seifert Das Unbewusste als ‘Missing Link’. Über den ‘Gap’ zwischen Neurowissenschaft und psychoanalytischer Theorie Ausgangspunkt meines Vortrags ist die Hypothese, dass die Neurowissenschaften wissenschaftstheoretisch einen wichtigen Beitrag zur Psychoanalyse leisten, sie mit den Grundannahmen der Psychoanalyse am Ende aber unvereinbar sind. Obwohl Freuds Diktum, dass das Ich „nicht Herr im eigenen Haus“ ist, sowohl für die Logik des Zentralen Nervensystems wie für die des Unbewussten zutrifft, nehmen beide Disziplinen verschiedene Ziele in den Blick. Während die Neurowissenschaften auf die Vernetzung des Lebendigen abzielen, liegt der Fokus der Psychoanalyse auf dessen unvermeidlicher Spaltung.
Edith Seifert, Dr. habil., Psychoanalytikerin in Berlin, Supervisorin in Einrichtungen der Jugendhilfe, von 1989 bis 2014 Lehrbeauftragte, dann Universitätsdozentin für psychoanalytische Pädagogik an der Universität Innsbruck. Veröffentlichungen: Was will das Weib? Zu Begehren und Lust bei Freud und Lacan (Quadriga, 1987); (Hg.) Perversion der Philosophie. Lacan und das unmögliche Erbe des Vaters (Tiamat, 1992); zs. mit Iris Hanika: Die Wette auf das Unbewußte oder Was Sie schon immer über Psychoanalyse wissen wollten (Suhrkamp, 2006); Seele – Subjekt – Körper. Freud mit Lacan in Zeiten der Neurowissenschaft (Psychosozial-Verlag, 2008). Derzeitiges Arbeitsinteresse: Psychoanalytische Aspekte der Reproduktionsbiologie. *** Daniela Finzi ist Kultur- und Literaturwissenschaftlerin mit den Forschungsschwerpunkten Psychoanalyse, Kulturtheorie und Gender Studies. Sie arbeitet seit 2009 im Sigmund Freud Museum und als externe Lehrende an der Universität Wien; seit 2016 ist sie Vorstandsmitglied und wissenschaftliche Leiterin der Sigmund Freud Privatstiftung. Sie ist Mitherausgeberin der Reihe Sigmund Freuds Werke. Wiener Interdisziplinäre Kommentare (V&R unipress) und von aka|Texte (Turia+Kant). Zu ihren Publikationen zählen u.a. die Monographie Unterwegs zum Anderen? Literarische Er-Fahrungen der kriegerischen Auflösung Jugoslawiens aus deutschsprachiger Perspektive (Francke, 2013); der Sammelband Die Lust an der Kultur/Theorie. Transdisziplinäre Interventionen (gem. mit Anna Babka und Clemens Ruthner; Turia+Kant, 2012) und zuletzt die Aufsätze „Übertragung“ (in: Schmidt, Matthias (Hg.): (Rück)Sendungen. Zu Jacques Derridas Envois/Sendungen. Turia+Kant, 2015); „Verunsicherungswissenschaft Psychoanalyse“ (in: Lind, Gerald/Pany, Doris (Hg.): Ambivalenzraum Universität. Neofelis, 2016) sowie „Zwischen Freud’schem ‚Familienroman‘ und Bal’scher ‚Cultural Analysis‘: Edmund des Waals Der Hase mit den Bernsteinaugen (in: Hárs, Endre (Hg.): Ringstraßen. Kulturwissenschaftliche Annäherungen an die Stadtarchitektur von Wien, Budapest und Szeged. Praesens, 2016).
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