Wertlose Drake-Formel unterschätzter P B -Faktor

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Author: Leon Weber
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den kaum ein Astronom ohne zu Erröten in den Mund genommen hätte, sind heute fast Mainstream, ja sogar salon- und zitierfähig geworden. Was einst undenkbar war, ist längst Gegenstand wissenschaftlicher Diskussionen und könnte morgen schon Realität sein. Warum sollte dieses ungeschriebene Gesetz für die Astrobiologie nicht gelten? Negierten nicht gestandene Astronomen noch vor zwei Dekaden die Existenz von Planeten außerhalb des Sonnensystems? Da draußen, so lautete deren strenges Dogma, erfüllen bestenfalls Asteroiden, Sterne und Galaxien den Raum mit materiellem Leben. Von lunaren, geschweige denn planetaren Sterntrabanten seien mitnichten irgendwelche Spuren erkennbar. Mussten diese Zweifler inzwischen nicht allesamt zurückrudern und kleinlaut zugeben, dass in unserer Milchstraße – und damit auch in den übrigen 200 bis 500 Milliarden Galaxien unseres Universums – Planeten allerorts den funkelnden Sternen längst den Rang abgelaufen haben? Ja, wir wissen heute, dass erdähnliche und erdunähnliche Exoplaneten im Universum die Regel sind. Und wir müssen davon ausgehen, dass viele von ihnen Horte biologischen oder nichtbiologischen Lebens sind, dass auf den fernen Welten Intelligenzen existieren, einmal existiert haben oder noch existieren werden. Und sofern diese eine Sensibilität für das Universum mitsamt seinen Sternen und Galaxien sowie Bewohnern aufbringen, werden sie pessimistisch gestrickten mathematischen Astrobiologie-Modellen à la Watson oder Newman keinen Raum und keine Zeit schenken. Nein, sie werden stattdessen vielmehr nach ihren Brüdern und Schwestern in Raum und Zeit suchen, so wie dies die irdischen Horcher in weiser Voraussicht seit knapp 50 Jahren in die Tat umsetzen.

Wertlose Drake-Formel – unterschätzter PB-Faktor Ozma, das auf diesen märchenhaften Namen getaufte erste echte SETI-Projekt der Wissenschaftsgeschichte, war gerade einmal ein Jahr alt, als sein Initiator Frank Drake nach einjährigem »Dämmerzustand«184 von dem Verwaltungsoffizier des Weltraumforschungsvorstands der »National Academy of Sciences«, J. Peter Pearman, angerufen wurde. In Würdigung des Ozma-Projekts versuchte der eloquente Engländer eine Konferenz am »National Radio Astronomy Observatory« (NRAO) in Green Bank zu organisieren, an der neben Drake noch weitere ausgewählte Spezialisten teilnehmen und das erste Mal gezielt über die Wahrscheinlichkeit von intelligenten außerirdischen 184) Drake, Frank/Sobel, Dava: Signale von anderen Welten. Mit dem NASA-SETI-Projekt auf der Suche nach fremden Intelligenzen, Droemersche Verlagsgesellschaft/Knaur, München 1994, S. 94.

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Lebensformen philosophieren und diskutieren sollten. Drake, der für dieses Vorhaben sofort Feuer und Flamme war und auch seinen Chef, Otto Struve, hierfür begeistern konnte, begann postwendend mit der Planung der Sitzung und erstellte zusammen mit Pearman eine vorläufige Gästeliste. Während Pearman sich schwerpunktmäßig um die logistischen und organisatorischen Dinge rund um den kleinen Kongress kümmerte, richtete Drake sein Augenmerk auf die wissenschaftlichen Inhalte und denkbaren Themen.185 Eine gut strukturierte Tagesordnung mit der detaillierten Reihenfolge der zu besprechenden Inhalte musste her; eine, die eine lebhafte, aber substanzielle Debatte garantierte. Nachdem Drake einige wichtige Diskussionspunkte notiert hatte, sah er sich der Frage gegenüber, in welcher Abfolge die Themen behandelt werden sollten. Da die Tagesordnungspunkte alle von gleicher Wichtigkeit waren und ferner in keinem direkten Verhältnis zueinander standen, zog Drake die einzelnen Faktoren einfach zu einer aus simplen Multiplikationen bestehenden Formel zusammen, mit der die Anzahl hoch entwickelter und kommunikationsbereiter Zivilisationen im All bestimmt werden sollte. »Also gab ich jedem Tagesordnungspunkt ein Symbol mathematischer Art und konnte auf diese Weise die gesamte Agenda für die Konferenz in einer einzigen Zeile zusammenfassen.«186 Als Drake das Programm für die Sitzung aufgeschrieben und die einzelnen Diskussionsthemen geordnet hatte, sah er auf eine konfus wirkende kryptische Buchstabenfolge, die in der astrobiologischen Forschung und SETISzene gegenwärtig sakrosankten Charakter hat, aber erst in den 1970er-Jahren allmählich Bekanntheit erlangte. Dabei war der Schriftzeichensalat optisch durchaus ansehnlich und von mathematischer Einfachheit sowie logischer Stringenz:

185) Dick, Steven J.: Life on other Worlds. The 20th-Century Extraterrestrial Life Debate, Cambridge University Press, Cambridge 1998, S. 209. 186) Drake, Frank/Sobel, Dava. Signale von anderen Welten, a.a.O., S. 104.

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N = R fp ne fl fi fc L N Anzahl intelligenter Zivilisationen in der Galaxis, die im Moment auf Sendung bzw. kommunikationsbereit sind R mittlere Geburtenrate von geeigneten langlebigen Sternen in der Galaxis pro Jahr fp Bruchteil der Sterne, die Planeten bilden, besitzen und halten ne Anzahl der bewohnbaren erdähnlichen Planeten, die ihren Stern im richtigen Abstand (habitable Zone) umlaufen fl

Bruchteil der Planeten, auf denen tatsächlich Leben entsteht

fi

Bruchteil der Planeten, auf denen intelligente Lebensformen herangebildet werden

fc Bruchteil der intelligenten Zivilisationen, die die Technologie und Motivation haben, eine interplanetare Kommunikation zu etablieren L

Lebensdauer einer technologischen Zivilisation; die Zeitdauer, in der E.T. auf Sendung ist

Als sich am 1. November 1961 die zehn geladenen Gäste in einem kleinen Konferenzzimmer in Green Bank einfanden, ahnte keiner der Anwesenden, dass ihr Treffen einmal von wissenschaftshistorischer Bedeutung sein würde. Tatsächlich erachtete es damals keiner für notwendig, ein Sitzungsprotokoll anzufertigen oder ein Erinnerungsfoto zu schießen. Man verzichtete auch darauf, die Medien über die ungewöhnliche Tagung zu unterrichten, obwohl die amerikanische Presse paradoxerweise über einen der Teilnehmer förmlich herfiel, ohne von dem wunderlichen Thema der Sitzung näher Notiz zu nehmen. Der Grund hierfür war die Bekanntgabe der Verleihung des Nobelpreises für Chemie (1961) an Melvin Calvin, der dem erlesenen Zirkel jener auserwählter Wissenschaftler angehörte, die zum ersten SETI-Treffen geladen waren.187 Nachdem Struve seine Begrüßungsrede gehalten und Drake als Ouvertüre die ersten Faktoren seiner Gleichung an die Tafel geschrieben hatte, entbrannte eine engagierte Debatte, die in einen »Diskussionsmarathon« mündete.188 Bei jeder Gelegenheit, ob im Sitzungsraum, in der Cafeteria oder beim Spazierengehen, sezierten die Wissenschaftler, die aus völlig verschiedenen Fachbereichen und Denkrichtungen kamen, die Formel genauestens. Am stärksten ins Blickfeld rückte dabei ihr letzter Faktor, den Drake mit L

187) Näheres zu den Teilnehmern siehe Drake/Sobel, a.a.O., S. 95 ff. 188) Ebd., S. 111.

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umschrieben hatte und den Carl Sagan Jahre später als »Hauptunsicherheitfaktor« bezeichnen sollte.189 Dass sich an der Frage nach der Langlebigkeit von intelligenten Zivilisationen die lebhafteste Diskussion entzündete, muss in Zusammenhang mit dem auch damals schon vielbeschworenen Zeitgeist gesehen werden. Als die Teilnehmer der Green-Bank-Konferenz über die Möglichkeit grübelten, ob nicht technisch hochstehende, mit Massenvernichtungswaffen bestückte außerirdische Kulturen automatisch Gefahr liefen, in einen finalen Krieg zu schlittern und sich dabei gegenseitig völlig zu vernichten, war es nämlich um den Frieden auf Mutter Erde selbst nicht gut bestellt. Die beiden Supermächte USA und Sowjetunion steuerten geradewegs auf einen militärischen Konflikt zu, der die Menschheit ein Jahr später tatsächlich bis an den Rand des Abgrunds führte. Hätten Diplomaten im Oktober 1962 der Kuba-Krise nicht rechtzeitig Einhalt geboten und die militärische Eskalation zwei Minuten vor Zwölf entschärft, wäre der Faktor L der Drake-Gleichung zu einem tragischen Fanal der Menschheitsgeschichte verkommen. Man mag es daher gerne als Ironie der Geschichte bezeichnen, dass Drake und seine Kollegen just zu einem Zeitpunkt über die Lebensdauer von Zivilisationen im All fabulierten, als die Ära des Kalten Kriegs noch nicht einmal ihren Höhepunkt erreicht hatte. So gesehen kam im Hinblick auf das Schicksal der Erde dem L-Faktor der Drake-Formel eine gesonderte Bedeutung zu. Genau genommen definiert L die zeitliche Lebensspanne einer technischen Zivilisation, die das Interesse und die Fähigkeit für eine interstellare Kommunikation mitbringt.190 Dennoch fokussierte sich 1961 alles auf die Frage, wie lange wohl eine erdähnliche Zivilisation, die technologisch in der Lage ist, via elektromagnetischer Strahlung interplanetare Botschaften auszutauschen, trotz der Nutzung von Atomkraft die kritischste Phase ihres Seins überwinden kann.191 Ist der Exitus einer fortgeschrittenen Technologie programmiert, sobald sie ein Stadium erreicht hat, das ihr den Bau von Atom- oder Wasserstoffbomben ermöglicht? Nachdem Drake und sein Team fleißig debattiert, gestritten und sich für jeden Faktor auf mindestens einen Wert geeinigt hatten, kristallisierte sich am Ende des Meetings sogar eine Zahl heraus. Sie war zwar alles andere als konkret, vermittelte dafür aber immerhin einen zeitgenössischen Eindruck davon, wie viele intelligente Zivilisationen nach Ansicht einiger ausgewählter irdischer Wissenschaftler der 1960er-Jahre in der Milchstraße beheimatet sein könnten. Unter Anwendung der Drake-Formel kam der exklusive Kreis 189) Sagan, Carl, Unser Kosmos, a.a.O., S. 313. 190) Sagan/Shklovskii: Intelligent Life in the Universe, a.a.O., S. 412. 191) Drake/Sobel, a.a.O., S. 119 f.

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seinerzeit auf eine Zahl von mindestens 1000 bis maximal 100 Millionen höherstehende Zivilisationen in der Galaxis.192 Fünf Jahre später konkretisierte Carl Sagan besagten Wert. Er folgerte, dass – wenn nur ein Prozent der Zivilisationen ihre technologische Jugendzeit übersteht und am kritischen historischen Scheideweg den richtigen Pfad einschlägt –, allein in unserer Milchstraße eine Million (N~106) davon überleben müssten.193 Lassen wir die Gespräche am NRAO mitsamt Agenda-Formel Revue passieren, ist der in West-Virginia abgehaltene Kongress en miniature fraglos höher zu bewerten als die Drake-Gleichung selbst. Schließlich steht er für den ersten Versuch, außerirdische Intelligenz zu quantifizieren. Erstmals verabredeten sich Forscher aus den unterschiedlichsten Disziplinen, um über ferne Hochkulturen im Universum nachzudenken. Für Carl Sagan war die GreenBank-Konferenz aber noch mehr: »Es war wunderbar. All diese guten Wissenschaftler verdeutlichten, dass es keineswegs Unsinn war, sich über das Thema Gedanken zu machen. […] die Tatsache, dass sie kamen, belegte, dass sie das Ganze nicht für ausgemachten Humbug hielten. […] Es war wie eine 180Grad-Wende von diesem dunklen und peinlichen Geheimnis.«194 Tatsächlich lag nach dem Green-Bank-Meeting etwas völlig Neues in der Luft. Ein frischer Wind wehte durch etliche verstaubte Elfenbeintürme und ermutigte viele Wissenschaftler, sich selbst dem heiklen Sujet zu nähern. Viele taten dies. Nach dem Treffen in Green Bank überschwemmte eine wahre Flut von Artikeln über SETI die Wissenschaftslandschaft. Selbst im renommierten »Science«-Magazin häuften sich die Beiträge mit außerirdischem Bezug. Drakes »Baby« war nach seinen ersten Gehversuchen (OZMA) auf dem besten Weg, das Laufen zu erlernen. Das Meeting markierte auch eine andere Zäsur: Es bildete den Startschuss für weitere SETI-Konferenzen, von denen sicherlich die spektakulärste die erste gemeinsame sowjetisch-amerikanische Tagung über Kommunikation mit extraterrestrischen Intelligenzen war, die im September 1971 in der Nähe von Byurakan (Armenien) abgehalten wurde.195 Das Einzige jedoch, was wirklich auf der Strecke blieb, war die DrakeFormel selbst. Sie entpuppte sich als reine Agenda-Gleichung, mit der nüchtern betrachtet die Anzahl bewohnter Welten mit hochstehenden Lebensformen mitnichten bestimmt, geschweige denn abgeschätzt werden konnte. 192) Ebd., S. 121. 193) Sagan/Shklovskii, a.a.O., S. 413. 194) Dick, Steven J.: Life on other Worlds, a.a.O., S. 211.

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Gewiss, auch in der Vor-Green-Bank-Ära räsonierten bereits honorige Wissenschaftler vom Schlage eines Fred Hoyle, Harlow Shapley oder Ronald Bracewell über extraterrestrische Kulturen im All. Shapley, der frühere Direktor des Harvard-Observatoriums, nahm in seinem 1958 erschienenen Buch »Of Stars and Men« Bezug auf die Häufigkeit intelligenter Lebensformen im Universum, ohne dabei einen Zusammenhang zur interstellaren Kommunikation herzustellen. Obgleich Shapley die Anzahl der Planetensysteme in der Galaxis auf 106 bis 109 veranschlagte, vermutete er seltsamerweise auf keinem davon intelligente Lebensformen.196 Der US-Radioastronom und Ingenieur Ronald Bracewell hingegen ließ in diversen Diskussionen und Vorträgen durchblicken, dass er die Existenz fortgeschrittener Zivilisationen in der Galaxis für möglich halte, wobei er aber seine Überlegungen nur als Grafiken und nicht etwa Formeln festhielt.197 Grafik hin – Formel her: Die Anwendung der Green-Bank-Gleichung führt auch heute – fast 50 Jahre später – immer noch zu völlig verschiedenen Ergebnissen. Optimisten garantierte sie stets schöne Zahlen, weil hoffnungsvolle Frohnaturen bekanntlich die Größe der einzelnen Faktoren viel freigiebiger berechnen als notorische Pessimisten, die naturgemäß ein eher negativeres Ergebnis erwarten und auch erhalten. Sehen wir einmal von dem Faktor R ab, also der mittleren Sternentstehungsrate in der Galaxis pro Jahr, für den der astronomisch gesicherte Wert 1 gilt (jährlich ein neuer Stern in der Milchstraße), so sind alle andere Faktoren der Formel nach Belieben austauschbar, weil von ihnen kein realer konstanter Wert bekannt ist. Wer N bestimmen will, müsste im Gedankenexperiment zunächst einmal alle Größen abschätzen, wohl wissend, dass die einzelnen Faktoren nicht zu klein sein dürfen. Welche Zahl als Multiplikator jedoch zu wählen ist, bleibt im Endeffekt dem Gutdünken jedes Einzelnen überlassen. Letzten Endes ist es nämlich immer auch eine perspektivische Frage, ob beispielsweise der Faktor fi, also die Anzahl der Planeten mit intelligenten Lebewesen, hoch oder gering veranschlagt werden soll. Wie bereits erwähnt – Optimisten werden hier zwangsläufig einen anderen Zahlenwert wählen als Pessimisten und somit auch 195) »Ich hatte die Ehre, bei dieser Konferenz der US-Delegierten vorzustehen. […] Die Kongressteilnehmer kamen zu dem Entschluss, dass sowohl die Wahrscheinlichkeit der Existenz extraterrestrischer zur Kommunikation fähiger Zivilisationen als auch unsere gegenwärtigen technologischen Möglichkeiten, mit ihnen Kontakt aufzunehmen, ausreichend wären, um eine ernsthafte Suche zu rechtfertigen.« So Carl Sagan u. Jerome Agel: Nachbarn im Kosmos. Leben und Lebensmöglichkeiten im Universum, Kindler-Verlag, München 1975, S. 161. 196) Shapley, Harlow: Of Stars and Men. Human response to an expanding universe, Boston 1958, S. 53–75 u. S. 108–114. 197) Dick, Steven J.: Life on other Worlds, a.a.O., S. 210.

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andere Ergebnisse provozieren. In einem Punkt enttäuscht die Drake-Formel allerdings nicht, führen doch ihre kosmischen, biologischen, historisch-politischen und technologischen Faktoren klar vor Augen, wie schwer es ist, auch auf theoretischer Ebene den Nachweis außerirdischer Intelligenz zu erbringen.198 Für einen Faktor gäbe es immerhin einen neuen Parameter. Denn streng genommen müssten die SETI-Akteure infolge des stetig wachsenden Katalogs der Exoplaneten die extrapolierte Anzahl kommunikationsfähiger Zivilisationen weiter nach oben korrigieren. Auch wenn die Planetenjäger noch keinen erdähnlichen Planeten in der Ökosphäre seines Zentralgestirns lokalisiert haben und demzufolge über den Faktor ne der Drake-Formel vorerst nur spekulieren können, gehen alle felsenfest davon aus, dass Felsenplaneten – wie die Erde – in der Galaxis millionen- bis milliardenfach vertreten sind. Der geneigte SETI- und Drake-Formel-Fan darf für den ne-Faktor ruhig aus dem Vollen schöpfen, vor allem dann, wenn das NASA-Weltraumteleskop Kepler alsbald erdähnliche Welten aufspürt. Trotz alledem ist von der Sisyphosarbeit abzuraten, die Faktoren der Drake-Formel immer wieder detailliert aufs Neue durchzudiskutieren und zu verändern. Zahlreiche Autoren und Wissenschaftler haben dies in der Vergangenheit zu Genüge getan, ohne dabei auch nur einen wissenschaftlich fundierten N-Zahlenwert vorlegen zu können. Nein, die als Agenda konzipierte Drake-Formel ist fürwahr eine Gleichung ohne Wert, ein »Kompositum von Unsicherheiten«,199 eine Ansammlung von Unbekannten, die deshalb unbekannt bleiben, weil sie erstens nicht zu bestimmen sind und zweitens einfach zu viel Raum für Spekulationen und Interpretationen lassen. Umso erstaunlicher ist, dass der Drake'schen Formel nach wie vor eine so große Bedeutung zugeschrieben wird, dass mancher SETI-Anhänger sie idealisiert und von ihr Wundersames erwartet. Dabei zeigte sich ihr geistiger Vater über die nachhaltige Wirkung seiner Kreation am meisten erstaunt: »Es überrascht mich immer wieder, dass diese Gleichung als eine der großen Ikonen der Wissenschaft betrachtet wird, da sie mir weder großartige intellektuelle Anstrengungen noch Einblicke abverlangt hatte.«200

198) Heidmann, Jean: Bioastronomie. Über irdisches Leben und außerirdische Intelligenz, Springer-Verlag, Berlin/Heidelberg 1994, S. 134. 199) Drake/Sobel, S. 93. 200) Ebd., S. 104 f.

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Aber was auch immer ihr bis heute angedichtet wird – es ist mit Blick auf die Drake-Formel an der Zeit, die Rechenschieber beiseite zu legen und auf ergänzende Hochrechnungen im Computerexperiment oder PC-Simulationen zu verzichten. Sich der Hoffnung hinzugeben, von ihr jemals eine zuverlässige, richtungweisende Antwort über die Häufigkeit des Vorhandenseins von Intelligenz im Universum zu erhalten, wäre einerseits naiv, andererseits höchst unwissenschaftlich. Denn keine Formel der Welt, kein irdisches Genie, kein Supercomputer, kein Alien und mit Sicherheit auch nicht die fortgeschrittenste Superzivilisation unserer Galaxis, die einen Großteil davon exploriert haben mag, kann die Anzahl der Hochkulturen in der Milchstraße mathematisch oder mithilfe von Raumfahrtmissionen auch nur annähernd ermitteln. Die Green-Bank-Formel steht zwar nicht für den Fortschritt in der Exobiologie, geriert sich aber so, als wäre sie zukunftsweisend und selbst dem Science-Fiction-Kosmos entsprungen. Sie wirkt rätselhaft und mysteriös und taugt keineswegs als mathematische Formel, weil man von solchen prinzipiell eine Lösung erwartet, womit das Drake'sche Buchstabengebilde eben nicht dienen kann. Für den bekannten Astrophysiker und SF-Autor David Brin ist dies ein Grund mehr, sie als Pseudoformel abzuwerten.201 Wer wissen will, wie viele hoch technisierte Zivilisationen einmal in der Vergangenheit im All gelebt haben, in der gegenwärtigen Vergangenheit leben oder in Zukunft noch leben werden, sollte die Realität besser verlassen und tunlichst den Spuren der eingangs erwähnten Science-Fiction-Autoren folgen. Bei alledem fehlt fraglicher Gleichung ein entscheidender Parameter, einer, der in der Vergangenheit dem staatlich geförderten Suchprogramm tatsächlich den Todesstoß versetzte. Wir wollen ihn mit Pb umschreiben, wobei P für Politician (Politiker) und klein b für Bigotry (Engstirnigkeit/blinder Eifer) steht. Nicht ganz unzufällig repräsentieren beide Lettern auch die jeweils ersten Buchstaben der Nachnamen zweier US-Senatoren, die sich in der SETI-Szene einen berühmt-berüchtigten Namen erworben haben: Richard Bryan aus Nevada und William Proxmire aus Wisconsin. Beide demokratischen Politiker versuchten ehemals mit großer Verve, den Geldhahn für das staatlich geförderte SETI-Programm zuzudrehen. Während Proxmires Vorstoß 1982 noch im letzten Moment abgeblockt werden konnte, brachte Senator Bryan das NASA-SETI-Projekt elf Jahre später gänzlich zu Fall. Nach einer Vorbereitungszeit von 15 Jahren und investierten 60 Millionen Dollar strich der amerikanische Kongress 501 Jahre nach der Wiederent201) Brin, David: Die Gefahren des Erstkontaktes, in: Leben im All. Positionen aus Naturwissenschaft, Philosophie und Theologie, Hrsg.: Tobias Daniel Wabbel, Patmos-Verlag, Düsseldorf 2005, S. 87–113.

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deckung Amerikas durch Christoph Columbus alle angedachten finanziellen Zuschüsse – irreversibel und kompromisslos. Das auf zehn Jahre angelegte Suchprogramm segnete bereits nach einjähriger Observationsphase wieder das Zeitliche. Damals glaubte man wie heute, die Steuergelder besser in Kampfflugzeuge und Nuklearwaffen investieren zu müssen. Kurz vor der Abstimmung im Kongress frohlockte Richard Bryan noch voller Häme, dass die große Jagd nach Marsmenschen aus gutem Grund endlich zu einem Ende kommen werde: »Bis heute wurden dafür Millionen ausgegeben, und wir haben immer noch nicht einen einzigen kleinen grünen Kerl eingefangen. Nicht ein einziger Marsmensch hat gesagt: Bringt mich zu Eurem Präsidenten […].«202 Jahre zuvor, Anno Domini 1978, hatte Senator Proxmire, immerhin der mächtigste Mann im Bewilligungsausschuss des Senats, ähnlich niveauvoll gegen SETI gewettert und das Forschungsprojekt sogar bewusst ins Lächerliche gezogen. Er denunzierte Drakes Arbeit sogar öffentlich, ohne dessen Namen direkt zu erwähnen.203 Anstatt mit blitzgescheiten Argumenten zu überzeugen, polemisierte Proxmire auf höchst billige Weise gegen das NASASETI-Suchprogramm. In Verkennung der physikalischen Tatsache, dass ein Lichtjahr eigentlich kein Zeitmaß ist, forderte der exaltierte Senator, das Projekt »für einige Millionen Lichtjahre« zurückzustellen. Tatsächlich reduzierte sich infolge seiner Intervention die staatliche Unterstützung für SETI eine Zeitlang spürbar, brachte laut Drake das NASA-SETI-Projekt sogar an den »Rand des Untergangs«.204 Wenn wir einmal die genaueren Hintergründe und Nebenschauplätze dieser beiden wenig erquicklichen politischen Possen außer Acht lassen und uns deren gemeinsamen Kern näher anschauen, wird schnell deutlich, dass dem Faktor PB eine ebenso schicksalhafte Bedeutung zukommt wie dem L-Multiplikator. Wir haben uns auf Mutter Erde längst daran gewöhnt, dass in Politik, Wirtschaft und Industrie, aber auch im Bankenwesen, eben dort, wo die vermeintlichen Herrn der Macht schalten und walten, mathematisch gesprochen der Faktor Kurzsichtigkeit die größte Bekannte und der Faktor Weitsicht die größte Unbekannte ist. Wo eigentlich Weitblick gefragt ist – nur mit einem solchen lassen sich erfahrungsgemäß neue Horizonte erblicken –, steht das Denken und Handeln der Mächtigen vielmehr im Sternzeichen Pecunia. 202) Dick, Steven, Life …, a.a.O., S. 230. 203) Näheres zu den Hintergründen siehe Drake/Sobel, a.a.O., S. 319–325. 204) Ebd., S. 325.

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Auf den von unserem Heimatstern aus gesehen dritten Planeten des Sonnensystems scheitert die Suche nach außerirdischer Intelligenz nicht an fehlendem technischen Know-how, sondern eher an vorhandenen finanziellen Engpässen. Was sich in Dagobert Ducks Augen so gerne widerspiegelt, trübt vor allem den Blick der irdischen Verantwortungsträger. Die Dollarscheine im Gesichtsfeld, bringen diese für Grundlagenforschung keine Geduld auf, weil eine solche in ihren Augen keine schnellen Ergebnisse und folglich keinen lukrativen Gewinn garantiert. Im Besonderen gilt dies für die SETI-Programme, mit denen im Grunde genommen auch Grundlagenforschung betrieben wird. Sollten nun auf fernen Planeten ähnliche Zustände wie auf unserer materialistischen Welt herrschen und kurzsichtige, in Legislaturperioden denkende Verantwortungsträger à la Proxmire und Bryan ihre Suchprogramme nach »Aliens« absägen, dann lautet die Rechnung: PB =0 woraus wiederum folgt, dass N=0 ist. Dadurch bedingt gäbe es also keine entdeckbaren Fremdlinge im Weltraum, da die Erfahrung uns lehrt, dass man nur einen einzigen Proxmire benötigt, um eine Kultur von der Kommunikation mit kosmischen Nachbarn abzuschneiden.205 Wir wissen nicht, auf wie vielen fernen Planeten ähnlich intellektuell beschränkte Lebewesen wie unsere beiden US-Senatoren exobiologische Suchprogramme zu Fall bringen. Zu wünschen wäre dies keiner Welt, keinem Alien-Geschlecht, von denen im Universum mit Sicherheit mehr existieren, als wir es uns in unseren kühnsten Träumen ausmalen können. Nein, die Wahrscheinlichkeit, dass außerirdische Intelligenz kein seltenes kosmisches Phänomen ist, muss sehr hoch sein, weil unser Universum uns tagtäglich vor Augen führt, wie kreativ, ideenreich und fantastisch es ist. Das Universum ist ein Hort des Lebens, weil es lebt! Wer es nicht glaubt, betrachte nur die aussagekräftigen Astro-Fotos der zahlreichen Weltraumteleskope und versuche zugleich zu visualisieren, dass neben unserer Milchstraße noch 200 bis 500 Milliarden andere Galaxien als Materie-Oasen durchs Weltall driften. Er möge dabei auch bedenken, dass die von Carl Sagan mithilfe der Drake-Formel berechneten eine Million Zivilisationen und die von dem deutschen Astrophysiker Peter Ulmschneider extrapolierten zwei Millionen Kulturen, die allein in der Galaxis in den letzten fünf Milliarden Jahren aufgekommen sein könnten,206 Zahlenwerte sind, die nur für die Milchstraße gelten. Schließlich beziehen sich alle Faktoren der Green-Bank205) So Drake/Sobel, a.a.O., S. 325 f. 206) Ulmschneider, Peter: Intelligent Life in the Universe: Principles and Requirements behind its Emergence, Springer, Berlin/Heidelberg 2006, S. 270.

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Gleichung auf unsere Galaxis, auf unsere Welteninsel (obwohl die DrakeFormel natürlich auch auf andere Galaxien anwendbar ist; nur besitzen wir von diesen weitaus weniger Informationen als von der Milchstraße!). Aber schließen wir doch zum Abschluss den Kreis und lassen wenigstens einen der eingangs erwähnten Science-Fiction-Autoren zu Wort kommen, der zu den bekanntesten seines Genres zählt und der eine klare Meinung zu intelligenten Lebensformen im All hat – Arthur C. Clarke (1917–2008): »Vielleicht sind die Extraterrestrischen auch schon unterwegs, wer will das schon genau sagen? Wir haben ja unsere Anwesenheit auf der Erde ziemlich deutlich gemacht, durch unsere Radioprogramme, durch Radarstrahlen und unsere Atomexplosionen. Sie müssten längst von unserer Existenz wissen. [...] Die unwahrscheinlichste Hypothese von allen ist, dass wir der einzige bewohnte Planet in diesem gigantischen Universum sind. Das ist angesichts der immensen Räume im Kosmos zweifelsfrei nicht so.«207 Wir mögen auf der Jagd nach unseren Brüdern und Schwestern im All noch so viele Formeln erfinden, anwenden, damit spekulieren, hochrechnen und extrapolieren – all dies führt letzten Endes in eine Sackgasse. Wollen wir uns ET nähern, müssen wir aktiv forschen, hinhören, hinsehen und vielleicht eines Tages sogar hinfliegen, so wie einst Astronaut Dave Bowman, jene Hauptfigur im Science-Fiction-Universum des großen Arthur C. Clarke, der in dem legendären Film »2001: Odyssee im Weltraum« mit dem Ausspruch »Oh my God, it’s full of stars!« auf höchst elegante Art und Weise die Anwesenheit extraterrestrischer Intelligenz versinnbildlichte.

207) »Vielleicht sind die Extraterrestren schon unterwegs«. Interview mit Arthur C. Clarke, in: Süddeutsche Zeitung (08.07.2005).

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