Wenn Agenten sich streiten

Gordon Bernedo Schneider Wenn Agenten sich streiten Ein Agentenmodell zur Erforschung sozialer Konflikte kassel university press Die vorliegende ...
1 downloads 2 Views 17MB Size
Gordon Bernedo Schneider

Wenn Agenten sich streiten Ein Agentenmodell zur Erforschung sozialer Konflikte

kassel university

press

Die vorliegende Arbeit wurde vom Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Universität Kassel als Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Philosophie (Dr. phil.) angenommen. Erster Gutachter: Prof. Dr. Andreas Ernst Zweiter Gutachter: Prof. Dr. Frank Beckenbach Tag der Disputation

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar Zugl.: Kassel, Univ., Diss. 2009 ISBN print: 978-3-89958-852-1 ISBN online: 978-3-89958-853-8 URN: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0002-8532 © 2010, kassel university press GmbH, Kassel www.upress.uni-kassel.de

Printed in Germany

20. November 2009

Vorwort Die vorliegende Dissertation wurde am Center for Environmental Systems Research (CESR) der Universität Kassel erstellt. Sie umfasst die vierjährige Forschungsarbeit in den Bereichen Kognitionswissenschaft, Sozialpsychologie,

den

der

Sozialwissenschaften,

Künstlichen

Intelligenz,

insbesondere

der

Psychologie

Multiagentensystemen

und

und der

Konfliktforschung. Diese unterschiedlichen Forschungsansätze zu vereinen, um soziale Konflikte besser begreifbar zu machen, ist ein komplexes Vorhaben. Mit dem Ergebnis dieser Unifizierung, einem sozio-kognitivem Agentenmodell, wird ein neues Werkzeug zur Untersuchung sozialer Konflikte bereit gestellt. Auf dieses Werkzeug können sich Wissenschaftler auch in Zukunft stützen, um soziale Konflikte, unter Berücksichtigung kognitiver Prozesse, zu untersuchen. Ich möchte mich herzlich bei all denen bedanken, die mich unterstützt haben und auf verschiedene Weise zum Gelingen dieser Dissertation beigetragen haben. An erster Stelle richtet sich mein Dank an meinen Betreuer und Erstgutachter Prof. Dr. Andreas Ernst. Er hat mich dabei unterstützt meine kognitionswissenschaftliche Perspektive um sozialpsychologische Aspekte zu erweitern und die Methode der agentenbasierten Modellierung auf den Bereich der ökologischsozialen Dilemmata anzuwenden. Ich bin dankbar, dass er mir die Freiheit ließ auch in Gegenstandsbereiche

der

Forschung

vorzudringen,

die

nicht

unmittelbar

zu

den

Interessensschwerpunkten des CESR gehören. Ich danke auch meinem Zweitgutachter Prof. Dr. Frank Beckenbach. Er bereicherte meine Arbeit mit fruchtbaren Gesprächen und wertvollen Anregungen. Dank gebührt auch meinen Kollegen und ehemaligen Kollegen aus der Forschungsgruppe SESAM des CESR (Michael Elbers, Dr. Heike Köckler, Daniel Klemm, Friedrich Krebs, Silke Kuhn, Ramune Pansa, Carsten Schulz, Dr. Roman Seidl und Dr. Nina Schwarz) für die zahlreichen interessanten Diskussionen und Denkanstöße. Besondere Unterstützung bekam ich von Michael Elbers, der mir bei Modellierungs- und Implementierungsfragen stets zur Seite stand. Darüber hinaus möchte ich mich bei ihm für das geduldigen Korrekturlesen und seine wertvollen Anmerkungen bedanken. Friedrich Krebs unterstützte mich durch Anregungen bei der Modellierung und technischen Fragestellungen. Auch Silke Kuhn gebührt mein besonderer Dank für das beharrliche Korrekturlesen und ihre konstruktiven Kommentare, die mir sehr halfen die Arbeit fertig zu stellen.

Zusammenfassung Die Untersuchung sozialer Konflikte ist ein komplexes Vorhaben. Die Vielzahl der unterschiedlichen Perspektiven auf den Gegenstandsbereich soziale Konflikte führt dazu, dass zwischen den verschiedenen Ansätzen kaum noch analytische Gemeinsamkeiten zu finden sind. Bisher gibt es weder eine Einigung darüber, was den Kern eines sozialen Konfliktes ausmacht, noch einheitliche Vorstellungen, wie Konflikte zu untersuchen sind. Die vorliegende Arbeit stellt deshalb zunächst einen analytischen Bezugspunkt her und formuliert einen theoretischen Rahmen für die Funktionsweise sozialer Interaktionen im Allgemeinen. Wichtige Grundlage bei der Modellentwicklung und Analyse sozialer Konflikte ist die Annahme, dass soziale Phänomene auf der Basis individuellen Verhaltens zu erklären sind. Diese Vorstellung ist sowohl mit dem methodologischen Individualismus als auch mit dem sozialen Konstruktivismus verträglich. Für soziale Konflikte bedeutet dies, dass auch sie die Produkte sozialer Interaktionen zwischen Individuen sind. Folglich werden in dieser Dissertation Individuen und ihre Interaktionen untersucht. Eine zweite Annahme, die dieser Dissertation zugrunde liegt ist, dass soziale Phänomene in ihrem Kern nur verstanden werden können, wenn man bei ihrer Analyse über die sichtbaren Handlungen und die äußeren Handlungskontexte hinausgeht. Aussagen über soziale Konflikte sind erst dann zu treffen, wenn die Motive mit berücksichtigt werden, die zu den beobachtbaren Handlungen führen. Kognitive und motivationale Prozesse sind für die Untersuchung sozialer Konflikte unverzichtbar. Bisher aber sind sozialwissenschaftliche Modelle rar, die bei der Analyse sozialer Phänomene kognitive und motivationale Prozesse einbeziehen. Erst auf der Grundlage eines theoretischen Rahmens, der beide Aspekte mit berücksichtigt, lässt sich die Frage beantworten, wie soziale Konflikte entstehen und wieder aufzulösen sind. Der theoretische Rahmen wird in dieser Dissertation durch die systematische Zusammenführung verschiedener Forschungsfelder entwickelt und mündet in eine sozio-kognitive Architektur, der SCAR-Architektur. Sie beschreibt die Prozesse der individuellen Informationsverarbeitung von Agenten sowie Prozesse, die soziale Interaktionen ermöglichen. Auf die SCAR-Architektur setzt dann das SCAR-Modell auf. Das SCAR-Modell ist ein Simulationsmodell mit dem sich Konflikte um beschränkt verfügbare und sich regenerierende Umweltressourcen untersuchen lassen.

Wichtige Einflüsse für die Spezifikation der Agentenarchitektur stammen aus bereits bestehenden kognitiven Architekturen, wie z.B. der PSI-Theorie von Dietrich Dörner, der allgemeinen Agententheorie und Forschungsarbeiten zu Multiagentensystemen. Die Architektur spezifiziert Prozesse der Informationsverarbeitung von Akteuren, die sich eine Umwelt teilen und somit in einer Gemeinschaft leben. Im Zentrum der Überlegungen zum Aufbau einer sozio-kognitiven Architektur steht die Frage, welche individuellen Aspekte Agenten dazu bringen, sich kooperativ zu verhalten. Von besonderem Interesse ist in diesem Zusammenhang die Beantwortung der Frage wie individuelle Interessen und Ziele mit gemeinsamen sozialen Zielen in Einklang zu bringen sind. Die in dieser Arbeit entwickelte SCAR-Architektur liefert in bisher einzigartiger Weise die Prozessbeschreibung zur Entstehung, Verknüpfung und Verarbeitung individueller sowie sozialer Ziele. Die Architektur beschreibt welche Auswirkungen diese Ziele auf die Wahrnehmung, Intentions- und Handlungsbildung haben. Dabei berücksichtigt die SCAR-Architektur auch Aspekte der beschränkten Rationalität. So kann z.B. die Wahrnehmung der Agenten durch eigene Ziele verzerrt sein, wenn diese in ihrer Summe untererfüllt sind. Als Bindeglied zwischen individuellen und sozialen Zielen wird das Konzept des sozialen Konstrukts eingeführt. Die Verwendung sozialer Konstrukte ermöglicht es eine Brücke zwischen der individuellen (Einzelagent) und der sozialen Ebene (MAS) zu schlagen. Darüber hinaus fungiert soziale Konstruktion als wichtiger Koordinationsmechanismus, mit dessen Hilfe u. a. kooperatives Verhalten erzeugt und erklärt werden kann. Verschiedene Simulationsläufe dieser Arbeit zeigen, dass soziales Verhalten das Ergebnis individueller Informationsverarbeitung ist und zu sozialem Verhalten auf der Grundlage von individuellen Entscheidungen führt. Mit anderen Worten: Der SCAR-Architektur gelingt es kollektives Verhalten auf die Grundlage von individuellen Entscheidungen zu stellen. Spezifiziert die SCAR-Architektur allgemeine Informationsverarbeitungsprozesse und die dazugehörigen Komponenten, so ermöglicht das SCAR-Modell die spezifische Analyse sozialer Konflikte (die von beschränkt verfügbaren natürlichen Ressourcen geprägt sind) und den ihnen zugrunde liegenden Prozessen. Als Simulationsmodell erlaubt es die Untersuchung wichtiger Aspekte sozialer Konflikte, die in der Realität aber nur sehr schwer oder teils gar nicht zu beobachten wären. Insbesondere der Einfluss, den motivationale Handlungsressourcen auf das Konfliktgeschehen haben, lässt sich in realen Situationen kaum erfassen. Die Berücksichtigung

motivationaler, kognitiver und sozialer Aspekte scheint jedoch für die Analyse sozialer Konflikte unabdingbar zu sein. Bisher existiert in der computergestützten Konfliktforschung kein Handlungsmodell, das künstliche Agenten auf der Detailebene des SCAR-Modells abbildet. Die in der Dissertation zu beantwortenden Forschungsfragen, die mit diesem Modell untersucht wurden, behandeln allesamt soziale Konflikte um beschränkt verfügbare und sich regenerierende Umweltressourcen. Die mit dem SCAR-Modell untersuchten Spielsituationen sind in ihrer Struktur durch das an der Universität Freiburg entwickelte Fischereikonfliktspiel inspiriert. Es handelt sich bei den untersuchten Konfliktszenarien in der Regel um Situationen, in denen ein ökologisch-soziales Dilemma vorherrscht. Es erscheint plausibel, dass es zur Untersuchung von ökologisch-sozialen Dilemmata der Existenz unterschiedlicher Handlungsoptionen bedarf: eine, die auf der ökologischen Ebene wirksam ist und eine, die auf der sozialen Ebene wirkt. Bezogen auf das Managen einer beschränkt verfügbaren Umweltressource bedeutet dies, dass die Akteure dazu in der Lage sein sollten, sowohl die Ressource abzuernten, als auch soziale (verbale) Signale zu versenden. Auf diese Weise lassen sich die Einflüsse auf beide Dimensionen von der Verhaltensebene ausgehend bestimmen. Zur Reduzierung der Komplexität des SCAR-Modells wurden soziale Konflikte in Spielsituationen analysiert. Dabei ging es weniger darum, einen bestimmten Konflikt nachzubilden; vielmehr wurden die grundlegenden Mechanismen verdeutlicht, die sozialen Konflikten um beschränkt verfügbare Ressourcen zugrunde liegen. Die mit dem SCAR-Modell durchgeführten Experimente sind als Gedankenexperimente zu verstehen, die systematisch anhand von vorher aufgestellten Fragen und Hypothesen durchgeführt wurden. Diese Fragen und Hypothesen orientieren sich u. a. an bestehenden Konfliktmodellen und -theorien. Es wurde bei der

Modellierung

sichergestellt,

dass

die

strukturellen

Bedingungen

(vorherrschende

Einstellungen, Ressourcenmenge und Verhaltensdispositionen) die in diesen Ansätzen beschrieben werden, im SCAR-Modell berücksichtigt werden. Auf diese Weise lassen sich die salienten Aspekte von sozialen Konflikten erfassen. Zunächst wurden Simulationsergebnisse mit dem Ziel erzeugt, die Plausibilität der im SCARModell getroffenen Annahmen zum Bestimmen der Konfliktintensität zu untermauern. Dazu wurden systematisch die Auswirkungen verschiedener Handlungskombinationen auf die Entwicklung der Einstellung untersucht. Geleitet wurden diese Analysen durch vorher aufgestellte Hypothesen, die sich einerseits aus empirischen Befunden und andererseits an den

vorher

formulierten

Forschungsfragen

orientieren.

Bezüglich

der

Bestimmung

der

Konfliktintensität bzw. der vorherrschenden Konfliktstufe wurden die Arbeiten von Messmer und Glasl als wichtige Prozessmodelle des sozialen Konflikts erkannt. Insbesondere das Neunstufenmodell von Friedrich Glasl liefert auf verschiedenen Ebenen empirisch unterfütterte Beschreibungen des Konfliktgeschehens. Es wird im Rahmen der Analysen gezeigt, dass die im SCAR-Modell verwendete Methode zur Bestimmung der Konfliktintensität plausibel ist. Darüber hinaus wird belegt, dass sich innere Konflikte in den Simulationsläufen in der Regel auch als äußere Konflikte zeigen, dass Normüberschreitungen den Konflikt anfachen, und dass sich bei sonst gleichen Bedingungen der soziale Konflikt bei anfänglichem Ressourcenmangel schneller entwickelt, als wenn es zu Beginn viele Ressourceneinheiten gibt. Die Simulationsergebnisse zeigen überdies unter welchen Umständen kurzsichtiges Verhalten auftritt, und unter welchen Bedingungen es den Agenten gelingt die Ressource nachhaltig zu nutzen. Im SCAR-Modell ist es zu jedem Zeitpunkt nachvollziehbar, welche vergangenen Handlungen zu der aktuellen Situation führten. Darüber hinaus kann aber auch nachvollzogen werden, welche Intentionen

zu

der

aktuellen

Situation

führten.

Für

die

Auswahl

etwaiger

Interventionsmaßnahmen ist diese Information von zentraler Bedeutung. Wird nämlich verstanden, welcher Mangel zu den konfliktträchtigen Handlungen führte, so kann gezielt eingegriffen werden.

Inhaltsübersicht Abkürzungsverzeichnis __________________________________________________ VI Abbildungsverzeichnis __________________________________________________ VII Tabellenverzeichnis ____________________________________________________ XII 1

Einleitung __________________________________________________________ 1 1.1

Wissenschaftliche Verortung und Motivation _______________________________1

1.2

Forschungsfragen und Ziele _____________________________________________5

1.3

Methodisches Vorgehen ________________________________________________ 11

1.3.1 Agentenbasierte Modellierung und Multiagentensysteme _____________________14 1.3.2 Agentenbasierte Modellierung als Untersuchungsmethode ____________________15 1.3.3 Erzeugung von Simulationsmodellen _____________________________________16 1.4

2

Leitfaden der Dissertation ______________________________________________16

Soziale Konflikte ____________________________________________________ 18 2.1

Einführung in den Forschungsbereich der sozialen Konflikte_________________18

2.1.1 Annäherung an eine Konfliktdefinition ___________________________________20 2.1.2 Klassifikation von Konflikten ___________________________________________23 2.2

Entscheidung im Konflikt ______________________________________________25

2.2.1 Rationale Entscheidungstheorien ________________________________________26 2.2.2 Beschränkte Rationalität _______________________________________________29 2.3

Repräsentative Ansätze der Konflikttheorie _______________________________30

2.3.1 Strukturtheoretische und Interaktionsanalytische Konfliktmodelle ______________31 2.3.2 Sozialpsychologische Konflikttheorien ___________________________________32 2.3.3 Soziologische Perspektive______________________________________________33 2.3.4 Spieltheoretische Konfliktmodelle _______________________________________35 2.3.4.1 Das Gefangenendilemma___________________________________________37 2.3.4.2 Soziale Dilemmata________________________________________________40 2.3.4.3 Ökologisch-Soziale Dilemmata ______________________________________42 2.3.4.4 Auswege aus dem Dilemma ________________________________________43 I

2.4

Bestimmung der Konfliktintensität_______________________________________46

2.4.1 Prozessstufenmodell nach Messmer ______________________________________46 2.4.2 Eskalationsmodell nach Glasl ___________________________________________48 2.4.2.1 Win-Win – Eskalationsstufen 1-3 ____________________________________49 2.4.2.2 Win-Lose – Eskalationsstufen 4-6 ____________________________________50 2.4.2.3 Lose-Lose – Eskalationsstufen 7-9 ___________________________________52 2.4.3 Gegenüberstellung der beiden Konfliktmodelle _____________________________54 2.4.4 Einstellungen zur Bestimmung der Konfliktstufe____________________________55 2.4.5 Deeskalation von Konflikten ___________________________________________56 2.5

Konflikte um Ressourcen _______________________________________________58

2.5.1 Fallbeispiel zu Konflikten um erneuerbare Ressourcen _______________________60 2.5.2 Ressourcenkonflikte in Spielsituationen___________________________________62 2.6

3

Zusammenfassung zu sozialen Konflikten und Diskussion ___________________62

Multiagentensysteme_________________________________________________ 65 3.1

Überblick über Multiagentensysteme _____________________________________65

3.2

Agenten als Elementareinheit ___________________________________________69

3.2.1 Annäherung an eine Agentendefinition____________________________________70 3.2.2 Klassifikationen von Agenten ___________________________________________75 3.2.3 Agentenkomponenten und Agentenarchitektur______________________________80 3.2.3.1 Kognition _______________________________________________________83 3.2.3.1.1 Gedächtnis____________________________________________________84 3.2.3.1.2 Zielgerichtetes Verhalten_________________________________________85 3.2.3.2 Motivation ______________________________________________________88 3.2.3.3 Wahrnehmung ___________________________________________________96 3.2.3.4 Handlungen _____________________________________________________97 3.2.4 Die Modellierung der Umwelt __________________________________________97 3.2.4.1 Eigenschaften von Systemumwelten nach Bossel ________________________98 3.2.4.2 Umwelteigenschaften nach Russell und Norvig und Wooldridge ____________99 3.3

Soziale Agenten ______________________________________________________101

3.3.1 Kooperation und Koordination _________________________________________103 II

3.3.1.1 Kurzüberblick gängiger Koordinationsverfahren _______________________106 3.3.1.2 Sozialer Konstruktivismus und Soziale Konstrukte _____________________109 3.3.2 Kommunikation ____________________________________________________ 111 3.4

4

Zusammenfassung zu Multiagentensystemen _____________________________ 112

SCAR-Architektur und SCAR-Modell __________________________________ 115 4.1

SCAR-Architektur ___________________________________________________ 116

4.1.1 Generelle Anforderungen an die SCAR-Architektur ________________________ 116 4.1.1.1 Architekturanforderungen auf der Grundlage von Forschungsfragen________ 117 4.1.1.2 Architekturanforderungen basierend auf theoretischen Überlegungen _______ 118 4.1.1.3 Zusammenfassung der Anforderungen _______________________________120 4.1.2 Wahrnehmung ______________________________________________________120 4.1.2.1 Der Wahrnehmungsprozess ________________________________________121 4.1.2.2 Modulatoren____________________________________________________122 4.1.3 Kognition _________________________________________________________122 4.1.3.1 Verarbeitung von Zielen und Motiven ________________________________123 4.1.3.2 Gedächtnis _____________________________________________________126 4.1.3.2.1 Deklaratives Gedächtnismodul ___________________________________127 4.1.3.2.2 Prozedurales Gedächtnismodul___________________________________127 4.1.4 Soziale Konstrukte __________________________________________________128 4.1.5 Zusammenführung der Architekturkomponenten ___________________________130 4.2

SCAR-Modell _______________________________________________________132

4.2.1 Modellüberblick ____________________________________________________133 4.2.2 Generelle Anforderungen an das Modell _________________________________134 4.2.2.1 Anforderungen anhand konflikttheoretischer Überlegungen und Forschungsfragen _______________________________________________________136 4.2.2.2 Zusammenfassung der Anforderungen _______________________________138 4.2.3 Umwelteigenschaften ________________________________________________139 4.2.3.1 Physikalische Umwelt ____________________________________________139 4.2.3.1.1 Physikalische Umwelteigenschaften aus Systemsicht _________________141 4.2.3.1.2 Physikalische Umwelteigenschaften aus MAS-Sicht __________________141 4.2.3.2 Soziale Umwelt _________________________________________________142 III

4.2.3.2.1 Soziale Umwelteigenschaften aus Systemsicht ______________________143 4.2.3.2.2 Soziale Umwelteigenschaften aus MAS-Sicht _______________________144 4.2.3.3 Agentenanforderungen auf Basis von Umwelteigenschaften ______________145 4.2.3.4 Zusammenfassung der Agentenanforderungen _________________________148 4.2.4 Agenteneigenschaften ________________________________________________149 4.2.4.1 Handlungsoptionen ______________________________________________149 4.2.4.2 Motivation und Kognition _________________________________________150 4.2.4.2.1 Bedarfe und Bedürfnisse im SCAR-Modell _________________________151 4.2.4.3 Wahrnehmung und Verarbeitungstiefe________________________________155 4.2.4.4 Gedächtnis _____________________________________________________157 4.2.4.4.1 Prozedurales Gedächtnis ________________________________________158 4.2.4.4.2 Deklaratives Gedächtnis ________________________________________159 4.2.4.5 Soziale Konstrukte_______________________________________________160 4.2.4.6 Ergänzungen und Zusammenführung ________________________________162 4.2.5 Bestimmung der Konfliktintensität im SCAR-Modell _______________________167 4.2.5.1 Komponenten zur Bildung der Einstellung im SCAR-Modell _____________168 4.2.5.2 Umsetzung der Einstellungsberechnung im SCAR-Modell _______________169 4.2.6 Technisches Rahmenwerk des SCAR-Modells_____________________________171 4.3

5

Zusammenfassung zur Architektur und zum Modell _______________________172

Modellempirie _________________________________________________________ 174 5.1

Sensitivitätsanalyse - Simulationsläufe mit fixen Strategien _________________174

5.1.1 Hypothesen für die Sensitivitätsanalyse __________________________________178 5.1.2 Interpretation der Simulationsergebnisse – Hypothesen I-III __________________180 5.1.3 Interpretation der Simulationsergebnisse – Hypothesen IV-V _________________192 5.2

Sensitivitätsanalyse - Simulationsergebnisse mit variablen Strategien _________197

5.2.1 Hypothesen für die Sensitivitätsanalyse __________________________________197 5.2.2 Beschreibung der Simulationsergebnisse _________________________________199 5.3.2.1 Basisszenarien ohne Konfliktausprägung mit hohem Ressourcenbestand ____199 5.3.2.2 Szenarien mit Konfliktausprägung bei hohem Ressourcenbestand__________212 5.3.2.3 Szenario ohne Konfliktausprägung bei geringem Ressourcenbestand _______226 5.3.2.4 Szenario mit Konfliktausprägung bei geringem Ressourcenbestand ________228 IV

5.3.3 Interpretation und Zusammenfassung der Simulationsergebnisse ______________234 5.3.4 Zusammenfassung und Diskussion ______________________________________240

6

Diskussion und Ausblick _________________________________________________243 6.1

Forschungsergebnisse_________________________________________________243

6.1.1 Diskussion der theoretischen Ergebnisse _________________________________245 6.1.2 Diskussion der Simulationsergebnisse ___________________________________249 6.2

Weitere Arbeiten _____________________________________________________252

Literaturverzeichnis ____________________________________________________ 254 Anhang A ____________________________________________________________ 264 Anhang B ____________________________________________________________ 270

V

Abkürzungsverzeichnis

ACT-R

Adaptive Control of Thought-Rational

BDI

Belief, Desire, Intention

CogAff

Cognition and Affect

FAO

Food and Agriculture Organization (Vereinte Nationen)

FIFO

First-In-First-Out

KI

Künstliche Intelligenz

KQML

Knowledge Query and Manipulation Language

L-Signal

Legitimitätssignal

MAS

Multiagentensysteme

PSI

Persönlichkeits-Systeme-Interaktionen

Repast

Recursive Porous Agent Simulation Toolkit

REEMM

Resourceful, Restricted, Expecting, Evaluating Maximizing Man

RIP

Resource Interested Personality

SCAR

Socio-Cognitive Agents fighting for scarce Resources

SEU

Subjective Expected Utility

SIP

Socially Interested Personality

SOAR

State Operator And Result

UML

Unified Modeling Language

VKI

Verteilte Künstliche Intelligenz

VI

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1-1: Struktur der Dissertation. ___________________________________________17 Abbildung 2-1: Auszahlungsmatrix in einem Gefangenendilemma. ______________________38 Abbildung 2-2: Bildung von Einstellungen. _________________________________________56 Abbildung 3-1: Gegenüberstellung von Problemlösekreis und Agent._____________________71 Abbildung 3-3: Agententypen. ___________________________________________________79 Abbildung 3-4: CogAff-Schema mit Schichten. ______________________________________82 Abbildung 3-5: Bedarf als Abstand zwischen dem Pegelstand (Istwert) und dem Sollwert. ____91 Abbildung 4-1: Wert-Erwartung-Prinzip zur Bildung von Intentionen. ___________________124 Abbildung 4-2: Zwei Agenten in ihrer sozialen Umwelt und die Emergenz sozialer Konstrukte. ___________________________________________________________________________129 Abbildung 4-3: Darstellung der Wirkzusammenhänge in der SCAR-Architektur.___________132 Abbildung 4-4: Herkunft von Umwelteigenschaften und Anforderungen des SCAR-Modells._135 Abbildung 4-5: Ressourcenwachstum pro Zeitschritt. ________________________________140 Abbildung 4-6: UML-Darstellung von Bedürfnissen und Operationen, die auf Bedürfnisse bezogen sind. ________________________________________________________________154 Abbildung 4-7: Sequenzdiagramm des Wahrnehmungsprozesses im SCAR-Modell. ________156 Abbildung 4-8: Auszug wichtiger Attribute und Objekte, die ein Agent im SCAR-Modell verwaltet. ___________________________________________________________________157 Abbildung 4-9: UML-Diagramm eines Prozedur-Objektes im SCAR-Modell. ____________158 Abbildung 4-10: UML-Darstellung verschiedener Chunk-Typen. _______________________159 Abbildung 4-11: UML-Darstellung von sozialen Konstrukten. _________________________161 Abbildung 4-12: SCAR-Agent.__________________________________________________163 Abbildung 4-13: Qualitativ unterscheidbare Bereiche der Einstellungen von kooperativ nach kompetitiv.__________________________________________________________________170

VII

Abbildung

5-1:

Ergebnisse

der

Einstellungsberechnung

des

Agenten

mit

dem

Persönlichkeitstypen SIP für 16 Simulationsläufe über jeweils 30 Zeitschritte mit fixen Gegenstrategien. _____________________________________________________________176 Abbildung 5-2: Darstellung der Einstellungen des SIP-Agenten über zwei Sets (Set a links und Set b rechts). ________________________________________________________________181 Abbildung 5-3: Darstellung der Einstellungen des SIP-Agenten über zwei Sets (Set c links und Set d rechts). ________________________________________________________________183 Abbildung 5-4: Vergleich von Einstellungen des SIP-Agenten und ausgewählten Komponenten über zwei Simulationsläufe. ____________________________________________________185 Abbildung 5-5: Darstellung der Einstellungen des RIP-Agenten über zwei Sets (Set a und b). 187 Abbildung 5-6: Darstellung der Einstellungen des RIP-Agenten über zwei Sets (Set c und Set d). ___________________________________________________________________________187 Abbildung

5-7:

Aktiviertheit

und

Ressourcenwert

des

RIP-Agenten

und

die

Ressourcenentwicklung sind für vier ausgewählte Simulationsläufe ( nimm 4 × drohen vs. alleEntnahmen × drohen ) aufgetragen.____________________________________________189

Abbildung 5-8: Ressourcenentwicklung, Aktiviertheit und der Ressourcenwert sind für vier ausgewählte Simulationsläufe ( verzichten × drohen vs. alleEntnahmen × drohen ) aufgetragen. ___________________________________________________________________________190 Abbildung 5-9: Simulationslauf mit fixer Strategie verzichten × drohen (SIP-Agent) und fixer Gegenstrategie nimm4 × drohen ( RIP-Agent). ______________________________________192 Abbildung 5-10: Simulationsläufe mit fixen Strategien unter Verwendung von deeskalativen Maßnahmen zu unterschiedlichen Zeitpunkten. _____________________________________193 Abbildung 5-11: Simulationslauf mit fixen Strategien unter Verwendung von deeskalativen Maßnahmen zu einem späten Simulationszeitpunkt. _________________________________195 Abbildung 5-12: Entwicklung der Einstellungen unter unterschiedlichen Umweltbedingungen. ___________________________________________________________________________196 Abbildung 5-13: Ressourcenentwicklung über 100 Zeitschritte bei guten kontextuellen Bedingungen (Szenario 1). _____________________________________________________200 Abbildung 5-14: Handlungen der Agenten bei guten kontextuellen Bedingungen (Szenario 1). 202 VIII

Abbildung 5-15: Ergebnisse der Wert-Mal-Erwartung-Berechnung des SIP-Agenten für jeden Zeitschritt bei guten kontextuellen Bedingungen (Szenario 1) . _________________________205 Abbildung 5-16: Ergebnisse des Wert-Mal-Erwartung-Prinzips des RIP-Agenten für jeden Zeitschritt bei guten kontextuellen Bedingungen (Szenario 1). _________________________206 Abbildung 5-17: Ressourcenentwicklung über 100 Zeitschritte bei guten kontextuellen Bedingungen, aber anfänglich niedriger Bindung an die Entnahmenorm (Szenario 2)._______207 Abbildung 5-18: Entwicklung der empfundenen Bindung an die Entnahmenorm über die Zeit (Szenario 2). ________________________________________________________________208 Abbildung 5-19: Handlungen der Agenten bei guten kontextuellen Bedingungen mit niedriger Bindung an die Entnahmenorm (Szenario 2). _______________________________________210 Abbildung 5-20: Ergebnisse des Wert-Mal-Erwartung-Prinzips des SIP-Agenten für jeden Zeitschritt bei guten kontextuellen Bedingungen, aber anfänglich niedriger Bindung an die Entnahmenorm (Szenario 2).____________________________________________________ 211 Abbildung 5-21: Ergebnisse des Wert-Mal-Erwartung-Prinzips des RIP-Agenten für jeden Zeitschritt bei guten kontextuellen Bedingungen, aber anfänglich niedriger Bindung an die Entnahmenorm (Szenario 2).____________________________________________________212 Abbildung 5-22: Ressourcenentwicklung über 100 Zeitschritte mit Ressourcentod im Zeitschritt 52 (Szenario 3). ______________________________________________________________214 Abbildung 5-23: Entwicklung der Entnahmenorm über die Zeit (Szenario 3). _____________215 Abbildung 5-24: Entwicklung des Konflikts über die Zeit (bis zum Tod der Ressource) ermittelt durch die Einstellungen der Agenten (Szenario 3).___________________________________216 Abbildung 5-25: Handlungen der Agenten mit Bedürfnisdruck, bei guter Ressourcenverteilung und hoher Bindung an die Entnahmenorm (Szenario 3). ______________________________218 Abbildung 5-26: Ergebnisse des Wert-Mal-Erwartung-Prinzips des SIP-Agenten für jeden Zeitschritt mit Bedürfnisdruck, hoher anfänglicher Bindung an die Entnahmenorm und guten Anfangsbedingungen bezogen auf den Ressourcenbestand (Szenario 3). _________________220 Abbildung 5-27: Ergebnisse des Wert-Mal-Erwartung-Prinzips des RIP-Agenten für jeden Zeitschritt mit Bedürfnisdruck, hoher anfänglicher Bindung an die Entnahmenorm und guten Anfangsbedingungen bezogen auf den Ressourcenbestand (Szenario 3). _________________221 IX

Abbildung 5-28: Ressourcenentwicklung über 100 Zeitschritte mit Ressourcentod im Zeitschritt 36. ________________________________________________________________________222 Abbildung 5-29: Entwicklung des Konflikts über die Zeit (bis zum Tod der Ressource) gemessen an den Einstellungen der Agenten ( Szenario 4). ____________________________________223 Abbildung 5-30: Handlungen der Agenten mit Bedürfnisdruck, bei guter Ressourcenverteilung und niedriger Bindung an die Entnahmenorm (Szenario 4).____________________________224 Abbildung 5-31: Ergebnisse des Wert-Mal-Erwartung-Prinzips des SIP-Agenten für jeden Zeitschritt mit Bedürfnisdruck, niedriger anfänglicher Bindung an die Entnahmenorm und guten Anfangsbedingungen bezogen auf den Ressourcenbestand (Szenario 4). _________________225 Abbildung 5-32: Ergebnisse des Wert-Mal-Erwartung-Prinzips für jeden Zeitschritt mit Bedürfnisdruck,

niedriger

anfänglicher

Bindung

an

die

Entnahmenorm

und

guten

Anfangsbedingungen bezogen auf den Ressourcenbestand (RIP-Agent). _________________226 Abbildung 5-33: Ressourcenentwicklung über die Zeit bei geringem Bedürfnisdruck, geringem Ressourcenbestand und hoher Bindung an die Entnahmenorm. _________________________227 Abbildung 5-34: Ressourcenentwicklung über die Zeit bei geringem Bedürfnisdruck, schlechter Ressourcenverteilung und niedriger Bindung an die Entnahmenorm. ____________________229 Abbildung 5-35: Entwicklung des Konflikts über die Zeit (bis zum Tod der Ressource) gemessen an den Einstellungen der Agenten bei geringem Bedürfnisdruck, schlechter Ressourcenverteilung und niedriger Bindung an die Entnahmenorm. ______________________________________230 Abbildung 5-36: Ressourcenentwicklung über die Zeit._______________________________231 Abbildung 5-37: Entwicklung des Konflikts über die Zeit (bis zum Tod der Ressource) gemessen an den Einstellungen der Agenten bei geringem Bedürfnisdruck, schlechter Ressourcenverteilung und hoher Bindung an die Entnahmenorm._________________________________________232 Abbildung 5-38: Ressourcenentwicklung über die Zeit._______________________________233 Abbildung 5-39: Entwicklung der Einstellungen über die Zeit. _________________________234 Abbildung 5-40: Vergleich der Handlungen von Szenario 6 (unten) mit Szenario 8 (oben). ___235 Abbildung 5-41: Ergebnisse des Wert-Mal-Erwartung-Prinzips des RIP-Agenten für jeden Zeitschritt mit 40 Ressourcen, niedrige Bindung an Entnahmenorm, niedriger Bedürfnisdruck (Szenario 6). ________________________________________________________________237 X

Abbildung 5-42: Ergebnisse des Wert-Mal-Erwartung-Prinzips des RIP-Agenten für jeden Zeitschritt mit 40 Ressourcen, niedrige Bindung an Entnahmenorm, hoher Bedürfnisdruck (Szenario 8). ________________________________________________________________238

XI

Tabellenverzeichnis

Tabelle 2-1: Gegenüberstellung der Konfliktphasen im Modell von Glasl und Messmer. ______54 Tabelle 4-1: Leitwerte, psychische und soziale Bedürfnisse. In Anlehnung an Bossel (2007, S. 86).________________________________________________________________________125 Tabelle 4-2: Bestimmung von Normen zur Regelung der Entnahmemenge pro Zeitschritt. ___161 Tabelle 4-3: Entscheidungsregeln für zwei extreme Handlungsoptionen. _________________165

XII

1

Einleitung

Ziel der vorliegenden Arbeit war es, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, soziale Konflikte mit Computersimulationen untersuchen zu können. Damit die Modellierung und Analyse von sozialen Konflikten überhaupt möglich wird, bedarf es der Erarbeitung eines theoretischen Rahmens, der Aufschluss darüber gibt, wie soziale Interaktion im Allgemeinen funktioniert. Erst auf der Grundlage eines theoretischen Modells lassen sich dann Aussagen darüber treffen wie soziale Konflikte entstehen und wieder aufgelöst werden können. So wie starke Metaphern – so z.B. die Agentenmetapher (vgl. Abschnitt 3.2.1) – strukturelle Analogien vermittelten und auf diese Weise unter Umständen neue Erkenntnisse hervorbringen können, offenbaren auch theoretische Modelle die Möglichkeit neue Verbindungen aufzuzeigen (Black, 1996; SchulzSchaeffer, 2001). Der wissenschaftliche Mehrwert solcher Modelle hängt davon ab, inwiefern sie dazu in der Lage sind, die kausalen Beziehungen zwischen den als wichtig erachteten Variablen aufzuzeigen (Stern, Dietz, Dolsak, Ostrom & Stonich, 2002). Der theoretische Rahmen wird in dieser Dissertation zum einen durch eine sozio-kognitive Architektur

bereit

gestellt.

Die

Architektur

gründet

sich

auf

Erkenntnisse

der

Kognitionswissenschaft, der Künstlichen Intelligenz und der Sozialwissenschaften und spezifiziert Informationsverarbeitungsprozesse von Akteuren1, die sich eine Umwelt teilen müssen und somit in einer Gemeinschaft leben. Auf diese Architektur setzt dann das Agentenmodell auf. Das Agentenmodell vereint Erkenntnisse unterschiedlicher Disziplinen und ermöglicht die Analyse von Konflikten, die von beschränkt verfügbaren natürlichen Ressourcen geprägt sind.

1.1

Wissenschaftliche Verortung und Motivation

Tastet man sich an das Feld der Konfliktforschung heran, betritt man ein Gebiet, das zumeist Sozialwissenschaftler für sich beanspruchen. So kann man beispielsweise bei Bonacker (2008, S. 20)

lesen:

„Der

Konfliktbegriff

gehört

zweifelsohne

zu

den

Grundbegriffen

der

Sozialwissenschaften“ (Bonacker, 2008, S. 9). Ob aber die Beschäftigung mit sozialen Konflikten

1

Die Begriffe Akteur, Agent und Individuum werden vorerst synonym verwendet. Eine

Ausdifferenzierung der Begriffe findet im Kapitel 3 statt. 1

faktisch eine alleinige Domäne der zu den Sozialwissenschaften gehörenden Disziplinen sein muss, ist fraglich. Welche wissenschaftliche Ausrichtung für die Untersuchung des Gegenstands verwendet wird, hängt nämlich im Wesentlichen von der wissenschaftlichen Perspektive ab, die eingenommen wird. Genauso wie die Psychologie, die Neurowissenschaften und die Künstliche Intelligenz (KI) sich gegenseitig befruchten und auf verschiedenen Ebenen beispielsweise Aufschluss über die Funktionsweise des Gehirns liefern, können auch die Sozialwissenschaften, die Kognitionswissenschaft und die KI voneinander lernen. Es wird im Rahmen dieser Arbeit gezeigt, dass auch für die Konfliktforschung solche Synergien möglich sind. Die KI und die Kognitionswissenschaft liefern einerseits wichtige methodische Konzepte und Formalisierungsmöglichkeiten für sozialwissenschaftliche Modelle und Theorien. Auf der anderen Seite ist es – aus der Perspektive der KI und der Kognitionswissenschaft – von Interesse zu verstehen, wie soziale Interaktionen und Intelligenz zusammenhängen. Darüber hinaus ist die Auflösung eines sozialen Konfliktes ein Beispiel für das Lösen von Problemen in einer sozialen und nicht mehr „nur“ rein rationalen Domäne2. Insofern ist es interessant herauszuarbeiten, wie sich soziale Einflüsse auf Entscheidungen von Akteuren auswirken. Für die Analyse sozialer Interaktionen ist es u. a. wichtig zu verstehen, in welcher Weise die (sozialen) Umweltbegebenheiten Einfluss auf Entscheidungsprozesse nehmen. Verhalten ist kein Selbstzweck, sondern dient der Anpassung an diese Gegebenheiten. Manchmal geschieht es aber, dass die Verhaltensanpassung an die Gegebenheiten suboptimal ist; ja es kommt in der Realität sogar vor, dass Menschen wider besseres Wissen Entscheidungen treffen, die auf lange Sicht mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Katastrophe führen. Dieses Phänomen zeigt sich bei jedem, der sich bewusst für das Rauchen entscheidet, obwohl er um die gesundheitlichen Konsequenzen weiß. Es wird z.B. aber auch bei demjenigen sichtbar, der auf das Autofahren nicht verzichten will, selbst wenn es nur um das Brötchenholen beim Bäcker um

2

Der Rationalitätsbegriff wird hier im klassischen Sinne gebraucht. Rationales Verhalten hängt

demnach lediglich von der jeweiligen Bewertungsfunktion ab, die an ein bestimmtes Ziel gebunden ist (Russell & Norvig, 2002). Entscheidungen werden nach der klassischen Auffassung des Rationalitätsbegriffs im Hinblick auf die Erledigung von Aufgaben getroffen, ohne allerdings dabei die soziale Umwelt explizit zu berücksichtigen. 2

die Ecke geht. Die durch dieses Verhalten erzeugten Umweltschäden, die in diesem Fall von der Gemeinschaft zu tragen sind, werden zu Gunsten eines sofortigen Gewinns in Kauf genommen. Kurzsichtiges Verhalten kann oft aber auch dort beobachtet werden, wo es um die Ausbeutung von natürlichen Ressourcen geht. Rund 80 Prozent der Weltmeere sind nach dem aktuellen Bericht der FAO (Food and Agriculture Organization, Vereinte Nationen) überfischt oder bis an die Grenzen ausgebeutet. Die Tendenz ist steigend (FAO, 2009). Die schädlichen Konsequenzen, die mit dieser Ausbeutung einher gehen (Aussterben von Fischarten, durch die sinkenden Erträge bedingte strukturelle Arbeitslosigkeit etc.) haben in diesen Fällen offenbar nicht genügend Einfluss, das Verhalten zu ändern. Es stellt sich die Frage welche Faktoren die Entscheidungsfindung derart beeinflussen, dass ein kurzsichtiges Verhalten resultiert. Entgegen der Herangehensweise der klassischen KI bedeutet das für die Modellierung von Entscheidungsprozessen, dass es letztlich nicht darum geht optimale Lösungen zu finden und optimales Entscheiden abbilden zu wollen. Es geht vielmehr darum, Verhalten erzeugen zu können, das in den geschilderten Realsituationen entsteht und aufzuzeigen, wann und warum die menschliche Kognition zu nicht nachhaltigen Entscheidungen führt. An verschiedenen Stellen wurde der Nutzen einer kognitionswissenschaftlichen Perspektive für ein besseres Verständnis von Entscheidungsprozessen und den mit ihnen verknüpften „Anomalien“ bereits diskutiert (vgl. beispielsweise Beckenbach, 2003; Helmhout, 2006). Beckenbach (2003, S. 37) z.B. fasst „Umweltprobleme als wahrnehmungs- und deutungsabhängige Phänomene“ auf, die letztlich dazu führen, dass „schlechte“ Entscheidungen in der beschriebenen Weise gefällt werden. Subjektive und verzerrte Wahrnehmungen spielen auch bei der Entstehung von sozialen Konflikten eine entscheidende Rolle und werden im Konfliktprozess als wichtiger Einflussfaktor ausgemacht (Glasl, 2004). Aus diesem Grund genügt es nicht, so wie es in weiten Teilen der Konfliktforschung praktiziert wird, sich lediglich auf den äußeren Kontext zu konzentrieren, in dem sich soziale Konflikte ausbilden. Es müssen neben den externen Besonderheiten der Handlungssituation vielmehr die internen Zustände, wie z.B. die Motive, als Handlungsressource mit berücksichtigt werden. Es scheint bisher an sozialwissenschaftlichen Modellen zu mangeln, die auch kognitive Prozesse in ihre Analysen mit einbeziehen, um soziale Phänomene zu erklären. Castelfranchi (2001) hat längst den Nutzen der KI, MAS und kognitiver Modellierung für die Simulierung von gesellschaftlichen Phänomenen identifiziert. Sun (2001) bemängelt, dass gute Ideen fehlen, die

3

aufzeigen wie sozialwissenschaftliche Konzepte innerhalb sozialer Strukturen von einem kognitiven Standpunkt aus untersucht werden können. Andererseits ist in der Literatur der Bedarf an neuen komplexen kognitiven Modellen identifiziert worden, die auch soziale Faktoren der Kognition berücksichtigen (Helmhout, 2006). Der theoretische Rahmen, der in dieser Dissertation erarbeitet wird, trägt dazu bei, diesen Bedarf zu decken. Das

Ziel,

das

es

durch

die

Verknüpfung

kognitionswissenschaftlicher

und

sozialwissenschaftlicher Konzepte zu erreichen gilt, ist kollektives Verhalten (die Makroebene) auf der Grundlage von individuellen Entscheidungen (die Mikroebene) miteinander theoretisch zu verknüpfen. Nur durch die Verknüpfung dieser beiden Ebenen lässt sich ein sozio-kognitives Modell aufstellen, das die Analyse von sozialen Konflikten und den ihnen zugrunde liegenden Prozessen ermöglicht. Bei einem Vergleich von Modellen sozialwissenschaftlichen und ökonomischen Ursprungs mit Modellen, die kognitive und soziale Aspekte miteinander zu vereinen suchen, ermöglichen letztere die gründlichere Sammlung, Organisation und Interpretation von Beobachtungen und Daten (Sun, 2006). Darüber hinaus kann auch das Testen von Einflussfaktoren durch sozio-kognitiven Modelle gründlicher durchgeführt werden (Sun, 2006). Die Vorstellung soziale Phänomene auf der Grundlage von individuellem Verhalten zu erklären ist mit dem methodologischen Individualismus verträglich. Auch der soziale Konstruktivismus geht davon aus, dass die Gesellschaft und die Themen, die im Rahmen der Untersuchung von gesellschaftlichen Phänomenen aufgeworfen werden, wie z.B. soziale Konflikte, die Produkte der sozialen Interaktion zwischen Individuen sind. Diese Interaktionen werden durch die Handlungen von Individuen ausgelöst, die Teil einer Gesellschaft sind (Mead, 1934). Dementsprechend sind es die Individuen und ihre Interaktionen mit anderen, die in dieser Dissertation untersucht werden. Dies geschieht jedoch nicht ohne die Phänomenbeschreibungen aus den Sozialwissenschaften mit im Auge zu behalten. Diese Herangehensweise ermöglicht eine alternative Form der Analyse sozialer Phänomene. Verglichen mit traditionell ökonomischen und sozialwissenschaftlichen Modellen, können sozio-kognitive Modelle beispielsweise Prozesse offenlegen, die auf bereits validierten Konzepten der Kognitionswissenschaft und der Sozialpsychologie

auf

der

Mikroebene

und

auf

Phänomenbeschreibungen

der

Sozialwissenschaften auf der Makroebene, beruhen. Zur Realisierung von neuen Architekturen und Agentenmodellen kann auf bereits validierte Modelle und Kleinsttheorien der Kognitionswissenschaft und der mit ihr assoziierten Disziplinen zurückgegriffen werden. Moss (2006) schreibt im Kontext zur Validierung von agentenbasierten Modellen dazu: 4

[…] the virtues of independent validation can be captured for agent-based models by ensuring that the specification of agent cognition is well verified with respect to formal models from cognitive science understanding that those formal models are themselves well validated […] Presuming that cognitive science is good science according to the criteria specified here, then the verification of agent designs with respect to cognitive science by adopting… specifications supports good social science via social simulation (Moss, 2006, S. 398). Die Identifizierung der Architektur- und Modellkomponenten orientiert sich an den bereits erwähnten

Modellen

und

Kleinsttheorien

der

Sozialwissenschaften

und

der

Kognitionswissenschaft. Neben diesen Aspekten existieren auch noch sogenannte kognitive Architekturen, wie z.B. ACT-R (Anderson, 1996) oder PSI (Dörner, 2001), die erste Schritte dazu unternommen haben, die gesammelten Erkenntnisse zu einem Gesamtbild zusammenzufügen. Teile dieser Erkenntnisse fließen auch in die Architektur mit ein, die für diese Dissertation spezifiziert wurde. Darüber hinaus werden aber auch wichtige Konzepte und Methoden der KI in der entwickelten Architektur verwendet. Von besonderem Interesse ist in diesem Zusammenhang die Verwendung von Multiagentensystemen (MAS). Die Theorie zu MAS befasst sich als ein wichtiges Teilgebiet der Verteilten Künstlichen Intelligenz (VKI) u. a. auch mit dem Thema Konflikt. Mittels MAS können Szenarien realistisch modelliert und dabei die Verhaltensweisen der beteiligten Agenten identifiziert werden. Für die Untersuchung von Konflikten spielt dabei der Aspekt der Koordination oft eine wichtige Rolle. Die Koordination kann sich in Systemen autonomer Agenten entweder durch Kooperation oder durch nicht kooperatives Verhalten rationaler, egoistischer Agenten ergeben. Ergibt sie sich jedoch nicht, so wird die Entstehung von sozialen Konflikten begünstigt.

1.2

Forschungsfragen und Ziele

Unter Berücksichtigung der in Abschnitt 1.1 erarbeiteten Aspekte lässt sich das erklärte Ziel dieser Dissertation - die Voraussetzungen dafür zu schaffen soziale Konflikte via Computersimulation untersuchen zu können - in zwei Teile untergliedern: Einerseits ging es um die Entwicklung einer sozio-kognitiven Architektur, mit der es möglich sein sollte, miteinander sozial interagierende Agenten zu erzeugen. Andererseits ging es um die Entwicklung eines auf dieser Architektur aufbauenden Simulationsmodells, das sowohl die Eskalation als auch die 5

Deeskalation von sozialen Konflikten abbilden kann. Mit diesem Modell sollten insbesondere soziale Konflikte um beschränkte und sich regenerierende natürliche Ressourcen untersucht werden. Beide Ziele konnten erfüllt werden. In Kapitel 4 werden sowohl die Architektur als auch das Modell vorgestellt. Das Modell wurde SCAR getauft und steht für Socio-Cognitive-Agents fighting for scarce Resources. Das SCAR-Modell erhebt den Anspruch, Elemente und Interaktionsmechanismen mit zu berücksichtigen, die das Modell kognitiv, motivational und sozial plausibel machen. Damit leisten das Modell und die dem Modell zugrunde liegende Architektur einen Beitrag, den Bedarf an neuen komplexen kognitiven Modellen zu decken und soziale Faktoren bei der kognitiven Verarbeitung mit zu berücksichtigen. Welche Elemente und Interaktionsmechanismen für die Erzeugung eines solchen Modells als relevant erachtet werden, hängt u. a. von der spezifischen Forschungsfrage ab, aber auch davon, welcher wissenschaftliche Standpunkt eingenommen wird. Es werden folgende Forschungsfragen entwickelt: Die in dieser Dissertation zu beantwortenden Forschungsfragen lassen sich in drei Klassen einteilen: 1) Fragen zur Entstehung des sozialen Verhaltens. Diese Fragen richten sich einerseits auf philosophische Vorstellungen darüber, wie soziales Verhalten entsteht. (In dieser Arbeit spielen sozialkonstruktivistische Ideen eine zentrale Rolle dabei soziales Verhalten erklärbar zu machen). Andererseits umfasst dies aber auch Fragen zur computergestützten Erzeugung von sozialem Verhalten, die wiederum auf diesen Vorstellungen zur Erzeugung von sozialem Verhalten aufbauen. 2) Design und Implementierungsfragen. Diese Fragen richten sich – auf der Grundlage der beantworteten Fragen der ersten Kategorie – auf die Realisierung dieser Ideen in einem MAS. 3) Fragen zu Konflikten um beschränkt verfügbare Ressourcen.

Fragen zur Entstehung von intelligentem und sozialem Verhalten Bevor ein Modell zur Untersuchung sozialer Konflikte aufgestellt werden kann, müssen zunächst Fragen gestellt und beantwortet werden, die sich allgemein auf die Entstehung von intelligentem und sozialem Verhalten beziehen. Letztlich ist es von großem Interesse zu erfahren, welche Grundmechanismen Akteure dazu bringen, sich sozial zu verhalten. Um diese Frage zu beantworten bedarf es Theorien, Modellen und Anforderungen, die sowohl das Individuum als auch die Interaktion zwischen Individuen umfassen. Aus diesem Grund entstehen für diesen Abschnitt zwei grundlegende Fragen: 1) Was ist soziales Verhalten? und 2) welche Voraussetzungen müssen gegeben sein, damit sich Akteure sozial verhalten? 6

1) Was ist soziales Verhalten?

Sowohl Vertreter des methodologischen Individualismus (vgl. Feld & Hug, 2005; Geller, 2006; Kunz, 2008) als auch Vertreter des sozialen Konstruktivismus (Berger, P. L., 1967; Blumer, 1986) gehen davon aus, dass soziales Verhalten von einer individuellen Ebene aus erklärt werden sollte. Bei dieser Sichtweise entsteht soziales Verhalten durch Eigenschaften von einzelnen Akteuren und den Wechselbeziehungen die sie zu anderen Individuen haben. Multiagentensysteme (MAS) unterstützen diese Sichtweise und können mit Hilfe sozialpsychologischer Konzepte dazu verwendet werden, soziales Verhalten und soziale Konflikte zu erklären. Mittels MAS kann das Verhalten mehrerer Agenten modelliert werden, die miteinander in ihrer Umwelt interagieren.

2) Welche Voraussetzungen müssen gegeben sein, damit Akteure soziales Verhalten zeigen? Damit ein Akteur soziales Verhalten zeigen kann, muss er mit anderen interagieren können und z.B. Signale erzeugen und interpretieren können. Obwohl viele MAS-Theorien Aspekte der Koordination und Kooperation berücksichtigen, richten sie ihr Augenmerk auf soziale Strukturen und übersehen die Prozesse, die dafür verantwortlich sind, dass solche Strukturen überhaupt entstehen bzw. aufrecht erhalten bleiben. Der soziale Konstruktivismus vertritt die Auffassung, dass es zur Bildung von stabilem sozialem Verhalten der gemeinsamen Konstruktion der Realität bedarf.

Design und Implementierungsfragen Das Ziel der Design- und Implementierungsfragen liegt darin, die Kernprozesse innerhalb des Akteurs zu identifizieren. Die Kernannahme ist, dass diese Kernprozesse durch Interaktion mit anderen Akteuren beeinflusst und dadurch sozial konstruiert werden. Fragen zur Modellierung sozialer Interaktionen sind zur gleichen Zeit aber auch Fragen, die das Design des Agenten betreffen. Die Fragen zum Design bestimmen damit auch die Konstruktion des SCAR-Modells.

3) Welche Anforderungen bestehen für das Design und die Implementierung eines MAS? Ein Akteur, der zur sozialen Konstruktion fähig sein soll, muss über kognitive Fähigkeiten verfügen, die es ihm erlauben Wissen zu repräsentieren und Mechanismen zu haben, die auf diesen Repräsentationen arbeiten können, um intelligente Handlungen zu erzeugen. Darüber hinaus ist jeder Akteur in seine physikalische und seine soziale Umwelt eingebettet. Im Rahmen dieser Arbeit sind

7

drei grundlegende Anforderungen für die Implementierung eines sozio-kognitiven agentenbasierten Systems identifiziert worden: 1) Eine Simulationsumgebung, die sowohl eine physikalische als auch eine soziale Umwelt umfasst, in denen die Akteure leben. 2) Soziale Konstrukte, die als Mechanismus zur Verstärkung, Abschwächung und Aufrechterhaltung von sozialen Strukturen dienen, wie z.B. soziale Normen oder Organisationen. 3) Ein plausibler Agent, der über kognitive Fähigkeiten verfügt und der motiviert ist.

4) Wie kann ein kognitiv und sozial plausibler Akteur in einem MAS implementiert werden? Es wurde im Rahmen dieser Arbeit ein Produktionssystem erzeugt, das sich auf ausgewählte Arbeiten aus dem Bereich der Psychologie, der Kognitionswissenschaft sowie auf philosophische Konzepte stützt. Realistische Computermodelle kognitiv realistischer Akteure können z.B. durch SOAR (Lehmann, Laird & Rosenbloom, 2006), ACT-R (Anderson, 1996) und die PSI-Theorie (Dörner, 2001) modelliert werden. Wichtige Aspekte aus der PSI-Theorie werden für diese Arbeit übernommen, um den individuellen Akteur zu modellieren. Dazu zählen die Intentionsbildung, die auf eine Bedürfnisstruktur aufsetzt, und die Modulatoren Auflösungsgrad und Erregung (engl.: arousal). Die Modulatoren werden durch Prozesse, die sich auf die Befriedigung von Bedürfnis beziehen, beeinflusst. Die PSI-Theorie konzentriert sich jedoch überwiegend auf Einzelagenten. Darüber hinaus ist sie eine sehr komplexe Theorie, die viele Aspekte umfasst, die für diese Arbeit eine untergeordnete Rolle spielen. Angestrebt wurde vielmehr ein System mittlerer Komplexität. Aus diesen Gründen sind nur Einzelaspekte der PSI-Theorie für diese Arbeit relevant. Diese wurden in eine eigene Architektur und das auf diese Architektur aufbauende Modell transformiert.

5) Welche Eigenschaften brauchen ein Akteur und seine Umgebung, damit sich Konflikte herausbilden? Neben den Fähigkeiten zur Informationsverarbeitung, die sich sowohl auf kognitive als auch auf soziale Plausibilität beziehen, müssen die Akteure über ein Handlungsrepertoire verfügen, das einen prototypischen Konfliktverlauf widerspiegelt. Neben expressiven Handlungen müssen Akteure auch dazu in der Lage sein, miteinander zu kommunizieren. Diese Kommunikation reicht vom Austausch von Sympathiesignalen bis hin zum Ausdruck von Drohungen.

Fragen zu Konflikten um beschränkt verfügbare Ressourcen Die Fragen, die in dieser Kategorie gestellt werden, zielen darauf ab, die Prozesse zu erhellen, die bei Konflikten um beschränkt verfügbare Ressourcen wirksam sind. 8

6) Wie können soziale Konflikte in ihrer Intensität bestimmt werden? Prozessmodelle der Konflikteskalation (z.B. das Prozessmodell von Glasl (2004) oder das Modell von Messmer (2003)) geben Hinweise auf verschiedene Phänomene, die sich im Verlaufe eines Konfliktes zeigen. Diese Phänomene offenbaren sich in veränderten Einstellungen und Handlungen von Akteuren. Nicht zuletzt, um etwaige deeskalative Maßnahmen auf die jeweilige Konfliktstufe abstimmen zu können, ist es wichtig zu eruieren, mit welcher Intensität ein sozialer Konflikt vorliegt. Es gilt im Rahmen des SCAR-Modells einen Weg zu finden, wie die Intensität von Ressourcenkonflikten formal beschrieben und bestimmt werden kann.

7) Wie entwickeln sich Konflikte bei rigiden Handlungsmustern? Aus den Designanforderungen hat sich ergeben, dass Akteure dazu in der Lage sein sollten neben der Ausführung von Handlungen, die eine direkte Auswirkung auf die physikalische Umwelt haben, auch (verbale) Signale verschicken zu können. Die Analyse rigider Handlungsmuster zeigt die Auswirkungen aller dieser Handlungsoptionen über einen bestimmten Zeitraum. Es wurden insbesondere jene Aspekte analysiert, die dafür sorgen, dass Konflikte überhaupt entstehen. Durch die Anwendung fixer Strategien wurde gezeigt, dass die Bestimmung

der

Konfliktintensität

im

SCAR-Modell

plausibel

ist.

Diese

Plausibilitätsprüfung geschah durch systematische und hypothesengeleitete Simulationsläufe. Auf diese Weise wurde beispielsweise gezeigt, dass unfreundliche Handlungen soziale Konflikte begünstigen, während freundliche Handlungen soziale Konflikte erst gar nicht entstehen lassen.

8) Hängt die Konfliktauflösung von der vorherrschenden Konfliktstufe ab? Diese Forschungsfrage ist durch empirische Beobachtungen und Erfahrungen aus dem Mediationsbereich motiviert. Schilderungen aus diesem Bereich legen nahe, dass unterschiedliche Effekte zu erwarten sind, wenn die gleiche deeskalative Maßnahme zu unterschiedlichen Zeitpunkten eingesetzt wird.

9

9) Inwiefern spiegeln sich innere Konflikte auch im Außen wider? Oder anders gefragt: Führt individuelle Frustration schneller zu intensiveren Konflikten? Dieser Frage liegt eine alltägliche Beobachtung zugrunde: Jemand, der frustriert oder gestresst ist, ist leichter reizbar, als jemand, der völlig entspannt und zufrieden ist. Ein Modell das soziale Konflikte behandelt, sollte auf dieses Phänomen eingehen.

10) Hat der Zustand der Umweltressource einen Einfluss auf die Konfliktentwicklung? Diese Forschungsfrage durch folgende Beobachtung motiviert: Ein Umweltgut erscheint umso kostbarer, desto weniger von diesem Umweltgut verfügbar ist.

11) Wie entwickelt sich die Einstellung des Spielers, wenn der Gegenspieler unfreundlich ist? Die sozialpsychologische Forschung legt nahe, dass Verhaltensweisen von Menschen gespiegelt werden. Das gilt auch oft für die Fälle, in denen das Gegenüber unfreundlich ist (vgl. Aronson, Wilson & Akert, 2004). Es wurde (für fixe Strategien) gezeigt, dass sich unfreundliche Handlungen des Gegenspielers auch im SCAR-Modell negativ auf die Einstellung auswirken.

12) Welchen Einfluss hat die Bindung einer Entnahme regulierenden Norm auf die nachhaltige Bewirtschaftung einer natürlichen Ressource? Es liegt die Vermutung nahe, dass eine hohe Bindung an eine Entnahme regulierende Norm sich positiv auf die nachhaltige Bewirtschaftung von natürlichen Ressourcen auswirkt. In den meisten Simulationsläufen mit variablen Strategien führte eine hohe (anfängliche) Bindung an eine

Entnahmenorm

auch

tatsächlich

zu

einer

vergleichsweise

nachhaltigeren

Bewirtschaftung der natürlichen Ressource. In den Ausnahmefällen konnte das abweichende Verhalten, anhand der dem Verhalten zugrundeliegenden Intentionen, erklärt werden.

13) Welchen Einfluss hat die Ressourcenverteilung zu Beginn der Simulation? Diese Forschungsfrage schließt sich direkt an Forschungsfrage 10 an, die den Einfluss der Ressourcenmenge auf die Konfliktentwicklung hinterfragt. Hier wird spezifisch nach den 10

Auswirkungen zu den Anfangsbedingungen zu Beginn eines Simulationslaufs gefragt. Eine niedrige Ressourcenverteilung zu Beginn eines Simulationslaufes hat bei variablen Strategien einen vergleichsweise höheren Effekt in Richtung Eskalation.

1.3 Die

Methodisches Vorgehen

gewählte

Untersuchungsmethode

dieser

Dissertation

ist

eine

computergestützte

Modellentwicklung. Die Modellierung definiert Troitzsch (1993) wie folgt: Modelling – which includes computer simulation – is a scientific activity that has the aim of creating a replication of some real system in such a way that this replication will react to inputs in a manner that resembles the reaction of the real system to the same inputs (Troitzsch, 1993, S. 20). Bei diesem Verständnis der Modellentwicklung steht der Aspekt im Vordergrund das Systemverhalten durch ein beliebiges Modellsystem nachzuahmen. Die Anforderung an ein solches System liegt also lediglich darin, gleiches Verhalten erzeugen zu müssen. Es gibt jedoch eine weitere Möglichkeit zur Simulation von Verhalten, die der Herangehensweise dieser Arbeit näher liegt. Anstatt lediglich das Verhalten nachzuahmen, kann man die Systemstruktur des Originalsystems nachbilden. Ein solches Modell sollte dann hinsichtlich des Modellzwecks das gleiche Verhalten wie das Originalsystem zeigen. Bei dieser Vorgehensweise wird ein Modell des Systems und nicht des Verhaltens entwickelt. Es muss die Wirkungsstruktur des Originals erkannt und verstanden werden. Nur strukturtreue Modelle sind in einem solchen Fall annehmbar (Bossel, 2004). “Im Prinzip sind für die Modellentwicklung Verhaltensbeobachtungen nicht erforderlich; dafür muss die Systemstruktur mit ihren realen Parametern bekannt sein“ (Bossel, 2004, S. 53). In einem ersten Schritt muss man bei der Modellentwicklung eines konkreten Systems unterschiedliche Aspekte des Systems theoretisch erfassen und entscheiden, ob sie für die wissenschaftliche Fragestellung relevant sind und daher bei der Modellierung berücksichtigt werden müssen oder nicht. Die vollständige Modellierung eines Systems, in dem alle Aspekte berücksichtigt werden, ist weder möglich noch sinnvoll. Ziel einer Modellierung ist es, von einer Vielzahl von Eigenschaften zu abstrahieren. Deshalb müssen zunächst die relevanten Eigenschaften des Systems identifiziert werden. Dies geschieht im Rahmen dieser Arbeit anhand

11

der Forschungsfragen, theoretischer Überlegungen und von bereits validierten wissenschaftlichen Konzepten. Nach der Identifizierung wichtiger Systemkomponenten erfolgt die Analyse sozialer Konflikte. Die Analyse von sozialen Konflikten wird im Rahmen dieser Dissertation mittels Simulationen durchgeführt.

Computersimulationen

werden

in

der

Forschung

dazu

eingesetzt,

die

Theorienbildung zu unterstützen und werden oft auch als mit Hilfe von Computern systematisch durchgeführte Gedankenexperimente verstanden (Cederman, 1997). Nach Ostrom (1988 zitiert nach Geller, 2006, S. 201) sind Computersimulationen „neben der natürlichen Sprache und der Mathematik ein drittes, zur Entwicklung formaler Theorien komplexer und interdependenter sozialer Phänomene geeignetes Zeichensystem.“ In Abgrenzung zur deduktiven oder typisch induktiven Vorgehensweise anderer Methoden bezeichnete Axelrod diese Vorgehensweise auch als „the third way of doing science“ (Axelrod, 1997, S. 24).3 Auf der Grundlage einer Menge von expliziten Hypothesen generieren Simulationen Daten, die dann induktiv analysiert werden können. Dabei entstehen die Daten allerdings durch die Anwendung spezifischer Regeln und nicht durch direkte Messungen in der realen Welt (Geller, 2006). Der Vorteil von Computersimulationen als Methode ist ein zweifacher: einerseits besteht die Notwendigkeit bestehende Theorien in formale Modelle übersetzen zu müssen. Durch diese Herangehensweise kommt oft zusätzliche Information zu Tage, die ohne eine solche Formalisierung im Verborgenen bliebe (Bresinsky, 2003; Gilbert & Troitzsch, 2005). Des Weiteren ist es wahrscheinlich, dass man jene Aspekte, die man nicht in Form von Computermodellen nachzubilden imstande ist, noch nicht hinreichend verstanden hat. Auch diese Information ist bedeutsam, denn sie liefert wichtige Hinweise darauf, in welche Richtung der Blick für die weitere empirische Forschung zu richten ist. Zum anderen erlauben Computersimulationen das Experimentieren in virtuellen Szenarien (Gilbert & Troitzsch, 2005). Insbesondere in der Konfliktforschung lassen sich so Phänomene untersuchen, die sich empirisch nur schwer bzw. gar nicht untersuchen lassen. Wird ein Modell unter bestimmten Szenarien

3

Deduktion beinhaltet die Spezifikation einer Menge von Axiomen und die Überprüfung von

Konsequenzen, die aus diesen Annahmen abgeleitet werden können. Induktion ist die Entdeckung von Mustern in empirischen Daten, die beispielsweise durch Meinungsumfragen erhoben werden (Axelrod, 1997). 12

simuliert, dann können die entstandenen Ergebnisse mit den Annahmen der Theorie und empirischen Daten – falls vorhanden – verglichen werden. Der Zweck einer Simulation kann sehr verschieden sein. Sie kann zur Prognose, Planung, Hypothesenprüfung oder aber auch zur Messdateninterpretation oder dem Verständnis von Prozessen angewendet werden. Darüber hinaus liefert auch die Art der Simulation ein wichtiges Unterscheidungskriterium. Die Differenzierung in Simulationsarten ist in erkenntnistheoretischer Hinsicht von Bedeutung, da die Verfahren recht unterschiedlich sind. Computersimulationen können einerseits – wie oben bereits erläutert – darin unterschieden werden, ob sie das Systemverhalten nachahmen oder ob sie die Systemstruktur abbilden. Andererseits können sie aber auch grob nach zwei unterschiedlichen Simulationsarten klassifiziert werden: Mikro- und Makrosimulationen. Zwischen diesen beiden Simulationstypen existieren aber auch noch weitere Mischformen. Generell kann man sagen, dass Mikrosimulationen mit Modellen arbeiten, die sich auf unterschiedlich abstrakte Weise mit den Entscheidungsvorgängen auf der individuellen Akteurebene auseinandersetzen. Modelle der Künstlichen Intelligenz (KI) zählen normalerweise zu einer eigenständigen Unterkategorie der Mikrosimulationen. Makrosimulationen hingegen untersuchen soziologische sowie politikwissenschaftliche Fragestellungen bezüglich sozialer und politischer Systemphänomene. Eine beliebte Simulationsmethode sind dabei z.B. zelluläre Automaten (Bresinsky, 2003; Gilbert & Doran, 1994). Innerhalb der Gruppe von Mikrosimulationen existieren mit der Spieltheorie und der KI zwei große

Entwicklungsrichtungen.

Entscheidungssituationen

konstruiert

Mit

spieltheoretischen

und

die

dabei

Modellen

entstehenden

werden emergenten

Entscheidungsphänomene untersucht. Einer der Hauptvertreter dieser Richtung ist der Politikwissenschaftler Robert Axelrod mit seinen Arbeiten über die Evolution der Kooperation in sozial und politisch kompetitiven Umgebungen (Axelrod, 1984, 1997, 2003). Eine andere Entwicklungsrichtung modelliert Entscheidungsprozesse auf der Grundlage von Erkenntnissen aus der KI-Forschung. Zusammenfassend kann man sagen, dass Simulationsmodelle folgenden Zweck verfolgen: 1. Sie helfen das Verhalten komplexer Systeme besser zu verstehen (Axelrod, 1997, S. 26). 2. Sie können zur Theoriebildung beitragen und zugleich bestehende Modelle verfeinern (Geller, 2006).

13

3. Sie helfen, Aussagen über zukünftige Zustände eines Systems zu machen (Gilbert & Troitzsch, 2005). Computersimulationen weisen zudem den Vorteil auf, dass sie komplette Datensätze generieren und visuell vermittelbar sind (Geller, 2006). 4. Sie erlauben die Untersuchung von Szenarien, die unter realen Bedingungen nicht, oder nur schwer zu untersuchen sind (Gilbert & Troitzsch, 2005), so z.B. die Untersuchung von: a. Verhalten eines Systems, das (noch) nicht existiert b. Realsystemen, bei denen Experimente zu gefährlich oder zu teuer wären c. Vorgängen, die in der Realität zu schnell oder zu langsam ablaufen

1.3.1

Agentenbasierte Modellierung und Multiagentensysteme

Im sozialwissenschaftlichen Kontext sind insbesondere die agentenbasierte Modellierung bzw. Multiagentensysteme

(MAS)

eine

wichtige

Methode,

bei

der

die

Modellbildung

individuenzentriert vonstatten geht. Agentenbasierte Modelle und MAS sind durch die Existenz mehrerer Agenten

gekennzeichnet,

die ohne zentrales Ausführungsorgan

miteinander

interagieren. Sie erlauben die Modellierung von nicht-linearen, durch Verzögerungen und Rückkopplungen beherrschten Strukturen und können auf diese Weise zu einem besserem Verständnis und Einschätzung von Verhalten komplexer Systeme beitragen.

Cederman (2003a, S. 7297) definiert agenten-basierte Modellierung wie folgt: […] agent-based modeling is a computational methodology that allows the analyst to create, analyze, and experiment with artificial worlds populated by agents that interact in nontrivial ways and that constitute their own environment. Im Bezug auf diese Definition lassen sich die agentenbasierten Modelle als eine spezielle Form von MAS auffassen. Die agentenbasierte Modellierung hat sich in den unterschiedlichsten Gebieten der Sozialwissenschaften als Methode verbreitet. Agentenbasierte Analysen sind in unterschiedlichen Bereichen zu finden, dazu zählen Untersuchungen zu grundlegenden Prozessen wie beispielsweise Gruppenbildungsprozesse, Konflikte und Handel (Epstein & Axtell, 1996), Analysen zur Evolution von Normen (Axelrod, 1986) oder die Darstellung virtueller Ökonomien 14

(Tesfatsion, 2003). Politikwissenschaftliche Ansätze widmen sich dem Entstehen und Auflösen von Staaten und Nationen (Cederman, 1997), während spezifischere Modelle beispielsweise Klimaeinflüsse auf Wassernutzungsverhalten untersuchen (Barthel et al., 2008). Agentenbasierte Modelle stellen nicht notwendigerweise eine exakte Repräsentation eines empirisch beobachtbaren Sachverhalts dar. Das Ziel agentenbasierter Modellierung ist vielmehr, dass sie zum Verständnis von grundlegenden Prozessen beitragen (Axelrod, 1997). Auch in der Konfliktforschung findet die Agentenbasierte Modellierung Verwendung.

1.3.2

Agentenbasierte Modellierung als Untersuchungsmethode

Agentenbasierte Modellierung ist im Bereich der Konfliktforschung in verschiedener Weise angewendet worden. So wurden z.B. zeitgenössische Konflikte (Geller, 2006), das Ausmaß von Konflikten (Cederman, 2003b) oder auch zivile Gewalt (Epstein, 2002) modelliert. Probleme im Umgang mit natürlichen Ressourcen wurden agentenbasiert im Rahmen der ökologisch-sozialen Dilemmaforschung untersucht (Ernst, Spada, Nerb & Scheuermann, 2000; Krebs, Elbers & Ernst, 2007). Auch im Bereich der MAS-Forschung werden Konflikte behandelt und (als Attraktoren der Emergenz komplexer Systeme) untersucht (Dieng & Müller, 2000). Es geht in diesen Analysen allerdings vordergründig um das Lösen von Optimierungsproblemen. Eine dynamische Umwelt und Heterogenität können die Autonomie der einzelnen Agenten und ihre Koordinationsfähigkeit im jeweiligen System erheblich beeinträchtigen. Die in diesem Forschungszweig gestellten Fragen drehen sich deshalb darum, wie mit diesen komplexen Anforderungen effizient umgegangen werden kann. Es steht fest, dass eine Agentengesellschaft, die nicht dazu in der Lage ist sich zu koordinieren und einen Abgleich zwischen vorgegebenen und selbst entwickelten Zielen vorzunehmen, schnell außer Kontrolle gerät. Wichtige Eigenschaften von Agenten sind deshalb einerseits die Fähigkeit zur autonomen Entscheidungsfindung und andererseits die Fähigkeit zur Interaktion mit anderen Agenten, die sich innerhalb des Systems befinden (Wooldridge, 2002). Sollen Konflikte zur Laufzeit einer Simulation entstehen und auch gelöst werden können, dann kommt es im Wesentlichen auf die sozialen Mechanismen an, die diese Bewältigung prinzipiell ermöglichen. Eine soziologisch inspirierte Modellbildung zur Entwicklung entsprechender Agentensimulationen kann dazu beitragen, soziale Konflikte und deren Auflösung mit Hilfe von 15

computergestützten Experimenten verstehbar zu machen. Der Konflikt ist als expliziter Baustein in die Systemanforderungen mit aufzunehmen (Timm & Hillebrandt, 2006).

1.3.3

Erzeugung von Simulationsmodellen

Für die Entwicklung des Simulationsmodells wurde Repast (Recursive Porous Agent Simulation Toolkit) verwendet. Repast ist ein Software-Framework, das von der Social Science Research Computing der Universität Chicago (USA) entwickelt wurde. Mit Repast können agentenbasierte Simulationen mit Hilfe der Sprache Java durchgeführt werden. Auf die Verwendung von Repast zur Implementierung des SCAR-Modells wird in Abschnitt 4.2.6 genauer eingegangen. In diesem Abschnitt wird anhand des Modells veranschaulicht, wie Repast den variablen und objektorientierten Aufbau von Simulationsmodellen ermöglicht.

1.4

Leitfaden der Dissertation

Abbildung 1-1 zeigt den strukturellen Aufbau dieser Dissertation. Kapitel 1 gibt Aufschluss über die grobe wissenschaftliche Einordnung und die Fragestellungen dieser Arbeit. Darüber hinaus stellt es heraus, welche fruchtbaren Erkenntnisse und Methoden verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen sich für die Untersuchung sozialer Konflikte eignen. Kapitel 2 und 3 stellen die für diese Arbeit relevante bisherige Forschung vor. In Kapitel 2 wird der Forschungsgegenstand der sozialen Konflikte beschrieben. Es werden verschiedene Konflikttheorien vorgestellt, die für die Einordnung und die spätere Modellierung bedeutsam sind. Kapitel 3 behandelt Multiagentensysteme und stellt sie als eine wichtige Methode vor, die dazu geeignet ist soziales Verhalten computerbasiert abzubilden. Im Rahmen dieses Kapitels wird näher auf den Aspekt der kognitiven Architekturen eingegangen. Im Zuge dessen wird auch auf einzelne Aspekte der CogAff-Architektur von Sloman (2001) und der PSI-Theorie von Dietrich Dörner (2001) eingegangen. Beide nehmen Einfluss auf die SCAR-Architektur. In Kapitel 4 wird zunächst die SCAR-Architektur vorgestellt. Sie basiert auf einer sorgfältigen Auswahl der in Kapitel 2 und 3 erarbeiteten wissenschaftlichen Erkenntnisse. Die SCARArchitektur ermöglicht die Abbildung sozialer Phänomene als Multiagentensystem. Darauf aufbauend wird anschließend das SCAR-Modell und das mit ihm verbundene Simulationsspiel

16

vorgestellt. Das SCAR-Modell erlaubt die Untersuchung von sozialen Konflikten, die aufgrund von beschränkten Ressourcen ausgelöst werden. Zudem werden in diesem Kapitel – auf

Einleitung Kap.1 & Forschungsfragen

der Grundlage der Forschungsfragen und basierend

Bisherige Forschung

auf

Erkenntnissen

des

Forschungsbereichs – die Anforderungen Soziale Konflikte

Kap.2

MultiagentenSysteme

Kap.3

herausgearbeitet, die an die SCARArchitektur

und

das

SCAR-Modell

Modellierung

gestellt werden.

SCAR-Architektur Kap.4 & SCAR-Model

In

Kapitel

5

wird

das

Modell

angewendet. Es werden verschiedene

Modellausführung Modellempirie

Kap.5

Szenarien

durchgespielt,

Konflikte

um

in

denen

beschränkte

Umweltressourcen entstehen und sich Diskussion & Ausblick

ggf. auch wieder auflösen. Darüber

Kap.6

hinaus

werden

die

gefundenen

Ergebnisse besprochen.

Abbildung 1-1: Struktur der Dissertation.

Mit dem Kapitel 6 werden schließlich die gewonnenen Erkenntnisse diskutiert und der Mehrwert für die Wissenschaft diskutiert. Darüber hinaus wird dafür plädiert, kognitiv plausible Agenten für die Untersuchung von sozialen Konflikten zu verwenden. Überdies wird dafür eingestanden, dass die Prozesse, die sich hinter sozialen Konflikten verbergen, sichtbar gemacht werden müssen. Schließlich werden weitere Forschungsfragen gestellt, die zwar durch die gewählte Herangehensweise aufgeworfen wurden, im Rahmen dieser Dissertation jedoch nicht beantwortet werden konnten.

17

2

Soziale Konflikte

Ging es im vorherigen Kapitel darum, Forschungsfragen aufzuwerfen und um eine allgemeine Einbettung des Themas, wendet sich dieses Kapitel nun dem spezifischen Forschungsgegenstand dieser Dissertation zu: den sozialen Konflikten. Um den umfassenden Gegenstandsbereich der sozialen Konflikte greifbar zu machen, wird er im nächsten Abschnitt thematisch verankert und das erkenntnistheoretische Interesse samt seiner Fallstricke kurz angerissen. Im Abschnitt 2.1 wird eine Definition des sozialen Konflikts herausgearbeitet, die die begriffliche Grundlage für diese

Arbeit

liefert.

Daran

schließt

sich

eine

Diskussion

um

verschiedene

Klassifikationsmöglichkeiten von Konflikten an. Es bedarf einer solchen Klassifikation, um soziale Konflikte voneinander unterscheiden, und das Forschungsfeld der Konflikte hinreichend genau analysieren zu können. Bevor im Abschnitt 2.3 repräsentative Ansätze der Konflikttheorie besprochen werden, wird in Abschnitt 2.2 auf die in den verschiedenen Ansätzen vorherrschenden Paradigmen zur Entscheidungsfindung eingegangen. Wie Akteure in Konfliktsituationen Entscheidungen treffen ist ein zentraler Punkt für die Entwicklung von sozialen Konflikten. Somit kommt der Entscheidungsfindung auch bei der Modellierung von Konflikten eine wesentliche Rolle zu. Im Abschnitt 2.4 werden zwei Prozessmodelle der Konflikteskalation beschreiben, die es u. a. erlauben, die Intensität vorherrschender Konflikte zu bestimmen. Überlegungen zur Konfliktdeeskalation schließen sich an diese Modelle an. In Abschnitt 2.5 wird spezifisch auf Konflikte um natürliche Ressourcen eingegangen. Die dort geschilderten Beispiele dienen als empirische Grundlage für das Simulationsmodell. Beendet wird dieses Kapitel mit einer Zusammenfassung und abschließender Diskussion.

2.1

Einführung in den Forschungsbereich der sozialen Konflikte

In der Konfliktforschung werden die Entstehung und der Verlauf von Konflikten untersucht. Nicht selten wird dabei das Finden von Lösungsstrategien angestrebt, die das Handeln in Konflikten verändern bzw. die negativen Auswirkungen eines Konfliktes begrenzen sollen. Eine konflikttheoretisch eigenständige und systematische Grundlage sozialer und gesellschaftlicher Strukturen wurde erstmalig in den 50er Jahren des 20sten Jahrhunderts mit dem fast zeitgleichen Erscheinen der Publikationen von Coser (1964, S. 276) [1956] und Dahrendorf (1957) geprägt (vgl. Messmer, 2003). Zahlreiche weitere Arbeiten folgten, die den Untersuchungsgegenstand „soziale Konflikte“ weiter ausdifferenzierten. Es gibt heute Zeitschriften (z.B. das „Jounal of 18

Conflict Resolution“), Institute (z.B. das „Institute of Conflict Analysis and Resolution“) und sogar eigene Studiengänge (z.B. Friedens- und Konfliktforschung, Philipps-Universität Marburg), die sich ausschließlich mit Konflikten beschäftigen. Bei der Suche nach sozialen Konflikten in der Literatur sind unzählige Bücher und Artikel aus den Bereichen Psychologie, Sozialpsychologie, Pädagogik, Philosophie, Politikwissenschaft, Ökonomie etc. zu finden (Dieng & Müller, 2000). Die Vielzahl der unterschiedlichen Perspektiven in diesem Gegenstandsbereich führt letztlich aber dazu, dass zwischen den verschiedenen Ansätzen kaum noch analytische Gemeinsamkeiten zu finden sind. Das zeigt sich unter anderem an vielfältigen Konflikttypologien und Klassifikationsversuchen, die ihrerseits – ausgehend von unterschiedlichen Annahmen der jeweiligen Theorie – unterschiedliche Relevanzen betonen. Einheitlichkeit besteht also weder hinsichtlich der Terminologie noch in Bezug auf die Theorien und Methoden, die für die Untersuchung sozialer Konflikte geeignet sind (Geller, 2006; Messmer, 2003). Eng mit dieser Vielfältigkeitsproblematik ist ein erkenntnistheoretisches Problem verbunden: Nach einem alltäglichen Verständnis sind Konflikte oft verbunden mit verbalen Attacken oder der Präferenz sich zeitweise aus dem Weg zu gehen; sie sind durch eine Form von Widerspruch oder Unvereinbarkeit von Werten bzw. Zielen der involvierten Akteure geprägt. Was diese Unvereinbarkeit erzeugt scheint aber nur durch die Betrachtung der jeweiligen Kontexte fassbar zu sein: Ehekonflikte haben auf den ersten Blick nur wenig mit Auseinandersetzungen um beschränkte natürliche Ressourcen zu tun. Und wenn sich Kinder um ein Spielzeug streiten, dann ist das mit kriegerischen Auseinandersetzungen nicht zu vergleichen. Es liegt nahe, die analytischen Bezugspunkte (Beziehungen, Kampf um natürliche Ressourcen, Kinder und Kriege) entsprechend auseinander zu halten (Messmer, 2003). In der sozialwissenschaftlich geprägten Konfliktforschung gibt es eine starke Strömung, die sich den besonderen Kontexten zuwendet, in denen sich Widersprüche und Unvereinbarkeiten spezifisch herausbilden (Bonacker, 2008; Messmer, 2003). Konflikte bleiben dabei jedoch als „Black Box dem reflexiven Zugriff verschlossen und stattdessen mit den spezifischen Kontexten ihres Erscheinens assoziiert“ (Messmer, 2003, S. 2). Die Kehrseite dieser Vorgehensweise liegt auf der Hand. Prinzipiell kann jeder beliebige Sachverhalt Konfliktauslöser sein und angesichts der Fülle potentieller Konfliktsachverhalte sind Gemeinsamkeiten kaum identifizierbar. Wenn jeder soziale Sachverhalt auch in Konfliktform auftreten kann, dann tendiert die Anzahl

19

möglicher Kontexte, und damit verbunden die Menge an Einflussvariablen, auf den Konfliktverlauf in Richtung unendlich. Oft gewinnt man bei der Lektüre entsprechender Analysen den Eindruck, dass eine Konflikttheorie eher das Erscheinungsbild als den Konflikt als solchen erklärt (Imbusch, 2006; Messmer, 2003). Dabei sind es vor allem die Ursachen und Wirkungen eines Konflikts, welche die analytische Aufmerksamkeit kontextfokussierter Konflikttheorien auf sich ziehen. Empirische und theoretische Arbeiten bezüglich allgemeiner Konfliktursachen haben zwar Einflussgrößen identifiziert und unterschiedliche Systematiken konfliktrelevanter Faktoren entwickelt, ein konsistentes Konzept, welches allgemein akzeptiert wird, ist dabei jedoch nicht erkennbar (Groß, 2004). Nach Bonacker (2008) gibt es seit den späten 1980er Jahren erste Bestrebungen, Konflikte von der Konfliktursache zu trennen. Diese Arbeit grenzt sich insofern von den anskizzierten, kontextfokussierten Arbeiten ab, als dass sie weniger der Frage nach dem „Warum“, sondern hauptsächlich der Frage nach dem „Wie“ nachgeht. Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht also vielmehr die Frage, wie Konflikte entstehen und aus welchen Prozessen sie zusammen gesetzt sind. Hierzu ist es notwendig Licht in die Blackbox

der

Konflikte

scheinen

zu

lassen.

Die

Differenziertheit

menschlicher

Informationsverarbeitung kommt erst dann zum Tragen, wenn dieselbe Situation oder dasselbe Ereignis bei verschiedenen Personen sehr unterschiedliche „Empfindungen“ auslöst. Dies kann immer wieder eindrucksvoll bei großen Fußballturnieren beobachtet werden. Bei einer FußballWM reagieren die Zuschauer z.B. auf ein und dasselbe Ereignis – dem Fallen eines Tores – höchst unterschiedlich, je nachdem welcher Mannschaft sie sich zugehörig fühlen. Die Bewertung dieses Ereignisses wird scheinbar subjektiv konstruiert. Den diesem Phänomen zugrunde liegenden Mechanismen gilt es mehr Aufmerksamkeit zu schenken.

2.1.1

Annäherung an eine Konfliktdefinition

Damit Akteure in einen Konflikt geraten, müssen sie Differenzen bezüglich eines gemeinsamen Elementes haben. Mit anderen Worten: sie müssen interdependent sein und nicht fliehen können (Tessier, Müller, Fiorino & Chaudron, 2001). Es existiert kein Konflikt, wenn Differenzen sich lediglich in Meinungen oder in Intentionen wiederfinden, ohne dass gehandelt wird (Tessier et al., 2001, S. 8). Wann aber spricht man von einem sozialen Konflikt?

20

In gängigen Definitionen (Boulding, 1957; Burton, 1993; De Dreu & Weingart, 2003; Deutsch, 1973; Glasl, 2004; Kriesberg, 1973; Messmer, 2003; Pondy, 1967; Tessier et al., 2001; Thiel, 2003; Thomas, 1992) werden meist die folgenden Bestimmungsstücke sozialer Konflikte genannt (vgl. auch Groß, 2004, S. 2): 1. mindestens zwei analytisch unterscheidbare soziale Einheiten (Individuen, Gruppen, Organisationen, Verbände, etc.), 2. Wahrnehmung von Unvereinbarkeiten bei wenigstens einer der beteiligten Parteien, 3. Form der Interaktion, 4. inkompatible Handlungen bzw. Handlungstendenzen (Ziele), 5. gegenseitige Abhängigkeit bzw. Möglichkeit wechselseitiger Einflussnahme, 6. Erleben aber auch Antizipation einer Beeinträchtigung. Viele dieser Aspekte tauchen in der Konfliktdefinition von Glasl (2004) auf. Seine Definition umfasst sowohl äußere Rahmenbedingungen als auch das subjektive Empfinden, das unter Umständen aber auch nur bei einer Partei vorhanden sein kann (vgl. hierzu auch Kriesberg, 1973). Glasl definiert den sozialen Konflikt wie folgt: Sozialer Konflikt ist eine Interaktion zwischen Akteuren (Individuen, Gruppen, Organisationen usw.), wobei wenigstens ein Akteur Unvereinbarkeiten im Denken, Vorstellen, Wahrnehmen und/oder Fühlen und/oder Wollen mit dem anderen Akteur (anderen Akteuren) in der Art erlebt, dass im Realisieren eine Beeinträchtigung durch einen anderen Akteur (die anderen Akteure) erfolgt (Glasl, 2004, S. 17). Glasl benennt den interaktiven Charakter von Konflikten, geht in seiner Definition aber weder auf die Interaktionsgeschichte des Konflikts ein, noch auf Prozesse der Konfliktregulierung und die dafür in den Konfliktparteien liegenden subjektiven Fähigkeiten. Thomas (1976) betont die Prozesshaftigkeit sowie die Bedeutung des Konflikts für die Person: “[…] Conflict is the process which begins when one party perceives that the other has frustrated or is about to frustrate some concern of his” (Thomas, 1976, S. 891). Rüttinger und Sauer (2000) differenzieren zwischen scheinbar und tatsächlich unvereinbaren Handlungsplänen, während Billmann (1978, zitiert nach Glasl, 2004) die Unvereinbarkeit auf

21

konfligierende Ziele zurück führt. Auch Castelfranchi (2000) räumt Zielen eine entscheidende Bedeutung ein und behauptet, dass der Konfliktbegriff die Existenz von Zielen voraussetzt: “There are no real ‘conflicts’ (but just oppositions, contrasts, etc.) between mere forces […] When there is a conflict, it is a conflict between two goals” (Castelfranchi, 2000, S. 22). Unter einem Ziel versteht Castelfranchi Repräsentationen eines Weltzustandes oder eines Prozesses, der darauf abzielt die Handlungen des Agenten zu steuern. Ein Ziel ist somit eine Repräsentation, die potentielle Intention des Agenten sein kann. Das Ziel kann als die generelle Klasse motivationaler Haltungen und Repräsentationen aufgefasst werden. Dabei gibt es verschiedene Zieltypen, die sich entweder durch ihre Verarbeitungsstufe (vage Wünsche bis intentionale Handlungen), oder beispielsweise durch spezifische kognitive oder soziale Bedingungen (Interessen, Pflichten, positive Erwartungen, Pläne etc.) auszeichnen. Es können Konflikte zwischen allen diesen Zielen vorherrschen: zwischen Hoffnungen und Pflichten, zwischen Bedürfnissen und Plänen etc. Konfligierende Ziele können entweder zu ein und demselben Agenten oder zu zwei unterschiedlichen Agenten gehören. Festzuhalten bleibt, dass wahrgenommene Unterschiede und Unvereinbarkeiten in der Folge psychische Zustände erzeugen, die ein Verhalten hervorrufen, das darauf abzielt, die Spannungen zu intensivieren, zu reduzieren oder zu lösen (De Dreu & Van de Vliert, 1997; Thomas, 1992). Thomas (1992) betont, dass ein Konflikt im Gegensatz zu einem destruktiven Prozess auch einen konstruktiven und positiven Prozess beschreiben kann. De Dreu und Van de Vliert (1997) unterscheiden zwischen aufgabenbezogenen/kognitiven Konflikten und sozio-emotionalen/affektiven Konflikten. Erstere sind Konflikte bezüglich Ideen, Aufgaben, Inhalten, Prozeduren, Interpretationen und Bewertungen von Fakten, der Verteilung von Ressourcen sowie aufgabenbezogenen Problemlösungsansätzen. Sozio-emotionale/affektive bzw. beziehungsbezogene Konflikte beziehen sich auf Bereiche, die die Identität und das Wertesystem einer Person betreffen bzw. bedrohen. Sie sind häufig durch hohe Negativität, Reibung, Frustration und persönliche Auseinandersetzungen gekennzeichnet. Bezüglich des Umgangs mit affektiven Konflikten sind Problemlösungsansätze nicht nur ineffektiv, sie können sogar schädigend sein (De Dreu & Van de Vliert, 1997). De Dreu und Weingart (2003) berichten, dass affektive Konflikte häufig als unüberwindbar wahrgenommen werden, was die Grundlage für Gewinner-Verlierer-Interaktionen bildet. 22

Aufgrund des Vergleichs mehrerer Definitionen fasst Groß (2004) die gefundenen Aspekte in einer eigenen Definition des sozialen Konflikts zusammen, die der Begriffsbestimmung von Glasl (2004) sehr ähnelt, sie aber um eine Prozessbeschreibung erweitert: Soziale Konflikte sind Interaktionen zwischen zwei oder mehreren anderen [sic] Personen bzw. Parteien, in denen scheinbar oder tatsächlich vorhandene, persönlich bedeutsame Unvereinbarkeiten mit der/den anderen Personen/Parteien erlebt werden und wenigstens von einer Person/Partei wahrgenommen wird, dass die andere Person/Partei etwas, was die Person/Partei selbst betrifft und für diese persönlich bedeutsam ist, negativ beeinflusst hat oder gerade im Begriff ist, dies zu tun (Groß, 2004, S.2). Diese Definition wird in der vorliegenden Dissertation als Arbeitsdefinition verwendet, wobei die in dieser Definition erwähnten Unvereinbarkeiten auf Ziele bezogen werden. Diese Sichtweise stützt sich auf die oben genannten Ausführungen von Castelfranchi (2000).

2.1.2

Klassifikation von Konflikten

Konflikttheoretische Überlegungen können anhand vieler verschiedener Kriterien klassifiziert werden. Eine Unterscheidungsmöglichkeit ist z.B. nach synthetischem oder analytischem Gehalt der Ansätze, nach der Reichweite und den unterschiedlichen Analyseebenen (intrapersonal, interpersonal, international). Eine solche Unterscheidung ist sinnvoll, denn es ist für die Analyse von Konflikten bedeutend, ob man sie auf der Ebene des Individuums (psychologisch, kognitionswissenschaftlich) erklärt, gesellschaftlich (etwa soziologisch, ökonomisch etc.) als Konflikte zwischen Individuen und Gruppen oder politikwissenschaftlich auf internationaler Ebene als Auseinandersetzung zwischen Staaten. Synthetische Konflikttheorien wollen die Realität erklären und abbilden. Sie haben ihren Fokus dabei auf Konflikten und ihrem Umfeld aber auch auf den Ursachen und Verlaufsformen von Konflikten. Dabei untersuchen synthetische Konflikttheorien das gesellschaftlich Gestaltende durch Konflikte. Ansätze der politischen Philosophie, Psychologie, (politischen) Ökonomie und Soziologie gehören zu dieser Klasse von Konflikttheorien. Analytische Konflikte hingegen sind mehr mit den Werkzeugen der Konfliktanalyse befasst. Hier stehen Konfliktausformung und Regelmechanismen sozialer Konflikte im Vordergrund. Die Spiel-, Entscheidungs- und

23

Systemtheorie sowie Theorien des rationalen Akteurs, Attributions- und Lerntheorien zählen zu den analytisch orientierten Konflikttheorien (Imbusch, 2006, S. 154). Individuelle Konflikte bzw. intrapersonale Konflikte sind innere Agentenkonflikte. Sie treten auf, wenn die Entscheidungsfunktion nicht präzise genug ist, z.B. wenn Personen sich in spezifischen Situationen nicht dazu entscheiden können, was als nächstes zu tun ist. Auf einem höheren Abstraktionsgrad tauchen sie auf, wenn eine Person nicht weiß ob sie egoistisch oder gutmütig (engl.: benevolent) sein soll (Tessier et al., 2001, S. 9). Psychologische Konflikte sind intrapersonale Konflikte. Der psychologische Konflikt entsteht zwischen aktiven Zielen und impliziert die Notwendigkeit der Auswahl um zu handeln. Er steht für eine schwer zu fällende Entscheidung, die auf einem recht ausbalancierten Vergleich zwischen den Werten der Ziele und einer Stufe der Furcht steht. Ein Beispiel: Eine Person, die sich nach Autonomie, zur gleichen Zeit aber auch nach Nähe sehnt, wird eventuell mit sich hadern, ob sie eine tiefe Bindung eingehen soll oder nicht. Psychologische Konflikte können auch als ein Spezialfall des inneren Konflikts (engl.: internal conflict) aufgefasst werden. Nun sind nicht alle inneren Konflikte psychologische Konflikte. Abstrakte Agenten, die Gruppen, Organisationen und Staaten repräsentieren, können bei Meinungsverschiedenheiten der Mitglieder untereinander ebenfalls einen inneren Konflikt haben. Auf einer konzeptuellen Ebene kann man darüber hinaus zwischen physikalischen Konflikten (engl.: physical conflicts) und Wissenskonflikten unterscheiden: Physikalische Konflikte sind Ressourcenkonflikte. Castelfranchi nennt sie extrinsische oder nichtanalytische Konflikte (Castelfranchi, 2000): Die Ziele der Agenten sind nicht länger kontradiktorisch (denn beide wollen Ressourcenanteile) und dennoch nicht kompatibel (da jede Entnahme die Ressource schädigen kann). Ein typischer physikalischer Konflikt besteht, wenn die gleichzeitige Nutzung einer Ressource intendiert wird, die aber entweder nicht teilbar, oder aber knapp ist (Tessier et al., 2001). Solche Konflikte sind in der Literatur z.B. behandelt bei Lemaître, Verfaillie und Bataille (1999). Weiterhin finden sich in der Literatur Unterscheidungen hinsichtlich objektiver und subjektiver Konflikte. Der Glaube4 (engl.: belief), dass ein Konflikt existiert kann richtig sein, und in diesem

4

Unter Glauben wird hier in Anlehnung an das BDI-Paradigma subjektiv erworbenes und daher

unsicheres Wissen verstanden. „A representation functions as a belief if it is produced or 24

Fall spricht man auch von einem objektiven Konflikt zwischen zwei Agenten. Dieser Glaube kann aber auch falsch sein, wobei man dann von einem subjektiven Konflikt spricht. Durch die Aufklärung falscher Vorstellungen und Missverständnissen können subjektive Konflikte aufgelöst werden (de Rosis, Floriana, Castelfranchi & Poggi, 2000, S. 42). Pondy (1967) konzeptionalisiert den organisationalen Konflikt als Prozess, der drei Hauptstufen umfasst: wahrgenommene (engl.: perceived), gefühlte (engl.: felt) und manifeste (engl.: manifest) Konfliktstufen. Der wahrgenommene Konflikt ist eine kognitive Stufe. Er repräsentiert jenen Punkt, an dem die Konfliktbeteiligten sich der Quelle des Konflikts (perzeptuelle Inkongruenz (engl.: perceptual incongruity) und der Unvereinbarkeit von Zielen (engl.: goal incompatability) etc.) bewusst werden. Der gefühlte Konflikt besteht aus Stress, Spannungen oder Anfeindungen, die auf die wahrgenommene Konfliktstufe aufbauen. Der manifeste Konflikt ist die Verhaltensoder Handlungsstufe des Konflikts. Die hier aufgeführten Klassifikationen von Konflikten gehören zu den in der Konfliktliteratur prominentesten Klassifikationsmöglichkeiten. Auch wenn sich die einzelnen Perspektiven nicht ausschließen, so ist es doch bis heute zu keiner befriedigenden Integration einzelner Ansätze gekommen

(Imbusch,

2006).

Die

Schwierigkeit,

verschiedene

Konfliktarten

und

Konfliktvarianten voneinander zu unterscheiden und sie in bestehende Konflikttypologien zu ordnen, liegt u. a. darin begründet, dass die Beiträge zu diesem Thema aus verschiedensten Disziplinen kommen (Glasl, 2002).

2.2

Entscheidung im Konflikt

Jeder Untersuchung – sei es in Simulationsmodellen oder in empirischen Untersuchungen – liegt eine Vorstellung darüber zugrunde, wie Menschen Entscheidungen treffen (Schwarz, 2007). In Konfliktsituationen müssen sich die beteiligten Akteure z.B. dazu entscheiden, ob sie mit anderen kooperieren oder nicht. Es scheint kaum Untersuchungen zu geben, die aufzeigen, welche Regeln und Prozesse in Konflikten kooperatives oder kompetitives Verhalten hervorbringen. Um zu

modified by perceptual and reasoning processes which tend […] to alter the representations to conform to reality (Sloman, 1987, S.3).”

25

einem solchen Verständnis zu gelangen, soll hier auf Erkenntnisse aus der Entscheidungstheorie zurückgegriffen werden. Dazu werden zunächst verschiedene Annahmen zur Rationalität von Entscheidungen vorgestellt.

2.2.1

Rationale Entscheidungstheorien

Der verhältnismäßig größte Anteil an empirischen Ansätzen in der Konfliktforschung kann dem Paradigma des Rational Choice zugerechnet werden (Geller, 2006). Rational Choice ist eine Sammelbezeichnung für eine Vielzahl unterscheidbarer Ansätze, die Individuen als rationale und zielorientierte Nutzenmaximierer begreifen. Zu den Ansätzen zählen die Spieltheorie, Public Choice, Social Choice Entscheidungstheorien etc. (vgl. Braun, 1999, S. 17). Entsprechend der Annahme, dass Individuen Nutzenmaximierer seien, wird der Rational-Choice Ansatz oft mit einer

Handlungstheorie

assoziiert,

die

individuelles

Verhalten

als

Resultat

eines

Maximierungskalküls darstellt. Diesem Kalkül liegt die Annahme zugrunde, dass Akteure Handlungsalternativen kennen, Handlungsfolgen und deren Wahrscheinlichkeit bewerten und danach die günstigste Alternative auswählen. Moderne Rational-Choice Ansätze berufen sich auf ein Menschenbild, das von Lindenberg (1985) in seinem RREEMM-Modell vertreten wird und den Menschen als „Resourceful, Restricted, Expecting, Evaluating, Maximizing Man” auffasst. Der Akteur (man) ist hier in seinen Handlungsmöglichkeiten z.B. durch begrenzte Handlungszeit eingeschränkt (restricted), verfügt aber über eigene Handlungsressourcen und weiß diese zu nutzen (resourceful). Da der Akteur nur unvollständiges Weltwissen hat, ist er auf subjektive Schätzungen des Handlungserfolgs angewiesen (expecting). Die Handlungsoptionen werden dann auf Basis der Erwartungen im Hinblick auf die Ziele bewertet (evaluating). Erwartung und Bewertung steuern schließlich die Handlungsauswahl des Akteurs, so dass sein erwartbarer Gesamtnutzen maximal wird (maximizing). Es gilt hervorzuheben, dass dieses Modell keine besonderen Annahmen über die Art des individuellen Nutzens bzw. der Handlungsziele und die individuelle Wahrnehmung trifft. Das unterscheidet den RREEMM-Ansatz vom Entwurf des Homo Oeconomicus, der von einer egoistisch materiellen Handlungsmotivation und einer von den objektiven Gegebenheiten nicht abweichenden Situationswahrnehmung ausgeht. Der Homo Oeconomicus ist somit lediglich eine besondere Spezifikation des allgemeinen RREEMMModells (vgl. Kunz, 2008). Neben den erbrachten Annahmen sind noch weitere Kernannahmen für die Erklärung sozialer Phänomene bedeutsam. Feld und Hug (2005) identifizieren vier 26

grundlegende Annahmen des Rational-Choice Ansatzes: 1) Egoismus als grundlegende individuelle Motivation, 2) die Existenz relevanter Alternativen, 3) rationales Verhalten von Individuen und 4) einen methodologischen Individualismus (Feld & Hug, 2005). Auf diese Punkte soll im Folgenden näher eingegangen werden: Das dem Rational Choice Ansatz zugrunde liegende Prinzip des methodologischen Individualismus basiert auf der Vorstellung, dass die Analyse und die Erklärung kollektiver Phänomene auf das Handeln von Akteuren in bestimmten sozialen Situationen zurückgeführt werden kann. Kollektive Handlungen werden als Resultat individuellen Verhaltens und nicht als Ergebnis von Klassen- oder Gruppenverhalten angesehen. Die Entscheidungen werden von Individuen getroffen, die eine Gruppe oder Organisation bilden. Dabei handeln einzelne Akteure so, dass sie ihre Ziele – unter Berücksichtigung der Handlungsbeschränkungen – möglichst gut verwirklichen können. Wenn aber für die Erklärung sozialwissenschaftlicher Phänomene, wie z.B. das Auftreten von Konflikten, auf die handelnden Individuen zurückgegriffen werden muss, dann impliziert dies auch, dass Rational Choice Ansätze notwendigerweise mindestens zwei Ebenen beinhalten: Die Makroebene mit kollektiven Phänomenen oder kollektivem Verhalten und die Mikroebene mit Individuen und deren Handlungen. Es wird schnell klar, dass wenn zwei Ebenen postuliert werden, es dann eine (theoretische) Verbindung zwischen individuellen Handlungssituationen und der Ausgangssituation auf der Makroebene geben muss. In einem zweiten Schritt werden dann auf der Mikroebene Annahmen über die Art und Weise notwendig, wie Akteure in Situationen handeln und welche individuellen Folgen damit verbunden sind. Letztlich muss dann in einem dritten Schritt geklärt werden, wie aus den individuellen Handlungen und Handlungsfolgen ein kollektives Phänomen entstehen kann, bzw. konnte. Neben dem Prinzip des methodologischen Individualismus bestehen weitere theoretische Annahmen über die Mikroebene für die Rational-Choice-Theorie. Es wird davon ausgegangen, dass Individuen durch ihre Wünsche und Ziele motiviert sind, die ihre Präferenzen zum Ausdruck bringen. Jeder Akteur muss Entscheidungen in Bezug auf seine Ziele als auch auf das zu verwendende Mittel zur Erreichung dieser Ziele auswählen. Der Rational Choice Ansatz geht davon aus, dass Individuen die Resultate alternativer Vorgehensweisen antizipieren und berechnen müssen, welche Alternative ihnen wahrscheinlich die größte Befriedigung bringt. Dem

27

Individuum wird

dabei unterstellt, dass es jederzeit dazu

in

der

Lage ist,

die

Handlungsalternativen gegeneinander abzuwägen (Feld & Hug, 2005; Geller, 2006; Kunz, 2008). Aus der Sicht der Rational Choice Theorie sind soziale Konflikte Makro-Phänomene oder auch kollektive Ereignisse, die auf der Grundlage individualistischer Überlegungen erklärt werden können. Diese schwierige Verknüpfung zwischen Makro-und Mikroebene erfolgt in der aktuellen Forschung (vgl. Esser, 1999; Kunz, 2008) anhand von drei Schritten oder Logiken: Die Logik der Situation, die Logik der Selektion und die Logik der Aggregation. Die Logik der Situation stellt hierbei den Bezug zwischen den sozialen Strukturen und der individuellen Mikro-Ebene her, wohingegen in der Logik der Selektion aufgrund der von den Akteuren wahrgenommenen Handlungssituation bestimmte Handlungsalternativen ausgewählt werden. Diese Logik bildet den Kern der auf den Rational Choice-Annahmen basierenden Modelle. Als letztes folgt die Logik der Aggregation, bei der durch bestimmte Transformationsregeln die Auswirkungen individueller Entscheidungen auf kollektive Ereignisse beschrieben werden. Ein sozialer Konflikt ist ein Beispiel für ein solches kollektives Ereignis. Letztlich werden auf der Aggregationsebene die individuellen Entscheidungen und Handlungen mit kollektiven Zielen verknüpft. Aus dem individuellen Verhalten resultieren externe Effekte für die Gruppe und die Realisierung kollektiver Interessen. Stimmt die individuelle Rationalität dabei nicht mit der kollektiven Rationalität überein, führt das unweigerlich zu Konflikten (Kunz, 2004, 2008). Somit fungiert letztlich ein Zwei-Ebenen-Modell als Grundlage einer Rational Choice Analyse sozialer Konflikte, wobei der theoretischen Ausformulierung der Mikro-Ebene eine besondere Bedeutung zukommt. Mit der Logik der Selektion wird nämlich ,,die methodisch erforderliche, allgemeine und kausale Beziehung zwischen den Eigenschaften der Akteure in einer spezifischen Situation und der Ausführung einer der wahrgenommenen Handlungsalternativen dargestellt" (Kunz, 2008, S. 467). Die dafür bedeutsame Regel wird als Wert-Erwartung-Theorie bezeichnet5 (vgl. hierzu auch Abschnitt 3.2.3.2). Sie wird zur Realisierung der Selektionslogik verwendet.

5

Manchmal wird in diesem Kontext auch auf die SEU-Theorie (Subjective Expected Utility)

zurückgegriffen. 28

2.2.2

Beschränkte Rationalität

Der Ansatz der beschränkten Rationalität berücksichtigt die begrenzte kognitive Kapazität von Individuen. Menschen können z.B. nur bedingt Informationen beschaffen, speichern und verarbeiten. Zudem können nicht alle Informationen in einem angemessenen Zeitrahmen kommuniziert werden. Sowohl die Informationsweitergabe als auch die Informationsbeschaffung wird somit zu einem kostenintensiven Prozess, dem selbst die kostenlose Verfügbarkeit aller relevanten Informationen keine Abhilfe verschaffen kann. Zwar bemühen sich die Akteure um rationales Verhalten, es gelingt ihnen aber aufgrund der kognitiven und kommunikativen Beschränkungen nur in begrenztem Maß. Als Folge erhöht sich die Unsicherheit, den Akteuren sind nicht mehr alle möglichen Zukunftskonstellationen und Handlungsalternativen sowie deren Konsequenzen bekannt. An Stelle der neoklassischen Zweckrationalität tritt damit die Verfahrensrationalität, bei der die Kosten der Informationssuche und Entscheidungsfindung gegen den daraus resultierenden zusätzlichen Nutzen abzuwägen sind. Nach Simon (1955, S. 100, 103f.) liegt beschränkte Rationalität dann vor, wenn mindestens eine der drei folgenden Merkmale der Rationalitätsannahmen nicht vorliegen: 1. Die Menge an Handlungsoptionen ist zu Beginn des Entscheidungsprozesses bekannt. 2. Alle Handlungsoptionen haben eine bekannte Nutzen- sowie ggf. Wahrscheinlichkeitsfunktion. 3. Die Akteure maximieren ihren Nutzen.

Todd und Gigerenzer (2003) machen innerhalb der Forschung zur beschränkten Rationalität drei Züge aus: das unvollständige Optimieren von Entscheidungen unter Restriktionen seitens der Umwelt (z.B. Kosten für Informationssuche: Satisficing), die Berücksichtigung kognitiver Beschränkungen (z.B. bei der Einschätzung des Nutzens einer Option: Prospect Theory) und das Zusammenspiel von äußeren Restriktionen und kognitiven Prozessen in Form von Heuristiken (vgl. hierzu auch Schwarz, 2007). Der geneigte Leser sei zur Vertiefung des Themas auf die Lektüre von Todd und Gigerenzer verwiesen.

Ein agentenbasiertes Modell zur Abbildung von Entscheidungsprozessen muss sich auf theoretische Konzepte stützen, die es plausibel machen. Sowohl Aspekte aus klassischen Theorien der Rationalen Entscheidung als auch Aspekte der beschränkten Rationalität liefern dafür wichtige Impulse. Aus allgemeinen Überlegungen zu Ansätzen der rationalen

29

Entscheidungstheorien spielt der methodologische Individualismus eine zentrale Rolle, da er es erlaubt kollektive Handlungen auf Grundlage individueller Entscheidungen zu erklären. Die Notwendigkeit, die Mikroebene (individuelle Ebene) mit der Makroebene (soziale Ebene) durch die vorgestellten Logiken (Logik der Situation, Logik der Selektion und Logik der Aggregation) zu verbinden liefern erste Hinweise auf die Anforderungen an solche agentenbasierten Modelle, die Entscheidungen abbilden wollen. Ansätze zur beschränkten Rationalität bereichern die bisherigen Überlegungen. Die Annahme der beschränkten Rationalität macht Entscheidungsmodelle plausibel, da Menschen keine perfekte Wahrnehmungsfähigkeit besitzen und lediglich über begrenzt kognitive Fähigkeiten verfügen. Bei der Abbildung realistischer Entscheidungsprozesse muss diesem Aspekt deshalb Rechnung getragen werden.

2.3

Repräsentative Ansätze der Konflikttheorie

Messmer (2003) liefert einen Überblick repräsentativer Ansätze zur Konflikttheorie und unterteilt sie in fünf Kategorien: 1) Strukturtheoretische Konfliktmodelle, die sich analytisch auf universell gültige Beziehungsmuster zwischen Akteuren konzentrieren. 2) Interaktionsanalytische Konfliktmodelle, die gegenüber den strukturtheoretischen Ansätzen weniger die Großstrukturen des Gesellschaftssystems als vielmehr die konkreten Konfliktinteraktionen im Rahmen einer gegebenen sozialen Situation verfolgen. 3) Sozialpsychologische Konfliktmodelle, die an den Übergängen zwischen Psychologie und Soziologie operieren und eine analytische Schnittstelle in der Individuum/Gesellschaft-Dimension besetzen. 4) Soziologische Konflikttheorien, die als eigenständiger Theorietypus eher selten vorkommen. Die oben genannten Werke von Dahrendorf und Coser (vgl. Abschnitt 2) können zu den soziologischen Konflikttheorien gezählt werden. 5) Spiel- und entscheidungstheoretische Konfliktmodelle. Die Spieltheorie hat sich ursprünglich (ohne Entscheidungsprozesse mit einzubeziehen) völlig auf die Erklärung typischer Interaktionsverhältnisse und –strategien mehrerer Akteure in einer gemeinsamen strategischen Situation konzentriert. Ergänzung fanden die Ansätze durch entscheidungstheoretische Überlegungen. Im Folgenden werden die unterschiedlichen Ansätze skizziert. Von besonderer Bedeutung für die vorliegende Arbeit sind die Überlegungen zur Spieltheorie, die deshalb ausführlicher behandelt werden. 30

2.3.1

Strukturtheoretische und Interaktionsanalytische Konfliktmodelle

Strukturen sind analytische Konzepte auf Basis unabhängiger Variablen, von denen angenommen wird, „dass sie das Handeln anfällig machen für unterschiedliche Formen von Konflikt und Gewalt“ (Messmer, 2003, S. 29). Es sind demnach Strukturen, die auf unterschiedlichen Ebenen der Handlung das soziale Geschehen organisieren. Im Hinblick auf den Konflikt legen strukturtheoretische Analysen ihren Fokus auf Phänomene sozialer Desintegration. Ausmaß und Intensität desintegrativer Prozesse werden dabei als ein Produkt strukturell inkompatibler Erwartungsstrukturen interpretiert. Der Konflikt erscheint als Gradmesser der Komplementarität personaler, sozialer und kultureller Austauschbeziehungen, von denen man annimmt, dass sie die sozialen Konfliktphänomene kausal determinieren. Eine solche Konfliktsicht wurde z.B. von Smelser (1962) verfolgt: Strukturbedingte Konflikte sind für ihn Auslöser manifesten Konflikthandelns, das durch Strukturwandel überwunden werden kann. Kernstück der Theorie ist ein siebenstufiges Modell des sozialen Wandels, das zeigt, wie Strukturungleichgewichte über manifeste Konflikte eine Reorganisation struktureller Ressourcen bewirken. Interaktionsanalytische

Konfliktmodelle

verfolgen

gegenüber

den

strukturtheoretischen

Konfliktmodellen eine entgegengesetzte Perspektive. Das analytische Fundament besteht hier nicht aus den Großstrukturen des Gesellschaftssystems, sondern eher aus den konkreten Konfliktinteraktionen im Rahmen einer

gegebenen sozialen Situation. Ein Vertreter

interaktionsanalytischer

ist

Konfliktmodelle

Erwing

Goffmann.

Sein

theoretischer

Ausgangspunkt ist die Annahme, dass soziale Realität an sich nicht existiert, sondern von spezifischen Wahrnehmungsmodalitäten und Beobachtungsstandpunkten abhängt. In diesem Sinne ist jede Interaktion lebhafter Ausdruck einer individuellen Orientierung in einer beobachterabhängigen Realität. Konflikte entstehen dieser Auffassung zufolge immer dann, wenn man die Routinen, Handlungsrichtlinien und Regeln missachtet, die für den anderen maßgeblich sind. In diesem Sinne haben Handlungen indikatorische Verweisqualität. Sie sagen etwas über die Beziehungen des Handelnden zum Regelsystem aus, an dem sich die Sinngebung der Handlung orientiert (Goffmann, 1977).

31

2.3.2

Sozialpsychologische Konflikttheorien

Kernannahme sozialpsychologischer Konflikttheorien ist die Auffassung, dass das subjektive Erleben eine beobachtungsabhängige Realität erzeugt, nach der sich das individuelle Verhalten ausrichtet. Demnach hängen auch die Bewertungen und Einschätzungen seiner Selbst und anderer von individuellen Strukturen ab. Gemäß der sozialpsychologischen Perspektive ist der Konflikt im Wesentlichen das Produkt sozialer Kategorisierungen und hauptsächlich auf Wahrnehmungen bzw. auf Interpretationen von Wahrnehmungen bezogen. Dementsprechend ist auch für den Verlauf von Konflikten nicht die objektive Situation bedeutend. Entscheidend ist vielmehr, wie sie subjektiv wahrgenommen wird. Sozialpsychologische Konfliktanalysen stehen in einer sehr umfassenden Forschungstradition, die insbesondere durch Arbeiten von Morton Deutsch geprägt sind (Deutsch, 1973, 2007; vgl. auch Messmer, 2003)6. Die Quintessenz seiner Forschung hat Deutsch in „Deutsch’s crude law of social relations“ zusammengefasst: „the characteristic processes and effects elicited by a given type of social relationship (e.g., cooperative or competitive) tend also to elicit that type of social relationship; and a typical effect of any type of relationship tends to induce the other typical effects of the relationship“ (Deutsch, 2007, S. 1). Der Kern dieser Hypothese beruht auf der Erkenntnis, dass individuelle und situative Merkmalseigenschaften tendenziell kongruent sind. Individuen bevorzugen demnach Situationswahrnehmungen und Interpretationen, die ihren Dispositionen nicht widersprechen. Dabei ist es gleichgültig, wie diese Dispositionen beschaffen sind. Wer beispielsweise eine Situation als problematisch und gleichzeitig unvermeidlich erlebt, der wird es versuchen seine Interpretation der Situation anzupassen. Ein solches Streben nach Einklang zwischen Disposition und Situation findet sich auch in Konsistenztheoretischen Ansätzen wieder. Konsistenztheorien beschäftigen sich vornehmlich mit Kognitionen und deren Beziehungen zueinander. Alle Konsistenztheorien teilen die Annahme, dass Menschen danach streben, Kognitive Elemente (z.B. Meinungen und Einstellungen, wahrnehmungs- und Denkprozesse) miteinander in Einklang zu bringen. Deshalb wird in der Regel von den entsprechenden

6

Zu nennen ist hier z. B. noch die Theorie Sozialer Identität von Tajfel und Turner (1986). Als

Theorie intergruppaler Prozesse probiert sie zu erklären, weshalb Individuen ihre Bezugsgruppe gegen andere Gruppen abgrenzen. 32

Konsistenztheoretikern oft auch ein Konsistenzmotiv postuliert. Tut eine Person nun etwas, was mit Ihren Einstellungen oder Wertvorstellungen nicht vereinbar ist, dann erlebt sie einen Widerspruch. Gleiches gilt, wenn eine Peron etwas nicht tut, obwohl es ihren Werten und Einstellungen nach als richtig empfunden wird. Es kommt zu einem inneren Konflikt. Dieser Konflikt wird dann aufgelöst, wenn das Konsistenzmotiv befriedigt wird und dieser Widerspruch aufgelöst werden kann. Als wichtiger Impulsgeber und Urvater konsistenztheoretischer Überlegungen gilt Fritz Heider (Heider, 1958). Wichtiger Vertreter der Konsistenztheorie ist z.B. Leon

Festinger

(Festinger,

1954).

Es

lässt

sich

festhalten,

dass

Konflikte

nach

sozialpsychologischer Perspektive „durch eine wechselseitige Beeinflussung interner Zustände und externer Situationen geprägt [sind]. Sie kennzeichnen einen Spannungszustand personaler und sozialer Identitäten“ (Messmer, 2003, S. 36). Deutsch hat die Mechanismen solcher Spannungszustände analysiert und zwei grundsätzliche Strukturmuster sozialer Beziehungen unterschieden: Ein kooperatives und ein kompetitives Beziehungsmuster.

Ein

kooperatives

Beziehungsmuster

zeichnet

sich

durch

Verhaltenseigenschaften aus, welche die wahrgenommene Gleichheit in Glaubens- und Verhaltensfragen betonen, Vertrauen und Hilfsbereitschaft fördern und sich an einem gegenseitigen Machtzuwachs orientieren. Kompetitive Beziehungsmuster sind entsprechend durch gegenteilige Verhaltensweisen geprägt. Die Interaktion im Konflikt wird nach Deutsch wesentlich davon

bestimmt,

welches

Beziehungsmuster

die

Situation

dominiert:

Kooperative

Beziehungsmuster lassen eher konstruktivere Strategien der Konfliktbewältigung erwarten, während kompetitive Beziehungsmuster charakteristisch für Konflikteskalationen sind und sozial destruktive Effekte bewirken. Wissenschaftler mit sozialpsychologischem Interesse bedienen sich u. a. auch spieltheoretischer Modelle, um solche Beziehungsmuster zu analysieren. Auf die Spieltheoretische Perspektive wird in Abschnitt 2.3.4 näher eingegangen.

2.3.3

Soziologische Perspektive

Vertreter der soziologischen Perspektive führen den Konflikt in der Regel auf soziale Strukturen zurück. Besondere Beachtung finden in diesem Zusammenhang die Arbeiten von Ralf Dahrendorf. Er fasst den Konflikt als ein soziales Phänomen auf, das aus der Struktur sozialer Einheiten ableitbar ist und sich damit von psychologischen Konflikttheorien abgrenzt. Dahrendorf postuliert „objektive“ Konfliktdimensionen, in denen Konflikte variieren können (so 33

z.B. ihre Intensität und ihre Gewaltsamkeit). Die Verwendung des Konfliktbegriffs liegt bei soziologischen Ansätzen vor allem in der Ableitbarkeit der Konfliktursachen aus den strukturellen Bedingungen des jeweiligen Systems, in dem der Konflikt entsteht. Mit derartigen Analysen sollen Aussagen gemacht werden können, die für bestimmte Situations- oder bestimmte Konflikttypen gelten, unabhängig davon, welches Individuum sich in der jeweiligen Situation befindet. Somit geht es um das Erkennen, Beschreiben und Erklären von Konflikttypen, die immer wieder, unabhängig davon welche Individuen daran beteiligt sind, auftauchen (Thiel, 2003). Der Soziologe Lewis A. Coser formte im Wesentlichen die amerikanische Konflikttheorie mit seinem einflussreichen Werk „Functions of Social Conflict“ (Coser, 1956). Hauptanliegen seiner Analyse des sozialen Konflikts sind die integrativen Funktionen des Konflikts für Gruppen und die Gesellschaft insgesamt. Coser sieht Konflikt als Element des gesellschaftlichen Prozesses und des sozialen Wandels. Von besonderem Interesse für die vorliegende Arbeit sind Cosers Annahmen zur Bestimmung der Intensität von Konflikten. 1. Die Intensität eines Konflikts nimmt zu, je weniger alternative Möglichkeiten der Artikulation von Unzufriedenheiten bestehen. 2. Je mehr Alternativen der Konfliktaustragung ein Akteur hat, um ein spezifisches Ziel zu erreichen, desto weniger intensiv wird der Konflikt ausgetragen. 3. Je frustrierter ein Akteur aus seiner früheren Erfahrung heraus ist, desto intensiver wird er seine Feindseligkeit gegen irgendein beliebiges Objekt richten. Coser erklärt, dass der soziale Konflikt nicht immer allgemeine feindselige Impulse beinhaltet. Feindselige Impulse können auch ausgedrückt werden, ohne eine Basis im realistischen sozialen Konflikt zu haben. Je mehr die beiden aber miteinander verbunden werden, desto intensiver wird der Konflikt: 4. Je mehr ein realistischer sozialer Konflikt mit allgemeinen feindseligen Impulsen verbunden wird, desto intensiver wird dieser Konflikt ausgetragen. Wann immer man eine enge Beziehung eingeht, weist diese Beziehung gleichzeitig positive und negative Gefühle auf, die als intensiv empfunden werden. Daraus folgt: 5. Je enger eine Beziehung, desto intensiver der Konflikt (Münch, 2004).

34

Nach Münch (2004) zeigt Coser überdies, dass aggressive Feindseligkeit, die auf persönlicher Frustration beruht, eine unspezifische Energie von der menschlichen Persönlichkeit in ansonsten spezifische soziale Konflikte hinein trägt und somit diese Konflikte verschärft. Münch (2004) bemängelt an Cosers Thesen, dass er die internen Faktoren des Machtspiels, die die Intensität des Konflikts beeinflussen, vernachlässigt. Münch würde z.B. eine Steigerung der Konfliktintensität, für den Fall erwarten, dass die konfligierenden Ziele unveränderbar bleiben. Daraus folgert Münch (2004, S. 343) als Ergänzung zu Cosers Überlegungen: 1. Je weniger austauschbar die in einem Konflikt involvierten Ziele und Mittel sind und je größer die Macht ist, die mobilisiert werden kann, desto intensiver wird ein Konflikt ausgetragen. 2. Je intensiver ein Konflikt ausgetragen wird und je weniger er von gemeinsamen Normen reguliert wird, desto mehr Gewalt ist im Konflikt involviert. Heutzutage sind soziologisch fokussierter Konflikttheorien stark rückläufig. Thiel (2003) merkt dazu an, dass „[d]ie Forschungsaktivität im Bereich der soziologischen Konflikttheorie … nach 1984 eher abgenommen [hat]“ (Thiel, 2003, S. 6).

2.3.4

Spieltheoretische Konfliktmodelle

Die klassische Entscheidungstheorie (vgl. Abschnitt 2.4.1.) vernachlässigt die Berücksichtigung der Tatsache, dass die eigenen Entscheidungen möglicherweise von einem Gegenspieler durchkreuzt werden können (Bühl, 1976). Der Ausgangspunkt der Spieltheorie sind hingegen Entscheidungssituationen, die durch eine wechselseitige Verschränkung der Handlungsoptionen gekennzeichnet sind. Dies bedeutet, dass es um Entscheidungen bzw. Handlungswahlen geht, bei denen der Akteur die Entscheidungen anderer Akteure in seine Entscheidung mit einbeziehen muss.

Darüber

hinaus

kann

es

vorkommen,

dass

über

die

Wertpräferenzen

und

Handlungsinstrumente des Gegenspielers keine oder nur unzureichende Informationen vorliegen. Die Spieltheorie behandelt genau diese Aspekte. Sie setzt die Struktur der Entscheidungsprozesse voraus und wendet sich ganz den Überlegungen und daraus resultierenden Spielzügen mehrer Interaktionspartner zu, die sozusagen mit „verdeckten Karten“ spielen. Vor dem Hintergrund dieser Charakteristika bezeichnet Jost (1998) die Spieltheorie als eine Theorie des sozialen Konflikts.

35

Die Spieltheorie ist ursprünglich eine mathematische Disziplin (von Neumann & Morgenstern, 1944), deren Anwendung auf Vorgänge der gesellschaftlichen Wirklichkeit zweifellos schwierig ist. Ihr Beitrag liegt in der Untersuchung der Strukturen in Konflikten. Sie kann zur Problemfindung beitragen, d.h. zur Erhellung der Grundstruktur von verschiedenen Konflikttypen. So hat die Spieltheorie herausgearbeitet, dass soziale Konflikte in der Regel als Nicht-Nullsummenspiele zu verstehen sind. Nicht-Nullsummenspiele zeichnen sich dadurch aus, dass Ergebnisse auftreten können, bei denen die Spieler zusammen ein besseres Ergebnis erzielen, nämlich wenn sie kooperieren. Ein Nullsummenspiel im ökonomischen Sinne hingegen ist eine Konkurrenzsituation, bei der der wirtschaftliche Erfolg oder Gewinn eines Beteiligten einem Misserfolg oder Verlust eines anderen in gleicher Höhe gegenübersteht. Soziale Konflikte bewegen sich zwischen den beiden Grenzfällen des reinen Nullsummenkonflikts und der reinen Kollaboration. Sie stellen stets eine Mixtur von Momenten des Konflikts und der Kooperation dar (Bühl, 1976; Jost, 1998). Für die Darstellung des sozialen Konflikts sind insbesondere drei Spielarten wichtig geworden: 1. Im Chicken-Spiel (oder auch Feiglingsspiel) soll das Gegenüber zum Nachgeben und zur Übernahme der Kosten gezwungen werden. Am besten kann das anhand zweier Akteure verdeutlicht werden, die mit ihren Sportwagen in hoher Geschwindigkeit direkt aufeinander zusteuern. Wer ausweicht gilt als Feigling und hat das Spiel verloren. Weicht keiner aus, dann bestehen zwar beide Spieler die Mutprobe, müssen aber ggf. mit ihrem Leben bezahlen, wenn die Wagen aufeinander prallen. Die Struktur, die diesem Beispiel zugrunde liegt ist auf eine Vielzahl sozialer Situationen anwendbar. Dazu zählt praktisch jede soziale Situation, in der der Protagonist seinem Gegner einen Verlust an Ansehen oder Handlungsspielraum dadurch zufügen kann, dass er die Antwortalternativen des Gegners auf ein bloßes Ja-oder-Nein reduziert. Seine Drohungen nehmen die Form an: führe X aus oder ich werde Y ausführen, obgleich Y für uns beide schmerzhaft sein wird! 2. Ultimatumspiele sind die prominentesten Anwendungen aus der Spieltheorie zur Untersuchung der Theorie der Rationalen Entscheidung. Beim Ultimatumspiel handelt es sich um ein Zweipersonenspiel. Eine Spielart

ist folgendermaßen: Ein Münzwurf

entscheidet, welcher Spieler Vorrang hat. Der Spielleiter legt diesem daraufhin 100 Euro auf den Tisch mit dem Angebot, sich davon einen Teil zu nehmen und den Rest dem anderen zu überlassen. Einziges Problem: Der Gegenspieler kann das Angebot 36

akzeptieren, dann teilen sich die beiden das Geld wie von der ersten Person vorgeschlagen. Der Gegenspieler kann das Angebot aber auch ablehnen. In diesem Fall gehen beide leer aus und das Geld bleibt beim Spielleiter. In beiden Fällen ist danach das Spiel unwiderruflich zu Ende. Entgegen der Rationalitätsannahme der klassischen Entscheidungstheorie handeln die Probanden aus ökonomischer Sicht oft irrational, denn in Versuchen, in denen das Ultimatumspiel erprobt wurde, hat sich über alle Geschlechts-, Religions-, Bildungs- und Altersdifferenzen hinweg gezeigt: das Teilungsangebot wird nur akzeptiert, wenn es nicht sehr von einer Fünfzig-Fünfzig-Teilung abweicht. Aus der Sicht des Homo Oeconomicus, sollte der Bieter die Teilung 99 Euro für sich, 1 Euro für den anderen vorschlagen um den eigenen Gewinn zu maximieren. Auch der Gegenspieler sollte als Homo Oeconomicus das Angebot annehmen, denn ein Euro ist mehr als kein Euro und er sollte eher diesen kleinen Gewinn für sich einstreichen als ganz leer auszugehen. 3. Bei dem von Anatol Rapoport ausgearbeiteten Gefangenen-Dilemma handelt es sich um ein Nicht-Nullsummenspiel. Dieses Modell ist besonders in Konfliktsituationen aktuell, in denen die Gegner voneinander abhängig sind und sozusagen „im gleichen Boot“ sitzen. Das Problem eines Konfliktes im Gefangenendilemma ist, dass die relativ beste Lösung ein gewisses Vertrauen voraussetzt, dieses Vertrauen aber nicht vorausgesetzt werden kann. Entscheidet sich nämlich nur einer von zwei Spielern dazu zu kooperieren, dann hat dieser kooperative Spieler gegenüber dem anderen, unkooperativen Spieler, das Nachsehen. Das Modell des Gefangenendilemmas liefert einen Beitrag dazu, den Langzeithorizont und die soziale Komponente von Konflikten herauszustellen, die, als Nullsummenkonflikte betrachtet, zur Katastrophe führen müsste. Das Gefangendilemma wird in Abschnitt 2.3.4.1 genau beschrieben. Für die nachfolgenden Überlegungen sind insbesondere die Untersuchungen zum Spiel des Gefangenendilemmas bedeutsam. Deshalb soll im Folgenden näher auf diese Spielart eingegangen werden.

2.3.4.1 Das Gefangenendilemma Das Gefangenendilemma ist das klassische Problem der Spieltheorie zur Abbildung einer interpersonellen Konfliktsituation. Dabei handelt es sich ,,um ein sogenanntes Spiel mit 37

gemischten Motiven“ (Kunz, 2004, S. 464). Es gibt zwei Spieler, von denen jeder zwei Entscheidungsmöglichkeiten hat: zu kooperieren oder zu defektieren. Das Dilemma besteht nun darin, dass sich zwar beide Spieler durch gemeinsame Kooperation besser stellen würden, es letztlich aber meist lieber vorziehen nicht miteinander zu kooperieren. Abbildung 2-1 zeigt die Struktur, die diesen Dilemmasituationen zugrunde liegt. Die Abbildung zeigt die sogenannte Auszahlungsmatrix für ein Gefangenendilemma. Solche Auszahlungsmatrizen werden in der Spieltheorie dazu verwendet, um für jede mögliche Wahl der Spieler den zu erwartenden Nutzen

Defektiert

Spieler 1

Spieler 2

Kooperiert

bzw. Schaden anzugeben.

0

-1

Kooperiert

-1

-10 -8

-10

Defektiert

0

-8

Abbildung 2-1: Auszahlungsmatrix in einem Gefangenendilemma. Anmerkung: Auszahlungsmatrix eines Gefangenendilemmas. Die Ergebnisse für Spieler 1 sind in jeder Zelle oben rechts und für Spieler 2 unten links aufgetragen. Die Zahlen repräsentieren den erwarteten Schaden.

Beide Akteure kennen in diesem Spiel ihre Handlungsalternativen und die damit verbundenen Konsequenzen, also die Auszahlungsmatrix. Das bedeutet, dass sie ihre Entscheidung unter vollständiger Information treffen. Allerdings sind diese Informationen „nicht perfekt“, da jeder Akteur unabhängig von und unter Unkenntnis der Entscheidung des Anderen seine Auswahl zwischen beiden Alternativen treffen muss (Kunz, 2004, S. 55). Somit stellt sich letztlich das paradoxe Ergebnis ein, dass, wenn beide Akteure für sich selbst die beste Option wählen, sie zu einem schlechteren Ergebnis bzw. zu einer schlechteren Auszahlung kommen, als wenn jeder eine individuell gesehen suboptimale Wahl treffen würde. Dieser Zustand wird dabei als pareto-inferior bezeichnet. Das pareto-inferiore Ergebnis gilt allerdings nur zwingend beim einmaligen Spiel, da bei wiederholter Interaktion immer noch die Möglichkeit besteht, auf das Verhalten des Partners zu reagieren. Auf diese Weise kann durchaus bei einer unbestimmten Anzahl von Interaktionen Kooperation entstehen (Axelrod, 2000). 38

Generell gilt, dass die Auflösung des Dilemmas nur dann gelingt, wenn die Handlungen der anderen Seite identifizierbar sind. Doch bei einer „zunehmenden Zahl von Akteuren ist diese Bedingung immer schwieriger zu erreichen, weshalb das einfache Gefangenendilemma in sozialwissenschaftlichen Untersuchungen häufig als Ausgangspunkt für die Darstellung sozialer Interaktionsprobleme dient“ (Kunz, 2004, S. 57). So beschreibt das Gefangendilemma nicht zuletzt in abstrakter und formalisierter Form eines der zentralen Probleme sozialen Zusammenlebens: Den Konflikt zwischen individueller und kollektiver Rationalität. Axelrod (1984) bedient sich der Logik des Gefangenendilemmas, um zu einer Erklärung dafür zu gelangen, warum kooperatives Verhalten überhaupt in der natürlichen wie in der kulturellen Evolution entstehen konnte. Axelrod ließ zur Beantwortung dieser Frage zunächst in einer Computersimulation

eine

Reihe

von

unterschiedlichen

Strategien

im

paarweisen

Gefangenendilemma gegeneinander antreten. Die Strategien hatte er nach einem öffentlichen Aufruf von unterschiedlichen Autoren zugesendet bekommen. In jedem Duell wurde für eine bestimmte jedoch vorher unbekannte Anzahl von Runden das Gefangenendilemma durchgespielt. Dabei hatten die Strategien in jeder Runde die Wahl zu kooperieren oder zu defektieren, wobei die Strategien den bisherigen Spielverlauf bei dieser Entscheidung berücksichtigen konnten. Die Auszahlungen, die jede Strategie in jeder Runde erhielt, wurden aufsummiert. Sieger war diejenige Strategie, die am Ende die höchste Durchschnittspunktzahl hatte. In zwei aufeinanderfolgenden Turnieren dieser Art, die Axelrod durchführte, gewann jedes Mal die Strategie Tit-for-Tat, woraus Axelrod auf eine besondere Leistungsfähigkeit dieser Strategie schloss. Die Tit-for-Tat-Strategie funktioniert nach dem Motto wie du mir, so ich dir. Ein Spieler dieser Strategie wird kooperativ beginnen und dann immer das tun, was sein Gegner im letzten Zeitschritt getan hat. Zwei Tit-for-Tat-Spieler kooperieren deshalb immer miteinander. Die aus diesem Experiment erzielten Ergebnisse beeinflussen Axelrods Theorie der Evolutionären Kooperation, die Einzelerklärungen für die unterschiedlichsten Situationen liefern will, in denen kooperatives Verhalten beobachtet werden kann. Kern der Untersuchung ist die Frage inwieweit Kooperation auch unter egoistischen Individuen möglich ist, ohne dass sie durch eine zentrale Gewalt erzwungen wird (Axelrod, 2000; Kunz, 2004). In der psychologisch orientierten Forschung bedienen sich Ernst et al. (2000) der Struktur des Gefangenendilemmas für die Implementierung einer Theorie des Handelns, dem sogenannten kisModell (knowledge and intentions in social dilemmas). Während die klassische Spieltheorie von 39

einem voll informierten Entscheidungsträger ausgeht, wird im kis-Modell angenommen, dass Konfliktbeteiligte sich die Informationen selbst beschaffen und diese unter Zugrundelegung persönlicher Präferenzen subjektiv verarbeiten müssen. Ernst und Kollegen entwickelten ein lauffähiges kognitiv-motivationales System, das zum Handeln in einem ökologisch-sozialen Dilemma fähig ist und sich auf empirische Befunde sowie Ergebnisse und Annahmen aus der Literatur

zu

Ressourcendilemmata,

Lern-

und

Motivationspsychologie

und

der

Kognitionswissenschaft stützt (Ernst, 1994; Ernst & Spada, 1993; Ernst et al., 2000). Anwendung findet die dem kis-Modell zugrunde liegende Handlungstheorie in einem Simulationsmodell, das das an der Universität Freiburg entwickelte Fischereikonfliktspiel (vgl. Abschnitt 2.5.2) implementiert. Dieses Simulationsmodell wurde einerseits dazu herangezogen, um das Verhalten von Versuchspersonen in experimentell kontrollierten Situationen vorherzusagen. Andererseits wurden aber auch mit Hilfe des kis-Modells die experimentellen Bedingungen selbst erzeugt, unter denen das Verhalten von Versuchspersonen und Modellsimulationen verglichen werden. Neben den aus dem Gefangenendilemma entliehenen Spielstrukturen sind für das kis-Modell insbesondere die ökologisch-sozialen Dilemmata oder Ressourcendilemmata (engl.: commons dilemmas) von zentraler Bedeutung. Im Folgenden soll näher darauf eingegangen werden.

2.3.4.2 Soziale Dilemmata Das Gefangenendilemma ist ein Spezialfall der sozialen Dilemmata (Ernst, 1997, S. 18). Die Grundstruktur der sozialen Dilemmata fasst Dawes (1975 zitiert nach Ernst, 1997) wie folgt zusammen: 1)

Jeder Spieler kann zwischen einer kooperativen und nicht-kooperativen Handlung wählen.

2)

Eine nicht-kooperative Wahl führt zu einem Gewinn während die negativen Konsequenzen der Nicht-Kooperation jedoch auf alle Spieler verteilt werden. Der Gewinn der Nicht-Kooperation wiederum übersteigt den auf den unkooperativen Spieler entfallenden von ihm selbst erzeugten Schaden.

3)

Der Gesamtgewinn aller Spieler steigt mit der Anzahl kooperierender Spieler. Und umgekehrt: Je mehr Spieler die Nicht-Kooperation wählen, desto geringer ist der Nutzen aus der Nicht-Kooperation.

40

4)

Die Struktur des Spiels bleibt unabhängig von der Anzahl der Spieler die gleiche.

5)

Die nicht-kooperative Strategie ist dominant.

Diese Bedingungen führen dazu, dass jeder einzelne Beteiligte relativ zur kooperativen Handlung einen höheren Gewinn durch nicht-kooperative Handlungen erzielen kann, jedoch alle Beteiligten insgesamt besser gestellt sind, wenn sie alle miteinander kooperieren. Bezogen auf die Nutzung eines allgemeinen Gutes kann der Einzelne zwar seinen Nutzen maximieren; das kann er aber nur solange, bis durch die dadurch entstehende Übernutzung der Schaden auf alle zurückfällt. Die Handlung, „die kurzfristig gesehen – zu maximalem persönlichen Nutzen führt, ist nicht identisch mit der, die höchsten Nutzen für alle erbringt“ (Ernst, 1992, S. 3). Soziale Dilemmata lassen sich nach Ernst (1997) weiter in Beitragsdilemmata und Nutzungsdilemmata unterscheiden.7 In einem Beitragsdilemma müssen die beteiligten Akteure etwas leisten bzw. beitragen, damit ein Gut geschaffen oder weiterhin existieren kann. Beitragsdilemmata werden auch als „Freifahrer“- (Freerider) oder „Trittbrettfahrerprobleme“ bezeichnet, denn nach individueller Rationalität ist es in diesen Fällen am günstigsten, wenig zu einem allgemein erstrebenswerten Ziel oder einem gemeinsamen Gut beizutragen (Ernst, 1997). Bei Nutzungsdilemmata existiert ein gemeinsam genutztes Gut, wobei die Nutzung des Gutes dem Nutzer individuell zugute kommt, während ein etwaiger Schaden am Gut alle Beteiligten in gleicher Weise trifft. In der Terminologie der Spieltheorie ist der individuelle Verzicht oder zumindest eine zurückhaltende Nutzung der Ressource die kooperative Handlung. Diese Handlung kann allen nutzen, da sie die Ressource funktionsfähig erhält. Nur individuell betrachtet erscheint es sinnvoll die betreffende Ressource den eigenen Bedürfnissen entsprechend nutzen zu wollen. Wenn viele so denken, dann verletzt diese Sichtweise die kollektive Rationalität, die eine gemäßigte Nutzung und somit den Erhalt des Gutes vorschreiben würde (Ernst, 1997, S. 20).

7

Nach spieltheoretischer Betrachtung der jeweiligen Auszahlungsmatrizen, sind Nutzungs- und

Auszahlungsdilemmata äquivalent und ineinander überführbar. Nach psychologischen Maßstäben wird jedoch bei gleichen Auszahlungen eine unterschiedliche Rahmengeschichte (framing) (entsprechend den beiden Dilemmata) gegeben. Die Rahmengeschichte erzeugt Unterschiede im Verhalten der beteiligten Akteure (Ernst, 1997, S. 21).

41

2.3.4.3 Ökologisch-Soziale Dilemmata Ökologisch-soziale Dilemmata treten unter Realbedingungen in verschiedensten Bereichen auf. Darunter zählen die „Nutzung von Fischbeständen, Wald, Weiden, die Regeneration von Wasser, Luft oder Böden, das heißt generell die menschliche Bewirtschaftung aller nachwachsenden natürlichen Ressourcen“ (Ernst, 2008, S. 378). Bei ökologisch-sozialen Dilemmata sind zwei Dimensionen zugleich wirksam: zum einen die aus dem sozialen Dilemma bereits beschriebene soziale Dimension, bei der der Gewinn aus der Nutzung der Ressource dem Individuum nützt, während die Schädigung der Ressource alle Beteiligten gleichermaßen trifft. Zum anderen ist hier eine weitere, zeitliche Dimension wirksam, die die ökologischen Gegebenheiten und die durch sie verursachten Zeitverzögerungen der Handlungseffekte mit berücksichtigt. Die Tatsache, dass der Gewinn aus der Nutzung der Ressource für den einzelnen sofort, Verluste aber erst zeitverzögert eintreten, wird von Messick und McClelland (1983) als Zeitfalle („temporal trap“ oder „time delay trap“) bezeichnet. Die Zeitfalle „entsteht dadurch, dass die Handlungen im Dilemma in die Zukunft hineinreichen, dass sie Fernwirkungen haben. So bewirkt ein starkes Befischen einer Fischpopulation eine Reduzierung ihrer Regenerationsfähigkeit und damit einen verminderten Bestand in der kommenden Saison“ (Ernst, 1997, S. 22). „Ökologisch-soziale Dilemmata sind eine Sonderform sozialer Dilemmata, bei der nicht nur die Menschen untereinander, sondern auch Menschen und natürliche Umwelt in charakteristischer Weise voneinander abhängen. Es handelt sich um eine Situation, in der Menschen eine sich selbst begrenzt regenerierende Ressource gemeinsam nutzen. Die Ressource kann durch Übernutzung geschädigt, sogar ausgelöscht werden. Der Gewinn aus der Nutzung des Umweltgutes entsteht sofort, durch etwaige Übernutzung entstehende Verluste aber zeitverzögert“ (Ernst, 1997, S. 22). Als Beispiele für solche ökologisch-sozialen Dilemma-Situationen werden vielfach die Allmende (engl.: commons)8, der Fischfang, die Nutzung von Luft und Gewässern oder auch die globale 8

Der Commons Begriff ist über einen langen Zeitraum gewachsen und wurde seit den fünfziger

Jahren, beginnend mit der ökonomischen Analyse einer Fischerei von Scott (1955) und Gordon (1954b), ständig weiterentwickelt. Nach einigen bedeutsamen Ereignissen (Erscheinen von „The Tragedy of the Commons" von Hardin 1968, The National Research Council's Annapolis Conference on Common Property Resource Management 1985, die Einrichtung einer Common 42

Überbevölkerung genannt. Die von Hardin (1968) beschriebene Tragödie der Allmende beinhaltet die zwangsweise Übernutzung einer Ressource. Dies geschieht, wenn viele Eigner das Recht haben, eine Ressource zu nutzen und keiner den anderen ausschließen darf. Die Tragödie besteht nun darin, dass die Ressource sich nur erhalten lässt, wenn man die Nutzung begrenzt, was den Verlust der Freiheit bedeuten würde. Würde man andererseits aber die Freiheit erhalten wollen, dann wäre die Ressource verloren. Die Betrachtung ökologisch-sozialer Dilemmata ergänzt die bisherigen spieltheoretischen Überlegungen um wichtige Aspekte, denn in den bisherigen Beschreibungen waren positive sowie negative Konsequenzen von Handlungen immer zeitlich nah beieinander. Man hatte es entweder mit Spielen zu tun, die nur eine Runde gespielt wurden, oder bei denen die Auszahlungsmatrix in jeder Runde gleich war, unabhängig von den vorausgegangenen Runden. Das ist bei der Nutzung einer natürlichen Ressource anders. Akteure in ökologisch-sozialen Dilemmata erfahren einerseits äußere, interindividuelle, andererseits aber auch innere, intraindividuelle Konflikte. Das Bedürfnis, unmittelbar maximalen Gewinn zu erzielen, kann z.B. im Gegensatz zu dem ebenfalls vorhandenen Bedürfnis, die Ressource nachhaltig zu bewirtschaften, stehen.

2.3.4.4 Auswege aus dem Dilemma Für gewöhnlich werden im Forschungsfeld der ökologisch-sozialen Dilemmata generell zwei unterschiedliche Lösungsansätze in Betracht gezogen: 1) die staatliche Regulierung und 2) die Privatisierung von Gemeingütern. Die staatliche Regulierung ist aufgrund der dezentralen Verteilung von Wissen oft nicht möglich. Das Wissen liegt bei den Akteuren selbst. Darüber hinaus handelt es sich bei dem Wissen oft um implizites Wissen. Hinzu kommt, dass die Handlungen der Akteure nicht lückenlos kontrolliert werden können. Das aus ökonomischer Sicht zu bevorzugende Mittel scheint die Privatisierung der Allmende zu sein. Eine Privatisierung

Pool Resource-Bibliothek an der Indiana Universität, die Gründung der internationalen Organisation des Studiums des Gemeineigentums (IASCP) 1988 und das Erscheinen von „Governing the Commons" von Ostrom 1990) hat sich eine eigene Richtung herausgebildet. 43

schließt Freerider-Verhalten9 aus und es dürfte bei langfristig kalkulierenden Eigentümern theoretisch auch zu keiner Übernutzung kommen. In Realsituationen ist eine Privatisierung aber oft nicht möglich. Ein prominentes Beispiel sind die Fischbestände der Weltmeere. Ein anderer Fall liegt vor, wenn ein Ausschluss schlichtweg zu teuer ist. Es stellt sich heraus, dass bei lokal genutzten Allmendegütern oft ein Vertrag unter den direkt Beteiligten eine erfolgreiche Variante ist. Diese Art von Verträgen hat Elinor Ostrom analysiert. In ihrem Buch „Governing the Commons“ (1990) liefert sie empirische Belege für die Wirksamkeit solcher Übereinkünfte. Beispiele für erfolgreich gemanagte Allmendegüter sind Hochgebirgsalmen in der Schweiz und Japan sowie Bewässerungssysteme in Spanien und den Philippinen10. Eine geglückte Kooperation resultiert nach Ostrom (1990) aus der erfolgreichen Etablierung einer geeigneten Institution,

dem

Schaffen

von

Vertrauen

und

dem

Finden

von

wirkungsvollen

Kontrollmöglichkeiten. In Abschnitt 2.5.1 wird näher auf einen solchen Fall eingegangen. Es handelt sich dabei um die Küstenfischerei in Alanya. Eine konflikttheoretisch nahe liegende Konsequenz aus Messmers Beobachtung, dass Konflikte oft als Blackbox behandelt werden, ist, die Analyse auf interne Konfliktparameter zu konzentrieren (Messmer, 2003). Neben der ökonomischen Perspektive auf Ressourcendilemmata, die die Untersuchung von Auszahlungsfunktionen und Top-Down-Regeln zur Regulation von Dilemmastrukturen beinhaltet, hat die Psychologie eigene Faktoren für den Gegenstandsbereich herausgearbeitet. Kopelman et al. drücken diesen Sachverhalt wie folgt aus: While much of the economic research of commons dilemmas has explored the big-picture effects of rules, institutions, and payoff structures on cooperative behavior, experimental psychological research has uncovered crucial factors of its own, suggesting that the best

9

Unter einem Freerider (oder auch Trittbrettfahrer) wird ein einzelnes Wirtschaftssubjekt

bezeichnet, das durch von der Kooperation abweichendes Verhalten von der Kooperation anderer profitiert. 10

Durch institutionelle Arrangements ist es in diesen Ländern gelungen, über mehrere

Jahrhunderte stabile Gleichgewichte aufrechtzuerhalten und Übernutzung zu vermeiden. Dabei beobachtet Ostrom ein durchweg hohes Niveau an Kooperation; die Überwachung des Systems erfolgt meist autonom.

44

commons institutions of the future will seek the best fit between top-down institutional rules and the bottom-up individual psychological effects (Kopelman, Weber & Messick, 2002b). Die Allmendeproblematik kann also auch anhand von verschiedenen psychologischen Variablen untersucht werden. Gängige Variablen sind (soziale) Motive, Geschlecht, Auszahlungsstruktur, Unsicherheit, Macht, Status, Gruppengröße etc. (Kopelman, Weber & Messick, 2002a). Darüber hinaus können aber auch Wahrnehmungs- und Gedächtnisprozesse beleuchtet werden. Dieser Arbeit liegt die Annamme zugrunde, dass es, um zu einem tieferen Verständnis über die den Konflikten zugrunde liegenden Wirkungsmechanismen zu gelangen, sowohl die äußere als auch die innere „Umwelt“ von Agenten berücksichtigt werden muss. Einflussfaktoren aus beiden Bereichen sind für die Entstehung von Konflikten bedeutsam. Neben äußeren Umweltfaktoren spielen Motive, Bedürfnisse und die daraus resultierende Verarbeitungstiefe von Informationen eine entscheidende Rolle. Es existiert kein Ereignis an sich, das soziale Konflikte auszulösen vermag. Es sind immer die Subjekte und deren Bewertung der Situation, die bestimmen, inwiefern sich ein Konflikt ausprägt oder nicht. Eine Person, die sich im Supermarkt eine Tiefkühlpizza kaufen möchte wird auf einen Vordrängler an der Kasse sehr unterschiedlich reagieren, je nachdem wie ihre derzeitige Motivlage ist. Hat der Pizzakäufer nämlich Hunger und möchte seinen Hunger durch das Essen der Pizza stillen, dann wird er mit hoher Wahrscheinlichkeit eher gereizt auf den Vordrängler reagieren. Ist er hingegen satt und verspürt auch keinen Termindruck, dann fallen seine Bewertung und die darauffolgende Reaktion wahrscheinlich milder aus. Der Einbezug von Motiven im Konfliktprozess scheint eine zentrale Rolle dabei zu spielen, wenn es darum geht Konfliktprozesse zu erhellen. Während die Akteure selbst wie auch ihre Handlungen relativ gut dokumentiert sind, dürfen ihre Motive als bisher ungenügend untersucht bezeichnet werden. Der alleinige Rekurs auf ein Motiv, z.B. Profitstreben, oder einen Beweggrund, z.B. soziale Ungerechtigkeit, der Akteure stellt sich als verkürzend und fehlleitend heraus. Die Motive und Beweggründe der Akteure sind mannigfaltiger und mehrschichtiger Natur (Geller, 2006, S. 55). In Abschnitt 3.2.3.2 wird deshalb explizit auf Bedürfnisse und die Entstehung von Motiven eingegangen. Für die Entwicklung eines agentenbasierten Computermodells stellt sich dann die Frage, inwieweit es möglich ist, eine auf Bedürfnisse basierende Binnenstruktur sichtbar zu 45

machen, anhand derer sich die schrittweise Ausdifferenzierung einer Konfliktwirklichkeit ablesen lässt. Um das Zusammenspiel zwischen den einzelnen Einflussfaktoren und ihren Beitrag im Konflikt zu zeigen, wurde ein Multiagentenmodell konzipiert und implementiert. Dieses Modell wird in Kapitel 4 vorgestellt. Von besonderem Interesse ist für die vorliegende Arbeit, inwiefern Wahrnehmungsprozesse die Allmendeproblematik beeinflussen und welchen Einfluss die Repräsentation von sozialen Strukturen auf den Konfliktverlauf hat.

2.4

Bestimmung der Konfliktintensität

In den vorherigen Abschnitten wurde diskutiert, wie sich Konflikte bestimmen und einordnen lassen. Es soll aber nicht nur bestimmt werden, ob ein Konflikt besteht oder nicht. Vielmehr sollen Aussagen über den Konfliktprozess, über qualitativ unterscheidbare Stufen des Konflikts gemacht werden. Erst dann können im Rahmen von Simulationen (vgl. Kapitel 6) die Entstehung des Konflikts und seine Dynamik sichtbar werden. Im Folgenden sollen deshalb zwei ausgewählte Prozessmodelle des Konflikts vorgestellt werden. Es handelt sich dabei um das Prozessstufenmodell von Heinz Messmer und das Eskalationsmodell von Friedrich Glasl. Aufbauend

auf

Überlegungen

dieser

beiden

Modelle

werden

Überlegungen

zur

Konfliktdeeskalation kurz skizziert.

2.4.1

Prozessstufenmodell nach Messmer

Das Prozessstufenmodell von Messmer (2003) fasst unterschiedliche Prozesse der Entstehung von Widerspruchsaktivitäten zusammen, von denen angenommen wird, dass sie für die Ausdifferenzierung von Konflikten bedeutsam sind. Die Logik seines Modells impliziert, dass jede Prozessstufe die vorhergehenden Konfliktentwicklungen umfasst. Dabei wird berücksichtigt, dass die Unvereinbarkeit zweier Perspektiven nicht immer nur kontinuierlich und linear verläuft, sondern typischerweise eher sprunghaft, zyklisch und reversibel. In Anlehnung an Vorarbeiten der Luhmannschen Systemtheorie versteht Messmer Konflikte vor allem als eine Form der Widerspruchskommunikation. Die Typik der unterschiedlichen Formen des Konflikts folgt einer Systematik der Ausdifferenzierung und des Einbezugs sozialer, sachlicher und zeitlicher Sinndimensionen im Sinne der Systemtheorie. Messmers Modell umfasst vier Konfliktstufen, die das Spektrum der Widerspruchskommunikation abbilden sollen: 46

1. Konfliktepisoden

(von

der

Konfliktvermeidung

zur

episodischen

Widerspruchskommunikation) 2. Sachkonflikte (von der episodischen Widerspruchskommunikation zu stabilen Strukturen) 3. Von der Konfliktstruktur zur Verantwortungsattribution 4. Von der Verantwortungsattribution zur Eskalation Der Kern des Modells besteht in der Beschreibung der Charakteristika dieser vier Stufen, indem verschiedenen Prozessstufen jeweils besondere Konflikttypen zugeordnet werden: der ersten Stufe entspricht die Konfliktepisode, der zweiten der Sachkonflikt, der dritten der Beziehungskonflikt und der letzten der Machtkonflikt. Konfliktepisoden sind Kommunikationsereignisse der Konfliktkommunikation. Konfliktepisoden lassen einen Konflikt entstehen, wenn eine abgelehnte Sinnzumutung auf Widerstand stößt. Das passiert aber erst dann, wenn der Ablehnungsbetroffene trotz Widerspruch an seinen Absichten und Standpunkten festhält. Ablehnungen tendieren dazu, sich als ein Verhältnis der wechselseitigen Unnachgiebigkeit zu komplettieren. Die Konfliktepisode verschärft sich, sobald sich die Erwartung wechselseitigen Ablehnens in der Widerspruchskommunikation strukturell festzusetzen droht. Messmer (2003, S. 92) spricht von einer Konfliktepisode nur dann, wenn diese „Widerspruchskommunikation zeitlich begrenzt operiert und sich weder in der sachlichen noch in der sozialen noch in der sozialen Sinndimension des Konflikts ausbreiten kann“. Mit dem Fortscheiten des Konfliktprozesses weitet sich das Konfliktspektrum auf weitere Dimensionen aus. Erfolgt eine Weiterentwicklung in sachlicher Hinsicht, so spricht Messmer von Sachkonflikt. Sachkonflikte sind substanziell dadurch gekennzeichnet, dass die Beteiligten einander erwartungsbezogen, nicht aber personenbezogen widersprechen, so dass die Identität des je anderen vom Widerspruch ausgespart bleibt. Schon das Sich-Einlassen auf den Standpunkt des anderen drückt aus, dass man themenbezogen mit ihm kooperiert – trotz unnachgiebigem Widerspruch auf beiden Seiten. Ist dies nicht mehr der Fall und der Konflikt entwickelt sich weiter, vorrangig in personalisierender Hinsicht, dann spricht Messmer von Beziehungskonflikt. Schließlich steht der Übergang in den Machtkonflikt dafür, dass die Grenzen zur Anwendung physischer und psychischer Gewalt erreicht und zum Teil auch tatsächlich überschritten werden. 47

2.4.2

Eskalationsmodell nach Glasl

Der österreichische Ökonom Friedrich Glasl (2004) liefert in seinem Modell der Eskalation Kriterien für die Analyse von Konflikten. Anstatt lediglich nach Ursachen innerhalb von Individuen zu suchen, hebt er die interne Logik konfligierender Beziehungen hervor. Diese sind gekennzeichnet durch fehlgeschlagene Versuche einander entgegenstehende Interessen und Standpunkte auf gutartige Weise aufzulösen. Dieser Blickwinkel führt zu dem Neunstufenmodell von Glasl, das auf dem Prinzip der (scheinbaren) Unvereinbarkeiten basiert. Für die Entwicklung seines Eskalationsmodells führt Glasl Basismechanismen der Eskalation auf, die oft in einem paradoxen Verhältnis zueinander stehen. Das Paradoxe an diesen Mechanismen ist, dass Handlungen, die den Konflikt aus Sicht der beteiligten Parteien auflösen sollen, den Konflikt nunmehr verschärfen. Zu diesen Basismechanismen der Eskalation gehört z.B. dass es im Laufe des Konfliktes mit wachsender Selbstfrustration zur zunehmenden Projektion kommt. Alles Negative wird auf die Gegenseite projiziert. Gleichzeitig sind die eigenen unbeherrschten Aktionen frustrierend und verstärken das Unbehagen. Ein weiterer Basismechanismus ist die Ausweitung strittiger Themen bei gleichzeitiger Komplexitätsreduktion. Das führt letztlich dazu, dass auf Überforderungen mit radikalen Vereinfachungen reagiert wird (Glasl, 2004). Nach Glasl wirken diese Mechanismen während der Konflikt über neun Stufen eskaliert. Techniken der Konfliktintervention durch Dritte richten sich nach der vorherrschenden Konfliktintensität, ausgedrückt durch die Konflikteskalationsstufe. Das gleiche Mittel kann zum falschen Moment eingesetzt den Konflikt sogar beschleunigen, während es zu einem anderen Zeitpunkt der Konfliktgeschichte eine Auflösung des Konfliktes herbeiführen würde. Konflikte sind selten monokausal und in ihrer Struktur und Geschichte sehr komplex. Andererseits befinden sie sich in der Komplexität wiederum auf verschiedenen Eskalationsstufen, was das Anwenden standardisierter Konfliktlösungsmethoden unmöglich macht. Die meisten Konflikte eskalieren, weil vorherige Konflikte bzw. Konfliktanteile nicht geregelt wurden. In der Realität wird ein Konflikt erst dann virulent, wenn er gerade nicht einzeln und linear verläuft, sondern gebündelt, verwoben und springend. Glasl zeigt auf, wie sich im Eskalationsverlauf die Fähigkeit der Konfliktparteien miteinander konstruktiv umzugehen verringert. Er hat dafür Points of no return ausgemacht, die das Konfliktgeschehen vorantreiben. Ist beispielsweise der Punkt erreicht, an dem miteinander Reden nicht mehr hilft, sondern das Bedürfnis, Fakten schaffen zu wollen siegt, dann ist das Ende einer 48

konstruktiven Konfliktbearbeitung erreicht, die sich um Sachfragen dreht und die die Parteien alleine bewältigen können (Stufe 3) (Glasl, 2004). Ab diesem Punkt wird die Beziehung zur gegnerischen Partei zentraler Teil der Konfliktinhalte. Das

Verhalten

der

Parteien

wird

deutlich

negativer.

Indem

sich

die

ganze

Konfliktzusammenstellung beständig weiter verschlechtert, geraten die Parteien in eine ernsthaft bedrohliche Lage. Durch die Handlungen der Gegenpartei fühlen sie sich bedroht (Stufen 4 bis 6). Wird die nächste Schwelle überschritten, so wird jetzt nicht mehr „nur“ zu Drohungen und Ultimaten gegriffen, sondern Aktionen werden eingeleitet, die sich gegen die Machtbasen der Beteiligten richten. Von diesem Moment an sehen die Parteien sich nicht mehr als Menschen, sondern als Objekte, die einander loswerden wollen (Stufen 7 bis 9). Ab Stufe 7 beherrscht die gegenseitige Gewaltanwendung den Konflikt. Im Folgenden werden die Glaslschen Konfliktstufen detailliert beschrieben. Die Beschreibung richtet sich dabei nach den von Glasl vorgeschlagenen Einteilungen von win-win nach lose-lose.

2.4.2.1 Win-Win – Eskalationsstufen 1-3 Die Eskalationsstufen 1-3 sind der win-win-Ebene zugeordnet. Das bedeutet, dass die Konfliktparteien zu diesem Zeitpunkt noch in dem Bewusstsein agieren, dass sie beide gewinnen können. Eine Konsenslösung erscheint aus eigenen Kräften der beteiligten Parteien möglich zu sein. Stufe 1: Verhärtung Unterschiedliche Meinungen erzeugen Spannungen. Kooperationsbemühungen sind noch vorhanden. Obwohl sich Beteiligte über Energie und Zeitverlust ärgern, glauben sie ihre Probleme selbst in den Griff zu bekommen. Einstellungen und Intentionen: Meinungen nehmen starre Formen an. Perzeption: Eindrücke werden selektiert; man merkt sich die positiven Aspekte der eigenen Sympathiegruppe leichter als die der Gegenseite. Die Parteien entwickeln einen Blick für alles, was die verschiedenen Gruppen voneinander unterscheidet. Die Kernfrage lautet welcher der bessere Standpunkt ist. Interaktion: Feste Handlungsmuster und Standpunkte bestehen zwar nicht ständig, jedoch kommen sie in

49

Momenten der Verhärtung zum Tragen. Die Parteien erleben in wiederholten Momenten der Spannung oft die Abhängigkeit von der anderen Seite. Stufe 2: Debatte und Polemik Debatten nehmen zu und werden aggressiver. Aufkeimendes Misstrauen wird mit einer Stärkung des Eigenwertgefühls kompensiert. Unfaire Mittel werden bewusst eingesetzt, um die eigenen Interessen zu vertreten. Einstellungen und Intentionen: Die Bestrebungen nach Kooperation und Kompetition mischen sich. Perzeption: Zur Frage, wer den besseren Standpunkt vertritt kommt nun

die

Frage

hinzu,

wer

seinen

Standpunkt

besser

vertritt.

Es

rückt

in

den

Aufmerksamkeitsfokus, dass Nachgeben Prestigeverlust bedeuten könnte. Interaktion: Die Interaktion ist vorsichtig. Parteien bemühen sich um eine Position der relativen Überlegenheit. Bemühungen, das Gleichgewicht wieder herzustellen, führen zu Verhaltensweisen, die mit der Behebung des ursprünglichen Problems nichts zu tun haben. Man zeigt ein anderes Verhalten, als es der eigentlichen Absicht entspricht. Man möchte imponieren, nicht beherrschen. Stufe 3: Taten statt Worte Man kommt zu dem Schluss, dass Reden nichts mehr ändert und nun Taten folgen müssen. Einstellungen und Intentionen: Die Erwartungen der Parteien sind paradox. Für sich selber wollen sie nicht nachgeben, erwarten dies aber von der Gegenpartei. Der Gegner soll in seinen Zielen gebremst werden. Perzeption: Symbolverhalten der Parteien gewinnt an Bedeutung. Empathie geht verloren. Bilder der „typischen Verhaltenszüge“ des Gegners setzen sich fest. Interaktion: Der Schwerpunkt der Auseinandersetzung verlagert sich zusehends auf die non-verbale Kommunikation. Die Parteien sind nun auf eigene (negative) Interpretationen des Verhaltens des Gegenübers angewiesen.

2.4.2.2 Win-Lose – Eskalationsstufen 4-6 Die Eskalationsstufen 4-6 sind der win-lose-Ebene zugeordnet. Auf dieser Ebene wird eine gemeinsame

durch

beide

Parteien

annehmbare

Konfliktlösung

ausgeschlossen.

Die

Konfliktparteien agieren in dem Bewusstsein, dass einer gewinnt, während der andere verlieren muss. Sie glauben, dass sich die Fronten zu stark verhärtet haben, um noch eine gemeinsame Bewältigung des Konfliktes zu erreichen.

50

Stufe 4: Sorge um Image und Koalition Auf dieser Stufe gilt die Hauptsorge der Parteien der Wahrung ihrer Reputation. Darüber hinaus versuchen die Parteien ihre eigene psychische Existenz zu sichern. Das geschieht mitunter dadurch, dass stereotype Bilder der Gegenpartei erzeugt werden, um eine konsistentes Bild von ihr zu bekommen. Perzeption: Die stereotypen Bilder können auch durch Erfahrung nicht mehr korrigiert

werden.

Das

erzeugt

vermeintliche

Sicherheit,

da

die

Komplexität

des

Konfliktgeschehens dadurch reduziert wird. Für die Wahrnehmung heißt das, dass nur das aufgenommen wird, was zum stereotypen Bild passt. Einstellungen: Ab dieser Stufe sind auch nicht mehr die gemischten (kompetitiven/kooperativen) Einstellungen bestimmend. Es geht den Parteien um den eigenen Sieg bzw. die Niederlage des Gegners. Das Denken ist auf „win-lose“, schwarz-weiß ausgerichtet. Interaktionen: Eine Partei provoziert die andere (unbewusst) zu einem Verhalten, mit dem sie das stereotype Bild ungewollt bestätigt. Beide Parteien sehen sich in der Rolle des Reagierenden und machen die Gegenpartei für dieses Verhalten verantwortlich. Es kommt zu „legalen aber unfreundlichen Akten“. Gleichstreben wird zu einem Revanche-Streben. Es beginnen gezielte Aktionen der „Imagewerbung“. Darüber hinaus bilden sich Koalitionen und Allianzen, um durch einen längerfristigen Integrations- und Austauschprozess gemeinsame Ziele auch gegen einen gemeinsamen Feind verfolgen zu können. Mit dem Betreten der vierten Stufe drängen sich die Probleme der gegenseitigen Beziehungen stets mehr in den Vordergrund und rücken die Sachfragen in den Hintergrund. Die Beeinflussungsmethoden richten sich deshalb primär auf die Akteure. Stufe 5: Gesichtsverlust Die Konfliktbeteiligten wollen nun, dass die andere Partei sich selbst in aller Öffentlichkeit entlarvt. Damit dies passiert wird der Gegner öffentlich diskriminiert, indem ihm Lüge, Betrug, Verrat, Manipulation etc. nachgesagt wird. Perzeption: Die Parteien erfahren die Gesichtsverluste des Gegners als Aha-Erlebnis der Enthüllung. Der Identitätsverlust hat rückwirkenden Effekt; nun wird die Rationalität des Gegners überschätzt und führt zu Mythenbildung. Selbstbild und Fremdbild werden auf moralische Dimensionen ausgedehnt und totalisiert. Kompromisse scheinen völlig unakzeptabel. Einstellungen: Es ist zwischen den Parteien ein grundlegender Vertrauensbruch aufgetreten. Man erwartet Negatives voneinander. Es genügt bereits ein Vorfall als Beweis für die Richtigkeit der negativen Erwartungen. Umgekehrt bedarf es mehrerer Beweise für eine Positive Interpretation des Verhaltens. Interaktionen: Durch die Kränkungen der 51

vorherigen Phasen entsteht der Wusch sich zu rehabilitieren. Die Parteien probieren sich dadurch zu rehabilitieren, indem sie das Gesicht des Gegners in aller Öffentlichkeit angreifen. Durch wiederholte Enttäuschungen und gegenseitige Frustrationen tritt ein Vergiftungseffekt auf, der spätere Annäherungen erschwert. Die Parteien streben nach Parität im gegenseitigen Zufügen von Schaden. Innerhalb der Parteien – und in Koalition mit Dritten – verstärken sich die symbiotischen Bindungen und werden zu militanten Allianzen. Stufe 6: Drohstrategien Die Konfliktparteien haben sich zuvor bereits bedroht. Auf dieser Stufe aber hat sich die Absicht geändert. Waren es vorher Einschüchterungs- bzw. Drohgebärden, so dienen die Drohungen hier dazu die Entscheidungen der Gegenpartei in eine bestimmte Richtung zu zwingen und auch vor radikalen Mitteln der Abschreckung nicht Halt zu machen. Einstellungen und Perzeption: Als Drohende greifen die Konfliktparteien zu Mitteln, die extreme Forderungen mit schweren Folgen verknüpfen. Es geht ihnen um ja oder nein, nicht etwa um eine Zwischenlösung. In der Perzeption werden die Selbstbilder und Feindbilder weiter fixiert. Interaktion: Durch die gegenseitig erlittenen Frustrationen sind die Konfliktparteien der Auffassung, dass sie nur durch Unbeugsamkeit glaubhaft sein können. Auch die bedrohte Partei meint, jetzt keine Schwäche durch Nachgiebigkeit zeigen zu dürfen um künftig nicht überrannt zu werden. Paradoxerweise stellt sich folgendes Phänomen ein: Weil der Drohende größere Gewaltanwendung mittels der Drohstrategie verhindern möchte, sieht er sich zu kleineren Gewaltakten gezwungen, da er glaubwürdig erscheinen will.

2.4.2.3 Lose-Lose – Eskalationsstufen 7-9 Auf der lose-lose-Ebene sind weder für die eine noch für die andere Seite befriedigende Lösungen denkbar. Beide Parteien sind nun bereit, schmerzhafte Verluste hinzunehmen, um der Gegenseite stärker zu schaden. Glasl ordnet die Eskalationsstufen 7-9 dieser Ebene zu. Stufe 7: Begrenzte Vernichtungsschläge Die Verwendung von Drohungsstrategien der vorhergehenden Phase hat das Sicherheitsgefühl der Konfliktparteien weitgehend erschüttert. Perzeption: Jede Partei hat nur noch sich selbst und die eigene Existenzsicherung vor Augen. Die gegnerische Partei wird nur als hinderlicher Faktor gesehen, der den Weg zur Problemlösung blockiert. Darum muss der Gegner durch gezielt 52

dosierte Schläge in seiner Existenz angeschlagen werden. Für die Stufen 7, 8 und 9 der Eskalation bleiben diese Perzeptionen so bestehen und werden durch das Geschehen gefestigt. Zudem wird das vermeintliche Drohpotential oft als größer erachtet, als es tatsächlich ist. Interaktionen: Die Konfliktparteien erleben einander als gefühllose Objekte, die ohne moralische Skrupel manipuliert werden können. Schädigungsschläge erfolgen meist ohne Androhung, jedoch nicht willkürlich. Die Parteien zielen auf dieser Stufe in erster Linie auf die Sanktionsmacht des Gegners, die bei den Drohaktionen zur Abschreckung demonstrativ zur Schau gestellt worden ist. Die Zerstörungsschläge sind noch keine unbegrenzten Vernichtungsschläge, sondern dienen dem Entmachten. Die Zerstörung von Gütern des Gegners, die mit dessen Machtmitteln identifiziert werden, bietet den Konfliktparteien jetzt eine Ersatzbefriedigung. Auf der siebten Stufe wird das Geschehen von Machtstreben beherrscht. Die angestrebte Überlegenheit soll die Gegenseite wirklich nachhaltig blockieren. Stufe 8: Zersplitterung Die Vernichtungsaktionen werden heftiger. Jetzt soll die Macht- und Existenzgrundlage des Gegners vernichtet werden, um den Gegner zu zersplittern. Die Zerstörungsaktionen sind tatsächlich auf die Zentren gerichtet, in denen die Entscheidungen gebildet werden. Nun sprechen die Parteien vom Ausradieren oder von der Endlösung, worin sich der Drang zum totalen Eliminieren des Gegners ausdrückt. Auch wenn die Parteien zu weitgehender Selbstaufopferung bereit sind und infolgedessen großen Schaden in Kauf nehmen, spekulieren sie noch immer auf Überleben. Sobald diese Grenze gefallen ist, haben die Parteien die Schwelle zur neunten Stufe überschritten. Stufe 9: Gemeinsam in den Abgrund Vorwärts um jeden Preis. Bedenkenlos wird alle verfügbare Gewalt eingesetzt. Alle Brücken sind unwiederbringlich abgerissen und verbrannt worden. Die Parteien schlagen besinnungslos um sich, weil sie erleben, dass sie unaufhaltsam einem Abgrund zutreiben, aus dem es kein Entkommen mehr gibt. Ihre einzige Genugtuung ist das Wissen, dass sie im eigenen Untergang den Feind mit in den Abgrund reißen können und dass er mit ihnen zugrunde gehen muss.

53

2.4.3

Gegenüberstellung der beiden Konfliktmodelle

Das Konfliktmodell von Glasl (2004) und der in diesem Modell beschriebene Konfliktverlauf können in abstrahierter Form wie folgt beschrieben werden: In den ersten Stufen (1-3) werden Win-Win-Lösungen von den Parteien angestrebt und gesehen. Die Differenzen liegen in der „Objektsphäre“. Auf dieser Objektsphäre sind sachliche Mittel maßgebliche Konfliktfaktoren. Von Stufe 4 bis Stufe 6 schlägt der Konflikt um. Man selbst strebt danach den Konflikt für sich zu gewinnen, während der andere verlieren soll. Es herrscht eine Vorstellung von Win-Lose vor. Nun haben sich die Differenzen auf die „Subjektsphäre“ verlagert. Die Subjektsphäre umfasst Konfliktaspekte, die sich aus der Natur der Konfliktparteien ergibt. Ab Stufe 7 verfahren beide nach dem Motto: „Wenn ich schon nicht gewinnen kann, dann sollst Du es auch nicht“ (LoseLose). Die Beziehungen zwischen den Akteuren werden ab dieser Stufe mehr und mehr wie Sachfragen betrachtet und sind von Machtstreben dominiert. Diese Abstraktion scheint weitestgehend mit dem Modell von Messmer (2003) verträglich zu sein. Tabelle 2.1 ordnet die einzelnen Phasen des Eskalationsmodells von Glasl den Stufen des Messmerschen Modells zu: Tabelle 2-1: Gegenüberstellung der Konfliktphasen im Modell von Glasl und Messmer. Eskalationsmodell nach

Konfliktepisode Sachkonflikt

Beziehungskonflikt Machtkonflikt

Messmer

(2003) Eskalationsmodell

-

Objektsphäre

Subjektsphäre

Machtstreben

nach Glasl (2004)

Die Tabelle 2.1 zeigt, dass die beiden aufgezeigten Modelle auf abstrakter Ebene sehr gut miteinander

verträglich

zu

sein

scheinen.

Die

von

Messmer

geschilderten

Widerspruchskommunikationen, die er selbst den Konfliktepisoden zuordnet, werden bei dem Modell

von

Glasl

in

den

ersten

beiden

Stufen

angedeutet.

Glasl

ordnet

diese

Widerspruchskommunikationen jedoch der Objektsphäre zu. In der vorliegenden Arbeit soll das Eskalationsmodell von Glasl als diagnostisches Werkzeug verwendet werden. Durch die Anwendung seines Neunstufenmodells (wenn auch stark abstrahiert), ist es möglich, den Konfliktprozess nachzuvollziehen.

54

2.4.4

Einstellungen zur Bestimmung der Konfliktstufe

Im Eskalationsmodell von Friedrich Glasl (2004) werden Einstellungen als wichtige Indikatoren zur Bestimmung der jeweiligen Konfliktstufe herangezogen. Rosenberg und Hovland (1960, S. 3) definieren Einstellungen als „predispositions to respond to some class of stimuli with certain classes

of

response”.

Neben

affektiven

Anteilen

identifizieren

sie

in

ihrem

Dreikomponentenmodell der Einstellung kognitive und verhaltensmäßige Reaktionsklassen. Auch Glasl postuliert einen Zusammenhang zwischen Einstellungen bzw. Intentionen, Affekten, Verhalten

und

Kognition.11

Einstellungen

werden

hier

jedoch

nicht

als

Persönlichkeitseigenschaften aufgefasst (wie z.B. bei Ajzen, 1985; Deutsch, 1973, 2007), sondern vielmehr als durch Erfahrung formbare Konstrukte, die sich im Konfliktverlauf – also ggf. in kurzer Zeit – verändern. Glasl unterscheidet hierbei zwischen kooperativen und kompetitiven Einstellungen, wobei er auch qualitative Zwischenbereiche für seine Analysen bestimmt: Zu Beginn eines Konflikts ist die Einstellung der Konfliktbeteiligten noch auf Kooperation ausgerichtet. Ab den Stufen zwei und drei seines Modells haben die Akteure bereits gemischte Einstellungen mit kooperativen und kompetitiven Anteilen. Später sind gemischte Einstellungen mit überwiegend kompetitivem Anteil vorherrschend; höhere Konfliktstufen sind durch rein kompetitive Einstellungen geprägt. Die Berücksichtigung von Einstellungen für die Analyse von Konflikten hat den Vorteil, dass Unvereinbarkeiten zwischen den Akteuren schon dann erkannt werden können, wenn sie noch nicht offensichtlich – etwa durch die Verletzung von Normen – aufgetreten sind. Einstellungen werden in der Literatur oft auch als „Korrelate oder Prädiktoren des Verhaltens betrachtet“ (Stahlberg & Frey, 1992, S. 144). Es stellt sich nun die Frage, unter welchen Umständen sich Einstellungen verändern. Peter Suedfeld (2007) erklärt Einstellungsänderungen mit Hilfe von konsistenztheoretischen Überlegungen. Menschen streben demzufolge nach innerer Konsistenz und verändern ihre Einstellungen, um die Homöostase aufrecht zu halten. „When inconsistency exceeds tolerance, attitudes will change to achieve consistency” (Suedfeld, 2007, S. 7). Übertragen auf das SCAR11

Leider kommt es bei den Beschreibungen von Glasl (2004) zu Vermischungen der

Begrifflichkeiten. So differenziert er nicht klar zwischen Intentionen, Einstellungen, Haltungen und Motiven. 55

Modell bedeutet das, dass beispielsweise mangelhafte Bedürfnisbefriedigung an einer Änderung in Richtung kompetitiver Einstellung beteiligt sein kann. Umgekehrt kann dann aber auch die Befriedigung von Bedürfnissen zu kooperativen Einstellungen führen. Kleinke (1984) identifiziert in seinem Prozessmodell Erfahrungen, die Kommunikation und Überzeugung von Akteuren als wichtige Faktoren zur Bildung von Einstellungen. Aus diesen Überlegungen erwächst die Frage, wie diese Elemente später im SCAR-Modell eingesetzt werden können, um die Intensität von Konflikten zu bestimmen. In Abschnitt 4.2.5 wird erläutert, wie diese Komponenten im SCAR-Modell verwendet werden.

Erfahrungen Einstellungen Überzeugung; Kommunikation

Abbildung 2-2: Bildung von Einstellungen. Anmerkung: Aus Kleinke (1984). Modifiziert.

2.4.5

Deeskalation von Konflikten

Es sind in der Literatur zahlreiche Ansätze zum Umgang mit Konflikten beschrieben worden. Das Spektrum reicht vom Rat Konflikten aus dem Wege zu gehen (Boulding, 1957, zitiert nach Hartges, 2003) bis hin zur Erkenntnis, dass Konflikte fruchtbarer Natur sind. Dennoch gibt es relativ wenige Untersuchungen und kaum brauchbare Theorien, die sich der Deeskalation von Konflikten zuwenden. Das Grundproblem bei der Analyse der Deeskalation besteht darin, dass es zwar

Mechanismen

der

Konflikteskalation

zu

geben

scheint,

adäquat

wirksame

Grundmechanismen zur Deeskalation auf den ersten Blick jedoch nicht existieren. „Deeskalation braucht erst individuelle, gesellschaftliche, kulturelle, rechtsförmige und wieder bewusst nicht (mehr) rechtsförmig gestaltete Intervention ‚eines Dritten’… Es bedarf einer systematischen, gestützten Deeskalation. Im Gegensatz zur Eskalation funktioniert die Deeskalation nicht oder wesentlich weniger aus sich selbst heraus“ (Hartges, 2003, S. 9). Einer der ersten Ansätze zur Deeskalation stammt von Sherif (1966), der in seinen Untersuchungen feststellte, dass die Bestimmung von übergeordneten Zielen, die von beiden 56

Konfliktparteien gelöst werden müssen, eine Deeskalation des Konflikts bewirken kann. Andere identifizieren typische Verhaltensweisen, die der Deeskalation dienlich sind. So meint Thiel (2003) archetypische Verlaufsformen der Deeskalation gefunden zu haben. Dazu zählen durch Lernen induzierte Verhaltensänderungen, Flucht, Einsicht induziert durch eine vermittelnde dritte Instanz, Unterordnung (sie zeigt sich z.B. in Hierarchien, Erpressung, Abstimmungen oder beim Überreden) und Vernichtung. Soziale Konflikte können abstrakt formuliert durch folgende Einflussfaktoren abgemindert oder aufgelöst werden: 1. Durch Beseitigung eines Agenten aus der Welt, 2. Durch Beseitigung der extrinsischen Inkompatibilitäten (z.B. indem den Agenten mehr Ressourcen zur Verfügung gestellt werden). 3. Durch Veränderung von Absichten eines Agenten. Wenn einer der Agenten sein Ziel fallen lässt, so verschwindet der soziale Konflikt. Darüber hinaus können nach Castelfranchi (2000) interpersonale Konflikte dadurch aufgelöst werden, dass entweder ein Ziel erhöht, eines der konkurrierenden Ziele fallen gelassen wird oder der Glaube (engl.: belief) über den Sachverhalt verändert wird. Allgemein lässt sich festhalten, dass empirischen Befunden zufolge Deeskalationen angesichts einer trägen Emotionsdynamik eine

sehr

starke

Beruhigung

voraussetzen,

die

weit

unter

dem

jeweiligen

Eskalationsschwellenwert liegt (Thiel, 2003). Mit anderen Worten: Ein Konflikt eskaliert schneller als er wieder deeskaliert. John W. Burtons Human-Needs-Ansatz der Konfliktprovention (die Konfliktprovention ist ein von Burton eingeführter Terminus zur Beschreibung einer Strategie, die der Konfliktvermeidung dient) konzentriert sich bei Konfliktprozessen auf die Eckpunkte Bedürfnisse, Wahrnehmung und Kommunikation (Burton, 1990). Die Konflikthypothese ist: Wenn in einer Gesellschaft individuelle Bedürfnisse nicht befriedigt werden, wird die Situation von den betroffenen Individuen als ungerecht wahrgenommen. Wahrgenommene Ungerechtigkeit kann unter dem Einfluss dazukommender Fehlwahrnehmungen und uneffektiver Kommunikationen soziale Konflikte bewirken. Folglich müssen bei einer erfolgreichen Konfliktlösung immer alle drei Dimensionen – Bedürfnisse, Wahrnehmungen und Kommunikation – gleichzeitig verändert werden. Eine Prozessbeschreibung der Deeskalation kann aber auch Burton nicht liefern.

57

Wenn es auch bisher an einer prozessorientierten Beschreibung deeskalativer Mechanismen mangelt, so erscheint doch folgende Überlegung reizvoll zu sein: Wenn jeder Konflikt eine Systematik in der Entstehung hat, dann sollte sich aus der Zurückverfolgung seiner Entstehungsgeschichte eine spezifische Deeskalationsstrategie ableiten lassen. Genau diesen Gedanken verfolgt Hartges (2003) in ihrer Promotionsschrift. Aufbauend auf dem Konfliktdreieck Galtungs (Galtung, 1964; 1973, zitiert nach Hartges, 2003) der definiert, dass ein Konflikt aus dem Inhalt (z.B. Interessen und Zielen), den Einstellungen (z.B. sozialer Distanz, Vorurteile) und den Verhaltensweisen der Akteure besteht, entwickelte sie ein eigenes Modell der Deeskalation. Alle drei Punkte des Galtung’schen Konfliktdreiecks spielen für die konstruktive Konfliktauflösung eine wichtige Rolle. Die Grundidee ist die folgende: Wenn es bei der Eskalation eine bestimmte Reihenfolge gibt, dann gibt es auch bei der Deeskalation eine entsprechende Reihenfolge in der deeskalierende Schritte erfolgen müssen, um zu einer konstruktiven

Konfliktbearbeitung

zu

gelangen.

Die

Eskalationsspur

wird

sozusagen

zurückverfolgt. Hartges bringt das Konfliktdreieck von Galtung mit den Eskalationsstufen Glasls zusammen. Auf den ersten drei Stufen (Win-Win) des Glasl’schen Modells sieht Hartges das Intervenieren auf der Inhaltsebene als entscheidend an. So sollte hier etwa nach gemeinsamen Interessen als ausschlaggebende Faktoren der Konfliktauflösung gesucht werden. Von Stufe 4-6 sollen die Einstellungen der Konfliktparteien stärker in den Fokus rücken, während auf Stufen 7-9 primär auf das Verhalten (Gewaltkontrolle) der Parteien eingegangen werden soll. Die auf dem Galtung’schen Konfliktdreieck basierenden Interventionsvorschläge scheinen auch mit dem Prozessmodell von Messmer gut verträglich zu sein: Für das Aufspüren einer angemessenen Interventionsstrategie in win-lose-Situationen lassen sich Einstellungen durch das Modell von Messmer weiter in sach- bzw. personenbezogene Anteile ausdifferenzieren. Je nachdem, welcher Anteil in der Konfliktsituation überwiegt, muss bei der Intervention unterschieden werden, auf welchen der beiden Aspekte sie sich richtet.

2.5

Konflikte um Ressourcen

Wurden soziale Konflikte bisher im Allgemeinen besprochen, sollen in diesem Abschnitt Ressourcenkonflikte behandelt werden. Zunächst wird im Folgenden eine Einführung in den

58

Themenbereich gegeben. Es folgen Fallbeispiele, die den empirischen Hintergrund für die Entwicklung des SCAR-Modells bilden. Gewaltsam ausgetragene Konflikte (oder ernsthafte politische Spannungen) können nach Carius (2003) durch eine Verknappung natürlicher erneuerbarer Ressourcen hervorgerufen oder aber bestehende oder schwelende Konflikte durch eine Verknappung natürlicher Ressourcen verstärkt bzw. ausgelöst werden. Neben der Verknappung natürlicher und erneuerbarer Ressourcen können auch ungleiche Ressourcenverteilungen (bzw. der eingeschränkte Zugang zu natürlichen erneuerbaren Ressourcen) konfliktverschärfende bzw. -auslösende Faktoren sein (Carius, 2003). Auch in der aktuellen Politik findet dieser Zusammenhang Berücksichtigung. So nehmen z.B. Vorhaben zur Konfliktprävention der Europäischen Kommission Auseinandersetzungen um natürliche Ressourcen als einen Early-Warning-Indikator in ihre Checkliste zur Ermittlung von Hintergrundursachen für gewaltsame Konflikte mit auf12. Collier und Hoeffler können den Einfluss von Ressourcen als einen signifikanten Faktor für die Ausbruchswahrscheinlichkeit und Dauer von Bürgerkriegen identifizieren: Bis zu einem gewissen Wert führt die Größe der Vorkommen natürlicher Ressourcen zu einer höheren Konfliktwahrscheinlichkeit. Ab einer gewissen Größe sinkt diese jedoch wieder, wie z.B. der Fall Saudi-Arabien und seine Ölvorkommen aufzeigt (Collier & Hoeffler, 2004). Regan und Norton (2005) widersprechen der Behauptung von Collier und Hoeffler (2004), dass natürliche, nichterneuerbare Ressourcen auf die Konfliktwahrscheinlichkeit in der von ihnen postulierten Weise Einfluss nehmen. Sie vertreten die Auffassung, dass nichterneuerbare Ressourcen nicht die Konfliktwahrscheinlichkeit, sondern die Konfliktdauer beeinflussen (Regan & Norton, 2005). In einem Überblick zu 14 einschlägigen Artikeln kommt Ross (2004) zum Schluss, dass Erdölvorkommen die Wahrscheinlichkeit für den Ausbruch des Konflikts erhöhen, plünderbare Ressourcen wie Diamanten oder Drogen jedoch nicht; sie verlängern, wie auch Regan und Norton (2005) schlussfolgern, Konflikte.

12

Diese Checkliste benennt den Grad der Gerechtigkeit von Ressourcenverteilung sowie

Anzeichen möglicher interner und externer Ressourcenkonflikte als Indikatoren zur Einschätzung weiterer Entwicklung von Konfliktsituationen (Europäische Kommission, 2007 zitiert nach BICC, 2007). 59

Befunde zu Ressourcennutzungskonflikten scheinen mit großer Vagheit verbunden zu sein. Dies hängt u. a. damit zusammen, dass die Verfügbarkeit von Daten ein Problem darstellt, denn gerade in Konfliktregionen sind diese rar. Ein anderer Grund ist, dass Ressourcennutzungskonflikte häufig von ethnischen, sozialen und politischen Konflikten überlagert werden, die sich zudem gegenseitig beeinflussen und verstärken (Carius, 2003). Die Konsequenz daraus scheint zu sein, dass man den Einflüssen der oben genannten Verschränkungen nur durch Reduktion entgeht. Dies kann man zum einen erreichen, indem man gezielt nach Fallbeispielen sucht, in denen es möglichst wenige dieser Störgrößen gibt. Der folgende Abschnitt versucht sich daran, solche Beispiele ans Tageslicht zu bringen. Zum anderen kann der Gegenstandsbereich aber auch durch spezifische Spiele untersucht werden. Durch Spiele ist es möglich Konflikte und ihre Strukturen zu untersuchen und dabei die politischen, geographischen und organisationalen Störfaktoren auszublenden. Das Fischereikonfliktspiel ist ein solches Spiel und wird deshalb im darauf folgenden Abschnitt (2.5.2) kurz erläutert.

2.5.1

Fallbeispiel zu Konflikten um erneuerbare Ressourcen

Ein gut untersuchtes Feld, bei dem es um Konflikte um erneuerbare Ressourcen geht ist die Fischereiökonomie. Sie entwickelte sich in den 1950er Jahren, wobei Gründe für die Übernutzung von Fischbeständen erstmals ausführlich bei Gordon (1954a, zitiert nach Döring & Laforet, 2004) diskutiert wurden. Gordon machte fehlende Verfügungsrechte der Fischer für die Übernutzung verantwortlich. Dabei unterstellte er eine Situation des freien Zugangs zu den Fischgründen. Bei diesen Vorrausetzungen wird ein Nutzer einen Fisch auf jeden Fall fangen, da es keine Sicherheit für zukünftige Fänge gibt. Es liegt eine ökologisch-soziale Dilemmasituation vor. Obwohl es jedem Fischer bewusst ist, dass er mit seinem Fangverhalten zur Bestandsübernutzung beiträgt, ist es doch für ihn rational genau so zu handeln und so viel Fische wie möglich zu fangen. Ein Fischer fängt den Fisch lieber heute, als ihn für zukünftige Nutzungen aufzusparen (Döring & Laforet, 2004). Es bietet sich also an, Beispiele aus dem Fischereikontext zu suchen, die ökologisch-soziale Dilemmasituationen darstellen und gleichzeitig aber wenige zusätzliche Verschränkungen, z.B. auf politischer, geographischer oder organisationaler Ebene aufweisen. Geeignet erscheinen hierfür Arbeiten von Fikret Berkes. Berkes beschreibt u. a. die Küstenfischerei von Inselnationen, wie sie in der Karibik, Asien und Ozeanien vorkommen. Das Interessante daran ist, dass die Fischerei dort durch kleinskalige 60

Fischereinheiten durchgeführt wird, die nicht länger als einen Tag von ihrem Heimathafen entfernt sind (Berkes, 2002). Eine ähnliche Situation bietet sich in der Türkei. Die von Berkes (1986, S. 76 f. zitiert nach Ostrom, 1990) beschriebene Küstenfischerei in Alanya ist relativ klein. Viele der annähernd 100 ortsansässigen Fischer fahren in Zwei- oder Dreimannbooten aus und verwenden verschiedene Netztypen. Die Hälfte der Fischer gehört einer Genossenschaft einheimischer Produzenten an. Das ökonomische Überleben der Fischer war von zwei Faktoren bedroht. Zum einen hatte der unbeschränkte Fischfang zu Feindschaften und gelegentlich sogar zu heftigen Konflikten unter den Fischern geführt. Zum anderen hatte die Konkurrenz um die besten Fangplätze nicht nur ihre Produktionskosten erhöht, sondern auch das Ertragspotential jedes Bootes wurde immer unsicherer. Anfang der 1970er Jahre begannen Mitglieder der lokalen Fischergenossenschaft mit der Erprobung eines raffinierten Systems der Zuteilung von Fangplätzen an die einheimischen Fischer. Nach einer mehr als zehnjährigen Experimentierphase einigten sich die Küstenfischer von Alanya auf folgende Regeln: Jedes Jahr im September wird eine Liste der fangberechtigten Fischer erstellt, in der alle lizenzierten Fischer erfasst sind. Alle Fangplätze werden namentlich erfasst und aufgelistet. Die Fangplatze werden so weiträumig verteilt, dass die an einem Ort ausgesetzten Netze nicht die Wanderung der Fische behindern, die an den angrenzenden Fangplätzen zu erwarten sind. Im September ziehen die Fischer Lose, wonach ihnen die namentlich bezeichneten Fangplätze zugeteilt werden. Von September bis Januar fährt jeder Fischer zum nächsten östlich gelegenen Fangplatz weiter. Alle Fischer erhalten so die gleichen Fangchancen an den Fischbeständen, die zwischen September und Januar von Ost nach West und von Januar bis Mai in der umgekehrten Richtung durch das Fanggebiet wandern (Berkes, 1986, S. 76 f. zitiert nach Ostrom, 1990). Der Prozess der Überwachung und der regelgerechten Durchsetzung des Systems wird durch die Fischer selbst – als Nebenprodukt des Anreizes, der durch das Rotationsprinzip entsteht – durchgeführt. Ein etwaiger Betrugsversuch würde durch die Fischer wahrgenommen werden, die momentan das Recht dazu haben, an den guten Orten zu fischen. Die Rechte werden in der Regel auch durch jeden anderen im System unterstützt. Die überwachenden Fischer wollen dadurch sicherstellen, dass ihre eigenen Rechte gewahrt werden, wenn sie die guten Fangplätze zugewiesen bekommen.

61

2.5.2

Ressourcenkonflikte in Spielsituationen

Ein geeignetes Spiel zur Untersuchung von Konflikten, bei denen es um das Management einer Ressource geht, ist das an der Universität Freiburg von Spada und Opwis (1985) entwickelte Fischereikonfliktspiel. Im Fischereikonfliktspiel versetzen sich drei Spieler in die Lage von Fischern an einem See, mit dem Ziel, möglichst viel Fisch zu fangen. Die Vermehrung der Fische im See (und damit u. U. auch die Auszahlungsmöglichkeit in der nächsten Runde) sind dabei vom Bestand in der Vorrunde abhängig. Die Beziehung zwischen dem Endbestand einer Runde und dem

Anfangsbestand

der

darauf

folgenden

Runde

basiert

auf

einer

biologischen

Wachstumsfunktion und ist nicht-linear. Aufgrund dieser Wachstumseigenschaften kann das Spielziel nur dann erreicht werden, wenn dauerhaft nicht überfischt wird. Insofern bildet das Fischereikonfliktspiel den Konflikt zwischen Einzel- und Gruppeninteressen ab. In der Vergangenheit wurde dieses Spiel oft angewendet um Erklärungen für die häufig beobachtbare Diskrepanz zwischen Umweltbewusstsein und Umweltverhalten zu finden. Optimalerweise gelingt es den Spielern den Fischbestand in dem fiktiven See in dem Bereich zu halten, in dem er sich von Saison zu Saison kräftig vermehrt und ein hoher und dauerhafter Gewinn erwirtschaftet wird. In anderen Spieldurchläufen kommt es aufgrund von zu hohen, anfänglichen Fangquoten zu einer lokalen Katastrophe. Der Fischbestand sinkt rapide ab (Ernst, 1997; Spada & Opwis, 1985).

2.6

Zusammenfassung zu sozialen Konflikten und Diskussion

Das vorliegende Kapitel gibt dem Leser einen Einblick in das Forschungsfeld der sozialen Konflikte und dem Feld der Ressourcenkonflikte im Speziellen. Die Vielzahl der unterschiedlichsten Disziplinen, die diesen Forschungsgegenstand untersuchen, führt zu einer großen Perspektivenvielfalt. Das ist letztlich aber nicht immer vorteilhaft. Es gibt bis heute z.B. keine einheitliche Terminologie, Methode oder Theorie zur Analyse von Konflikten. Mit Blick auf zahlreiche Studien im Forschungsfeld sticht ins Auge, dass die Beziehungen zwischen dem Sachverhalt, an dem sich ein Konflikt herausbildet, und dem Konflikt selbst oft ungeklärt bleibt. Die bisherige Forschung erfasst zwar, wie typische Konfliktursachen in typische Wirkungen transformiert

werden,

die

spezifischen

Eigenschaften

und

Gesetzmäßigkeiten

dieses

Transformationsprozesses bleiben dabei aber oft im Verborgenen. Der Konflikt selbst bleibt die Black-Box der Analyse. 62

Diese Arbeit hat sich zum Ziel gesetzt Licht in diese Blackbox scheinen zu lassen und verbindet dafür sowohl kognitionswissenschaftliche als auch sozialwissenschaftliche Erkenntnisse miteinander. Diese Erkenntnisse münden in ein Multiagentenmodell, mit dem Konflikte von ihrer Prozesstypik her untersucht werden können. Im Allgemeinen gilt es für eine solche Analyse, standardisierte, kontextintensive Herangehensweisen an den Forschungsgegenstand zu vermeiden (Sayer, 2000, S. 18 f.). Nur durch eine starke Reduktion des Kontextes scheint es möglich zu sein, Konflikte in möglichst reiner Form untersuchen zu können. In der Realität werden Ressourcenkonflikte häufig von ethnischen, sozialen und politischen Konflikten überlagert, die sich zudem gegenseitig beeinflussen und verstärken. Um diese Einflussfaktoren möglichst gering zu halten scheinen zur Untersuchung jene Konflikte gut geeignet zu sein, die sich in klar abgrenzbaren Spielsituationen ergeben. Insofern werden Konflikte hier in idealtypischer Perspektive

analysiert. Das bedeutet aber keinesfalls, dass keine konkreten Konflikte zur

Validierung des Modells herangezogen werden könnten aufgrund derer die Forschungsergebnisse besser verstanden werden können. Da jeder Untersuchung eine Vorstellung darüber zugrunde liegt, wie Menschen Entscheidungen treffen, haben wir uns in diesem Kapitel verschiedenen Ansätzen der Entscheidungstheorie zugewandt. Interessant ist für den Untersuchungsgegenstand, welche Prozesse in Konflikten kooperatives oder kompetitives Verhalten erzeugen. In der Konfliktforschung finden Rational-Choice-Ansätze die weiteste Verbreitung. Sie werden oft unweigerlich mit dem Weltbild des Homo Oeconomicus verbunden, was ihnen in der Vergangenheit zahlreiche Kritik einbrachte. Diese Kritik ist jedoch unberechtigt, da die Annahme eines Homo Oeconomicus lediglich eine spezielle Ausprägung von Rational Choice ist. Moderne Rational-Choice-Ansätze verzichten auf Rationalitätsannahmen, die auf dem Homo Oeconomicus basieren. Jüngere Arbeiten aus diesem Themenbereich haben fruchtbare Hypothesen und Erkenntnisse hervorgebracht, die für die Erstellung des Simulationsmodells (Abschnitt 4.2) übernommen werden. Dazu gehört z.B. das Prinzip des methodologischen Individualismus, dessen Vertreter soziale Phänomene als Resultat individuellen Verhaltens ansehen. Darüber hinaus wird in dieser Dissertation die aus diesem Prinzip resultierende Notwendigkeit berücksichtigt, zwei Ebenen miteinander in Beziehung setzen zu müssen: Die Makroebene einerseits, die soziale Phänomene wie z.B. soziale Konflikte umfasst, und andererseits die Mikroebene, auf der die Individuen und deren Handlungen im Fokus stehen. Konkret gilt es für

63

das SCAR-Modell, und die dem Modell zugrunde liegende Architektur, die drei vorgestellten Logiken (Logik der Situation, Logik der Selektion und die Logik der Aggregation) zu spezifizieren. Für die Logik der Selektion wird dabei – gemäß Überlegungen zu Ansätzen der beschränkten Rationalität – die begrenzte kognitive Kapazität von Individuen berücksichtigt. In diesem Sinne ist SCAR mit modernen Ansätzen des Rational-Choice verträglich. Die simulierten SCAR-Akteure unterliegen insofern dem Paradigma der beschränkten Rationalität, als dass sie Informationen u. U. nur in begrenztem Maße verarbeiten können. Die in dieser Dissertation untersuchten Ressourcenkonflikte lassen sich als Ökologisch-Soziale Dilemmata auffassen. Die für ein solches Dilemma vorherrschenden Bedingungen wurden in Abschnitt 2.3.4.3 diskutiert. Viele Arbeiten in diesem Bereich sind an spieltheoretischen Konzepten orientiert. Spieltheoretische Untersuchungen ergänzten frühe Rational-ChoiceAnsätze um die bis dahin ignorierte Tatsache, dass Entscheidungen von Gegenspielern durchkreuzt werden können. Konflikthafte Strukturen konnten so erfolgreich untersucht werden. Problematisch bei spieltheoretischen Handlungsmodellen ist jedoch, dass sie die Herkunft der Interessen (die unabhängigen Variablen) nicht erläutert. Damit wird auch das von den Interessen abhängige Verhalten der Akteure (abhängige Variable) nicht erklärt (Bresinsky, 2003; Zangl & Zürn, 1994, S. 107). Messmer (2003) formuliert eine ähnliche Kritik: „Die Form des Konflikts, seine Modalität und konkrete Erscheinung scheinen […] durch seine ihm äußerlichen Auslöseanlässe geprägt. Entsprechend kommt der Konflikt selber allenfalls nur als eine davon abhängige Variable zur Geltung“ (Messmer, 2003, S. 276). Messmer schlägt deshalb ein Prozessmodell vor. Anhand seines Modells können Konflikte in unterschiedlichen Phasen (und Intensität) identifiziert werden. Auch Glasl (2004) liefert ein Prozessmodell anhand dessen Konfliktverläufe nachvollzogen werden können. Die in diesen Modellen formulierten Kriterien ermöglichen es Konflikte in unterschiedlicher Qualität und Intensität zu erkennen. Darüber hinaus ist die Vorstellung hilfreich, dass anhand der vorherrschenden Konfliktstufe die Art der kurativen Interventionsmaßnahmen bestimmt werden kann. Diese Möglichkeit wurde in Abschnitt 2.4.5 diskutiert. Der Aufbau des Ressourcenkonfliktspiels (Kapitel 4), orientiert sich schließlich an Fallbeispielen aus der Fischereiökonomie. Darüber hinaus sind die im SCAR-Modell ausgewählten „Spielregeln“

maßgeblich

durch

das

an

Fischereikonfliktspiel geprägt.

64

der

Universität

Freiburg

entwickelte

3

Multiagentensysteme

Im ersten Kapitel wurde diskutiert, welchen Beitrag die Kognitionswissenschaft zur Beantwortung sozialwissenschaftlicher Fragestellungen leisten kann, um soziales und interaktives Verhalten zu erklären. Das zweite Kapitel wendet sich dann dem spezifischen Gegenstand dieser Dissertation zu: den sozialen Konflikten. Die Verschmelzung von kognitionswissenschaftlichen und sozialwissenschaftlichen Erkenntnissen, zur Erhellung der dem sozialen Konflikt zugrunde liegenden Wirkmechanismen, findet sich in einer eigens dafür entwickelten sozio-kognitiven Agentenarchitektur – der SCAR-Architektur – wieder. Die SCAR-Architektur versucht einen Beitrag dazu zu leisten, den Bedarf nach neuen Theorien und Modellen zu decken und wird im nächsten Kapitel (Kapitel 4) vorgestellt. In diesem Kapitel werden Multiagentensysteme als eine Methode für die Entwicklung eines solchen Modells diskutiert.

3.1

Überblick über Multiagentensysteme

In den 1980er Jahren, begannen Vertreter der Künstlichen Intelligenz (KI) sich für Interaktionen zu interessieren und ihr Augenmerk auf die verteilte Intelligenz zu richten. Intelligentes Verhalten war nun nicht mehr das bloße Resultat von individuellen Denkprozessen, sondern wurde zunehmend als Ergebnis von Interaktionsprozessen heterogener Akteure aufgefasst. Später wurden Ansätze, die diese Sichtweise vertraten und umsetzten als Verteilte Künstliche Intelligenz (VKI) bezeichnet. Heute werden die VKI und Multiagentensysteme (MAS) oftmals als synonyme Begriffe verwendet. Streng genommen sind Multiagentensysteme aber nur eine Ausprägung der VKI. Die VKI untergliedert sich nach Bond und Gasser (1988) in drei Teilbereiche: die parallele KI, verteiltes Problemlösen (engl.: distributed problem solving) und MAS. Obwohl diese Klassifikation weit verbreitet ist, werden die Grenzen zwischen diesen Teilgebieten in der Forschungspraxis oft verwischt. Häufig werden MAS z.B. als eine spezielle Form des Verteilten Problemlösens angesehen. Formal lassen sich die Teilbereiche wie folgt voneinander unterscheiden: Die parallele KI untersucht inwieweit sich KI-Systeme durch eine Verteilung der Problemstellung auf mehrere Problemlöser beschleunigen lassen. Kooperations- und Koordinationsmechanismen sowie verteilte Problemlösungsstrategien sind hier von sekundärer Bedeutung, weshalb dieser Teilbereich der VKI für diese Arbeit nicht relevant ist.

65

Verteiltes Problemlösen (engl.: distributed problem solving) bedient sich eines technischen Ansatzes auf verteilte Systeme. Die Frage ist hier, wie funktionsfähige, automatisierte und koordinierte Problemlöser für spezifische Anwendungen erzeugt werden können (Bond & Gasser, 1988, S. 4). Die Modellierung erfolgt bei diesem Ansatz problemzentriert, beginnend mit der Zerlegung eines Problems. Für die im ersten Schritt identifizierten Teilprobleme werden dann spezialisierte Agenten identifiziert und implementiert. Anschließend werden diese Spezialagenten mit der Lösung der im ersten Schritt identifizierten Teilprobleme betraut. Nachdem jeder einzelne Agent sein Teilproblem abgearbeitet hat, kommt es schließlich zu einer Synthese der gefundenen Lösungen, bei der alle Teillösungen zusammengefügt und eine Gesamtlösung erarbeitet wird. Der Problemlösungsprozess beim Verteilten Problemlösen lässt sich also in vier Phasen unterteilen: Problemzerlegung, Problemverteilung, Abarbeitung der Teilprobleme und Lösungssynthese (Davis & Smith, 1983). Man spricht beim verteilten Problemlösen auch von einem Top-Down-Ansatz – Wooldridge und Jennings (1995) nennen ihn auch reduktionistisch – da Agenten dazu bestimmt sind Problemlöseanforderungen zu entsprechen, die vom Programmierer bestimmt wurden. Innerhalb der von „oben“ bestimmten Aufgaben kommt den individuellen Komponenten eher eine sekundäre Bedeutung für das gesamte System zu. Die Agenten selbst verfügen über eine stark eingeschränkte Autonomie, da ihre Rolle im Problemlöseprozess bereits vorherbestimmt ist. Das betrifft auch die von ihnen verwendeten Koordinationsregeln. Beim Verteilten Problemlösen ist auch der Untersuchungsgegenstand der Rationalität oder das Verfolgen von Zielen eher nebensächlich. Zumeist sind diese Aspekte implizit in das Systemdesign eingebaut und nicht Gegenstand der Agentenmodellierung. Multiagentensysteme verfolgen einen Bottom-Up-Ansatz, bei dem die Agenten selbst im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen und nicht das System als Ganzes. Der entscheidende Unterschied zwischen dem Verteilten Problemlösen und Multiagentensystemen liegt in der Flexibilität der Systeme zur Laufzeit. Während beim Verteilten Problemlösen die Aufgabenstellung bereits zu Beginn

des

Systementwurfs

bekannt

ist,

verfügen

kooperierende

Agenten

in

Multiagentensystemen über eine explizite Repräsentation ihrer eigenen Ziele. Diese Ziele ermöglichen es ihnen auch vorab nicht definierte Aufgaben zu lösen. Das Ergebnis der Problemlösung ist nicht mehr – wie beim Verteilen Problemlösen – durch ein Kontrollsystem erzeugt. Das Problemlösen geschieht hier vielmehr durch soziale Interaktionen zwischen

66

voneinander unabhängigen und rationalen Agenten, die ihre Entscheidungen aufgrund von eigenen (auch sozialen) Zielen treffen. Bond und Gasser (1988) definieren Multiagentensysteme wie folgt: “Multiagent Systems are concerned with coordinating intelligent behaviour among a collection of autonomous intelligent agents, how they coordinate their knowledge, goals, skills, and plans jointly to take action or solve problems.” Sind Systeme aus dem Bereich des Verteilten Problemlösens durch ihre Konzeption grundsätzlich kooperativ, zeichnen sich MAS eher durch Eigeninteresse der Agenten oder sogar Konkurrenzsituationen aus. Da den Agenten ihre Umgebung in der Regel nicht vorab bekannt ist, müssen MAS-Agenten in einem hohen Maße über Autonomie, Flexibilität und Intelligenz verfügen (Fricke, 2000, S. 35). Damit ein gemeinsames Handeln stattfinden kann, ist auch die Repräsentation der Umwelt durch die Agenten von entscheidender Bedeutung. Dazu gehört auch die Repräsentation anderer Agenten13. Auf diesen Aspekt wird in Abschnitt 3.2.4 genauer eingegangen. In dieser Dissertation wurden die MAS-Theorie und ihre Methodologie zur Erhellung von Konflikten gewählt, da MAS das volle Potenzial des VKI-Paradigmas ausschöpfen. Der Reiz des Multiagentenansatzes besteht in der natürlichen und strukturähnlichen Sichtweise auf große, komplexe Systeme, wie sie in den Sozialwissenschaften zu finden sind. In agentenbasierten Modellen ist es im Gegensatz zu makroskopischen Modellen möglich, einzelne Individuen detailliert zu betrachten. Das Verhalten der Individuen, ebenso wie die Ursachen und Konsequenzen ihres Handelns werden dadurch transparent und analysierbar. Damit bietet die agentenbasierte Simulation anspruchsvolle Möglichkeiten für die Untersuchung dynamischer Systeme. Dabei liegt der Fokus auf der Emergenz innerhalb der Systemebene und auf hohen Anforderungen an die Autonomie der Agenten. Durch ihre Heterogenität und Autonomie werden die Agenten – bezogen auf ihren sozialen Kontext – realistischer, da sie miteinander konkurrieren, sich uneins sein und nach ihren eigenen Interessen handeln können. Mit anderen Worten stellt der MAS-Ansatz die Mittel zur Verfügung, die für die Untersuchung jener

13

Es variiert inwiefern die Agenten in einem MAS dazu in der Lage sind über das Verhalten der

anderen Agenten zu schließen (Gerber, 2005). . 67

Akteurseigenschaften gebraucht werden, die interaktives und soziales Verhalten hervorbringen (Forschungsfrage 2). Die Vorgehensweise in diesem Kapitel ist, dass Multiagentensysteme zuerst durch die Betrachtung des einzelnen Agenten als Elementareinheit erklärt werden und anschließend auf ein System von sozialen Agenten eingegangen wird, das Beziehungen, Koordination und Interaktion zwischen Agenten beinhaltet. Es kann im Rahmen dieses Kapitels keine detaillierte Literaturübersicht über das Forschungsfeld der MAS gegeben werden. Es kann dem Leser lediglich eine Basis vermitteln, die es ihm ermöglicht, sich mit dem MAS-Paradigma vertraut zu machen. Dieses Kapitel gliedert sich wie folgt: Als erstes werden einzelne Agenten als Elementareinheit in einem MAS behandelt (Abschnitt 3.2). Dafür wird der vielfältig gebrauchte Agentenbegriff im nächsten Abschnitt (3.2.1) zunächst definitorisch eingegrenzt. Die Erörterung verschiedener Agentendefinitionen erlaubt es Agenteneigenschaften herauszufiltern, die für das in dieser Arbeit entwickelte MAS relevant sind. Die hier verwendeten Agenten werden als menschenähnliche Entitäten aufgefasst, deren Komponenten z.B. Wahrnehmung, Kognition, Handlungen etc. die Grundlage für den Aufbau einer Agentenarchitektur darstellen. Im Abschnitt 3.2.2 werden mehrere Agententypologien vorgestellt, die sich in die Klassen reaktive und kognitive Agenten subsumieren lassen. Abschnitt 3.2.3 bespricht die verschiedenen Komponenten, aus denen kognitive Agenten und die ihnen zugrunde liegenden kognitiven Architekturen bestehen. Welche Art von Agent erzeugt wird hängt letztlich von den Anforderungen und den Umwelteigenschaften ab, die ein Agent vorfindet. So sind es auch die Umwelteigenschaften, die die möglichen Freiheitsgrade von Agenten determinieren. Eine soziale Umwelt erlaubt es Agenten mit anderen Agenten zu interagieren. Gleichzeitig aber kann die physikalische Umwelt Eigenschaften aufweisen, die soziale Konflikte zwischen Agenten erzeugen. Dazu gehören Eigenschaften wie die Knappheit von Raum, Zeit, Ressourcen und anderen Objekten. Inwieweit sich ein sozialer Konflikt dann ausprägt, hängt einerseits von individuellen kognitiven Eigenschaften ab. Andererseits ist es für den Konfliktverlauf aber auch entscheidend, wie gut ein Agent in seine sozio-kulturelle Umwelt eingebunden ist. In Abschnitt 3.2.4 werden verschiedene mögliche Umwelteigenschaften vorgestellt und diskutiert. Nachdem Agenten als elementare Einheiten betrachtet wurden, wendet sich Abschnitt 3.3 schließlich den sozialen Aspekten von Agentensystemen zu. Im Abschnitt 3.3.1 werden zunächst 68

verschiedene Koordinationsmechanismen diskutiert. Im Fall eines MAS muss es Mechanismen geben, die es den Agenten erlauben gezielt miteinander zu interagieren. Eine Ampel funktioniert zur Koordination von Verhalten z.B. nur, weil die Autofahrer die Bedeutung des Koordinationsmechanismus kennen. Diese Kenntnis löst Probleme, die andernfalls auftreten würden, wenn mehrere Autos den gleichen Raum zur gleichen Zeit besetzen wollen. Die Kenntnis der Koordinationsregeln reicht aber in manchen Umweltbedingungen nicht aus. Es bedarf des Austauschs zwischen Agenten. Abschnitt 3.3.2 befasst sich deshalb mit der Kommunikation von Agenten. Abschnitt 3.4 liefert schließlich eine Zusammenfassung des Kapitels und diskutiert, welche Art von Agenten und Theorie für die folgenden Untersuchungen wichtig sind. Im Speziellen wird der Agententyp aus einer Reihe von verschiedenen Typen ausgewählt, die sich alle in ihrer Art und Weise, wie sie konstruiert werden unterscheiden. Die Komplexität einer solchen Konstruktion hängt einerseits von den Anforderungen ab, die hinter dem Design der Agenten und ihrer Umwelt stecken. Andererseits wird die benötigte Komplexität aber auch durch die Forschungsfragen erzeugt, die wiederum die Anforderungen an das Agentendesign bestimmen.

3.2

Agenten als Elementareinheit

Die Bottom-Up-Modellbildung im Forschungsbereich der Multiagentensysteme setzt für die Systemgestaltung bei den Eigenschaften und Kompetenzen der Einzelagenten an. Agenten sind die elementaren Bausteine der Multiagentensysteme. In diesem Abschnitt wird deshalb erklärt, was sich hinter dem Agentenbegriff verbirgt. Computermodelle in denen Agenten Verwendung finden, erfreuen sich heute in der wissenschaftlichen Gemeinschaft großer Beliebtheit. Luck und d’Inverno (2003) schreiben dazu: “In recent years, there has been an explosion of interest in agents and multi-agent systems” (Luck & d'Inverno, 2003, S. 1). Bei der vielfachen Verwendung des Agentenkonzepts liegt es auf der Hand, dass sehr unterschiedliche Sichtweisen darüber existieren, was die entscheidenden Merkmale von Agenten sind. Letztlich handelt es sich bei dem Agentenbegriff um eine Metapher. Bernedo Schneider (2005) hat in diesem Zusammenhang bereits angemerkt, dass es merkwürdig erscheine eine Metapher definieren zu wollen, da es sich bei einer Metapher um ein Sinnbild handele. In diesem Abschnitt wird aus diesen Gründen weniger versucht eine unifizierende Definition zu finden. Es ist vielmehr entscheidend zu klären, welche Agentenaspekte für den 69

Forschungsgegenstand als relevant erachtet werden und welche nicht. Deshalb werden nachfolgend verschiedene Ansätze diskutiert.

3.2.1

Annäherung an eine Agentendefinition

Der Terminus Agent leitet sich vom lateinischen Verb agere ab, was soviel bedeutet wie „handeln“ oder „tun“. Ein Agent ist – in erster Annäherung – also eine Entität, die etwas zu tun im Stande ist. Der Begriff des Agenten als Softwareentität wurde in den 1950er Jahren von Oliver Selfridge aufbauend auf Ideen von John McCarthy geprägt (Bradshow, 1997; Kay, 1984). „ [McCarthy and Selfridge] had in view a system that, when given a goal, could carry out the details of the appropriate computer operations and could ask for and receive advice, offered in human terms, when it was stuck. An agent would be a ‘soft robot’ living and doing its business within the computer’s world” (Kay, 1984, S. 56). McCarthy und Selfridge hatten also ein autonomes Computerprogramm vor Augen, das über eigene Ziele verfügt und um Rat fragen kann, wenn es mit der Bearbeitung seiner Aufgaben nicht weiter kommt. Im Fokus steht dabei die interaktive Beziehungen zwischen dem Nutzer und seinem „Assistenten-Programm“ und nicht mehr nur die reine Aufgabenorientierung (Rammert, 1998). Eine prominente Agentendefinition liefern Russell und Norvig (2002), die sich in ihrer Definition aber nicht auf Softwareagenten beschränken, sondern ebenfalls andere Agenten (wie z.B. Menschen oder Roboteragenten) umfasst, die über ihre Effektoren14 auf die reale Welt einwirken: „An agent is anything that can be viewed as perceiving its environment through sensors and acting upon that environment through effectors“ (Russell & Norvig, 2002, S. 31) Diese Auffassung von Agenten ist mit der oberen Hälfte des Problemlösungskreises nach Meyer (1990) vereinbar (vgl. auch Hilmer, 1999). In diesem Problemlösungskreis werden Ereignisse aus der Umwelt durch einen Sensor in Daten umgewandelt, die ein Problemlöser verarbeitet. Dieser Problemlöser erstellt dann einen Aktionsplan, mit dem er, im Rahmen seiner Kompetenzen und Fähigkeiten, die Umwelt beeinflussen kann. Der Problemlösungskreis ist in zwei Teile unterteilt: 14

Im Gegensatz zu Agenten, die mit der realen Welt interagieren verfügen Softwareagenten über

keine physikalisch wirkenden Effektoren. Stattdessen ist die Aktorik algorithmischer Natur. In der Literatur finden sich hierfür Begriffe wie Fertigkeiten, Aktionen, Prozeduren und Methoden etc. (Fricke, 2000). 70

die reale Welt, in der die Umsetzung der einzelnen Aktionen durch Effektoren geschieht und die Modellwelt, in der das Planen stattfindet (Hilmer, 1999). Problemlösungskreis und Agent werden in Abbildung 3-1 nebeneinander gestellt.

Abbildung 3-1: Gegenüberstellung von Problemlösekreis und Agent. Anmerkung: Aus Hilmer (1999).

Franklin und Graesser (1997) bemängeln an der Definition von Russell und Norvig, dass sie zu weit gefasst sei und sich nicht genügend vom Begriff des Programms abhebe. Der Begriff der Umwelt (engl.: environment) kann nämlich als all das aufgefasst werden, was Input und Output liefert bzw. empfängt und das Wahrnehmen (engl.: perceiving) als das Erhalten von Input. Wird der Begriff des Handelns (engl.: acting) darüber hinaus noch als das Produzieren von Output verstanden, dann kommt der Unterschied zwischen Agent und Programm nicht zur Geltung, weil dann jedes Programm ein Agent ist. Nach der Analyse von elf verschiedenen Agentendefinitionen kommen Franklin und Graesser (1997) auf eine oft rezipierte Zusammenfassung und Präzisierung des Agentenbegriffs: An autonomous agent is a system situated within and a part of an environment that senses that environment and acts on it, over time, in pursuit of its own agenda and so as to effect what it senses in the future (Franklin & Graesser, 1997, S. 4). Auch hier können Agenten entweder Menschen, Tiere, autonome mobile Roboter oder Softwareagenten sein. In der Definition von Franklin und Graesser wird darüber hinaus aber auch die Eigenschaft der Autonomie explizit gemacht. Auch der von ihnen herausgearbeitete Aspekt des Eingebettetsein von Agentenfähigkeiten in die Systemumwelt ist interessant. Franklin und Graesser (1997) legen dar, dass z.B. ein Roboter, der lediglich über Sensoren verfügt, kein Agent mehr ist, wenn er in eine Umwelt gesetzt wird, in der es kein Licht gibt. Die bloße Existenz von 71

Sensoren ist also keine hinreichende Bedingung für die Definition eines Agenten. Erst wenn es eine Passung zwischen Umwelt(-anforderungen) und System gibt, sprechen Franklin und Graesser von einem Agenten. Hayes-Roth (1995) ergänzt bereits diskutierte Aspekte in ihrer Definition um das logische Schlussfolgern: ‘Intelligent agents’ continuously perform three functions: perception of dynamic conditions in the environment; action to affect conditions in the environment; and reasoning to interpret perceptions, solve problems, draw inferences, and determine actions (Hayes-Roth, 1995, S. 3). Zu den prominentesten Agentendefinitionen gehört auch die Definition von Wooldridge und Jennings (1995). Sie begegnen den zahlreichen Agentendefinitionen mit zwei sich ergänzenden Ansätzen. Sie definieren einen „schwachen“, und deshalb eher unstrittigen Agentenbegriff, und bauen darauf eine „starke“, und deshalb eher strittige. Definition auf. Ein Agent in seiner schwachen Ausprägung ist nach Wooldridge und Jennings eine hard- oder softwarebasierte Systemeinheit, die über folgende Eigenschaften verfügt: •

Autonomie: Der Agent agiert ohne direkte Intervention durch Menschen und hat dabei die Kontrolle über das eigene Verhalten und seinen internen Zustand.



Interaktivität (soziale Fähigkeiten): Der Agent interagiert mit anderen Agenten oder Menschen durch eine Agentensprache, um seine Ziele zu erreichen.



Reaktivität: Der Agent kann seine Umgebung wahrnehmen und auf Änderungen der Umgebung rechtzeitig reagieren, um seine Ziele zu erreichen.



Proaktivität: Der Agent zeigt zielorientiertes Verhalten indem er die Initiative ergreift, um seine Ziele zu erreichen.

Autonomie ist ein zentraler Aspekt, der es den Agenten erlaubt eigenständig und flexibel zu handeln. Mit der Forderung nach Autonomie ist eine ganze Reihe von Anforderungen verknüpft. So müssen autonome Agenten über eigene Ziele verfügen und zielorientiert vorgehen. Weiterhin dürfen sich nicht ausschließlich nach starren Mustern (Bedingung-Handlung-Mustern) vorgehen und müssen über eine gewisse Flexibilität verfügen etc. Luck und d’Inverno (2003) liefern eine dieser Arbeit nahe liegende Definition eines autonomen Agenten, die Motivationen als Triebkräfte des Agenten ansieht: 72

An autonomous agent is an agent together with an associated set of motivations. An autonomous agent is defined as an agent with motivations and some potential means of evaluating behaviour in terms of the environment and these motivations. In other words, the behaviour of the agent is determined by both external and internal factors. This is qualitatively different from an agent with goals because motivations are non-derivative and governed by internal inaccessible rules, while goals are derivative and relate directly to motivations (Luck & d'Inverno, 2003, S.10). Natürlich sind auch die letzten drei Attribute der schwachen Definition von Wooldridge und Jennings (Interaktivität, Reaktivität und Proaktivität) Voraussetzung für die Autonomie eines Agenten und wurden später als Kriterien für intelligente Agenten verwendet (Wooldridge, 2002). Ähnlich wie bei Franklin und Graesser (1997) enthält die schwache Definition eine Abgrenzung zum Programmbegriff. Was die Proaktivität anbelangt, so kann man festhalten, dass ProgrammProzeduren zwar ebenfalls gewissermaßen zielorientiert sind, da sie bestimmte Bedingungen prüfen, problematisch wird es aber, wenn sich die Umgebung oder die Vorbedingungen zur Laufzeit ändern. Komplexe Umgebungen, die ständigen Veränderungen unterworfen sind, erfordern daher Agenten, die auf diese Veränderungen der Umgebung reagieren können. Dazu ist sowohl Proaktivität als auch Reaktivität notwendig. Proaktivität und Reaktivität sind dabei zwei Gegenspieler, die es auszubalancieren gilt. Es sind weder Agenten wünschenswert, die andauernd reaktiv sind und deshalb ständig zwischen verschiedenen Zielen hin- und her springen, noch Agenten, die auf Zielerreichung beharren, wenn Ereignisse in der Umgebung Ziele ändern oder eine Zielerreichung unmöglich machen. Damit ein Agent seine Ziele erreicht, können u. U. sowohl Kooperation als auch Verhandlungen mit anderen Agenten, die nicht notwendigerweise die gleichen Ziele verfolgen, erforderlich sein. Dieser Sachverhalt spiegelt sich in der Forderung nach Interaktivität wider. Während die schwache Agentendefinition nicht notwendigerweise den Vergleich mit menschlichen Akteuren anstrebt, so steht bei der starken Agentendefinition von Wooldridge und Jennings die Modellierung und Implementierung menschlicher Eigenschaften im Fokus der Aufmerksamkeit. Diese Agenten verfügen über mentale bzw. kognitive oder auch normative Merkmale und Kompetenzen. Dazu zählen z.B. das Planen, Intentionen und Überzeugungen ggf. sogar auch affektive und emotionale Zustände. Zur starken Ausprägung des Agentenbegriffs gehören aber noch weitere Eigenschaften. Dazu zählt Mobilität (engl.: mobility), also die

73

Fähigkeit eines Agenten sich in Netzwerken zu bewegen. Des Weiteren wird ihnen Wahrhaftigkeit (engl.: veracity) abverlangt. Darunter verstehen Wooldridge und Jennings, dass ein Agent nicht absichtlich falsche Informationen übermittelt. Als nächstes kommen die Forderungen nach Wohlwollen (engl.: benevolence), d.h. Ausschluss von Zielkonflikten (zwischen den Zielen des Benutzers und denen der Agenten) sowie nach rationalem Verhalten (engl.: rationality): Ein Agent handelt also so, dass er seine Ziele erreichen kann und wird wissentlich keine Schritte ausführen, die dieses verhindern. Die starke Definition eignet sich somit

besonders

dazu,

domänenabhängige

Spezialisierungen

des

Agentenbegriffs

zusammenzufassen, während die schwache Definition für das Grundlagenverständnis dienlich ist. Die Betrachtung der verschiedenen Agentendefinitionen hat einige Eigenschaften hervorgebracht, die für das in dieser Arbeit zu entwickelnde Multiagentensystem bedeutsam sind. Andere Aspekte aus den betrachteten Definitionen dienen vielmehr der Einordnung in den Forschungsgegenstand und spielen eine eher untergeordnete Rolle. Hierzu zählt z.B. die oben aufgeführte Vorstellung von Selfridge und McCarthy, dass ein Agent dazu in der Lage sein sollte sich Rat einzuholen. Es ist zweifelsohne ein Zeichen von Intelligenz, wenn ein Agent dazu in der Lage ist zu erkennen, wann er mit einer Problemlösung von alleine nicht weiter kommt. Das Erbitten von Informationen entspringt hier aber vielmehr einem Assistentengedanken, der für diese Arbeit keine Relevanz hat. Der Autonomieaspekt hingegen ist ein zentraler Punkt, der auch in vielen der vorgestellten Definitionen – z.B. bei Franklin und Graesser (1997), Luck und d’Inverno (2003) und Wooldridge und Jennings (1995) explizit gemacht wird. Im Folgenden soll geklärt werden, welche weiteren Agenteneigenschaften für diese Arbeit relevant sind. Es geht dabei aber keinesfalls um Vollständigkeit, sondern vielmehr um eine Vorstellung davon, welche Aspekte der Agentenmetapher in dieser Arbeit als wichtig erachtet werden: Unter einem Agenten wird in dem hier vorliegenden Kontext eine Softwarekomponente verstanden, die unter (eventuell nur teilweiser) Wahrnehmung ihrer Systemumgebung zu einem gewissen Grad autonom handelt. Dabei ist sie sowohl proaktiv als auch reaktiv und kann (über Handlungen und Kommunikation) auf andere Systembestandteile bzw. Agenten einwirken. Dabei sind Agenten motiviert, handeln zielgerichtet und verfügen über ein eigenes Weltmodell.

74

3.2.2

Klassifikationen von Agenten

Russell und Norvig (2002) definieren drei Klassen von Agenten: Reflex-Agenten, Zielorientierte Agenten und Nutzenmaximierende Agenten. Alle drei Typen werden nachfolgend vorgestellt. Darüber hinaus sind sie in Abbildung 3-2 vergleichend dargestellt.

Reflex-Agenten Der Reflex-Agent stellt den einfachsten aller Agententypen dar: Ein Reflex-Agent „wählt“ aufgrund der momentanen Wahrnehmung der Umwelt eine vorher bestimmte Aktion aus, wobei er dabei den Verlauf der restlichen Wahrnehmungsfolge ignoriert. Der Prozess der Handlungsauswahl geschieht also – analog zum Reflex – automatisch, ohne Einbezug von kognitiven Aspekten15. Perzeptionen (sensorischer Input) erzeugen einen internen Zustand, der die Beobachtung des Agenten repräsentiert. Dieser Zustand stellt die Bedingung dar, die eine vorher festgelegte – zur Wahrnehmung zugehörige – Aktion auslöst. Eine solche Verknüpfung, bei der Bedingungen auf Aktionen abgebildet werden, wird Bedingung-Handlung-Regel, WennDann-Regel oder manchmal auch Produktion genannt. Im einfachsten Fall kann eine solche Abbildung durch sogenannte „Look-up“-Tabellen realisiert werden, wobei für jede Zeile der Tabelle auf der einen Seite die Bedingung und auf der anderen Seite die auszuführende Aktion aufgetragen sind. Reflex-Agenten haben zwar einerseits den Vorteil, dass sie einfach sind und schnell reagieren können, andererseits aber sind sie zum Scheitern verurteilt, wenn die aktuelle Wahrnehmung zur Entscheidungsfindung nicht ausreicht. Oft ist es notwendig sich an vergangene Wahrnehmungen zu erinnern, um zu einer guten Entscheidung zu gelangen. Darüber hinaus ist es für viele Domänen nicht möglich sie vorher vollständig mit allen Facetten in einem Agenten zu repräsentieren. Selbst für Domänen in denen das möglich wäre, gäbe es u. U. noch ein weiteres Problem: Beim Reflex-Agenten führen gleiche Wahrnehmungen immer zu gleichen Reaktionen. Aus diesem Grund besteht die Gefahr, dass ein solcher Agent in eine Endlosschleife gerät.

15

Verschiedene Autoren nehmen Insekten wie z. B. Termiten als Beispiel für rein reaktive

Systeme. Sie sind durch Interaktion sogar dazu in der Lage komplexe Resultate (z. B. TermitenHügel) hervorzubringen. 75

Um die Beschränkung einer nicht vollständig beobachtbaren Umwelt aufzuweichen, können einfache Reflex-Agenten um eine Repräsentation ihrer Umwelt und der Fähigkeit interne Zustände sichern zu können, erweitert werden. Im oberen Abschnitt in Abbildung 3-2 ist ein solch erweiterter Reflex-Agent, der auch als Modellbasierter Reflex-Agent bezeichnet wird, abgebildet. In der Abbildung ist zu sehen, dass dieser Agententyp über ein Weltmodell verfügt. Zum Weltmodell gehört Wissen darüber, wie sich die Welt verändert und welchen Einfluss die eigenen Handlungen auf die Umwelt haben. Darüber hinaus wird der jeweils aktuell wahrgenommene Weltzustand im Agenten gespeichert. Die auf diese Weise eingespeiste Information wirkt auch zukünftig wieder auf den aktuellen Weltzustand zurück. Die Repräsentation der Umwelt wird hier also – basierend auf den Wahrnehmungen des Agenten, die in das Weltmodell integriert werden – ständig aktualisiert. Damit stehen dem Agenten auch Informationen über aktuell nicht beobachtbare Teile der Welt zur Verfügung.

Zielbasierte Agenten Zielbasierte Agenten zeichnen sich dadurch aus, dass sie eigene Ziele, d.h. Informationen über anzustrebende Situationen haben. Ein Ziel zu haben bedeutet in diesem Zusammenhang auch, sich einer symbolischen Struktur zu bedienen, die durch einen Formalismus repräsentiert wird (Sloman, 1987). Dementsprechend definiert Sloman ein Ziel als Repräsentation mit folgender Eigenschaft: “A representation of a state of affairs functions as a goal if it tends (subject to many

qualifications)

to

produce

behaviour

that changes reality to conform to the

representation” (Sloman, 1987, S. 3). Im mittleren Teil von Abbildung 3-2 ist ein Zielbasierter Agent dargestellt. Genauso wie der Modellbasierte Reflex-Agent verfügt auch dieser Agententyp über ein Weltmodell (auch hier umfasst es Wissen darüber, wie sich die Welt verändert und welchen Einfluss die eigenen Handlungen haben). Ein Zielbasierter Agent kann seine Zielinformationen dazu nutzen, sie mit den erwarteten Ergebnissen möglicher Handlungen zu kombinieren, um so eine zum Ziel führende Aktionsauswahl treffen zu können. Hier erfordert die Abschätzung der Auswirkungen etwaiger zukünftiger Handlungen den Rückgriff auf das

76

Weltmodell, aus dem die Resultate einer Aktion deduziert werden können16. Durch die explizite Repräsentation von Zielen werden die Handlungen des Agenten, im Vergleich zu Reflex-Agenten, wesentlich flexibler. Das hängt damit zusammen, dass der Zielbasierte Agent über Weltwissen verfügt, das er anpassen und mit seinen Zielen abgleichen kann. Während Reflex-Agenten ihre Aktionen auf der Basis von Perzeptionen und den darauf angewendeten starren Wenn-DannRegeln bestimmen, selektieren Zielbasierte Agenten ihre Ziele unter Berücksichtigung der zukünftigen Folgen der Aktion. Überdies ist der Zielbasierte Agent dazu in der Lage parallel mehrere Ziele mit unterschiedlichen Prioritäten zu verfolgen, während dem Reflex-Agenten gänzlich die Rückkopplung der geplanten Handlung zu erwünschten Zielen fehlt. Im Sinne der in Abschnitt 3.2.1 vorgestellten Agentendefinition von Wooldridge und Jennings handelt es sich bei Zielbasierten Agenten um proaktive Agenten. Das Erreichen eines Ziels erfordert mitunter komplexe Aktionsfolgen, weshalb bei Zielbasierten Agenten Methoden der Suche und Planen zum Einsatz kommen.

16

Eine Unterklasse der Zielbasierten Agenten sind sogenannte BDI-Agenten, die über subjektives

Weltwissen (engl.: Beliefs), Wünsche (engl.: Desires) und Intentionen (engl.: Intentions) verfügen. 77

Abbildung 3-2:

Umwelt

Anmerkung: Darstellung

a) Modellbasierter Reflex-Agent

von drei Agententypen: a) Modellbasierter

Reflex-

Agent, b) Zielbasierter Aktueller Weltzustand

Auszuführende Handlung

Agent

und

c)

Nutzenbasierter Agent. Die Informationsverarbei-

Zustand Wie die Welt sich verändert

tung geschieht von links

Einfluss der eigenen Handlungen

BedingungHandlung Regeln

nach

rechts.

Sensoren

Über

nimmt

jeder

Agent Informationen aus der Umwelt

b) Zielbasierter Agent

auf. Ab-

hängig vom jeweiligen Agententyp werden die Informationen mehr oder

Wie es nach Aktion A sein wird

Aktueller Weltzustand

Auszuführende Handlung

weniger tief verarbeitet. Während

ein

Reflex-

Agent (a) automatisiertes Zustand Wie die Welt sich verändert

Verhalten zeigt, verfügt

Einfluss der eigenen Handlungen

Ziele

der Zielbasierte Agent (b) über eigene Ziele, die es ihm erlauben vorher nicht definierte

c) Nutzenbasierter Agent

Lösungswege

zu finden. Ein Nutzenbasierter Agent (c) kann

Aktueller Weltzustand

Wie es nach Aktion A sein wird

Wie glücklich werde ich in diesem Zustand

überdies Aussagen über Auszuführende Handlung

den Grad seiner Zielerreichung treffen. Eine getroffene Entschei-

Zustand Wie die Welt sich verändert

Einfluss der eigenen Handlungen

dung Nutzen

wird

durch

die

Effektoren des Agenten in seiner Umwelt umgesetzt. Modifiziert nach Russell

& Norvig (2002).

78

Nutzenbasierte Agenten Nutzenbasierte Agenten stellen eine Erweiterung des Zielbasierten Agenten dar. Der untere Abschnitt in Abbildung 3-2 zeigt einen Nutzenbasierten Agenten. Während ein Zielorientierter Agent lediglich zwischen Erfolg und Misserfolg differenzieren kann, können Nutzenbasierte Agenten auch Teilerfolge erkennen (vgl. Abbildung 3-2 unten: „Wie glücklich werde ich in diesem Zustand“). Kann ein Hauptziel nicht mehr erreicht werden, dann wird dennoch versucht die Situation nach dem Nutzenkriterium zu verbessern. Nutzenbasierte Agenten haben die Fähigkeit Ziele in Teilziele zu untergliedern. Dadurch sind sie in der Lage, in Situationen, in denen mehrere Ziele erreichbar sind, zu entscheiden, welche Aktionen den größeren Nutzen haben, bzw. welche Ziele erstrebenswerter sind. Dies ist vor allem dann interessant, wenn nicht mit Sicherheit gesagt werden kann, ob ein Ziel erreicht werden kann. Der Agent kann damit eine Risikoeinschätzung durchführen und wird nicht nur seinem Hauptziel folgen.

Oft findet man in der Literatur auch eine gröbere Klassifikation von Agententypen als die von Russell und Norvig (2002). In solchen Fällen wird schlicht zwischen reaktiven Agenten und kognitiven Agenten unterschieden (Ferber, 1999; Newell, 1990). Agententypen

Reaktive Agenten Reflex-Agenten

Kognitive Agenten Zielbasierte Agenten

Modellbasierte Reflex-Agenten

Nutzenbasierte Agenten

Abbildung 3-3: Agententypen. Reaktive Agenten (manchmal auch subkognitive Agenten genannt) agieren direkt aufgrund ihrer Wahrnehmung, ohne Einbezug von Entscheidungsprozessen. Die oben beschriebenen reflex- und Modellbasierten Reflexagenten gehören zur Klasse der reaktiven Agenten (vgl. hierzu Abbildung 3-3). Der Modellbasierte Reflexagent besitzt als Erweiterung des einfachen Reflex-Agenten zwar bereits ein Gedächtnis und sammelt Informationen, jedoch werden diese Informationen noch immer auf Bedingung-Handlung-Regeln angewendet.

79

Kognitive Agenten verfügen über Präferenzen und verwalten ein Modell ihrer Umwelt in einer eigenen Datenstruktur. Auf dieses Weise wird Planung der Aktionen und letztlich auch zielgerichtetes Handeln möglich. Die oben diskutieren Zielbasierten Agenten und auch die Nutzenbasierten Agenten gehören zur Klasse der kognitiven Agenten (vgl. hierzu Abbildung 3-3). Für den Aufbau eines MAS ist es entscheidend, welcher Agententyp realisiert werden soll. Die Spezifizierung

der

Agentenkomponenten

und

ihres

Zusammenspiels

wird

in

der

Agentenarchitektur vorgenommen. Unter einer Agentenarchitektur wird in erster Annäherung die Art und Weise verstanden, wie die Definition und die Verwaltung des Agentenverhaltens realisiert werden (vgl. hierzu Abschnitt 3.2.3). Die soeben eingeführten Agententypen bilden eine wichtige Grundlage für diese Spezifikation.

3.2.3

Agentenkomponenten und Agentenarchitektur

Der Begriff der Kognitiven Architektur wurde von Newell durch seine Arbeiten zu Computerarchitekturen in die Psychologie eingeführt (Bell & Newell, 1971). „Eine Kognitive Architektur stellt, in Analogie zu einem Bauplan für ein Haus, eine vollständige Spezifikation eines Systems dar. Allerdings bleibt diese Spezifikation abstrakt und erfährt ihre Konkretisierung erst beim ‚Bau’ des Systems“ (Dörner, Levi, Detje, Brecht & Lippold, 2001, S. 2). Der Fokus kognitiver Architekturen liegt auf expliziten Vorgaben „von elementaren Mechanismen der Informationsverarbeitung, von denen angenommen wird, dass sie über alle möglichen Aufgaben hinweg (z.B. Problemlösen, Sprachverarbeitung, Denken, Mustererkennung) stabil bleiben“ (Schmid, 2002, S. 703). Im Großen und Ganzen werden zwei Architekturtypen voneinander unterschieden: Produktionssysteme und Neuronale Netze. Während bei neuronalen Netzen die Information auf subsymbolischer Ebene durch Aktivitätsausbreitung verarbeitet wird, formulieren Produktionssysteme semantische Regeln für symbolische Informationen. Für diese Arbeit stehen Produktionssysteme im Zentrum der Aufmerksamkeit. Der Aufbau einer kognitiven Agentenarchitektur orientiert sich oft an den im vorherigen Abschnitt eingeführten Agententypen (Russell & Norvig, 2002; Wooldridge, 2002). Wie komplex die Agentenspezifikation schließlich ausfällt – also ob es sich um reaktive oder kognitive Agenten handelt – hängt u. a. von der Aufgabe oder der Forschungsfrage ab, die bewältigt werden soll.

80

Eine prominente Architektur für rein reaktive Agenten ist die sogenannte SubsumptionArchitektur von Rodney Brooks. Brooks zählt zu den prominentesten Vertretern der „Neuen KI“. Bei seiner Subsumption-Architektur wird das Gesamtverhalten des Agenten auf viele einzelne Module verteilt. Jedes der hierarchisch organisierten Module beinhaltet dabei ein Verhalten (also letztlich Produktionen) für eine spezifische Aufgabe. Dabei beinhalten die unteren Schichten einfaches und grundsätzlich notwendiges, die höheren komplexeres Verhalten. Alle Module arbeiteten asynchron, können aber kommunizieren. Höhere Schichten können dabei in niedrigere eingreifen, indem sie ihre Outputs hemmen, bzw. ersetzen. Prominente Architekturen für kognitive Agenten sind Andersons ACT-R (Anderson, 1996), Newells SOAR (Lehmann et al., 2006) und Dörners PSI (Dörner, 2001). Ging die Kognitionswissenschaft zur Erhellung von kognitiven Prozessen anfänglich noch stark modular vor, was zu Kleinsttheorien eng umschriebener Phänomenbereiche führte, wirken letztgenannte Architekturen dieser partikularistischen Entwicklung entgegen. Es existieren inzwischen ausgezeichnete Modelle, die erklären, wie Menschen ihre Umwelt wahrnehmen und vergangene Ereignisse memorieren. Darüber hinaus gibt es Modelle davon, wie Menschen ihre Aufmerksamkeit auf Reize konzentrieren und dabei viele andere Reize ignorieren. Sie erklären, wie Individuen logische Probleme lösen und auf der Grundlage unvollständiger Informationen Entscheidungen treffen, wie Menschen über Ansichten, Einstellungen und Verhaltensweisen Urteile fällen und viele weitere Funktionen des Geistes. Viele der genannten Aspekte werden in ACT-R, SOAR und PSI berücksichtigt und integriert. In diesem Sinne folgen sie dem Grundgedanken einer „Unified Theory of Cognition“ (vgl. Funke, 2003, S. 75). In kognitiven Architekturen werden nicht immer strikt nur Agenten eines Typs nach den im letzten Abschnitt beschriebenen Vorstellungen von Russell und Norvig (2002) spezifiziert. Kognitive Agenten besitzen oft neben einer kognitiven Komponente sogar zudem auch reaktive Anteile. In diesen Fällen handelt es sich in der Regel um Architekturen, die in Schichten aufgebaut sind. Zuunterst existiert dann meist eine reaktive Schicht, die für gewisse vorher definierte Reize eine unmittelbare Reaktion auslöst. Darauf werden dann oft weitere Schichten (ggf. auch nur eine weitere Schicht) gesetzt, die die kognitive Verarbeitung realisieren. Eine solche Architekturvorstellung wird z.B. von Aaron Sloman vertreten. Er geht davon aus, dass intelligente Systeme über drei parallel arbeitende Verarbeitungsschichten verfügen: eine reaktive, eine deliberative und eine Meta-Management-Schicht. Die reaktive Schicht beinhaltet

81

automatische und fest verdrahtete Prozesse, während die deliberative Schicht beim Planen, Evaluieren und dem Zuteilen von Ressourcen zum Einsatz kommt. Die deliberative Schicht des Agenten erlaubt es ihm sein Handlungsrepertoire beliebig neu zu kombinieren, Pläne zu entwickeln und vor der Ausführung zu evaluieren. Eine wesentliche Voraussetzung dafür ist ein Langzeitgedächtnis. Es speichert noch nicht komplettierte Pläne bzw. legt die wahrscheinlichen Konsequenzen von Plänen ab, die dann zu einem späteren Zeitpunkt evaluiert werden können. Die Meta-Management-Schicht beinhaltet Beobachtungs- und Evaluationsmechanismen für interne Zustände. Sie birgt zudem einen Mechanismus in sich, der die internen Vorgänge des Systems verfolgt und evaluiert. Ein solches Subsystem ist notwendig, um die in der deliberativen Schicht entwickelten Pläne und Strategien zu evaluieren und ggf. zu verwerfen, langfristige Strategien zu entwickeln und die Kommunikation mit anderen zu steuern. Das MetaManagement-Modul ist bei seiner Arbeit nicht perfekt, da es keinen umfassenden Zugriff auf alle internen Zustände und Prozesse hat. Ihm fehlt die vollständige Kontrolle über das deliberative Subsystem. Darüber hinaus kann die Selbst-Evaluation auf falschen Voraussetzungen beruhen. Wahrnehmung

Zentrale Verarbeitung

Handlung

Meta-Management (reflektive Prozesse)

Deliberative Schlussfolgerungen

Reaktive Mechanismen

Abbildung 3-4: CogAff-Schema mit Schichten. Anmerkung: Aus Sloman (2001). Modifiziert.

Abbildung 3-4 zeigt Slomans CogAff-Schema. Links ist die Wahrnehmung in der Mitte die Informationsverarbeitung und rechts die Handlung in jeweils drei Schichten (reaktiv, deliberativ, meta-management) abgebildet. Neben den eben erläuterten funktional unterschiedlichen Verarbeitungsschichten gehören für Sloman noch weitere Bestandteile zu einer intelligenten

82

Agentenarchitektur wie beispielsweise sogenannte Motivatoren. Auf Motivatoren wird in Abschnitt 3.2.3.2 näher eingegangen. Die meisten kognitiven Architekturen können – analog zum CogAff-Schema (Abbildung 3-4) – in drei unterschiedliche Hauptkomponenten unterteilt werden: Perzeption, Kognition und Handlung. In manchen Fällen wird weiter zwischen Kognition und Motivation unterschieden. Es geht dabei aber keineswegs um grundlegend voneinander unterschiedliche Aspekte, sondern vielmehr um unterschiedliche Perspektiven auf den Informationsverarbeitungsprozess. Im Folgenden soll näher auf Kognition, Motivation, Wahrnehmung und Handlung eingegangen werden. Dabei werden Erkenntnisse zur menschlichen Kognition erfasst, die schließlich in intelligente Agentenarchitekturen einfließen können.

3.2.3.1 Kognition Mit dem Kognitionsbegriff wird auf die Informationsverarbeitung von Menschen und anderen Systemen Bezug genommen. „Zur Kognition gehören sowohl Inhalte als auch Prozesse“ (Gerrig & Zimbardo, 2008, S. 276). Beziehen sich die Inhalte auf das Was, so sind die kognitiven Prozesse darauf gerichtet, wie diese Inhalte manipuliert werden. Unter Kognition lassen sich also alle psychischen Fähigkeiten, Funktionen und Prozesse subsumieren, die der aktiven Aufnahme, der Verarbeitung und der Speicherung von Informationen dienen. Dazu gehören Prozesse des Wahrnehmens, der Aufmerksamkeit, des Schlussfolgerns und des Problemlösens, Lernprozesse, die Entwicklung von Einstellungen, Entscheidungsprozesse usw. (Gerrig & Zimbardo, 2008). „Kognitionen beinhalten all das, was Individuen über sich selbst, ihre (soziale) Umwelt, ihre Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft denken und umfassen auch Prozesse der mentalen Repräsentation“ (Zimbardo, 1992, S. 304). Nach einer klassischen Sichtweise auf den Informationsverarbeitungsprozess werden Stimuli der Umwelt passiv wahrgenommen, vom Individuum strukturiert und verarbeitet. Anschließend wird dann der intentionale Inhalt an das Motorsystem weitergeleitet, wobei das Motorsystem und das sensorische System voneinander unabhängige Einheiten sind. Diese traditionelle Sicht auf den Informationsverarbeitungsprozess wird heute oft kritisiert, denn Wahrnehmung und Handlung können eher als miteinander verknüpfte Feedbackschleifen aufgefasst werden. Eine schlicht lineare Verarbeitung scheint nach heutigen kognitionswissenschaftlichen Erkenntnissen nicht plausibel zu sein, denn nur durch eine kontinuierliche Überwachung kann das Verhalten, im 83

Hinblick auf zu erreichende Ziele zeitnah korrigiert werden. Wahrnehmung und Handlung sind vielmehr voneinander untrennbare Teile eines größeren, dynamischen Systems: Die Inhalte der Wahrnehmungen und Intentionen sind beide aus Prozessen zusammengesetzt, die sowohl Inputs als auch Outputs beinhalten. Veränderungen der Intention können also auch zu Veränderungen der Wahrnehmung führen und umgekehrt. Auf diesen Aspekt wird in Abschnitt 3.2.3.3 näher eingegangen. Die Fähigkeit relevante Dinge wahrzunehmen, und über zur Perzeption passende Handlungen zu verfügen, reicht völlig aus, wenn ein System sich lediglich an die aktuelle Situation anpassen muss. Wenn ein Agent sich nun aber über die Zeit über Erfahrungen verbessern möchte, dann benötigt er ein kognitives System und ein Gedächtnis in dem Erfahrungen repräsentiert werden können, aus denen er lernen kann. Das Gedächtnisthema wird im nächsten Abschnitt (3.2.3.1.1) erläutert. Abschnitt 3.2.3.1.2 wendet sich abstrakt der Zielerreichung zu. Konkretisiert wird die Zielgerichtetheit dann, wenn im Abschnitt 3.2.3.2 auf die Motivation von Agenten eingegangen wird.

3.2.3.1.1

Gedächtnis

Ökonomische Agenten, die mit Nutzenfunktionen arbeiten, haben meist ein sehr kurzes Gedächtnis. Es beinhaltet in der Regel lediglich das Ergebnis des vorherigen Zustands. Kognitive Agenten haben hingegen eine Gedächtnisstruktur und ein Gedächtnismanagement, das Inferenzen bezüglich längerer Zeiträume erlaubt (Russell & Norvig, 2002). Einige kognitive Architekturen, wie z.B. ACT-R (Anderson & Lebiere, 1998) beinhalten deshalb elaborierte Modelle des Langund des Kurzzeitgedächtnisses (Atkinson, R. C. & Shiffrin, 1968). Das Langzeitgedächtnis wird noch einmal nach zwei unterschiedlichen Aspekten differenziert: Es kann weiter in ein prozuderales (implizites) und ein deklaratives (explizites) Gedächtnis unterteilt werden. Das prozedurale Gedächtnis enthält Prozeduren,

speichert

Fertigkeiten, Erwartungen

und

Verhaltensweisen. Das deklarative Gedächtnis beinhaltet Fakten und Inferenzen über die Welt. Das Kurzzeitgedächtnis kann weiter in sensorisches- und Arbeitsgedächtnis unterteilt werden. Das sensorische Gedächtnis (oder auch Ultrakurzzeitgedächtnis genannt) ist sehr kurzlebig. Als nicht relevant erachtete Informationen werden dort wieder gelöscht oder von neuen Eindrücken überschrieben. Andere Informationen werden ins Arbeitsgedächtnis weitergeleitet. Das Arbeitsgedächtnis ist die Speichereinheit für temporäre Informationsspeicherung und 84

Manipulation (Baddeley, 1999). Dieser Speicher ist jedoch beschränkt. Miller konnte in den 1950er Jahren zeigen, dass Menschen nur sieben (plus-minus zwei) Informationseinheiten (die er Chunks nannte) im Kurzzeitgedächtnis präsent halten können. Die Anzahl dieser Chunks ist genetisch festgelegt und auch durch Training nicht steigerbar (Miller, 1956). In kognitiven Architekturen wie SOAR oder ACT-R liegt der Fokus auf dem prozeduralen, dem deklarativen Gedächtnis und dem Arbeitsgedächtnis. Die Arbeitsgedächtnisfunktion ist in beiden Architekturen Platzhalter für Wissen, das für die aktuelle Situation relevant ist. Während das Wissen des Arbeitsgedächtnisses sofort verfügbar ist, muss das Wissen des Langzeitgedächtnisses erst abgerufen werden damit es verwendet werden kann. In beiden Architekturen beschreibt das prozedurale Gedächtnis den Ort, wo die Fähigkeiten und Regeln gespeichert sind, die dem Agenten das Handeln ermöglichen, wenn bestimmte Bedingungen vorherrschen. Die Aufgabe, die dem deklarativen Gedächtnis zukommt, ist es, fehlende Informationen bereit zu stellen, die die Prozeduren zur Problembewältigung benötigen. Für soziale Agentenmodelle ist die Repräsentation der physikalischen Umwelt und der sozialen Umwelt (die auch andere Agenten umfasst) besonders wichtig. Auch zeitliche Zusammenhänge spielen in vielen Agentenszenarien eine wichtige Rolle. Gerade in Modellen, in denen sich die Agenten miteinander koordinieren müssen, ist eine Repräsentation mit Informationen über zeitliche Zusammenhänge wichtig. Es kann unter Umständen notwendig sein, dass Agenten zur Erreichung von Zielen gleichzeitig handeln müssen, oder aufgrund gemeinsam genutzter Ressourcen geplante Handlungen anders synchronisiert werden müssen (Fricke, 2000, 58 f.). Auf Koordinationsmechanismen wird in Abschnitt 3.3.1 eingegangen.

3.2.3.1.2

Zielgerichtetes Verhalten

Damit ein Agent zielgerichtetes Verhalten zeigen kann, muss er über eigene Ziele verfügen. In Abschnitt 3.2.2 wurden Ziele bereits als symbolische Struktur Zielbasierter Agenten skizziert. Ziele beschreiben Zustände, die entweder erreicht, erhalten oder verhindert werden sollen. Während es sich bei Überzeugungen (engl.: beliefs) um Repräsentationen handelt, die sich durch Wahrnehmungs- und Deliberationsprozesse an die Realität anpassen, sind Ziele Repräsentationen, die Verhaltensweisen auslösen, um die Realität an die Repräsentation anzupassen (Sloman, 1987). Zielgerichtetes

Verhalten

erlaubt

es

dem Agenten

(im

Zusammenspiel

Performanzsystem) das erwünschte Ziel mit dem aktuellen Zustand abzugleichen. 85

mit

einem

Nun gilt es herauszufinden, welche Ziele ein Agent haben sollte. Interessant ist in dem Zusammenhang auszumachen, ob es allgemeingültige Ziele gibt, über die alle Agenten verfügen müssen, um ihren Zweck erfüllen zu können. Hartmut Bossel beschreibt für beliebige Systeme an welchen Leitwerten sie sich im Allgemeinen orientieren. Grundannahme für die Identifizierung solcher Kriterien ist die Erkenntnis, dass Systeme sich – um überlebensfähig zu sein – immer an ihre Systemumwelt anpassen müssen. Es ist die Umwelt, die allen Systemen gewisse Anforderungen aufzwingt, damit sie sich langfristig erhalten können. Es sind diese Anforderungen, die Bossel als Leitwerte bezeichnet. Leitwerte sind insofern mit Zielen vergleichbar, als deren Existenz das Systemverhalten in eine bestimmte Richtung lenkt. Leitwerte müssen aber – im Gegensatz zu Zielen, wie sie hier verwendet werden – nicht zwangsläufig als symbolische Struktur repräsentiert werden. Zu den Leitwerten von Bossel zählen: Existenz, Wirksamkeit, Handlungsfreiheit,

Sicherheit,

Wandlungsfähigkeit

und

Koexistenz.

„Bei

Humansystemen müssen „psychische Bedürfnisse“, die sich nicht aus der System/UmweltInteraktion ergeben, als weitere Leitwertkategorie betrachtet werden“ (Bossel, 2007, S. 82). Die verschiedenen Leitwertkategorien werden nun kurz vorgestellt: Existenz Im Rahmen seiner Systemidentität existiert ein System, solange es funktioniert. Damit das gewährleistet ist, müssen sich seine Zustandsgrößen in zulässigen Grenzen bewegen. Der Leitwert Existenz leitet sich aus diesen Überlegungen ab. Das System muss an den Normalzustand der Umwelt angepasst sein und in ihm überleben können. Dazu müssen die Ressourcen, die das System zum Überleben braucht vorhanden sein. Wirksamkeit Systeme brauchen Energie, Materie und Information aus ihrer Umwelt. Diese Ressourcen sind meist mit Kosten verbunden. Dabei muss die Bemühung des Systems seinen Zweck zu erfüllen und ihre Wirkungen in einem ausgewogenen Verhältnis stehen. Der Aufwand darf langfristig also den Erfolg nicht übersteigen. Handlungsfreiheit Die Umweltvielfalt ist für die meisten Systeme größer als die Verhaltensmöglichkeiten des Systems. Trotzdem muss das System dazu in der Lage sein auf die Anforderungen der Umwelt in angemessener Weise zu reagieren.

86

Sicherheit Der Leitwert Sicherheit ist eine Anforderung, die sicherstellen soll, dass sich Systeme vor unvorhersehbaren schädlichen Umweltwirkungen schützen können. Dabei geht es zum einen um weitgehende Unabhängigkeit von instabilen Umweltfaktoren einerseits und Stabilität der Umweltfaktoren, von denen das System abhängig bleibt, andererseits. Wandlungsfähigkeit Der Leitwert Wandlungsfähigkeit fordert, dass das System auf dauerhaften Umweltwandel durch Lernen, Anpassung und Selbstorganisation angemessen reagieren kann. Koexistenz Das System muss auf andere Systeme und das von ihnen erzeugte Verhalten mit angemessenem Verhalten reagieren können. Psychische Bedürfnisse Empfindungsfähige Wesen haben psychische Bedürfnisse, die befriedigt werden müssen (Bossel, 2007).

Jeder der vorgestellten Leitwerte steht für eine Anforderung, die von anderen Leitwerten unabhängig ist. Jedem dieser Leitwerte muss also ein Minimum an Aufmerksamkeit zukommen. Der Ausgleich von Defiziten bei der Leitwerterfüllung ist durch Überfüllung eines anderen Leitwerts nicht zu kompensieren. Leitwerte sind nach Bossel (2007) „die Folge der Anpassung an allgemeine Umwelteigenschaften und deshalb auch von fundamentaler Bedeutung für die Lebens- und Entfaltungsfähigkeit auch von Menschen“ (Bossel, 2007, S. 85). Bei kognitiven Architekturen, wie z.B. der SOAR-Architektur, kann jedes Problem durch das Auffinden erwünschter Zustände im Problemraum formuliert werden. Mit Hilfe von Zielen kann der Agent damit beginnen das Problem zu zerlegen (Laird, Newell & Rosenbloom, 1987). Es bedarf dazu der Erzeugung von Zielen (Zielgeneratoren) und Prozessen, die Ziele miteinander vergleichen, um etwaige psychologische Konflikte aufzulösen (Sloman, 1987). Diese 87

Zielgeneratoren und Vergleichsfunktionen werden durch Motive und Nebenbedingungen (engl.: constraints) gesteuert. Motive und Nebenbedingungen werden oft als Subsystem konzipiert, so z.B. als motivationales, meta-kognitives oder emotionales Subsystem (Helmhout, 2006). Das motivationale Subsystem beinhaltet Bedürfnisse (z.B. Hunger, Durst, Bedarf nach sozialer Interaktion etc.), die direkten Einfluss auf die Zielauswahl haben. Motive haben in dieser Arbeit einen zentralen Stellenwert. Auf sie wird im folgenden Abschnitt (3.2.3.2) näher eingegangen.

3.2.3.2 Motivation Motivation und Motive sind aus der Psychologie stammende Konzepte, die sich auf die Initiierung, Steuerung und Aufrechterhaltung von körperlichen und psychischen Aktivitäten beziehen (Gerrig & Zimbardo, 2008). Wenn jemand beispielsweise durstig ist, dann wird diese Person sich etwas zu trinken holen. Je nachdem wie groß der Durst ist, wird die Person hastig oder langsam trinken. Ist der Durst nicht so groß, dann wird die Befriedigung des Bedürfnisses eventuell noch aufgeschoben, um etwas anderes zuerst zu erledigen. Mit diesen und ähnlichen Aspekten befasst sich die Motivationspsychologie. Sie konzentriert sich primär auf die Zielgerichtetheit von Verhalten. Das beginnt mit der Frage, wie Ziele überhaupt entstehen (Puca & Langens, 2002). Es wird nun näher auf diesen Aspekt eingegangen und beschrieben, wie Motive zielgerichtetes Verhalten auslösen können. Hierzu werfen wir einen Blick auf ein paar basale Prinzipien und deren Zusammenspiel, die im Rahmen der PSI-Theorie von Dietrich Dörner erarbeitet wurden. Dörner (2001) beschreibt eine kognitive Architektur, die kognitive, motivationale und emotionale Faktoren miteinander in Beziehung setzt.

Motivation in der PSI-Theorie Kognitive Architekturen unterscheiden sich in der Verschiedenheit von Motiven, die sie generieren und auf deren Grundlage sie handeln können. Darüber hinaus werden Motive manchmal explizit, manchmal aber auch nur implizit als Kontrollzustände17 repräsentiert. Einige

17

Wünsche, Präferenzen, Überzeugungen, Absichten, Stimmungen usw. fasst Sloman unter

Kontrollzuständen zusammen. Durch die Definition solcher Zustände über eine Architektur will Sloman eine rationale Rekonstruktion vieler alltäglicher mentaler Konzepte liefern. Dabei 88

Architekturen generieren alle Motive in einem einzigen Mechanismus, der Informationen von anderen Komponenten erhält, während andere Architekturen ihre Motive verteilt generieren, d.h. auf reaktiver und kognitiver Ebene. Einige wenden sich explizit dem Entstehungsprozess von Motiven zu, während andere diesen Aspekt vernachlässigen. Dörner wendet sich mit seiner PSI-Theorie explizit dem Entstehungsprozess von Motiven zu. Bevor auf diesen Prozess eingegangen wird, soll zunächst definiert werden, wie das Vokabular aus der Motivationspsychologie im Kontext der PSI-Theorie verwendet wird: In der PSI-Theorie wird aufbauend auf den Vorstellungen von Bischof (1985) zwischen Bedarf, Bedürfnis und Motiv unterschieden. Abstrakt kann man diesen Unterschied wie folgt erklären: Ein Bedarf entsteht, sobald es eine Abweichung von einem (vorher definierten) Soll-Wert gibt. Eine solche Abweichung wird durch entsprechende Sensoren registriert. Wird diese Information an höhere Verarbeitungszentren weitergeleitet, dann entsteht ein Bedürfnis. Wird dieses Bedürfnis dann noch mit einer Vorstellung verknüpft, wie dieses Bedürfnis befriedigt werden kann – also einer Zielvorstellung – dann spricht Dörner von einem Motiv. Detje (1999) bedient sich des Beispiels der Körpertemperatur, um die Unterscheidung von Bedarf, Bedürfnis und Motiv zu veranschaulichen. „Bei einer niedrigen Körpertemperatur mag man sich vorstellen, dass der Bedarf – hier nach mehr Körperwärme – dazu führt, dass die peripheren Körpergefäße kontrahieren, um den Mangel auszugleichen“ (Detje, 1999). Kann der erwünschte Wert durch die körperinterne Regulation nicht wiederhergestellt werden, dann entsteht ein Motiv. Bleibt der Bedarf nämlich bestehen, dann wird diese Information den Motivatoren als Bedürfnis gemeldet. Die Motivatoren speichern diese Informationen, zeigen das Bedürfnis an. Die Meldung an die Motivatoren zeigt an, dass diese Differenzen auf einer anderen Ebene beseitigt werden müssen. Es kommt zur Bildung eines Motivs. Die Bildung eines Motivs bedeutet, dass nun das Handeln auf den Ausgleich des Ungleichgewichts ausgerichtet wird. Auf das Beispiel mit der Körpertemperatur übertragen bedeutet das, dass uns die unzureichende Gegensteuerung zunächst erstmal zum Zittern bringt. Auf diese Weise kann uns das Frieren bewusst werden. Ein möglicher

unterscheiden sich diese Konzepte u. a. darin, dass sie mehr oder weniger leicht zu verändern sind. Viele Kontrollzustände lassen sich nach Sloman nur in kleinen Schritten über die Zeit modifizieren.

89

Wunsch, der daraus resultiert, könnte es sein, eine Decke zu haben oder einen warmen Pullover zu tragen. Diese Zielvorstellung (also z.B. einen Pullover anhaben zu wollen) ist mit entsprechenden Operatoren verknüpft. Die Operatoren könnten in diesem Fall sein, an den Kleiderschrank zu gehen, einen Pullover herauszuholen und anschließend anzuziehen. Motiven muss nicht immer ein physiologisches Bedürfnis voran gehen. Sie können sowohl auch aus kognitiven Bedürfnissen (z.B. Kompetenzerhöhung) als auch aus sozialen Bedürfnissen (z.B. Affiliation) heraus entstehen (Detje, 1999). Im Folgenden werden Bedürfnisse und der Prozess der Bedürfnisentstehung genauer beleuchtet.

Bedarf und Bedürfnis Der Bedürfnisbegriff wird in der Psychologie für zwei unterschiedliche Sachverhalte verwendet; zum einen für eine zeitstabile Disposition und andererseits für den aktuellen Zustand eines Organismus. Allgemein kann man sagen, dass ein Bedürfnis ein Verlangen danach ist, einem Mangel Abhilfe zu verschaffen. Mallman (1973, zitiert nach Kamenetzky, 1992) hat Bedürfnisse als Anforderungen definiert, die immer dann zu finden sind, wenn menschliches Verhalten losgelöst von Kultur, Rasse, Sprache, Farbe, Geschlecht und Alter analysiert wird. Bedürfnisse sind als solche unabhängig von Wertesystemen spezifischer sozialer Strukturen. Darüber hinaus sind Bedürfnisse nicht durch Umwelteinflüsse konditionierbar. „Needs cannot be programmed by society or modified by the will of the conscious mind“ (Kamenetzky, 1992, S. 192). Sie können dahingehend von Wünschen unterschieden werden, die demgegenüber veränderbar sind, sogar willentlich unterdrückt werden können, da sie Produkte der Interaktion zwischen dem Bewusstsein und unterbewussten Verhaltensprogrammen sind (Kamenetzky, 1992). Psychologische Bedürfnisse können grob danach klassifiziert werden, ob sie darauf ausgerichtet sind etwas haben zu wollen, oder ob sie der Vermeidung dienen. Im ersten Fall spricht man von appetitiven, im zweiten Fall von aversiven Bedürfnissen. Der Unterschied zwischen den beiden Bedürfnisklassen besteht in der Art der Zielvorstellung, die die Bedürfnisse befriedigen: Appetitive Bedürfnisse werden dadurch befriedigt, dass bestimmte Situationen aufgesucht oder erzeugt werden. Man kann beispielsweise einen Freund besuchen, um das Bedürfnis nach sozialem Kontakt zu stillen. Aversive Bedürfnisse sind mit dem Ziel verknüpft, bestimmte Situationen zu verlassen oder gar zu vermeiden. Das Bedürfnis nach Schmerzvermeidung wird häufig dazu führen, dass man nicht auf die heiße Herdplatte fasst (Detje, 1999, S. 15). 90

Dörner visualisiert Bedürfnisse anhand von sogenannten Kesselmodellen, um die Entstehung und Befriedigung von Bedürfnissen zu veranschaulichen. Abbildung 3-5 zeigt einen solchen Kessel, wobei die zu regelnde Größe, auf die sich das Bedürfnis bezieht, durch den „Wasserstand“, bzw. den Pegel einer Substanz oder Eigenschaft dargestellt wird.

Sollwert Bedarf

Abbildung 3-5: Bedarf als Abstand zwischen dem Pegelstand (Istwert) und dem Sollwert. Anmerkung: Quelle: Dörner (2003). Modifiziert.

In Abbildung 3-5 ist der Sollwert durch den oberen rechten Pfeil und die gestrichelte Linie im Tank gekennzeichnet. Das System befindet sich im Sollwertbereich, wenn diese Marke erreicht wird. Der Bedarf ist dargestellt durch die Distanz des Pegelstands zum Sollwert. Je größer diese Distanz ist, also je größer die Abweichung des Istwerts vom Sollwert, desto größer ist die Bedarfsstärke. Dörner postuliert in Anlehnung an Maslow fünf Grundbedürfnisse: Hunger, Durst, Affiliation, Bestimmtheit und Kompetenz. Er differenziert zwischen existenziellen und informationellen Bedürfnissen. Existenzielle Bedürfnisse sind materieller Natur und auf die Regulation von Energie ausgerichtet. Hunger und Durst fallen somit in diese Bedürfnisklasse. Die restlichen drei von Dörner aufgeführten Grundbedürfnisse (Affiliation, Bestimmtheit und Kompetenz) sind informationelle Bedürfnisse. Für alle Bedürfnisse – egal ob materiell oder informationell – gilt der gleiche in Abbildung 3-5 gezeigte Mechanismus. Jeder Bedürfnistank kann durch entsprechende Ereignisse aufgefüllt werden. Dieser Tatbestand wird in Abbildung 3-5 entsprechend durch ein Hineintropfen in den Tank dargestellt. Zur gleichen Zeit geht jedoch auch Energie (ggf. psychische Energie) verloren. Soziale

Bedürfnisse

bildet

Dörner

mit

dem

Bedürfnis

nach

Affiliation

ab.

Das

Affiliationsbedürfnis ist ein Bedürfnis nach sogenannten Legitimitätssignalen. Der Begriff des 91

Legitimitätssignals geht auf Boulding (1978, zitiert nach Dörner, 2001) zurück, der damit ein Gefühl der Übereinstimmung mit Normen einer sozialen Gruppe bezeichnet. Legitimitätssignale sind „Signale, die Lebewesen über ihre Akzeptanz innerhalb ihrer Gruppe informieren und damit sogleich auch darüber, dass sie von ihrer Gruppe gegebenenfalls Hilfe erwarten können“ (Dörner, 2003, S. 116). Dabei wird davon ausgegangen, dass sozio-kulturell festgelegte und vermittelte Verhaltensweisen existieren, die von der Gesellschaft als L- und Anti-L-Signale aufgefasst werden18. Ein Mitglied, das sich an bestehende Normen hält wird von den Interaktionspartnern mit der Aussendung von L-Signalen (z.B. einem Anlächeln oder einem Lob) belohnt. Dieses LSignal befriedigt schließlich das Bedürfnis nach Affiliation, der „Affiliationskessel“ füllt sich. Andersherum wird ein Verhalten, das nicht gruppenkonform ist, durch Anti-L-Signale (z.B. Stirnrunzeln oder auch Missachtung) bestraft; der „Affiliationskessel“ leert sich. Das Bestimmtheitsbedürfnis ist ein Bedürfnis nach Voraussagbarkeit der Umwelt und der Effekte des eigenen Handelns. Der „Bestimmtheitskessel“ füllt sich, wenn Prognose und tatsächliches Geschehen zueinander passen. Das System fühlt sich sicher, wenn der Bestimmtheitskessel gefüllt ist. Entleert wird der Kessel durch unerwartete Ereignissen oder von neuen bisher unerfahrenen Objekten. Auch komplexe Sachverhalte, die innerhalb einer begrenzten Zeit unüberschaubar und unklar bleiben sorgen für Unbestimmtheit. Das Kompetenzbedürfnis entspricht einem Bedürfnis nach Neuem (appetetiv) bzw. einem Bedürfnis danach Montonie zu vermeiden (aversiv). Die PSI-Theorie geht davon aus, dass es beim Streben nach Wissen sinnvoll ist, sich an den eigenen Fähigkeiten, d.h. an der eigenen Kompetenz zu orientieren. Denn je fähiger man ist, desto eher kann man sich zutrauen mit neuen Situationen erfolgreich umzugehen, d.h. eventuell auftretende Gefahren zu bewältigen. Das Kompetenzbedürfnis ist somit ein Bedürfnis nach Wirksamkeit. Man möchte auf seine Umgebung gezielt und in vorhersehbarer Weise einwirken können. Damit stellt das Kompetenzbedürfnis einen wichtigen Antrieb für das Lernen dar. Werden z.B. neue Handlungsweisen erlernt, dann wirkt dies befriedigend auf die Kompetenzempfindung. Auch jede Bedürfnisbefriedigung führt zu einer Auffüllung des Kompetenzkessels (Dörner, 2002). Bleibt die Bedürfnisbefriedigung aus

18

Es existieren darüber hinaus aber auch erlernte Legitimitätssignale. Solche Signale können die

Art der Kleidung sein oder eine bestimmte Frisur. Beide Beispiele dienen dazu die eigene Gruppenzugehörigkeit zu untermauern. 92

oder kann Monotonie nicht vermieden werden, dann wirkt sich das negativ aus, der Kompetenztank leert sich. Darüber hinaus wird in der PSI-Theorie davon ausgegangen, dass mit der Kompetenz ein Bedürfnis nach Effizienz verbunden ist, d.h. ein Bedürfnis nach Wirksamkeit der eigenen Handlungen. Dementsprechend wirken so genannte Effizienzsignale ebenfalls befriedigend hinsichtlich dieser Bedürfniskomponente: Ein Effizienzsignal wird dann erzeugt, wenn eine eigene Verhaltensweise eine Veränderung der Situation bewirkt. Kompetenz und Bestimmtheit hängen beide mit dem Wissen über die Welt und deren Prozesse zusammen. Der Zustand dieser beiden Kessel ist so etwas wie ein allgemeiner Lagebericht über das Verhältnis des Systems zu seiner Umwelt (Dörner, 2003). Der entscheidende Unterschied zwischen den beiden Bedürfnissen wird in Situationen klar, in denen man zwar genau weiß, was passiert – die Bestimmtheit also hoch ist – man aber nichts dagegen tun kann. Diese Hilflosigkeit resultiert schließlich in einem niedrigen Kompetenzempfinden.

Motivatoren Für Sloman sind Motivatoren ein zentraler Bestandteil eines jeden intelligenten Systems. Er definiert sie als “mechanisms and representations that tend to produce or modify or select between actions, in the light of beliefs” (Sloman, 1987, S. 4). Die Entstehung von Motivatoren ist nur dann möglich, wenn Ziele existieren, d.h. eine (symbolische) Struktur, die einen Zustand beschreibt, der erreicht, erhalten oder verhindert werden soll. Ziele sind Repräsentationen, die ein Verhalten auslösen, um die Realität an das Weltwissen des Agenten (engl.: beliefs) anzupassen (vgl. Abschnitte 3.2.2 & 3.2.3.1.2). Nach Sloman (1987) werden Motivatoren auf der Basis von externen oder internen Informationen erzeugt. Eine weitere Möglichkeit zur Erzeugung von Motivatoren sind andere Motivatoren. Die Struktur eines Motivators besteht aus mehreren Elementen. Dazu zählen 1) ein Zustand, der wahr oder falsch sein kann, 2) eine motivationale Einstellung diesem Zustand gegenüber, 3) einen Bedeutungswert (engl.: importance value), 4) Dringlichkeit (engl.: urgency), 5) Insistenzwert (engl.: insistence value) und 6) die Intensität, die festlegt, ob ein gerade bearbeiteter Motivator noch immer den Vorzug vor einem andern Motivator erhält. Dörner definiert Motivatoren als Variablen, die die Stärke der Ist-Sollwertabweichung für eine bestimmte Variable anzeigen. Systemtheoretisch formuliert sind Motivatoren einfache „an-aus“-

93

Elemente. Dabei wird der Motivator, dann eingeschaltet, wenn ein Ungleichgewicht über eine bestimmte Zeit vorhanden ist. Ein eingeschalteter Motivator zeigt ein Bedürfnis an. (Dörner, 1996, S. 333). In leicht abgewandelter Form verwendet Dörner in seiner PSI-Theorie die von Sloman vorgeschlagenen Elemente für die Realisierung der Motivatoren. Die Stärke des Motivators wird bei Sloman (1987) durch die Insistenz, die Wichtigkeit, die Intensität und die Dringlichkeit bestimmt. Die Insistenz legt dabei fest, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Motivator einen bestimmten Schwellenwert überwinden kann. Kann dieser Schwellenwert überschritten werden, so wird der Motivator aktiv. Dieser Schwellenwert wird durch die verbleibenden drei Variablen beeinflusst: Die Wichtigkeit bestimmt die Wahrscheinlichkeit mit der ein Motivator akzeptiert und verfolgt wird; die Intensität zeigt an, wie aktiv und intensiv ein akzeptierter Motivator verfolgt wird. Die Dringlichkeit legt fest, bis zu welchem Zeitpunkt der Motivator befriedigt sein muss.

Motivbildung Das beschriebene Bedürfnissystem der PSI-Theorie ist mit einer Menge von Zielen verknüpft, die entweder erlernt oder angeboren sind. Ziele wiederum können mit Verhaltensweisen verbunden sein, die zur Bedürfnisbefriedigung führen. „Aufgrund des jeweiligen Bedürfnisses, der mit dem Bedürfnis verbundenen Ziele und Verhaltensweisen ergeben sich Motive. Ein Motiv ist, grob gesagt, ein Bedürfnis + die Assoziation von Zielen + gegebenenfalls die Assoziation der zugehörigen (zielführenden) Verhaltensweisen“ (Dörner, 2003, S. 334). Bisher wurde beschrieben, was Bedürfnisse sind und wie sie an der Motivbildung beteiligt sind. Es wurden Motive als grundlegende Motoren vorgestellt, die es einem System ermöglichen zielgerichtetes Verhalten in Gang zu setzen. Wurde soeben die grundlegende Mechanik der elementaren Einheiten vorgestellt, soll nun das Zusammenspiel der Prozesse beleuchtet werden, die der Motivbildung zugrunde liegenden: Bei einem System mit mehreren „Kesseln“, die im Sollwertbereich gehalten werden sollen, sind psychische Konflikte denkbar, die darauf beruhen, dass zuerst geklärt werden muss, welches Bedürfnis vorrangig befriedigt werden soll. Es muss also einen Mechanismus geben, der bestimmt, welches Bedürfnis als erstes behandelt werden soll. Eine solche Regelung wird in der PSI-Theorie durch das Wert-Erwartung-Prinzip (oder nach dem Vokabular von Dörner: Erwartung-mal-Wert-Prinzip) realisiert.

94

Motivationstendenzen werden bei dem Wert-Erwartung-Prinzip durch ein rationales Kalkül von Erwartung und Wert bestimmt, wobei die Erwartung als Wahrscheinlichkeit der Zielerreichung definiert wird und die Wertvariable die Attraktivität von angestrebten Zielen repräsentiert19. Die Motivation für ein bestimmtes Ziel ist in klassischen Motivationstheorien dann am höchsten, wenn das Produkt aus Erwartung und Wert maximal ist. Dadurch wird gewissermaßen ein Kompromiss zwischen Attraktivität und Erreichungswahrscheinlichkeit von Zielen realisiert. Ein attraktives Ziel bleibt also ggf. unbeachtet, wenn die Erfolgswahrscheinlichkeit zur Erreichung des Ziels gering ist (Dörner, 2001; Puca & Langens, 2002). Nach Puca und Langens (2002) ist die prominenteste Motivationstheorie, die auf dem WertErwartung-Prinzip basiert, das Risikowahrnehmungsmodell von Atkinson (1957)20. In seinem klar formalisierten Modell nahm Atkinson an, dass das Verhalten sowohl durch Personen- als auch durch Situationsfaktoren bestimmt ist. Aus diesem Grund teilte er die Wertvariable in einen Personenparameter (Motiv) und einen Situationsparameter (Anreiz) auf. Diese beiden Parameter sind in seinem Modell multiplikativ miteinander verknüpft. Angelehnt an Lewin ging auch Atkinson davon aus, dass das Verhalten zu positiven Gegebenheiten hin und von negativen Gegebenheiten weg strebt. Das bedeutet auf die Leistungsmotivation bezogen, dass auch die Verhaltensstärke von diesen beiden Polen beeinflusst wird. Die Verhaltensstärke folgt sowohl einer erfolgsaufsuchenden als auch einer misserfolgsmeidenden Tendenz wobei sich die stärkere Tendenz im Verhalten durchsetzt (Puca & Langens, 2002). Dörner bedient sich der Logik von Atkinsons Modell für seine PSI-Theorie und beschreibt einen Mechanismus, der das Wert-Erwartung-Prinzip implementiert. In der PSI-Theorie wird jedes Bedürfnis nach Bedürfnisstärke und der aktuellen Abschätzung der Erfolgswahrscheinlichkeit der zielgerichteten Handlung mit den anderen Bedürfnissen verglichen. Das Produkt aus Bedürfnisstärke und Erfolgserwartung wird von Dörner als Motivstärke bezeichnet. Damit ergibt

19

Lewin würde die Attraktivität von angestrebten Zielen als Valenz bezeichnen (Puca & Langens,

2002). 20

Atkinsons Modell war ursprünglich zur Vorhersage der Auswahl zwischen unterschiedlich

schweren Aufgaben angelegt und wurde später zu den Leistungsmotivationstheorien gezählt (Puca & Langens, 2002). 95

sich: Motivstärke = Bedürfnis × aktuelle _ Kompetenz . Nach dem Wert-Erwartung-Prinzip wird jenes Motiv handlungsleitend, welches augenblicklich die maximale Motivstärke hat.

3.2.3.3 Wahrnehmung Die Wahrnehmungsfähigkeit ist für den Agenten notwendig, damit er Signale der Umwelt empfangen kann. Das ist besonders dann wichtig, wenn der Agent von der Umwelt abhängig ist und die Umwelt sich ständig verändert. Ferber (1999) unterscheidet zwei Arten der Wahrnehmung: passive und aktive Wahrnehmung. Durch passive Wahrnehmung werden Eingangssignale registriert und entsprechend klassifiziert. Die aktive Wahrnehmung ist ein komplexer

Mechanismus,

der

sensorische

Daten

miteinander

kombiniert

und

mit

erwartungsbezogenen Daten, Zielen und Erfahrungen abgleicht, die der Agent in seinem Gedächtnis gespeichert hat. Aktive Wahrnehmung kann auch spezifische Anweisungen, bezogen auf Klassifizierungen geben, um Veränderungen der Umgebung zu verfolgen. In komplexen Umwelten sollten Agenten dazu in der Lage sein unwichtige Informationen herauszufiltern, so dass sie sich lediglich auf die für sie relevanten Informationen konzentrieren können. Eine Filterung ist auch dann wichtig, wenn der Agent z.B. unter Zeitdruck steht oder der psychische Druck eine elaborierte Wahrnehmung nicht zulässt. Ein aufgeregter Agent wird sich die Dinge beispielsweise nicht so genau anschauen, wie einer, der im Moment ruhig und gelassen ist. Dörner trägt dieser Beobachtung in seiner PSI-Theorie Rechnung, indem er zwei, für dieses Phänomen relevante Variablen, einführt: 1) die Aktiviertheit (engl.: arousal) und 2) den Auflösungsgrad (engl.: level of resolution). Der Auflösungsgrad bestimmt, wie genau sowohl Wahrnehmungs- als auch Planungsprozesse ausgeführt werden. Ein hoher Auflösungsgrad bedeutet, dass sehr genau und detailliert wahrgenommen wird, während ein niedriger Auflösungsgrad mit ungenauer Wahrnehmung einhergeht. Der Auflösungsgrad ist umso höher, desto geringer die Aktiviertheit ist. Umgekehrt ist er umso niedriger, desto höher die Aktiviertheit ist. Die Aktiviertheit wird durch die Stärke der Erregung des Agenten bestimmt. Die Erregung eines Agenten ist in der PSI-Theorie von der Bedarfsstärke abhängig. Die Erregung eines Agenten ist also umso höher, desto mehr die Grundbedürfnisse in der Summe von ihrem Sollwert abweichen. 96

Die beiden Variablen Auflösungsgrad und Aktiviertheit werden auch als Modulatoren bezeichnet. Die beiden Modulatoren Aktiviertheit und Auflösungsgrad und auch die funktionalen Zusammenhänge, die Dörner zwischen diesen beiden Modulatoren aufzeigt, fließen als Kernelemente in die SCAR-Architektur mit ein (vgl. Kapitel 4).

3.2.3.4 Handlungen Durch Handlungen ist der Agent dazu in der Lage Zustände zu verändern. Solche Zustände können sich entweder im Agenten selbst befinden, oder aber in der Umwelt. Die Anzahl möglicher Handlungen wird durch verschiedene Faktoren beschränkt: Einerseits durch die beschränkte Anzahl der dem Agenten bekannten Handlungen oder durch kognitive Beschränkungen. Andererseits ist es möglich, dass auch die Umwelt das Handlungsspektrum des Agenten beschränkt. Es kann sich dabei auch um physikalische Beschränkungen handeln. So kann beispielsweise ein Fischer-Agent keine Fische mehr fangen, wenn alle Fische ausgestorben sind. Die Umwelt versorgt den Agenten mit Kontext, in denen Handlungen bedeutsam sind und entweder ausgeführt werden können oder nicht. Der Handlungsbegriff ist deshalb ein relativer Begriff, der auch als situierte Handlung oder situierte Kognition bekannt ist.

3.2.4

Die Modellierung der Umwelt

Bisher wurden Agenten weitestgehend losgelöst von ihrer Systemumwelt betrachtet, in die sie eingebettet sind. Die Umwelt umfasst die modellierten externen Gegebenheiten, in die Agenten integriert sind. Agenten existieren also nicht isoliert, sondern sind vielmehr durch die Situiertheit in einer Umwelt gekennzeichnet. Es ist aber gerade diese Situiertheit, die Bedingungen für ihre Existenz und ihr Wirken festlegt. „Ein System kann in seiner Umwelt nur existieren und gedeihen, wenn es dieser Umwelt angepasst ist“ (Bossel, 2007, S. 80). Die Systemumwelt ist somit ein entscheidender Einflussfaktor, der bestimmt, wie Agenten sich verhalten und handeln. Darüber hinaus bestimmt sie maßgeblich die Anforderungen an das Design der Agenten. Die

Gestaltung

der

Umweltkomponente

hängt

in

starkem

Maße

vom

gewählten

Anwendungsgebiet ab. Es ist deshalb schwer allgemeingültige Strukturen für ein Umweltmodell zu definieren. Bossel formuliert verschiedene Umwelteigenschaften, die er als allgemeingültig für beliebige Systeme ansieht. Auf diese Komponenten wird im folgenden Abschnitt (Abschnitt 97

3.2.4.1) eingegangen. Im Zusammenhang von Agentensystemen haben

Russell und Norvig

(2002) und Wooldridge (1999) eine Reihe von Umwelteigenschaften identifiziert, die in Abschnitt 3.2.4.2 beleuchtet werden. Während Bossel die Umwelteigenschaften aus einer generellen Systemperspektive ableitet, werden die von Wooldridge, Russell und Norvig gefundenen Umwelteigenschaften aus der Sicht und Fähigkeit der sich im System befindlichen Agenten beschrieben.

3.2.4.1 Eigenschaften von Systemumwelten nach Bossel Bossel formuliert sechs fundamentale Umwelteigenschaften, die für beliebige Systeme Gültigkeit haben sollen. Diese sind: 1) Normalzustand der Umwelt, 2) knappe Ressourcen, 3) Umweltvielfalt, 4) Umweltunsicherheit, 5) Umweltwandel und 6) andere Systeme (Bossel, 2004, 2007).

Normalzustand der Umwelt Der Umweltzustand schwankt in Grenzen um einen Normalzustand, auf den das System eingestellt werden muss. Eine beispielhafte Umwelteigenschaft ist die Umgebungstemperatur. Gleichwarme Lebewesen sind, unter normalen Umweltbedingungen, dazu in der Lage ihre Körpertemperatur auf einen bestimmten Sollwert zu regulieren. Weichen die Außentemperaturen jedoch vom Normalzustand ab, dann kann dies dazu führen, dass gleichwarme Lebewesen Schäden durch Überhitzung oder Erfrierungen erleiden müssen.

Ressourcenknappheit Die für Funktion und Entwicklung eines Systems notwendigen Ressourcen (z.B. Energie, Materie, Information) sind nur begrenzt, verstreut und ungleich verteilt verfügbar. In einem Multiagentensystem kann diese knappe Ressource auch der Raum sein, der nicht gleichzeitig von zwei Agenten eingenommen werden kann. Wooldridge (2002) bedient sich in einem ähnlichen Kontext des folgenden Beispiels: Wollen zwei Agenten z.B. durch eine Tür gehen, dann können sie das nur hintereinander. Bei der knappen Ressource kann es sich aber auch um ein Umweltgut handeln, so etwa ein begrenzt vorhandener Fischbestand.

98

Umweltvielfalt Die Umwelt bietet meist eine große, in Zeit und Raum stark veränderliche Vielfalt von Bedingungen, Gestalten, Mustern, Systemen. Aus der Sicht eines einzelnen Agenten gehören auch andere Agenten zur Systemumwelt. In einem Multiagentensystem können die miteinander interagierenden

Agenten

sehr

unterschiedlich

sein

was

ihre

Wahrnehmungs-

und

Verarbeitungsfähigkeiten betrifft. Zudem können auch Persönlichkeitsunterschiede zwischen den Agenten existieren. Umweltunsicherheit Der Umweltzustand zeigt z. T. starke, meist zufällige Schwankungen um seinen Normalzustand. Für

die

unbelebte

Umwelt

von

Menschen

gilt,

dass

es

beispielsweise

starke

Temperaturschwankungen geben kann. Bezogen auf andere kann es vorkommen, dass bisherige Kooperationspartner wegbrechen, z.B. dadurch, dass Verträge aufgelöst werden, ein Mensch, dessen Hilfe benötigt wird, plötzlich krank wird etc. Umweltwandel Im Laufe der Zeit kann der normale Umweltzustand sich allmählich oder plötzlich in einen dauerhaft anderen normalen Zustand verändern. Der Klimawandel ist ein Beispiel für eine solch dauerhafte Veränderung. Auf eine individuelle, menschliche Ebene übertragen könnte es passieren, dass ein Mitarbeiter durch einen Unfall z.B. einen Arm verliert. Für die anderen, die mit dieser Person zu tun haben, bedeutet auch dies eine Veränderung der Umwelt. Andere Systeme Im Allgemeinen findet ein System in einer Umwelt noch andere Systeme vor, die seine Umweltbedingungen verändern können. Aus der Perspektive eines einzelnen Agenten sind das z.B. die anderen Agenten mit denen dieser eine Umwelt teilt.

3.2.4.2 Umwelteigenschaften nach Russell und Norvig und Wooldridge Die von Russell und Norvig (2002) und Wooldridge (1999) gefundenen Umwelteigenschaften sind: 1) Sichtbarkeit, 2) Vorhersagbarkeit 3) Abhängigkeit von der Historie 4) Kontrollierbarkeit 5) Stetigkeit und 6) Agentenanzahl.

99

Sichtbarkeit: Zugänglichkeit versus Unzugänglichkeit In einer zugänglichen Umgebung können Agenten vollständige Informationen über den Zustand der Umwelt erhalten; sie können den Zustand der Umwelt also in ihrer Gesamtheit erfassen. In diesem Fall benötigt der Agent keine interne Repräsentation der Umwelt, da für ihn alle notwendigen Informationen stets verfügbar sind. Bereits mittelmäßig komplexe Umwelten, wie z.B. das Internet, sind aber lediglich nur noch teilweise zugänglich. Je weniger zugänglich die Umwelt ist, desto komplexer sind die Anforderungen an das Agentendesign, da eine geringere Quantität (und damit meist auch einhergehend eine niedrigere Qualität) von Informationen die Entscheidungsfindung erschwert. Es besteht damit tendenziell eine negative Korrelation zwischen Zugänglichkeit und Agenten-Komplexität. Vorhersagbarkeit: deterministisch versus nicht-deterministisch Ist nach dem Vollzug einer Handlung der Zustand einer Umgebung sicher vorhersagbar, so wird von einer deterministischen Umgebung gesprochen. Aus der Sicht des Agenten liegt eine deterministische Umwelt vor, wenn der Folgezustand eindeutig durch den aktuellen Zustand der Welt und die auszuführende Aktion festgelegt ist. Sind die Handlungsergebnisse hingegen unsicher, dann spricht man von einer nichtdeterministischen Umwelt. Unsicherheiten in Bezug auf die Umgebungsänderungen erhöhen die Ansprüche an das Agentendesign. Abhängigkeit von der Historie: episodisch versus nicht-episodisch In einer episodischen Umwelt sind die in ihr stattfindenden Geschehnisse in atomare Episoden (d.h. jeweilige Wahrnehmung-Handlung-Paare) unterteilt. Kennzeichnend ist, dass das Verhalten des Agenten lediglich von der aktuellen Episode abhängt. Somit ist das aktuelle Verhalten völlig unabhängig von vergangenen oder zukünftigen Episoden. Ein Agent, der an einem Fließband steht, um fehlerhafte Teile auszusortieren, ist in eine episodische Umgebung eingebettet. Ein Agent, der hingegen Schach spielt, befindet sich in einer nicht-episodischen Umwelt. Episodische Umwelten sind leicht zu handhaben, weil jede Aufgabe angegangen werden kann, ohne Überlegungen zu etwaigen Abhängigkeiten von vorherigen Aufgaben anzustellen. In einer nachhaltigen Umwelt kann eine Entscheidung dagegen alle nachfolgenden Entscheidungen beeinflussen, d.h. die Umwelt hat ein Gedächtnis bezüglich vorangegangener Aktionen.

100

Kontrollierbarkeit: statisch versus dynamisch Eine Umwelt wird als dynamisch bezeichnet, wenn sie sich ändern kann, solange sich der Agent noch im Handlungsauswahlprozess befindet. Der Handlungsauswahlprozess bezieht sich dann auf einen bestimmten Umweltzustand, der durch diese Umweltänderung nicht mehr länger gültig ist. Es ist in dynamischen Umgebungen also möglich, dass ein Agent seine Ziele verfehlt, weil sich die Umgebung nach der Wahrnehmung, aber vor der auszuführenden Handlung verändert hat. Kann die Umwelt sich in der Zwischenzeit nicht ändern, dann spricht man von einer statischen Umwelt. Zwischen Dynamik der Umwelt und Agentenkomplexität besteht eine positive Korrelation. Stetigkeit: diskret versus kontinuierlich Diskrete Umgebungen enthalten eine feste und endliche Anzahl von möglichen Wahrnehmungen und Handlungen. Das Schachspiel ist ein Beispiel für eine diskrete Umgebung, während das Taxifahren hingegen in einer kontinuierlichen Umgebung stattfindet. Letztere stellt eine höhere Anforderung an das Agentendesign, weil zum einen die agententypische digitale Verarbeitung von Informationen Näherungen der Wahrnehmungsgrößen zur Folge hat, auf denen das Agentenverhalten basiert, zum anderen eine unendliche Anzahl von möglichen Handlungen die systematische Suche nach der optimalen Handlung in der Regel aussichtslos macht. Aus diesen Eigenschaften lassen sich verschiedenste Ausprägungen der Umgebung eines Agenten herleiten, die wie jeweils beschrieben die Anforderungen an das Design des Agenten mitbestimmen. Agentenanzahl: einzelner Agent versus mehrere Agenten Eine Umwelt kann entweder nur von einem oder aber auch von mehreren Agenten besetzt sein. Existieren mehrere Agenten in ein und derselben Umwelt, dann können sie ihre Handlungen gegenseitig beeinflussen. Es kann sogar dazu kommen, dass den eigenen Handlungen durch die Handlungen des Gegenübers entgegenwirkt wird. Im Multi-Agenten-Fall wird deshalb zwischen kooperativen und kompetitiven Szenarien unterschieden. Im nächsten Abschnitt wird näher auf Agentengemeinschaften eingegangen.

3.3

Soziale Agenten

In diesem Abschnitt werden wir uns auf die soziale Ebene von Agenten konzentrieren und aufzeigen, wie soziale Agenten in ihre Umwelt eingebettet sind. Es geht hierbei um jene Aspekte, 101

die es Agenten ermöglichen sozial handeln zu können. Agenten leben nicht nur in ihrer eigenen Welt bestehend aus internen Repräsentationen, sondern bilden Relationen mit der äußeren Welt mit physischen, sozialen und kulturellen Objekten, Agenten und Gruppen von Agenten. In Abgrenzung zur klassischen Künstlichen Intelligenzforschung (KI), die sich ursprünglich mit den Einzelkomponenten der Intelligenz wie z.B. Lernen und Planen aus Optimierungsgesichtspunkten auseinandersetzte, arbeiten agentenorientierte Ansätze oft auf die Integration dieser Komponenten hin. Lag ein wichtiger Schwerpunkt der klassischen KI im Problemlösen und Lernen, betont die Agentensicht eher soziale Faktoren, wie Kommunikation, Kooperation und Verhandlung. Auch die Perspektive der KI veränderte sich, zumindest teilweise, in eine „soziale“ Richtung. Rammert (1998) merkt dazu an: Schließlich ist die ‚Künstliche Intelligenz’ sozial geworden […] ‚Künstliche Intelligenz’ wird nicht mehr nach dem Bilde des menschlichen Geistes oder eines individuellen Experten geformt. Die soziale Verteiltheit des Wissens auf teilintelligente und teilautonome Agenten, die Kommunikation zwischen ihnen und deren Organisation ist der Ausgangspunkt der ‚Verteilten Künstlichen Intelligenz’ (Rammert, 1998). Entscheidend für diese Entwicklung war das von Carl Hewitt in den 1970er Jahren veröffentlichte „Actor-Modell“ (Hewitt, 1977; Hewitt & Baker, 1977). Hewitt beschrieb in diesem Modell nebenläufige

Kontrollstrukturen,

in

denen

er

Prozesse

nicht

mehr

als

bloße

Entscheidungssequenzen auffasste. Stattdessen postulierte er eine nebenläufige und autonom agierende Entität, die er Akteur (engl.: actor) taufte. Sein Modell besteht aus mehren Akteuren, die Probleme durch gemeinsame Kommunikation lösen. „Mit diesen frühen Arbeiten […] begann in der Verteilten Künstlichen Intelligenz das, was Nwana [(1996, S. 206ff.)] als die erste Entwicklungsrichtung in der Agenten-Forschung bezeichnet“ (Kühne, 2004, S. 5). Der Fokus wurde dabei auf kognitive Agenten gelegt, die über ein Weltmodell verfügten und eine Agentengesellschaft bilden (Kühne, 2004). Gegenwärtig können Multiagentensysteme – basierend auf Hewitts Grundideen – dazu erzeugt werden, um Gesellschaftsformen zu modellieren und zu verstehen. Die Systeme finden ihre Grenzen jedoch schnell in der Komplexität menschlicher Interaktion und Verhaltensweisen. Konzepte und Analogien aus der Psychologie und der Sozialwissenschaft eignen sich aber als Ideengeber für die Erzeugung von Multiagentensystemen in diesem Forschungsbereich. Umgekehrt können Multiagentensysteme aber auch als Werkzeug zur Sozialforschung dienen.

102

Für die Entwicklung eines Agentenmodells zur Erhellung von sozialen Konflikten erscheint es sinnvoll, die individuelle Perspektive von Einzelagenten mit der sozialen Perspektive zu vereinen. In Abschnitt 3.2 lag das Augenmerk auf Einzelagenten und Autonomie wurde als wichtige Voraussetzung für intelligente Agenten identifiziert. Je nach Umwelteigenschaften kann es jedoch trotz hoher Selbstbestimmung passieren, dass Zielbasierte Agenten ihre Ziele nur durch Interaktion mit anderen Agenten erreichen, die ihrerseits über eine ähnliche Autonomie verfügen. In diesem Kontext wird Interaktion oft als generischer Terminus für Aktionen wie Kooperation, Koordination und Verhandlung21 verwendet. Bei allen diesen Interaktionsformen versuchen Agenten Einfluss auf den Entscheidungsprozess von anderen auszuüben. Es ist die Existenz solcher Beeinflussungsprozesse, die den Kern der Vergesellschaftung in einem agentenbasierten Systems ausmachen (Feld & Hug, 2005; Geller, 2006; Helmhout, 2006). Zur Aufklärung der Interaktionsmechanismen stellen sich folgende Fragen: 1) Wie wird der mentale Zustand eines Agenten durch das Multiagentensystem beeinflusst, in das der Agent eingebettet ist? 2) Was ist die Beziehung zwischen den mentalen Zuständen der miteinander interagierenden Agenten? 3) Was sind die Mechanismen, die diese Beziehungen erzeugen und beeinflussen? Im Folgenden (Abschnitt 3.3.1) wird näher darauf eingegangen, was unter Kooperation und Koordination im Zusammenhang mit MAS zu verstehen ist. Abschnitt 3.3.1.1 beschreibt eine Auswahl gängiger Koordinationsverfahren. Für die vorliegende Arbeit sind im Zusammenhang mit Koordinationsmechanismen Überlegungen zum sozialen Konstruktivismus und sozialen Konstrukten besonders interessant. In Abschnitt 3.3.1.2 wird deshalb genauer auf die sozialkonstruktivistische

Perspektiven

eingegangen. Abschnitt

3.3.2

wendet

sich

der

Kommunikation in MAS zu.

3.3.1

Kooperation und Koordination

In erster Annäherung kann Kooperation als das Zusammenwirken von Handlungen zweier oder mehrerer Akteure (bzw. Agenten) aufgefasst werden. Meyers (1994) ist in seinen Ausführungen

21

Verhandlung ist das Erzielen einer gegenseitig akzeptierbaren Übereinkunft bezüglich eines

Sachverhalts. 103

spezifischer. Er definiert Kooperation als „ein Grundmuster menschlichen Verhaltens […], das die Zusammenarbeit mehrerer Individuen bei der Lösung einer Aufgabe oder bei der Befriedigung eines gesellschaftlichen Bedürfnisses thematisiert“ (Meyers, 1994, S. 48). Oftmals wird das Wesen von Kooperation auch in Abgrenzung bzw. Gegenüberstellung von Konkurrenz oder Konflikt erklärt (Wimmer & Neuberger, 1981, S. 192). Diese Sichtweise liegt den in dieser Arbeit formulierten Fragestellungen nahe. Im Kontext von Multiagentensystemen ist die Kooperation zwischen Agenten ein wichtiger Mechanismus, damit die beteiligten Agenten dazu in der Lage sind gemeinsam komplexe Aufgaben lösen zu können. Da es sich bei klassischen Multiagenten-Ansätzen aber um technisch orientierte Fragestellungen handelt, geht es dabei vordergründig um Optimierungsprobleme. Das von klassischen Multiagentensystemen zu lösende Grundproblem besteht im Kern darin, dass Agentengesellschaften diese Optimierung unter Unsicherheit durchführen. Die Unsicherheit wird dadurch erzeugt, dass die betrachteten Agenten in der Regel in dynamische Umwelten eingebettet sind und lediglich über vages und unvollständiges Wissen verfügen. Zudem werden u. a. Agentengesellschaften betrachtet, die nicht notwendigerweise gutmütig (engl.: benevolent) sind. Das bedeutet, dass jeder der beteiligten Agenten u. U. egoistische Ziele hat, die er realisiert wissen will. Zur gleichen Zeit aber existiert auch eine zu lösende Aufgabe oder ein globales Ziel, das es zu erreichen gilt. Bei klassischen Arbeiten zu Multiagentensystemen steht die Frage im Zentrum, wie Verfahren zu entwickeln sind, die es Agenten eines Multiagentensystems erlauben – trotz dieser Unsicherheiten – stabile Kooperationen mit anderen Agenten aufzubauen, um komplexe Aufgaben in der Gemeinschaft zu lösen22. Die sozialwissenschaftliche Forschung sollte im Gegensatz zu technisch orientierten Multiagenten-Ansätzen auch daran interessiert sein herauszufinden, welche Mechanismen am Werk sind, die Kooperation verhindern. Es soll hier eine klare Grenze zu technisch orientierten Ansätzen gezogen werden. Es geht in dieser Dissertation nicht darum, Optimierungsprobleme zu lösen. Es interessieren vielmehr die Aspekte der Kooperation, die es uns erlauben soziale Phänomene besser verstehen zu können. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Frage nach den Mechanismen, die es Individuen einer

22

Auch die unterschiedliche Spezialisierung der Agenten (Planen, Informationssuche,

Verhandeln, Manager, usw.) unterstreicht in klassischen MAS den Sinn der Zusammenarbeit unterschiedlichster Agenten zur effizienten Lösung einer komplexen Aufgabe. 104

Gesellschaft erlauben zu kooperieren. Der Politikwissenschaftler Robert Axelrod untersuchte unter welchen Umständen sich kooperative Systeme unter Egoisten – ohne höhere Zwänge, wie z.B. durch eine explizite Gesetzgebung – herausbilden können (vgl. Kapitel 2 Abschnitt 2.3.4.1). Was bei seinen Analysen jedoch keine Berücksichtigung findet, ist der Prozess, der Kooperation ermöglicht. Ein eng mit der Kooperation verknüpfter Begriff ist die Koordination. Malone und Crowston (1993) fassen Koordination als Prozess auf, der darauf abzielt Abhängigkeiten zwischen Aktivitäten zu managen. Schoder et al. (1997) verstehen unter Koordination zielkonforme Abstimmung voneinander abhängiger Teilaufgaben durch Kooperationsprozesse zwischen beteiligten Aufgabenträgern. „Während […] der Begriff der Koordination […] von den Akteuren und den unmittelbaren gültigen Restriktionen abstrahiert, bezeichnet der Begriff der Kooperation eine konkrete Interaktionssituation“ (Schoder et al., 1997, S. 278). Koordination kann somit aufgefasst werden als gesamtzielkonforme Abstimmung interdependenter Handlungen durch Kooperationsprozesse zwischen den beteiligten Aufgabenträgern23. Manchmal wird in der VKI zwischen lokalen und globalen Koordinationsproblematiken unterschieden: Bei der lokalen Perspektive geht es um das Management der Aktivitäten innerhalb eines Agenten. Ein lokales Koordinationsproblem ist beispielsweise, wenn Reihenfolge und Zeit der Ausführung von Aktionen den Agenten und seine Umwelt unterschiedlich beeinflussen. In diesem Sinne geschieht die Koordination vor der Ausführung von Handlungen. Die globale Koordinierung zielt demgegenüber auf kohärentes und effizientes Systemverhalten ab. Im folgenden Abschnitt werden gängige Koordinationsverfahren skizziert. In Abschnitt 3.3.1.2 werden soziale Konstrukte u. a. als Prozess betrachtet, der die Kooperation und die Koordination zwischen Agenten unterstützt.

23

In manchen Fällen werden bei MAS die Kollaboration, d.h. die Zusammenarbeit mehrerer

Akteure, die Koordination als Vereinigung verschiedener Tätigkeiten unter einem höheren Gesichtspunkt und schließlich die Gruppenentscheidung als unterschiedliche Kooperationsformen aufgefasst. 105

3.3.1.1 Kurzüberblick gängiger Koordinationsverfahren Wooldridge (2002) beschreibt vier unterschiedliche Koordinationsverfahren: 1) Koordination durch partielles globales Planen, 2) Koordination durch gegenseitige Modellierung , 3) Koordination durch gemeinsame Intention und 4) Koordination durch Normen und soziale Gesetze. Diese Koordinationsverfahren sollen nachfolgend kurz skizziert werden.

Koordination durch partielles globales Planen & Koordination durch gegenseitige Modellierung Das Grundprinzip der Koordination durch partielles globales Planen besteht darin, dass miteinander kooperierende Agenten Informationen miteinander austauschen, um zu gemeinsamen Schlüssen zu gelangen. Die Planung ist partiell, da das System keinen Plan für das Gesamtproblem generieren kann. Sie ist global, weil Agenten globale Pläne erzeugen, indem sie lokale Pläne miteinander austauschen. Koordination durch teilweises globales Planen beinhaltet drei Schritte: 1) Jeder Agent generiert Kurzzeitpläne, um seine eigenen Ziele erreichen zu können. 2) Agenten tauschen Informationen aus, um zu bestimmen, wo Pläne und eigene Ziele übereinstimmen. 3) Agenten verändern lokale Pläne gemäß allgemeiner Pläne. Bei der Koordinationsvariante Koordination durch gegenseitige Modellierung baut jeder der beteiligten Agenten ein Modell des anderen Agenten auf. Dieses Modell umfasst z.B. ihr Weltwissen (engl.: beliefs) und ihre Intentionen. Basierend auf den Vorhersagen, die dieses Modell liefert, passt jeder Agent seine Aktivitäten entsprechend an.

Koordination durch gemeinsame Intention Wenn mehrere Akteure miteinander interagieren, ist es hilfreich, wenn den Beteiligten die gegenseitigen Absichten bekannt sind. Offen formulierte Absichten unterstützen die Stabilität und Vorhersagbarkeit auch in dynamischen Umwelten. Eine gewisse Vorhersagbarkeit ist für soziale Interaktionen unabdingbar. Wenn mein Gegenüber mir beispielsweise erzählt, dass er vorhat seine Dissertation in den nächsten drei Monaten zu beenden, dann hilft es mir dabei meine eigenen 106

Handlungen zu koordinieren. So weiß ich z.B., dass er wahrscheinlich nicht mit mir in den Urlaub fahren wird (Wooldridge, 2002). Es existieren aber neben individuellen Absichten manchmal auch Absichten, die geteilt werden. Solche Absichten werden zum Ausdruck gebracht, indem wir davon sprechen, dass wir als Gruppe etwas beabsichtigen, dass wir etwas tun werden oder wir gerade im Begriff sind etwas zu tun. Es reicht für eine geteilte Absicht nicht aus, dass jeder Einzelne für sich das Gleiche beabsichtigt. Eine gleiche aber individuelle Absicht (die nicht geteilt wird) würde noch nicht einmal sicher stellen, dass jeder die Absicht des Gegenübers kennt oder dass sich jeder in angemessener Weise auf ein gemeinsames Handeln festgelegt hat (Bratman, 2007). Darüber hinaus ist es wichtig, koordiniertes Verhalten, das nicht kooperativ ist, von koordinierten kooperativen Handlungen zu differenzieren. Ein Beispiel: Rennt eine Gruppe von Leuten, die vorher gemeinsam auf einer Parkbank gesessen hat, unter einen Baum, weil es plötzlich anfängt zu regnen, dann ist dies koordiniertes Verhalten. Es ist aber keineswegs kooperatives Verhalten, da jede Person für sich intendiert nicht nass werden zu wollen. Es wird also etwas intendiert und zwar ohne dass die eigenen Intentionen dabei von anderen beeinflusst werden. Im Gegensatz dazu stelle man sich eine Situation vor, in der die Akteure Tänzer sind. In diesem Beispiel werden diese Tänzer von ihrem Choreographen dazu aufgerufen, sich unter einem gemeinsamen Punkt (einem Baum) zu versammeln. Auch in diesem Fall führen Individuen die gleichen Aktionen aus (wie zuvor) und jeder verfolgt das Ziel sich an einem zentralen Punkt zu treffen. Es handelt sich hierbei aber um eine kooperative Handlung, da die Akteure das gemeinsame, globale Ziel verfolgen einen Tanz ausführen zu wollen (Wooldridge, 2002). Es stellt sich nun die Frage, wie es zu gemeinsamen Absichten kommt. Im oben genannten Beispiel, das Wooldridge von Searle (1990) übernommen hat, ist es der Choreograph, der die Koordination übernimmt. Bratman (2007) bezweifelt, dass sich eine geteilte Absicht im Geiste eines Superakteurs als Fusion mehrerer Akteure ergibt. Er nimmt an, dass eine geteilte Absicht ein Zustand sei, „der in erster Linie aus angemessenen Einstellungen der einzelnen Beteiligten und ihren Wechselwirkungen besteht“ (Bratman, 2007, S. 410). Wooldridge unterscheidet Intentionen, die auf ein individuelles Ziel gerichtet sind von kollektiven, geteilten Intentionen, die sich auf ein gemeinsames Ziel beziehen, durch den Aspekt der Verantwortung. Die Verantwortung anderen Teammitgliedern gegenüber drückt sich durch eine

gemeinsame

Bindung

(engl.:

commitment) 107

an

ein

globales

Ziel

aus.

Diese

Selbstverpflichtung ist eine wichtige Grundlage dafür, dass eine Gruppe von Agenten kooperative Aktivitäten durchführen kann. Zur gleichen Zeit müssen sie aber auch ihre individuellen Verpflichtungen gegenüber der spezifischen Aufgabe (die ihnen zugewiesen wurde) erfüllen. Das globale Commitment hat ähnliche Persistenzeigenschaften wie die individuellen. Das globale unterscheidet sich von lokalen Commitments darin, dass sein Zustand zwischen den Teamspielern verteilt ist. Beendet wird das Commitment entweder dadurch, dass das gemeinsame Ziel erreicht ist, das Ziel als unmöglich erreichbar erscheint, oder die ursprüngliche Motivation bzw. Rechtfertigung für das Ziel nicht mehr vorhanden ist. Für die letzten beiden Fälle spielen soziale Konventionen eine Rolle, die Bedingungen bestimmen, unter denen ein gemeinsames Commitment fallen gelassen werden kann.

Koordination durch Normen Auch Normen und soziale Gesetze können Handlungen koordinieren. Eine Norm ist ein erwartetes Verhaltensmuster. Sie wählt gewisse Handlungen aus einem Handlungsrepertoire aus, die als zu befolgende oder zu unterlassende Handlungen definiert werden. Solch standardisierte Handlungen sind aus dem Alltag wohlbekannt, man denke z.B. an Tischsitten oder die Verhaltensregeln, die bei einem Besuch im Theater oder in der Kirche gelten. Jedes Gesellschaftsmitglied weiß aufgrund seiner Normenkenntnis über das wahrscheinliche Verhalten der anderen in bestimmten Situationen Bescheid. Dadurch kann jeder, auf der Basis konstant erwarteter Verhaltensweisen der anderen, planen. Das schafft gewissermaßen Sicherheit, da man sich vor Willkürhandlungen der anderen geschützt sieht (Weise, Brandes, Eger & Kraft, 2004). Auch Konventionen spielen eine Schlüsselrolle in sozialen Prozessen. Sie statten Agenten mit Verhaltensmustern aus, die ihr Repertoire an möglichen Handlungen strukturieren und bestimmen, unter welchen Umständen eine Verpflichtung gegenüber einer Norm vernachlässigt werden kann. Sie repräsentieren Verhaltensbeschränkungen, die die individuelle Freiheit einerseits und das Ziel der Agentengesellschaft andererseits ausbalancieren. Wooldridge (2002) unterscheidet zwei unterschiedliche Ansätze, wie Konventionen in einem MAS realisiert werden können: 1) als Offline-design und 2) als Emergenz aus dem System selbst heraus. Es sei an dieser Stelle an die Lektüre von Wooldridge (2002, S. 213 ff.) verwiesen. Im nächsten Abschnitt wird das Konzept der sozialen Konstrukte vorgestellt, mit dessen Hilfe u. a. die Erzeugung von Normen und Konventionen möglich wird. 108

3.3.1.2 Sozialer Konstruktivismus und Soziale Konstrukte Der soziale Konstruktivismus24 ist eine sozialpsychologische Theorie deren Vertreter versuchen Beziehungen zwischen Individuen als Teil ihrer Gesellschaft zu erklären (vgl. von Tiling, 2004). Prominente Vertreter des Sozialen Konstruktivismus sind z.B. Gergen, Blumer, Berger und Luckmann. Sie bauen ihre Überlegungen auf den Grundideen von Herbert Mead auf, der den Menschen als komplexes Individuum auffasste, welches sich seine Umwelt, andere Menschen und ihr Selbstbild durch Interaktionsprozesse sozial konstruiert. Das Menschenbild, das dieser Theorie zugrunde liegt basiert auf der Vorstellung, dass Menschen nicht nur Individualwesen, sondern darüber hinaus auch soziale Wesen sind. Der Mensch ist zudem nicht nur in eine kulturelle Bedeutungswelt eingebunden, sondern interagiert auch mit anderen Menschen, die sich innerhalb dieser Bedeutungswelt befinden (Berger, P. L., 1967; Burr, 1995; von Tiling, 2004). Der soziale Konstruktivismus bzw. soziale Konstrukte als Konzepte zur Realisierung sozialkonstruktivistischer Ideen, sind insofern für diese Dissertation interessant, als sie (für die Entwicklung einer MAS-Architektur) eine Brücke zwischen der Individuellen (Einzelagent) und der sozialen Ebene (MAS) zu schlagen vermögen. „Anstatt [sich] auf die individuelle ‚Performanz’ zu fokussieren und Gruppen von Menschen immer nur als ‚aufeinanderprallende’ Individuen zu betrachten, wird die Sichtweise vorgezogen, daß Menschen sich ihre Welten in der Interaktion konstruieren“ (von Tiling, 2004, S. 8). Das zentrale Konzept zur Realisierung von sozialkonstruktivistischen Ideen ist das soziale Konstrukt. Soziale Konstrukte können einerseits als Repräsentationen sozialer Phänomene aufgefasst werden. Andererseits aber sind sie Artefakte der externen Welt, die sich durch die Interaktion zwischen Akteuren herausbilden (Helmhout, 2006, S. 65). Produkte der sozialen Konstruktion sind z.B. Normen,

Konventionen, Institutionen,

Gender25, Dokumente,

Vereinbarungen, Verträge etc. Greifen wir den Vertrag als Beispielprodukt einer sozialen 24

Manchmal werden im Deutschen auch die Termini „Sozialkonstruktivismus“ oder „sozialer

Konstruktionismus“ verwendet. Diese Begriffe sind synonym zu verstehen (von Tiling, 2004). 25

Der Begriff Gender-Begriff wurde aus dem Englischen übernommen und bezeichnet alles, was

in einer Kultur als typisch für ein bestimmtes Geschlecht angesehen wird (zum Beispiel Kleidung, Beruf und so weiter); 109

Konstruktion heraus: Ein Vertrag kann als Schriftstück in der realen Welt vorhanden sein. Das Schriftstück wäre nach vorheriger Begriffsbestimmung das Artefakt. Gleichzeitig aber werden zumindest Teile dieses Vertrags von den Akteuren selbst memoriert. So weiß beispielsweise jeder Arbeitnehmer, dass er nicht unentschuldigt der Arbeit fernbleiben darf. Finden wir in sozialen Konstrukten ein Repräsentationsformat für soziale Phänomene (dieser Aspekt wurde soeben angedeutet), so bleibt noch zu klären, wie sich soziale Konstrukte bzw. die Produkte der sozialen Konstruktion herausbilden und aufrechterhalten. Die folgende Definition geht auf beide Aspekte ein. Sie beschreibt soziale Konstrukte als Repräsentationen, umfasst gleichzeitig aber auch ihre Prozesshaftigkeit: „A social construct or social affordance is a relatively persistent socially shared unit of knowledge, reinforced in its existence by its daily use” (Helmhout, Gazendam & Jorna, 2004, S. 3). Allgemein lässt sich sagen, dass soziale Konstruktion als Prozess darauf abzielt Kooperation, Koordination und sozial akzeptiertes Verhalten zu fördern und zu unterstützen. In diesem Prozess emergieren soziale Konstrukte als Resultat sozialer Kommunikation und einem erzielten Konsens zwischen den beteiligten Akteuren. Ein solcher Konsens wird erreicht, wenn Angelegenheiten von den partizipierenden Akteuren in gleicher oder zumindest in erwarteter Weise behandelt werden (von Braun, Hesse, Andelfinger, Kittlaus & Scheschonk, 2000). Das geschieht z.B. dann, wenn die Akteure die gleichen Regeln befolgen. Das Befolgen gemeinsamer Regeln ist grundlegende Bedingung dafür, dass sich Akteure sozial verhalten bzw. sozial handeln. Das soziale Handeln versteht Blumer als : „ [a] collective form of action that is constituted by the fitting together of the lines of behaviour of the separate participants“ (Blumer (1969) zitiert nach Helmhout, 2006, S. 68). Mit anderen Worten ist das soziale Handeln ein gegenseitiges Bestreben um Aktivitäten zu koordinieren. Da aber die soziale (und kollektive) Handlung auf Handlungen einzelner Individuen beruht, ist sie mit vielen Unsicherheiten verknüpft. Neben den bereits angesprochenen Punkten entsteht Unsicherheit aber auch dadurch, dass jeder Akteur eigene, private Erfahrungen sammelt, die sich zudem erst über die Zeit herausbilden. Darüber hinaus können die individuellen Akteure sehr unterschiedliche Vorstellungen davon haben, welche Bedeutung eine soziale Handlung hat. In diesem Sinne kann soziale Konstruktion Individuen lediglich bei der Ausformung sozialer Handlungen unterstützen. Die soziale Wirklichkeit der Akteure wird ständig durch das Handeln und ihre auf das Handeln bezogenen Interpretationen erzeugt. Die Vielfalt unterschiedlicher Erfahrungen und unterschiedlichen Verständnisses einer

110

Sache kann dabei aber immer zu Schwierigkeiten bezüglich eines gemeinsamen Verständnisses führen. Helmhout (2006) definiert eine Reihe von Eigenschaften von sozialen Konstrukten. So können sie beispielsweise (eine Sammlung von) Normen beinhalten, haben in der Regel eine beschränkte Lebensdauer und können in ein komplexes Netzwerk mit anderen sozialen Konstrukten eingebunden sein. Mit all ihren Eigenschaften werden soziale Konstrukte durch einen Sozialisationsprozess und Kommunikation internalisiert und aufgebaut. Darüber hinaus schaffen sie gewisse Standards von angemessenem Verhalten, indem sie gemeinsame Erwartungen und Verhaltensweisen erzeugen und sich gleichzeitig der Bewertung anderer aussetzen. In Kapitel 4 wird beschrieben, wie soziale Konstruktion in der SCAR-Architekur realisiert wird. In der vorliegenden Dissertation werden soziale Konstrukte in zweifacher Hinsicht explizit verwendet: einerseits als Repräsentationsformat für soziale Phänomene und andererseits als Prozess.

3.3.2

Kommunikation

Für die Interaktion mit anderen ist eine gemeinsame Sprache elementar. Die kooperative Abstimmung und Durchführung von Teilaufgaben erfordert den Informationsaustausch zwischen den Kooperationspartnern und somit Kommunikationsprozesse (Schoder et al., 1997). Ollmert und Schinzer (2001) unterscheiden zwei Gruppen von Kommunikationsmechanismen: 1) Blackboardkommunikation und 2) nachrichtenorientierte Kommunikationsmechanismen. Bei der Blackboardvariante kommunizieren die Agenten indirekt miteinander, indem sie auf einen für alle zugänglichen Speicherbereich lesen und schreiben. Bei Multiagentensystemen wird heute aber in der Regel auf die nachrichtenorientierte Kommunikation zurückgegriffen. Bei dieser Variante kommunizieren die Agenten direkt miteinander. Die formale Basis für diese Art der Kommunikation sind Sprechakte, die Absichten von Effekten entkoppeln. Dabei werden die Sprechakte wie Aktionen behandelt. Eine Konversation entsteht durch die koordinierte Ausführung einzelner Sprechakte. Eine oft verwendete Sprache zur Realisierung von Sprechakten ist die Knowledge Query and Manipulation Language (KQML). Sie spezifiziert eine Struktur, die sich auf Informationen z.B. bezüglich der Identität von Sender und Empfänger, des Inhalts oder der verwendeten Ontologie bezieht. Andere Parameter ermöglichen es z.B. den Sprechakt eindeutig einer Aktion eines Agenten zuzuweisen. Die Angabe der Sprache und der Ontologie im 111

Sprechakt ist in der Regel nur dann wichtig, wenn unterschiedliche Architekturen miteinander interagieren müssen (vgl. Gerber, 2005). Sprache wird von den Vertretern des sozialen Konstruktivismus als geschlossenes System aufgefasst. Sie ist in diesem Sinne keine Repräsentation von etwas, sondern Handlung selbst. Das heißt aber auch, dass die Bedeutungen von Signalen und Wörtern nicht fix sind, sondern kontextsensitiv.

3.4

Zusammenfassung zu Multiagentensystemen

Dieses Kapitel gibt einen Kurzüberblick über verschiedene MAS-Aspekte, die sich für den Aufbau einer sozio-kognitiven Architektur und eines auf der Architektur aufbauenden Modells eignen (vgl. hierzu Kapitel 4). Zur Einordnung des Themas wurden zuerst die verschiedenen Ausrichtungen der VKI gegeneinander abgegrenzt. Die Gegenüberstellung des Verteilten Problemlösens mit dem MAS-Ansatz ergibt – unter Berücksichtigung des in dieser Arbeit zu untersuchenden Forschungsgegenstands – eine klare Präferenz für MAS-Ansätze. Wird beim verteilten Problemlösen tendenziell davon ausgegangen, dass sich das Ganze als Summe seiner Teile ergibt, werden reale Systeme im Gegensatz dazu häufig durch hohe Komplexität bestimmt. Dabei ergeben sich Rückkopplungen zwischen den Wirkungen auf die Systemkomponenten. Die Systemphänomene lassen sich in solchen Fällen anscheinend nicht über eine einfache Kombination der Systembestandteile beschreiben. Es kommen Phänomene hinzu, die über die Summe der Einzelteile hinaus beobachtbar sind und als emergente Phänomene bezeichnet werden. Solche emergente Phänomene lassen sich prinzipiell durch MAS-Ansätze erzeugen. Darüber hinaus ermöglichen es agentenbasierte Modelle – im Gegensatz zu top-down-Modellen – einzelne Individuen detailliert zu betrachten. Das Verhalten der Individuen, ebenso wie die Ursachen und Konsequenzen ihres Handelns werden so transparent und analysierbar. Diese Tatsache ist ein wichtiger Grund dafür, dass die MAS-Theorie und ihre Methodologie zur Erhellung von sozialen Konflikten für diese Dissertation ausgewählt wurden. Auf diese Weise lassen sich auch soziale Phänomene unter der Annahme des methodologischen Individualismus (vgl. hierzu Abschnitt 2.2.1) vom Individuum ausgehend untersuchen. Die Situation in einem MAS ist, aus der individuellen Perspektive eines einzelnen Agenten gesehen,

durch

unvollständige

Informationen

oder

unvollkommene

Fähigkeiten

zur

Problemlösung geprägt. Jeder Agent verfügt nur über einen beschränkten Standpunkt. Welche 112

Fähigkeiten ein Agent letztlich besitzt hängt davon ab, um welche Art von Agent es sich handelt. Die in dieser Arbeit erzeugten Agenten gehören zur Klasse der kognitiven Software-Agenten, d.h. sie verfügen über kognitive Fähigkeiten. Agenten werden flexibler, wenn sie mit kognitiven Fähigkeiten ausgestattet werden. Konkret bedeutet das, dass sie über Wahrnehmungsfähigkeiten verfügen, autonom handeln können, proaktiv und reaktiv sind und über Kommunikation auf andere Agenten einwirken können. Darüber hinaus sind die SCAR-Agenten motiviert, handeln zielgerichtet und besitzen eine Repräsentation, die sie selbst und ihre Umwelt umfasst. Von besonderem Interesse für die vorliegende Arbeit ist der motivationale Aspekt. Es sind die Motive, die als Motor des zielgerichteten Handels betrachtet werden können. Der Bedarf nach intelligenten und flexiblen Agenten entsteht letztlich durch Anforderungen der Systemumwelt. Die Komplexität der Systemumwelt wiederum hängt vom gewählten Anwendungsgebiet und von den zu beantwortenden Forschungsfragen ab. Es wurden in diesem Kapitel verschiedene Klassifikationsmöglichkeiten von Umwelten vorgestellt. Die von Bossel gefundenen Umwelteigenschaften beziehen sich auf Systeme im Allgemeinen, während die von Wooldridge und Russell und Norvig identifizierten Umwelteigenschaften speziell auf MAS ausgerichtet und aus der Perspektive der Agenten beschrieben sind. Die Unterschiedlichkeit der gefundenen

Kriterien

unterstreicht

die Annahme,

dass

es

sich

schwierig

gestaltet

allgemeingültige Bestandteile für Umweltmodelle zu finden. Wurde im ersten Teil dieses Kapitels primär auf Agenten als Individuen eingegangen, behandelte der zweite Teil Agenten in der Gemeinschaft. Auf die Frage weshalb sich Agenten überhaupt sozial verhalten, fanden Berger und Calabrese (1975) die Reduktion von Komplexität als Antwort. Wenn nun aber Komplexitätsreduktion soziales Verhalten vorantreibt, dann bedarf es auch der Kommunikation, sozialer Interaktion und des Austauschs über soziale Einstellungen. Nur auf diese Weise lassen sich gute Vorhersagen über das Verhalten anderer treffen. Als zentraler Gesichtspunkt wurde für das Zusammenspiel verschiedener Agenten die Kooperationsfähigkeit von Agenten angesehen. Die Kooperation zwischen Agenten ist ein wesentlicher Bestandteil von MAS. Manche Probleme lassen sich überhaupt erst durch den Einsatz mehrerer Agenten lösen. Darüber hinaus resultieren durch die Kooperation der Agenten untereinander eventuell quantitative und/oder qualitative Vorteile. Diese Vorteile können sich beispielsweise auf den Verbrauch von Ressourcen oder die Zielerfüllung beziehen. Es ist für die gemeinsame Erreichung von Zielen oft notwendig, dass nicht nur jeder für sich intendiert ein Ziel 113

erreichen zu wollen. Vielmehr sind Situationen interessant, in denen die beteiligten Agenten ein gemeinsames Ziel verfolgen. Um das Verfolgen gemeinsamer Ziele aber realisieren zu können, muss es Koordinationsmechanismen geben. Soziale Konstrukte und Normen dienen als ein solcher Koordinationsmechanismus. Sie leiten sich aus sozialkonstruktivistischen Überlegungen ab. Es handelt sich bei den vorgestellten konstruktivistischen Ideen um einen konzeptuellen Rahmen. Hinter den vorgestellten Konzepten steht ein Begriffsgerüst, das empirisch nicht falsifizierbar ist – ebenso wenig wie die Annahmen, dass menschliches Handeln durch kognitive Prozesse, durch unbewusste Bedürfnisse oder Reiz-Reaktions-Verbindungen gesteuert wird (von Tiling, 2004). Der Prozess, auf dessen Grundlage soziale Konstrukte Koordination ermöglichen, wird in Abschnitt 4.1.4 beschrieben und mit motivationalen Faktoren verknüpft. Die Bildung von Motiven auf der Grundlage von basalen Bedürfnissen spielt für die im nächsten Kapitel vorgestellte Architektur eine entscheidende Rolle. Dabei liefert der im Abschnitt 3.2.3.2 vorgestellte Mechanismus – der in der PSI-Theorie von Dietrich Dörner beschrieben wird – einen wichtigen Orientierungspunkt für den Aufbau der sozio-kognitiven Architektur.

114

4

SCAR-Architektur und SCAR-Modell

Im vorherigen Kapitel wurden bereits wichtige Grundlagen sowohl für die Entwicklung einer neuen sozio-kognitiven Architektur, als auch für die Implementierung von agentenbasierten Simulationsmodellen zur Untersuchung von sozialen Konflikten beschrieben. Aufbauend auf den im ersten Kapitel vorgestellten Forschungsfragen und

Hypothesen, lieferte Kapitel 2 einen

Überblick über das Forschungsfeld der sozialen Konflikte. Die Durchleuchtung des Forschungsfeldes führt zu folgender Erkenntnis: Es scheint in weiten Teilen der bisherigen Forschung eine Erklärungslücke zu geben. Bisherige Ansätze erfassen zwar wie typische Konfliktursachen in typische Wirkungen transformiert werden, die spezifischen Eigenschaften und Gesetzmäßigkeiten dieses Transformationsprozesses bleiben dabei aber oft im Verborgenen. Der Konflikt selbst bleibt also die Black-Box der Analyse. Es bedarf folglich neuer komplexer Modelle, die diese Prozesse sichtbar machen und soziale Faktoren mit kognitiven zu verknüpfen vermögen (Helmhout, 2006; Sun, 2006, 2008). Die SCAR-Architektur und das SCAR-Modell versuchen dieser Forderung nachzukommen. Die SCAR-Architektur stellt zum einen eine Spezifikation grundlegender Informationsverarbeitungsprozesse der Agenten dar. Zum anderen werden aber auch makroskopische „highlevel“-Prozesse, die ein soziales Miteinander der Agenten abbilden und soziale Phänomene durch soziale Konstruktion beschreibbar machen, spezifiziert. Auch wenn für diese Spezifikation soziale Konflikte als Beispielphänomen stets mitgedacht werden, passiert deren Analyse erst durch das Simulationsmodell. Mit anderen Worten: Erst das SCAR-Modell realisiert das Multiagentensystem und implementiert das Simulationsspiel zur Analyse von sozialen Konflikten. Da sich die Anforderungen, die an die Architektur und das Modell gestellt werden teilweise überschneiden ist eine strikte Trennung zwischen Architektur und Modell nicht immer möglich. In Abschnitt 4.1.1 werden als erstes die generellen Anforderungen an eine Architektur erhoben, mit der es möglich sein soll soziale Phänomene zu untersuchen. Aufbauend auf diesen Anforderungen werden zunächst die Bausteine, die der SCAR-Architektur zugrunde liegen, im Detail vorgestellt. Begonnen wird mit der Beschreibung der Elemente und Wirkmechanismen der Wahrnehmung. Anschließend werden die kognitiven Prozesse und ihre Bestandteile erläutert. Der Prozess der sozialen Konstruktion stellt den letzten Baustein der SCAR-Architektur dar. Im Abschnitt 4.1.5 werden diese Bausteine dann schließlich zur Gesamtarchitektur zusammengefügt. 115

Das SCAR-Modell, mit dem die Untersuchung von sozialen Konflikten mittels eines MAS durchgeführt wurde, baut auf der vorgestellten Architektur auf. In Abschnitt 4.2 wird das Modell detailliert beschrieben. Einige Elemente der SCAR-Architektur und des SCAR-Modells wurden in ihren Grundzügen bereits von Bernedo und Ernst (2008) vorgestellt.

4.1

SCAR-Architektur

Mit der SCAR-Architektur wird eine abstrakte Spezifikation für beliebige Multiagentensysteme zur Untersuchung von sozialen Phänomenen gegeben. Die Konkretisierung eines Systems, mit dessen Hilfe sich soziale Konflikte untersuchen lassen, geschieht erst durch die Realisierung des darauf aufbauenden SCAR-Modells. In diesem Abschnitt wird deshalb zuerst die SCARArchitektur beschrieben, bevor im Abschnitt 4.2 schließlich auf das SCAR-Modell eingegangen wird. Es geht bei der Spezifikation der Architektur zunächst um die Herausarbeitung elementarer Informationsverarbeitungsmechanismen, die für die Untersuchung von sozialen Phänomenen wichtig sind. Damit einhergehend soll begründet werden, warum es überhaupt einer neuen Architektur (und eines neuen Multiagentenmodells) bedarf, und weshalb auf bestehende Modelle und Architekturen nur teilweise zurückgegriffen wird. Die generellen Anforderungen an die SCAR-Architektur gelten dann auch als wichtige Kriterien für den Aufbau des SCAR-Modells. Die Architekturanforderungen werden nachfolgend aufgestellt.

4.1.1

Generelle Anforderungen an die SCAR-Architektur

In diesem Abschnitt werden die generellen Anforderungen aufgestellt, die die SCAR-Architektur erfüllen soll. Zum einen hängen diese Anforderungen maßgeblich von den Forschungsfragen ab, die in Kapitel 1 gestellt wurden: Es werden für die Klärung der Architekturanforderung insbesondere die Forschungsfragen 1 bis 4 aus Abschnitt 1.2 relevant. Auf die Forschungsfragen wird dann in ihrer Gesamtheit zurückgegriffen, wenn es darum geht, das SCAR-Modell zu spezifizieren. Zum anderen resultieren diese Anforderungen aber auch auf theoretischen Überlegungen: So liefert das Kapitel über Multiagentensysteme detaillierte Hinweise für den Aufbau einer MAS-Architektur. Darüber hinaus ergeben sich die Anforderungen für die SCARArchitektur aber auch aus dem Vergleich zu bisherigen Ansätzen aus dem Forschungsfeld.

116

4.1.1.1 Architekturanforderungen auf der Grundlage von Forschungsfragen Forschungsfragen 1 und 2, die nach dem sozialen Verhalten und den Voraussetzungen fragen, die die Akteure dafür mitbringen müssen, fordern ein, dass das System dazu in der Lage sein soll, soziales Verhalten abzubilden. Des Weiteren wurden diese Forschungsfragen mit der Annahme verknüpft, dass ein solches Verhalten im Hinblick auf Individuen und deren wechselseitigen Beziehungen erklärt werden muss. Außerdem wurde offengelegt, dass die Bildung von (stabilem) sozialem Verhalten auf der gemeinsamen Konstruktion der Realität beruht. Folglich muss es einen Mechanismus geben, der die soziale Konstruktion realisiert. In Kapitel 3 (Abschnitt 3.3.1.2) wurden soziale Konstrukte eingeführt und der mit ihnen verknüpfe Mechanismus der sozialen Konstruktion – basierend auf sozialer Kommunikation – anskizziert. Das Kapitel 3 beantwortet einen wichtigen Teil von Forschungsfrage 3, die nach den Anforderungen für das Design und die Implementierung des Multiagentensystems fragt. Es wurde klargestellt, dass es für einen Agenten in einem Multiagentensystem unerlässlich ist, soziales Verhalten zeigen zu können. Soziale Konstrukte als Wissenseinheiten können soziales Verhalten beeinflussen und dem Agenten eine Richtung geben. Darüber hinaus wird das soziale Konstrukt (und ggf. die mit ihm verbundene Bewertung, z.B. in Form eines Commitments) im „Kopf“ des Agenten als Datenstruktur repräsentiert. Forschungsfrage 4 fragt danach, wie ein Akteur in einem Multiagentensystem implementiert werden kann, der kognitiv und sozial plausibel ist. Aus dieser Forschungsfrage ergibt sich der Bedarf nach einem Agenten, der dazu in der Lage ist, Informationen wahrzunehmen, sie kognitiv zu verarbeiten, sich daraufhin für eine Handlung zu entscheiden und sie anschließend auszuführen. Zur gleichen Zeit müssen aber auch soziale Konstrukte in den Entscheidungsprozess mit einfließen. Der Aspekt der beschränkten Rationalität kommt hier insofern zum Tragen, als die Wahrnehmung der Agenten u. U. durch ihren internen Zustand beeinträchtigt werden kann. Zur teilweisen Beantwortung der Forschungsfragen 4 und 5 (die nach den Eigenschaften der Konfliktausbildung fragt) können Wahrnehmungsverzerrungen als wichtige Eigenschaft identifiziert werden. Sogenannte Modulatoren sind wichtige Mechanismen, die das Wie der Wahrnehmung

beeinflussen

können.

Modulatoren

wurden

im

Zusammenhang

von

Wahrnehmungsprozessen basierend auf Überlegungen der PSI-Theorie in Kapitel 3 (Abschnitt 3.2.3.2) vorgestellt. 117

4.1.1.2 Architekturanforderungen basierend auf theoretischen Überlegungen Die meisten agentenbasierten Modelle werden dazu entwickelt, um ein spezifisches Phänomen zu erklären. Es werden in solchen Modellen dann bestimmte soziale Phänomene behandelt, wobei die Aufmerksamkeit dabei oft auf das allgemeine Verhalten von großen Populationen gerichtet wird. Ein prominentes Beispiel hierfür ist das von Epstein und Axtell (1996) vorgestellte SugarScape-Modell. Es handelt sich dabei um ein Computermodell, in dem eine heterogene Population von reaktiven Agenten um eine erneuerbare Ressource konkurriert. Die Agenten sind mit lokalen Regeln ausgestattet und gelten insofern als heterogen, da sie unterschiedliche genetische Attribute verkörpern, über unterschiedlich viele Ressourcen verfügen und an unterschiedlichen Orten in ihrer Umwelt verteilt sind. Das Sugar-Scape-Modell ist ein bekannt gewordenes Beispiel dafür, dass es möglich ist komplexes Verhalten mittels eines zellulären Automaten zu erzeugen. Das Problem solcher Modelle besteht jedoch darin, zu bestimmen, was dieses Verhalten bedeutet. In Abgrenzung zu dieser Art von Modellen, liegt der vorliegenden Arbeit deshalb folgende Vorstellung zugrunde: Um zu einer Idee zu gelangen welche Bedeutung ein bestimmtes Verhalten hat, müssen die Prozesse sichtbar gemacht werden, die diesem Verhalten zugrunde liegen. Auf der Grundlage von qualitativer Modellierung ist die Deutung von Simulationsergebnissen intuitiv interpretierbar. Das liegt daran, dass qualitative Modelle Schlussfolgerungsverfahren verwenden, die auf qualitativem Wissen arbeiten. Die Forderungen, die sich aus dem Kontrast zu der soeben geschilderten Modellart ergeben (zu der sich neben den zellulären Automaten auch die meisten Arbeiten aus der Spieltheorie zählen) sind die Forderung nach Prozesssichtbarkeit und qualitativer Modellierung. Neben der soeben beschriebenen Klasse von Agentenmodellen, die viele Agenten spezifizieren, welche aus einfachen Regeln bestehen, existiert im sozialwissenschaftlichen Bereich ein weiterer Ansatz. Diese zweite Klasse von Agentenmodellen richtet ihren Fokus bei der Modellierung auf intelligente Agenten und konzentriert sich dann oft auf bestimmte Einzelaspekte der Agenten. Selbst wenn sich dabei das Augenmerk auf mehrere Aspekte des mit der Umwelt interagierenden Individuums richtet, basieren die Modellannahmen meist nicht auf Forschungsergebnissen aus der kognitiven Psychologie, so wie es beispielsweise bei den Architekturen ACT-R, SOAR und PSI der Fall ist. Diese umfangreichen kognitiven Architekturen aus dem Bereich der kognitiven Psychologie sind jedoch sehr komplex. Diese Komplexität scheint Wissenschaftler mit Interesse 118

an sozialen und sozialpsychologischen Fragestellungen davon abzuhalten, auf diese Ansätze für ihre Forschung zurück zu greifen. Wünschenswert wären Architekturen von mittlerer Komplexität, die die Modellierung von Agentengesellschaften erlauben (vgl. hierzu auch Grimm et al., 2005). Für die SCAR-Architektur bedeutet das konkret, dass sie dazu in der Lage sein sollte kognitive Agenten zu erzeugen, denn rein reaktive Agenten würden nichts über die Prozesse aussagen, die sich hinter der Entstehung von sozialen Strukturen oder gar sozialen Konflikten verbergen. Darüber hinaus sind Agenten, die über kognitive Fähigkeiten verfügen flexibler, realistischer und deshalb auch leichter nachvollziehbar. Sie besitzen die Fähigkeit zur aktiven Wahrnehmung und handeln gewissermaßen autonom. Betrachtet man elaborierte kognitive Architekturen wie PSI, ACT-R und SOAR, so lässt sich feststellen, dass ihr Augenmerk überwiegend auf das Individuum gerichtet ist. Die explizite Repräsentation von Sozialstrukturen spielt in diesen Architekturen keine Rolle. Moderne Ansätze der MAS-Theorie beschäftigen sich demgegenüber mit sozialen Aspekten, weshalb sich aus ihrer Betrachtung weitere Anforderungen für die SCAR-Architektur ableiten lassen. In einem MAS ergeben sich die sozialen Aspekte aus der Interaktion von Individuen, wobei jedes Individuum seine eigene Perspektive besitzt. Aus dieser individuellen Perspektive resultiert ein beschränkter Standpunkt, der oft nur durch die erfolgreiche Interaktion mit anderen Agenten überwunden werden kann. Damit Agenten aber erfolgreich miteinander interagieren können, sind zwei Dinge notwendig: 1) Die Agenten sollten dazu in der Lage sein miteinander zu kommunizieren. 2) Für die gemeinsame Erreichung von Zielen muss es Koordinationsmechanismen geben. In Kapitel 3 (Abschnitt 3.3.1.2) sind soziale Konstrukte als Koordinationsmechanismus identifiziert worden. Konkret gilt es für das SCAR-Modell und die dem Modell zugrunde liegende Architektur, die drei (in Kapitel 2, Abschnitt 2.2.1) vorgestellten Logiken (Logik der Situation, Logik der Selektion und die Logik der Aggregation) zu spezifizieren. Für die Logik der Selektion wird dabei – gemäß Überlegungen zu Ansätzen der beschränkten Rationalität – die begrenzte kognitive Kapazität von Individuen berücksichtigt. In diesem Sinne ist SCAR mit modernen Ansätzen des Rational-Choice verträglich. Die simulierten SCAR-Akteure sollen insofern dem Paradigma der beschränkten Rationalität unterliegen, als dass sie u. U. nur in begrenztem Maße dazu in der Lage sein sollen, Informationen wahrnehmen und verarbeiten zu können. Dieser Forderung kann durch die Realisierung von Modulatoren entsprochen werden.

119

4.1.1.3 Zusammenfassung der Anforderungen Zusammenfassend kann man die Anforderungen an die Architektur in sieben Punkten auflisten. Die SCAR-Architektur soll: 1. Prozesse sichtbar machen, die der Entscheidung von kognitiven Agenten zugrunde liegen, 2. qualitative Aussagen über diese Prozesse erlauben, 3. von mittlerer Komplexität sein, 4. dazu in der Lage sein, die Mikro- und die Makroebene (theoretisch) miteinander zu verknüpfen, 5. die Erzeugung kognitiver Agenten ermöglichen, die dazu in der Lage sind miteinander zu kommunizieren, 6. soziale Konstrukte realisieren, 7. unscharfe Wahrnehmung realisieren.

Diese Aspekte gilt es für den Aufbau der SCAR-Architektur zu berücksichtigen. Es sind in diesem Abschnitt indirekt verschiedene Komponenten identifiziert worden, die Teil des Bauplans für

SCAR-Agenten

sind.

Dazu

gehört

die

Wahrnehmungsfähigkeit,

ein

Entscheidungsmechanismus, Mittel zur Handlungsausführung, ein Gedächtnis (prozedural und deklarativ), Ziele, Modulatoren und soziale Konstrukte. Die Wahrnehmung von Agenten wird in Abschnitt 4.1.2 beschrieben. Dieser Abschnitt behandelt auch die Modulatoren. Auf das Gedächtnis wird in Abschnitt 4.1.3.2 genauer eingegangen, auf die Entscheidungsfindung in Abschnitt 4.1.3.

4.1.2

Wahrnehmung

Künstliche Agenten, die in einer komplexen Umwelt leben, können zum Zeitpunkt ihrer Erzeugung in der Regel nicht mit allen notwendigen Informationen ausgestattet werden. Eine sich ständig ändernde Umwelt macht die Fähigkeit zur Wahrnehmung, und somit einen Wahrnehmungsapparat unabdingbar. Im Rahmen einer Architektur müssen deshalb bestimmte Wahrnehmungsmechanismen definiert werden. Durch sie ist der Agent dann dazu in der Lage, die für ihn notwendigen Informationen zu sammeln. Es

gibt

drei

grundlegende

Probleme,

Wahrnehmungsmechanismen auftreten können: 120

die

bei

der

Implementierung

der

1) In einigen Fällen ist die Welt nicht so wie sie erscheint. Ein Beispiel dafür sind Sinnestäuschungen. 2) Die Welt ändert sich. Der Agent muss sein Weltbild ständig aktualisieren wenn er neue Sinneseindrücke sammelt. Damit er das tun kann, sollte er dazu in der Lage sein sowohl über die Persistenz als auch über Veränderungen „nachzudenken“, indem er sein Wissen über kausale Prozesse mit einbezieht. 3) Wahrnehmung geschieht stichprobenartig. Ein Agent kann seine Umwelt nicht unaufhörlich in Gänze überblicken. Es liegt letztlich an den kognitiven Fähigkeiten des Agenten, inwiefern er dazu in der Lage ist, Inferenzen aus diesen Bildern zu ziehen, um ein kohärentes Weltmodell zu erzeugen (Carpobianco, Chesnevar & Simari, 2005). Für die in der SCAR-Architektur vorgesehenen Wahrnehmungsmechanismen ist der erste Punkt irrelevant und kann von Agenten, die nach dem Bauplan dieser Architektur erzeugt wurden auch nicht gelöst werden. Es wird davon ausgegangen, dass dieser Punkt für das Verständnis von sozialen Phänomenen wie z.B. das Auftreten von sozialen Konflikten keine, bzw. eine untergeordnete Rolle spielt. Punkte 2 und 3 werden in der SCAR-Architektur mit berücksichtigt. Wahrnehmungen werden gespeichert und können im Rahmen des Entscheidungsprozesses miteinander abgeglichen werden. Abhängig vom internen Zustand eines Agenten kann es dazu kommen, dass die Wahrnehmung des Agenten unpräzise wird. Der Wahrnehmungsprozess wird nachfolgend beschrieben.

4.1.2.1 Der Wahrnehmungsprozess Der Wahrnehmungsprozess beginnt bei der SCAR-Architektur mit der Aufnahme eines Datenstroms (über die „Sensoren“) und endet mit einer subjektiven Repräsentation (engl.: belief) über die Agentenumgebung. Der Agent ist nach Abspeicherung der Perzeptionen dazu in der Lage, auf der Grundlage dieser Informationen, Schlussfolgerungen zu ziehen. Die Sinneseindrücke werden vor der Speicherung klassifiziert. Das macht den späteren Abruf von Informationen effizient. Es gibt einen engen Zusammenhang zwischen dem Wahrnehmen und der Speicherung von Informationen. Die Wahrnehmungshandlungen ermöglichen den gezielten Zugriff auf das Gedächtnis. Es ist aus diesem Grund oft sinnvoll das Wahrgenommene in interne und externe Teile zu untergliedern (Luck & d'Inverno, 2003). Es macht einen Unterschied, ob die Wahrnehmung auf Zustände der Umwelt oder auf interne (psychische) Umstände zurückzuführen ist. Je nach psychischer Verfassung können Dinge beispielsweise überoptimistisch oder aber auch pessimistisch wahrgenommen werden. Diese Wahrnehmung kann von den tatsächlichen äußeren 121

Begebenheiten ggf. stark abweichen. Wie sehr die subjektive Wahrnehmung mit den wirklichen Begebenheiten korreliert, hängt u. a. davon ab, wie präzise die Umwelt wahrgenommen wird.

4.1.2.2 Modulatoren Wie präzise die Wahrnehmung der Agenten ist, hängt in der SCAR-Architektur von den Modulatoren ab. Die in der SCAR-Architektur berücksichtigten Modulatoren sind der Auflösungsgrad (engl.: level of resolution) und die Erregung (engl.: arousal). Die Modulatoren sind an die Ziele des Agenten gekoppelt. Hierbei geht es um basale Ziele, die der Agent erfüllen muss, um in seiner Umwelt zu überleben. Sind diese Ziele in ihrer Summe gut erfüllt, dann ist der Auflösungsgrad hoch und die Erregung niedrig. Sind die Ziele in ihrer Summe eher schlecht erfüllt, dann resultiert dies in einem niedrigen Auflösungsgrad. Die Erregung des Agenten ist dementsprechend hoch. Mathematisch formuliert lassen sich die Modulatoren und die mit ihnen verbundenen Prozesse wie folgt beschreiben: Sei W = {w1 ,..., wn } | 0 ≤ wi ≥ 1 eine Menge von Werten, von denen jeder Wert zu einem Zeitpunkt an ein bestimmtes Ziel gebunden ist. Jeder der an ein Ziel gebundenen Werte gibt an, wie gut das entsprechende Ziel bisher erfüllt ist. Ein niedriger Wert ist gleichzusetzen mit einer guten Erfüllung des Ziels, denn aus der Perspektive eines Agenten ist es nicht so wichtig ein Ziel zu verfolgen, das bereits gut erfüllt ist. Auf der anderen Seite aber ist es wichtig, dass weniger gut erfüllte Ziele bald in Angriff genommen werden. Dementsprechend repräsentiert ein hoher Wert die Untererfüllung eines Ziels. Für die Modulatoren gilt: erregung = ∑ wi ÷ n und auflösungsgrad = 1 −

4.1.3

∑w

i

÷ n bei n Zielen, d.h. erregung und auflösungsgrad ∈ {x ∈ ℝ| 0 ≤ x ≥ 1 }.

Kognition

In Kapitel 3 (Abschnitt 3.2.3.1) wurde bereits auf den Aspekt der Kognition näher eingegangen. Es wird nachfolgend beschrieben, wie die Informationsverarbeitung durch die SCAR-Architektur realisiert wird.

122

4.1.3.1 Verarbeitung von Zielen und Motiven In Kapitel 3 wurde – unter den für diese Dissertation zugrundeliegenden Fragestellungen – dafür argumentiert, Agenten mit Zielen auszustatten. In diesem Abschnitt wird nun ein generischer Mechanismus beschrieben, der die Verarbeitung von Zielen und zielähnlichen Entitäten erlaubt. Im Abschnitt 3.2.3.1.2 wurde bereits auf Ziele und einige Aspekte des zielgerichteten Verhaltens eingegangen. Zur Bestimmun allgemeingültiger Systemziele wurden u. a. die Orientoren von Bossel exemplarisch herausgegriffen. In Abschnitt 3.2.3.2 hingegen wurde eine psychologische Perspektive eingenommen und Motive als Initiatoren und Steuerelemente von Aktivitäten diskutiert. In diesem Zusammenhang wurde auch das Wert-Erwartung-Prinzip vorgestellt. Dieses Prinzip ist in der SCAR-Architektur die Grundlage für die Bildung von Intentionen. Es wird deshalb nun näher auf den Mechanismus der Intentionsbildung in SCAR eingegangen. Abbildung 4-1 veranschaulicht die Wirkweise dieses Mechanismus: Jeder Agent verfügt über eine Menge von grundlegenden Zielen. Diese Menge ist im linken Kasten der Abbildung dargestellt. Jedes der Ziele ist mit genau einem Wert zu einem bestimmten Zeitpunkt assoziiert. Dieser Wert gibt an, wie wertvoll das jeweilige Ziel in der aktuellen Situation für den Agenten ist. Darüber hinaus existiert zu jedem Zeitpunkt ein Erwartungswert. Dieser Erwartungswert stammt aus dem Gedächtnis des Agenten, das in Abbildung 4-1 im oberen Kasten dargestellt ist. Der Erwartungswert ist eine subjektive Bewertung davon, wie wahrscheinlich es ist, dass ein bestimmtes Ziel in diesem Moment erreicht werden kann. Diese Bewertung ist ein wesentlicher Bestandteil der Erfahrungen, die ein Agent im Laufe der Zeit gesammelt hat. Das bedeutet aber auch, dass sich dieser Wert ständig ändert. Zu jedem Zeitpunkt gibt es für jedes Ziel genau einen Erwartungswert, der sich zum nächsten Zeitschritt wieder verändern kann. Um die aktuelle Intention des Agenten ermitteln zu können, müssen zu jedem Zeitpunkt die Erwartung und der Wert jedes einzelnen Ziels miteinander multipliziert werden (vgl. mittlerer Kasten in Abbildung 4-1). Das Ziel, welches nach der Multiplikation seines Wertes mit dem dazugehörigen Erwartungswert das höchste Ergebnis liefert, wird zu diesem Zeitpunkt zur Intention (vgl. rechter Kasten in Abbildung 4-1).

123

Gedächtnis Erwartung

Basale Ziele Ziel 1 Ziel 2

Wert X Erwartung

Wert

Ziel

Intention

… Ziel n

Abbildung 4-1: Wert-Erwartung-Prinzip zur Bildung von Intentionen. Mathematisch lässt sich dieser Mechanismus für einen Zeitschritt wie folgt beschreiben: Sei I = {1,2,..., n} eine Indexmenge, dann ist die Menge der Ziele: Z = {z i | i ∈ I } , die Menge der Werte: W = {wi | i ∈ I , wi ∈ [0,1]} und die Menge der Erwartungswerte: E = {ei | i ∈ I , ei ∈ [0,1]} . Der Index i

bezieht sich dabei jeweils immer auf die Position der Elemente in der Menge. Die Ergebnismenge, die sich aus der Multiplikation der Werte mit den Erwartungswerten für jedes einzelne

Ziel

ergibt,

kann

mathematisch

folgendermaßen

notiert

werden:

EW = {ei ⋅ wi | ei ∈ E , wi ∈ W , i ∈ I } . Nun muss nur noch das Ziel ausgewählt werden, das nach

dieser

Multiplikation

das

höchste

Ergebnis

erzielt.

Z int = {z j | z j ∈ Z , j ∈ I , e j ∈ E , w j ∈ W , e j w j = max EW } . Gibt es mehrere Ziele, die gemeinsam ein

höchstes Ergebnis erzielen, dann muss es folglich noch ein weiteres Kriterium geben, das bestimmt,

welches

Ziel

der

Menge

zur

Intention

wird.

Erfahrungen

oder

Persönlichkeitsunterschiede, die sich auf die Präferenzstruktur auswirken, können beispielsweise als ein solches Kriterium herangezogen werden. Gibt es in der Menge hingegen nur ein Ziel, dann wird dieses Ziel für diesen Zeitschritt intendiert. Die SCAR-Architektur orientiert sich durch die Verwendung des Wert-Erwartung-Prinzips an der psychologischen Forschung. Wichtig ist im Zusammenhang der Zielentstehung, dass die SCARArchitektur offen lässt, wie die Ziele und die mit ihnen verbundenen Wertigkeiten erzeugt werden. So ist es prinzipiell auch möglich sich an Konzepten aus der Systemtheorie zu orientieren und sie mit einer psychologischen Perspektive zu verquicken. Die Ziele und ihre Wertigkeiten

könnten

beispielsweise

durch

das

in

Abschnitt

3.2.3.1.2

vorgestellte

Orientorenkonzept von Bossel realisiert werden. Eine andere Mögliche Alternative zum 124

Orientorenkonzept ist die Berücksichtigung von Bedürfnissen. Dass sich beide Perspektiven nicht ausschließen, hat Bossel (2007) aufgezeigt. Auch psychische Bedürfnisse lassen sich aus fundamentalen Systemerfordernissen ableiten. Tabelle 4-1 zeigt auf, wie sich die von Bossel gefundenen

Leitwerte auf Bedürfnisse abgebildet werden

können. Dabei wird auf

Bedürfnistypologien von Max-Neef et. al (1991) und Dörner (2001; 2002) zurückgegriffen.

Tabelle 4-1: Leitwerte, psychische und soziale Bedürfnisse. In Anlehnung an Bossel (2007, S. 86). Leitwerte nach Bossel (1977)

Psychische

und

soziale Bedürfnisse

nach

Dörner

Bedürfnisse nach Max-Neef (2001; 2002) (1991) Existenz

Lebenserhalt

(engl.: Existenzielle

subsistence) Wirksamkeit

Kompetenz,

Bedürfnisse

(Hunger, Durst) Muße

(engl.: Kompetenz (Effizienz)

understanding, leisure) Handlungsfreiheit

Freiheit (engl.: freedom)

-

Sicherheit

Schutz (engl.: Protection)

Bestimmtheit

Wandlungsfähigkeit

Schaffung von Neuem (engl.: Kompetenz (Lernen) Creation)

Koexistenz

Beteiligung

(engl.: Affiliation

participation) Psychische Bedürfnisse

Zuneigung,

Identität (engl.: Affiliation, Bestimmtheit,

affection, identity)

Kompetenz

Anmerkung: Die Zuordnung der Leitwerte zu den psychischen und sozialen Bedürfnissen nach Max-Neef (1991) wurde von Bossel (2007) selbst vorgenommen. Diese Tabelle wurde modifiziert und um die von Dörner (2001; 2002) postulierten Grundbedürfnisse ergänzt.

Im SCAR-Modell entstehen Ziele auf der Basis von Bedürfnissen und den mit ihnen verknüpften Prozesse. Im Abschnitt 3.2.3.2 wurde auf diese Aspekte eingegangen und beschrieben, wie solche 125

Prozesse in der PSI-Theorie von Dietrich Dörner behandelt werden. Für die Entwicklung des SCAR-Modells (Abschnitt 4.2 ff.) wird genau auf diese Mechanismen zurückgegriffen.

4.1.3.2 Gedächtnis Carpobianco et al. (2005) identifizieren die Repräsentation von Wissen als eines der schwierigsten Probleme bei der Erzeugung von MAS. Diese Einschätzung hängt vor allem damit zusammen, dass Agenten ihre Aufgaben in einer dynamischen Umwelt erledigen müssen. Neue Repräsentationen verändern das aktuelle Weltwissen bzw. die Vorstellungen (engl.: beliefs), die die Agenten von sich und ihrer Umwelt haben (Carpobianco et al., 2005). Im Großen und Ganzen werden vom Gedächtnis drei Funktionen erwartet: 1) die Speicherung von Wissen auf der Grundlage von Wahrnehmungen (oder auch Perzeptionen), 2) der (effiziente) Abruf von Gedächtnisinhalten und 3) das Vergessen von Informationen. Das Zusammenspiel von Wahrnehmung, Speicherung und Abruf von Gedächtnisinhalten, wird von Luck und d’Inverno (2003) wie folgt beschrieben: “A memory agent’s possible percepts are derived from applying its perceiving actions to both its external environment and its internal memory. Depending on its goals, the agent will select a subset of these available attributes” (Luck & d'Inverno, 2003, S.13). Bei dem geschilderten Vorgang wird also die aktuelle Information unter Zuhilfenahme von bereits gespeicherten Wissensteilen verarbeitet. In SCAR ist dieser Prozess wie folgt realisiert: Die aktuelle Information gelangt – zusammen mit den für die Ziele des Agenten relevanten Attribute – ins Arbeitsgedächtnis des Agenten. Auf der Basis dieser Informationen wird dann schließlich eine Entscheidung getroffen und die aktuellen Wahrnehmungen im Langzeitgedächtnis abgespeichert. Die SCAR-Architektur unterscheidet dabei zwei unterschiedliche Formen der Speicherung. Die im Laufe der Simulation gesammelten Erfahrungen werden im deklarativen Gedächtnis abgelegt, während im prozeduralen Gedächtnis Handlungswissen gespeichert ist. In Abschnitt 3.2.3.1.1 wurde bereits auf die Eigenschaften des Gedächtnisses und verschiedene Gedächtnisformen eingegangen. Nachfolgend wird kurz darauf eingegangen wie diese beiden Gedächtnismodule in der SCAR-Architektur spezifiziert sind. Im Zuge dessen wird auch auf das Vergessen von Informationen eingegangen.

126

4.1.3.2.1

Deklaratives Gedächtnismodul

Das deklarative Modul dient als Langzeitspeicher für deklaratives Wissen. Dieses Wissen wird als sogenannte Chunks, die kleine voneinander unabhängige Informationsmuster darstellen, gespeichert. Solche Informationsmuster entstehen dadurch, dass jeder Chunk über eine Menge von Attributen (in ACT-R werden sie Slots genannt) verfügt, die ihrerseits mit einem Wert assoziiert sind (Anderson & Lebiere, 1998). Damit kann jeder Chunk typisiert werden, denn es sind eben diese mit ihren Werten assoziierten Attribute, die den Typen des Chunks bestimmen. Eine solche Klassifikation von Gedächtnisinhalten kann die Performanz von Modellen erheblich erhöhen, da die Lokalisierung von Chunks im deklarativen Gedächtnis wesentlich schneller vonstatten gehen kann. Gleichzeitig dient der Chunk als eine generische Komponente, um Informationen im Gedächtnis abzulegen. Vereinfacht kann man sagen, dass das deklarative Gedächtnis ein Container für solche typisierte Chunks darstellt. Dieser Container ist jedoch nicht unendlich groß. Gedächtnisinhalte, die nicht wieder aufgefrischt werden, werden nach einer bestimmten Zeit wieder vergessen. Die SCARArchitektur spezifiziert das Vergessen durch das FIFO-Prinzip. FIFO steht abkürzend für „First In-First-Out“ und bezeichnet jegliche Verfahren der Speicherung, bei denen Elemente, die zuerst in den Speicher kamen, auch zuerst wieder aus dem Speicher entnommen werden. Mit anderen Worten: je länger die Erinnerung zurückliegt, desto eher wird sie vergessen. Das deklarative Gedächtnis spielt eine eher passive Rolle bei der Lösung von Problemen. Es sind die Prozesse, die mit dem prozeduralen Gedächtnis assoziiert sind, die an der Lösung von Problemen beteiligt sind.

4.1.3.2.2

Prozedurales Gedächtnismodul

Das prozedurale Gedächtnis dient als Container für Prozeduren. Es bestimmt mit seinen Prozeduren, welche Informationen aus dem deklarativen Gedächtnis benötigt werden, um ein Problem zu lösen. Eine Prozedur besteht aus einem Bedingungsteil und einem Handlungsteil. Der Bedingungsteil kann dabei aber auch aus einer Menge von Bedingungen bestehen. Ebenso kann der Handlungsteil aus einer Menge von Handlungen bestehen. Der Bedingungsteil wird in der Regel aus Elementen bestehen, die sich auf die aktuelle Wahrnehmung und auf Attribute beziehen, die für den Agenten als zielrelevant erachtet werden. Ein Prozedurobjekt sorgt dafür, 127

dass der aktuelle Zustand mit dem Bedingungsteil abgeglichen wird. Passt der Bedingungsteil einer Prozedur auf den wahrgenommenen Zustand, dann wird der zu dieser Bedingung passende Handlungsteil ausgeführt. Ein Beispiel: Nehmen wir an, dass ein Agent über Attribute verfügt, die ihm anzeigen, ob er friert, oder etwa hungrig ist. Dann ist es hilfreich, wenn er auch über Handlungsregeln verfügt, die es ihm erlauben einen etwaigen Mangel – z.B. den Hunger, oder das Frieren – zu beseitigen. Eine solche Regel könnte schlicht lauten: Wenn Du etwas Essbares siehst, dann iss es. Nun kann es aber passieren, dass keine passende Regel zur aktuell wahrgenommenen Situation existiert. Gibt es keine solche Passung, dann wird eine Standard-Handlung ausgeführt. Welche Prozeduren letztlich im prozeduralen Gedächtnis abgespeichert werden hängt von der gewählten Strategie ab.

4.1.4

Soziale Konstrukte

Soziale Konstrukte werden in diese Dissertation mit dem Ziel eingeführt, die Lücke zwischen der sozialen Ebene und der individuellen Ebene zu schließen. In Abschnitt 2.2.1 wurde bereits im Rahmen von rationalen Entscheidungstheorien diskutiert, dass es notwendig ist, die MikroEbene, die das Verhalten des Agenten maßgeblich steuert, mit der Makro-Ebene zu verknüpfen. Es gibt zweifelsohne eine individuelle und eine soziale Dimension, die es zu berücksichtigen gilt. In Abschnitt 3.3.1.2 sind soziale Konstrukte deshalb bereits als fundamentales Konzept zur Koordinierung von Agentenverhalten vorgestellt worden. In dem Abschnitt 3.3.1.2 sind insbesondere zwei unterschiedliche Aspekte sozialer Konstrukte für diese Dissertation als besonders wichtig eingestuft worden. Der erste Aspekt bezieht sich auf soziale Konstrukte als Repräsentationsformat für soziale Phänomene. Der zweite Aspekt beruht auf der Erkenntnis, dass sich hinter jedem sozialen Konstrukt auch ein Prozess verbirgt. Dieser Prozess bestimmt, inwiefern sich die Agenten einer Gemeinschaft dazu verpflichtet fühlen, sich an bestimmte soziale Konstrukte zu binden und diese Konstrukte durch ihre Handlungen in ihrer Existenz zu stärken26. Der Wichtigkeit dieser beiden Aspekte entsprechend werden soziale Konstrukte in dieser Dissertation auf zweifache Weise verwendet: Einerseits dazu, soziale Phänomene zu 26

Der Englische Terminus commitment trifft den zu beschreibenden Sachverhalt präziser als die

Termini Verpflichtung und Bindung. 128

repräsentieren, andererseits als Prozess, der Einfluss auf die Handlungsauswahl der Agenten nimmt und darauf abzielt sozial erwünschtes Verhalten zu unterstützen. Abbildung 4-2 zeigt wie dieser Prozess, der gleichzeitig die Aufrechterhaltung und das Entstehen sozialer Konstrukte gewährleistet in der SCAR-Architektur realisiert wird. In der Abbildung 4-2 sind zwei Agenten dargestellt (Agent A und Agent B), die beide in ihre soziale Umwelt eingebettet sind. Jeder der beteiligten Agenten hat für seine Handlungsauswahl eine zweifache Verpflichtung. Einerseits ist jeder dazu verpflichtet, seinen eigenen Zielen zu folgen, andererseits ist er aber auch dazu angehalten, vorherrschende soziale Konstrukte mit zu berücksichtigen. Man kann auch sagen, dass der Agent gewissermaßen an seine persönlichen Ziele, gleichzeitig aber auch an soziale Vereinbahrungen gebunden ist. Wie stark der Entscheidungsprozess durch soziale Konstrukte beeinflusst wird, hängt davon ab, ob, wie oft und wie stark das jeweilige Konstrukt von der Gemeinschaft bestätigt oder abgelehnt wurde. Dieser Verstärkungs- bzw. Abschwächungsmechanismus geschieht mittels Signalen, die entweder verbal oder aber auch durch expressive Handlungen ausgedrückt werden können. Die Signale selbst sind Teil des Handlungsrepertoires der Agenten und können entweder positiv, negativ oder neutral sein. Positive Signale verstärken ein soziales Konstrukt und seinen Einfluss auf den Entscheidungsprozess. Der Einfluss eines sozialen Konstrukts verringert sich, wenn es nicht verstärkt oder sogar durch negative soziale Signale abgeschwächt wurde.

SOZIALE UMWELT „Gebunden“ an

Ist_Teil_von

Agent A

„Gebunden“ an

Agent B Signale

Handlungen Ziele

Positiv

Negativ/ Neutral

Ziele

schwächt

verstärkt

Wissen

Handlungen

Soziale Konstrukte

Ist_TeiI_von

Wissen

Ist_Teil_von

Abbildung 4-2: Zwei Agenten in ihrer sozialen Umwelt und die Emergenz sozialer Konstrukte.

129

Anmerkung: Die Abbildung zeigt den Prozess der sozialen Konstruktion. Jeweils zwei Pfeile, gehen aus den beiden Kästen heraus, die die beiden Agenten (Agent A und Agent B) repräsentieren. Sie zeigen die zweifache Gebundenheit (engl.: commitment) eines jeden Agenten. Einerseits ist ein Agent seinen Zielen, andererseits aber auch sozialen Konstrukten gegenüber verpflichtet. Die aus dem Kasten SozialeKonstrukte auf die Wissensrepräsentation der Agenten zeigenden Pfeile stellen die Tatsache dar, dass soziale Konstrukte gleichzeitig auch Gedächtnisrepräsentationen sozialer Phänomene sind. Es handelt sich bei diesen Repräsentationen in der Regel um geteiltes Wissen. Die aus dem Kasten Signale unten ausgehenden Pfeile stellen den Kern des Prozesses dar. Positive Signale verstärken ein soziales Konstrukt und seinen Einfluss auf den Entscheidungsprozess. Der Einfluss eines sozialen Konstrukts verringert sich, wenn es nicht verstärkt, oder sogar durch negative soziale Signale abgeschwächt wird.

4.1.5

Zusammenführung der Architekturkomponenten

Abbildung 4-3 zeigt das Zusammenspiel der vorgestellten Komponenten. Sie zeigt die Innenansicht eines einzelnen Agenten und die Hauptkomponenten aus denen er besteht. Anhand dieser Abbildung wird nun zusammenfassend die Informationsverarbeitung eines Agenten beschrieben: Im Kasten links oben ist die Aufnahme neuer Informationen über den Wahrnehmungsapparat des Agenten angedeutet. Aus diesem mit Wahrnehmung gekennzeichneten Kasten gibt es Wirkungen auf drei weitere Elemente. (Diese Wirkungen sind durch Pfeile repräsentiert). Die Hauptwirkung ist dabei auf das Gedächtnis gerichtet. Nachdem die neue Information wahrgenommen wurde, gelangt sie also zunächst in das Gedächtnis. Im Arbeitsgedächtnis landen jene Teile der Information, die für die Entscheidungsfindung des Agenten relevant sind. Spätestens nach deren Abarbeitung wird die wahrgenommene Information im Langzeitgedächtnis gespeichert. Dort wird die Information typisiert abgelegt. Eine für diese Dissertation besonders interessante Klasse von Gedächtnisinhalten sind soziale Konstrukte, weshalb die Wahrnehmung natürlich u. U. auch die durch diese Konstrukte repräsentierten Sachverhalte ändert. Der dritte Pfeil richtet sich direkt auf die Ziele des Agenten. Bestimmte Stimuli aus der Umwelt haben – ohne weitere Verarbeitung – direkten Einfluss auf die Ziele von Agenten. Im SCAR-Modell sind solche direkten Einflüsse durch die Wahrnehmung von Akzeptanzsignalen gegeben (vgl. Abbildung 4-12). Von den Modulatoren aus gibt es eine direkte Einwirkung auf den Wahrnehmungsprozess. Die Modulatoren und ihre Wirkweise wurden im Abschnitt 4.1.2.2 vorgestellt. Sie bestimmen nicht

130

was, sondern vielmehr wie die Dinge verarbeitet werden. Sie können beeinflussen wie präzise die aktuelle Situation wahrgenommen wird. Die mit den Zielen verbundenen Werte bilden zusammen mit dem aus dem Gedächtnis stammenden Erwartungswert das Kernstück für die Bildung der Intention. Nach dem WertErwartung-Prinzip, das in seiner hier verwendeten Wirkweise in Abschnitt 4.1.3.1 vorgestellt wurde, wird dasjenige Ziel zur Intention, das nach der Multiplikation des Wertes mit dem Erwartungswert mit dem höchsten Resultat assoziiert ist. Zu jedem Zeitschritt wird der Erwartungswert eines jeden Ziels, nach Wahrnehmung der aktuellen Situation, verändert. Je nachdem, ob das mit ihm verknüpfte Ziel im Vergleich zum vorherigen Zeitschritt nun besser oder aber weniger gut erfüllt ist, wird dieser Wert entweder erhöht oder erniedrigt. Der Erwartungswert repräsentiert die Wahrscheinlichkeit, mit der ein Ziel erreicht werden kann. Der Wert eines Ziels bemisst sich daran, inwieweit das Ziel bisher erreicht wurde. Dieser Wert wird aber auch durch die vorherrschenden sozialen Konstrukte beeinflusst. Hat ein Agent beispielsweise einen Bedarf nach Ressourcen, dann kann das Ziel sein, möglichst viele Ressourcen aus der Umwelt zu entnehmen. Da der Bedarf nach diesem Ziel hoch ist, ist prinzipiell auch der mit diesem Ziel assoziierte Wert hoch. Existiert aber eine gültige Norm, die besagt, dass die Ressource derzeit nicht angetastet werden darf, und ist zudem die Verpflichtung gegenüber dieser Norm hoch, dann schmälert dieses Commitment den Wert, den das Ausbeuten der Umweltressource hat. Mit anderen Worten: der Wert wird kleiner.

131

Abbildung 4-3: Darstellung der Wirkzusammenhänge in der SCAR-Architektur. In Abschnitt 4.1.4 wurde gezeigt wie Agenten einer Gesellschaft dazu kommen soziale Konstrukte aufzubauen und welche Mechanismen dafür verantwortlich sind, ob und inwiefern sich Agenten an soziale Vereinbarungen gebunden fühlen. Die Bildung des Wertes durch basale „low-level-Ziele“ und die Beeinflussung dieses Wertes durch soziale „high-level-Ziele“ beschreibt die Logik der Aggregation. Durch den im Abschnitt 4.1.4 beschriebenen Mechanismus zur Verarbeitung sozialer Konstrukte werden individuelle Entscheidungen auf kollektive Ereignisse bezogen. Schließlich werden auf dieser Ebene die individuellen Entscheidungen und Handlungen mit kollektiven Zielen verknüpft.

4.2

SCAR-Modell

Im Rahmen dieses Abschnitts wird das SCAR-Modell vorgestellt. Das SCAR-Modell ermöglicht die computergestützte Untersuchung von solchen sozialen Konflikten, die durch Knappheit von Umweltressourcen gekennzeichnet sind. Die Untersuchungen von Konflikten um knappe, bedingt regenerationsfähige Ressourcen geschehen anhand von Spielsituationen. In Abschnitt 2.5 wurde bereits für die Untersuchung sozialer Konflikte anhand von Spielsituationen argumentiert. 132

Die Modellbildung basiert auf der im vorherigen Abschnitt beschriebenen SCAR-Architektur. Sie bildet den Rahmen für die Modellierung der Agenten. Technisch wird das SCAR-Modell auf der Grundlage des Simulationswerkzeugs Repast (Recursive Porus Agent Simulation Toolkit) realisiert. Repast erlaubt es agentenbasierte Simulationen mit Hilfe der Programmiersprache Java zu erzeugen. Inhaltlich wurde das Modell anhand von Anforderungen, die im Verlauf dieses Kapitels erarbeitet werden konkretisiert. Bevor aber auf die Anforderungen und wie diesen entsprochen wird, im Detail eingegangen wird, soll zunächst (in Abschnitt 4.2.1) ein kurzer Überblick darüber gegeben werden, welche Komponenten für das Modell wichtig sind und wie das Simulationsspiel gespielt wird.

4.2.1

Modellüberblick

In diesem Abschnitt wird ein kurzer Überblick über die grundlegende Struktur des SCARModells und dem mit ihm assoziierten Simulationsspiel gegeben. Bei dem Simulationsspiel handelt es sich um ein Zwei-Agenten-Spiel, in dem die beiden Agenten mit einer „natürlichen“ Umweltressource konfrontiert werden, die es zu managen gilt. Es wird angenommen, dass beide Agenten einen Bedarf nach der Ressource haben und deshalb geneigt sind sie abzuernten. Diese Umweltressource ist in diesem Spiel erneuerbar, wobei es einen definierten Bereich gibt, in dem sich die Umweltressource optimal vermehren kann (vgl. Abbildung 4-5). Generell gilt unterhalb dieses Optimums: Je weiter die Ressourcenmenge (nach der Entnahme durch die Agenten) vom Optimum entfernt ist, desto geringer ist ihre Regenerationsfähigkeit. Die beiden Agenten haben zu jedem Simulationszeitschritt die Möglichkeit mehr oder weniger viel von der Umweltressource zu nehmen. Gleichzeitig können sie sich aber auch gegenseitig durch verbale Kommunikationen beeinflussen. Das Problem besteht nun darin, dass die Umweltressource übernutzt werden kann. Entnehmen beide Agenten über die Zeit viel von der Umweltressource, dann besteht die Gefahr, dass die Ressource ausstirbt und niemand mehr von ihr profitieren kann. Es handelt sich um ein ökologisch-soziales Dilemma. Zu der grundlegenden Struktur lässt sich festhalten, dass das SCAR-Modell im Kern aus zwei Komponenten besteht: zum einen aus den Agenten und zum anderen aus der Umwelt, in die die Agenten eingebettet sind. Die Umwelt lässt sich weiter aufteilen in eine physikalische und eine

133

soziale Umwelt. Die physikalische Umwelt ist die real-stoffliche bzw. gegenständliche Umwelt des Agenten. Im SCAR-Modell gehören die Umweltressource und ihre Wachstumseigenschaften zur physikalischen Umwelt. Die beiden Agenten und die zwischen ihnen geltenden Interaktionsregeln hingegen bilden die soziale Umwelt.

4.2.2

Generelle Anforderungen an das Modell

In diesem Abschnitt werden die generellen Anforderungen an das SCAR-Modell aufgestellt. Ein wichtiger Einflussfaktor sind die in Abschnitt 1.3 aufgestellten Forschungsfragen. Abstrakt formuliert bezieht sich ein Teil der Fragen einerseits auf die Wirkweise von sozialen Interaktionen im Allgemeinen. Anderseits werden durch weitere Forschungsfragen jene Prozesse hinterfragt, die Konflikten zugrunde liegen. Die aufgestellten Forschungsfragen gründen sich dabei auf bisherige Untersuchungen aus dem Bereich der sozialen Konflikte. Hierzu zählen insbesondere die im Kapitel 2 vorgestellten Arbeiten aus dem Forschungsbereich. Darüber hinaus liefert die MAS-Theorie (Kapitel 3) wichtige Hinweise auf jene Anforderungen, die sich auf die Ausgestaltung der Agenten und die Bestimmung ihrer sozialen Umwelt beziehen. Beide Faktoren, die Empirie und die darauf aufbauenden Forschungsfragen, gründen sich auf die beobachteten Phänomene, die für den Forschungsgegenstand als wichtig erachtet werden. Zusammen liefern sie entscheidende Anhaltspunkte für die Bestimmung der generellen Anforderungen an das Modell. Abbildung 4-4 illustriert die Herkunft der Modellanforderungen auf der Basis der bisherigen Forschung und der aufgestellten Forschungsfragen: In der Abbildung ist die Umwelt durch einen grauen Kasten repräsentiert, der sowohl die soziale als auch die physikalische Umwelt umfasst. Die Eigenschaften der gesamten Umwelt, in die die Agenten eingebettet sind, werden durch die Forschungsfragen, die sich wiederum auf Erkenntnisse aus der Konfliktforschung stützen, bestimmt. Gleichzeitig haben diese Erkenntnisse aber auch Auswirkungen auf die Anforderungen an die Agenten. (In Abbildung 4-4 ist dies durch zwei Pfeile veranschaulicht, die ausgehend von den Forschungsfragen einerseits Einfluss auf die Umwelt, andererseits auf die Agenten nehmen). Die Eigenschaften der physikalischen Umwelt stützen sich auf das in Abschnitt 2.5.2 vorgestellte Fischereikonfliktspiel. Die soziale Umwelt ist maßgeblich durch Ideen des sozialen Konstruktivismus und der MAS-Theorie geprägt. Beide Forschungsfelder geben wichtige Hinweise darauf, welche Art von sozialen Interaktionsmechanismen und -mustern in dem Modell realisiert werden müssen. 134

Bisherige Forschung Beispielbereiche: - MAS-Forschung - Konfliktforschung - Spieltheorie etc.

Forschungsfragen Themen: - Soziale Interaktion Beeinflusst - Soziale Konflikte

Bestimmen Anforderungen an

Agenten Bestandteile: - Kognition - Soziale Fähigkeiten

Umwelt Physikalische Umwelt Bestandteile: - Umweltressource - Wachstumseigenschaften

Soziale Umwelt Bestandteile: - Zwei Agenten - Interaktionsmuster

Bestimmt Anforderungen an

Abbildung 4-4: Herkunft von Umwelteigenschaften und Anforderungen des SCAR-Modells. Treibende Kraft zur Bestimmung der Anforderungen an das Agentendesign ist – neben den Forschungsfragen – vor allem die Umwelt in der die Agenten leben. (In Abbildung 4-4 wird dieser Sachverhalt durch den aus der Umwelt (unten) ausgehenden Pfeil illustriert). Die Agentenumwelt gibt also zusammen mit einer Auswahl von aufgestellten Forschungsfragen und Beobachtungen aus der Konfliktforschung maßgeblich vor, über welche überlebenswichtigen Eigenschaften die sich in ihr befindlichen Agenten verfügen müssen. In Abschnitt 3.2.4 wurde bereits auf die Wichtigkeit der Umwelteigenschaften für die Modellierung von MAS hingewiesen. Da die Agenten sowohl in ihrer physikalischen als auch in ihrer sozialen Umwelt zurecht kommen sollen, müssen die Agenten des SCAR-Modells sowohl über kognitive, als auch soziale Fähigkeiten verfügen. Der Grundstein zur Realisierung dieser Fähigkeiten wurde mit der SCAR-Architektur gelegt. Was das modellspezifisch bedeutet, kann erst dann ausführlich erläutert werden, wenn auch die vorherrschenden Umwelteigenschaften im Detail beschreiben wurden. Im folgenden Abschnitt werden zunächst die generellen Anforderungen, die an das Modell gestellt werden spezifiziert. Auf Basis der generellen Anforderungen können die Eigenschaften der Umwelt festgelegt und beschrieben werden. Nach der Beschreibung der Umweltbedingungen werden dann spezifische Anforderungen an das Agentendesign abgeleitet.

135

4.2.2.1 Anforderungen anhand konflikttheoretischer Überlegungen und Forschungsfragen Die Anforderungen, die an das SCAR-Modell gestellt werden, können gerade in Abgrenzung zu bereits bestehenden Ansätzen aus dem Forschungsfeld zu sozialen Konflikten (vgl. Kapitel 2) resultieren: In Abgrenzung zur klassischen Spieltheorie (vgl. von Neumann & Morgenstern, 1944) werden mit dem SCAR-Modell keine Nullsummenspiele behandelt. Es werden vielmehr Probleme über die Zeit betrachtet, so wie es oft auch neuere Ansätze tun, die auf spieltheoretischen Überlegungen fußen (vgl. hierzu Axelrod, 2000; Ernst et al., 2000). Erst durch iterierte Spiele lässt sich nämlich beobachten, wie sich soziale Strukturen und soziale Phänomene allmählich herausbilden. Auch soziale Konflikte bilden sich erst nach und nach als Ergebnisse von sozialen Interaktionen heraus (vgl. hierzu Glasl, 2004; Messmer, 2003). Voraussetzung für die Aufklärung solcher sozialen Strukturen ist jedoch, dass die entsprechenden Modelle Mechanismen realisieren, anhand derer diese Entwicklungen nachvollzogen werden können. Die erste Anforderung, die sich daraus für das SCAR-Modell ergibt, ist die Realisierung solcher Mechanismen. Generell lässt sich beobachten, dass die Berücksichtigung von Prozessen der sozialen Interaktion in der bisherigen Konfliktforschung meist außer Acht gelassen wird. Bei der Untersuchung von sozialen Konflikten ist es überdies nicht nur wissenswert, wie Konflikte entstehen, sondern auch, wie Kooperation überhaupt möglich wird. Eine Vorstufe der Kooperation ist die Koordination. Es muss eine Handlungskoordination geben, die es Akteuren prinzipiell ermöglicht Konfliktpfade zu vermeiden oder aber auch verlassen zu können. Die zweite Anforderung an das Modell ist also die Offenlegung von Koordinationsprozessen. Anforderung drei besteht darin das SCAR-Modell im Vergleich zu spieltheoretischen Modellen realistischer zu machen. Wird in der Spieltheorie in der Regel mit einer festen Auszahlungsmatrix gearbeitet, so wird im SCAR-Modell mit dynamischen Auszahlungen gearbeitet: Das, was in einem Spielzug aus der Umweltressource entnommen wird, steht im nächsten Zeitschritt für die Regeneration nicht mehr zur Verfügung. Auf diese Weise kann die Umweltressource übernutzt werden und sogar aussterben (vgl. hierzu Ernst, 2008, S. 383). Ein weiterer Punkt, der die Spieler realistischer macht, ist die Berücksichtigung der Heterogenität von Agenten. Klassische Lerntheorien, die in Spielen verwendet werden, nehmen an, dass die Spieler nur die Strategien ihrer Gegner wahrnehmen können. Das SCAR-Modell fügt dem hinzu, dass Spieler durch 136

phänotypische Charaktereigenschaften bestimmt sind, die ebenfalls in die Entscheidung der Agenten mit einfließen können. Es gibt im SCAR-Modell beispielsweise Agenten, die verhältnismäßig zu anderen stärker auf positive soziale Signale angewiesen sind. Ein weiterer Punkt, der bei spieltheoretischen Handlungsmodellen als problematisch gilt, ist der, dass sie die Herkunft der Interessen und Ziele, und damit die unabhängigen Variablen, nicht erläutern. Somit wird auch das von den Interessen abhängige Verhalten der Akteure nicht erklärt. Die vierte Anforderung, die sich aus dieser Beobachtung für das SCAR-Modell ableiten lässt, ist die, dass das Modell die Entstehung von Interessen sichtbar machen soll. Eine Möglichkeit zur Änderung von Interessen und Zielen wird beispielsweise durch Kommunikationen möglich. Durch Kommunikationen kann ein Agent Einfluss auf die Interessen ausüben und damit auch auf den Verlauf von sozialen Konflikten. In Spielsituationen, wie sie hier betrachtet werden, sind die einfachste Form der Kommunikation expressive Spielzüge. Im Rahmen des skizzierten Simulationsspiels wären das z.B. extrem hohe Entnahmen aus der Umweltressource oder aber auch der Verzicht auf Ressourcenausbeutung. Sie sind oft sehr wirksam und glaubhaft, da die Lage durch einen solchen Spielzug in eine unumkehrbare Richtung verändert wird. Eine Handlungsfolge, in der eine gewisse Linie zu entdecken ist, gibt unmissverständlich Auskunft über die Wertrangordnung und den Handlungsspielraum des Handelnden (Bühl, 1976). Expressive Spielzüge alleine sind aber nicht genug, um die Entwicklung von sozialen Konflikten nachvollziehen zu können. Auch die (verbalen) sozialen Signale des Gegenübers werden mit in die Entscheidung einbezogen. Ein rein auf die Ressource fixiertes Verhalten – das haben z.B. Ultimatumspiele gezeigt – widerspricht der Empirie. Die fünfte Anforderung, die sich für das SCAR-Modell daraus ergibt, ist, dass die Agenten dazu in der Lage sein sollten sowohl expressive Spielzüge, als auch verbale soziale Signale ausführen zu können. Das bedeutet aber auch, dass die Agenten nicht nur in einer physikalischen, sondern auch in eine soziale Umwelt eingebettet sein müssen. Die physikalische Umwelt muss derart gestaltet sein, dass es sich dabei um ein ökologisch-soziales Dilemma handelt. Die Forschungsfragen, die in Abschnitt 1.2 gestellt wurden, erfordern die Untersuchung von sozialen Konflikten anhand ihrer Prozesstypik. Die Fragen drehen sich allesamt um Eskalationsund Deeskalationsprozesse, die sich auf die Knappheit von Umweltressourcen beziehen. Die Forschungsfragen können überwiegend dann beantwortet werden, wenn es ein Maß gibt, anhand dessen die Intensität von sozialen Konflikten bestimmt werden kann. Die im Kapitel 2 in den 137

Abschnitten 2.4.1 und 2.4.2 vorgestellten Prozessmodelle von Glasl (2004) und Messmer (2003) können in stark abstrahierter Form dazu verwendet werden, um qualitative Aussagen über den Konfliktprozess machen zu können. Die Anforderung, die sich daraus für das SCAR-Modell ergibt, ist die Entwicklung eines solchen Maßes.

4.2.2.2 Zusammenfassung der Anforderungen Folgende Anforderungen konnten bisher für das SCAR-Modell identifiziert werden: 1) Die Realisierung von sozialen Mechanismen anhand derer Entwicklungen (über die Zeit) nachvollzogen werden können. 2) Die Offenlegung von Koordinationsprozessen (basierend auf Kommunikationen). 3) Im Vergleich zur Spieltheorie soll die Modellierung realistischer werden. Folgende Anforderungen ergeben sich aus dieser Forderung: a) die Umwelteigenschaften sollen dynamisch sein, b) es ist wünschenswert, dass die Agenten, was ihre Persönlichkeitseigenschaften angeht, heterogen sind, c) die Einführung von Modulatoren zur Abbildung subjektiv gefärbter (nicht perfekter) Wahrnehmung. 4) Die Entstehung von Interessen und Zielen muss sichtbar gemacht werden. 5) Kommunikationsfähigkeit der Agenten, dazu gehört die Fähigkeit zur Ausführung von a) expressiven Spielzügen und b) verbaler Kommunikation. 6) Die Untersuchung von sozialen Konflikten auf der Basis ihrer Prozesstypik anhand eines Maßes, das auf qualitativen Prozessmodellen der Konflikteskalation beruht.

Im Folgenden werden nun die Umwelteigenschaften des SCAR-Modells detailliert beschrieben, die sich ihrerseits nach den bisher identifizierten Anforderungen ausrichten. Nach der Bestimmung der

Umwelteigenschaften

können

dann

in

einem

zweiten

Schritt

die

Agenteneigenschaften – aufbauend auf den Anforderungen, die die Umwelt den Agenten auferlegt – näher spezifiziert werden.

138

4.2.3

Umwelteigenschaften

Die Umwelteigenschaften sind so gewählt worden, dass sich theoretisch zu jedem Simulationszeitpunkt soziale Konflikte um Umweltressourcen herausbilden können. Es wird schnell klar, dass eine Dilemmasituation maßgeblich von den strukturellen Begebenheiten abhängt, denen die Agenten ausgesetzt sind. So könnte ein Konflikt um Umweltressourcen beispielsweise nicht entstehen, wenn die Umweltressource unbegrenzt verfügbar wäre. Bei der Bestimmung der in einem Spielzug gültigen Handlungsoptionen und der vorgestellten Wachstumseigenschaften der Umweltressource (vgl. Abschnitt 4.2.1) wurde berücksichtigt, dass es zu jeder Zeit möglich sein muss, dass sich ein sozialer Konflikt herausbilden kann. Unter Zuhilfenahme der in Abschnitt 3.2.4 vorgestellten Umweltkriterien, können die Umwelteigenschaften

systematisch

beschrieben

werden.

Auf

der

Basis

dieser

Umwelteigenschaften lassen sich dann in einem zweiten Schritt Anforderungen, die sich auf die Modellierung der SCAR-Agenten beziehen, genauer bestimmen.

4.2.3.1 Physikalische Umwelt Die physikalische Umwelt ist die real-stoffliche bzw. gegenständliche Umwelt des Agenten. Sie wird im SCAR-Modell im Wesentlichen durch die Ressource und ihren Zustand bestimmt. Abbildung 4-5 zeigt die Ressourcenverteilung für jede neue Spielrunde, d.h. für jeden Simulationsschritt. Die Vermehrungseigenschaft der Ressource ist in Anlehnung an die von Spada und Opwis (1985) für das Fischereikonfliktspiel (vgl. Abschnitt 2.6.2) verwendete Vermehrungsfunktion gewählt. Auf der X-Achse von Abbildung 4-5 ist der Restbestand nach einem Simulationsschritt (d.h. nach Entnahme durch beide Agenten) aufgetragen. Auf der Y-Achse ist aufgetragen, wie viel Ressourceneinheiten insgesamt für die nächste Runde bereit stehen.

139

Abbildung 4-5: Ressourcenwachstum pro Zeitschritt. Anmerkung: Die X-Achse zeigt den Bestand vor der Vermehrung, die Y-Achse den Bestand nach der Vermehrung. Wie viele Ressourceneinheiten insgesamt für die nächste Runde bereit stehen, kann also anhand des aktuellen Ressourcenbestandes ermittelt werden. Dies geschieht indem der korrespondierende Wert auf der Y-Achse (grünen Linie) abgelesen wird. Neben der grünen Linie ist zusätzlich eine Referenzlinie aufgetragen. Die Anzahl der neuen Ressourcen (für die nächste Runde) im Vergleich zum Restbestand der letzten Runde, kann auf der Y-Achse als Differenz der beiden Linien ermittelt werden. Unterschreitet die Ressourcenmenge den Wert von 25 Einheiten, dann ist die Regenerationsfähigkeit der Umweltressource nicht mehr gegeben, so dass sie bei weiterer Entnahme aussterben muss. Das optimale Wachstum liegt bei 65 Ressourceneinheiten. Es kann maximal 100 Einheiten der Umweltressource geben.

Angenommen, der Umweltressource geht es gut, so dass der aktuelle Bestand genau die optimale Wachstumseigenschaft ermöglicht (das ist der Fall, wenn der Restbestand bei 65 Ressourceneinheiten liegt). Entnehmen dann beide Agenten innerhalb eines Simulationsschritts maximal viel (vier Ressourceneinheiten), dann kommt es – trotz optimaler Vermehrung der Umweltressource – zu einer Abnahme des Ressourcenbestands. Ein beidseitiges Festhalten an der Strategie der maximalen Entnahme würde auf lange Sicht zum Aussterben der Ressource führen.

140

4.2.3.1.1

Physikalische Umwelteigenschaften aus Systemsicht

Die Umweltkriterien, die Hartmut Bossel für beliebige Systemumwelten findet, wurden in Abschnitt 3.2.4.1 bereits dargelegt. Wenn eine Systemumwelt systematisch beschrieben werden soll, dann erscheint es sinnvoll, etwas über jedes dieser Umweltkriterien auszusagen. Die physikalische Umwelt des SCAR-Modells wird deshalb jetzt anhand dieser Kriterien beschrieben: Normalzustand: Der Normalzustand, in dem sich die Ressource befindet, ist hier durch ihre verbleibende Menge nach der Entnahme durch die Agenten definiert. Ist der verbleibende Ressourcenbestand noch groß genug, so dass sich die Ressource aus sich selber heraus weiter vermehren kann, dann befindet sie sich innerhalb des Normalzustands. Andernfalls befindet sie sich außerhalb des Normalzustandes. Konkret kann dieser Sachverhalt anhand von Abbildung 4-5 nachvollzogen werden. Der Ressourcenbestand des Umweltguts sollte normalerweise überhalb von 25 Ressourceneinheiten liegen. Eine Ressourcenmenge, die unter der Marke von 25 Ressourceneinheiten liegt, führt bei weiteren Entnahmen unweigerlich zum Aussterben der Ressource. Ressourcenknappheit: Die Knappheit von Ressourcen bezieht sich im SCAR-Modell auf das Umweltgut. Umweltwandel: In einen dauerhaft anderen Zustand gerät die physikalische Umwelt dann, wenn die beiden Agenten die Ressource zugrunde gerichtet haben. Unterschreitet der Ressourcenbestand den Normalzustand, dann ist sie unwiederbringlich zerstört. Die restlichen von Bossel aufgezeigten Umweltkriterien kommen dann zum Tragen, wenn die soziale Umwelt betrachtet wird. Umweltvielfalt und Umweltunsicherheit werden durch die physikalische Umwelt nicht erzeugt. Diese Eigenschaften entstehen in dem Modell erst durch die soziale Interaktion mit anderen Agenten und gehören somit zu den Eigenschaften der sozialen Umwelt.

4.2.3.1.2

Physikalische Umwelteigenschaften aus MAS-Sicht

Die von Russell und Norvig (2002) und Wooldridge (1999) gefundenen Umwelteigenschaften wurden in Abschnitt 3.2.4.2 vorgestellt. Eine ergänzende Beschreibung der Umwelt anhand der von ihnen postulierten Umweltkriterien erlaubt es, die physikalische Umwelt des SCAR-Modells möglichst vollständig zu beschreiben: 141

Sichtbarkeit: Was den Zustand der Umweltressource anbelangt, haben die Agenten im SCARModell eine ihnen voll zugängliche Umgebung. Das ist aber tatsächlich nur dann der Fall, wenn sich die Agenten in ihrem Normalzustand befinden. Ein erregter Agent kann seine Umwelt nicht mehr so wahrnehmen wie sie ist (vgl. hierzu die Ausführungen zu den Modulatoren, Abschnitt 4.1.2.2). Vorhersagbarkeit: Aus der Sicht eines Agenten liegt eine deterministische Umwelt vor, wenn der Folgezustand eindeutig durch den aktuellen Zustand der Welt und die auszuführende Aktion festgelegt ist. Insofern ist die physikalische Umwelt der Agenten im SCAR-Modell deterministisch. Abhängigkeit von der Historie: Die physikalische Umwelt ist unabhängig von der Historie, d.h. es spielt keine Rolle, wie und in welcher Form es zum aktuellen Ressourcenbestand gekommen ist. Die Wachstumseigenschaft verändert sich während der gesamten Spieldauer nicht. Kontrollierbarkeit: Die physikalische Umwelt eines SCAR-Agenten wird als statisch angesehen. Aus technischer Perspektive geschieht die Handlungsausführung der Agenten sequenziell. Das bedeutet, dass sich die Umwelt – zwischen der Wahrnehmung und der ausgeführten Handlung – tatsächlich zumindest für einen der Agenten in der Zwischenzeit ändert. Dies hat aber keinen Einfluss auf den Entscheidungsprozess, da sich zu diesem Zeitpunkt bereits beide Agenten zu einer Handlung entschlossen haben. Stetigkeit: Es handelt sich bei der Umwelt im SCAR-Modell um eine diskrete Umgebung, da eine fixe und endliche Anzahl von möglichen Wahrnehmungen und Handlungen existieren.

4.2.3.2 Soziale Umwelt Neben der physikalischen Umwelt existiert überdies auch noch eine soziale Umwelt, in die die beiden Agenten im Modell eingebettet sind. In Abbildung 4-2, Abschnitt 4.1.4 wurde dies bereits anhand der SCAR-Architektur im Zusammenhang mit sozialer Konstruktion illustriert. Das Eingebettetsein in eine soziale Umwelt bedeutet im SCAR-Modell, dass das eigene Verhalten der Agenten nicht nur durch die Eigenschaften der Umweltressource, sondern auch vom Verhalten und den Präferenzen eines anderen Agenten abhängt. Granovetter spricht in diesem Zusammenhang auch von „social embeddedness“. Actors do not behave or decide as atoms outside a social context, nor do they adhere slavishly to a script written for them by the particular intersection of social categories that 142

they happen to occupy. Their attempts at purposive action are instead embedded in concrete, ongoing systems of social relations (Granovetter, 1985, S. 487). Auch die entscheidungstheoretische Konfliktforschung verspricht Erfolg erst, seit sie sich von der Frage der ausschließlich persönlichen Entscheidungsfindung abgewandt und der Konstruktion von Entscheidungssystemen zugewandt hat. Aus einer soziologischen Perspektive hat das Einbeziehen der sozialen Umwelt in den Entscheidungsprozess den Vorteil, dass der Konflikt nicht mehr als ein Ereignis im Gehirn eines einzelnen gesehen, sondern dass er als eine Abfolge von sozialen Ereignissen dargestellt wird (Bühl, 1976). Durch die Existenz von sozialen Interaktionsmechanismen und -regeln, die in der sozialen Umwelt wirksam sind, kann es im Zusammenhang mit dem Management einer begrenzt verfügbaren Umweltressource zu einem gemeinsamen Verständnis davon kommen, wie mit der Umweltressource umgegangen werden soll. Diese Interaktionsmechanismen sind im SCAR-Modell durch soziale Konstruktion bestimmt. In Abschnitt 4.1.4 wurde die grundlegende Wirkweise bereits erläutert. Ein Beispiel zur Regulation von Entnahmen im Rahmen des Simulationsspiels sind Normen. Sie werden als Beispiele für soziale Konstruktion herangeführt, wenn im Abschnitt 4.2.4.5 näher auf die Implementierungsdetails von sozialen Konstrukten eingegangen wird. Zunächst soll nun die soziale Umwelt nach den in Abschnitt 3.2.4 vorgestellten Umweltkriterien systematisch beschrieben werden.

4.2.3.2.1

Soziale Umwelteigenschaften aus Systemsicht

In Abschnitt 3.2.4.1 wurden die Umweltkriterien, die Hartmut Bossel für beliebige Systemumwelten aufgestellt hat, dargelegt. In Abschnitt 4.2.3.1.1 wurden diese Kriterien bereits dazu verwendet, um die pysikalische Umwelt im SCAR-Modell systematisch zu beschreiben. Die gleichen Kritereien werden nun für die Beschreibung der sozialen Umwelt im SCAR-Modell angewendet. Normalzustand: Der Normalzustand, in dem sich ein Agent befindet ist durch seine Erregung (engl. arousal) bestimmt. Eine niedrige Erregung wird als normal eingestuft. Ein aufgebrachter Agent wird in diesem Sinn als von seinem Normalzustand abweichend erlebt. Ressourcenknappheit: Einerseits kann der Bestand der Umweltressource gering sein – was eine Eigenschaft der physikalischen Umwelt ist. Andererseits kann aber auch die Menge der 143

Umweltressource, über die ein Agent selbst verfügt, subjektiv gering sein. Gleichzeitig kann sich die Knappheit von Ressourcen aber auch auf Informationen beziehen. Bekommt ein Agent keine positive Bestätigung durch das Gegenüber, dann kann auch dies zu einem Mangel führen. Umweltvielfalt: Die Umweltvielfalt ist im SCAR-Modell weitestgehend klein gehalten. Umweltvielfalt entsteht vorrangig dadurch, dass Agenten sich eine Umwelt teilen müssen. Um längerfristig gute Ergebnisse erzielen zu können muss jeder der beteiligten Agenten den internen Zustand des Gegenübers in seine Überlegung mit einbeziehen. Umweltunsicherheit: Die Agenten verfügen im SCAR-Modell lediglich über beschränkte Informationen. Ihnen ist beispielsweise der interne Zustand des Gegenübers nicht bekannt. Ein unerwartetes Verhalten – etwa eine plötzlich starke Ressourcenentnahme des Gegenübers – führt zu Unweltunsicherheit. Andere Systeme: Aus der Perspektive eines einzelnen Agenten sind das z.B. die anderen Agenten, mit denen dieser eine Umwelt teilt.

4.2.3.2.2

Soziale Umwelteigenschaften aus MAS-Sicht

In Abschnitt 3.2.4.2 wurden die von Russell und Norvig (2002) und Wooldridge (1999) gefundenen Umwelteigenschaften vorgestellt. Wurden diese Kriterien in Abschnitt 4.2.3.1.2 zur Beschreibung der pysikalischen Umwelt herangezogen, so wird nun die soziale Umwelt des SCAR-Modells anhand dieser Kriterien beschrieben: Sichtbarkeit: Während die physikalische Umwelt jedem Agenten im Normalfall voll zugänglich ist, sind die Informationen, die ein Agent über den Gegenspieler hat hingegen unzugänglich. Der interne Zustand des anderen ist lediglich über das von ihm gezeigte Verhalten ableitbar. Das Verhalten des Gegenübers kann somit nicht mit Sicherheit vorausgesagt werden. Insofern ist die soziale Umwelt nicht-deterministisch. Abhängigkeit von der Historie: Die soziale Umwelt der SCAR-Agenten ist nicht-episodisch. Das bedeutet, dass das Verhalten der Agenten nicht nur von der aktuellen Episode abhängt, sondern maßgeblich von der Historie mitbestimmt wird. Gemeinsames Wissen wird beispielsweise in einem Prozess der sozialen Konstruktion erzeugt. Auf dieses Wissen wird dann zurück gegriffen, wenn es um die Entscheidungsfindung geht. Es ist bedeutsam, was die Agenten miteinander erlebt haben. 144

Kontrollierbarkeit: Wird die physikalische Umwelt eines SCAR-Agenten als statisch angenommen, so gilt die soziale Umwelt hingegen als dynamisch. Selbst wenn ein Agent A dazu in der Lage wäre den internen Zustand eines anderen Agenten B vollständig zu erfassen, so wäre dennoch nicht gewährleistet, dass dieser Zustand von Agent B zum Zeitpunkt der Handlungsausführung von A noch immer derselbe ist. Das liegt u. a. daran, dass sobald ein Agent seine Umwelt wahrnimmt, sich auch der interne Zustand dieses Agenten mit ändert. Stetigkeit: Es handelt sich bei der sozialen Umwelt im SCAR-Modell um eine diskrete Umgebung, da eine fixe und endliche Anzahl von möglichen Wahrnehmungen und Handlungen existiert. Agentenanzahl: Die SCAR-Umwelt ist von zwei Agenten besetzt.

4.2.3.3 Agentenanforderungen auf Basis von Umwelteigenschaften Aus den beschriebenen Umwelteigenschaften resultieren Anforderungen an die Ausgestaltung der Agenten. Die Anforderungen an das SCAR-Modell lassen sich am besten anhand von zwei Fragen spezifizieren: Die erste Frage, die sich im Bezug auf die soeben beschriebenen Umwelteigenschaften stellt, ist die, welche Fähigkeiten Agenten haben müssen, damit sie theoretisch dazu in der Lage sein können, die physikalische Umwelt erfolgreich zu managen. Die zweite Frage, die sich daran anschließt, ist die, weshalb Agenten trotz dieser prinzipiellen Befähigung es manchmal eben nicht schaffen die Umweltressource nachhaltig zu nutzen. Diesen Fragen wird im Folgenden – unter Berücksichtigung der in diesem Abschnitt vorgestellten Umweltkriterien – nachgegangen: Da Agenten sowohl in eine physikalische, als auch in eine soziale Umwelt eingebettet sind, müssen sie prinzipiell nicht nur über kognitive, sondern auch über soziale Fähigkeiten verfügen. Existieren mehrere Agenten in ein und derselben Umwelt, dann können sie ihre Handlungen gegenseitig beeinflussen. Es kann sogar dazu kommen, dass der eigenen Handlung durch die Handlungen des Gegenübers entgegenwirkt wird. Die Dynamik der sozialen Umwelt verlangt den Agenten intelligentes Verhalten ab. Zwischen Umweltdynamik und Agentenkomplexität besteht prinzipiell eine positive Korrelation. Lediglich die Berücksichtigung beider Faktoren – kognitiver sowie sozialer – erlaubt es den Agenten den Zustand der beschriebenen Umweltressource dauerhaft im Normalzustand zu halten. Plant jeder Agent nur für sich, ohne die Handlungen des

145

Gegenübers mit zu berücksichtigen, dann ist die Katastrophe meist schon vorher bestimmt und der Konflikt spitzt sich zu. Konkret bedeutet das, dass die SCAR-Agenten über einen Koordinationsmechanismus verfügen müssen, der u. a. auch durch die soziale Dimension bestimmt wird. Der Normalzustand eines Agenten wurde im Abschnitt 4.2.3.2.1 durch seinen Erregungszustand definiert. Soll der Normalzustand eines Agenten aufrecht erhalten werden, dann muss das SCAR-Modell für seine Agenten einen Mechanismus bereit stellen, der es zu beurteilen vermag, inwieweit eine Abweichung vom Normalzustand existiert. Bedürfnisse und ihre Verarbeitung, so wie sie in Abschnitt 3.2.3.2 im Rahmen der PSI-Theorie vorgestellt wurden, stellen einen solchen Mechanismus dar. Herrscht Ressourcenknappheit vor, dann müssen die beteiligten Agenten – neben kognitiven und sozialen Fähigkeiten – über Handlungsoptionen verfügen, die es ihnen erlauben mit knappen Ressourcen umzugehen. Im Handlungsrepertoire eines Agenten sollte es Handlungsweisen geben, die ihm ein ressourcenschonendes Verhalten erlauben. Je nach Ressourcenbestand kann das Verhalten darin bestehen nur sehr wenig von der Umweltressource zu entnehmen oder sogar einen (temporären) Verzicht auf Ressourcenausbeutung auszuüben. Umweltvielfalt und Umweltunsicherheit werden durch die soziale Umwelt erzeugt. Dies hängt u. a. damit zusammen, dass die soziale Umwelt, in die die Agenten eingebettet sind, nichtepisodisch ist. Um den Einfluss dieses Faktors möglichst gering halten zu können, besteht die Notwendigkeit, dass ein Agent das Gegenüber, seine Eigenschaften und vergangenen Verhaltensweisen explizit im Gedächtnis repräsentiert. Auf der Basis von vergangenen Handlungsweisen lassen sich wertvolle Informationen über das zukünftige Verhalten des Gegenübers deduzieren. Auf der Basis dieser Informationen können dann tiefer „durchdachte“ Entscheidungen getroffen werden. Neben der gemeinsamen Vergangenheit existiert für die Agenten die Erwartung einer gemeinsamen Zukunft. Mit anderen Worten: Die gemeinsame Geschichte eröffnet Erwartungen und die Geschichte vergangener Handlungen erlaubt Rückschlussmöglichkeiten auf zukünftiges Verhalten. Das führt dazu, dass auf diese Weise Vertrauen durch Kooperation stabilisiert werden kann. Opportunistisches Verhalten kann durch die Aussicht auf zukünftige Sanktionen abgeschreckt werden. Beispielsweise kann dies zur Folge haben, dass man sich selbst zukünftig nicht mehr an Vereinbahrungen gebunden fühlt, wenn das Gegenüber sich in der Gegenwart seinen Verpflichtungen entzieht (Raub, 1999). 146

Ein weiterer Faktor, der Umweltvielfalt und Umweltunsicherheit erzeugt ist die Tatsache, dass die soziale Umwelt nicht-deterministisch ist. Das Verhalten des Gegenübers kann niemals mit absoluter Sicherheit vorausgesagt werden, da der interne Zustand des Gegenübers für den Agenten nicht sichtbar ist. Aus der Unzugänglichkeit der sozialen Umwelt erwachsen komplexe Anforderungen an das Agentendesign, da eine geringere Quantität oder aber auch eine niedrigere Qualität von Informationen die Entscheidungsfindung erschwert. Es gibt jedoch in der Entscheidungsforschung beschriebene Wege, mit denen es oft dennoch möglich ist gute Entscheidungen unter Unsicherheit zu fällen. Ein solcher Weg führt über die Einführung von sozialen Regeln und Normen. Soziale Regeln und Normen, können dafür Sorge tragen, dass gewisse

Verhaltensweisen

wahrscheinlicher

werden.

Sie

stellen

somit

wirksame

Interaktionsmechanismen zur Minimierung der sozialen Komplexität dar. Zur Reduktion der Umweltunsicherheit, die durch den Gegenspieler entsteht, sollte ein SCAR-Agent über soziale Handlungsweisen verfügen, die den Aufbau von Vertrauen fördern. In einem Vertrauensverhältnis ist es wesentlich wahrscheinlicher, dass Spieler gewillt sind, sich an bestehende Normen zu halten. Darüber hinaus bewirkt ein Vertrauensverhältnis, dass sich Spieler dazu bringen können, sich gegenseitig positive Signale zu senden. Das Empfangen solcher Signale wiederum bewirkt, dass der Agent weniger stark erregt ist und sich somit eher im Normalzustand befindet. Im Abschnitt 4.1.4 ist ein Mechanismus zur sozialen Konstruktion vorgeschlagen worden, der dafür verwendet wird, die Komplexität durch die Existenz von Normen in der vorgeschlagenen Weise zu minimieren. Grundlegende Basis für soziale Interaktionen ist die Fähigkeit zur Kommunikation. Eine besondere Art von Kommunikation, die in sozialen Konflikten bedeutsam ist, sind Drohungen. Eine Drohung ist (genauso wie ein Versprechen) eine Selbstbindung. Damit eine Drohung wirksam sein kann, muss sie sowohl kommunizierbar, als auch glaubhaft sein. Glaubhaftigkeit ist eine Art Vertrauen, und ein solches Vertrauen wird nur durch eine gewisse Kontinuität der Handlungen und Beziehungen erzeugt. Insofern sind auch Drohungen soziale Akte. Das bedeutet, dass sie auf einer von beiden Gegnern anerkannten sozialen Bindung beruhen. Drohungen sind unweigerlich mit sozialen Konflikten verknüpft. Wenn Agenten einerseits dazu in der Lage sind zu drohen, dann muss auf der anderen Seite aber auch ein Gegenstück zur Drohung existieren. Agenten sollten beides können: Sie sollten sowohl dazu in der Lage sein sich gegenseitig zu drohen, als sich aber auch gegenseitig positive Signale senden zu können.

147

Die Umwelt im SCAR-Modell ist diskret. Es gibt lediglich eine fixe und endliche Anzahl von möglichen Wahrnehmungen und Handlungen in einem Zeitschritt. Diese Tatsache erlaubt es, den Wahrnehmungsprozess sehr einfach zu gestalten. Die beschriebenen Umwelteigenschaften liefern verschiedene Hinweise darauf, weshalb es Agenten – trotz prinzipieller Befähigung – manchmal nicht schaffen die Umweltressource nachhaltig zu nutzen. Ein möglicher Grund dafür ist z.B. das Sichtbarkeitskriterium: Setzt die klassische Spieltheorie einen Zustand vollständiger Information voraus, zeichnen sich Prozesse der Eskalation gerade dadurch aus, dass die Konfliktbeteiligten nur über unvollständige und teils irreführende Informationen verfügen. Diese Tatsache spiegelt sich in den für das SCAR-Modell gewählten Eigenschaften der sozialen Umwelt wider. Der Zustand anderer Agenten bleibt unsichtbar und mit ihm die Absichten des Gegenübers. Eine der wichtigsten Aufgaben mit der sich ein Spieler in realweltlichen Situationen konfrontiert sieht ist, die wahren Intentionen und Strategien des Gegenübers auszumachen (Bühl, 1976). Darüber hinaus sind Agenten aufgrund ihrer beschränkten Rationalität zumeist nicht dazu in der Lage, die Entwicklung relevanter, zukünftiger Umweltdeterminanten vorherzusehen. In der Realität tendieren Akteure dazu, die wahrgenommene Komplexität in konflikthaften Situationen rücksichtslos zu reduzieren. Es wird subjektiv nur das wahrgenommen, was der momentanen Verfassung des Agenten entspricht. Das SCAR-Modell muss also auch dazu in der Lage sein 1) die subjektive Wahrnehmung der Agenten abzubilden und 2) die subjektive Konstruktion der Wirklichkeit bei der Modellierung mit zu berücksichtigen.

4.2.3.4 Zusammenfassung der Agentenanforderungen Ein Agent im SCAR-Modell muss über folgendes verfügen: 1) Kognitive und soziale Fähigkeiten 2) Bedürfnisse (u. a. zur Bestimmung des Normalzustandes der Agenten) 3) Einen nachvollziehbaren Prozess, der die Entstehung von Interessen und Zielen sichtbar macht 4) Mittel zum Umgang mit begrenzten Informationen (die überdies subjektiv gefärbt sind) 5) Nachvollziehbare Koordinationsprozesse (basierend auf Kommunikationen) 6) Kommunikationsfähigkeit, dazu gehört die Fähigkeit zur Ausführung von

148

a. expressiven Spielzügen (vom Ressourcenverzicht bis zur Ausbeutung der Umweltressource) b. „verbalen“ Kommunikationen, die freundliche Inhalte und Drohungen beinhalten können 7) Gedächtnisrepräsentationen von a. Handlungen des Gegenübers b. eigenen Handlungen

4.2.4

Agenteneigenschaften

Nachdem nun die Umwelt der Agenten detailliert beschrieben worden ist und die Anforderungen an das Agentendesign auf der Basis der Umwelteigenschaften komplettiert werden konnte, wird nun auf die Realisierung der Agenten im SCAR-Modell eingegangen. Die Beschreibung beginnt mit den Handlungsoptionen über die jeder Agent verfügt (Abschnitt 4.2.4.1). Danach wird auf kognitive und motivationale Aspekte der Informationsverarbeitung eingegangen, die sich auf die SCAR-Architektur stützen (Abschnitt 4.2.4.2). Daran schließt sich in Abschnitt 4.2.4.3 die Beschreibung des Wahrnehmungsprozesses an. Abschnitt 4.2.4.4 beschreibt, welche Gedächtnisinhalte die Agenten im Modell haben und wie die einzelnen Komponenten zusammenhängen, bevor in Abschnitt 4.2.4.5 kurz auf die Realisierung von sozialen Konstrukten eingegangen wird. Abschnitt 4.2.4.6 schließlich geht auf die in dem Modell verwendeten Entscheidungsregeln ein, die Intentionen und soziale Konstrukte in ihren Bedingungen verwenden.

4.2.4.1 Handlungsoptionen Dem Anforderungspunkt 6) aus Abschnitt 4.2.3.4 entsprechend hat jeder Agent in dem Spiel folgende Handlungsmöglichkeiten: Er kann pro Spielrunde Ressourceneinheiten entnehmen und gleichzeitig verbale Signale verschicken, um damit potentiell auf die Handlungen des Gegenübers Einfluss nehmen zu können. Die Entnahmehandlungen reichen vom Ressourcenverzicht bis zur Entnahme von vier Ressourceneinheiten pro Zeitschritt. Solange sich der Ressourcenbestand noch im Normalzustand befindet, ist es – durch ein gemeinsames Handeln basierend auf diesen Handlungsoptionen – zu jeder Zeit möglich, auf die Umweltressource in zwei Richtungen Einfluss zu nehmen: Entweder sind die Handlungen so aufeinander abgestimmt, dass sich die 149

Umweltressource weiter vermehren kann, oder die Umweltressource wird zugrunde gerichtet. Meistens ist es ebenfalls möglich, dass die Menge der Umweltressource auf einem konstanten Wert gehalten werden kann. Die Signalhandlungen reichen einerseits von der Möglichkeit zum Drohen bis hin zum Mitteilen von freundlichen Akzeptanzsignalen. Eine Aktion a besteht also aus folgendem Tupel: a ∈ A = {verzichten, nimm2, nimm3, nimm 4} × {drohe, keineAkzeptanz, schwacheAkzeptanz, starkeAkzeptanz}

(4-0)

Wählt ein Agent die Option verzichten, dann entnimmt er in einem Simulationszeitschritt keine Ressourceneinheiten. Die restlichen Entnahmeoptionen (nimm2, nimm3 und nimm4) entsprechen der Entnahme von zwei, drei oder vier Ressourceneinheiten innerhalb eines Zeitschritts. Nach der Ressourcenentnahme beider Agenten wird der neue Ressourcenbestand gemäß der in Abbildung 4-5 dargestellten Vermehrungsfunktion bestimmt. Auf der sozialen Dimension entspricht die Option

drohe

der

Versendung

eines

Drohsignals,

das

dem

Gegenüber

in

einem

Simulationszeitschritt geschickt wird. Wird die Option keineAkzeptanz gewählt, so wird der Gegenspieler schlicht ignoriert. Die restlichen Signaloptionen (schwacheAkzeptanz und starkeAkzeptanz) entsprechen der Versendung von unterschiedlich starken L-Signalen. Wie der jeweilige Agent welches Handlungstupel zu jedem Zeitpunkt auswählt ist durch die Architektur in Abschnitt 4.1.3 bereits angedeutet worden und wird in Abschnitt 4.2.4.6 genauer beschrieben. In Anlehnung an Axelrod (2000) soll dieser Auswahlmechanismus im Folgenden auch als Strategie bezeichnet werden. „Allgemein ist eine Strategie (oder Entscheidungsregel) eine Spezifikation dessen, was in jeder Situation, die in einem Spiel überhaupt entstehen könnte, zu tun ist“ (Axelrod, 2000, S. 12).

4.2.4.2 Motivation und Kognition In den Modellanforderungen (Abschnitt 4.2.3.4, Punkt 4) wurde spezifiziert, dass die Agenten im SCAR-Modell über eigene Ziele verfügen müssen. Aufbauend auf sozialkonstruktivistischen Ideen wird in dieser Arbeit davon ausgegangen, dass die Interessen von Akteuren nicht exogen durch die Struktur des Systems oder der Gesellschaft bestimmt sind. Es wird vielmehr davon ausgegangen, dass sich auch die spezifischen Interessen erst im Prozess der Interaktion herausbilden. Mit anderen Worten sind die Änderungen der Interessen und Ziele der Agenten 150

interaktionsendogen (Jaeger, 1996). Mit Hilfe von Zielen kann der Agent damit beginnen, bestehende Probleme eigenständig zu erkennen und zu lösen. Damit das aber geschehen kann, muss es einen Mechanismus geben, der Ziele erzeugt, und der die mit ihm verbundenen Prozesse beschreibt. Die Erzeugung von Zielen und deren Vergleich werden im SCAR-Modell maßgeblich durch Motive gesteuert. Die Basis des motivationalen Subsystems bilden die Bedürfnisse der Agenten. Es sind die Bedürfnisse, die einen direkten Einfluss auf die Auswahl von Zielen haben. Auf diese Aspekte wird im Folgenden näher eingegangen.

4.2.4.2.1

Bedarfe und Bedürfnisse im SCAR-Modell

In Abschnitt 3.2.3.2 wurden die Begriffe Bedarf, Bedürfnis und Motiv vorgestellt und voneinander unterschieden. Darüber hinaus wurde im Zusammenhang mit der PSI-Theorie die Bildung von Intentionen auf der Basis von Bedürfnissen diskutiert. Es wird nun ausgehend von den in Abschnitt 4.2.3.4 spezifizierten Anforderungspunkten 2) und 3) beschrieben, welche Bedürfnisse für die Agenten im SCAR-Modell relevant sind, und wie die Intentionsbildung auf der Basis der PSI-Theorie im SCAR-Modell realisiert ist. Max-Neef geht davon aus, dass eine begrenzte Anzahl an menschlichen Grundbedürfnissen existiert, die darüber hinaus klassifizierbar und unabhängig von Person, Ort, Kultur und historischer Epoche sind (Kamenetzky, 1992; Max-Neef et al., 1991). Auch Dörner teilt diese Sichtweise, postuliert hingegen andere Gründbedürfnisse als Max-Neef, die sich aber größtenteils einander zuordnen lassen. Die Tabelle 4-1 in Abschnitt 4.1.3.1 stellt die neun von Max-Neef gefundenen Wertkategorien dem Orientorenkonzept von Bossel und den von Dörner vorgeschlagenen Grundbedürfnissen gegenüber. Die Vorstellung von Max-Neef über die Natur der Grundbedürfnisse deckt sich mit der Sichtweise dieser Dissertation. Fraglich ist nur, welche Grundbedürfnisse im Zusammenhang mit den für diese Dissertation relevanten Fragestellungen betrachtet werden müssen. Es besteht bei der Erklärung der postulierten sozialen Phänomene, wie z.B. der Entstehung von Konflikten, die generelle Bestrebung die Komplexität des Modells möglichst gering zu halten. Es werden deshalb auch nur jene Bedürfnisse betrachtet, die für die Beantwortung der Forschungsfragen und für die gefundenen Modellanforderungen als wichtig erscheinen. Ob ein Agent nun beispielsweise durstig ist, wird nicht dem Kern der hier formulierten Fragestellungen gerecht.

151

Die Bedarfe müssen so gewählt sein, dass ein Agent prinzipiell (aus sich selbst heraus) die Befähigung erhält, in seiner Umwelt auch langfristig zu existieren (vgl. Bossel 2004, Dörner 2002). Als wichtig wurden für das SCAR-Modell die folgenden Basisbedürfnisse identifiziert: Kompetenz, Akzeptanz und ein Bedarf nach Umweltressourcen. Der Bedarf nach der Umweltressource ist durch die Spielstruktur vorgegeben. Es wird dabei davon

ausgegangen,

dass

jeder Agent

zumindest

subjektiv

empfindet,

dass

diese

Umweltressource zu seiner Lebenserhaltung beiträgt. In den wenigsten Realweltsituationen, in denen es sich um Konflikte um Umweltressourcen handelt, geht es jedoch tatsächlich um existenzielle Bedrohungen für einen einzelnen Akteur. Im SCAR-Modell kann der Bedarf nach Umweltressourcen durch entsprechend hohe Entnahmen der Umweltressource gedeckt werden. Geringe Entnahmemengen oder gar der Verzicht auf die Entnahme von Umweltressourcen hat hingegen zur Folge, dass der Ressourcenbedarf stärker wird. Die gegenseitige Abhängigkeit der Agenten voneinander, die durch die Wachstumseigenschaft der Umweltressource bedingt ist, erfordert einen sozialen Leitwert, an dem sich die Agenten orientieren können. Gegenseitige Kooperation ermöglicht es überhaupt erst auf lange Sicht von der Umweltressource profitieren zu können. Aufgrund der gewählten Umwelteigenschaften lassen sich nur auf Grundlage kooperativer Handlungen der jeweilige Ressourcenbedarf sowie die Menge der Umweltressource in einem angemessenen Bereich (in dem Normalbereich) bringen bzw. halten. Wenn Komplexitätsreduktion – wie von Berger und Calabrese (1975) postuliert – soziales Verhalten vorantreibt, dann kann soziale Interaktion auch die Umweltunsicherheit reduzieren und die Umweltvielfalt – die hier durch den anderen Agenten erzeugt wird – überschaubar halten. Ein Parameter, um diesen sozialen Wert abzubilden, ist das Bedürfnis nach Akzeptanz, das tendenziell zukunftsgerichtet ist. Das Akzeptanzbedürfnis ist vergleichbar mit dem Affiliationsbedürfnis in Dörners PSI-Theorie. Das Affiliationsbedürfnis wurde in Abschnitt 3.2.3.2 als ein Bedürfnis nach Legitimitätssignalen vorgestellt. Gruppen- bzw. normkonformes Verhalten wird in der Regel durch die Interaktionspartner mit der Aussendung von Legitimitätssignalen (z.B. einem Anlächeln oder einem Lob) belohnt, während ein Verhalten, das nicht gruppenkonform ist, durch Anti-L-Signale (z.B. Stirnrunzeln oder auch Missachtung) bestraft wird. Während Dörner (2001) das Entstehen sozialer Verhaltensweisen durch die Einführung eines Affiliationsbedürfnisses zu erklären versucht, so wird die Genese von sozialem Verhalten

im

SCAR-Modell

auf

zwei

verschiedene Aspekte

152

verteilt. Analog

zum

Affiliationsbedürnis bei Dörner ist auch die Akzeptanz im SCAR-Modell ein Grundbedürfnis nach Zuwendung und Anerkennung durch andere. Sie ist ein „low-level Mechanismus“ zur Verarbeitung

von

sozialen

Interaktionen.

Empfangene

Akzeptanzsignale

stillen

den

Akzeptanzbedarf, während Missachtung oder gar Drohungen zur Erhöhung des Akzeptanzbedarfs führen. Auf der anderen Seite existieren im SCAR-Modell darüber hinaus auch noch soziale Normen, die Soziales als „high-level Repräsentationen“ abbilden. Die im SCAR-Modell vorherrschenden Normen unterliegen wiederum sozialen Konstruktionsprozessen. Auf Normen wird im Zusammenhang mit sozialen Konstrukten im Abschnitt 4.2.4.5 näher eingegangen. Kompetenz ist der Bedarf, etwas in der Welt bewirken zu können. Sie ist ein Bedürfnis nach Neuem (appetetiv) bzw. ein Bedürfnis danach, Monotonie zu vermeiden (aversiv). Darüber hinaus wird in der PSI-Theorie davon ausgegangen, dass mit der Kompetenz ein Bedürfnis nach Effizienz verbunden ist, d.h. ein Bedürfnis nach Wirksamkeit der eigenen Handlungen. Ein Effizienzsignal wird dann erzeugt, wenn eine eigene Verhaltensweise eine Veränderung der Situation bewirkt. Das bedeutet aber auch, dass dieser Aspekt auf ein Machen um des Machens willen hindrängt. Dabei ist es egal was getan wird, das Hauptinteresse ist die Wirksamkeit (Brüggemann, Strohschneider & Rek, 2006; Dörner, 2001). Die Kompetenz ist im SCAR-Modell eine wichtige Komponente um auch Drohungen und Drohgebärden auf ein Fundament von Bedürfnissen zu stellen. Ist die empfundene Kompetenz nämlich niedrig, bieten Drohungen die Möglichkeit den Kompetenzbedarf vorübergehend zu stillen. Der grundlegende Prozess, wie aus den soeben geschilderten Bedürfnissen und den mit ihnen verknüpften Wertigkeiten eine Intention – nach dem Wert-Erwartung-Prinzip – entsteht, wurde allgemein im Abschnitt 4.1.3.1 und zusammenfassend in Abschnitt 4.1.5 bereits beschrieben. Es wird nun beschrieben, wie dieses Prinzip in Java realisiert ist.

Die UML-Darstellung (Abbildung 4-6) zeigt, dass die drei postulierten Bedürfnisse als JavaObjekte repräsentiert sind. Sie stammen allesamt von einer gemeinsamen Vaterklasse, der NeedKlasse, ab. Jedes Bedürfnis hat damit die gleiche Grundfunktionalität. Die Need-Klasse implementiert zwei Interfaces, das „ValueIF“-Interface und das „LimitedIF“-Interface. Das „ValueIF“-Interface sorgt dafür, dass der Wert eines Bedürfnisses über eine Methode abgerufen werden kann. Das „LimitedIF“-Interface sorgt dafür, dass dieser Wert sich in einem bestimmten Rahmen bewegt. Ein Bedürfnistank kann also nur bis zu einem bestimmten Wert gefüllt sein. Er 153

kann überdies zwar leer werden, negative Werte sollte er aber nicht annehmen. Jedes Bedürfnis verwaltet also zum einen seinen eigenen Wert (objectiveNeedValue), der die Bedürfnisstärke zum aktuellen Zeitpunkt repräsentiert. Zum anderen besitzt jedes Bedürfnis aber auch ein Objekt, das wiederum den Erwartungswert (expectation) – also eine Angabe darüber, wie wahrscheinlich der Agent die Befriedigung dieses Bedürfnisses in Zukunft einschätzt – verwaltet. Ein eigens dafür angelegtes Intentions-Objekt kann dann auf der Grundlage von Erwartungswert und Wertigkeit des Bedürfnisses die aktuelle Intention nach dem Wert-Erwartung-Prinzip bestimmen.

Abbildung 4-6: UML-Darstellung von Bedürfnissen und Operationen, die auf Bedürfnisse bezogen sind. Die Operationen, die alle Bedürfnisse betreffen, werden vom sogenannten NeedHandler durchgeführt. Jeder Agent besitzt genau einen NeedHandler. Jeder NeedHandler wiederum legt bei seiner Instantiierung eine NeedCollection an. Diese NeedCollection ist eine Datenstruktur, die die Bedürfnisse eines Agenten verwaltet. Sie umfasst die drei Bedüfnisse (Ressourcenbedürfnis, Kompetenzbedürfnis und Akzeptanzbedürfnis) und hat selbst keinen Einfluss auf die Systemdynamik. Der NeedHandler kann über die NeedCollection zu jeder Zeit auf den Zustand der Bedürfnisse zugreifen und ihn verändern. So unterliegen die Bedürfnisse – wie in Abschnitt 3.2.3.2 bereits erläutert – z.B. einem Verfallsprozess (engl. decay), d.h. die Bedürfnisstärke und somit auch der Wert von Bedürfnissen erhöhen sich in jedem Zeitschritt, sofern nichts dagegen unternommen

wird.

Des

Weiteren

berechnet

der

NeedHandler

Auswirkungen

von

wahrgenommenen Zustandänderungen auf das Kompetenzbedürfnis. Sie richtet sich in der 154

Bestimmung ihres Wertes maßgeblich an den anderen beiden Bedürfnissen (Ressourcenbedürfnis und Akzeptanzbedürfnis) aus. Bedarfe und Zufriedenheit Agenten können mehr oder weniger zufrieden sein. Unter Zufriedenheit wird in diesem Kontext verstanden, dass der Agent innerlich ausgeglichen ist. Er hat an den gegebenen Verhältnissen nichts auszusetzen. Das Hauptproblem bei der Operationalisierung der Zufriedenheit beruht in der Subjektivität der Definition respektive in der Subjektivität der Zufriedenheitsempfindung. Deshalb definieren sie viele Wissenschaftler der Einfachheit halber als „Abwesenheit von Unzufriedenheit“. Die Unzufriedenheit wird ihrerseits als „Nichterfüllung der gestellten Erwartungen“ definiert. Gefragt wird nach den Erwartungen des Individuums sowie dem Grad der Erfüllung dieser Erwartungen. Werden die Erwartungen nicht nur erfüllt, sondern übertroffen, stellt sich ein Gefühl der Zufriedenheit ein.

4.2.4.3 Wahrnehmung und Verarbeitungstiefe Die SCAR-Agenten folgen einem „observe-decide-execute-Design“. Das bedeutet, dass jeder instantiierte Agent zu einem Zeitpunkt t den Zustand der Umwelt wahrnimmt. Dieser Umweltzustand umfasst den aktuellen Zustand der physikalischen Umwelt, gleichzeitig aber auch Informationen über die anderen Agenten, mit denen diese Umwelt geteilt wird. Durch Modulatoren kann die Wahrnehmung von Agenten beeinflusst werden, was zu einer subjektiven Sichtweise auf die Dinge führt. Basierend auf den subjektiven Beobachtungen fällt dann jeder einzelne Agent eine Entscheidung. Zur Entscheidungsfindung kann jeder Agent auf seine Gedächtnisinhalte und die sozialen Konstrukte zugreifen. Erst wenn alle Agenten sich zu einer Handlung für den Zeitpunkt t+1 entschieden haben, kommt es zur gleichzeitigen Ausführung der intendierten Handlung.

155

Abbildung 4-7: Sequenzdiagramm des Wahrnehmungsprozesses im SCAR-Modell. Das Sequenzdiagramm (Abbildung 4-7) veranschaulicht den Wahrnehmungsprozess eines Agenten. Zu Beginn eines neuen Simulationszeitschritts wird die observe-Methode vom ModelObjekt aufgerufen. Das Model-Objekt verwaltet die Agenten und deren Umwelt und bestimmt überdies die Planung von zeitlichen Abläufen der Simulation. Sie sorgt dafür, dass die Wahrnehmungen, Entscheidungen und Handlungen der Agenten in der oben beschriebenen Weise ausgeführt werden. Wird die observe-Methode aufgerufen, dann wird zunächst – auf der Grundlage von gemeldeten Zustandänderungen – die aktuelle Intention nach dem WertErwartung-Prinzip gebildet. Die decayOfNeeds-Methode sorgt anschließend dafür, dass sich die Bedürfnisstärke etwas erhöht. Dies entspricht der Annahme, dass auch psychische Energie über die Zeit verloren geht, ohne dass etwas Spezifisches passieren muss (vgl. hierzu Kapitel 3, Abbildung 3-5). Die calculateEffectOnCompetence-Methode summiert die Bedürfnisstärken sowohl vom Akzeptanzbedürfnis als auch vom Ressourcenbedürfnis auf. Gibt es nach Abzug 156

durch die Verfallsfunktion in der Summe im Vergleich zum vorherigen Zeitschritt eine Reduktion der Bedürfnisstärke, dann erhöht sich die Kompetenz. Erhöht sich die Bedürfnisstärke, so verringert sich die Kompetenzempfindung. Nach der Speicherung des neuen Zustands wird für jedes Bedürfnis der auf den neuen Beobachtungen beruhende Erwartungswert berechnet. Schließlich wird die subjektiv empfundene Konfliktstufe auf der Grundlage der neuen Wahrnehmungen bestimmt und die aktuellen Bedürfnisstärken (Werte der Bedürfnisse) gespeichert.

4.2.4.4 Gedächtnis Durch die SCAR-Architektur wurden die Gedächtnisteile und ihr Zusammenspiel bereits in Abschnitt 4.1.3.2 spezifiziert. Diese Teile werden analog dazu auch im SCAR-Modell implementiert. Dies entspricht den Anforderungskriterien, die in Abschnitt 4.2.3.4 unter Punkt 7) zusammengefasst sind. Das Gedächtnis der Agenten im SCAR-Modell lässt sich in drei Teile untergliedern: deklaratives-, prozedurales- und Arbeitsgedächtnis. Das Arbeitsgedächtnis wird im SCAR-Modell nicht explizit repräsentiert. Es besteht vielmehr aus einer Menge von Attributen, deren Wertbelegungen dem Agenten zum aktuellen Zeitpunkt zur Verfügung stehen. Einige dieser Attribute sind wiederum in Objekte gekapselt, die die Attribute und die auf ihnen arbeitenden Methoden verwalten. Das UML-Diagramm (Abbildung 4-8) zeigt die wichtigsten Objekte und Attribute.

Abbildung 4-8: Auszug wichtiger Attribute und Objekte, die ein Agent im SCAR-Modell verwaltet. Alle Informationen, die über die Verweildauer des Arbeitsgedächtnisses hinaus persistent gehalten werden sollen, werden von Memory-Objekten verwaltet. Die Memory-Klasse realisiert 157

alle für das Gedächtnis wichtigen Grundfunktionen. Dazu gehören das Ablegen sowie das Wiederabrufen von Informationen. Darüber hinaus sorgt dieses Objekt für die Synchronisierung von Informationen und versieht diese mit einem Zeitstempel. Durch das Versehen von Informationen mit einem solchen Zeitstempel wird es möglich auf Wissensinhalte zu bestimmten Zeitpunkten zurückzugreifen. Des Weiteren hat dieses Memory-Objekt eine Funktion, die das Vergessen von Gedächtnisinhalten nach dem FIFO-Prinzip ermöglicht. Im SCAR-Modell werden zwei unterschiedliche Memory-Objekte angelegt. Eines, das Prozeduren speichert und ein weiteres, das deklaratives Wissen in Form von sogenannten Chunks speichert.

4.2.4.4.1

Prozedurales Gedächtnis

Das prozedurale Gedächtnismodul wurde im Abschnitt 4.1.3.2.2 bereits allgemein beschrieben. Es wird nun beschrieben, wie dieses Modul im SCAR-Modell realisiert ist. Im SCAR-Modell wird das prozedurale Gedächtnis als Datenstruktur zur Verwaltung von Prozeduren verwendet. Anhand des UML-Diagramms (Abbildung 4-9) können die Bestandteile einer Prozedur nachvollzogen werden: Eine Prozedur verwaltet eine Liste von Bedingungen und verschiedene Handlungen. Die Handlungen sind die in Abschnitt 4.2.4.1 vorgestellten Signal- und Entnahmehandlungen. Im Bedingungsteil werden für jede mögliche Handlung ein oder mehrere Systemzustände spezifiziert, bei denen eine spezifische Handlung, wie etwa eine Drohung, ausgeführt wird. Ein Prozedur-Objekt verfügt über zwei grundlegende Funktionen: Zum einen über eine Methode, die den subjektiv wahrgenommenen Weltzustand mit den in der Prozedur befindlichen Bedingungsteilen abgleicht. Dieser Abgleich wird, wie durch die Abbildung 4-9 angedeutet, durch die match-Methode realisiert. Zum anderen zeigt Abbildung 4-9 darüber hinaus noch eine execute-Methode, die für die Ausführung der zu der Bedingungsliste zugehörigen Aktion zuständig ist. Die execute-Methode wird dann aufgerufen, wenn der subjektiv wahrgenommene Weltzustand mit dem Bedingungsteil übereinstimmt und die Handlung ausgewählt wurde.

Abbildung 4-9: UML-Diagramm eines Prozedur-Objektes im SCAR-Modell. 158

4.2.4.4.2

Deklaratives Gedächtnis

Das deklarative Gedächtnismodul wurde im Abschnitt 4.1.3.2.1 als Langzeitspeicher für deklaratives Wissen vorgestellt, wobei das Wissen dort in Form von sogenannten Chunks abgelegt wird. Im SCAR-Modell müssen deshalb alle Wissensinhalte, die im deklarativen Gedächtnis abgelegt werden sollen, ein gemeinsames Chunk-Interface implementieren (vgl. Abbildung 4-10). Das UML-Diagramm zeigt fünf verschiedene Chunktypen: Mit den ChunkTypen SignalNormChunkType und TakingNormChunkType lassen sich unterschiedliche Normen spezifizieren, die sich einerseits auf das Versenden von sozialen Signalen und andererseits auf die Entnahmehandlung beziehen. Ein Chunk, der vom Typ SignalNormChunkType ist, enthält Informationen über die aktuell vorherrschenden Umgangsformen zwischen den Agenten, die sich weitestgehend auf Kommunikationsaspekte beziehen. Eine solche Norm, die zu dem in Abschnitt 4.2.1 skizzierten Simulationsspiel passt, bestimmt erwünschtes Verhalten bezüglich des Versendens von Signalen. Es existiert beispielsweise eine Norm, die besagt, dass man nett zueinander sein soll. Drohungen gelten als Überschreitung dieser Norm.

Abbildung 4-10: UML-Darstellung verschiedener Chunk-Typen. Ein Chunk vom Typ TakingNormChunkType repräsentiert in der Regel die aktuell erlaubte Entnahmemenge (Da die Wahrnehmung eines Agenten aber fehlerhaft sein kann, muss diese Repräsentation nicht notwendigerweise mit der tatsächlich erlaubten Entnahmemenge übereinstimmen. In einem solchen Fall repräsentiert ein Chunk vom Typ TakingNormChunkType die vom Agenten geglaubte Entnahmenorm). Die Entstehung und Aufrechterhaltung von sozialen Normen unterliegt dem Prozess der sozialen Konstruktion. Deshalb wird in Abschnitt 4.2.4.5 auf

159

die

Funktionsweise

der

durch

die

beiden

Typen

(SignalNormChunkType

und

TakingNormChunkType) verwalteten Normen genauer eingegangen. Der ResourceChunkType verwaltet Informationen über den Restbestand der Umweltressource. Chunks vom Typ SelfRepresentationChunkType beinhalten Informationen über die eigenen Handlungen, also darüber welche Entnahme- und welche Signalhandlung der Agent selbst ausgeführt hat. Chunks vom Typen AdversaryChunkType speichern Informationen über das Verhalten des Gegenübers.

4.2.4.5 Soziale Konstrukte In diesem Abschnitt werden Normen als Beispiele für soziale Konstrukte aufgeführt und die mit diesen Konstrukten verbundenen Prozesse beschrieben. Sie dienen im Simulationsspiel als Koordinationsprozesse im Umgang mit begrenzt verfügbaren Ressourcen und liefern eine Antwort auf Anforderungspunkt 5) aus Abschnitt 4.2.3.4, in dem nachvollziehbare Koordinationsprozesse

basierend

auf

Kommunikationen

gefordert

werden.

Der

Kommunikationsraum der Agenten wird durch die in Abschnitt 4.2.4.1 erläuterten Handlungsoptionen aufgespannt. Abbildung 4-11 zeigt wichtige soziale Konstrukte in UML-Darstellung, die im SCAR-Modell realisiert wurden. In der Abbildung ist links außen die SignalNorm-Klasse dargestellt. Die Signalnorm, wie sie im SCAR-Modell verwendet wird, bestimmt welches Verhalten beim Versenden von Signalen erwünscht ist. Ein Objekt dieser Klasse beinhaltet die subjektiv empfundene Bindung (engl.: commitment) an die Norm. Die Wahrnehmung von schwachen und starken Akzeptanzsignalen bestätigt bzw. erhöht die subjektive Bindung an die Norm. Die Unterlassung von sozialen Signalen oder gar Drohhandlungen durch das Gegenüber führen im ersten Fall zu einer leichten, im zweiten Fall zu einer starken Abschwächung der empfundenen Bindung an diese Norm. Die Bewertung der Signalhandlung durch das Gegenüber wird vom SignalNorm-Objekt selbst durchgeführt. Dieses Objekt verwaltet auch die empfundene Bindungsstärke an die Norm. Je höher das empfundene Commitment ist, desto stärker ist auch der Effekt der Norm auf die Intentionsbildung.

160

Abbildung 4-11: UML-Darstellung von sozialen Konstrukten. Bei der zweiten Norm, die im SCAR-Modell implementiert ist, handelt es sich um eine Norm, die sich auf die erwünschte Entnahmemenge pro Zeiteinheit bezieht. Wie viele Einheiten der Umweltressource ein Agent entnehmen darf ist abhängig vom jeweiligen Bestand der Umweltressource. Tabelle 4-2 beschreibt diesen Zusammenhang. Tabelle 4-2: Bestimmung von Normen zur Regelung der Entnahmemenge pro Zeitschritt. Verbleibende

Einheiten

der Erlaubte Entnahmemenge für einen Agenten

Umweltressource nach der Entnahme

in einem Zeitschritt

Ressourceneinheiten resultat ≤ 0,5 ), dann hat der Agent eine gemischte Einstellung, wobei noch eine Tendenz zur Kooperation vorhanden ist (gelber Bereich in Abbildung 4-13). Bei einem Resultat zwischen 0,5 und 0,75 ( 0,5 > resultat ≤ 0,75 ) ist der Bereich erreicht, in dem die Einstellung kompetitiv ist, jedoch noch durchmischt mit kooperativen Anteilen (in Abbildung 4-13 orange dargestellt). Zwischen 0,75 und 1 ( 0,75 > resultat ≤ 1 ) ist der rein kompetitive Bereich erreicht (roter Bereich in Abbildung 4-13).

4.2.6

Technisches Rahmenwerk des SCAR-Modells

Die technische Realisierung des SCAR-Modells orientiert sich an einigen Kriterien, die es erlauben, das Modell möglichst flexibel zu halten und bei Bedarf erweitern zu können. Ein modularer und objektorientierter Aufbau trägt zur variablen Modellgestaltung bei und ist deshalb für die Entwicklung von Simulationsmodellen gut geeignet. Darüber hinaus wird die Untersuchung mit Hilfe eines Simulationsmodells dann flexibel, wenn Komponenten (auch zur Laufzeit) zu- und abschaltbar sind. Diese Komponenten können beispielsweise auf verschiedene Situationsbeschreibungen ausgerichtet sein. Es gibt Entwicklungswerkzeuge, die diese Funktionalität bereitstellen. Repast ist ein solches Werkzeug und wurde für die Erzeugung des SCAR-Modells herangezogen. Genau genommen ist Repast ein Rahmenwerk zur Programmierung agentenbasierter Simulationssysteme. Es stellt z.B. die Basisfunktionalität für den Auf- und Abbau (engl.: tear down) von Simulationsmodellen bereit. Repast verfügt weiterhin über Funktionen, die es dem Programmierer erleichtern, zeitliche Ablaufprozesse (engl.: scheduling) zu implementieren. Eine grafische Programmoberfläche vereinfacht es, Parametereinstellungen für das Modell vorzunehmen und Simulationsläufe zu starten, anzuhalten oder zu beenden. Darüber hinaus erlaubt es die Oberfläche auch während einer Simulation Einstellungsänderungen durchzuführen. Repast stellt seine Funktionalität in Form von Java-Klassenbibliotheken zur Verfügung. Zur Realisierung einer Agentensimulation mit Repast ist also die Implementierung eines JavaProgramms notwendig. Dieses Programm besteht mindestens aus einer Modell- und einer 171

Agentenklasse. Die Agentenklasse kapselt die Funktionalität, die mit den Agenten selbst im Zusammenhang steht. Sie stellt im Falle von SCAR die Realisierung der SCAR-Architektur dar. In den meisten Repast-Modellen wird separat zur Agentenklasse noch ein Objekt angelegt, das die Umwelt, in die die Agenten eingebettet sind, abbildet. Im SCAR-Modell wird die physikalische Umwelt der Agenten durch ein solches Objekt repräsentiert. Die Modellklasse ist das eigentliche Kernstück der Simulation. Sie steuert den Aufbau der Simulation und spezifiziert, was in jedem einzelnen Simulationsschritt geschieht. Auch die grafischen Elemente einer Simulation, die beispielsweise Simulationsverläufe anhand von Schaubildern darstellen, werden durch die Modellklasse gesteuert. Die Modellklasse sorgt im SCAR-Modell zudem für die ordnungsgemäße Ausführung des observe-decide-execute-Mechanismus. Darüber hinaus weiß dieses Modell-Objekt auch, auf welcher Konfliktstufe sich die Agenten derzeit befinden. Auf die Bestimmung

der

Konfliktstufe

wird

eingegangen,

wenn

im

nächsten

Kapitel

die

Simulationsergebnisse präsentiert werden.

4.3 Die

Zusammenfassung zur Architektur und zum Modell

vorgestellte

SCAR-Architektur

ist

eine

abstrakte

Spezifikation

für

beliebige

Multiagentensysteme zur Untersuchung von sozialen Phänomenen. Die Konkretisierung des MAS, mit dessen Hilfe sich soziale Konflikte untersuchen lassen, geschieht durch die Realisierung des auf der SCAR-Architektur aufbauenden SCAR-Modells. Das SCAR-Modell lässt sich grob in zwei Teile untergliedern: Die Agenten und ihre Umwelt. Darüber hinaus gibt es noch einen Controller, der den Simulationsablauf koordiniert und durch ein Modell-Objekt basierend auf Repast realisiert wird. Für die einzelnen Komponenten der SCAR-Architektur und des SCAR-Modells ergeben sich komplexe Anforderungen, die sich teilweise überschneiden. Die SCAR-Architektur kann die Erfüllung folgender Anforderungen leisten: Sie kann Prozesse sichtbar machen, die der Entscheidung von kognitiven Agenten zugrunde liegen, erlaubt qualitative Aussagen über diese Prozesse, ist von mittlerer Komplexität und ist dazu in der Lage, die Mikroebene (individuelle Ebene) und die Makroebene (soziale Ebene) miteinander zu verknüpfen. Die Verknüpfung einer individuellen mit einer sozialen Ebene geschieht über Kommunikationsprozesse, die wiederum die Grundlage für soziale Konstruktionsprozesse bilden. Durch die Spezifikation sogenannter Modulatoren wird der Forderung nach der Realisierung von Prinzipien der eingeschränkten Rationalität (engl. bounded rationality) entsprochen. 172

Die Anforderungen an das SCAR-Modell untergliedern sich in Anforderungen an die Umwelt, Anforderungen an die Agenten und Anforderungen an den Spiel- bzw. Programmablauf. Die Umwelteigenschaften wurden so gewählt, dass sich die in ihr befindenden Agenten in einem ökologischsozialen Dilemma befinden. Die Eigenschaften der physikalischen Umwelt sind im Modell maßgeblich durch

bisherige

Forschungsergebnisse

dieses

Bereichs

geprägt

und

orientieren

sich

am

Fischereikonfliktspiel. Wichtig ist dabei – in Abgrenzung zur klassischen Spieltheorie – dass die Auszahlungen nicht statisch sind. Die Umwelt erhält durch dynamische Auszahlungen einen realistischeren Charakter. Die generellen Anforderungen des SCAR-Modells ergeben sich aus der Abgrenzung zu bisherigen Ansätzen. Genau wie bei den Architekturanforderungen wird auch hier die Realisierung von sozialen Mechanismen eingefordert. Das SCAR-Modell realisiert solche Mechanismen durch soziale Konstruktionsprozesse, die wiederum für die Koordination von Verhalten genutzt werden können. Gleichzeitig wird von dem SCAR-Modell eingefordert, dass die Entstehung von Interessen und Zielen der Agenten sichtbar gemacht wird. Diese Anforderung kann durch die Einführung von Bedürfnissen und die mit ihnen verknüpften Prozesse realisiert werden. Die Agenten im SCAR-Modell sind in der Lage miteinander zu kommunizieren. Dabei können sie die Anforderung erfüllen, sowohl expressive Spielzüge auszuführen als auch verbal zu kommunizieren. Verbal können die SCAR-Agenten über das Versenden von Legitimitätssignalen, aber auch durch Drohungen oder Missachtungen miteinander kommunizieren. Auch hier bildet soziale Konstruktion wieder den Kernmechanismus zur Realisierung von Koordinationsprozessen basierend auf Kommunikationen. Erinnerungen vergangener Ereignisse, die u. a. sowohl die eigenen als auch die Handlungen des Gegenübers beinhalten, können Agenten nutzen, um wahrscheinliche Interaktionsmuster zu identifizieren und in ihre Entscheidungen mit einzubeziehen. Damit wird der Anforderung entsprochen, dass ein Agent im SCAR-Modell über Gedächtnisrepräsentationen verfügen muss. Basierend auf sozialpsychologischen (Stahlberg & Frey, 1992), psychologischen (Suedfeld, 2007) und ökonomischen (Glasl, 2004) Ideen und Theorien wurden wichtige Komponenten herausgearbeitet, die für die Veränderung der Einstellungen von kooperativ nach kompetitiv verantwortlich zeichnen. Auf das SCAR-Modell übertragen sind diese namentlich: Normüberschreitungen, der Ressourcenwert und die Aktiviertheit. Diese Komponenten konnten für die Entwicklung einer Berechnungsformel zur Bestimmung der individuellen Einstellung verwendet werden.

173

5

Modellempirie

In diesem Kapitel werden die Simulationsergebnisse präsentiert. Zuerst werden jene Ergebnisse besprochen,

die

zeigen,

dass

die

im

SCAR-Modell

getroffenen

Annahmen

zur

Konfliktbestimmung plausibel sind. Zur Überprüfung dieser Annahmen wurde eine Sensitivitätsanalyse

durchgeführt.

In

Abschnitt

5.1

werden

die

Ergebnisse

dieser

Sensitivitätsanalyse präsentiert. Anhand der Ergebnisse kann die Entwicklung von Einstellungen für verschiedene fixe Strategien nachvollzogen werden. Kernstück zur Bestimmung der Konfliktintensität sind – neben dem beobachtbaren Verhalten – die vorherrschenden Einstellungen der beteiligten Akteure. Im Abschnitt 4.2.5.2 wurde deshalb beschrieben, wie die Agenten ihre Einstellungen im SCAR-Modell bilden. Zur Identifikation wichtiger Variablen, die für die Bestimmung der Einstellungen zentral sind, wurde auf Arbeiten und Forschungsergebnisse aus der Psychologie und der Sozialpsychologie zurückgegriffen (vgl. Abschnitt 2.3.2 und Abschnitt 2.4.4). Die Wirkweise dieser Variablen innerhalb des SCAR-Modells kann nun mit Hilfe des Spielkontextes veranschaulicht werden. Der Spielkontext liefert den analytischen Bezugspunkt, in dem sich der Konflikt in den untersuchten Szenarien herausbildet. Zum Spielkontext gehört z.B. die Umwelt (physikalische und soziale Umwelt), in der sich die Agenten befinden. Überdies gehört zum Kontext der Situation der interne Zustand der Agenten. Diese Kontextinformationen spielen eine wichtige Rolle bei der Bestimmung der Einstellungen und der vorherrschenden Konfliktstufe. Nach der Untersuchung fixer Strategien werden Konfliktanalysen durchgeführt, die Aufschluss über die Auswirkungen verschiedener Handlungskombinationen und den Einfluss geben, den interne Zustände von Agenten auf den Konfliktverlauf haben. In Abschnitt 5.2 werden deshalb Simulationsläufe präsentiert, die mit variablen Strategien auf der Grundlage der beschriebenen Berechnung der Einstellungen durchgeführt wurden.

5.1

Sensitivitätsanalyse - Simulationsläufe mit fixen Strategien

Bei einer Sensitivitätsanalyse werden Grenzbereiche von Ergebnissen betrachtet. Dabei wird in der Regel jeweils ein Parameter (ceteris paribus), in selteneren Fällen auch mehrere Parameter gemeinsam, verändert. Geprüft wird dabei, ab welchem Zeitpunkt vorher bestimmte Zielwerte unter- bzw. überschritten werden. Im Allgemeinen kann man sagen, dass in der

174

Sensitivitätsanalyse der Einfluss von Eingabegrößen auf bestimmte Ergebnisgrößen untersucht wird. Die Analyse geschieht durch die Verwendung von variierten einzelnen Eingabegrößen (Iterationsverfahren) und durch den Vergleich der Ergebnisse mit dem Ergebnis der Standardeingabe. In der vorliegenden Untersuchung fungieren die unterschiedlichen Strategien als Eingabefaktoren. Die betrachtete Ergebnisgröße ist die resultierende Einstellung. Im Folgenden werden wir nur fixe Strategien gegeneinander antreten lassen. Das bedeutet, dass keiner der beiden Spieleragenten seine Handlungen während eines Simulationslaufs anpassen bzw. verändern kann. Die Handlungsauswahl des Agenten ist somit blockiert. Die Auswahl der zu spielenden Handlungstupel geschieht bereits vor dem Start der Simulation durch den Benutzer. Diese gewählte Handlung wird dann konsequent über einen Simulationslauf gespielt. Ein Simulationslauf (engl. Run) mit fixen Strategien ist gleichbedeutend mit der Ausspielung einer fixen Spielkombination (z.B. nimm3 × drohen als Strategie von Agent 1 gegen die Strategie nimm 2 × drohen von Agent 2) über 30 Zeitschritte. Die Ausspielung einer Spielkombination

bedeutet aber auch, dass die Bestimmung der Intention bei einem solchen Simulationsaufbau bedeutungslos bleibt, da hier keiner der Agenten seine Handlungen selbst bestimmt. Alle anderen Mechanismen, die im Abschnitt 4.2.4 beschrieben wurden – angefangen von der Bildung sozialer Konstrukte bis hin zur Beeinflussung der Wahrnehmungsfähigkeit der Agenten durch ihre Modulatoren – bleiben hingegen weiter wirksam. Insbesondere bestimmt jeder Agent in jedem Zeitschritt – basierend auf seiner subjektiven Wahrnehmung und seinen Erfahrungen – die Einstellung, die er gegenüber dem anderen Agenten hat. Die Bestimmung der Einstellung geschieht wie in Abschnitt 4.2.5.2 in Formel (4-1) beschrieben. Zur Erinnerung: Die Agenten selbst unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Persönlichkeit. Ein Agent, der aufgrund seiner persönlichen Orientierung verhältnismäßig stärker an sozialen Signalen als an der Ausbeutung von Ressourcen interessiert ist, hat eine Sozial Interessierte Persönlichkeit und wird entsprechend mit „SIP“ abgekürzt. Ein Agent, der aufgrund seiner persönlichen Orientierung verhältnismäßig stärker an der Ausbeutung der Ressource interessiert ist, hat eine Ressourcen Interessierte Persönlichkeit und wird entsprechend mit „RIP“ abgekürzt. Realisiert werden diese unterschiedlichen Persönlichkeitstypen im SCAR-Modell durch unterschiedlich starke Abflüsse (engl. decays) der Bedarfstanks. Aus dem Akzeptanztank tropft es, im Vergleich zum Ressourcentank bei einem SIP-Agenten, stärker heraus, während es bei einem RIP-Agenten aus dem Ressourcentank verhältnismäßig stärker heraustropft (vgl. Abschnitt 4.2.4.6).

175

Will man nun alle fixen Strategien gegeneinander antreten lassen, dann erhält man 256 mögliche Handlungskombinationen. Die Anzahl der Kombinationen ergibt sich aus der Tatsache, dass jeder einzelne Agent sowohl vier Entnahmeoptionen als auch vier Signaloptionen besitzt. Jeder einzelne Agent kann 4x4, also 16 fixe Strategien spielen. Sollen alle Strategien gegeneinander getestet werden, müssen 16x16, also 256 Simulationsläufe durchgeführt werden. Die Simulierung aller 256 Kombinationsmöglichkeiten wird als Ensemble bezeichnet.

Run

Set Abbildung 5-1: Ergebnisse der Einstellungsberechnung des Agenten mit dem Persönlichkeitstypen SIP für 16 Simulationsläufe über jeweils 30 Zeitschritte mit fixen Gegenstrategien. Anmerkung: Zur Veranschaulichung ist in der Abbildung das Ergebnis der Einstellungsberechnung für einen Simulationslauf (engl.: Run) blau eingekreist. In dem eingekreisten Simulationslauf spielt der RIPAgent die Strategie nimm4 × drohen (engl.: take4 × threaten ). Wie bei allen anderen Simulationsläufen

wird auch hier die Strategiekombination über 30 Zeitschritte gespielt. Alle 16 Simulationsläufe (engl.: Runs) werden zusammengefasst als Set bezeichnet. Dies wird in der Abbildung durch die schwarze Umrandung verdeutlicht.

176

Abbildung 5-1 zeigt die Ergebnisse der Einstellungsberechnung des SIP-Agenten für alle Simulationsläufe (engl.: Runs) in denen er selbst die fixe Strategie verzichten× drohen (engl.: renounce× threaten ) spielt. Der RIP-Agent hingegen wendet über 16 Simulationsläufe (engl.:

Runs) verteilt nach und nach alle möglichen fixen Gegenstrategien an (Ein solcher Aufbau, bei dem eine fixe Strategie gegen alle möglichen fixen Gegenstrategien gespielt wird, wird nachfolgend als Set bezeichnet). Jede Gegenstrategie besteht aus einer Entnahmehandlung und einer Signalhandlung. In Abbildung 5-1 sind die Entnahmehandlungen des RIP-Agenten auf der Y-Achse aufgetragen, die Signalhandlungen hingegen auf der X-Achse. An der jeweiligen X-YKoordinate sind Informationen über die vorherrschenden Einstellungen für die entsprechende Gegenstrategie aufgetragen. Alle beteiligten Agenten bestimmen ihre Einstellung subjektiv nach der vorgestellten Formel (4-1). In Abbildung 5-1 sind für jeden Simulationslauf bezüglich der Einstellungen jeweils drei Arten von Informationen aufgetragen: 1) Der durchschnittliche subjektive Einstellungswert eines Agenten (hier handelt es sich um subjektive Einstellungswerte des SIP-Agenten) über 30 Zeitschritte (schwarze Säule, Beschriftung: mean), 2) der subjektive Einstellungswert eines Agenten am Ende eines Simulationslaufs, d.h. zum 30sten Zeitschritt (graue Säule, Beschriftung: lastTick) und 3) der höchste der beiden subjektiven Einstellungswerte (die sich aus der individuellen Berechnung durch die zwei Agenten ergeben) am Ende eines Simulationslaufs (Farbcodierung nach Abbildung 4-13). Die beiden ersten Werte werden sowohl numerisch aufgetragen als auch visuell für jede Strategiekombination (entweder als schwarze oder auch als graue Säule) dargestellt. Man kann sich vorstellen, dass es sich bei dieser Art der Visualisierung um Kessel bzw. Tanks handelt. Der Grad der Füllung eines solchen Tanks gibt Auskunft über den Grad der Einstellung. Je mehr er gefüllt ist, desto kompetitiver ist die Einstellung. Andersherum ist die Einstellung umso kooperativer, desto weniger stark der Tank gefüllt ist. Im jeweils linken Kästchen (hellblauer Hintergrund mit schwarzer Säule) ist der durchschnittliche Einstellungswert über einen Run aufgetragen, während im rechten Kästchen (hellblauer Hintergrund mit grauer Füllung) der Wert am Ende jedes Runs zu sehen ist.

177

Der dritte Wert gibt Auskunft über den höheren von zwei Einstellungswerten am Ende eines Simulationslaufs (engl.: run). Bei diesen Werten handelt es sich um subjektive Einstellungswerte der beiden Agenten, die jeder für sich zu jedem Zeitpunkt die Einstellung in der vorher beschriebenen Weise bestimmen. In Abbildung 5-1 wird der höhere dieser beiden Werte analog zum Farbschema aus Abbildung 4-13 dargestellt. Die entsprechende Farbe umrahmt den durchschnittlichen Einstellungswert und den Wert zum letzten Zeitschritt. Für den in Abbildung 5-1 eingekreisten Simulationslauf ist zu sehen, dass der höchste Einstellungswert am Ende des Simulationslaufs im roten Bereich, numerisch also im Intervall zwischen 0.75 und 1, liegt. Dieser Wert wird deshalb sichtbar gemacht, da es zur Bestimmung der Konfliktstufe ausreicht, wenn bereits einer der beteiligten Akteure eine Unvereinbarkeit wahrnimmt und es sein kann, dass der Einstellungswert des einen Agenten vom Einstellungswert des anderen Agenten abweicht. So kann es beispielsweise sein, dass die Einstellung eines Agenten sich im kooperativen Bereich befindet, während der Gegenspieler sich mit seiner Einstellung aber bereits in einem Bereich befindet, in dem sich kompetitive Anteile in seine Einstellungen mischen. Es soll exemplarisch der Simulationslauf in der unteren linken Ecke Abbildung 5-1 betrachtet werden. Dies ist der Simulationslauf, in dem der RIP-Agent die Strategie renounce × strongSignal spielt. Hier sieht man, dass der Einstellungswert des „SIP-Agent“ im letzten Zeitschritt bei 0.1 – also im rein kooperativen Bereich – liegt. Die gelbe Hintergrundfarbe jedoch gibt Aufschluss darüber, dass der Gegneragent vergleichsweise kompetitiver eingestellt sein muss, denn der gelbe Bereich wird erst dann erreicht, wenn der Einstellungswert im Intervall zwischen 0.25 und 0.5 liegt. Die verhältnismäßig kompetitivere Haltung des RIP-Agenten ist hier nicht weiter verwunderlich, denn es wird ihm schließlich über 30 Zeitschritte hinweg gedroht.

5.1.1

Hypothesen für die Sensitivitätsanalyse

In diesem Abschnitt werden Hypothesen aufgestellt, die es durch die Sensitivitätsanalyse zu überprüfen gilt. Sie basieren teils auf alltagspsychologischen Überlegungen, aber auch auf Beobachtungen aus der Sozialpsychologie. Einige der aufgestellten Hypothesen fußen sowohl auf konsistenztheoretischen

Überlegungen

als

auch

auf

Überlegungen

zu

sozialen

Vergleichsprozessen. Sozialer Vergleich findet vor allem dann statt, wenn ein objektiver Maßstab fehlt (Festinger, 1954) oder aber wenn scheinbar objektive Anhaltspunkte wie z.B. Normen an Gültigkeit verlieren. Übertragen auf das im SCAR-Modell verwendete Spiel würde das bedeuten, 178

dass die gesendeten Signale zum Einen Anhaltspunkte liefern können, wie stark die Bindung bzw. das Commitment gegenüber der bestehenden Norm ist, und andererseits darüber, wie kompetitiv die Einstellungen sind. Unfreundliche Signale, die vom Gegenspieler ausgehen, können in Kränkungen resultieren. Wie stark sich ein Mitspieler von negativen verbalen Signalen kränken lässt ist oft abhängig von der Historie. Generell gilt deshalb: Je unfreundlicher der Gegenspieler über die Zeit ist, desto kompetitiver ist die eigene Einstellung. Da man selber nichts unternehmen kann wenn der Gegenspieler dauerhaft viel entnimmt, ist es aus konsistenztheoretischen Überlegungen heraus einleuchtend, dass in einem solchen Fall die eigene Einstellung bezogen auf das Gegenüber kompetitiv wird. Deshalb gilt: Je mehr der Gegenspieler entnimmt, desto kompetitiver ist die eigene Einstellung. Es stellt sich nun die Frage, welchen Einfluss die eigenen Handlungen auf die eigene Einstellung haben. Geht man davon aus, dass jeder Spieler prinzipiell in der Lage ist, seine eigene Handlung anzupassen, dann sollten die eigenen negativen Verhaltensweisen nicht dazu führen, dass die eigene Einstellung kompetitiver wird. Die eigenen Verhaltensweisen dürfen insbesondere dann nicht zu einer vergleichsweise kompetitiveren Einstellung führen, wenn sich der Gegenspieler fair verhält. Für den Simulationsaufbau bedeutet das: Verändert der Gegenspieler seine Strategie innerhalb eines Sets nicht, dann sollte die eigene Handlungsauswahl keinen bzw. nur einen geringen Effekt in Richtung kompetitiver Haltung haben. Für die eigene Haltung dem Anderen gegenüber sollte in solchen Szenarien überwiegend das Verhalten des Gegenübers ausschlaggebend sein. Die in Abschnitt 2.4 vorgestellten Prozessmodelle von Messmer und Glasl haben beide gezeigt, dass die Konfliktauflösung von der vorherrschenden Konfliktstufe abhängt. Es ist also wichtig, wann interveniert wird. Auch diese Hypothese gilt es im Rahmen der Sensitivitätsanalyse zu überprüfen. Es wurde in sozialpsychologischen, psychologischen und spieltheoretischen Arbeiten immer wieder darauf hingewiesen, wie wichtig die Struktur ist, in der sich Akteure befinden (vgl. Bühl, 1976; Zimbardo, 2008). Es sind die Umstände, die darüber entscheiden ob ein Konflikt entsteht oder nicht. Aus diesem Grund sollte es auch einen Einfluss haben, wie viele Einheiten der Umweltressource zu Beginn der Simulation zur Verfügung stehen. Die Hypothesen im Überblick:

179

1) Je unfreundlicher der Gegenspieler ist, desto kompetitiver ist die eigene Einstellung. 2) Je mehr der Gegenspieler entnimmt, desto kompetitiver ist die eigene Einstellung. 3) Verändert der Gegenspieler seine Strategie (innerhalb eines Sets) nicht, dann hat die eigene Handlung keinen Effekt in Richtung kompetitiver Einstellung. 4) Die Konfliktauflösung hängt von der vorherrschenden Konfliktstufe ab. Also ist es wichtig, wann interveniert wird. 5) Je mehr Ressourceneinheiten zu Beginn der Simulation vorhanden sind, desto milder ist nachfolgend die Einstellung gegenüber dem Gegner und dementsprechend prägt sich auch der Konflikt nicht so stark aus.

5.1.2

Interpretation der Simulationsergebnisse – Hypothesen I-III

Einstellungen des Agenten mit dem Persönlichkeitstyp SIP Die Untersuchung jedes einzelnen der 16 Sets (vgl. Anhang B) zeigt ausnahmslos, dass die Einstellung des SIP-Agenten umso kompetitiver wird, je mehr der Gegneragent (RIP-Agent) entnimmt. Gleichzeitig ist ein ähnlicher Effekt auf der Signaldimension beobachtbar. Je unfreundlicher der Gegneragent (RIP-Agent) ist, desto kompetitiver sind die Einstellungen des SIP-Agenten. Beide Effekte spiegeln sich in beiden Einstellungswerten (Mittelwert und letzter Simulationsschritt) wider. Anhand der Abbildungen 5-4 und 5-5 können diese Effekte für „extreme“ Handlungen des SIP-Agenten nachvollzogen werden. Der erste Effekt, bei dem die Einstellung umso kompetitiver wird, je mehr der Gegneragent entnimmt, kann für die ausgewählten Sets in jeweils allen vier Spalten nachvollzogen werden. Der zweite Effekt kann in jeweils allen vier Zeilen der ausgewählten Sets beobachtet werden. Hypothesen 1 und 2 aus dem Abschnitt 5.1.1 können somit bestätigt werden: Die eigene Einstellung wird umso kompetitiver, je unfreundlicher der Gegenspieler ist. Sie wird ebenfalls umso kompetitiver, je mehr der Gegenspieler entnimmt.

180

Abbildung 5-2: Darstellung der Einstellungen des SIP-Agenten über zwei Sets (Set a links und Set b rechts). Anmerkung: In Set a spielt der SIP-Agent stets die fixe Strategie verzichten× drohen (engl.: renounce × threaten ),

In

Set

b

die

fixe

Strategie

verzichten × starkeAkzeptanz

(engl.:

renounce × strongAcceptance ).

Abbildung 5-2 zeigt die Einstellung des SIP-Agenten für zwei Sets. Genau genommen zeigt sie für jeden Simulationslauf die durchschnittliche (schwarze Säule, Bezeichnung: mean), die subjektive (graue Säule, Bezeichnung: lastTick) und die objektive Einstellung (Farbcodierung) für den letzten Simulationsschritt. Die beiden in der Abbildung dargestellten Sets zeigen die Ergebnisse der Einstellungsberechnung des SIP-Agenten für den Fall, dass er selbst entweder die Strategie verzichten × drohen (engl.: renounce× threaten , linker Teil der Abbildung) oder die Strategie verzichten × starkeAkzeptanz (engl.: renounce× strongAcceptance ) ausspielt. Alle restlichen Bedingungen sind in den vorgestellten Sets gleich. Möchte man nun die dritte Hypothese aus dem Abschnitt 5.1.1 anhand dieser Abbildung bestätigen, dann müssten die errechneten Ergebnisse der subjektiven Einstellung des SIP-Agenten im linken und rechten Set entweder gleich oder zumindest sehr ähnlich sein. Das Einzige, was sich zwischen den Sets verändert hat, ist schließlich die Strategie des SIP-Agenten, und diese dürfte laut der dritten Hypothese keinen Einfluss auf die eigene Einstellung haben.

181

Betrachtet man nun das rechte Set in Abbildung 5-2 (Set b) und vergleicht dieses mit dem linken Set (Set a), so erscheinen sie auf den ersten Blick identisch. Anhand der leicht voneinander abweichenden Zahlenwerte (mean und lastTick) kann man jedoch beobachten, dass sich die vom SIP-Agenten

positiv

ausgesendeten

Signale

vergleichsweise

leicht

negativ

auf

den

Konfliktverlauf auswirken. Dieser Effekt kann in Abbildung 5-4 exemplarisch anhand der Simulationsläufe

nachvollzogen

werden,

in

denen

der

RIP-Agent

die

Strategie

verzichten × starkeAkzeptanz (engl.: renounce × strongAcceptance ) spielt, während der SIP-Agent

im

einen

Fall

verzichten × drohen (engl.:

verzichten × starkeAkzeptanz

(engl.:

renounce× threaten )

renounce× strongAcceptance )

und

im

anderen

Fall

spielt. Das entspricht

den

Simulationsläufen, die in der linken unteren Ecke des jeweiligen Sets von Abbildung 5-2 zu finden sind. Für den Fall, in dem der SIP-Agent die Strategie verzichten × drohen (engl.: renounce × threaten ) spielt (Set a), ist der durchschnittliche Einstellungswert des SIP-Agenten

bei 0.09 und der Wert zum letzten Zeitschritt 0.1. Im anderen Fall, in dem der SIP-Agent die Strategie verzichten × starkeAkzeptanz (engl.: renounce × strongAcceptance spielt (Set b), sind diese Werte jedoch leicht höher: Der durchschnittliche Einstellungswert des SIP-Agenten liegt nun bei 0.11, während der Einstellungswert zum letzten Zeitschritt bei 0.12 liegt. Alltagspsychologisch gesprochen wäre man bei dieser Beobachtung dazu geneigt, den Unterschied durch enttäuschte Erwartungen zu erklären. Es erscheint nur allzu plausibel, dass Enttäuschungen entstehen, wenn man selber freundlich ist, diese Freundlichkeit jedoch nicht „belohnt“ wird. Tatsächlich ist dieser leichte Unterschied dadurch zu erklären, dass Drohungen sich positiv auf den Kompetenztank des Drohenden auswirken und somit einen leicht positiven Effekt auf die Aktiviertheit haben. Analog zu Abbildung 5-2 zeigt Abbildung 5-3 die Einstellung des SIP-Agenten für zwei Sets. Dieses Mal sind jedoch zwei Sets abgebildet, in denen der SIP-Agent jeweils maximal viel (vier Ressourceneinheiten) entnimmt. Ein Vergleich der beiden in der Abbildung dargestellten Sets zeigt erneut, dass die eigene Signalhandlung keinen bzw. nur einen minimalen Effekt auf die resultierende Einstellung hat. Die minimalen Abweichungen können auch hier durch den leicht positiven Effekt erklärt werden, den Drohungen auf den eigenen Kompetenztank haben. Über das gesamte Ensemble konnte gezeigt werden, dass die eigenen Signalhandlungen lediglich minimale Effekte auf die resultierende Einstellung hat. Hypothese 3 kann somit für die vom SIP-Agenten ausgeführten Signalhandlungen für das gesamte Ensemble bestätigt werden (vgl. Anhang B). 182

Gemäß der dritten Hypothese aus Abschnitt 5.1.1 sollten aber auch die eigenen Entnahmehandlungen bei gleichbleibender Gegnerstrategie in Szenarien mit fixen Strategien keine oder nur sehr geringe Auswirkungen auf die eigene Einstellung dem Anderen gegenüber haben. Mit anderen Worten: Bei gleichbleibender Gegenstrategie sollte es – vergleicht man zwei unterschiedliche Simulationsläufe miteinander – für die Bestimmung der eigenen Einstellung weitestgehend egal sein, welche Entnahmehandlung selbst gespielt wurde. Auch hier sollte vielmehr entscheidend sein, was der Gegenspieler macht.

Abbildung 5-3: Darstellung der Einstellungen des SIP-Agenten über zwei Sets (Set c links und Set d rechts). Anmerkung: In Set c spielt der SIP-Agent stets die fixe Strategie nimm4 × drohen (engl.: take4 × threaten ), in Set b die fixe Strategie nimm4 × starkeAkzeptanz (engl.: take4 × StrongAcceptance ).

Um den Effekt der Entnahmehandlung des SIP-Agenten auf die Einstellungsberechnung beobachten zu können, können die miteinander korrespondierenden Sets (d.h. die Sets, in denen der SIP-Agent jeweils die gleiche Signalhandlung, jedoch eine andere Entnahmehandlung spielt) aus Abbildung 5-2 und Abbildung 5-3 miteinander verglichen werden. Das bedeutet, dass das linke Set von Abbildung 5-2 (Set a) mit dem linken Set von Abbildung 5-3 (Set c) verglichen wird bzw. das rechte Set von Abbildung 5-2 (Set b) mit dem rechten Set von Abbildung 5-3 (Set d). Auf diese Weise kann der in Hypothese 3 postulierte Effekt anhand extremer

183

Entnahmehandlungsweisen exemplarisch nachvollzogen werden. Der Vergleich zeigt, dass auch für die Entnahmehandlung des SIP-Agenten leichte Unterschiede in seiner Einstellung zu erkennen sind. Dieser Effekt kann wieder anhand eines Beispiels verdeutlicht werden: Es soll dazu der jeweils oben rechts stehende Simulationslauf des linken Sets aus Abbildung 5-2 und Abbildung 5-3 (Set a und Set c) miteinander verglichen werden. Es handelt sich dabei um die Simulationsläufe, in denen der RIP-Agent immer die Strategie nimm4 × drohen (engl.: take4 × threaten ) anwendet, während der SIP-Agent im ersten Simulationslauf verzichten× drohen

(engl.: renounce× threaten ) und im zweiten nimm4 × drohen (engl.: take4 × threaten ) spielt. Es kann beobachtet werden, dass sich die Einstellung des SIP-Agenten im ersten Fall (in dem er selbst bei gleichbleibender Signalhandlung auf die Entnahme von Ressourcen verzichtet) verhältnismäßig kompetitiver ist. In dem Simulationslauf, in dem der SIP-Agent vier Ressourceneinheiten entnimmt, liegt der durchschnittliche Einstellungswert bei 0.66, während er im anderen Fall bei 0.73 liegt. Abbildung 5-4 zeigt u.a. die Entwicklung der Einstellungen des SIP-Agenten über 30 Zeitschritte für die beiden gerade benannten fixen Strategien. Die Berechnung erfolgt wieder nach der in Abschnitt 4.2.5.2 vorgestellten Formel (4-1). Die Entwicklung der Einstellung des SIP-Agenten kann anhand der schwarzen Linie für den Fall nachvollzogen werden, in dem der SIP-Agent auf die Ressourcenentnahme verzichtet. In Abbildung 5-2 entspricht das dem im Set a rechts oben stehenden Simulationslauf. Entsprechend endet die schwarze Linie im 30sten Zeitschritt bei einem Wert von 0.92.

184

Abbildung 5-4: Vergleich von Einstellungen des SIP-Agenten und ausgewählten Komponenten über zwei Simulationsläufe. Anmerkung: Der Gegenspieler spielt in beiden Simulationsläufen die fixe Strategie nimm4 × drohen (engl.: take4 × threaten ). Der SIP-Agent spielt einmal verzichten× drohen (engl.: renounce × threaten ) (bunte

Kurven), im anderen Fall nimm4 × drohen (engl.: take4 × threaten ) (graue Kurven).

Die Entwicklung der Einstellung für den Fall, in dem der SIP-Agent maximal viel entnimmt (rechts oben stehender Simulationslauf von Set c in Abbildung 5-3) ist in Abbildung 5-4 durch eine durchgehend hellgraue Linie abgebildet, die im 30sten Zeitschritt bei einem Wert von 0.84 endet. Betrachtet man nun die einzelnen Komponenten, aus denen sich die Einstellungen zusammensetzen, so lässt sich folgendes beobachten: Unterschiede bezogen auf die Normüberschreitungen gibt es in den beiden betrachteten Simulationsläufen nicht, da die Gegenstrategie des RIP-Agenten in beiden Fällen gleich ist. Anders verhält es sich bei den in der 185

Formel vorgestellten Komponenten Aktiviertheit und Ressourcenwert. Sie sind die verbleibenden Komponenten, die zur Bestimmung der Einstellung verwendet werden. Die separate Betrachtung von Aktiviertheit und dem Ressourcenwert über die Zeit gibt Aufschluss darüber, weshalb sich die Einstellungen in der beschriebenen Weise entwickeln. Abbildung 5-4 zeigt diese Komponenten für zwei Fälle. Für den ersten Fall, in dem der SIPAgent die Strategie verzichten × drohen (engl.: renounce× threaten ) spielt, sind die Komponenten bunt, für den zweiten Fall, wo der SIP-Agent die Strategie nimm4 × drohen (engl.: take4 × threaten ) spielt, sind sie grau dargestellt. Es ist zu sehen, dass im letztgenannten Fall sowohl die Aktiviertheit als auch der Ressourcenwert des SIP-Agenten nach dem ersten Zeitschritt niedriger ist als im ersten Fall. Dies ist wie folgt zu erklären: Durch die maximale Entnahme im zweiten Simulationslauf füllt sich der Tank des Ressourcenbedarfs – bei sonst gleich bleibenden Randbedingungen – stärker auf. Das führt letztendlich dazu, dass die Aktiviertheit zunächst sogar nur sehr leicht ansteigt. Der zunächst langsame Anstieg der Aktiviertheit (und auch des Ressourcenwertes) hält solange an, bis die Umweltressource im sechsten Zeitschritt ausstirbt. Erst ab diesem Zeitpunkt steigt die Aktiviertheit stärker an.

Einstellungen des Agenten mit dem Persönlichkeitstypen RIP Abbildungen 5-7 und 5-8 zeigen jeweils für zwei Sets die resultierenden Einstellungen des Agenten mit dem Persönlichkeitstypen RIP für „extreme“ Handlungen des SIP-Agenten. Wie zu erwarten, bleiben auch hier die Einstellungen weitestgehend unverändert, wenn der Gegenspieler immer die gleiche fixe Gegenstrategie spielt. Das kann innerhalb der folgenden Abbildungen besonders gut nachvollzogen werden, da die Einstellungen des RIP-Agenten während eines Sets für alle seine eigenen Handlungen aufgetragen sind. Die Uniformität der Ergebnisse ist auf einen Blick erkennbar. Auch für die Einstellungen des RIP-Agenten kann die Hypothese 3 aus Abschnitt 5.1.1 leicht überprüft und bestätigt werden.

186

Abbildung 5-5: Darstellung der Einstellungen des RIP-Agenten über zwei Sets (Set a und b). Anmerkung: In Set a spielt der SIP-Agent stets die fixe Strategie verzichten× drohen (engl.: renounce× threaten ),

in

Set

b

die

fixe

Strategie

verzichten× starkeAkzeptanz

(engl.:

renounce × strongAcceptance ).

Abbildung 5-6: Darstellung der Einstellungen des RIP-Agenten über zwei Sets (Set c und Set d). 187

Anmerkung: In Set c spielt der SIP-Agent stets die fixe Strategie nimm4 × drohen (engl.: take4 × threaten ), In Set b die fixe Strategie nimm4 × starkeAkzeptanz (engl.: take4 × StrongAcceptance ).

Bei genauer Beobachtung sind auch hier minimale Unterschiede sichtbar. Betrachtet man exemplarisch Abbildung 5-6, kann man innerhalb eines Sets anhand der aufgetragenen Zahlenwerte (Durchschnittswert und Einstellungswert im letzen Zeitschritt) sehen, dass die Einstellung des RIP-Agenten umso kooperativer wird, je mehr er selbst entnimmt. Um diesen feinen Effekt zu verstehen, müssen die Komponenten betrachtet werden, die für die Bestimmung der Einstellungen relevant sind. Da der SIP-Agent innerhalb eines Sets immer dieselbe fixe Strategie fährt, können vergleichsweise unterschiedliche Normüberschreitungen für diesen Effekt nicht die entscheidenden Faktoren sein. Für den Fall, dass der SIP-Agent eine Norm überschreitet, ist die Menge der Normüberschreitungen in jedem Simulationslauf gleich. Es ist deshalb vielmehr zu vermuten, dass wieder die anderen beiden Komponenten zur Bestimmung der Einstellung, nämlich die Aktiviertheit und der Ressourcenwert für diesen Effekt verantwortlich

sind.

Diese

Faktoren

sollen

deshalb

nachfolgend

im

Kontext

der

Ressourcenentwicklung genauer betrachtet werden: Abbildung 5-7 zeigt sowohl die Ressourcenentwicklung als auch die Entwicklung der Aktiviertheit und des Ressourcenwertes des RIP-Agenten über die Zeit. Ausgewählt wurden jene Simulationsläufe, in denen der Gegneragent (SIP) – analog zum linken Set in Abbildung 5-6 – jeweils immer die Strategie nimm4 × drohen (engl.: take4 × threaten ) spielt. Der RIP-Agent hingegen spielt im ersten Lauf verzichten× drohen (engl.: renounce× threaten ), im zweiten nimm2 × drohen (engl.: take2 × threaten ), im dritten nimm3 × drohen (engl.: take3 × threaten ) und im

vierten Simulationslauf nimm4 × drohen (engl.: take4 × threaten ). Diese Auswahl entspricht den Simulationsläufen der vierten Spalte des linken Sets (Set c) in Abbildung 5-6. In Abbildung 5-7 wird die Ressourcenmenge rot, der Ressourcenwert orange und die Aktiviertheit grün dargestellt, so dass diese Komponenten farblich voneinander unterschieden werden können. Die unterschiedlichen Simulationsläufe sind durch die jeweils gewählte Entnahmemenge des RIP-Agenten (von null bis vier) gekennzeichnet. Man kann anhand der Abbildung 5-7 deutlich erkennen, dass die Aktiviertheit des RIP-Agenten in den Simulationsläufen weniger stark ansteigt, in denen er mehr entnimmt. Das liegt daran, dass sich durch die Entnahme der Ressourcentank des Agenten auffüllt und der Bedarf vorerst besser ausgeglichen werden kann. Zur Erinnerung: Je besser die Bedarfe in ihrer Summe gedeckt sind, desto niedriger ist die Aktiviertheit (vgl. 188

Abschnitte 3.2.3.3 und 4.2.5.1). Darüber hinaus steigt aber auch der Ressourcenwert bei höherer Entnahme verhältnismäßig leichter an. Das hängt mit der im Abschnitt 4.2.5.1 geschilderten „Gewichtung“ vom objektiven Wert der Ressource (also letztlich der Ressourcenmenge) und subjektiven Wert der Ressource (dem Bedarf nach der Ressource) zusammen. Die leicht unterschiedliche Gewichtung wird durch den Ressourcenbedarf erzeugt, der pro Zeitschritt einem Verfall (engl.: decay) unterworfen ist (vgl. Abschnitt 4.2.5.1).

Abbildung

5-7:

Aktiviertheit

und

Ressourcenwert

des

RIP-Agenten

und

die

Ressourcenentwicklung sind für vier ausgewählte Simulationsläufe ( nimm 4 × drohen vs. alleEntnahmen × drohen ) aufgetragen. Anmerkung: Der SIP-Agent spielt in allen Läufen die fixe Strategie nimm4 × drohen . Auch der RIP-Agent droht in jedem Simulationslauf, während von Lauf zu Lauf alle Entnahmehandlungen durchiteriert werden. Die Simulationsläufe entsprechen der vierten Spalte in Abbildung 5-6.

189

Anhand von Abbildung 5-7 kann nachvollzogen werden, dass leicht unterschiedliche Entwicklungen der Aktiviertheit und des Ressourcenwerts innerhalb eines Sets tatsächlich zu leichten veränderten Einstellungen führen, obwohl die eigene Strategie keinen Einfluss auf die eigene Einstellung haben sollte. Die gezeigten Effekte konnten anhand der Modellelemente erläutert werden und können aufgrund der geringen Effektstärke vernachlässigt werden.

Abbildung 5-8: Ressourcenentwicklung, Aktiviertheit und der Ressourcenwert sind für vier ausgewählte Simulationsläufe ( verzichten × drohen vs. alleEntnahmen × drohen ) aufgetragen. Anmerkung: Der SIP-Agent spielt in allen Läufen die fixe Strategie verzichten× drohen . Auch der RIPAgent droht in jedem Simulationslauf, während von Lauf zu Lauf alle Entnahmehandlungen durchiteriert werden. Die Simulationsläufe entsprechen der vierten Spalte in Abbildung 5-5.

Betrachtet man exemplarisch Abbildung 5-5, dann kann man beobachten, dass das Ergebnis der Einstellungsberechnung des RIP-Agenten (Vergleich in Leserichtung von unten nach oben), umso kooperativer wird, je mehr er selbst entnimmt. Für den Fall, dass der RIP-Agent selbst jedoch 190

vier Ressourceneinheiten pro Zeitschritt entnimmt, wird seine Einstellung wieder leicht kompetitiver. In Abbildung 5-8 kann nachvollzogen werden was geschieht. Auch in dieser Abbildung werden die Ressourcenmenge (rot), der Ressourcenwert (orange) und die Aktiviertheit (grün) farblich voneinander unterschieden, während die unterschiedlichen Simulationsläufe anhand der jeweils gewählten Entnahmemenge des RIP-Agenten (von null bis vier) gekennzeichnet sind. Auch hier gilt für die Aktiviertheit, dass sie umso geringer ist, je mehr der RIP-Agent selbst entnimmt. Dieser Effekt bleibt in den hier beschriebenen Szenarien nur solange wirksam bis die Ressource ausstirbt. Nachdem der Agent das Aussterben der Ressource bemerkt hat, kommt es zu einem starken Anstieg der Aktiviertheit. Die Aktiviertheit wird verhältnismäßig größer, da der Ressourcenbedarf nicht mehr gedeckt werden kann. Ähnliches gilt für den Ressourcenwert. Hatte die Ressource aufgrund des gut gedeckten Ressourcenbedarfs vorher einen relativ niedrigen Wert, steigt ihr Wert nun umso mehr an.

Insgesamt lassen sich die Simulationsergebnisse im Hinblick auf die ersten drei Hypothesen wie folgt zusammenfassen: Generell kann für jedes einzelne Set beobachtet werden, dass sich die Werte

erwartungsgemäß

in

Richtung

kompetitiver

Einstellung

verändern,

je

mehr

Ressourceneinheiten vom RIP-Agenten entnommen werden. Das gleiche gilt für die Versendung von Signalen. Je positiver das Signal ist, das verschickt wird, desto kooperativer sind die Agenten und umgekehrt. Weiterhin kann in den einzelnen Sets beobachtet werden, dass die eigene Handlung lediglich minimale Effekte auf die Einstellungen gegenüber dem Gegenspieler hat. Somit konnten in diesem Abschnitt die Hypothesen 1, 2 und 3 aus Abschnitt 5.1.1 belegt werden. Betrachtet man das gesamte Ensemble, so kann man ferner feststellen, dass der durchschnittliche Einstellungswert in der Regel niedriger ist als der Einstellungswert am Ende der Simulation. Das hängt damit zusammen, dass es aufgrund der Starrheit der verwendeten Strategien zu einem uniformen Anstieg in Richtung kompetitiver Haltungen kommt. Eine Ausnahme von dieser Regel liefern die Simulationsläufe, in denen beide Agenten Verzicht ausüben und gleichzeitig freundliche Signale senden. Das liegt darin begründet, dass das Wachsen der Ressource sich positiv auf die Einstellungen auswirkt, während die anderen Faktoren weitestgehend gleich bleiben.

191

5.1.3

Interpretation der Simulationsergebnisse – Hypothesen IV-V

Im Folgenden wird wieder ein Simulationslauf exemplarisch herausgenommen, anhand dessen zunächst die vierte der im Abschnitt 5.1.1 aufgestellten Hypothesen überprüft wird. Hypothese vier besagt, dass die Konfliktauflösung von der vorherrschenden Konfliktstufe abhängt und es folglich wichtig ist, wann interveniert wird. Wieder soll der im linken Teil von Abbildung 5-2 rechts oben stehende Beispiellauf zur Überprüfung der Hypothese herangezogen werden. Das ist der Lauf (aus Set a), in dem der SIP-Agent die Strategie verzichten× drohen spielt, während der RIP-Agent die Strategie nimm4 × drohen anwendet. Anhand von Abbildung 5-9 kann die Entwicklung der Einstellungen beider Agenten für diesen Simulationslauf über die Zeit nachvollzogen werden. Darüber hinaus ist auch die Entwicklung der Umweltressource (hellgraue Linie in der Abbildung) über die Zeit (in Prozent) aufgetragen. Für die Interpretation der Einstellungswerte gilt: Je höher der Einstellungswert (vgl. Wert auf der y-Achse), desto kompetitiver ist die Einstellung. Umgekehrt ist die Einstellung umso kooperativer, je niedriger der Einstellungswert ist. Die Einstellungswerte des RIP-Agenten sind in rot dargestellt, die Einstellungswerte des SIP-Agenten hingegen in blau.

Abbildung 5-9: Simulationslauf mit fixer Strategie verzichten × drohen (SIP-Agent) und fixer Gegenstrategie nimm4 × drohen ( RIP-Agent). Anhand von Abbildung 5-9 ist zu sehen, dass die Umweltressource in diesem Szenario kontinuierlich abnimmt. Ab dem 15ten Zeitschritt tritt der Ressourcentod ein. Darüber hinaus ist 192

zu beobachten, dass die Einstellungen beider Agenten innerhalb der ersten fünf Zeitschritte rasch kompetitiver werden. Die Einstellung des RIP-Agenten stabilisiert sich jedoch ab dem 5ten Zeitschritt und steigt erst wieder an, wenn der Ressourcentod wahrgenommen wird. Im Vergleich zum RIP-Agenten wird die Einstellung des SIP-Agenten vergleichsweise schneller kompetitiver. Darüber hinaus wird die Einstellung des SIP-Agenten bis zum Simulationsende kontinuierlich kompetitiver und nähert sich zum Ende der Simulation dem maximalen Wert an. Der soziale Konflikt spitzt sich zu. Es stellt sich nun die Frage, welchen Einfluss deeskalative Maßnahmen zu unterschiedlichen Interventionszeitpunkten haben. Dabei sind verschiedene Interventionsmaßnahmen denkbar. Es könnte Interventionen bezogen auf die zur Verfügung stehende Ressourcenmenge geben. Es sind aber auch Interventionsmaßnahmen denkbar, die direkt auf das Verhalten der Agenten abzielen. In dem zu untersuchenden Szenario ist es offenbar das Verhalten des RIP-Agenten, das maßgeblich zur Konfliktentstehung beiträgt. Er übertritt die bestehenden Normen sowohl auf der sozialen als auch

auf

der

ökologischen

Ebene.

Es

ist

deshalb

interessant

zu

erfahren,

wie

Interventionsmaßnahmen, die das Verhalten des RIP-Agenten regulieren, sich auf die Entwicklung der Einstellungen und somit auf den Konflikt auswirken.

Abbildung 5-10: Simulationsläufe mit fixen Strategien unter Verwendung von deeskalativen Maßnahmen zu unterschiedlichen Zeitpunkten.

193

Abbildung 5-10 zeigt die Einstellungsentwicklung über die Zeit für beide Agenten (SIP und RIP). Innerhalb jedes Simulationslaufs gibt es eine Intervention. Diese Intervention sieht so aus, dass der RIP- Agent nach einer bestimmten Zeit dazu gezwungen wird, die freundlichste aller Strategien, nämlich verzichten× starkeAkzeptanz , zu spielen. Im linken Szenario geschieht diese Intervention ab Zeitschritt 5, während im rechten Szenario die Intervention erst im Zeitschritt 10 stattfindet. In der Abbildung 5-10 ist deutlich zu erkennen, dass die spätere Intervention (rechtes Szenario mit Intervention in Zeitschritt 10) dazu führt, dass die Ressource sich nicht mehr regenerieren kann. Das ist bei der frühen Intervention anders. Auch hier nimmt die Ressourcenmenge zunächst ab, nach der Intervention aber nimmt sie wieder zu. Darüber hinaus sind die Einstellungen beider Agenten erwartungsgemäß bei späterer Intervention kompetitiver als im Vergleichsszenario links in der Abbildung. Zwar reagiert der SIP-Agent in der Einstellungsbildung auf den Strategiewechsel und erkennt die „Bemühungen“ des Anderen an, es kommt aber nicht mehr zu einer so starken Verschiebung in Richtung kooperativer Einstellung wie zuvor. Zudem verändert sich auch die Einstellung des RIP-Agenten. Er wird leicht kompetitiver. Dieser Effekt wurde bereits im vorherigen Abschnitt besprochen. In Abbildung 5-11 ist zu sehen, was passiert wenn noch später interveniert wird (Intervention im Zeitschritt 20). Es kommt zwar auch hier nach der Intervention zu einer Deeskalation, allerdings ist ihr Effekt wesentlich schwächer als in den Szenarien zuvor. Die Ressource ist bereits seit dem 15ten Zeitschritt ausgestorben.

194

Abbildung 5-11: Simulationslauf mit fixen Strategien unter Verwendung von deeskalativen Maßnahmen zu einem späten Simulationszeitpunkt.

Anhand der Simulationsläufe mit Interventionsmaßnahmen zu verschiedenen Zeitpunkten (Abbildung 5-10 und Abbildung 5-11) wurde für die ausgewählte Strategiekombination gezeigt, dass es für die Konfliktauflösung entscheidend ist, wann interveniert wird. In den besprochenen Simulationsläufen mit Interventionsmaßnahmen zu verschiedenen Zeitpunkten zeigt sich, dass die Auflösung des Konfliktes bei gleicher Interventionsmaßnahme umso langsamer passiert, je später interveniert wird. Somit kann auch die vierte Hypothese aus Abschnitt 5.1.1 für das ausgewählte Beispiel bestätigt werden. Die vierte Hypothese besagt, dass die Konfliktauflösung von der vorherrschenden Konfliktstufe abhängt und dass es deshalb wichtig ist, wann interveniert wird. Es bleibt noch zu zeigen, wie es um die fünfte Hypothese bestellt ist. Sie besagt, dass die anfängliche Ressourcenmenge eine wichtige Rolle für die Ausprägung des Konflikts hat. Genauer gesagt: Je mehr Ressourceneinheiten zu Beginn der Simulation vorhanden sind, desto milder ist nachfolgend die Einstellung gegenüber dem Gegner und dementsprechend prägt sich auch der Konflikt nicht so stark aus. Abbildung 5-12 zeigt zwei Sets im Vergleich. Sie zeigt die Simulationsergebnisse für zwei unterschiedliche Anfangsbedingungen: Im ersten Fall wird die Simulation mit einem Bestand von 40 Ressourceneinheiten gestartet, im zweiten Fall mit einem Ressourcenbestand von 60 Einheiten. Die restlichen Anfangsbedingungen bleiben identisch. Die Simulationsergebnisse 195

beziehen sich (analog zu Abbildung 5-2) wieder auf die durchschnittlichen Einstellungswerte des SIP-Agenten und die Einstellungswerte zum Zeitpunkt des letzen Zeitschritts für den Fall, dass er selbst die Strategie verzichten× starkeAkzeptanz (engl.: renounce× strongAcceptance ) spielt. Für die Bedingung, dass die Simulation mit einem Bestand von 40 Ressourceneinheiten gestartet wird, repräsentiert die schwarze Säule jeweils den durchschnittlichen Einstellungswert und die graue Säule den Einstellungswert zum letzten Zeitpunkt. Für die Bedingung, in der die Simulation mit einem Ressourcenbestand von 60 Ressourceneinheiten gestartet wird, ist der durchschnittliche Einstellungswert khaki und der Einstellungswert zum letzten Simulationszeitschritt gelblich dargestellt. Anhand von Abbildung 5-12 lässt sich beobachten, dass die Einstellung in den meisten Fällen weit weniger kompetitiv sind, wenn die Simulation mit 60 Ressourceneinheiten gestartet wird, als wenn sie mit lediglich 40 Ressourceneinheiten gestartet wird. Diese Beobachtung gilt für das gesamte Ensemble. In den wenigen Fällen, in denen die Einstellung im Szenario mit anfänglichem Ressourcenreichtum nicht kooperativer ist als im Szenario mit vergleichsweise wenigen Ressourceneinheiten zu Beginn, ist die Einstellung gleich und niemals kompetitiver.

Abbildung 5-12: Entwicklung der Einstellungen unter unterschiedlichen Umweltbedingungen. Anmerkung: Die Abbildung zeigt die Einstellungen des SIP-Agenten unter unterschiedlichen Umweltbedingungen. Der SIP-Agent spielt immer die fixe Strategie renounce× strongAcceptance . Der schwarze und graue Balken in der Abbildung zeigen analog zur Abbildung 5-2 (Set b) die resultierende durchschnittliche Einstellung und die Einstellung zum 30sten Zeitschritt unter Umweltbedingungen, in

196

denen Ressourcenknappheit vorherrscht. Der khaki-farbene und der gelbe Balken geben die gleiche Information für den Fall, dass die Umweltressource zu Beginn der Simulation reichlich vorhanden ist.

5.2

Sensitivitätsanalyse - Simulationsergebnisse mit variablen Strategien

Im Folgenden werden variable Strategien betrachtet. Das bedeutet, dass sich jeder Spieleragent nun selbstständig in jedem Simulationszeitschritt für eine auszuführende Handlung entscheidet. In der vorgegebenen Spielsituation bedeutet das konkret, dass jeder Spieleragent zu jedem Zeitschritt eines aus 16 möglichen Handlungstupeln (jedes Handlungstupel besteht aus einer Entnahmehandlung und einer Signalhandlung) auswählen muss. Dieses Auswahlverfahren wird maßgeblich von den Intentionen eines jeden Spielers bestimmt. Die Intentionsbildung basiert sowohl auf den jeweiligen Bedarfen und dem Grad der empfundenen Bindung an die vorherrschende Entnahmenorm als auch auf den mit jedem Bedarf verknüpften Erwartungen. Die Intentionsbildung wurde im Abschnitt 4.1.3.1 allgemein und in Abschnitt 4.2.4.2 spezifisch für das SCAR-Modell erläutert. Neben den Intentionen spielt für die Handlungsauswahl aber auch der situative Kontext eine Rolle. Die korrespondierenden Handlungsregeln, die bei den variablen Strategien zum Einsatz kommen, wurden in Abschnitt 4.2.4.6 behandelt. Auch bei den variablen Strategien geschieht die Bestimmung der Einstellung auf die Weise, wie durch die Formel (4-1) beschrieben. Einstellungen wurden in Abschnitt 2.4.4 als wichtige Konstrukte zur Bestimmung der Konfliktintensität identifiziert. Neben den Einstellungen liefern die Handlungen und Interaktionen der Konfliktbeteiligten wichtige Informationen über die Konfliktintensität. Messmer, aber vor allem auch Glasl, beschreiben in ihren Prozessmodellen, wie das Verhalten der Konfliktparteien nach und nach negativer wird. Glasl zeigt auf, wie sich der Konflikt allmählich zunächst auf der verbalen Ebene zuspitzt. Es wird angenommen, dass sich ein solches Verhalten auch in den simulierten Konflikten wiederfindet.

5.2.1

Hypothesen für die Sensitivitätsanalyse

Die vier Hypothesen, die für die Sensitivitätsanalyse der variablen Strategien aufgestellt werden, orientieren sich an den in Kapitel 1 gestellten Forschungsfragen. Die Hypothesen lauten: 1. Innere Konflikte spiegeln sich auch als äußere Konflikte wider.

197

2. Entnahmenormverletzungen und unfreundliche Signale wirken sich in Richtung kompetitiver Einstellungen aus. 3. Bei sonst gleichen kontextuellen Bedingungen entwickelt sich der Konflikt bei anfänglichem Ressourcenmangel schneller als bei anfänglichem Ressourcenreichtum. 4. Je stärker sich die Agenten an die Entnahmenorm gebunden fühlen, desto weitsichtiger wird ihr Verhalten. Weitsichtig ist das Verhalten der Agenten dann, wenn es ihnen gelingt, die Ressource nachhaltig zu managen.

Der ersten Hypothese liegt die Forschungsfrage zugrunde, ob individuelle Frustration schneller zu intensiveren Konflikten führt. Um diese Hypothese überprüfen zu können, müssen wir untersuchen, welchen Einfluss der Bedürfnisdruck auf die Einstellungen und somit auf den Konfliktverlauf nimmt. Unter Bedürfnisdruck versteht Dörner (2001; Dörner, 2002) die Summe der Wichtigkeiten von Motivationen. Der Bedürfnisdruck ergibt sich im SCAR-Modell aus der durchschnittlichen Füllmenge der Bedarfskessel. Sind die Bedarfe insgesamt gut gedeckt (sind die Kessel also gut gefüllt), dann ist der Bedürfnisdruck niedrig. Sind die Bedarfe in ihrer Summe jedoch schlecht gedeckt (sind die Kessel folglich ziemlich leer), dann ist der Bedürfnisdruck hoch. Der zweiten Hypothese liegt die Frage zugrunde, wie sich die Einstellung des Spielers bei unfreundlichen Signalen und Normüberschreitungen entwickelt. Es ist anzunehmen, dass es vergleichsweise häufiger zu Normüberschreitungen kommt, wenn sich die Agenten wenig an die Entnahmenorm

gebunden

fühlen.

Umgekehrt

sind

vergleichsweise

seltenere

Normüberschreitungen zu erwarten, wenn die Agenten sich stark an die Entnahmenorm gebunden fühlen. Es scheint zur Überprüfung der zweiten Hypothese erstrebenswert zu sein, die Sensitivität des Parameters der Bindungsstärke an die Entnahmenorm zu untersuchen. Die dritte Hypothese gründet sich auf die Forschungsfrage 10, die danach fragt, ob der initiale Zustand der Umweltressource einen Einfluss auf die Konfliktentwicklung hat. Speziell ist hier von Interesse zu erfahren, welchen Einfluss die anfängliche Ressourcenverteilung zu Beginn der Simulation auf die Entwicklung von Einstellungen und Konflikt hat. Daraus folgt, dass auch die Ressourcenmenge ein sensibler Parameter ist, dessen Einfluss auf den Konfliktverlauf es zu untersuchen gilt.

198

Die vierte Hypothese gründet sich auf die Frage, inwiefern es einen Zusammenhang zwischen der Bindungsstärke an eine Norm und kognitiver Kurzsichtigkeit gibt. Insbesondere stellt sich in diesem Kontext die Frage, inwiefern sich z.B. eine anfänglich starke Bindung an die Entnahmenorm auf den Konfliktverlauf auswirkt.

5.2.2

Beschreibung der Simulationsergebnisse

Für die durchgeführten Sensitivitätsanalysen sind im vorherigen Abschnitt für die variablen (kognitiven) Strategien insbesondere drei Kernvariablen zur Untersuchung von sozialen Konflikten identifiziert worden: 1. Der Bedürfnisdruck, also der Grad der Füllung der Bedarfstanks, 2. die Ressourcenmenge zu Beginn der Simulation und 3. die Bindung der Agenten an die vorherrschende Entnahmenorm.

Untersucht werden Randbereiche dieser drei Parameter. Dies geschieht dadurch, dass die nachfolgenden acht Simulationsläufe mit jeweils unterschiedlichen Anfangswerten versehen werden. Selbstverständlich ändern sich diese Werte durch die Interaktion der Agenten im Laufe der Simulation. Es ist nun interessant zu erfahren, in welcher Weise die anfänglichen Wertebelegungen die Einstellungen der Agenten und den Konfliktverlauf beeinflussen. Bei den folgenden

Untersuchungen

werden

wieder

heterogene Agenten

mit

unterschiedlicher

Persönlichkeitsausprägung betrachtet.

5.3.2.1 Basisszenarien ohne Konfliktausprägung mit hohem Ressourcenbestand Im Folgenden werden zwei Basisszenarien besprochen, in denen es den Agenten gelingt, die Ressource nachhaltig zu managen. Es handelt sich dabei um zwei Szenarien, in denen die Ressourcenmenge hoch ist (60 Ressourceneinheiten zu Beginn) und der Bedürfnisdruck der Agenten niedrig ist (d.h. die Bedarfstanks sind bis zu 75% gefüllt). Variiert wird in den folgenden beiden Szenarien lediglich die Bindungsstärke an die vorherrschende Entnahmenorm.

199

Basisszenario mit hohem Ressourcenbestand (60 Einheiten), geringem Bedürfnisdruck (Füllung 75%) und hoher Bindung an die Entnahmenorm (Szenario 1) Für das erste Szenario sind die im vorigen Abschnitt als zentral ausgemachten Parameter so eingestellt, dass sehr gute kontextuelle Bedingungen (viele Ressourcen und geringer Bedürfnisdruck) vorherrschen. Zudem ist die empfundene Bindung an die Entnahmenorm (das Commitment) hoch.

Abbildung 5-13: Ressourcenentwicklung über 100 Zeitschritte bei guten kontextuellen Bedingungen (Szenario 1). Abbildung 5-13 zeigt die Entwicklung der Ressource über 100 Zeitschritte. Zu sehen ist, dass sich die Umweltressource schnell um einen Wert von 60 Einheiten einpendelt. Erwartungsgemäß ist auch die Entwicklung der Einstellungen über den gesamten Simulationslauf im rein kooperativen Bereich. Es kann sich kein Konflikt herausbilden. Vollständig lässt sich diese Beobachtung erklären, wenn man sich die Handlungen der Agenten über die Zeit und die den Handlungen zugrunde liegenden Intentionen anschaut. Anhand von Abbildung 5-14 können die Handlungen der Agenten über 100 Zeitschritte (Leserichtung von unten nach oben) nachvollzogen werden. Die Entnahmenorm, die zum Zeitpunkt der getroffenen Entscheidung vorherrschte, ist im linken Teil der Abbildung durch eine weiße Fläche gekennzeichnet. Die Abbildung zeigt, dass beide Agenten stets im Normbereich 200

agieren. Das lässt sich auch anhand der Abbildung nachvollziehen, da sich alle Entnahmehandlungen innerhalb der weißen Fläche befinden. Dementsprechend bleibt die empfundene Bindung an die Entnahmenorm ebenfalls über alle Zeitschritte maximal.

201

Abbildung 5-14: Handlungen der Agenten bei guten kontextuellen Bedingungen (Szenario 1). Anmerkung: Der linke Bereich der Abbildung (hellblauer Hintergrund) zeigt die ausgeführten Entnahmehandlungen der Agenten zu jedem Zeitschritt. Zudem zeigt eine weiße Fläche den

202

Geltungsbereich der Entnahmenorm. Im rechten Teil der Abbildung (Hintergrund orange) sind die ausgeführten Signalhandlungen der Agenten zu jedem Zeitschritt abgetragen.

Anhand von Abbildung 5-14 lässt sich weiter nachvollziehen, dass sich die Agenten über die Zeit (rechter, orange-getönter Bereich) niemals drohen und sich sehr wohlgesinnt sind. Ab Zeitschritt 4 senden sich die beiden Spieleragenten konsequent starke (positive) Akzeptanzsignale zu. Zusammen mit den normeinhaltenden Entnahmen führt dieses Verhalten letztlich dazu, dass die Bedarfe von einem Zeitschritt zum nächsten immer besser gedeckt werden können und die Agenten sich wohlgesinnt bleiben. Die Ziele, über die ein Agent im SCAR-Modell verfügen kann, sind durch seine Bedarfe bestimmt. Es gibt folglich drei grundlegende Ziele, die ein Agent haben kann: 1) Das Ziel, den Bedarf nach der Ressource zu befriedigen, 2) das Ziel den Akzeptanzbedarf zu decken und 3) das Ziel den Bedarf nach Kompetenz zu befriedigen. Welches dieser drei Ziele intendiert wird, wird durch die zuvor beschriebene Anwendung des Wert-Erwartung-Prinzips bestimmt (vgl. Abschnitt 4.1.3.1). Zur Erinnerung: Es wird die Befriedigung desjenigen Bedürfnisses intendiert, dessen Erwartungswert multipliziert mit dem entsprechenden Wert das höchste Ergebnis liefert. Der Wert eines Ziels (z.B. die Befriedigung des Akzeptanzbedarfs) wird in der Regel bestimmt durch den tatsächlichen Bedarf – also der Abweichung vom Sollwert. Der Sollwert ist dann erreicht, wenn der Kessel voll ist. Der Wert, der mit dem Ressourcenbedarf assoziiert ist, wird zudem durch die empfundene Bindung an die Entnahmenorm mit beeinflusst! Ist die Bindung an die Entnahmenorm hoch, dann wirkt dies auf den Wert senkend, während der Wert durch eine niedrige Bindung an die Entnahmenorm eine höhere Gewichtung bekommt. Der Erwartungswert ist eine Art aufsummierter Erfolgsindikator. Der mit einem bestimmten Ziel assoziierte Erwartungswert kann immer dann verändert werden, wenn das entsprechende Ziel im letzten Zeitschritt intendiert wurde. Der mit dem intendierten Ziel assoziierte Erwartungswert erhöht sich, wenn die (auf dieser Intention basierende) Handlung dazu führte, das Ziel zu erreichen, bzw. die Distanz zur Zielerreichung zu vermindern. Bezogen auf die Bedürfnisbefriedigung bedeutet das, dass sich der Erwartungswert immer dann erhöht, wenn der intendierte Bedarf geringer geworden ist, wenn sich der entsprechende Pegel im Kessel im Vergleich zu vorher erhöht hat. Andererseits verringert sich der Erwartungswert, wenn sich der entsprechende Kessel im Vergleich zum letzten Zeitschritt geleert hat.

203

Bisher wurde noch nicht thematisiert, was passiert, wenn zwei Berechnungen nach der Anwendung des Wert-Erwartung-Prinzips das gleiche Resultat liefern. Ein solcher Fall kann beispielsweise in Abbildung 5-15 beobachtet werden. Dort könnte z.B. im ersten Zeitschritt sowohl die Befriedigung des Kompetenzbedarfs als auch die Befriedigung des Akzeptanzbedarfs intendiert

werden.

Als

grundsätzliche

Regel

gilt

im

SCAR-Modell,

dass

die

Kompetenzbefriedigung bei gleich hohem Berechnungsresultat in den Hintergrund tritt. Dieser Designentscheidung liegt die Überlegung zugrunde, dass sich der Kompetenzbedarf ohnehin überwiegend aus den Bedürfnisstärken der

anderen beiden Bedarfen (Akzeptanzbedarf und

Ressourcenbedarf) speist (vgl. Abschnitt 4.3.4.2). Aus diesem Grund kann der Kompetenzbedarf auch von der Befriedigung anderer Intentionen profitieren. Ein Beispiel dafür, dass der Kompetenzbedarf in den Hintergrund tritt, ist in Abbildung 5-15 nachzuvollziehen. Hier setzt sich im ersten Simulationsschritt die Akzeptanzbefriedigung als handlungsleitende Intention durch. Wird eine Entscheidung zwischen der Intention, das Akzeptanzbedürfnis zu befriedigen, und der Intention,

das

Ressourcenbedürfnis

zu

befriedigen,

nötig,

so

hängt

es

von

den

Persönlichkeitseigenschaften des jeweiligen Agenten ab, welcher Intention der Agent den Vortritt lässt. Ein ressourceninteressierter Agent (RIP-Agent) wird der Ressourcenbefriedigung den Vorzug geben, während ein Agent mit sozialer Persönlichkeitsausprägung (SIP-Agent) im Zweifelsfalle die Akzeptanzbefriedigung zu seiner Intention machen würde.

204

Abbildung 5-15: Ergebnisse der Wert-Mal-Erwartung-Berechnung des SIP-Agenten für jeden Zeitschritt bei guten kontextuellen Bedingungen (Szenario 1) . Anmerkung: Auf der X-Achse sind jeweils die Zeitschritte von 1-100 aufgetragen. Auf der Y-Achse ist für jeden Bedarf das Ergebnis aus der Erwartung multipliziert mit dem jeweiligen Wert aufgetragen. Das Ergebnis liegt in einem Wertebereich zwischen 0 und 1.

Abbildung 5-15 zeigt die Ergebnisse der Wert-Mal-Erwartung-Berechnung für den Agenten mit der SIP-Ausprägung zu jedem Simulationszeitschritt für die gewählten Anfangsbedingungen. Es wird zu jedem Zeitschritt die Befriedigung des Bedarfs intendiert, der das höchste Resultat liefert. In der Abbildung ist zu erkennen, dass mit Ausnahme des zweiten Simulationsschritts (wo der SIP-Agent die Befriedigung des Kompetenzbedarfs intendiert) der SIP-Agent die ersten 58 Zeitschritte die Befriedigung des Akzeptanzbedürfnisses intendiert. Erst danach wird die Ressourcenbefriedigung intendiert. Diese Intention führt allerdings zu keinen immensen Entnahmen, da der Ressourcenbedarf zu diesem Zeitpunkt bereits sehr gut gedeckt ist. Abbildung 5-16 zeigt analog zur Abbildung 5-15 die Ergebnisse der Wert-Mal-ErwartungBerechnung für den Agenten mit der RIP-Ausprägung. In der Abbildung ist zu erkennen, dass mit Ausnahme des zweiten und dritten Simulationsschritts (wo der RIP-Agent die Befriedigung des Kompetenzbedarfs intendiert) der RIP-Agent die ersten 22 Zeitschritte die Befriedigung des Akzeptanzbedürfnisses intendiert. Danach kommt es zu einem Wechsel der Intention. Ab 205

Zeitschritt 23 wird bis zum letzten Zeitschritt die Ressourcenbefriedigung intendiert. Diese Intention führt zunächst zu dem alternierenden Entnahmeverhalten, dass anhand von Abbildung 5-14 nachvollzogen werden kann. Da sich die Entnahmen aber stets im Normbereich bewegen, kommt es zu keiner Ausprägung des Konflikts. Ab Simulationszeitschritt 34 ist der Ressourcenbedarf gedeckt, so dass fortan nicht mehr als drei Einheiten der Ressource entnommen werden müssen. Die Deckung der Bedarfe zusammen mit dem Einpendeln der Ressource um einen Restbestand von etwa 60 Ressourceneinheiten führen dazu, dass sich die Wert-MalErwartung-Berechnung ab diesem Zeitschritt auch für den Ressourcenbedarf nicht mehr ändert.

Abbildung 5-16: Ergebnisse des Wert-Mal-Erwartung-Prinzips des RIP-Agenten für jeden Zeitschritt bei guten kontextuellen Bedingungen (Szenario 1). Sowohl anhand von Abbildung 5-15 als auch in Abbildung 5-16 ist zu beobachten, dass das Resultat der Wert-Mal-Erwartung-Berechnung für den Akzeptanzbedarf (orange Kurve) zwischen dem vierten und dem achten bzw. neunten Zeitschritt kontinuierlich ansteigt. Dieser Anstieg ist durch die positiven Signale erklärbar, die sich die Agenten ab dem dritten Zeitschritt zuschicken. Das Empfangen dieser Signale wirkt sich positiv auf den Erwartungswert aus, der Auskunft darüber gibt, für wie wahrscheinlich es gehalten wird, dass man auch in Zukunft positive Signale erhält.

206

Basisszenario mit hohem Ressourcenbestand (60 Einheiten), geringem Bedürfnisdruck (Füllung 75%) und niedriger Bindung an die Entnahmenorm (Szenario 2) Für das zweite Basisszenario sind die zentralen Parameter so eingestellt, dass gute kontextuelle Bedingungen vorherrschen. Konkret bedeutet das, dass es zum Zeitpunkt der Initialisierung viele Ressourceneinheiten gibt (60 Einheiten) und dass auch die Bedarfe zu Beginn gut gedeckt sind (75%). Es unterscheidet sich vom vorherigen Szenario darin, dass die empfundene Bindung an die Norm (das Commitment) niedrig ist.

Abbildung 5-17: Ressourcenentwicklung über 100 Zeitschritte bei guten kontextuellen Bedingungen, aber anfänglich niedriger Bindung an die Entnahmenorm (Szenario 2). Abbildung 5-17 zeigt für die gewählte Anfangskonfiguration die Entwicklung der Ressource über 100 Zeitschritte. Zu sehen ist, dass die Menge der Umweltressource innerhalb der ersten acht Simulationsschritte zunächst leicht abnimmt. Die Ressource kann sich jedoch schnell erholen und sich erneut um einen Wert von 60 Einheiten einpendeln. Aufgrund der veränderten Initialbedingungen (konkret: die veränderte Bindung an die Entnahmenorm) erscheint die anfängliche Ressourcenabnahme durchaus plausibel zu sein, denn eine niedrige Bindung an die Norm begünstigt vergleichsweise höhere Entnahmen. Die restlichen Bedingungen (initialer Ressourcenbestand und hohe Bedarfsdeckung) sind jedoch so günstig, dass diese anfänglich niedrige

Bindung

an

die

Entnahmenorm 207

kompensiert

werden

kann.

Trotz

der

Anfangsschwierigkeiten ist auch in diesem Szenario die Entwicklung der Einstellungen über den gesamten Simulationslauf im rein kooperativen Bereich. Es kann sich auch – trotz anfänglich niedriger Bindung an die Entnahmenorm – kein Konflikt herausbilden. Vollständig lässt sich diese Beobachtung erklären, wenn man sich die Entwicklung der Entnahmenorm und Handlungen der Agenten über die Zeit anschaut.

Abbildung 5-18: Entwicklung der empfundenen Bindung an die Entnahmenorm über die Zeit (Szenario 2). Anmerkung: Auf der X-Achse der Abbildung sind die Zeitschritte von 1-100 aufgetragen. Die Y-Achse zeigt die Bindungsstärke an die Entnahmenorm in einem Wertebereich von 0-1, wobei 0 gleichbedeutend ist mit keiner Bindung an die Entnahmenorm. Andererseits gilt: Je größer der Wert ist, desto höher ist die Bindung an die Entnahmenorm.

Abbildung 5-18 zeigt, wie die anfänglich niedrige Bindung an die Entnahmenorm sich nach und nach verstärkt. Dauert es zunächst 10 Zeitschritte bis die Bindung an die Entnahmenorm mittelstark ist, so kann sie sich innerhalb weiterer vier Schritte bis zur maximalen Bindungsstärke ausprägen. Ab diesem Zeitpunkt bleibt die empfundene Bindung an die Entnahmenorm konstant auf dem maximalen Wert. Abbildung 5-19 zeigt schließlich die ausgeführten Handlungen der Agenten für die gewählte Initialisierung. Mit Ausnahme der ersten Entnahmehandlung sind auch dieses Mal alle 208

Handlungen innerhalb der erlaubten Norm. Das lässt sich auch anhand der Abbildung nachvollziehen, da sich bis auf die erste Handlung alle folgenden Entnahmehandlungen innerhalb der weißen Fläche befinden. Dieses Verhalten führt letztlich dazu, dass die anfänglich niedrige Bindung an die Entnahmenorm zügig stärker werden kann. Dieser Effekt hängt mit dem sozialen Konstruktionsprozess zusammen, der im Abschnitt 4.1.4 und spezifisch für das SCAR-Modell im Abschnitt 4.2.4.5 beschrieben wurde. Zur Erinnerung: Die „gefühlte“ Bindung an eine bestehende Norm wird durch positive Signale verstärkt. Im Fall der Entnahmenorm führen beispielsweise Entnahmehandlungen, die sich innerhalb der bestehenden Norm bewegen, dazu, dass sich die Agenten nach und nach immer stärker an die Norm gebunden fühlen. Eine hohe Bindung an die Entnahmenorm führt dazu, dass der Ressourcenwert (vgl. Abschnitt 4.2.5.1) sinkt und zukünftige Normübertretungen unwahrscheinlicher werden. Umgekehrt führen Handlungen, die die Entnahmenorm verletzen, dazu, dass die Bindung an die Entnahmenorm schwächer wird. Übertretungen der Entnahmenorm können somit dazu beitragen, dass auch in Zukunft Ressourcenbefriedigung eher intendiert wird. Überdies können Normen auf die gleiche Weise über „verbale“ Signale beeinflusst werden. Betrachtet man Abbildung 5-19, so kann man beobachten, dass sich die Agenten durchgängig positive – und ab Zeitschritt 10 sogar durchgängig starke – Akzeptanzsignale schicken. Dieses Verhalten führt dazu, dass die Einstellungen der Agenten durchgängig im rein kooperativen Bereich bleiben. Es ist nur plausibel, dass sich bei diesen Handlungen – auch wenn anfänglich etwas mehr entnommen wird als im ersten Szenario – kein Konflikt ausbildet.

209

Abbildung 5-19: Handlungen der Agenten bei guten kontextuellen Bedingungen mit niedriger Bindung an die Entnahmenorm (Szenario 2).

210

Abbildung 5-20: Ergebnisse des Wert-Mal-Erwartung-Prinzips des SIP-Agenten für jeden Zeitschritt bei guten kontextuellen Bedingungen, aber anfänglich niedriger Bindung an die Entnahmenorm (Szenario 2). Abbildung 5-20 zeigt für den SIP-Agenten die Ergebnisse des Wert-Mal-Erwartung-Prinzips für jeden Zeitschritt bei guten kontextuellen Bedingungen, aber anfänglich niedrigerer Bindung an die Entnahmenorm. An den Ergebnissen lässt sich die jeweilige Intention des SIP-Agenten zu jedem beliebigen Simulationszeitschritt ablesen. In der Abbildung 5-20 sieht man, dass der SIPAgent in den ersten vier Zeitschritten die Befriedigung des Ressourcenbedarfs intendiert. Diese Intention führt im Vergleich zum vorhergehenden Szenario (mit starker Bindung an die Entnahmenorm) in den ersten vier Schritten zu leicht höheren Entnahmen (vgl. Abbildung 5-14 und Abbildung

5-19).

Der

Grund

dafür,

dass

Ressourcenbefriedigung

schon

zum

Simulationsbeginn intendiert wird, liegt in der niedrigen Bindung an die Entnahmenorm. Zur Erinnerung: Die Bindungsstärke an die Entnahmenorm hat einen direkten Einfluss auf den Wert des Ressourcenbedürfnisses. Ist die Bindung an die Entnahmenorm gering, so erhöht sich der entsprechende Wert; ist die Bindung an die Entnahmenorm jedoch hoch, dann senkt sich der Wert entsprechend. In natürlicher Sprache ausgedrückt könnte man auch sagen, dass eine Gesellschaft von Idealisten (man stelle sich beispielsweise eine Gesellschaft von Umweltschützern vor) der Ressourcenausbeutung weniger Bedeutung beimisst – auch wenn sie von ihr abhängig ist – als eine Gesellschaft bestehend aus weniger idealistischen Agenten. 211

Abbildung 5-21 zeigt die Ergebnisse des Wert-Mal-Erwartung-Prinzips für den RIP-Agenten. Auch bei den Wert-Mal-Erwartung-Berechnungen des RIP-Agenten führt die anfänglich niedrige Bindung an die Entnahmenorm dazu, dass Ressourcenausbeutung intendiert wird. Ab Zeitschritt 10 kommt es schließlich zu einem Intentionswechsel. Ab diesem Zeitpunkt wird bis zum 17ten Zeitschritt Akzeptanzbefriedigung intendiert. Ab dem 18ten Zeitschritt wechselt die Intention wieder zurück. Ab diesem Zeitpunkt wird bis zum Simulationsende Ressourcenbefriedigung intendiert. Auch in diesem Fall führt die frühe Intention der Ressourcenbefriedigung zu einer im Vergleich zum vorherigen Szenario (mit starker Bindung an die Entnahmenorm) leicht höheren Entnahme (vgl. Abbildung 5-14 und Abbildung 5-19).

Abbildung 5-21: Ergebnisse des Wert-Mal-Erwartung-Prinzips des RIP-Agenten für jeden Zeitschritt bei guten kontextuellen Bedingungen, aber anfänglich niedriger Bindung an die Entnahmenorm (Szenario 2).

5.3.2.2 Szenarien mit Konfliktausprägung bei hohem Ressourcenbestand In diesem Abschnitt werden Simulationsläufe besprochen, in denen der Ressourcenbestand zu Beginn der Simulation weiterhin günstig ist. Das bedeutet konkret, dass auch in den folgenden Läufen

der

Ressourcenbestand

mit

60

Ressourceneinheiten 212

(unweit

der

optimalen

Wachstumseigenschaft, die bei einem Bestand von 65 Einheiten gegeben ist) initialisiert wird. Verändert werden jedoch die Parameter Bedürfnisdruck und Bindung an die Entnahmenorm.

Szenario mit hohem Ressourcenbestand (60 Einheiten), Bedürfnisdruck (Füllung 50%) und hoher Bindung an die Entnahmenorm (Szenario 3) In den folgenden Szenarien soll der Effekt der Bindung an die Entnahmenorm bei erhöhtem Bedürfnisdruck getestet werden. Im Unterschied zu den vorherigen Szenarien wird also lediglich die Kontextbedingung bezogen auf die initiale Bedürfnisbefriedigung verändert. Waren die Bedürfnisse vorher noch zu 75% erfüllt, so ist der anfängliche Bedürfnisdruck mit einer Füllung von lediglich 50% nun wesentlich höher. Gemäß der ersten Hypothese aus Abschnitt 5.2.1, die besagt, dass sich innere Konflikte auch in äußeren Konflikten widerspiegeln, sollte sich ein anfänglich höherer Bedürfnisdruck negativ auf den Konfliktverlauf auswirken. Gemäß dieser Hypothese sollte sich der soziale Konflikt umso stärker ausprägen, je höher der Bedürfnisdruck ist, also je ungünstiger die inneren Voraussetzungen sind. Wieder sind die Bedingungen bezogen auf den initialen Ressourcenbestand günstig (60 Ressourceneinheiten zu Beginn der Simulation). Auch die Bindung an die vorherrschende Entnahmenorm ist in dem betrachteten Simulationslauf stark. Abbildung 5-22 zeigt die Entwicklung der Ressource über die Zeit. In der Abbildung kann man erkennen, dass es den Agenten anfänglich noch gut gelingt, die Ressource zu managen. Bis zum zehnten Simulationszeitschritt befindet sich die Ressource noch in einem Bereich um die 60 Einheiten. Verglichen mit dem vorherigen Szenario gelingt das Ressourcenmanagement bis dahin sogar besser. Ab dem zehnten Zeitschritt nimmt der Ressourcenbestand jedoch zunächst bis zum 26sten Zeitschritt kontinuierlich ab. Der Ressourcenbestand stabilisiert sich ab dem 26sten Zeitschritt bis zum 48sten Simulationszeitschritt. In dieser Periode kann der Ressourcenbestand konstant auf 32 Einheiten gehalten werden. Ab dem 49sten Zeitschritt nimmt die Ressourcenmenge kontinuierlich ab und stirbt schließlich im 52sten Simulationsschritt aus.

213

Abbildung 5-22: Ressourcenentwicklung über 100 Zeitschritte mit Ressourcentod im Zeitschritt 52 (Szenario 3). Anmerkung zur Initialisierung: Mittlere Bedarfsfüllung (50%), hohe Bindung an die Entnahmenorm, 60 Ressourceneinheiten (Szenario 3).

Vollständig lassen sich diese Beobachtungen dann erklären, wenn man sich die Entwicklung der Entnahmenorm, die Handlungen der Agenten über die Zeit und die den Handlungen zugrunde liegenden Intentionen anschaut.

Abbildung 5-23 zeigt, dass die anfänglich hohe Entnahmenorm bis zum neunten Zeitschritt maximal ist. Danach kommt es zu einer kontinuierlichen Abschwächung der Bindung an die Entnahmenorm, bis schließlich im 16ten Zeitschritt keine Bindung mehr an die Norm vorherrscht.

214

Abbildung 5-23: Entwicklung der Entnahmenorm über die Zeit (Szenario 3). Wie gemäß der ersten Hypothese aus Abschnitt 5.2.1 vermutet, kommt es in diesem Szenario zur Ausprägung eines Konflikts. Abbildung 5-24 zeigt die Entwicklung der Einstellung von kooperativ (1) bis maximal kompetitiv (4). Anhand der Abbildung lässt sich nachvollziehen, wie die Einstellungen der Konfliktbeteiligten im Verlauf der Simulation nach und nach kompetitiver werden. Herrscht bis zum dritten Simulationszeitschritt noch vollkommene Harmonie, so mischen sich ab dem vierten Simulationszeitschritt bereits kompetitive Anteile in die Einstellungen der Agenten. Ab dem 16ten Zeitschritt überwiegen bereits die kompetitiven Anteile. Vom 32sten bis zum 38sten Zeitschritt kommt es zu einer leichten Abschwächung des Konfliktes, bevor er ab Zeitschritt 38 erneut ansteigt und ab Zeitschritt 48 maximal kompetitiv wird. Dieser Verlauf lässt sich am besten erklären, wenn man sich die Handlungen und die den Handlungen zugrunde liegenden Intentionen genauer anschaut.

215

Abbildung 5-24: Entwicklung des Konflikts über die Zeit (bis zum Tod der Ressource) ermittelt durch die Einstellungen der Agenten (Szenario 3). Anmerkung: Die Abbildung zeigt die Entwicklung der Einstellungen von kooperativ nach kompetitiv. Analog zu Abbildung 4-13 werden auch hier vier Bereiche qualitativ voneinander unterschieden. Wird auf der X-Achse wieder die Simulationszeit aufgetragen, so sind auf der YAchse diese qualitativ unterschiedlichen Bereiche von rein kooperativ (1) bis rein kompetitiv (4) aufgetragen. Die Einstellungen zusammen mit den beobachteten Handlungen der Agenten lassen auf die jeweilige Konfliktintensität (Konfliktstufe) schließen. Abbildung 5-25 zeigt die Handlungen für den ausgewählten Simulationslauf. Es ist zu sehen, dass sich mit einer Ausnahme, in der der SIP-Agent die Entnahmenorm im dritten Zeitschritt verletzt, die Agenten innerhalb der ersten acht Zeitschritte an die Entnahmenorm halten. Danach kommt es bis zum 26sten Zeitschritt kontinuierlich zu Verletzungen der vorherrschenden Entnahmenorm. Das lässt sich in der Abbildung daran erkennen, dass die Handlungen sich nun außerhalb der weißen Fläche befinden, die ihrerseits den Gültigkeitsbereich der Entnahmenorm kennzeichnet. Erst danach hören die normverletzenden Handlungen des RIP-Agenten temporär auf. Ab dem 44sten Zeitschritt jedoch entnimmt auch der RIP-Agent wieder mehr Ressourceneinheiten, als es die Entnahmenorm erlaubt. Die Frage ist nun, weshalb der RIP-Agent überhaupt das ressourcenschonende Verhalten auswählt. Um diesen Effekt verstehen zu können, muss der Blick

216

auf die zugrunde liegenden Intentionen gerichtet werden. Bevor dies aber geschehen kann, wollen wir die versendeten Signale anschauen:

217

Abbildung 5-25: Handlungen der Agenten mit Bedürfnisdruck, bei guter Ressourcenverteilung und hoher Bindung an die Entnahmenorm (Szenario 3).

218

Es ist auffällig, dass der RIP-Agent sehr früh (ab dem dritten Zeitschritt) mit dem Drohen beginnt. Diese Beobachtung lässt vermuten, dass der RIP-Agent in den Fällen, in denen es anfänglich zu Drohgebärden kommt, bestrebt ist, seinen Kompetenzbedarf zu decken. Es sind diese Drohgebärden, die schon früh negative Veränderung der Einstellung (vgl. Abbildung 5-24) bewirken. Schaut man auf die anderen Signale, die der RIP-Agent zu Beginn des Simulationslaufs verschickt, sieht man, dass sein Verhalten sehr ambivalent ist. Mal droht er, mal sendet er positive und manchmal sogar sehr starke Akzeptanzsignale. Auch die Signalhandlungen des SIP-Agenten sind zu Beginn sehr ambivalent. Seine Signalhandlungen alternieren wiederholt zwischen einem „Ignorieren“ des Gegenübers (Signalhandlung neutral) und der Versendung von starken Akzeptanzsignalen. Der SIP-Agent macht dabei aber zunächst von dem Mittel der Drohung keinen Gebrauch. In den Zeitschritten 8 bis 13 kann der RIP-Agent sich von seinen Drohgebärden temporär lossagen und sendet zunächst ausschließlich positive Signale. Das Verhalten kippt jedoch in dem Moment (ab Zeitschritt 13), in dem der SIP-Agent mit der Übertretung der Entnahmenorm beginnt. Fortan sind Drohungen das präferierte Mittel. Mit dem Eintritt der permanenten Drohungen ab Zeitschritt 15 kommt es auch unmittelbar zu einem weiteren Anstieg des Konfliktes, der sich anhand von immer kompetitiver werdenden Einstellungen nachvollziehen lässt. Wie in Abbildung 5-24 zu erkennen ist, steigt der Konflikt in Zeitschritt 16 erwartungsgemäß auf die dritte von vier Stufen an. Es herrschen überwiegend kompetitive Einstellungen vor. Interessant ist es nun zu erfahren, weshalb die Handlungen der Agenten ab dem 27sten Zeitschritt wieder freundlicher werden und das sowohl bezogen auf die Entnahmehandlungen als auch auf die Signalhandlungen. Um diesen Effekt verstehen zu können, müssen die zugrunde liegenden Intentionen betrachtet werden.

219

Abbildung 5-26: Ergebnisse des Wert-Mal-Erwartung-Prinzips des SIP-Agenten für jeden Zeitschritt mit Bedürfnisdruck, hoher anfänglicher Bindung an die Entnahmenorm und guten Anfangsbedingungen bezogen auf den Ressourcenbestand (Szenario 3). Abbildung 5-26 zeigt die Ergebnisse der Wert-Mal-Erwartung-Berechnung für den Agenten mit der SIP-Ausprägung. Intendiert der SIP-Agent innerhalb der ersten zwölf Zeitschritte überwiegend die Befriedigung des Akzeptanzbedarfs und in den Zeitschritten 2, 3, 9 und 11 die Befriedigung des Kompetenzbedarfs, so intendiert er ab Zeitschritt 13 bis zum Ende der Simulation die Befriedigung des Ressourcenbedarfs. Das ist auch der Grund, weshalb der SIPAgent ab diesem Zeitpunkt die Entnahmenorm in jedem weiteren Zeitschritt stets verletzt. Die Frage ist nun, weshalb es ab dem 13ten Zeitschritt zu einem so starken Anstieg des Wert-MalErwartungs-Resultats bezogen auf den Ressourcenbedarf gibt. Zum Einen sinkt zwar der Ressourcenbedarf, zum Anderen jedoch führen die hohen Entnahmen durch beide Agenten dazu, dass sie sich nicht mehr so stark an die Entnahmenorm gebunden fühlen. Diese Tatsache sorgt dafür, dass der Wert, der mit dem Ziel der Ressourcenbefriedigung verknüpft ist, wieder steigt. Zudem steigt durch die erfolgreich hohe Entnahme der Erwartungswert an. Abbildung 5-27 zeigt die Ergebnisse der Wert-Mal-Erwartung-Berechnung für den Agenten mit der RIP-Ausprägung. Wie bereits vermutet, lässt sich das anfänglich auf der Signalseite beobachtete

ambivalente

Verhalten

auf

alternierende 220

Intentionen

zurückführen.

Die

Drohgebärden des RIP-Agenten werden durch die Bestrebung erzeugt, den Kompetenzbedarf zu decken (Simulationsschritte 3, 5 und 7). Andererseits wird innerhalb der ersten sieben Schritte aber auch immer wieder Akzeptanzbefriedigung intendiert, was in dieser Periode gleichzeitig zu der Versendung positiver Akzeptanzsignale führt.

Abbildung 5-27: Ergebnisse des Wert-Mal-Erwartung-Prinzips des RIP-Agenten für jeden Zeitschritt mit Bedürfnisdruck, hoher anfänglicher Bindung an die Entnahmenorm und guten Anfangsbedingungen bezogen auf den Ressourcenbestand (Szenario 3).

Szenario mit hohem Ressourcenbestand (60 Einheiten), Bedürfnisdruck (Füllung 50%) und niedriger Bindung an die Entnahmenorm (Szenario 4) In diesem Szenario gibt es zu Beginn der Simulation viele Umweltressourcen (60 Einheiten). Die Bedarfe sind lediglich zu 50% gedeckt. Dieses Mal jedoch ist die Bindung an die Entnahmenorm wieder sehr gering. Wie zu erwarten führt die niedrige Bindung an die Entnahmenorm direkt zu Beginn der Simulation zu hohen Entnahmen (vgl. Abbildung 5-28). Vergleicht man die Entwicklung der Ressource mit dem vorherigen Szenario (Abbildung 5-22), dann sieht man, dass die Ressource in diesem Szenario von Anfang an stärker ausgebeutet wird. Die Ressource hat in diesem Szenario nur eine kurze Stabilisierungsphase von etwa zehn Zeitschritten, bis sie ab dem 17ten Zeitschritt immer stärker abnimmt und schließlich schon im 36sten Zeitschritt ausstirbt. 221

Die anfänglich niedrige Bindung an die Entnahmenorm führt also dazu, dass die Ressource, verglichen mit dem vorherigen Szenario (Szenario 3), wesentlich schneller ausstirbt.

Abbildung 5-28: Ressourcenentwicklung über 100 Zeitschritte mit Ressourcentod im Zeitschritt 36. Anmerkung zur Initialisierung: Mittlere Bedarfsfüllung (50%), Initialisierung mit niedriger Bindung an die Entnahmenorm und 60 Ressourceneinheiten (Szenario 4).

Der Effekt, den die gewählte Anfangskonfiguration auf die Einstellungen der Agenten hat, ist in Abbildung 5-29 abgetragen. Man sieht deutlich, dass die Einstellungen zügig immer kompetitiver werden. Im Zeitschritt 6 ist bereits die dritte von vier möglichen Stufen erreicht, was bedeutet, dass die Einstellungen ab hier überwiegend kompetitiv sind. Es kommt während der restlichen Simulationsdauer zu keiner Deeskalation. Zum letzten Simulationsschritt wird die höchste Stufe erreicht.

222

Abbildung 5-29: Entwicklung des Konflikts über die Zeit (bis zum Tod der Ressource) gemessen an den Einstellungen der Agenten ( Szenario 4).

223

Abbildung 5-30: Handlungen der Agenten mit Bedürfnisdruck, bei guter Ressourcenverteilung und niedriger Bindung an die Entnahmenorm (Szenario 4).

224

Schaut man sich nun die Handlungen der Agenten für dieses Szenario an (vgl. Abbildung 5-30), dann sieht man, dass die beiden Agenten eher im Ausnahmefall innerhalb der geltenden Entnahmenorm (grau unterlegter Bereich in der Abbildung) agieren. Auch auf der Handlungsebene der Signale lässt sich beobachten, dass das Verhalten zunehmend frostiger wird. Sendeten sich die Agenten zu Beginn noch vereinzelt schwache Akzeptanzsignale oder wählten die Option das Gegenüber zu ignorieren, also neutral zu bleiben, so wird ab Zeitschritt 17 nur noch kontinuierlich gedroht.

Abbildung 5-31: Ergebnisse des Wert-Mal-Erwartung-Prinzips des SIP-Agenten für jeden Zeitschritt mit Bedürfnisdruck, niedriger anfänglicher Bindung an die Entnahmenorm und guten Anfangsbedingungen bezogen auf den Ressourcenbestand (Szenario 4). Die Handlungen der Agenten können auch in diesem Szenario anhand der jeweilig vorherrschenden Intentionen erklärt werden. Abbildung 5-31 zeigt die jeweiligen Ergebnisse der Wert-Mal-Erwartung-Berechnung für den Agenten mit der SIP-Ausprägung und Abbildung 5-32 die Ergebnisse der Wert-Mal-Erwartung für den Agenten mit der Ressourcen interessierten Persönlichkeitsausprägung (RIP). Die

Abbildungen

zeigen,

dass

zunächst

überwiegend

von

beiden

Agenten

Ressourcenbefriedigung intendiert wird. Es geschehen lediglich sporadische Intentionswechsel, in denen meist die Akzeptanzbefriedigung intendiert wird. Dies sind die Momente, in denen es 225

anfänglich noch gelegentlich zur Einhaltung der Entnahmenorm und der Versendung von positiven Signalen kommt. Ab dem 22sten Zeitschritt intendiert der RIP-Agent bis zum Ende der Simulation Akzeptanzbefriedigung. Diese Intention kann sich zu diesem Zeitpunkt aber nicht mehr in Richtung von normkonformen Handlungen auswirken. Das liegt zum einen daran, dass das Gegenüber (der SIP-Agent) noch immer die Befriedigung des Ressourcenbedarfs intendiert. Zum anderen ist der Bedürfnisdruck bezogen auf den Ressourcenbedarf des RIP-Agenten mit der Zeit so hoch, dass es auch deshalb kaum mehr zu normkonformen Handlungen kommen kann. Diese Beobachtung deckt sich hervorragend mit den Konfliktbeschreibungen von Friedrich Glasl (vgl. Abschnitt 2.4.2).

Abbildung 5-32: Ergebnisse des Wert-Mal-Erwartung-Prinzips für jeden Zeitschritt mit Bedürfnisdruck,

niedriger

anfänglicher

Bindung

an

die

Entnahmenorm

und

guten

Anfangsbedingungen bezogen auf den Ressourcenbestand (RIP-Agent).

5.3.2.3 Szenario ohne Konfliktausprägung bei geringem Ressourcenbestand In diesem Abschnitt wird ein Simulationslauf besprochen, in dem es den Agenten gelingt, die Ressource nachhaltig über 100 Zeitschritte zu managen, obwohl der Ressourcenbestand zu Beginn der Simulation gering ist. Ein geringer Ressourcenbestand bedeutet konkret, dass die 226

Simulation mit einem Restbestand von lediglich 40 Ressourceneinheiten initialisiert wird. Bei einem solch niedrigen Ressourcenbestand kann die Ressource zum nächsten Zeitschritt maximal um drei Ressourceneinheiten wachsen (wenn beide Agenten auf die Ressourcenentnahme verzichten würden).

Szenario mit geringem Ressourcenbestand (40 Einheiten), geringem Bedürfnisdruck (Füllung 75%) und hoher Bindung an die Entnahmenorm (Szenario 5) Abbildung 5-33 zeigt, dass es den Agenten – analog zum Basisszenario (Szenario 1) – auch bei anfänglich geringer Ressourcenmenge gelingen kann, die Ressource nachhaltig zu nutzen. Die anfänglich hohe Bindung an die Entnahmenorm führt auch in diesem Szenario dazu, dass sich die Entnahmehandlungen der Agenten stets im Bereich der geltenden Norm bewegen. Auch auf der Signalebene kommt es – analog zum ersten Szenario – überwiegend zu positiven Signalen, weshalb sich auch die Einstellungen über die gesamte Simulationszeit im rein kooperativen Bereich befinden.

Abbildung 5-33: Ressourcenentwicklung über die Zeit bei geringem Bedürfnisdruck, geringem Ressourcenbestand und hoher Bindung an die Entnahmenorm. Anders verhält es sich, wenn die anfängliche Bindung an die Entnahmenorm gering ist. Dieses Szenario wird im nächsten Abschnitt behandelt. 227

5.3.2.4 Szenario mit Konfliktausprägung bei geringem Ressourcenbestand Es werden in diesem Abschnitt weitere Szenarien behandelt, in denen die Ressourcenmenge zu Beginn der Simulation gering ist (40 Ressourceneinheiten). Verändert werden zwischen den einzelnen Simulationsläufen wieder die Parameter Bedürfnisdruck und Bindung an die Entnahmenorm. Die Ergebnisse der Simulation werden dieses Mal nur bei offensichtlich ungewöhnlichen Ereignissen detailliert mit Handlungssequenz und Intentionsberechnung dargestellt. Szenario mit geringem Ressourcenbestand (40 Einheiten), geringem Bedürfnisdruck (Füllung 75%) und niedriger Bindung an die Entnahmenorm (Szenario 6) In diesem Szenario wurde im Vergleich zum vorherigen (Szenario 5) lediglich die initiale Bindung an die Entnahmenorm herabgesetzt. Abbildung 5-34 zeigt, dass die Ressource unter diesen Voraussetzungen bereits bis zum 13ten Zeitschritt ausstirbt. Dieser Effekt kann eindeutig auf die niedrige Bindung an die Entnahmenorm zurückgeführt werden. Die Intentionen beider Agenten sind vom Simulationsbeginn an auf Ressourcenbefriedigung ausgerichtet. Schaut man sich an, wie häufig Ressourcenbefriedigung in diesem Szenario intendiert wird, kommt man zu folgendem

Ergebnis:

Der

SIP-Agent

intendiert

in

acht

von

13

Zeitschritten

Ressourcenbefriedigung, während der RIP-Agent sogar in elf von 13 Zeitschritten Ressourcenbefriedigung intendiert. In den restlichen Fällen intendieren die Agenten die Befriedigung des Akzeptanzsignals, was hin und wieder auch zur Versendung von Akzeptanzsignalen führt. Entsprechend den Normüberschreitungen gibt es eine Veränderung der Einstellungen in Richtung kompetitiver Einstellung.

228

Abbildung 5-34: Ressourcenentwicklung über die Zeit bei geringem Bedürfnisdruck, schlechter Ressourcenverteilung und niedriger Bindung an die Entnahmenorm. Die Entwicklung der Einstellungen innerhalb dieser 13 Zeitschritte kann anhand von Abbildung 5-35 nachvollzogen werden. Die Abbildung zeigt, dass sich bereits im dritten Zeitschritt kompetitive Anteile in die Einstellungen mischen. Allerdings kommt es zunächst zu keinem weiteren Anstieg in Richtung kompetitiver werdenden Einstellungen. Erst im letzten Zeitschritt wird die dritte von vier möglichen Konfliktstufen erreicht. Man kann also sagen, dass die Agenten unter den hier anfangs geltenden Voraussetzungen die Ressource überwiegend im gegenseitigen Einvernehmen zugrunde richten.

229

Abbildung 5-35: Entwicklung des Konflikts über die Zeit (bis zum Tod der Ressource) gemessen an den Einstellungen der Agenten bei geringem Bedürfnisdruck, schlechter Ressourcenverteilung und niedriger Bindung an die Entnahmenorm.

Szenario mit geringem Ressourcenbestand (40 Einheiten), mittlerem Bedürfnisdruck (Füllung 50%) und hoher Bindung an die Entnahmenorm (Szenario 7) Ist nun neben der ungünstigen Ressourcenverteilung zu Beginn der Simulation auch noch der Bedürfnisdruck erhöht, so dass die Bedarftanks nur noch zu 50% gefüllt sind, dann kann auch eine anfänglich hohe Bindung an die Entnahmenorm den Untergang der Ressource nicht verhindern. Abbildung 5-36 zeigt die Ressourcenentwicklung für die gewählten Anfangsbedingungen über die Zeit. Kann die Ressource noch bis etwa zum zehnten Zeitschritt um den Wert von 40 Ressourceneinheiten stabilisiert werden, dann kommt es danach zu einer kontinuierlichen Verminderung der Ressource. Im 25sten Zeitschritt ist die Ressource schließlich ausgestorben.

230

Abbildung 5-36: Ressourcenentwicklung über die Zeit. Dieses Mal kommt es auch auf der Einstellungsebene schnell (in Zeitschritt 3) zu einem Anstieg in Richtung kompetitiver Einstellung. Im Zeitschritt 5 ist bereits die dritte von vier möglichen Stufen erreicht. Ab dem 21sten Zeitschritt herrschen ausschließlich rein kompetitive Einstellungen vor (vgl. Abbildung 5-37).

231

Abbildung 5-37: Entwicklung des Konflikts über die Zeit (bis zum Tod der Ressource) gemessen an den Einstellungen der Agenten bei geringem Bedürfnisdruck, schlechter Ressourcenverteilung und hoher Bindung an die Entnahmenorm.

Szenario mit geringem Ressourcenbestand (40 Einheiten), mittlerem Bedürfnisdruck (Füllung 50%) und niedriger Bindung an die Entnahmenorm (Szenario 8) Ist die Bindung an die Entnahmenorm nun bei gleich bleibenden Voraussetzungen (hoher Bedürfnisdruck, ungünstige Ressourcenverteilung) niedrig, dann stirbt die Ressource sogar noch einen

Zeitschritt

früher

aus

als

zuvor.

Anhand

von

Abbildung

5-38

kann

die

Ressourcenentwicklung über die Zeit nachvollzogen werden. In der Abbildung ist zu erkennen, dass sich die Ressource anfänglich zunächst auf einen Wert um die 40 Ressourceneinheiten einpendeln kann. Diese Beobachtung beruht auf der Tatsache, dass beide Agenten zu Beginn der Simulation zwischen

Ressourcenbefriedigung und Akzeptanzbefriedigung alternierenden

Intentionen haben. Später jedoch überwiegt die Intention der Ressourcenbefriedigung, was zum Aussterben der Ressource führt.

232

Abbildung 5-38: Ressourcenentwicklung über die Zeit. Abbildung 5-39 zeigt die Entwicklung der Einstellungen über die Zeit. Es ist zu sehen, dass sich die Agenten bereits im zweiten Simulationsschritt nicht mehr im rein kooperativen Bereich (grüner Bereich) befinden. Ab Zeitschritt 5 überwiegen bereits kompetitive Anteile. Im Zeitschritt 19 haben die Agenten schließlich den Bereich erreicht, in dem die Einstellungen rein kompetitiv sind.

233

Abbildung 5-39: Entwicklung der Einstellungen über die Zeit.

5.3.3

Interpretation und Zusammenfassung der Simulationsergebnisse

In diesem Abschnitt werden die vorher beschriebenen Simulationsergebnisse im Hinblick auf die in Abschnitt 5.2.1 formulierten Hypothesen interpretiert. Überprüfung von Hypothese 1 Die erste Hypothese besagt, dass innere Konflikte sich auch in äußeren Konflikten zeigen. Zur Untersuchung dieser Hypothese wurde der Einfluss des Bedürfnisdrucks auf die Einstellungen und somit auf den Konfliktverlauf untersucht. Das dritte Szenario zeigt für sonst gute Kontextbedingungen, dass alleine die Veränderung des Bedürfnisdrucks dazu ausreicht, einen Konflikt anzufachen. Während es den Agenten im Szenario 1 problemlos gelingt, die Ressource über 100 Zeitschritte erfolgreich zu managen, gelingt dies den Agenten im Szenario 3 nicht mehr. Halten sich die Agenten im ersten Szenario noch penibel an die Entnahmenorm, so wird sie im dritten Szenario ab dem neunten Zeitschritt kontinuierlich verletzt. Auch auf der Signalebene kommt es zu unfreundlichen Akten, so dass die letzten 13 Zeitschritte kontinuierlich gedroht wird. Auch ein Vergleich der Szenarien 5 und 7 zeigt für eine schlechte anfängliche Verteilung der Ressource (40 Ressourceneinheiten), dass sich der Konflikt bei hoher Bindung an die 234

Entnahmenorm überhaupt erst ausprägt, wenn der Bedürfnisdruck zu Beginn der Simulation hoch ist. Eine Überraschung liefert der Vergleich zwischen Szenario 6 mit Szenario 8. Die Bedingungen sind in beiden Szenarien – mit Ausnahme des Bedürfnisdrucks – gleich: Zu Beginn der Simulation sind lediglich 40 Ressourceneinheiten in der Umwelt verteilt und die Bindung an die Entnahmenorm ist gering. Obwohl der Bedürfnisdruck in Szenario 6 vergleichsweise geringer ist, entwickelt sich der Konflikt hier schneller und stärker als in Szenario 8 (in dem der Bedürfnisdruck vergleichsweise stärker ist).

Abbildung 5-40: Vergleich der Handlungen von Szenario 6 (unten) mit Szenario 8 (oben).

235

Abbildung 5-40 zeigt die Handlungen der beiden Agenten für die Szenarien 6 und 8. Im Vergleich kann man beobachten, dass der RIP-Agent im Szenario 6 (niedriger Bedürfnisdruck, Bedürfnisfüllung 75%) bis auf zwei Ausnahmen weit mehr entnimmt als es die Entnahmenorm gestattet. Im Vergleichsszenario mit vergleichsweise hohem Bedürfnisdruck (Tankfüllung 50%) hingegen sind seine Entnahmen wesentlich moderater. Der schnellere Ressourcentod (Zeitschritt 13) kann eindeutig auf die Handlungen des RIP-Agenten zurückgeführt werden. Ein Blick auf die Intentionen des RIP-Agenten erklärt diesen Effekt. In dem Szenario mit niedrigem Bedürfnisdruck (Szenario 6) intendiert der RIP-Agent die ersten fünf Simulationsschritte die Befriedigung

des

Ressourcenbedarfs

und

das

obwohl

er

verhältnismäßig

viele

Ressourceneinheiten zu Beginn entnimmt (vgl. Abbildung 5-41). Verantwortlich dafür, dass die Ressourcenbefriedigung weiterhin intendiert wird, ist der Erwartungswert, der mit jeder erfolgreichen Bedürfnisbefriedigung steigt – immer vorausgesetzt, dass das dazugehörige Bedürfnis auch intendiert wurde. Schaut man sich die Intentionen im Vergleichsszenario mit hohem Bedürfnisdruck an (Szenario 8), so ist eindeutig zu erkennen, dass sich die Intentionen des RIP-Agenten zur Bedürfnisbefriedigung und Akzeptanzbefriedigung abwechseln (vgl. Abbildung 5-42). Die vergleichsweise oft intendierte Akzeptanzbefriedigung sorgt in den ersten Schritten der Simulation dafür, dass der RIP-Agent bisweilen sogar Ressourcenverzicht ausübt.

236

Abbildung 5-41: Ergebnisse des Wert-Mal-Erwartung-Prinzips des RIP-Agenten für jeden Zeitschritt mit 40 Ressourcen, niedrige Bindung an Entnahmenorm, niedriger Bedürfnisdruck (Szenario 6).

237

Abbildung 5-42: Ergebnisse des Wert-Mal-Erwartung-Prinzips des RIP-Agenten für jeden Zeitschritt mit 40 Ressourcen, niedrige Bindung an Entnahmenorm, hoher Bedürfnisdruck (Szenario 8). Überprüfung von Hypothese 2 Die zweite Hypothese besagt, dass Entnahmenormverletzungen und unfreundliche Signale sich in Richtung kompetitiver Einstellungen auswirken. Um Aussagen über den Wahrheitsgehalt dieser Hypothese treffen zu können, müssen die Simulationsläufe, in denen es keine (oder nur sehr wenige Normverletzungen) gibt, mit den Simulationsläufen verglichen werden, in denen Normverletzungen verstärkt auftreten. Die Szenarien, in denen keine oder nur eine Entnahmenormverletzung vorkommt, sind die Szenarien 1, 2 und 5. In diesen Szenarien bleibt die Einstellung der beteiligten Agenten rein kooperativ. In den restlichen Szenarien, in denen sich ein sozialer Konflikt ausprägt, sind Überschreitungen der Entnahmenorm und unfreundliche Signale Kräfte, die den sozialen Konflikt vorantreiben. Hypothese 2 lässt sich somit für die betrachteten Szenarien ausnahmslos bestätigen. Überprüfung von Hypothese 3 Die dritte Hypothese besagt, dass sich der Konflikt bei sonst gleichen kontextuellen Bedingungen bei anfänglichem Ressourcenmangel schneller entwickelt, als wenn es zu Beginn viele Ressourceneinheiten gibt. Gleiche kontextuelle Bedingungen herrschen bei den Szenarien 1 und 5 238

(geringer Bedürfnisdruck und hohe Bindung an die Entnahmenorm), 2 und 6 (geringer Bedürfnisdruck und niedrige Bindung an die Entnahmenorm), 3 und 7 (hoher Bedürfnisdruck und hohe Bindung an die Entnahmenorm), sowie 4 und 8 (hoher Bedürfnisdruck und niedrige Bindung an die Entnahmenorm) vor. Ein Vergleich der Szenarien 1 und 5 zeigt keinen Unterschied bezogen auf die Einstellungen und den Konflikt, da in beiden Szenarien bis zum Ende der Simulation rein kooperative Einstellungen vorherrschen und sich somit auch kein Konflikt herausbildet. Darüber hinaus pendelt sich in beiden Fällen die Ressource in einem Bereich um die 60 Ressourceneinheiten ein. Während sich in Szenario 2 ein ähnliches Bild ergibt, kommt es im analogen Szenario (Szenario 6) mit wenigen Ressourcen zum Konflikt. Schließlich stirbt die Ressource aus. Da der einzige Unterschied zwischen Szenario 2 und Szenario 6 in der Ressourcenmenge zu Beginn der Simulation besteht und sich nur im Szenario 6 (mit anfänglich ungünstiger Ressourcenmenge) ein Konflikt ausprägt, kann der Vergleich dieser beiden Szenarien die dritte Hypothese bestätigen. Vergleicht man Szenario 3 mit Szenario 7, dann sieht man, dass sich die Einstellungen in beiden Fällen soweit verändern, dass sie rein kompetitiv werden. In Szenario 7 kommt es jedoch zu einem wesentlich schnelleren und kontinuierlicherem Anstieg in Richtung kompetitiver Einstellung (vgl. Abbildung 5-24 mit Abbildung 5-37). Zudem stirbt die Ressource in Szenario 7 schneller aus. Analoge Beobachtungen lassen sich auch beim Vergleich von dem vierten mit dem achten Szenario machen. Auch diese Vergleiche bestätigen die dritte Hypothese. Überprüfung von Hypothese 4 Die vierte zu überprüfende Hypothese besagt, dass das Verhalten der Agenten umso „weitsichtiger“ wird (das bedeutet, dass es ihnen gelingt die Ressource nachhaltig zu managen), je stärker sich die Agenten an die Entnahmenorm gebunden fühlen. Umgekehrt bedeutet das, dass ihr Verhalten verhältnismäßig kurzsichtiger wird, wenn sie sich nicht an die Entnahmenorm gebunden fühlen. Diese Hypothese lässt sich anhand der Simulationsläufe überprüfen, in denen sich das Commitment bezogen auf die Entnahmenorm zum Simulationsbeginn bei sonst gleich bleibenden Randbedingungen

unterscheidet.

Diese

Voraussetzungen

sind

bei

den

folgenden

Simulationsläufen gegeben: Szenario 3 und Szenario 4 (gemeinsame Randbedingung: günstige Ressourcenverteilung und mittlerer Bedürfnisdruck (Tankfüllung 50%)), Szenario 5 und Szenario 6 (gemeinsame Randbedingung: ungünstige Ressourcenverteilung und geringer Bedürfnisdruck 239

(Tankfüllung 75%), Szenario 7 und Szenario 8 (gemeinsame Randbedingung: ungünstige Ressourcenverteilung und mittlerer Bedürfnisdruck (Tankfüllung 50%)). Der Vergleich von Szenario 3 (mit hoher Bindung an die Entnahmenorm) mit Szenario 4 (mit niedriger Bindung an die Entnahmenorm), Szenario 5 (mit hoher Bindung an die Entnahmenorm) mit 6 (mit niedriger Bindung an die Entnahmenorm) und Szenario 7 (mit hoher Bindung an die Entnahmenorm) mit 8 (mit niedriger Bindung an die Entnahmenorm) zeigt, dass die Ressource bei niedriger Bindung an die Entnahmenorm jeweils früher ausstirbt, als im analogen Szenario mit hoher Bindung an die Entnahmenorm. Die Hypothese kann anhand der betrachteten Szenarien als bestätigt gelten.

5.3.4

Zusammenfassung und Diskussion

In Abschnitt 5.1 wurden Sensitivitätsanalysen behandelt, die zeigen, dass die im SCAR-Modell getroffenen Annahmen zur Bestimmung der vorherrschenden Einstellungen und des sozialen Konflikts plausibel sind. Zudem wird es durch die Ergebnisse der Sensitivitätsanalyse möglich, sich der Beantwortung von drei Forschungsfragen (vgl. Kapitel 1) anzunähern. Es handelt sich dabei um Forschungsfrage 6, Forschungsfrage 7 und 8, die nachfolgend näher erläutert werden. Forschungsfrage 6 fragt danach, wie soziale Konflikte in ihrer Intensität bestimmt werden können. Die entwickelte Berechnungsformel (4-1) und die zugrundeliegenden Ideen und Theorien sind ein wichtiger Teil zur Beantwortung dieser Frage. Wichtige Indikatoren für die Intensität von sozialen Konflikten liefern zudem die ausgeführten Handlungen. Es wird schnell klar, dass die Betrachtungen der Handlungen alleine nicht zwangsläufig Auskunft über die Konfliktintensität liefern. Es lassen sich Beispiele finden, in denen Akteure Ressourcen im gegenseitigen Einvernehmen ausbeuten und sogar zerstören. Ein Beispiel für ein kollektives Ausbeuten im wirtschaftlichen Kontext meinen manche vielleicht sogar in der aktuellen Finanzkrise wiederzuerkennen. Es ist also von entscheidender Bedeutung, welche Einstellung die beteiligten Akteure bezogen auf den Gegenspieler haben. Neben den Einstellungen können aber spezifische Handlungsmuster zusätzliche Informationen über die Konfliktintensität liefern. Glasl beschreibt in seinem Eskalationsmodell insbesondere in den letzten Stufen (im lose-loseBereich), wie sich die Handlungen verändern und letztlich gezielte Vernichtungsschläge eingesetzt werden. Im SCAR-Modell ist das Handlungsrepertoire jedoch beschränkt, so dass differenzierte Aussagen im lose-lose-Bereich schwierig werden. Es ist jedoch möglich, die 240

gewählten Handlungssequenzen in bestimmten Zeitabschnitten als Informationsquelle zur Bestimmung von Konflikten zu nutzen. Bleibt das Handlungsmuster über den betrachteten Zeitraum hinweg jedoch immer gleich, liefert die Handlung nur geringe Information über die Konfliktintensität und es kann die vorherrschende Einstellung als Hauptindikator für die Konfliktintensität angesehen werden. Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass zur Bestimmung der Konfliktintensität sowohl die Handlungen als auch die Einstellungen der beteiligten Agenten entscheidend sind. Anhand des SCAR-Modells können deshalb nicht nur die Handlungen der Agenten nachvollzogen werden, sondern auch die Einstellung und die der Einstellungsbildung zugrunde liegenden Komponenten. Auf diese Weise werden differenzierte Aussagen über den Konfliktverlauf möglich. Die systematische Überprüfung aller im SCAR-Modell möglichen fixen Handlungskombinationen über die Zeit liefert eine vollständige Beantwortung der Forschungsfrage 7, die danach

fragt,

wie

sich

Konflikte

bei

rigiden

Handlungsmustern

ausprägen.

Die

Konfliktentwicklung über alle 256 Simulationsläufe kann im Anhang B nachvollzogen werden. Die

Untersuchung

der

Einstellungen

des

SIP-Agenten

über

alle

möglichen

fixen

Handlungskombinationen (16 Sets) zeigt ausnahmslos, dass seine Einstellung umso kompetitiver wird, je mehr der Gegneragent (RIP-Agent) entnimmt. Ein ähnlicher Effekt kann zur gleichen Zeit auf der Signaldimension beobachtet werden. Je unfreundlicher der Gegneragent (RIP-Agent) ist, desto kompetitiver sind die Einstellungen des SIP-Agenten. Beide Effekte spiegeln sich in beiden Einstellungswerten (Mittelwert und letzter Simulationsschritt) wider. Die systematische Untersuchung der Einstellungen des RIP-Agenten zeigte auf, welchen Effekt die eigenen Handlungen auf die eigene Einstellung haben. Bei gleichbleibender Gegenstrategie (durch den SIP-Agenten) konnte gezeigt werden, dass die eigene Handlung nur minimale Effekte auf die Einstellungen gegenüber dem Gegenspieler hat. Forschungsfrage 8 fragt, ob die Konfliktauflösung von der vorherrschenden Konfliktstufe abhängt. Anhand eines exemplarischen Simulationslaufs in Abschnitt 5.1.3 konnte gezeigt werden, dass die Konfliktauflösung umso leichter gelingt, je früher interveniert wird. Umgekehrt führt eine späte Intervention dazu, dass die Konfliktauflösung nur noch sehr zögerlich funktioniert. Abschnitt

5.2

wendet

sich

schließlich

den

variablen

Strategien

zu. Anhand

der

Einstellungsentwicklung lässt sich der Konfliktverlauf auch hier nachvollziehen. In den 241

Szenarien, in denen sich der Konflikt bis zur höchsten Stufe ausprägt (Stufe 4), herrschen einerseits überwiegend Verletzungen der Entnahmenorm vor. Andererseits kommt es auch auf der Signalebene zu unfreundlichen Akten. Drohungen sind dann das favorisierte Mittel der Kommunikation. Weshalb es zu bestimmten Handlungen zu bestimmten Zeitpunkten kommt, kann mit Hilfe der vorherrschenden Intentionen zu den jeweiligen Zeitpunkten nachvollzogen und erklärt werden. Man ist nun nicht mehr darauf angewiesen, lediglich von dem Verhalten auf die ihm zugrunde liegenden Intentionen zu schließen. Zusätzlich ist es möglich zu sehen, wie stark sich die Konfliktbeteiligten an die bestehende Entnahmenorm gebunden fühlen. Durch die Analyse der variablen Simulationsläufe konnten die Forschungsfragen 9, 10, 11, 12 und 13 angegangen werden. Forschungsfrage 9, die danach fragt, ob individuelle Frustration schneller zu intensiveren Konflikten führt, konnte weitestgehend bejaht werden. Eine Ausnahme tritt bei Ressourcenknappheit auf. Ein Vergleich von Simulationslauf 6 mit Simulationslauf 8 zeigte, dass bei knappen Ressourcen und hoher Bindung an die Entnahmenorm der Konflikt vergleichsweise schneller ansteigt, als wenn die Bindung an die Norm niedrig ist. Forschungsfrage 10, die danach fragt, ob der Zustand der Umweltressource einen Einfluss auf die Konfliktentwicklung hat, konnte in allen besprochenen Szenarien ausnahmslos mit „Ja“ beantwortet werden. Im Rahmen der variablen Strategien konnte gezeigt werden, dass im Falle eines Konfliktes die Ressource schneller ausstirbt, wenn es zu Beginn der Simulation verhältnismäßig wenige Ressourcen (40 Ressourceneinheiten) gibt, als wenn es zu Beginn der Simulation verhältnismäßig viele Ressourcen (60 Ressourceneinheiten) gibt. Es existiert eine eindeutige Korrelation zwischen kompetitiven Einstellungen und normüberschreitendem Verhalten. In Fällen wo keine Normen überschritten wurden, bleiben die Einstellungen stets im rein kooperativen Bereich, so dass Forschungsfrage 11, die danach fragt, wie sich die Handlungen des Gegenspielers auf die Entwicklung der Einstellungen auswirkt, ebenfalls beantwortet werden konnte. In der letzten zu überprüfenden Hypothese aus Abschnitt 5.2.1 wird behauptet, dass das Verhalten der Agenten umso weitsichtiger wird, je stärker sie sich an die Entnahmenorm gebunden fühlen. Die Überprüfung der Hypothese ergab, dass in einem Konfliktfall tatsächlich die Bindungsstärke an die Entnahmenorm bestimmt, wie intensiv sich ein Konflikt ausprägt. Es konnte ausnahmslos gezeigt werden, dass sich der Konflikt umso stärker ausprägt, wenn die Bindung an die Entnahmenorm gering ist im Vergleich zu einer hohen Bindung an die Entnahmenorm.

242

6

Diskussion und Ausblick

Ziel dieser Arbeit war ein Zweifaches: Einerseits ging es um die Entwicklung einer soziokognitiven Agentenarchitektur, mit der es möglich sein sollte, Agenten zu erzeugen, die sozial miteinander interagieren können. Andererseits ging es um die Entwicklung eines auf der SCARArchitektur aufbauenden Simulationsmodells. Das Simulationsmodell wurde mit dem Ziel entwickelt, sowohl die Eskalation als auch die Deeskalation sozialer Konflikte abzubilden, die mit beschränkt verfügbaren Umweltressourcen zusammenhängen. Es wurde argumentiert, dass es zur Entwicklung einer solchen Architektur und eines darauf aufbauenden Modells nicht ausreicht, lediglich soziales Verhalten erzeugen zu können. Das Augenmerk richtete sich deshalb vielmehr auf die den sozialen Phänomenen zugrunde liegenden Prozessen. Aus diesem Grund wurde bei der Entwicklung der SCAR-Architektur und des SCAR-Modells auf eine Auswahl von sozialen und kognitiven Theorien zurückgegriffen, mit denen soziale und kognitive Prozesse abgebildet werden können. Das explizite Berücksichtigen kognitiver Prozesse zur Analyse sozialer Phänomene basiert auf folgender Annahme: Der Modellierer, der soziales und interaktives Verhalten erklären will, muss sich um kognitive Plausibilität bemühen. Nur so werden die Ursprünge des sozialen Verhaltens besser verstanden. Der soziale Konflikt selbst bleibt verborgen, wenn man sich lediglich auf das Verhalten konzentriert. Die Anforderungen an die Modellierung basieren auf Fragen zum Entstehen sozialen Verhaltens, zum Design und der Implementierung eines solchen Modells sowie auf Fragen zu Konflikten um beschränkt verfügbare Ressourcen. Gleichzeitig werden die Anforderungen, die sich speziell auf die Agenten beziehen, durch die Umwelt mitbestimmt, in der die Agenten leben. Bezüglich der in den Abschnitten 4.1.1 und 4.2.2 gefundenen Anforderungen an die SCAR-Architektur und das SCAR-Modell werden die dort eingeforderten Ansprüche durch die vorliegende Realisierung erfüllt.

6.1

Forschungsergebnisse

Im Rahmen der ersten Stufe der Architekturspezifikation wurden – aufbauend auf den theoretischen Überlegungen aus den Kapiteln 1 bis 3 – zunächst Komponenten identifiziert, die für die Verarbeitung und Speicherung von Informationen wichtig sind. Es wurde gezeigt, dass das 243

menschliche Verhalten nicht alleine durch sozialwissenschaftliche Modelle oder alleine durch Modelle und Theorien der Kognitionswissenschaft zu erklären ist. Von entscheidender Bedeutung ist es beide Perspektiven miteinander zu vereinen, um menschliches Verhalten erklären zu können. Es wurde deutlich gemacht, dass die Handlungen sowohl auf individuellen kognitiven und motivationalen Eigenschaften als auch auf der sozialen Einbettung von Agenten beruhen. Kapitel 2 brachte einen Überblick des Forschungsgegenstandes der sozialen Konflikte. In Kapitel 3 wurden die Agententheorie und die Methode der Multiagentensysteme (MAS) bezogen auf ihre sozialen und kognitiven Aspekte vorgestellt. Es wurde gezeigt, welchen Beitrag diese Ansätze leisten, um eine sozio-kognitive Architektur zu konkretisieren. Beim Aufspüren der Agentenkomponenten und den mit ihnen verbundenen Prozessen war es entscheidend, welche Aspekte einen Agenten kognitiv und auch sozial plausibel machen. Dieser Frage wurde unter Berücksichtigung des methodologischen Individualismus und sozialer Konstruktion, die beide davon ausgehen, dass soziale Phänomene auf kognitiven Prozessen individueller Agenten basieren, nachgegangen. Der methodologische Individualismus und die soziale Konstruktion sind entscheidend für die Beantwortung der ersten beiden Forschungsfragen aus Kapitel 1. Sie fragen nach den Komponenten und ihrem Zusammenspiel für soziales und intelligentes Verhalten. Wichtige

Einflüsse

zur

Beantwortung

dieser

Fragen

liefern

MAS,

die

mit

Hilfe

sozialpsychologischer und philosophischer Konzepte dazu verwendet werden, soziales Verhalten und soziale Konflikte zu erklären. Als wichtige philosophische Konzepte zur Beantwortung dieser Fragen dienen der methodologische Individualismus und soziale Konstruktion. Beide Ansätze gehen davon aus, dass soziales Verhalten von einer individuellen Ebene aus erklärt werden sollte. Soziales Verhalten entsteht dieser Sichtweise zufolge durch Eigenschaften von einzelnen Akteuren und den Wechselbeziehungen, die sie zu anderen Individuen haben. Damit ein Agent soziales Verhalten zeigen kann, muss er mit anderen interagieren können und z.B. Signale erzeugen und interpretieren können. Die Komponenten und die mit ihnen verbundenen Prozesse, die für die Verarbeitung solcher Informationen entscheidend sind, wurden durch die SCAR-Architektur und das SCAR-Modell spezifiziert. Die Anforderungen an das Design und die Implementierung eines MAS (Forschungsfrage 3) wurden in den Abschnitten 3.2 und 3.3 expliziert. Zu den Anforderungen gehören: 1) Eine Simulationsumgebung, die sowohl eine physikalische als auch eine soziale Umwelt umfasst.

244

2)

Soziale Konstrukte,

die

als

Mechanismus zur

Verstärkung,

Abschwächung und

Aufrechterhaltung von sozialen Strukturen dienen, wie z.B. sozialen Normen. 3) Ein plausibler Agent, der über kognitive Fähigkeiten und Motive verfügt. Die Art und Weise, wie ein sozial und kognitiv plausibler Agent implementiert werden kann (Forschungsfrage 4), wird durch die Analyse bestehender Architekturen (z.B. das CogAff-Schema und die PSI-Theorie) und das Konzept der sozialen Konstrukte angegangen. An sie schließt sich nahtlos die Beantwortung der fünften Forschungsfrage an, die nach den Bestandteilen von Konflikten fragt. Es zeigte sich, dass es neben den Fähigkeiten zur Informationsverarbeitung auch der Existenz von Handlungsoptionen bedarf, deren Anwendung in einem „prototypischen“ Konfliktverlauf beobachtbar sind. Neben expressiven Handlungen müssen Agenten ebenfalls miteinander kommunizieren können.

Fragen 6 bis 13 beziehen sich auf Konflikte um beschränkte Ressourcen. In Abschnitt 4.2.5.2 wird gezeigt, wie die Intensität sozialer Konflikte um beschränkt verfügbare Ressourcen bestimmt werden kann (Formel (4-1)). Wichtige Zutaten hierfür sind wahrgenommene Normüberschreitungen, der Wert der Ressource sowie die Aktiviertheit der Agenten. Die durchgeführten Simulationen mittels des SCAR-Modells wurden durch die Forschungsfragen 7 bis 13 geleitet. Sie unterstützten die Aufstellung verschiedener Hypothesen, die für die systematische Analyse des Simulationsspiels bedeutend waren. Die Ergebnisse zu diesen Forschungsfragen wurden im Abschnitt 5.3.3 ausführlich diskutiert.

6.1.1

Diskussion der theoretischen Ergebnisse

Im Zentrum der Überlegungen, wie soziale Phänomene durch rechnergestützte Modelle fassbar gemacht werden können, steht die Frage, welche individuellen Aspekte Agenten dazu bringen, sich sozial zu verhalten. Dieser Arbeit liegt die Überzeugung zugrunde, dass soziales Verhalten nur durch eine Analyse von Individuen (z.B. auf der Ebene von Intentionen) erklärt werden kann, da das Verhalten aus Interaktionen zwischen Individuen entsteht. Es wird sich deshalb auf Ideen bestehender kognitiver Architekturen gestützt, die ihrerseits eine funktionale Beschreibung von kognitiven Mechanismen liefern, die bereits empirisch validiert sind und auf Erfahrungen der Kognitionswissenschaft und Kognitionspsychologie basieren. Eine bestehende kognitive Architektur um gewünschte Aspekte zu erweitern ist jedoch nicht ohne weiteres möglich. Prominente kognitive Architekturen (ACT-R, SOAR oder PSI) sind – im Hinblick auf die gestellten Forschungsfragen – zu komplex. Auf eine bestehende kognitive Architektur als Ganzes zurückzugreifen ist deshalb nicht sinnvoll. Im Rahmen dieser Arbeit wurde vielmehr ein System 245

mittlerer Komplexität angestrebt. Wertvolle Einflüsse für die Entwicklung der SCAR-Architektur und des auf ihr aufbauenden Simulationsmodells gehen auf die PSI-Theorie zurück, aber auch sie ist in ihrer Gesamtheit für die Beantwortung der gewählten Fragen nicht geeignet. Die PSITheorie stellt zwar ein lauffähiges Modell bereit, das wissenschaftlich verifiziert und empirisch validiert wurde (Dörner, 2002). Die Komplexität von PSI stellt jedoch auf verschiedenen Ebenen ein wesentliches Hindernis für die Analyse weiterer Fragestellungen dar. Als komplexe kognitive Architektur umfasst die PSI-Theorie viele Aspekte, die für diese Arbeit eine eher untergeordnete Rolle spielen. Darüber hinaus wurde bereits an anderer Stelle die lückenhafte Formalisierung und die schlechte Dokumentation des PSI-Modells bemängelt (Bresinsky, 2003). Es ist schwer möglich, ein komplexes Programm lediglich anhand seines Quellcodes zu durchleuchten, da oft hunderte Variablen und Funktionen in ihrem Zusammenspiel verstanden werden wollen. Aus diesem Grund richtet sich die Dokumentation für das SCAR-Modell nach dem technischen Dokumentationsstandard der Unified Modeling Language (UML). Eine derartige Dokumentation im Bereich der agentenbasierten Modellierung ist bisher äußerst selten. Dabei kann diese Art der Dokumentation „Einblicke in die Aufgabenstellung und deren schrittweise Umsetzung in die DVArchitektur gewährleisen“ (Bresinsky, 2003, S. 157). Die PSI-Theorie spielte für die Entwicklung der SCAR-Architektur und des SCAR-Modells eine bedeutsame Rolle, da sie den Prozess der Intentionsbildung basierend auf Bedarfen hervorragend beschreibt. Auch die Modulatoren und ihr Einfluss auf die Genauigkeit von Perzeptionen wurden in modifizierter Weise aus der PSI-Theorie übernommen. Die PSI-Theorie konzentriert sich jedoch überwiegend auf Einzelagenten. Zwar wird durch die Einführung des Bedürfnisses der Affiliation sozialen Aspekten Rechnung getragen; koordiniertes Verhalten, das auf ein gemeinsames Ziel ausgerichtet ist, wird dadurch jedoch nicht ermöglicht. Weder die PSI-Theorie noch ACT-R oder SOAR verfügen über eine explizite Repräsentation einer sozialen Umwelt in der mehrere Akteure zielgerichtet miteinander interagieren. Auf der Basis der theoretischen Grundlagen zu (individuellen) Agenten bzw. MAS (Kapitel 3) konnte dafür argumentiert werden, dass Agenten sowohl über individuelle, als auch über soziale Ziele verfügen müssen. Die individuellen Ziele gewährleisten den Agenten eine gewisse Form der Autonomie, während es gemeinsamer Ziele bedarf, um stabiles und koordiniertes Verhalten auf der Basis gemeinsamer Repräsentationen hervorzubringen. Beide Arten von Zielen werden in der SCAR-Architektur berücksichtigt, wobei die individuellen Ziele im SCAR-Modell durch

246

Bedürfnisse repräsentiert werden. Der Mechanismus zur Intentionsbildung auf der Grundlage von individuellen Bedürfnissen geschieht – analog zur Spezifikation der PSI-Theorie – nach dem Wert-Erwartung-Prinzip. Darüber hinaus wurden im Rahmen der Agententheorie auch Aspekte zur beschränkten Rationalität diskutiert. Beschränkt rational sind die Agenten in SCAR deshalb, weil so genannte Modulatoren Einfluss auf die Genauigkeit der Wahrnehmung (und somit auf die Abarbeitung von Zielen) nehmen können. In Bezug auf die sozialen Ziele liefern die für ein Multiagentensystem als klassisch angesehenen Komponenten wichtige Bausteine für die SCAR-Architektur und für das SCAR-Modell. Dazu zählen die Koordinations- und Interaktionsmechanismen zwischen den Agenten. Es werden beispielsweise Normen dazu verwendet, koordiniertes Verhalten zwischen den Agenten zu erzeugen.

Bei

klassischen

MAS-Ansätzen

fällt

auf,

dass

sie

sich

zwar

solcher

Koordinationsverfahren bedienen, die individuellen Ziele der Agenten und deren kognitive Verarbeitung aber nicht explizit mit sozialen Zielen verbinden. Obwohl MAS individuelle Akteure als Kernelemente verwenden, spielt bei vielen der MAS-Modelle kognitive Plausibilität keine bzw. nur eine untergeordnete Rolle. Auf Basis einer ökonomischen Rationalitätsauffassung und beschränkter Rationalität wird das Augenmerk also nicht zwangsläufig auch auf eine Beschreibung der Wirkzusammenhänge kognitiver Prozesse und Funktionen gelegt. Eine Beschreibung dieser Wirkzusammenhänge ist aber notwendig, um Modelle individueller Kognition mit Modellen sozialen Verhaltens zu verknüpfen. Bis heute sind computergestützte Modelle, die soziale Aspekte der Kognition mit berücksichtigen, selten27. Als Bindeglied zwischen individuellen und sozialen Zielen wurde das Konzept des sozialen Konstrukts eingeführt (Kapitel 3). Unter der Verwendung sozialer Konstrukte – so wurde argumentiert – kann eine Brücke zwischen der individuellen (Einzelagent) und der sozialen Ebene (MAS) geschlagen werden. Darüber hinaus fungiert soziale Konstruktion als wichtiger Koordinationsmechanismus, mit dessen Hilfe u.a. kooperatives Verhalten erzeugt und erklärt werden kann. Die explizite Verwendung sozialer Konstrukte im Bereich der agentenbasierten Modellierung tritt erstmals bei Helmhout (2006) auf – jedoch als wesentlich komplexerer Mechanismus als er in SCAR postuliert wird. Soziale Konstrukte werden im SCAR-Modell als

27

Eine positive Ausnahme liefert Helmhout (2006) mit seiner R-Bot Architektur, die zu weiten

Teilen auf Act-R basiert, Teile von ACT-R modifiziert und es um soziale Aspekte erweitert. 247

Mechanismus zur Erzeugung von Wissen, aber auch als soziale Repräsentationen behandelt. Damit Individuen in der Lage sind, über soziale Strukturen zu schlussfolgern, müssen die sozialen Strukturen auch in den Agenten repräsentiert sein. Diese Repräsentationen bilden sozusagen das soziale Gedächtnis der Agenten und erlauben es ihnen, auf Veränderungen der Umwelt sofort zu reagieren. Diese Repräsentationen sind nicht statisch, sondern entwickeln sich in der beschriebenen Weise durch soziale Konstruktionsprozesse. Die betrachteten Agenten sind in eine soziale Umwelt eingebettet, in der sie sich gegenseitig „verbale“ Signale zusenden können. Auf diese Weise können sich Agenten der „verbalen“ Kommunikation bedienen, um interne Repräsentationen der sozialen Umwelt aufzubauen und zu verarbeiten. Damit die ausgetauschten Signale auch mit bestimmten Bedeutungen verbunden sind, ist es notwendig, dass die Agenten sozial miteinander interagieren. Die Situiertheit der Agenten in ihre physikalische und soziale Umwelt wird durch die Prozesse der Intentionsbildung und den mit ihr verbundenen Regeln gewährleistet. In seiner Funktion als Repräsentation ist ein soziales Konstrukt also eine Wissenseinheit, die den individuellen Agenten mit der sozialen Welt verbindet und umgekehrt. Durch die Realisierung sozialer Konstrukte kann neben dem Wissen, das auf „individuellen“ Quellen basiert, auch Wissen abgespeichert werden, das sich „sozialer“ Quellen bedient. Im SCAR-Modell stellen Normen (bzw. die empfundene Bindung an eine bestimmte Norm) ein wichtiges soziales Konstrukt dar. Hier funktionieren Normen als Repräsentationen, die es den Agenten erlauben, geteiltes bzw. gemeinsames Wissen zu speichern. Auf diese Weise können sich gemeinsame Ziele etablieren. Nach der Identifikation entscheidender Komponenten für die SCAR-Architektur, die teilweise bereits mit Prozessbeschreibungen verknüpft waren, wurden neue Wirkzusammenhänge zwischen den bis dahin unverbundenen Komponenten postuliert. Die Spezifikation der neuen Zusammenhänge

wurde im

Wesentlichen

durch

die

in Abschnitt 1.2

aufgestellten

Forschungsfragen bzw. durch die aufgestellten Anforderungen geleitet. Einer der neuen Aspekte bezieht sich beispielsweise auf die Beeinflussung der Intentionsbildung durch soziale Konstrukte. Soziale Konstrukte können die sozialen Agenten dahingehend beeinflussen, dass sie ihre Ziele ändern. Im Rahmen des SCAR-Modells wurde dies anhand der Entnahmenorm und ihrem Einfluss auf den Wert des Ressourcenbedarfs gezeigt. Je höher die Bindung an die bestehende Entnahmenorm ist, desto geringer wird der Wert, der mit der Ausbeutung der Ressource verbunden ist.

248

Bezüglich der Bestimmung der Konfliktintensität bzw. der vorherrschenden Konfliktstufe wurden die Arbeiten von Messmer und Glasl als wichtige Prozessmodelle des sozialen Konflikts erkannt. Insbesondere das Neunstufenmodell von Friedrich Glasl liefert auf verschiedenen Ebenen empirisch unterfütterte Beschreibungen des Konfliktgeschehens. Leider mangelt es bei seinen Schilderungen an einem durchgängigen Beispiel, anhand dessen der Konfliktverlauf von Stufe eins bis neun nachvollzogen werden kann. Mag das Modell von Glasl aus der Perspektive eines Mediators ein wertvoller Maßstab zur Einordnung von Konflikten sein, so sind für einen Modellierer die dort geschilderten Phänomene und Prozesse nur sehr bedingt nützlich. Das hängt damit zusammen, dass es dem Modell von Glasl an jeglicher Form der Formalisierung mangelt. Diese Tatsache führt leider auch dazu, dass nicht immer klar ist, von welchen Eigenschaften und Phänomenen gerade die Rede ist. Identifiziert Glasl beispielsweise Einstellungen als wichtiges Kriterium zur Bestimmung der Konfliktstufe, so bleibt unklar, was denn eigentlich genau mit diesem Begriff gemeint ist. Darüber hinaus wird nicht geklärt, worauf sich eine Einstellung im Eskalationsmodell von Glasl richtet. Im SCAR-Modell hingegen werden die Komponenten explizit gemacht, aus denen sich die Einstellung eines Agenten zusammensetzt. Darüber hinaus wird eine Formalisierung zur Einstellungsbildung bereitgestellt. Der Einstellungsbegriff ist im SCAR-Modell eng mit dem Begriff der Kooperation verknüpft. Kooperation wird z.B. im Forschungsbereich der ökologisch-sozialen Dilemmata, meist mit ressourcenschonendem Verhalten in Verbindung gebracht, während die Ausbeutung von Ressourcen als kompetitiv gewertet wird. In der Realität aber hängt diese Einordnung davon ab, ob eine gemeinsame Intention zur Ausbeutung besteht oder nicht. Eine Ressource lässt sich nämlich u.U. auch kooperativ zugrunde richten.

6.1.2

Diskussion der Simulationsergebnisse

Computersimulationen ermöglichen es, Theorien und Modelle dynamisch zu überprüfen. Die Einzigartigkeit der Methode besteht darin, die Dynamik von Systemen wie in einem Labor unter verschiedenen Rahmenbedingungen zu beobachten. Mit Hilfe des SCAR-Modells wurden soziale Konflikte um beschränkte und sich regenerierende natürliche Ressourcen untersucht. Bei dieser Analyse wurden neben dem Verhalten vor allem auch die internen Zustände der Agenten berücksichtigt. Dieses Vorgehen ist entscheidend, denn im konflikttheoretischen Teil der Arbeit (Kapitel 2) wurde betont, dass bei der Entstehung von Konflikten interne Zustände, wie z.B. 249

Motive und subjektive Verzerrungen der Wahrnehmung, eine wichtige Rolle spielen. Es reicht also nicht aus sich lediglich den äußeren Kontexten zuzuwenden, in denen sich die sozialen Konflikte offenbaren. Zur Reduzierung der Komplexität des SCAR-Modells wurden soziale Konflikte in Spielsituationen analysiert. Dabei ging es weniger darum einen bestimmten Konflikt nachzubilden, als vielmehr die grundlegenden Mechanismen, die sozialen Konflikten um beschränkt verfügbare Ressourcen zugrunde liegen, deutlich zu machen. Die mit dem SCARModell durchgeführten Experimente sind als Gedankenexperimente (vgl. Axelrod, 1997, S. 27) zu verstehen, die systematisch anhand von vorher aufgestellten Fragen und Hypothesen durchgeführt wurden. Diese Fragen und Hypothesen orientieren sich u.a. an bestehenden Konfliktmodellen und -theorien (vgl. Kapitel 2). Es wurde bei der Modellierung sichergestellt, dass die strukturellen Bedingungen (vorherrschende Einstellungen, Ressourcenmenge und Verhaltensdispositionen), die in diesen Ansätzen beschrieben werden, im SCAR-Modell berücksichtigt werden. Auf diese Weise lassen sich die salienten Aspekte von sozialen Konflikten erfassen. Zunächst wurden Simulationsergebnisse mit dem Ziel erzeugt, die Plausibilität der im SCARModell getroffenen Annahmen zum Bestimmen der Konfliktintensität zu untermauern. Das Kernstück zur Festlegung der Konfliktintensität bilden die Einstellungen der Agenten. Anhand der Simulationsergebnisse mit fixen Strategien (über einen Simulationszeitraum von 30 Zeitschritten) konnte gezeigt werden, dass die Ergebnisse der Simulationsläufe die in Abschnitt 5.1.1 aufgestellten Hypothesen bestätigen: 1) Durch die Simulationsläufe mit fixen Strategien konnte veranschaulicht werden, dass die eigene Einstellung umso unfreundlicher wird, desto unfreundlicher der Gegenspieler ist. Ein solches Anpassungsverhalten ist auch oft in Alltagssituationen zu beobachten. Aggressives Anpassungsverhalten wird beispielsweise bei Aronson und Kollegen (Aronson et al., 2004) beschrieben. Sie schildern, wie es durch die Gegenwart anderer aggressiver Menschen stimuliert werden kann. Menschen spiegeln gewissermaßen das Verhalten des Gegenübers wider. 2) Ferner konnte auch die Hypothese bestätigt werden, dass die eigene Einstellung umso kompetitiver wird, je mehr der Gegenspieler entnimmt. Hohe Entnahmen können zum Aussterben der Ressource führen. Von einer toten Ressource kann niemand mehr 250

profitieren. Es ist deshalb plausibel, dass sich hohe Entnahmen des Gegenübers entsprechend negativ auf die eigene Einstellung auswirken. 3) Die eigenen Handlungen hingegen haben (bei gleich bleibender Gegenstrategie) nur geringe Auswirkungen auf die eigene Einstellung. Auch diese Hypothese wird durch die Simulationsergebnisse bestätigt. 4) Die vorletzte Hypothese, die für die fixen Simulationsläufe aufgestellt wurde, bezieht sich auf die Konfliktauflösung. Die Konfliktauflösung hängt nach dieser Hypothese davon

ab,

wann

interveniert

wird.

Diese

Annahme

wurde

durch

die

Simulationsergebnisse bestätigt. Es konnte gezeigt werden, dass die Konfliktauflösung umso langsamer und umso weniger intensiv geschieht, je später interveniert wird. 5) Der letzte Beleg bezieht sich auf den Effekt, den die Ressourcenmenge auf die Konfliktausprägung hat. Es wurde gezeigt, dass je mehr Ressourceneinheiten vorhanden sind, desto milder nachfolgend die Einstellung gegenüber dem Gegner ist. Mit weiteren Simulationsläufen konnte demonstriert werden, dass das SCAR-Modell auch für Agenten mit variablen Strategien lauffähig ist. Bei den variablen Strategien nutzen die Agenten ihre kognitiven Fähigkeiten, um auf deren Grundlage Entscheidungen zu fällen. Wieder werden die Ergebnisse der Simulationsläufe mit vorher bestimmten Hypothesen überprüft. 1) Mit der ersten Hypothese wurde postuliert, dass sich innere Konflikte auch als äußere Konflikte zeigen. Diese Hypothese lässt sich zwar nicht ausnahmslos bestätigen, die Erklärungen für etwaige Ausnahmen können jedoch im jeweiligen Kontext und den vorherrschenden Intentionen der Agenten gefunden werden. 2) Die zweite Hypothese, die behauptet, dass Verletzungen der Entnahmenorm und unfreundliche Signale sich in Richtung kompetitiver Einstellungen auswirken, wird ebenfalls bestätigt. 3) Hypothese drei geht davon aus, dass sich, bei sonst gleichen Bedingungen, der soziale Konflikt bei anfänglichem Ressourcenmangel schneller entwickelt als wenn es zu Beginn viele Ressourceneinheiten gibt. Auch diese Hypothese konnte weitestgehend bestätigt werden. Eine Ausnahme konnte für den Fall gefunden werden, dass die kontextuellen Bedingungen günstig sind, d.h. wenn der Bedürfnisdruck niedrig ist und eine hohe Bindung an die Entnahmenorm vorherrscht. In diesem Fall hatte die anfängliche Ressourcenverteilung keine negativen Auswirkungen auf den Konfliktverlauf. Dieses Simulationsresultat scheint nicht im Widerspruch zu den formulierten Annahmen der Konfliktbildung zu stehen.

251

Zusammenfassend lässt sich zum SCAR-Modell feststellen, dass bisher für die computergestützte Konfliktforschung kein Handlungsmodell existiert, das künstliche Agenten auf dieser Detailebene abbildet. Die interdisziplinäre Herangehensweise im Rahmen der Modellentwicklung hat gezeigt, dass das Erkenntnisinteresse der Konfliktforschung, KI sowie Kognitions- und Sozialpsychologie gut zusammenpassen. Aus methodischer Sicht lässt sich festhalten, dass durch die gewählte Vorgehensweise ein Schritt unternommen wurde, um kausale Beziehungen zwischen den als wichtig identifizierten Komponenten aufzuzeigen. Die SCAR-Architektur ist eine komplexe sozio-kognitive Architektur, die Aspekte der (individuellen) Informationsverarbeitung mit sozialen Elementen in Beziehung setzt. Auf diese Weise konnten sozialwissenschaftliche Ansätze mit kognitiven Prozessen verbunden werden. Die Simulationsergebnisse zeigen unter welchen Umständen kurzsichtiges Verhalten auftritt und unter welchen Bedingungen es den Agenten gelingt, die Ressource nachhaltig zu nutzen.

6.2

Weitere Arbeiten

Die letzte Stufe der Modellentwicklung bildet für gewöhnlich die Validierung des jeweiligen Ansatzes. Die Kernfrage bei der Validierung von Simulationsmodellen lautet, wie sichergestellt werden kann, dass die agentenbasierten Modelle die Operationen ausführen, die der Modellierer beabsichtigt hat. An verschiedenen Stellen wurde bereits auf die Schwierigkeiten hingewiesen, die mit der Validierung von (komplexen) agentenbasierten Modellen zusammenhängen (Carley, 1996; Fagiolo, Windrum & Moneta, 2006; Troitzsch, 2004). Kathleen Carley (1996) betont, dass computationale Modelle für soziale und organisationale Systeme nicht zwangsläufig validiert werden müssen und manchmal von einem einzelnen Wissenschaftler – aufgrund der Komplexität der Validierungsverfahren – erst gar nicht durchgeführt werden können. Das SCAR-Modell erfuhr erste Schritte zur Validierung durch die Überprüfung der aufgestellten Hypothesen (vgl. Abschnitt 5.1.1 und Abschnitt 5.2.1). Darüber hinaus stützt sich SCAR selbst auf bereits validierte Modelle und Theorien aus den Sozialwissenschaften und der Kognitionswissenschaft. Weitere Schritte zur Validierung sind denkbar. Sie werden nachfolgend kurz skizziert. Einen weiteren Schritt zur Validierung des SCAR-Modells kann man beispielsweise durch die Abbildung einer konkret ausgewählten Konfliktsituation gehen. Dazu wäre das Modell entsprechend den vorherrschenden Strukturen anzupassen. Eine mögliche Herangehensweise liefert der iterativ-partizipatorische Modellierungsansatz, bei dem sich Wissenschaftler immer 252

wieder mit Stakeholdern treffen, um gemeinsam durch einen mehrstufigen Modellierungsprozess zu gehen. Diese Stufen umfassen Feldstudien und Datenanalyse, Rollenspiele, agentenbasierte Weiterentwicklung

des

Modells

und

Implementierung.

Schließlich

werden

Simulationsexperimente durchgeführt, bis dieser Zyklus erneut beginnen kann. Ein möglicher Weg

der

Validierung

des

agentenbasierten

Modells

könnte

auch

eine

deskriptive

Ergebnisvalidierung sein. Bei dieser Art der Validierung werden die simulierten Ergebnisse mit den vorhandenen Systemdaten abgeglichen. So könnte man beispielsweise Probanden das beschriebene Simulationsspiel spielen lassen und die Resultate entsprechend mit den Modelldaten abgleichen. Für beide Formen der Validierung ergäbe sich jedoch das Problem, dass die als wichtig erachteten Daten unter den geschilderten Bedingungen nicht oder nur schwer zu erheben sind. Insbesondere Informationen über den spezifischen Bedürfnisdruck zu einem gegebenen Zeitpunkt oder die mit den Bedarfen verbundenen Erwartungswerte sind schwer zu erheben. Es könnten mit dem SCAR-Modell noch weitere Analysen durchgeführt werden. Es ist weiterhin denkbar, das SCAR-Modell mit bereits existierenden Modellen abzugleichen. In diesem Zusammenhang wäre es interessant zu erfahren, welche Ergebnisse mit dem Modell erzielt werden können, wenn man es von zwei auf mehrere Agenten erweitert. Auch die Analyse zusätzlicher Parameter könnte sich in diesem Zusammenhang als interessant erweisen. Die Effekte der Zufriedenheit ebenso wie der Einfluss der Aktiviertheit könnten so durch weitere Simulationsläufe untersucht werden.

253

Literaturverzeichnis Ajzen, I. (1985). From intentions to actions: A theory of planned behavior. In J. Kuhl & J. Beckmann (Hrsg.), Action control. From cognition to behavior. Berlin: Springer. Anderson, J. R. (1996). ACT: A simple theory of complex cognition. American Psychologist, 355-365. Anderson, J. R. & Lebiere, C. (1998). The Atomic Components of Thought. Mahwah, NJ: Erlbaum. Aronson, E., Wilson, T., S. & Akert, R., M. (2004). Sozialpsychologie (Bd. 4). München: Pearson. Atkinson, J. W. (1957). Motivational Determinants of Risk-Taking Behavior. Psychological Review, 64, 359-372. Atkinson, R. C. & Shiffrin, M. (1968). Human Memory: A Proposed System and its Control Processes. In K. W. Spence & J. T. Spence (Hrsg.), The Psychology of Learning and Motivation (Bd. 2). New York: Academic Press. Axelrod, R. (1984). The Evolution of Cooperation. New York: Basic Books. Axelrod, R. (1986). An Evolutionary Approach to Norms. American Political Science Review, 80(4), 1095-1111. Axelrod, R. (1997). Advancing the Art of Simulation in the Social Sciences. In R. Conte, R. Hegselmann & P. Terna (Hrsg.), Simulating Social Phenomena (S. 21-40). Berlin: Springer. Axelrod, R. (2000). Die Evolution der Kooperation. München: Oldenburg Wissenschaftsverlag GmbH. Axelrod, R. (2003). Advancing the Art of Simulation in the Social Sciences. Japanese Journal for Management Information System, Vol. 12(Special Issue on Agent-Based Modeling). Baddeley, A. D. (1999). Working Memory. In A. D. Baddeley (Hrsg.), Essentials of Human Memory: Taylor & Francis. Barthel, R., Janisch, S., Schwarz, N., Trifkovic, A., Nickel, D., Schulz, C.et al. (2008). An Integrated Modelling Framework for Simulating Regional-Scale Actor Responses to Global Change in the Water Domain. Environmental Modelling & Software, 23, 10951121. Beckenbach, F. (2003). Kognitionswissenschaftliche Erweiterung der Ökonomischen Analyse? In F. Beckenbach (Hrsg.), Psychologie und Umweltökonomik. Jahrbuch Ökologische Ökonomik (Bd. 3). Marburg: Metropolis Verlag. Bell, C. G. & Newell, A. (1971). Computer Structures: Readings and Examples. New York: McGraw-Hill. Berger, P. L. (1967). The Social Construction of Reality: A Treatise in the Sociology of Knowledge: Anchor. Berger, R. C. & Calabrese, R. J. (1975). Some Explorations in Initial Interaction and Beyond: Toward a Developmental Theory of Interpersonal Communication. Human Communication Research, 1, 99-112. Berkes, F. (1986). Marine inshore fishery management in Turkey. In Proceedings of the Conference on Common Property Resource Management (S. 63-83). Washington, D. C.: National Academy Press. 254

Berkes, F. (2002). Cross-Scale Institutional Linkages: Perspectives from the Bottom Up. In E. Ostrom, T. Dietz & N. Dolsak (Hrsg.), The Drama of the Commons: National Academy Press. Bernedo Schneider, G. (2005). Agenten und Unsere Emotionen. Ein Vergleich von Dörners PSITheorie mit der Emotionstheorie von Ortony, Clore und Collins. Universität Osnabrück, Osnabrück, St. Augustin. Bernedo Schneider, G. & Ernst, A. (2008). Socio-Cognitive Agents Fighting for Scarce Resources: Proceedings of the 5th European Social Simulation Association Conference, Brescia, Italy. BICC. (2007). Gewinnung natürlicher Ressourcen in Konfliktsituationen: Bestandsaufnahme zu den Positionen und Strategien relevanter EZ-Akteure. Bonn: Bonn International Center For Conversion. Billmann, E. (1978). Entwicklung und exemplarische Erprobung eines handlungstheoretischen Verfahrens zur Supervision von Konfliktberatern. Nürnberg: Forschungsbericht Nr. 103 des Sonderforschungsbereich 22, Sozialisations- und Kommunikationsforschung. Bischof, N. (1985). Das Rätsel Ödipus. München: Piper. Black, M. (1996). Mehr über die Metapher. In A. Haverkamp (Hrsg.), Theorie der Metapher (S. 55-79). Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Blumer, H. (1986). Symbolic Interactionism: Perspective and Method: University of California Press. Bonacker, T. (2008). Sozialwissenschaftliche Konflikttheorien: Eine Einführung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Bond, A. H. & Gasser, L. (1988). Readings in Distributed Artificial Intelligence: Morgan Kaufmann Publrs. Bossel, H. (1977). Orientors of Non-Routine Behavior. In H. Bossel (Hrsg.), Concepts and Tools of Computer-Assisted Policy Analysis (S. 227-265). Basel. Bossel, H. (2004). Systeme, Dynamik, Simulation: Modellbildung, Analyse und Simulation komplexer Systeme: Books on Demand Gmbh. Bossel, H. (2007). Koexistenz von Natur- und Humansystemen: Zur Notwendigkeit einer Ethik der Nachhaltigkeit. In F. Beckenbach (Hrsg.), Jahrbuch Ökologische Ökonomie. Soziale Nachhaltigkeit. (Bd. 5). Boulding, K. (1957). Organisation and Conflict. Journal of Conflict Resolution, 122-134. Boulding, K. (1978). Ecodynamics. Beverly Hills, Ca.: Sage. Bradshow, J., M. (1997). Software Agents. Cambridge MA: AAAI Press/ The MIT Press. Bratman, M. E. (2007). Geteilte Absichten. Deutsche Zeitschrift für Philosophie, 55(3), 409-424. Braun, D. (1999). Theorien rationalen Handelns in der Politikwissenschaft; eine kritische Einführung. Opladen: Leske + Budrich. Bresinsky. (2003). Die Computersimulation von sicherheitspolitischen Entscheidungsprozessen in Krisen- und Konfliktsituationen - ein interdisziplinärer Modellansatz. Westfälische Wilhelms-Universität zu Münster (Westf.), Münster. Brüggemann, U., Strohschneider, S. & Rek, U. (2006). Die PSI-Theorie: Psychologische Grundlagen für das Simulationsmodell eines Nautikers. Bamberg: Institut für Theoretische Psychologie der Otto-Friedrichs-Universität. 255

Bühl, W. (1976). Theorien Sozialer Konflikte. Burr, V. (1995). An Introduction to Social Constructionism. London: Routledge. Burton, J. W. (1990). Human Needs Theory. New York: St. Martin's Press. Burton, J. W. (1993). Conflict Resolution as a Political Philosophy. In J. D. Dennis & S. a. H. van der Merwe (Hrsg.), Conflict Resolution Theory and Practice: Integratoin and Application. Carius, A. (2003). Umweltpolitik als Instrument ziviler Krisenprävention. Hintergrundpapier zum Fachgespräch von Bundesumweltministerium und Adelphi Research. Berlin: Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Carley, K. M. (1996). Validating Computational Models. Working Paper: Social and Decision Science.Unveröffentlichtes Manuskript, Carnegie Mellon University, Pittsburgh, PA. Carpobianco, M., Chesnevar, C. I. & Simari, G. (2005). Argumentation and the Dynamics of Warranted Beliefs in Changing Environments. Autonomous Agents and Multi-Agent Systems, 11, 127-151. Castelfranchi, C. (2000). Conflict Ontology. In H.-J. Müller & R. Dieng (Hrsg.), Computational Conflicts. Conflict Modeling for Distributed Intelligent Systems. Berlin: Springer. Castelfranchi, C. (2001). The theory of social functions: challenges for computational social science and multi-agent learning. Cognitive Systems Research, 2, 5-38(34). Cederman, L.-E. (1997). Emergent Actors in World Politics. How States and Nations Develop and Dissolve. Princeton: Princeton University Press. Cederman, L.-E. (2003a). Endogenizing Geopolitical Boundaries with Agent-Based Modeling. Proceedings of the National Academy of Sciences, 99(3), 7296-7303. Cederman, L.-E. (2003b). Modeling the Size of Wars: From Billiard Balls to Sandpiles. American Political Science Review, 97(1), 135-150. Collier, P. & Hoeffler, A. (2004). Greed and grievance in civil war. Oxford Economic Papers, 56(4), 563-595. Coser, L. A. (1956). Functions of Social Conflict: Routledge & Kegan Paul PLC. Coser, L. A. (1964). The Function of Social Conflict. New York: The Free Press. Dahrendorf, R. (1957). Soziale Klassen und Klassenkonflikte in der Industriellen Gesellschaft. Stuttgart: Enke. Davis, R. & Smith, R. G. (1983). Negotiation As a Metaphor for Distributed Problem Solving. AI Journal, 20, 63 - 109. Dawes, R. M. (1975). Formal Models of Dilemmas in Social Decision-Making. In M. F. Kaplan & S. Schwartz (Hrsg.), Human Judgement and Decision Processes (S. 88-107). New York: Academic Press. De Dreu, C. K. W. & Van de Vliert, E. (1997). Using conflict in organizations. London: Sage. De Dreu, C. K. W. & Weingart, L. R. (2003). Task Vesus Relationship Conflict, Team Performance, and Team Member Satisfaction: A Meta-Analysis. Journal of Applied Psychology, 88(4), 741-749. de Rosis, F., Floriana, G., Castelfranchi, C. & Poggi, I. (2000). Modelling Conflict-Resolution Dialogues. In H.-J. Müller & R. Dieng (Hrsg.), Computational Conflicts. Conflict Modeling for Distributed Intelligent Systems. Berlin: Springer. Detje, F. (1999). Handeln erklären. Vergleich von Theorien Menschlichen Handelns und Denkens. Promotionsschrift, Deutscher Universitätsverlag, Wiesbaden. 256

Deutsch, M. (1973). The resolution of conflict: Constructive and destructive processes. New Haven: Yale University Press. Deutsch, M. (2007). Two Important but Neglected Ideas for Social Psychology as They Relate to Social Justice,Psychology and Social Justice Conference. Dieng, R. & Müller, H.-J. (2000). Computational Conflicts. Conflict Modeling for Distributed Intelligent Systems. Döring, R. & Laforet, I. (2004). Nachhaltiges Fischereimanagement und der Einfluss der Diskontrate. In U. Hampicke, R. Döring & M. Rühs (Hrsg.), Ökonomische Rationalität und praktische Vernunft: Königshausen & Neumann. Dörner, D. (2001). Bauplan für eine Seele. Reinbek: Rowohlt Tb. Dörner, D. (2002). Die Mechanik des Seelenwagens. Bern, Göttingen: Hans Huber Verlag. Dörner, D. (2003). Autonomie. In T. Christaller & J. Wehner (Hrsg.), Autonome Maschinen: Westdeutscher Verlag. Dörner, D., Levi, P., Detje, F., Brecht, M. & Lippold, D. (2001). Der Agentenorientierte, Sozionische Ansatz mit PSI. Sozionik Aktuell, 2. Epstein, J. M. (2002). Modeling Civil Violence: An Agent-Based Computational Approach. Proceedings of the U.S. National Academy of Sciences, 99(3), 7243-7250. Epstein, J. M. & Axtell, R. L. (1996). Growing Artificial Societies: Social Science from the Bottom Up: The MIT Press. Ernst, A. (1992). Informationssuche und -verarbeitung zur Entscheidungsfindung bei einem ökologischen Problem. In K. Pawlik & K.-H. Stapf (Hrsg.), Umwelt und Verhalten (S. 107-127). Bern: Huber. Ernst, A. (1994). Soziales Wissen als Grundlage des Handelns in Konfliktsituationen. Frankfurt/M: Peter Lang. Ernst, A. (1997). Ökologisch-soziale Dilemmata. Psychologische Wirkmechanismen des Umwelthandelns. Weinheim: Belz. Ernst, A. (2008). Ökologisch-soziale Dilemmata. In E.-D. Lantermann & V. Linneweber (Hrsg.), Sonderdruck aus Enzyklopädie der Psychologie. Band 1. Grundlagen, Paradigmen und Methoden der Umweltpsychologie (S. 377-413). Göttingen: Hogrefe. Ernst, A. & Spada, H. (1993). Modeling Agents in a Resource Dilemma: A Computerized Learning Environment. In D. Towne, T. de Jong & H. Spada (Hrsg.), Simulation-Based Experiential Learning (S. 105-120). Berlin: Springer. Ernst, A., Spada, H., Nerb, J. & Scheuermann, M. (2000). Eine computersimulierte Theorie des Handelns und der Interaktion in einem ökologisch-sozialen Dilemma. Freiburg: Institute of Psychology. Esser, H. (1999). Soziologie. Allgemeine Grundlagen: Campus. Fagiolo, G., Windrum, P. & Moneta, A. (2006). Empirical Validation of Agent-Based Models: A Critical Survey (LEM Papers Series): Laboratory of Economics and Management (LEM), Sant'Anna School of Advanced Studies, Pisa, Italy. FAO. (2009). The State of World Fisheries and Aquaculture 2008. Rome: Food and Agriculture Organization of the United Nations, FAO Fisheries and Aquaculture Department. Feld, L. P. & Hug, S. (2005). Economic Models in Politics: An Introduction. Swiss Political Science Review, 11(4), 1-17. 257

Ferber, J. (1999). Multi-Agent Systems: an Introduction to Distributed Artificial Intelligence. Reading, MA: Addison-Wesley. Festinger, L. (1954). A Theory of Social Comparison Processes. Human Relations, 7(2), 117-140. Franklin, S. & Graesser, A. (1997). Is It an Agent, or Just a Program?: A Taxonomy for Autonomous Agents." In J. P. Müller, M. J. Wooldridge & N. R. Jennings (Hrsg.), Intelligent Agents III. Agent Theories, Architectures, and Languages: ECAI'96 Workshop (ATAL), Budapest, Hungary (S. 21-35). Berlin: Springer. Fricke, S. (2000). Werkzeuggestützte Entwicklung Kooperativer Agenten im Dienstkontext. Technische Universität Berlin, Berlin. Funke, J. (2003). Problemlösendes Denken: Kohlhammer. Galtung, J. (1964). Foreign Policy Opinion as a Function of Social Position Journal of Peace Research. Galtung, J. (1973). Institutionalisierte Konfliktlösung. In W. Bühl (Hrsg.), Konflikt und Konfliktstrategie (S. 113-177). München. Geller, A. (2006). Macht, Ressourcen und Gewalt: zur Komplexität Zeitgenössischer Konflikte. Eine Agenten-Basierte Modellierung. ETH Zürich: vdf Hochschulverlag AG Gerber, A. (2005). Flexible Kooperation zwischen Autonomen Agenten in Dynamischen Umbebungen. Dissertation, Universität Saarbrücken, Saarbrücken. Gerrig, R. J. & Zimbardo, P. G. (2008). Psychologie (18). München, Boston: Pearson Studium. Gilbert, N. & Doran, J. (1994). Simulating Societies. The Computer Simulation of Social Phenomena. London. Gilbert, N. & Troitzsch, K. G. (2005). Simulation for the Social Scientist (2): Open University Press. Glasl, F. (2004). Konfliktmanagement. Ein Handbuch für Führungskräfte, Beraterinnen und Berater.: Freies Geistesleben. Goffmann, E. (1977). Rahmen-Analyse: Ein Versuch über die Organisation von Alltagserfahrungen. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Gordon, H. S. (1954a). The Economic Theory of a Common-Property Research: The Fishery. The Journal of Political Economy, 62(2). Gordon, H. S. (1954b). The Economic Theory of a Common-Property Resource. The Fishery. Journal of Political Economy, 62, 124-142. Granovetter, M. (1985). Economic Action and Social Structure: The Problem of Embeddedness. American Journal of Sociology, 91(3), 481-510. Grimm, V., Revilla, E., Berger, U., Jeltsche, F., Mooij, W. M. & Railsback, S. F. (2005). PatternOriented Modeling of Agent-Based Complex Systems: Lessons from Ecology. Science, 310(5750), 987-991. Groß, C. T. (2004). Analyse sozialer Konflikte und Mobbing am Arbeitsplatz – eine Tagebuchstudie (ASKA-Projekt). Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main. Hardin, G. R. (1968). The tragedy of the commons. Science, 162, 1243-1248. Hartges, M. (2003). Außergerichtliche Konfliktlösung in Deutschland. Modell ÖRA. Dissertation, Universität Bremen, Bremen.

258

Hayes-Roth, B. (1995). An Architecture for Adaptive Intelligent Systems. Artificial Intelligence: Special Issue of Agents and Interactivity, 72, 329-365. Heider, F. (1958). The Psychology of Interpersonal Relations. New York: John Wiley. Helmhout, J. M. (2006). The social cognitive actor: a multi-actor simulation of organisations.: Ridderkerk: Labyrint Publications. Helmhout, J. M., Gazendam, H. W. M. & Jorna, R. J. (2004). The Role of Organizational Semiotics and Social Constructs in the Social Awareness of Simulated Cognitive Plausible Actors. Paper presented at the 7th International Workshop on Organizational Semiotics, Setubal, Portugal. Hewitt, C. (1977). Viewing Control Structures as Patterns of Passing Messages. Artificial Intelligence, 8(3), 323-364. Hewitt, C. & Baker, H. (1977). Laws for Communicating Parallel Processes: Report of the Artificial Intelligence Laboratory of the Massachusetts Institute of Technology. . Hilmer, S. (1999, 22. - 23. Sept.). Objektorientierte Agenten. Synthese und Anwendung zweier Technologien. Paper presented at the Tagungsband der Software Technik Tage, Niedersächsischen Landesvertretung, Bonn. Imbusch, P. (2006). Sozialwissenschaftliche Konflikttheorien — Ein Überblick In P. Z. Imbusch, Ralf (Hrsg.), Friedens- und Konfliktforschung. Eine Einführung (Bd. 4, S. 143 - 178). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften Jaeger, H.-M. (1996). Konstruktionsfehler des Konstruktivismus in den Internationalen Beziehungen. Zeitschrift für Internationale Beziehungen, 3, 313-340. Jost, P. (1998). Strategisches Konfliktmanagement in Organisationen. Wiesbaden: Gabler. Kamenetzky, M. (1992). Human Needs and Aspirations. In P. Ekins & M. A. Max-Neef (Hrsg.), Real Life Economics. Understanding Wealth Creation: Routledge Chapman & Hall. Kay, A. (1984). Computer Software. Scientific American, 251(3), 53-59. Kleinke, C. L. (1984). Two Models for Conceptualizing the Attitude-Behavior Relationship. Human Relations, 37(4), 333-350. Kopelman, S., Weber, J. M. & Messick, D. M. (2002a). Factors Influencing Cooperation in Commons Dilemmas: A Review of Experimental Psychology Research. In E. Ostrom, T. Dietz & N. Dolsak (Hrsg.), The Drama of the Commons: National Academy Press. Kopelman, S., Weber, J. M. & Messick, D. M. (2002b). Summary of: Factors Influencing Cooperation in Commons Dilemmas: A Review of Experimental Psychology Research Verfügbar unter: http://www.cooperationcommons.com/node/357 [09.02. 2009]. Krebs, F., Elbers, M. & Ernst, A. M. (2007). Modelling social and economic influences on the decision making of farmers in the Odra region. Proceedings of the 4th European Social Simulation Association Conference. Toulouse, France., 277-294. Kriesberg, L. (1973). The sociology of social conflict. New Jersey. Kühne, R. (2004). Einsatz von Simulation zur Entscheidungsfindung in Agenten-Systemen. Grundlagen und Praktische Anwendung Anhand eines Beispiels aus der Produktionsplanung und -Steuerung. Universität Magdeburg, Magdeburg. Kunz, V. (2004). Rational Choice. Frankfurt/Main: Campus Verlag GmbH. Kunz, V. (2008). Die Konflikttheorie der Rational Choice-Theorie. In T. Bonacker (Hrsg.), Sozialwissenschafliche Konflikttheorien. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. 259

Laird, J. E., Newell, A. & Rosenbloom, P. S. (1987). SOAR: an Architecture for General Intelligence. Artificial Intelligence, 33(1), 1-64. Lehmann, J. F., Laird, J. E. & Rosenbloom, P. S. (2006). A Gentle Introduction to SOAR: 2006 update. Lemaître, M., Verfaillie, G. & Bataille, N. (1999). Exploiting a Common Property Resource under a Fairness Constraint: a Case Study. In IJCAI'99 (S. 206-211). Sockholm, Schweden. Lindenberg, S. (1985). An assessment of the new political economy: Its potential for the social sciences and for sociology in particular. In Sociological Theory (Bd. 3, S. 99-114). Luck, M. & d'Inverno. (2003). Unifying Agent Systems. Annals of Mathematics and Artificial Intelligence, 37, 131-167. Mallmann, C. A. (1973). On the Satisfaction of Human Aspirations as the Development Objective,Symposium on Science, Technology and Human Values. Mexico City. Malone, T. W. & Crowston, K. (1993). The Interdisciplinary Study of Coordination (Technical Report). Cambridge, MA: MIT Centre for Coordination Science. Max-Neef, M. A., Elizalde, A. & Hopenhayn, M. (1991). Human Scale Development (3). New York. Mead, G. H. (1934). Mind, Self and Society from the Perspective of a Social Behaviorist. Chicago: University of Chicago. Messick, D. M. & McClelland, C. L. (1983). Social traps and temporal traps. Personality and Social Psychology Bulletin, 9(1), 105-110. Messmer, H. (2003). Der Soziale Konflikt. Kommunikative Emergenz und Systemische Reproduktion (Bd. 4): Lucius & Lucius. Meyer, W. (1990). Expert Systems in Factory Management. New York: Prentice-Hall. Meyers, R. (1994). Begriff und Probleme des Friedens. Grundwissen Politik II. Opladen: Leseke und Budrich. Miller, G. A. (1956). The Magical Number Seven, Plus of Minus Two: Some Limits on Our Capacity for Processing Information. Psychological Review, 63, 527-536. Moss, S. (2006). Cognitive Science and Good Social Science. In R. Sun (Hrsg.), Cognition and Multi-Agent Interaction. From Cognitive Modeling To Social Simulation. Cambridge: Cambridge University Press. Münch, R. (2004). Soziologische Theorie (Bd. 3): Campus Verlag. Newell, A. (1990). Unified Theories of Cognition: Harvard University Press. Nwana, H. (1996). Software Agents: An Overview. The Knowledge Engineering Review, 11(3), 205-244. Ollmert, C. & Schinzer, H. (2001). Multiagentensysteme - Aufbau und Anwendungsbereich in der Wirtschaftsinformatik. HDM Praxis der Wirtschaftsinformatik, Heft 220. Ostrom, E. (1990). Governing the Commons. The Evolution of Institutions for Collective Action. Camebridge: Camebridge University Press. Ostrom, T. (1988). Computer Simulation: The Third Symbol System. Journal of Experimental Social Psychology, 24(5), 381-392. Pondy, L. R. (1967). Organizational conflict concepts and models. Administrative Science Quarterly 12, 296-320.

260

Puca, R. M. & Langens, T. A. (2002). Kapitel 2a: Motivation. In J. Müsseler & W. Prinz (Hrsg.), Allgemeine Psychologie. Heidelberg, Berlin. Rammert, W. (1998). Giddens und die Gesellschaft der Heinzelmännchen, Teil I. In T. Malsch (Hrsg.), Sozionik (S. 91-106). Berlin. Raub, W. (1999). Vertrauen in Dauerhaften Zweierbeziehungen: Soziale Integration durch Aufgeklärtes Eigeninteresse. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 39, 239-268. Regan, P. M. & Norton, D. (2005). Greed, Grievance, and Mobilization in Civil Wars. Journal of Conflict Resolution, 49(3), 319-336. Rosenberg, M. J. & Hovland, C. I. (1960). Cognitive, affective, and behavioral components of attitudes. In C. I. Hovland & M. J. Rosenberg (Hrsg.), Attitude Organization and Change. New Haven: Yale University Press. Ross, M. L. (2004). What Do We Know About Natural Resources and Civil War? Journal of Peace Research, 41(3), 297-322. Russell, S. & Norvig, P. (2002). Artificial Intelligence: A Modern Approach.: Prentice Hall; 2 edition Sayer, A. (2000). Realism and Social Science. London: Sage. Schmid, U. (2002). Kapitel 5b: Computermodelle des Problemlösens. In J. Müsseler & W. Prinz (Hrsg.), Allgemeine Psychologie. Heidelberg, Berlin: Spektrum. Schoder, D., Hummel, T. & Müller, G. (1997). Interdisziplinäre Modelle für Entwurf und Einsatz Telematischer Systeme. In M. Jarke (Hrsg.), Informatik'97. Heidelberg. Schulz-Schaeffer, I. (2001). Technikbezogene Konzeptübertragung und das Problem der Problemähnlichkeit. Der Rekurs der Multiagenten-Forschung auf die Welt des Sozialen Technical University Technology Studies, Working Papers. Berlin: Technische Universität Berlin. Schwarz, N. (2007). Umweltinnovationen und Lebensstile. Eine Raumbezogene, Empirisch Fundierte Multi-Agenten-Simulation. Marburg: Metropolis. Scott, A. D. (1955). The Fishery: The Objectives of Sole Ownership. Journal of Political Economy, 65, 116-124. Searle, J. R. (1990). Collective Intentions and Actions. In P. R. Cohen, J. Morgan & P. M. E. (Hrsg.), Intentions in Communication (S. 401-416). Cambridge, MA: MIT Press. Sherif, M. (1966). Group Conflict and Co-operation: Their Social Psychology. London: Routledge & Kegan Paul PLC. Sloman, A. (1987). Motives Mechanisms and Emotions. Cognition and Emotion, 1,3, 217-234. Sloman, A. (2001). Varieties of Affect and the CogAff Architecture Schema. In C. Johnson (Hrsg.), Proceedings Symposium on Emotion, Cognition and Affective Computing AISB'01 Convention. York. Smelser, N., J. (1962). Theory of Collective Behavior. London: Routledge and Kegan Paul. Spada, H. & Opwis, K. (1985). Die Allmende-Klemme: Eine umweltpsychologische Konfliktsituation mit ökologischen und sozialen Komponenten. In D. Albert (Hrsg.), Bericht über den 34. Kongreß der DGPs, Wien 1984 (S. 840-843). Göttingen: Hogrefe. Stahlberg, D. & Frey, D. (1992). Einstellungen I: Struktur, Messung und Funktionen. In W. Stroebe, M. Hewstone, J. Codol & S. G. M. (Hrsg.), Sozialpsychologie. Eine Einführung (S. 144-169). Heidelberg: Springer. 261

Stern, P. C., Dietz, T., Dolsak, N., Ostrom, E. & Stonich, S. (2002). Knowledge and Questions After 15 Years of Research. In E. Ostrom (Hrsg.), The Drama of the Commons. Washington: National Academy Press. Suedfeld, P. (2007). Attitude Change. The Competing Views (Bd. Reprint): Aldine Pub. Sun, R. (2001). Cognitive Science Meets Multi-Agent Systems: a prolegomenon. Cognitive Systems Research, 14(1), 5-28. Sun, R. (2006). Prolegomena to Integrating Cognitive Modeling and Social Simulation. In R. Sun (Hrsg.), Cognition and Multi-Agent Interaction. From Cognitive Modeling to Social Simulation (S. 3-26): Camebridge University Press. Sun, R. (2008). Introduction to Computational Cognitive Modeling. In R. Sun (Hrsg.), The Cambridge Handbook of Computational Psychology. Cambridge: Cambridge University Press. Tajfel, H. & Turner, J. C. (1986). The Social Identity Theory of Intergroup Behavior. In S. Worchel & W. G. Ausin (Hrsg.), Psychology of Intergroup Relations (S. 7-24). Chicargo: Nelson-Hall. Tesfatsion, L. (2003). Agent-based Computational Economics: Modeling Economics as Complex Adaptive Systems. Information Science, 149(4), 263-269. Tessier, C., Müller, H.-J., Fiorino, H. & Chaudron, L. (2001). Agent' Conflicts: New Issues. In C. Tessier, L. Chaudron & H.-J. Müller (Hrsg.), Conflicting Agents. Conflict Management in Multi-Agent. Boston: Kluwer Academic Publishers. Thiel, A. (2003). Soziale Konflikte. Bielefeld: Transcipt. Thomas, K. W. (1976). Conflict and Conflictmanagement. In M. D. Dunette (Hrsg.), Handbook of Industrial and Organizational Psychology (S. 889-935). Chicargo: Rand McNally. Thomas, K. W. (1992). Conflict and Negotiation Processes in Organizations. In M. D. Dunnette & L. M. Hough (Hrsg.), Handbook of Industrial and Organizational Psychology. Palo Alto, CA: Consulting Psychlogists Press. Timm, I. J. & Hillebrandt, F. (2006). Reflexion als Sozialer Mechanismus zum Strategischen Management Autonomer Softwaresysteme. In M. Schmitt, F. Michael & F. Hillebrandt (Hrsg.), Reflexive Soziale Mechanismen. Von Soziologischen Erklärungen zu Sozionischen Modellen (S. 255-288). Wiesbaden: VS Verlag. Troitzsch, K. G. (1993). Mathematical Modelling and Computer Simulation of Social Processes: Problems and a New Solution. Bulletin de Méthodologie Sociologique, 40, 16-42. Troitzsch, K. G. (2004). Validating Simulation Models. In G. Horton (Hrsg.), 18th European Simulatoin Multiconference. Networked Simulations and Simulation Networks (S. 265270): SCS Publishing House. von Braun, H., Hesse, W., Andelfinger, U., Kittlaus, H.-B. & Scheschonk, G. (2000). Conceptions are Social Constructs. Towards a Solid Foundation of the FRISCO Approach. In E. D. Falkenberg, K. Lyytinen & A. Verrijn-Stuart (Hrsg.), Information System Concepts: An Integrated Discipline Emerging: Springer. von Neumann, J. & Morgenstern, O. (1944). Theory of Games and Economic Behavior. Princeton NJ: University Press. von Tiling, J. (2004). Einführung in den Sozialkonstruktivismus http://www.psychologie.uniheidelberg.de/ae/allg/lehre/Tiling_2004_SozKon.pdf. Universität Heidelberg. Weise, P., Brandes, W., Eger, T. & Kraft, M. (2004). Neue Mikroökonomie: Physica-Verlag. 262

Wimmer, P. & Neuberger, O. (1981). Das Organisationsklima im Lichte kooperativen und konkurrierenden Verhaltens. In W. Grundwald & H. Lilge (Hrsg.), Kooperation und Konkurrenz in Organisationen (S. 189-211). Bern. Wooldridge, M. (1999). Intelligent Agents. In G. Weiß (Hrsg.), Multiagent Systems. A Modern Approach to Distributed Artificial Intelligence. Cambridge, MA: MIT Press. Wooldridge, M. (2002). An Introduction to Multiagent Systems. Chichester, England: Wiley. Wooldridge, M. & Jennings, N. R. (1995). Intellligent Agents: Theory and Practice. Knowledge Engineering Review, 10, 115-152. Zangl, B. & Zürn, M. (1994). Theorie des rationalen Handelns in den Internationalen Beziehungen. In V. Kunz & U. Druwe (Hrsg.), Rational Choice in der Politikwissenschaft, Grundlagen und Anwendung. Opladen. Zimbardo, P. G. (1992). Psychologie (5). Berlin: Springer. Zimbardo, P. G. (2008). Der Luzifer-Effekt: Die Macht der Umstände und die Psychologie des Bösen. Die Macht der Umstände und die Psychologie des Bösen.: Spektrum.

263

Anhang A Anhang A enthält die Entscheidungsregeln für Signal- und Entnahmehandlungen der Agenten. Diese

Entscheidungsregeln

sind

zum

leichteren

Verständnis

in

natürlicher

Sprache

aufgeschrieben. Im Kern werden für die Regeln drei Einflussgrößen verwendet: 1) Intentionen 2) Bedarfsstärke (Tankfüllung schwach, mittel, stark) 3) Wahrgenommene Handlung des Gegenübers a. Signalhandlung b. Entnahmehandlung (mit Überprüfung auf Verletzung der Norm)

Signalregeln Die Versendung von Signalen folgt folgender Logik: 1) Wird Ressourcenbefriedigung intendiert, dann wird: a. Gedroht, wenn der Gegner die Entnahmenorm verletzt hat. b. Der Gegner „ignoriert“ (kein Signal) wenn er kein positives Signal schickte. c. Ein schwaches Akzeptanzsignal versendet, wenn der Gegner sich an die Entnahmenorm hielt. d. Ein starkes Akzeptanzsignal versendet, wenn der Gegner weniger als das nach der Entnahmenorm geltende Maximum entnahm. 2) Wird Akzeptanzbefriedigung intendiert, dann wird: a. Gedroht, wenn der Bedürfnisdruck des Akzeptanz- und des Kompetenzbedarfs stark ist. b. Positive Signale werden verschickt, wenn weniger entnommen wurde als es die Norm maximal erlaubt. 3) Wird Kompetenzerhöhung intendiert, dann wird: a. Ein anderes Signal ausprobiert oder b. gedroht, wenn entweder der Bedürfnisdruck der Kompetenz hoch ist oder die Aktiviertheit (arousal) hoch ist.

264

Regeln die eine Drohhandlung auslösen: 1) Wenn Kompetenzbefriedigung intendiert wird und die Aktiviertheit (arousal) hoch ist und der Bedürfnisdruck der Kompetenz nicht stark ist. 2) Wenn Kompetenzbefriedigung intendiert wird und der Bedürfnisdruck der Kompetenz stark ist. 3) Wenn Kompetenzbefriedigung intendiert wird und die zuletzt wahrgenommene Handlung des Gegenübers eine Verletzung der Entnahmenorm war. 4) Wenn Akzeptanzbefriedigung intendiert wird und der Bedürfnisdruck der Akzeptanz stark ist und auch der Bedürfnisdruck der Kompetenz stark ist. 5) Wenn Ressourcenbefriedigung intendiert wird und die zuletzt wahrgenommene Handlung des Gegenübers die Entnahmenorm verletzt hat.

Regeln die dazu führen dass der Gegner ignoriert wird (neutrales Signal): 1) Wenn Kompetenzbefriedigung intendiert wird und der Bedürfnisdruck der Kompetenz nicht stark ist und die Aktiviertheit nicht hoch ist und ich selber vorher ein schwaches Akzeptanzsignal gesendet habe und der Gegner die Entnahmenorm im letzten Zeitschritt nicht verletzt hat. 2) Wenn Akzeptanzbefriedigung intendiert wird und mir entweder im letzten Zeitschritt gedroht wurde oder mir ein neutrales Signal gesendet wurde und der Bedürfnisdruck der Akzeptanz und auch der Kompetenz nicht stark ist. 3) Wenn Akzeptanzbefriedigung intendiert wird und die Entnahmenorm überschritten wurde und der Bedürfnisdruck der Akzeptanz stark ist und auch der Bedürfnisdruck der Kompetenz nicht stark sind.

Regeln die zur Versendung eines schwachen Akzeptanzsignals führen: 1) Wenn Kompetenzbefriedigung intendiert wird und der Bedürfnisdruck der Kompetenz nicht stark ist und die Aktiviertheit (arousal) nicht hoch ist und ich selber vorher ein starkes Akzeptanzsignal gesendet habe und der Gegner die Entnahmenorm im letzten Zeitschritt nicht verletzte.

265

2) Wenn Kompetenzbefriedigung intendiert wird und der Bedürfnisdruck der Kompetenz schwach ist und ich selber vorher ein neutrales Akzeptanzsignal gesendet oder gar gedroht habe und die Entnahmenorm vom Gegenüber nicht übertreten wurde. 3) Wenn Akzeptanzbefriedigung intendiert wird und wenn der Gegenspieler in der letzten Runde ein schwaches Akzeptanzsignal geschickt hat und das nach der Entnahmenorm Maximale entnommen hat und die Aktiviertheit nicht hoch ist. 4) Wenn Ressourcenbefriedigung intendiert wird und der Gegner im letzten Zeitschritt das innerhalb der Entnahmenorm Maximale entnahm und kein starkes Akzeptanzsignal schickte. Wenn Akzeptanzbefriedigung intendiert wird und ich vorher ein neutrales Signal gesendet habe und der Bedürfnisdruck der Akzeptanz und auch der Kompetenz nicht stark ist und die Entnahmenorm vom Gegner nicht überschritten wurde. Regeln die zur Versendung eines starken Akzeptanzsignals führen: 1) Wenn Kompetenzbefriedigung intendiert wird und der Bedürfnisdruck der Kompetenz nicht stark ist und die Aktiviertheit (arousal) nicht hoch ist und ich selber vorher ein schwaches Akzeptanzsignal gesendet habe und die Entnahmenorm vom Gegenüber nicht übertreten wurde. 2) Wenn Ressourcenbefriedigung intendiert wird und der Gegner im letzten Zeitschritt innerhalb der Entnahmenorm weniger als das Maximale entnahm. 3) Wenn Akzeptanz- oder Ressourcenbefriedigung intendiert wird: Wenn der Gegenspieler weniger entnommen hat als die durch die Entnahmenorm bestimmte maximale Entnahmemenge. 4) Wenn Akzeptanz- oder Ressourcenbefriedigung intendiert wird: Wenn der Gegenspieler im letzten Schritt ein starkes Akzeptanzsignal geschickt hat und sich an die Entnahmenorm hielt. 5) Wenn Akzeptanzbefriedigung intendiert wird und die eigene Handlung ein schwaches Akzeptanzsignal war und der Bedürfnisdruck der Akzeptanz und der Kompetenzdruck nicht hoch ist.

Entnahmeregeln

266

Die Handlungsregeln sind mit einer Ausnahme immer an die vorherrschende Intention gebunden. Die Ausnahme bezieht sich auf die Situation, in der ein Agent wiederholt drohte und der Gegneragent dennoch an der Überschreitung der Norm festhält. Die Regeln sind nach folgender Logik installiert:

1) Wird Akzeptanzbefriedigung intendiert, dann wird weniger entnommen, als es das Maximum der vorherrschenden Entnahmenorm gestattet. Das geschieht allerdings nur wenn der Bedürfnisdruck des Ressourcenbedarfs nicht hoch ist. 2) Wird Kompetenzbefriedigung intendiert, dann wird entweder a. gemäß des Maximums der derzeitig vorherrschenden Entnahmenorm (Aktiviertheit niedrig) entnommen, oder b. so wie im vorherigen Schritt entnommen (Aktiviertheit hoch). 3) Wird Ressourcenbefriedigung intendiert, dann richtet sich die Entnahme nach dem Bedürfnisdruck des Ressourcenbedarfs: a. Ist der Bedürfnisdruck des Ressourcenbedarfs niedrig, dann wird das Maximum innerhalb der vorherrschenden Entnahmenorm entnommen (wenn damit zumindest der Pegel des Ressourcenbedarfs sich nicht absenkt). b. Es wird mehr entnommen, als die Entnahmenorm gestattet, wenn der Bedürfnisdruck des Ressourcenbedarfs mittel ist. c. Bei hohem Bedürfnisdruck des Ressourcenbedarfs wird maximal viel entnommen.

Regeln die zur Entnahme von vier Ressourceneinheiten führen: 1) Wenn Ressourcenbefriedigung intendiert wird und der Bedürfnisdruck (des Ressourcenbedarfs) stark ist. 2) Wenn Ressourcenbefriedigung intendiert wird und der Bedürfnisdruck (des Ressourcenbedarfs) mittel ist und die Entnahmenorm TAKE_UP_TO_THREE ist. 3) Wenn Ressourcenbefriedigung intendiert wird und die Entnahmenorm TAKE_UP_TO_FOUR ist. 4) Wenn Kompetenzbefriedigung intendiert wird und die Aktivierung (arousal) niedrig ist und die die Entnahmenorm lautet TAKE_UP_TO_FOUR. 267

5) Wenn Kompetenzbefriedigung intendiert wird und die Aktivierung (aroual) hoch ist ist und meine letzte Entnahme TakeFour war. 6) Wenn ich die letzten beiden Schritte gedroht habe dann geschieht folgendes: Hat der Gegneragent zum Zeitpunkt t-3 die Entnahmenorm überschritten und tut das auch noch zum Zeitpunkt t-1 dann prüfe: Ist die vorherrschende Norm TAKE_UP_TO_THREE, dann nehme vier.

Regeln die zur Entnahme von drei Ressourceneinheiten führen: 1) Wenn Ressourcenbefriedigung intendiert wird und der Bedürfnisdruck mittel ist und die Norm lautet TAKE_UP_TO_TWO. 2) Wenn Ressourcenbefriedigung intendiert wird und die Entnahmenorm lautet TAKE_UP_TO_THREE und der Bedürfnisdruck (des Ressourcenbedarfs) niedrig ist. 3) Wenn Akzeptanzbefriedigung intendiert wird und der Bedürfnisdruck des Ressourcenbedarfs nicht hoch ist und die Norm lautet TAKE_UP_TO_FOUR. 4) Wenn Kompetenzbefriedigung intendiert wird und die Aktivierung (arousal) niedrig ist und die Norm lautet TAKE_UP_TO _THREE. 5) Wenn Kompetenzbefriedigung intendiert wird und die Aktivierung (arousal) hoch ist und meine letzte Entnahme TakeThree war. 6) Wenn ich die letzten beiden Schritte gedroht habe, dann geschieht folgendes: Hat der Gegneragent zum Zeitpunkt t-3 die Entnahmenorm überschritten und tut das auch noch zum Zeitpunkt t-1 dann prüfe: Ist die vorherrschende Norm TAKE_UP_TO_TWO, dann nehme drei.

Regeln die zur Entnahme von zwei Ressourceneinheiten führen: 1) Wenn Ressourcenbefriedigung intendiert wird und der Bedürfnisdruck mittel ist und die Norm lautet TAKE_NO_RESOURCES. 2) Wenn Ressourcenbefriedigung intendiert wird, der Bedürfnisdruck niedrig ist und die Norm TAKE_UP_TO_TWO lautet. 3) Wenn Akzeptanzbefriedigung intendiert wird und der Bedürfnisdruck des Ressourcenbedarfs nicht hoch ist und die Norm lautet TAKE_UP_TO_THREE.

268

4) Wenn Kompetenzbefriedigung intendiert wird und die Aktivierung (arousal) niedrig ist und die Norm lautet TAKE_UP_TO _TWO. 5) Wenn Kompetenzbefriedigung intendiert wird und die Aktivierung (arousal) hoch ist und meine letzte Entnahme TakeTwo war. 6) Wenn ich die letzten beiden Schritte gedroht habe, dann geschieht folgendes: Hat der Gegneragent zum Zeitpunkt t-3 die Entnahmenorm überschritten und tut das auch noch zum Zeitpunkt t-1 dann prüfe: Ist die vorherrschende Norm TAKE_NO_RESOURCES, dann nehme zwei.

Regeln die zu einem Verzicht der Ressourcenentnahme führen: 1) Wenn Akzeptanzbefriedigung intendiert wird und der Bedürfnisdruck des Ressourcenbedarfs nicht hoch ist und die Norm lautet TAKE_UP_TO_TWO. 2) Wenn Akzeptanzbefriedigung intendiert wird und die Norm lautet TAKE_NO_RESOURCES. 3) Wenn Kompetenzbefriedigung intendiert wird und die Aktivierung (arousal) niedrig ist und die Norm lautet TAKE_NO_RESOURCES.

269

Anhang B Anhang B enthält die Ergebnisse der Einstellungsberechnungen für alle fixen Strategien. Einstellungen des SIP-Agenten Parameterkonfiguration: Ressourceneinheiten: 40, Füllung der Bedarfskessel: 75%

270

271

272

273

Einstellungen des RIP-Agenten Parameterkonfiguration: Ressourceneinheiten: 40, Füllung der Bedarfskessel: 75%

274

275

276

277

Einstellungen des SIP-Agenten Parameterkonfiguration: Ressourceneinheiten: 40 und 60, Füllung der Bedarfskessel: 75%

278

279

280

281