Weniger Arbeit als 1970 ZEITMANAGEMENT

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Author: Silvia Koch
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 ZEITMANAGEMENT

Wann hast du endlich Zeit? Die Zahl der Arbeitsstunden ist seit 1970 deutlich gesunken. Trotzdem klagen viele Menschen über Zeitmangel. Die Hetze ist auf Dauer ungesund. | Josefine Janert

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eitmanagement ist ein Lieblingsthema der Menschen in Deutschland. In den Buchhandlungen findet man stapelweise Ratgeber dazu. Jede Weiterbildungseinrichtung, die etwas auf sich hält, bietet ein Seminar dazu an. Im Familien- und Freundeskreis und unter Kollegen klagt trotzdem regelmäßig jemand darüber, dass dieses oder jenes einfach nicht zu schaffen sei. Die Flut von Mails scheint mit jedem Jahr zuzunehmen. Das zeigt sich vor allem im Berufsleben. Professor Lothar Seiwert, Experte für Zeitmanagement, nennt in seinem Buch „Lass los und du bist Meister deiner

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Zeit“ eine erschreckende Zahl: „Mehr als 41 Millionen Menschen in Deutschland klagen über außergewöhnlichen und durch ihre Arbeit bedingten Stress.“ Die Folgen zeigen sich auf vielfältige Weise: Rückenschmerzen, Schlafstörungen, Unlust, Wut, Burnout. Das hohe Tempo, das wir fahren, hat seine Spuren in der deutschen Sprache hinterlassen. Seiwert nennt sie Tempomacher im Alltag, zum Beispiel Formulierungen wie: wie „Ich mach mal schnell Pause“, „Kannst du schnell warten?“ und „Bitte erledigen Sie diesen Vorgang umgehend.“

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Dem arbeitsmarkt erläutert Lothar Seiwert: „Jeder Mensch kennt Stress und Druck. Aber nicht alle reagieren gleich darauf. Es gibt Menschen, die dem Gegenwind standhalten oder ihn sogar nutzen. Selbstbestimmte Menschen haben eins gemeinsam: Egal, unter welchen Umständen sie arbeiten und leben, sie bleiben stets ihr eigener Chef. Sie lassen sich nicht von anderen sagen, was zu tun ist, sie wissen es selbst und handeln danach. Es kann ihnen nicht passieren, dass Abhängigkeit und Machtlosigkeit Stress verursachen. Wenn sie Stress haben, dann sind sie selbst dafür verantwortlich und wollen das so. Es ist vor allem eine Frage der inneren Haltung und Einstellung, wie wir mit Fremdbestimmung umgehen.“

Weniger Arbeit als 1970 Dass wir für unseren Stress zum großen Teil selbst verantwortlich sind, darauf weist auch etwas anderes hin. Wenn wir die Arbeitswelt nüchtern betrachten, dann zeigt sich, dass dort in den vergangenen Jahren vieles einfacher geworden ist. Dass einem Erwerbstätigem Pausen und ein Jahresurlaub zustehen, das würde heute kaum mehr jemand in Abrede stellen. Vor 100 Jahren war das anders. Außerdem hat sich seit 1970 die Zahl der Arbeitsstunden, die der Erwerbstätige im Durchschnitt leistet, nahezu jedes Jahr verringert. Das zeigen Angaben des Statistischen Bundesamtes und des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit. Zu dem Rückgang kam es aus mehreren Gründen: Zwischen 1970 und 1990 wuchsen in der Bundesrepublik Deutschland die Urlaubsansprüche der Arbeitnehmer, sie leisteten weniger Überstunden und ihre tarifliche Wochenarbeitszeit wurde verkürzt. Seit 1990 steigt die Zahl der Menschen, die in Teilzeit tätig sind. Die Urlaubsansprüche der Menschen in Ostdeutschland wurden an die der alten Bundesländer angeglichen.

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1970 war der Erwerbstätige in der Bundesrepublik während 1.966 Arbeitsstunden pro Jahr auf Achse. 1991 waren es im vereinten Deutschland nur noch 1.559 Arbeitsstunden. Im Jahr 2012 ist die Zahl schließlich auf 1.397 Stunden gesunken. Auch im Privatleben hat sich einiges geändert. Haushaltsgeräte wie Waschmaschinen und Geschirrspülmaschine sorgen für Entlastung. Viele Kleidungsstücke müssen nicht mehr gebügelt werden. Die warme Mahlzeit kommt dank Fertiggerichten und Lieferservice schnell auf den Tisch – oder wird an manchem Tag unterwegs oder in einem Restaurant eingenommen. Eigentlich sollten wir uns über darüber freuen, dass wir viel mehr freie Zeit haben als unsere Großeltern. Wir sollten uns mit den Kindern in den Park oder auf den Spielplatz begeben oder uns zurücklehnen und den Wolken nachschauen.

sie für ihren Arbeitgeber nur im Notfall zu erreichen. Unsere Großväter erzählen zwar von langen Schichten, aber kaum davon, dass sie am Sonnabendvormittag mit ihrem Chef telefonierten oder im Urlaub Briefe an die Kunden des Unternehmens schrieben. Arbeits- und Privatleben sind heute nicht mehr so stark voneinander abgegrenzt wie früher. Heute gehören neben dem Festnetzanschluss ein oder mehrere Computer und Mobiltelefone zur Standardausrüstung jedes Haushalts. Vom Schulkind bis zum Rentner verfügt fast jeder über einen solchen Gerätepark. Das mobile Telefon samt Zugang zum Mail-Postfach

Angestellten in die Depression treiben kann. So wird in der freien Wirtschaft immer öfter akzeptiert, dass das mobile Diensttelefon ab einer bestimmten Uhrzeit ausgeschaltet bleibt. Eine solche Regelung für den Betrieb zu erreichen, dabei hilft die Gewerkschaft.

Selbstdarstellung und Zeitfresser Die sozialen Netzwerke dienen der Selbstdarstellung. Während der Arbeitssuche sind ein aktuelles XING-Profil und eine gepflegte Homepage durchaus sinnvoll. Auch mancher Freiberufler hat auf diese Weise neue Kontakte geknüpft.

Das Handy als elektronische Fessel Stattdessen klagen wir darüber, dass uns Zeit fehlt. Das liegt an der von Lothar Seiwert beschriebenen inneren Haltung. Ein weiterer Grund mag sein, dass wir an unser Arbeits- und Privatleben höhere Ansprüche stellen als unsere Großeltern. Wir versuchen, unsere Zeit mit immer mehr Herausforderungen, Zerstreuungen und Kontakten zu füllen. Wir umgeben uns privat und im Job mit viel mehr Technik als die Bundesbürger von 1970. Technik verspricht Erleichterung und Vergnügen, doch sie will eingerichtet, gewartet, auf den neuesten Stand gebracht und genutzt werden. Technik ist ein Statussymbol, das sorgfältig gepflegt sein will. Aber das hat seinen Preis. Viele DDR-Bürger hatten 1970 nicht einmal ein eigenes Privattelefon, auf dem ihr Chef sie hätte erreichen können. Die Leute schickten sich Briefe – und wenn es dringend war – ein Telegramm. Die Bundesrepublikaner von 1970 hatten schon deutlich mehr Telefone, aber das war es auch schon. In ihrer Freizeit waren arbeitsmarkt BILDUNG | KULTUR | SOZIALWESEN

Es ist immer „kurz vor knapp“: gelassene Zeiteinteilung ist geboten.

ist für manchen Berufstätigen zu einer elektronischen Fußfessel geworden. Für Kunden und Kollegen ist er rund um die Uhr erreichbar. Ob oder in welchen Grenzen man dazu bereit ist, sollte man mit dem Arbeitgeber und als Freiberufler mit den Kunden klären, am besten, bevor Konflikte auftreten. So kann etwa eine Lehrerin die Eltern ihrer Schüler von vornherein darauf hinweisen, dass sie von montags bis freitags nur bis 20 Uhr telefonisch zu erreichen ist, darüber hinaus nur in Notfällen. Viele Unternehmen haben erkannt, dass die ständige Verfügbarkeit ihre

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Hier ist weniger jedoch oft mehr. Es ist sicher nicht nötig, in den sozialen Netzwerken beständig neue Einträge zu hinterlassen oder die Beiträge anderer Nutzer zu kommentieren. Wie viel Wert diese Kommentare haben, merkt man, wenn man am Ende der Woche überlegt, welche Texte auf Twitter oder Facebook einem auf Dauer als besonders tiefschürfend oder originell im Gedächtnis geblieben sind. „Mails sind eine große Gefahr für gutes Zeitmanagement“, beobachtet auch Psychologin Silke Anbuhl. Sie ist Geschäftsführende Gesellschafterin von

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Futureformat in Hamburg, einem Unternehmen, das Seminare, Coaching und Beratung anbietet. Vor ihrer Tätigkeit für Futureformat arbeitete Silke Anbuhl jahrelang in einer Unternehmensberatung, der Tochter einer großen Bank. Aus dieser Zeit kennt sie das Dilemma: Man will zwei, drei Stunden konzentriert an einem Projekt arbeiten, etwa einen Bericht schreiben. Doch schon nach kurzer Zeit schaut man ins elektronische Postfach und wird so aus dem Gedankenfluss gerissen. Oder der Chef kommt und drückt einem auf, sofort auf eine Kundenanfrage zu antworten, die eben per Mail eingetroffen ist. Wenn man dann zu dem Bericht zurückkehrt, kann man quasi von vorn anfangen. Silke Anbuhl empfiehlt, mit dem Vorgesetzten auszuhandeln, dass man für die Arbeit an einem anspruchsvollen Projekt eine Zeit lang Ruhe benötigt – also keine Anfragen auf den Tisch bekommt und Mails nicht beachten muss. Wenn der Vorgesetzte den Grund kennt, hat er sicher eher Verständnis dafür, als wenn man sich ohne Absprache zurückzieht. Manche Teams treffen Vereinbarungen für solche Arbeitsphasen: Wenn meine Tür geschlossen ist, will ich nicht gestört werden. Oder: Nur in dringenden Fällen darf ich in den nächsten zwei, drei Stunden angerufen werden. Was sonst auf der Agenda steht, darüber reden wir jeden Morgen in unserer Teamsitzung.

Zweifelsohne haben Personen, die in der Unternehmenshierarchie weit oben stehen, eher die Chance, ihre Wünsche nach Zeitautonomie durchzusetzen. Zeitautonomie bedeutet: Ich bin nicht fremdgesteuert, darf weitgehend selbst bestimmen, wie ich mir meine Zeit einteile.

Bauern und Selbstständige ackern am längsten Laut Statistischem Bundesamt sind die Menschen mit der längsten Arbeitszeit in der Land- und Forstwirtschaft und der Fischerei zu finden. Sie bringen es auf 1.713 Arbeitsstunden im Jahr. Ihnen folgen das Baugewerbe mit 1.651 Arbeitsstunden und Finanz- und Versicherungsdienstleister mit knapp 1.509 Arbeitsstunden pro Jahr. Unabhängig von ihrem Beruf malochen Selbstständige besonders viel. In Branchen mit vielen Selbstständigen sind daher lange Arbeitszeiten an der Tagesordnung. Nach Angaben des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) ackerten Selbstständige 2012 im Durchschnitt 2.000 Stunden, Angestellte dagegen nur 1.400 Stunden. Hinsichtlich ihres Zeitmanagements sind Erwerbstätige von einer Reihe von Bedingungen abhängig, die sie kaum selbst beeinflussen können. So richten sich Bauern, Förster und Fischer nach den Gegebenheiten der Natur. Ein Landwirt

muss sein Vieh auch an Feiertagen versorgen. In vielen Branchen machen sich die Entlassungswellen der vergangenen Jahre bemerkbar. Die noch verbliebenen Kollegen müssen den gleichen Arbeitsberg bewältigen wie vorher alle zusammen. Das geschieht zum Beispiel in den Redaktionen mancher Tageszeitung: In dem Ressort, in dem früher sechs Festangestellte saßen, hocken nun zwei Redakteure. Sie müssen nicht nur selbst Artikel schreiben, sondern auch die Arbeit der vielen freien Journalisten koordinieren. Außerdem sollen sie auf eine Flut von Leserbriefen und -mails reagieren und Aufgaben erledigen, die es vor 20 Jahren noch nicht gab. Dazu gehört, die Selbstdarstellung der Zeitung auf der Homepage und in den sozialen Netzwerken auf dem neuesten Stand zu halten.

Zeit als Statussymbol Darüber hinaus ist ausufernde Arbeitszeit in manchen Branchen auch zu einer Art Statussymbol geworden. Wer bis spät in der Nacht ackert und in der Freizeit berufliche Mails beantwortet, gilt als rechtschaffen, verlässlich und interessiert am eigenen Fortkommen. Kaum jemand denkt darüber nach, ob sich dieser Mensch seine Zeit vielleicht nur schlecht einteilt. Dass die Vielarbeiter so gut angesehen sind, hängt wohl auch mit unserer Mentalität zusammen, vermutet Silke

Keineswegs sportlich oder gar gesund – die Hetze von einem Termin zum nächsten.

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Anbuhl: Deutsche gelten im Ausland als fleißig. Sie erinnert sich lebhaft an ihre Zeit in der Unternehmensberatung. Diese Branche ist berüchtigt dafür, dass die Angestellten sehr lange arbeiten. Silke Anbuhl erzählt, dass gelegentlich ganze Teams an den Wochenenden zu Arbeitsschichten antraten. Dabei gab es gar nicht so viele Aufgaben zu erledigen. Man musste Gesicht zeigen. „So verbrachten manche Kollegen ihre Zeit mit Computerspielen“, sagt die Psychologin. Einer ihrer Kollegen ging werktags pünktlich nach Hause – wohlgemerkt zum regulären Dienstschluss und nach getaner Arbeit. Er hatte Familie, um die wollte er sich kümmern. Als in einer wirtschaftlichen Krise Mitarbeiter entlassen wurden, war dieser Kollege als einer der Ersten dran. Offenbar war die Geschäftsführung der Ansicht, dass er nicht mehr getan hatte als unbedingt nötig.

Prioritäten setzen und Nein sagen In früheren Jahren lieferten manche Ratgeber für Zeitmanagement eine Anleitung dafür, wie man möglichst viele Termine in den Kalender presst. Inzwischen hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass das nur begrenzt möglich ist. Im Gegenteil: Ständige Hetze trägt nicht dazu bei, dass das Arbeitsergebnis besser wird und sich der Erwerbstätige wohlfühlt und gesund bleibt. Buchautoren wie Lothar Seiwert meinen, dass eher umgekehrt ein Schuh draus wird: Statt mir das Ziel zu setzen, möglichst viel zu schaffen, überlege ich erst einmal, was ich im Privatleben und im Beruf erreichen will, und richte dann meinen Terminkalender danach aus. Dabei soll ausreichend Zeit bleiben für Entspannung, gesunde Ernährung und Sport. Lothar Seiwert empfiehlt auch, das Büro zu entrümpeln und Instrumente wie To-Do-Listen zu nutzen. Konsequent „nein“ zu sagen, das gehört laut Lothar Seiwert zum guten arbeitsmarkt BILDUNG | KULTUR | SOZIALWESEN

Zeitmanagement dazu. Er meint: „Wer nicht ‚nein‘ sagen kann, hat es schwer im Leben. Und lädt sich oftmals zu viel auf – was wiederum Stress erzeugt. Hinter dem Nicht-Nein-Sagen-Können steckt oft die Angst vor Ablehnung oder ein Gefühl des Nicht-Genügens. Dabei ist das NeinSagen der effektivste Weg, um Prioritäten zu setzen und deutlich zu machen. Hier empfehle ich: Greifen Sie zum Äußersten und reden Sie mit dem Chef oder Kunden und vereinbaren Sie, wenn möglich, einen späteren Erledigungstermin.“ Darüber hinaus plädiert Lothar Seiwert für die richtige Prioritätensetzung: „In der Realität und im Alltag folgen die Menschen den falschen Prioritäten. Warum nur? In der Tat scheint es schwer zu fallen, Dringendes von wirklich Wichtigem zu unterscheiden. Das Dringende ist selten wichtig, und das Wichtige ist selten dringend. Wer seine Werte und Ziele kennt, der steuert automatisch den richtigen Kurs.“ Gutes persönliches Zeitmanagement ist der erste Schritt. Ein weiterer ist nach Ansicht von Silke Anbuhl das Gespräch mit dem Arbeitgeber. Manchmal stellt sich in einer Gehaltsverhandlung heraus, dass nicht mehr Geld drin ist. „Warum sollte man dann nicht über die Zeit verhandeln, die man dem Unternehmen zur Verfügung steht?“, sagt die Hamburger Psychologin.

Einige praktische Tipps • Bestellen Sie elektronische Newsletter ab, die Sie nicht (mehr) interessieren. • Umgeben Sie sich mit Technik, die funktioniert und die Sie verstehen. Wirken Sie auf der Arbeit und im Privatleben darauf hin, dass Geräte ohne überflüssigen Schnickschnack und mit leicht verständlicher Gebrauchsanweisung angeschafft werden. Der Hersteller sollte bei Problemen leicht zu erreichen sein. • Räumen Sie regelmäßig Ihr Büro auf. Misten Sie aus. Das hilft, den Überblick zu bewahren. Achten Sie

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allerdings darauf, dass Sie manche Unterlagen für die Steuer oder aus anderen Gründen eine bestimmte Zeit lang aufbewahren müssen. Reduzieren Sie die Mailflut: Statt dem Kollegen im Nachbarbüro zu mailen, besprechen Sie das Nötige persönlich mit ihm. Bewegung hilft, den Kopf frei zu bekommen. Statt nur ungewiss zu sagen, dass Sie diese Woche Sport machen wollen, schreiben Sie einen Termin dafür in Ihren Kalender ein. Verplanen Sie nicht Ihre gesamte Zeit. Halten Sie sich Zeit frei für Ungeplantes, Unvorhergesehenes. Vereinbaren Sie mit Ihren Kollegen bzw. Ihrem Chef Zeit, in der Sie ungestört an einem Projekt arbeiten können. Planen Sie im voraus, wie viel Zeit Sie in und mit sozialen Netzwerken verbringen möchten.

 INTERVIEW mit der Ärztin Dr. Ursula Marschall von der BARMER GEK.

Ruhephasen gehören dazu arbeitsmarkt: Qualitätszeit, Englisch: quality time, ist in aller Munde. Was halten Sie von diesem Begriff? Ursula Marschall: Für die erste Beschreibung des Phänomens reicht er sicher aus, wenngleich die Übertragung aus dem Englischen nicht sehr präzise ist. Wenn ich das Wort „Qualität“ höre, denke ich an deutsche Wertarbeit. Aber um diese geht es gar nicht. Der Begriff Qualitätszeit wurde ursprünglich vor allem für berufstätige Mütter verwendet. Auf diesen Frauen lastet ein gewaltiger Druck. Sie sollen möglichst viel Zeit mit ihren Söhnen und Töchtern zusammen sein, so die Forderung der Gesellschaft. Die Frauen, denen das gelingt, gelten als gute Mütter. Wer hingegen nur wenige Stunden mit den Kindern verbringt, steht in der öffent-

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lichen Wahrnehmung weniger gut da. Manche Menschen sprechen immer noch von „Rabenmüttern“, auch wenn Mutter und Kinder die kurze Zeit als besonders intensiv erleben. Der Begriff Qualitätszeit signalisiert, dass die Zeit, in der Mütter und Kinder zusammen sind, einen hohen Wert für beide Seiten hat. Da geht es eben nicht um Quantität, um eine möglichst lange miteinander verbrachte Zeitspanne, sondern darum, wie die Stunden gestaltet sind. Mit dem Begriff Qualitätszeit wird das traditionelle Frauenbild aufgebrochen. Was ist Ihrer Ansicht nach Qualitätszeit? Das ist die Zeit, die ein Mensch nach seinen eigenen Vorstellungen allein oder mit anderen Personen gestalten kann. Er hat Freude an dem, was er tut. Er versucht nicht, in kurzer Zeit so viel wie möglich zu schaffen, sondern bringt sich selbst und seinem Gegenüber Wertschätzung entgegen. Wertschätzung – das ist das, was im Wesentlichen hinter der Qualitätszeit steckt. Würden Sie den Begriff Qualitätszeit auch für das Berufsleben verwenden, etwa für die Arbeit an einem frei gewählten, anspruchsvollen Projekt? Ja, natürlich. Wem Wertschätzung entgegengebracht wird, der kommt übrigens besser mit Stress zurecht, etwa mit hohem Termindruck. Wenn jemand in zehn intensiven Arbeitsstunden ein Projekt voranbringt und dafür Anerkennung erhält, empfindet er die Folgen von Stress nicht als so stark. Die körperliche Belastung ist weniger gravierend, als wenn die Person die selbe Zeit ohne Motivation, ohne Wertschätzung und ohne ein Feedback vor sich hin ackert. Was geht da im Körper vor sich? Wir Fachleute unterscheiden positiven Stress, sogenannten Eustress, der den Organismus positiv beeinflusst, von negativem Stress, sogenanntem Disstress. Schon der Neandertaler hatte Stress, arbeitsmarkt BILDUNG | KULTUR | SOZIALWESEN

etwa, wenn er auf die Jagd ging. Dabei weiteten sich seine Pupillen, und sein Herz schlug schneller. Diese körperlichen Reaktionen sind bei Stress völlig normal. Sie werden durch die Stresshormone Adrenalin und Kortisol ausgelöst. Diese werden über eine Steuerung im Gehirn in der Nebenniere freigesetzt. Wenn jemand positiven Stress erlebt, etwa bei einer Präsentation, die ihm gut gelingt und für die er Lob erhält, werden auch Stresshormone ausgeschüttet. Der Stresspegel sinkt jedoch anschließend wieder, die Person entspannt sich. Es wird weniger Kortisol produziert. Bei dauerhafter Anspannung – oder bei negativem Stress – wird immer weiter Kortisol freigesetzt. Die Ruhephasen fehlen. Dauerstress ist schädlich, da der Körper ständig in Alarmbereitschaft bleibt. Er braucht eine Art Wellenbewegung aus Anspannung und Entspannung. Viele Menschen empfinden ihre Arbeitsaufgaben als unsinnig, bekommen keine Anerkennung, leiden unter schlechten Arbeitsbedingungen. Wenn das über längere Zeit so bleibt, leiden sie also unter negativem Stress? Ja. Das Gegenbeispiel wäre ein Manager mit einer 70-Stunden-Woche und vielen Terminen, der trotz dieser hohen Belastung nicht krank wird. Das liegt daran, dass er seine Arbeit als sinnvoll erlebt und Kraft aus der Wertschätzung zieht, die ihm für seine Leistung entgegengebracht wird. Hinzu kommt auch noch, dass ihm vermutlich eine Assistentin den Rücken freihält und den unangenehmen Kleinkram erledigt. Stimmt. Aber nicht jeder kann oder will Manager werden. Arbeitnehmer sollten die Freizeit, die ihnen zusteht, selbstbestimmt gestalten können. So senken sie den Stresspegel, laden die Batterien wieder auf. Das ist auch Qualitätszeit: Nicht vor dem Fernseher hocken, sondern Sport treiben, bei gutem Wetter nach draußen gehen, schöne Stunden mit der

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Familie verbringen. Das alles tut man ja aus eigenem Antrieb und nicht ferngesteuert. Kann ich auch bei der Arbeit an einem beruflichen Projekt meine Batterien wieder aufladen? Ja, wenn Sie damit ein Ziel verfolgen, das Sie als sinnvoll erleben. Das kann eine Promotion sein oder eine Tätigkeit, mit der Sie Ihre beruflichen Chancen verbessern. Wichtig ist, dass Sie auch bei großem Engagement für das Projekt ausreichend Ruhephasen einplanen und sich genügend Schlaf gönnen. In dieser Zeit normalisieren sich die hormonellen Vorgänge, es wird weniger Kortisol ausgeschüttet. Auch Zeiten, in denen Sie weniger produktiv sind, Ihre Unterlagen ordnen oder die Gedanken treiben lassen, gehören dazu. Jeder Mensch muss seinen eigenen Rhythmus und die günstigste Zeit für die verschiedenen Arbeitsschritte herausfinden.

INTERVIEWPARTNERIN

Dr. Ursula Marschall, Leitung Kompetenzzentrum Medizin/ Versorgungsforschung, BARMER GEK, Wuppertal Foto: Barmer Gek

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