Rektorat

Sperrfrist: Dienstag, 20. Januar 2009, 16.30 Uhr Es gilt das gesprochene Wort.

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Wege zur guten Schule Ansprache von Regierungsrat Bernhard Pulver, Erziehungsdirektor

Eine gute Schule ermöglicht eine gute Bildung. Als Erziehungsdirektor habe ich das Ziel, für die Einwohnerinnen und Einwohner unseres Kantons ein Bildungsangebot bereitzustellen, • das diese gute Bildung ermöglicht, • mit dem Bildung gelingt. Dabei ist Bildung mehr als blosse Aneignung von Wissensinhalten, Fähigkeiten und Fertigkeiten. Bildung umfasst die ganze Person, sie ist auch Persönlichkeitsentwicklung. Eine gute Bildung stärkt das Individuum, gibt Selbstvertrauen und Selbstsicherheit, schärft die Urteils- und Entscheidfähigkeit und fördert verantwortungsbewusstes Handeln. Bildung ermöglicht eine sinnvolle Selbstentfaltung und Selbstentwicklung und ist dadurch auch Grundlage für die Selbstbehauptung, auch in ökonomischem Sinne. Eine gute Bildung stärkt zweitens die Beziehungsfähigkeit, die eine Grundlage für das Zusammenleben in der Gemeinschaft und in der Gesellschaft ist. Ich denke dabei an Werte wie Friedfertigkeit und Gewaltlosigkeit, Rücksichtnahme, Achtung, Toleranz, Einfühlungsvermögen, Verstehenwollen, Hilfsbereitschaft und Ehrlichkeit, aber auch Engagement und Mut. Bildung fördert das soziale Lernen, das uns befähigt, in der Gesellschaft mitzugestalten und mitzubestimmen und Mitverantwortung wahrzunehmen. Eine gute Bildung stärkt drittens die lebenslange Lernbereitschaft, die eine Voraussetzung ist für eine innovative Kreativität. Bildung befähigt dadurch das Individuum, sich als nützliches Glied in den Wirtschaftsprozess einzugliedern und sich darin zu behaupten und weiter zu entwickeln. Eine Bildung, die gelingt, setzt eine Schule, die gelingt, voraus. Schule hier im weitesten Sinne verstanden als Bildungsinstitution, sei das auf der Volksschulstufe, der Sekundarstufe II, der Hochschulstufe oder in der Weiterbildung. Ich werde jedoch im Folgenden den Focus hauptsächlich auf die Bedürfnisse der Volksschulstufe richten, denn hier ist der Wirkungskreis der Pädagogischen Hochschule Bern wohl am grössten und am entscheidendsten.

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Bildung basiert auf Lernprozessen, an denen verschiedenste Akteure beteiligt sein können. Auf der Volksschulstufe sind neben den Hauptakteuren – den Schülerinnen und Schülern – die Lehrkräfte und die Eltern wichtige Akteure. Ich möchte das Thema zunächst aus der Perspektive dieser drei beteiligten Akteure analysieren und dann auf diesem Hintergrund aufzeigen, was die Politik zum Gelingen von Schule und Bildung beitragen kann und will. 1. Perspektive der Schülerinnen und Schüler Im Mittelpunkt unserer Überlegungen stehen natürlich die Schülerinnen und Schüler. Um sie geht es! Eine gute Bildung zielt sowohl auf die Aneignung von Wissensinhalten, Fähigkeiten und Fertigkeiten (Sachkompetenz) als auch auf die Entwicklung der Persönlichkeit (Selbst- und Sozialkompetenz). Eine Bildung ist gelungen, wenn diese Kompetenzen den individuellen Möglichkeiten entsprechend optimal verfügbar geworden sind. Der Weg dahin führt über unzählige individuelle Lernprozesse, auf die sich die Schülerinnen und Schüler einlassen müssen. Hinter jedem Lernprozess stehen Lernleistungen der Schülerin oder des Schülers. Denn ohne den Willen, eine Lernleistung zu erbringen, kommt der Lernprozess nicht zum Abschluss. Ausgangspunkt ist dabei das individuell vorhandene Potenzial, das mehr oder weniger zielgerichtet ausgeschöpft wird. Genau da setzt eine Schule, die gelingt, an. Sie berücksichtigt das individuelle Leistungspotenzial und fördert jede Schülerin/jeden Schüler optimal nach ihren oder seinen individuellen Möglichkeiten. Es gelingt ihr, Motivation und Interesse zu erwecken, das eigene Leistungspotenzial zu nutzen und entsprechende Lernleistungen zu erbringen. Eng mit der Motivation verbunden ist das Wissen, worauf man zusteuert. Es ist sehr wichtig, dass die Schülerinnen und Schüler die Zielsetzungen, die mit dem Unterricht verfolgt werden, genau kennen. Im besten Fall gelingt es, dass die Zielsetzungen, die angestrebt werden, zu ihren eigenen Zielsetzungen werden. Es ist erwiesen, dass das atmosphärische Umfeld das Wohlbefinden und damit auch die Qualität von Lernleistungen stark mitprägt. Zu diesem Umfeld zähle ich beispielsweise: • gut eingerichtete und zweckdienliche Räumlichkeiten • genügend dosierte verfügbare Zeit • eine gute Kommunikationssituation zwischen Lehrenden und Lernenden und zwischen den Lernenden untereinander • ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Konzentrationsphasen und Entspannungs- und Bewegungsphasen Wenn in einer Schule klare Regeln vorgegeben sind und klare Grenzen abgesteckt sind, kann sich das ebenfalls positiv auf das Wohlbefinden aller Beteiligten auswirken. Das alles sind aus der Perspektive der Schülerinnen und Schüler Elemente, die erfüllt sein müssen, damit eine Schule gelingt und damit Bildung gelingt oder – anders ausgedrückt – damit eine gute Schule eine gute Bildung vermitteln kann. 2. Perspektive der Lehrperson Die Anforderungen, die heute an Lehrkräfte gestellt werden, sind sehr hoch. Die Lehrerinnen und Lehrer müssen kompetent sein und professionell arbeiten. Deshalb ist es notwendig, dass sie in der Ausbildung an den Pädagogischen Hochschulen optimal auf ihre Arbeit vorbereitet werden und dass sie durch eine vielfältige Weiterbildung unterstützt werden.

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Ebenso wichtig wie die professionelle Kompetenz sind die Persönlichkeit der Lehrperson und ihre Ausstrahlungskraft. • Wer überzeugen will, muss selbst überzeugt sein, von dem, was er tut. • Wer motivieren will, muss selbst motiviert sein. • Wer für ein Fach, ein Projekt oder eine Aufgabe begeistern will, muss die Schülerinnen und Schüler die eigene Begeisterung spüren lassen. Lehrpersonen sollten in einem guten Sinn Vorbilder sein, • an denen man sich orientieren kann • denen man etwas nachmachen kann • in denen man sich spiegeln kann • denen man nacheifern kann • von denen man sich aber auch abgrenzen und unterscheiden kann. Auch für die Lehrkräfte ist das Wohlbefinden bei der Arbeit ein ausserordentlich wichtiger Faktor. Dazu tragen ein genügend grosser Gestaltungsspielraum in der täglichen Arbeit und das Gefühl, ernst genommen zu werden und in wichtigen Sachen mitbestimmen zu können, wesentlich bei. Das Wohlbefinden erhöhen aber auch • eine funktionierende Arbeitsorganisation • sowie sinnvolle Regeln und Grenzziehungen, die das Zusammenspiel im Alltag erleichtern. Regeln und Grenzziehungen nützen jedoch nichts, wenn deren Einhaltung nicht kontrolliert wird. Lehrpersonen brauchen auch ein gewisses Durchsetzungsvermögen. Optimal ist es, wenn ihnen dank einer natürlichen Autorität von den Schülerinnen und Schülern ein vertrauensvoller Respekt gezollt wird. Damit lässt sich das notwendige Mindestmass an Disziplin herstellen, damit Unterricht überhaupt stattfinden kann. Ziel ist freilich, dass Disziplin allmählich ersetzt wird durch eine freiwillig erbrachte Selbstdisziplin. Das Wohlbefinden definiert sich aber nicht nur durch die Beziehung zu den Schülerinnen und Schülern. Es misst sich am Gesamtauftrag einer Lehrkraft. Und dieser Auftrag ist laut Gesetz umfassend: • unterrichten und erziehen • zusammenarbeiten mit Kolleginnen und Kollegen, Eltern, Behörden sowie mit weiteren Personen im Umfeld der Schule • planen, organisieren und verwalten • die eigene Tätigkeit überdenken und neu gestalten; beitragen zu Erneuerungsarbeiten im Gesamtrahmen der Schule • sich weiterbilden in allen Tätigkeitsbereichen Angesichts dieses umfassenden Auftrags – der so an sich richtig ist – besteht die Gefahr, dass das eigentliche „Kerngeschäft“ einer Lehrperson, nämlich das Unterrichten und Erziehen, von all den übrigen Aufgaben an die Peripherie gedrückt wird. Und dies ist nicht ungefährlich, weil es bei einzelnen Lehrerinnen oder Lehrern das Gefühl des Ungenügens hervorrufen kann, wenn sie für ihre Hauptaufgabe nicht mehr die – subjektiv gesehen – erforderliche Zeit investieren können. Dadurch wird das Wohlbefinden, aber auch die Motivation, unter Umständen stark beeinflusst. Noch ein Umstand beeinträchtigt möglicherweise das Wohlbefinden einer Lehrkraft. Bildung ist auf eine längerfristige Wirkung hin angelegt. Erfolg und Anerkennung stellen sich oft erst nach Jahren ein oder werden erst viel später als Erfolg wahrgenommen. Im Alltag erhalten Lehrerinnen und Lehrer kaum Anerkennung und Erfolgsmeldungen, auch wenn sie noch so gute Arbeit leisten. Dies kann dann dazu

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führen, dass die bohrende Frage nach dem Sinn ihrer Anstrengungen sie schwer belastet. Dies sind einige wesentliche Aspekte zum Thema gute beziehungsweise gelingende Schule aus der Perspektive der Lehrkräfte. 3. Perspektive der Eltern Die Eltern haben einen wesentlichen Anteil am Gelingen der Bildung ihrer Kinder. Gesetzlich sind die Eltern verpflichtet, ihre Kinder regelmässig in die Schule zu schicken und mit der Lehrerschaft, der Schulleitung und der Schulkommission zusammenzuarbeiten. Umgekehrt hat die Schule die Eltern regelmässig und in angemessener Weise über die schulische Entwicklung und das Verhalten ihrer Kinder sowie über wichtige Geschehnisse und Vorhaben im Zusammenhang mit dem Unterricht und dem Schulbetrieb zu informieren. Über diese konkrete Zusammenarbeit mit der Schule hinaus tragen die Eltern eine grosse Verantwortung für den Bildungserfolg ihrer Kinder. An ihnen liegt es, ob sie mit ihrer Einstellung und ihrer Haltung von früh an für ihre Kinder ein motivierendes Umfeld schaffen oder eben nicht. Wer sich als Mutter, aber vor allem auch als Vater, regelmässig mit seinem Kind abgibt, seine Fragen und Interessen teilt, etwas mit ihm unternimmt und es etwas erleben lässt, stärkt seine Beziehungsfähigkeit, fördert die sprachlichen Fähigkeiten und weckt ein allgemeines Interesse an der Umwelt. Dies sind alles Grundlagen, die für den späteren Bildungserfolg von Bedeutung sind. Es geht schon im frühen Alter mit einer grossen Anzahl an sich kleiner Ereignisse und Begebenheiten darum, die Bildungsfähigkeit überhaupt zu schaffen. Auf diesem Hintergrund erhellt sich, dass Eltern, die ihr Kind – um nur ein Beispiel zu nennen – von früher Kindheit an allein vor den Fernseher setzen, damit sie ihre Ruhe haben, in die falsche Richtung zielen. Studien zeigen, dass täglich mindestens eine gemeinsame Mahlzeit der Eltern mit den Kindern die Beziehungsfähigkeit der Kinder stark fördert: Sich regelmässig mit der ganzen Familie am Esstisch zum Essen zu treffen, ist heute allerdings längst keine Selbstverständlichkeit mehr. Die Berufstätigkeit beider Eltern, Musikunterricht, Sportverein und andere Freizeitangebote führen häufig dazu, dass kein Zeitfenster im Familienalltag eine gemeinsame Mahlzeit zulässt. Damit fehlt ein wichtiges alltägliches Ritual, das den Kindern Geborgenheit vermittelt. Ich greife zwei weitere Aspekte auf, die mir als ungünstig für die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen erscheinen. Wenn die Eltern – aus welchen Gründen auch immer – nicht dafür sorgen, dass ihre Kinder zu genügend Schlaf kommen, beeinträchtigt das deren Leistungsfähigkeit in der Schule und somit auch den Bildungserfolg. Der Effekt verstärkt sich noch, wenn das unausgeschlafene Kind am Morgen ohne Frühstück in die Schule eilt, weil vielleicht die Eltern aus beruflichen Gründen schon früher die Wohnung verlassen haben und niemand da ist, der für ein Frühstück sorgt. Ich will damit nur andeuten, dass viele einzelne an sich kleine Dinge im Elternhaus zu einer guten Grundlage für positive Lernleistungen führen können, jedoch auch viele einzelne kleine negative Einflüsse einen gegenteiligen Effekt bewirken. Deshalb ist die Rolle der Eltern so wichtig für die Entwicklung ihrer Kinder. Eine gute Voraussetzung für ihre Kinder schaffen Eltern, die die Schule in ihren Bemühungen unterstützen. Das Kind muss spüren, dass die Eltern gegenüber der Schule eine positive Haltung einnehmen. Wenn die Eltern – wie das heute leider oftmals vorkommt – alles, was in der Schule geschieht und was die Lehrkräfte machen, offen vor den Kindern kritisieren, wirkt das auf die Dauer demotivierend und kann die Lernleistungen entsprechend negativ beeinflussen.

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Zusammenfassend kann man wohl feststellen, dass eine möglichst unverkrampfte, positive Haltung der Eltern gegenüber der Schule und den Lehrkräften die beste Voraussetzung für den Bildungserfolg ihrer Kinder bildet. 4. Perspektive der Politik Es geht hier um die Frage, was die Politik in der heutigen Zeit zu einer guten Schule und einer guten Bildung beitragen kann. Ich möchte dazu eine grundsätzliche Bemerkung vorausschicken. Es gibt heute wieder eine Tendenz, die • gegen eine „Verhätschelung“ und für mehr Disziplin, • für Leistungsdrill mit Noten vom Schulbeginn an, • für flächendeckende Prüfungen für den Übertritt in die Sekundarstufe I und • für vermehrte Abschiebung von verhaltensauffälligen Kindern und Jugendlichen in Heime plädiert. Ich lehne eine solche „Militarisierung“ der Schule ab. Wir brauchen: • eine menschliche Schule, • eine Schule, die motiviert und den Leistungswillen fördert, • eine Schule, die kindergerecht ist, • eine Schule, in der sich die Lehrkräfte und die Schülerinnen und Schüler wohl fühlen. Das bedeutet nicht eine Schule, in der keine Grenzen gesetzt sind. Grenzen sind wichtig, damit man sich orientieren kann. Grenzen müssen dort gesetzt werden, wo es sinnvoll ist. Das bedeutet auch nicht eine Schule, in der es keine Disziplin gibt. Sie ist wichtig und Voraussetzung dafür, dass Unterricht überhaupt stattfinden kann. Disziplin ist jedoch kein absoluter Wert. Meine Damen und Herren – Sie wissen alle, dass in den nächsten Jahren einige Reformen auf die Volksschule zukommen. Ich bin grundsätzlich der Ansicht, dass möglichst wenige Reformen im Schulbereich getätigt werden sollten. Aber wo Reformen nötig und auch richtig sind, sollte man sie anpacken und nicht aufschieben. Reformen sind dann richtig, wenn sie für die erwähnten Akteure einen spürbaren Nutzen bringen, ihre Situation verbessern und das Hinarbeiten auf die Bildungsziele erleichtern. Dabei ist klar: Von politischer Seite her können immer nur die Rahmenbedingungen und Ressourcen so festgelegt werden, dass im besten Fall gute Bildung entstehen kann. Für die qualitative Umsetzung der Reformen müssen die erwähnten Akteure vor Ort sorgen, insbesondere die Lehrkräfte. Daher werden sie auch durch zu viele beziehungsweise zu häufige Reformen sehr bis zu stark belastet. Dessen müssen wir uns stets bewusst sein. Ich möchte im Folgenden auf einzelne aktuelle und anstehende Reformen kurz eintreten unter der Fragestellung, was sie zum Gelingen von Schule und Bildung beitragen. Manche dieser Themen stehen in engem Bezug zum schweizerischen Konkordat zur Harmonisierung der Volksschule (HARMOS). Die meisten würden jedoch auch unabhängig von HARMOS anstehen. Auf HARMOS selbst, insbesondere was die Standards anbetrifft, möchte ich aber in meinen Ausführungen nicht näher eintreten.

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Im Zusammenhang mit der Revision des Volksschulgesetzes von 2012 wird die zukünftige Ausgestaltung der vierjährigen Eingangsstufe aufgrund der Erkenntnisse des „Schulversuchs Basisstufe“ von Bedeutung sein. Unabhängig von der künftigen Ausgestaltung geht es dabei um folgende Hauptanliegen: •

Da nicht alle Kinder – wie vorher angedeutet – vom Elternhaus her optimale Förderbedingungen haben, ist es wichtig, sie möglichst früh – vorgesehen ist mit vier Jahren – in ein soziales Umfeld aufzunehmen, das ihrem Leistungspotenzial gerecht wird und dieses auch entsprechend fördert. Es geht nicht darum, die Kinder der Familie möglichst früh zu entreissen und unter staatlich kontrollierte Erziehung zu stellen. Im Vordergrund stehen ganz klar der Förderungsgedanke und die Chancengerechtigkeit. Kinder aus einem eher bildungsfernen Familienmilieu sollen dadurch ähnliche Bildungschancen erhalten wie Kinder aus einem bildungsfördernden Familienmilieu.



Angestrebt wird ferner, dass mit einer optimalen Ausgestaltung der Erziehung und Bildung der vier- bis achtjährigen Kinder Möglichkeiten zur Flexibilisierung des Schuleintritts aufgrund der individuellen Entwicklung der einzelnen Kinder geschaffen werden können.

Die Ausgestaltung der Bildung für die vier- bis achtjährigen Kinder als Basisstufe würde dazu führen, dass die Kinder altersdurchmischt unterrichtet würden. Die Altersdurchmischung in Mehrjahrgangsklassen kann sowohl die Entwicklung von Fachkompetenzen unterstützen als auch Sozialkompetenzen erweitern. Die jüngeren Schülerinnen und Schüler können von den älteren profitieren, ältere müssen auf die jüngeren Rücksicht nehmen und lernen dabei, Verantwortung zu übernehmen. Falls die Eingangsstufe mit Mehrjahrgangsklassen geführt wird, ist bei den vier Schuljahren der Primarstufe die vermehrte Unterstützung der altersdurchmischten Unterrichtsform ebenfalls zu prüfen. Ein besonderes Augenmerk soll – im Sinne einer Optimierung – auf die Ausgestaltung der Sekundarstufe I gelegt werden. Diese Stufe soll der individuell optimalen Förderung der Schülerinnen und Schüler dienen. Dabei ist der Nahtstelle von der Sekundarstufe I zur Sekundarstufe II besondere Beachtung zu schenken. Die Hauptthemen sind: •

Die Aufwertung der Bildung für die Schülerinnen und Schüler mit Realschulniveau.



Die Förderung der Schülerinnen und Schüler, die in die Berufsbildung eintreten wollen, durch eine verstärkte Ausrichtung dieser Schuljahre auf die berufliche Laufbahn.



Die Bereitstellung speziell ausgebildeter Fachkräfte bei der Berufsberatung, die ein Case Management zur Früherkennung und Begleitung für Jugendliche ab der 7. Klasse sicherstellen, die beim Einstieg in ein weiterführendes Angebot Schwierigkeiten haben.



Die Vorbereitung auf die gymnasiale Bildung und die Organisation des gymnasialen Unterrichts im 9. Schuljahr.

Im Zusammenhang mit der Ausgestaltung der Sekundarstufe I stellt sich auch die grundsätzliche Frage der Selektion. Dabei geht es einerseits um eine Klärung des Übergangs von der Primarstufe in die Sekundarstufe I und andererseits um die Problematik, dass die auf eine Mittelschule hinstrebenden Schülerinnen und Schüler heute zwischen dem 5. und 9. Schuljahr in einer dauernden Selektionssituation stehen. Ziel ist es, in diesem Bereich eine gewisse Beruhigung herbeizuführen. Ich

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werde jedoch im Rahmen des VSG 2012 die Selektion an sich nicht grundsätzlich in Frage stellen. Eine wichtige Reform ist die Vorverlegung des Fremdsprachenunterrichts. Künftig soll Französisch beziehungsweise Deutsch ab 3. Schuljahr und Englisch ab 5. Schuljahr unterrichtet werden. Ziel ist es, die kommunikativen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler im Gebrauch von Fremdsprachen zu steigern. Die Schülerinnen und Schüler sollen sprachliche, kulturelle und strategische Kompetenzen erwerben, sich mündlich und schriftlich in der Nachbarsprache Französisch beziehungsweise Deutsch sowie in Englisch zu verständigen. Dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn es gelingt, die Sprachkompetenz der Lehrkräfte insgesamt auf ein möglichst hohes Niveau zu heben. Alle diese Reformen zielen darauf, die heutige Schule noch zu verbessern und die Bildungsqualität zu erhöhen. Aber wie bereits erwähnt: Gute Bildung steht und fällt mit kompetenten und motivierten Lehrkräften, Lehrkräften, die an den pädagogischen Hochschulen ausgebildet und weitergebildet werden. Deshalb liess ich im letzten und diesem Jahr eine Analyse durchführen, wo die Lehrkräfte im Kindergarten, in der Volksschule und auf der Sekundarstufe II wirklich „der Schuh drückt“. Die Analyse zeigte im Wesentlichen ein positives Bild: • Die Lehrkräfte und Schulleitungen sind mit ihrer Arbeitssituation grösstenteils zufrieden. • Die Lehrpersonen identifizieren sich mit ihrem Beruf und mit der Schule. • Sie zeichnen sich durch eine ausserordentlich hohe Leistungsbereitschaft aus. • Sie sind motiviert und engagiert. • Sie bezeichnen den Lehrberuf bzw. die Funktion Schulleitung als attraktives Tätigkeitsfeld. Wir müssen aber auch die negativen Aspekte des Lehrberufs wahrnehmen und uns ernsthaft mit ihnen auseinandersetzen: • die hohe zeitliche Belastung • die Unzufriedenheit mit dem Gehalt • das teilweise schlechte Image des Lehrberufs In der Zwischenzeit haben wir aus der Studie mögliche Massnahmen abgeleitet, die jedoch noch nicht beschlossen sind. Es sind vor allem die folgenden Optionen: •

Es ist zu prüfen, ob kurzfristige Entlastungsmöglichkeiten für Lehrpersonen mit schwierigen Klassen geschaffen werden können (z. B. zusätzliche Lektionen für den Einsatz einer zweiten Lehrkraft, für abteilungsweisen Unterricht oder für Pensenreduktionen).



Es ist zu prüfen, ob die Einstiegsgehälter, die als zu tief kritisiert wurden, erhöht werden können.



Es sollen verschiedene Möglichkeiten zur Entlastung der Schulleitungen geprüft werden.



Es soll im Rahmen der Revision des Volksschulgesetzes 2012 geprüft werden, ob den Gemeinden verbindlich vorgeschrieben werden könnte, zur Entlastung der Schulleitungen und Lehrkräfte Schulsekretariate einzurichten.



Die Analyse hat zudem ergeben, dass das allgemeine Ausbildungsniveau zur Erfüllung des Berufsauftrags von den Lehrkräften kritisch eingeschätzt wird. Vor allem jüngere Lehrpersonen, welche in der Volksschule tätig sind, männliche Lehrpersonen sowie Personen mit einem grossen Pensum sind der Ansicht, dass

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sich das Ausbildungsniveau in den letzten Jahren nicht verbessert hat. Diese Aussage bezieht sich vor allem auf den deutschsprachigen Kantonsteil. Ich nehme diese Aussage sehr ernst. Dass die Grundausbildung der Pädagogischen Hochschule die Lehrkräfte gut auf den Berufsalltag vorbereitet, ist ganz entscheidend. Hier muss genauer hingeschaut werden, was der Hintergrund solcher Aussagen ist. Sie können sowohl auf Erfahrungen mit noch seminaristisch ausgebildeten Lehrkräften als auch auf Erfahrungen mit den ersten tertiär ausgebildeten Lehrkräften beruhen. Sicher ist nur, dass zur Zeit der Umfrage noch gar keine durch die PH Bern ausgebildeten Lehrpersonen im Schuldienst standen. Damit komme ich zum letzten Teil meiner Ausführungen: Wie muss künftig eine Grundausbildung konzipiert sein, damit eine gute Schule und eine gute Bildung gelingt. Ein Blick auf die Ausbildungen der Pädagogischen Hochschulen der Schweiz zeigt, dass insbesondere für die Vorschulstufe und die Primarstufe eine grosse Vielfalt von verschiedenen Ausbildungen entstanden ist: • Es gibt immer noch Ausbildungen nur für den Kindergarten. • Es gibt Ausbildungen für die Primarstufe (1. bis 6. Schuljahr). • Es gibt Ausbildungen für die Vorschulstufe und die unteren Klassen der Primarstufe (1. und 2. Schuljahr): Modell -2 bis +2. • Es gibt Ausbildungen für die oberen Klassen der Primarstufe (3. bis 6. Schuljahr): Modell 3 bis 6. • Und schliesslich gibt es Ausbildungen für die Vorschulstufe und die ganze Primarstufe (1. bis 6. Schuljahr), wie wir sie an der PH Bern haben: Modell -2 bis 6. Die Anzahl der Fächer reicht bei all diesen Modellen von 6 bis 12, je nach Aufschlüsselung der Fachbereiche im Lehrplan und je nach dem Ausbildungsmodell mit oder ohne Wahlfächer. Trotz eines einheitlichen Anerkennungsreglements für die Lehrdiplome der Vorschulstufe und Primarstufe der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK), kann von einer Einheitlichkeit bezüglich dieser Lehrdiplome zurzeit nicht die Rede sein. Es fällt dabei auf, dass in der Romandie, inkl. Kanton Bern, sowie im Tessin durchwegs das Modell -2 bis 6 praktiziert wird. Damit will ich nicht sagen, dass ich diese Einheitlichkeit unbedingt als nötig erachte. Aufgrund der geplanten Neuerungen auf dieser Stufe (Einführung der Eingangsstufe, vorgezogener Fremdsprachenunterricht und integrativer Unterricht) stellt sich aber die Frage, ob es möglich ist, im Rahmen eines dreijährigen Bachelor-Studiums noch eine generalistische Qualifikation für den Unterricht auf der Vorschul- und Primarstufe zu vermitteln. In diesem Zusammenhang ist auch zu prüfen, nach welchem Modell künftig an den Pädagogischen Hochschulen ausgebildet werden soll. Die Schweizerische Konferenz der Rektoren der Pädagogischen Hochschulen (COHEP) hat deshalb zu diesen Fragen Empfehlungen erarbeitet: •

Sie kommt darin zum Schluss, dass auf Studiengänge, die nur für den Unterricht im Kindergarten befähigen, künftig zu verzichten sei.



Sie ist der Meinung, dass mittelfristig – auch im Blick auf Europa – Masterstudiengänge für alle Kategorien von Volksschullehrpersonen einzurichten seien.

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Solange die Ausbildung für die Vorschulstufe und die Primarstufe jedoch nur mit einem Bachelordiplom abschliesst, ist hinsichtlich der Unterrichtsbefähigung eine Einschränkung der Stufen und/oder der integralen Fächerbreite notwendig.



Die COHEP möchte in der Schweiz nur noch zwei hauptsächliche Stufenprofile zulassen: - Das Modell für Stufe -2 bis +2 und Stufe 3 bis 6 (mit einer fakultativen Einschränkung der Fächerbreite auf der Stufe 3 bis 6). - Das Modell -2 bis 6 mit einer obligatorischen Einschränkung der Fächerbreite.

Die Einschätzung der COHEP hinsichtlich einer Verlängerung des Studiums zu einem Master-Studium ist realistisch. Diese Lösung ist zurzeit zu teuer. Zudem ist zumindest ungewiss, ob ein eineinhalb Jahre verlängertes Studium die erwartete Qualität der Ausbildung tatsächlich erbrächte. Die von der COHEP vorgeschlagenen Modelle für das Bachelor-Studium zeigen daher wohl die Richtung, in die wir uns vorerst bewegen werden. Die EDK hat jedoch diesbezüglich noch keine Entscheide getroffen. Aufgrund der bisherigen Entwicklung in der Schweiz kann vermutet werden, dass die lateinische Schweiz eher beim Modell -2 bis 6 bleiben wird, jedoch Einschränkungen in der Fächerbreite einführen wird. Ich selber sehe im Modell Stufe -2 bis +2 und Stufe 3 bis 6 wichtige Vorzüge: •

Es ermöglicht den angehenden Lehrpersonen eine Auswahl zwischen der Bildung und Erziehung von Vier- bis Achtjährigen einerseits und der Bildung und Erziehung von Neun- bis Zwölfjährigen andererseits.



Die Ausbildung der Volksschullehrkräfte gliedert sich in drei ungefähr gleich lange Entwicklungsphasen, nämlich -2 bis +2, 3 bis 6 und 7 bis 9.



Eine Zäsur zwischen dem 2. und 3. Schuljahr (bzw. später dann dem 4. und 5. Schuljahr) ist auch inhaltlich sinnvoll. Mit dem 2. Schuljahr endet eine allfällige Basisstufe, im 3. Schuljahr beginnt der Fremdsprachenunterricht.



Am Ende jeder Stufe – im 2., 6. und 9. Schuljahr – müssen die nach HARMOS vorgesehenen Standards erreicht werden.

Die Ausrichtung der Grundausbildung an der PH Bern auf diese Zyklen könnte also durchaus sinnvoll sein. Definitiv entschieden habe ich mich noch nicht, ich bin noch sehr offen für die Diskussionen mit der PH, der COHEP und der EDK. Meine Damen und Herren – Damit eine gute Bildung in einer guten Schule gelingen kann, müssen die verschiedensten Rahmenbedingungen und Voraussetzungen zusammenstimmen und die verschiedensten Akteure zusammen auf das angestrebte Ziel hinarbeiten. Sie alle sind dabei als Angehörige der PH Bern genau so wichtig wie die drei direkten Akteure, von denen ich am Anfang gesprochen habe. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

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